Tai-Pan
Der Seefahrer und begnadete Kaufmann ist...
Der Seefahrer und begnadete Kaufmann ist von dem Traum beseelt, Hongkong, die Insel vor der Küste Chinas, zum Sprungbrett in das geheimnisvolle Reich der Mitte und zur Britischen Kronkolonie zu machen.
1841 erreicht er schließlich sein Ziel - trotz aller hinterlistigen Fallgruben und kulturellen Gegensätze.
Tai-Pan von James Clavell
LESEPROBE
Erstes Buch
Dirk Struan stieg auf das Achterdeck des Flaggschiffs H.M.S. Vengeancehinauf und schritt breitbeinig zur Gangway. Das Linienschiff, mitvierundsiebzig Kanonen bestückt, lag eine halbe Meile von der Insel entferntvor Anker. Es war von den übrigen Kriegsschiffen der Flotte, denTruppentransportern der Expeditionsstreitkräfte, den Kauffahrteischiffen undden Opiumklippern der Chinahändler umringt. Der Tag brach an - ein düsterer,kühler Tag - Dienstag, der 26. Januar 1841. Während Struan das Oberdeck entlangging,blickte er zum Ufer hinüber, und Erregung wallte in ihm auf. Der Krieg mitChina war so verlaufen, wie er es geplant hatte. Der Sieg entsprach seinenVorstellungen. Und die Siegesbeute - die Insel - war das, wonach er zwanzigJahre lang getrachtet hatte. Jetzt begab er sich an Land, um Zeuge derfeierlichen Inbesitznahme zu werden. Er wollte dabei gewesen sein, wie einechinesische Insel sich in ein Juwel in der Krone Ihrer Britischen Majestät, derKönigin Victoria, verwandelte. Die Insel war Hongkong. Dreißig Quadratmeilenfelsigen Berglandes am Nordufer des gewaltigen Perlflusses im südlichen China. Rundtausend Yards vom Festland entfernt. Abweisend. Unfruchtbar. Unbewohnt bis aufein kleines Fischerdorf an der Südküste. Genau auf dem Weg der ungeheurenStürme gelegen, die alljährlich vom Pazifik heranbrausten. Im Osten und imWesten von gefährlichen Untiefen und Riffen gesäumt. Nutzlos für den Mandarin,in dessen Provinz sie lag. Aber Hongkong bot den größten natürlichen Hafen derWelt. Und es war Struans Sprungbrett nach China.
»Längsseits verholen!«, rief der junge Wachoffizier demSeesoldaten in Scharlachrot zu. »Mr. Struans Langboot mittschiffs an das Fallreep!«»Jawohl, Sir!« Der Seesoldat beugte sich über die Reling und brüllte den Befehlweiter. »Dauert nur einen Augenblick, Sir«, sagte der Offizier und versuchte, seineScheu
»Der Teufel soll diese stinkende Insel holen«, sagte Brock,blickte sich am Strand um und starrte zu den Bergen hinauf. »Ganz China zuunseren Füßen, und wir bekommen dabei nich mehr ab als so einen nassen Felsen,auf dem nich mal was wächst.« Er stand mit zwei anderen Chinahändlern am Ufer.Rings um sie her standen in Gruppen Kaufleute und Offiziere derExpeditionsstreitkräfte. Sie alle warteten auf den Offizier der KöniglichenMarine, der die Zeremonie einleiten sollte. Eine Ehrenwache von zwanzig Seesoldatenwar in zwei exakt ausgerichteten Gliedern neben dem Flaggenmast angetreten. DasScharlachrot ihrer Uniformen bildete einen grellen Farbklecks in derLandschaft. Matrosen, die in ungeordneten Haufen in ihrer Nähe herumstanden,hatten soeben den Flaggenmast in die steinige Erde gesetzt. »Bei acht Glasensollte die Flagge geheißt werden«, erklärte Brock, und seine Stimme war rau vorUngeduld. »Wird eine Stunde später werden. Warum geht s denn nicht endlich los,verdammt noch mal!« »Es bringt üblen Joss, an einem Dienstag zu fluchen, Mr.Brock«, meinte Jeff Cooper. Er war ein hagerer Amerikaner aus Boston, ein Mannmit Hakennase in einem schwarzen Gehrock, den Filzzylinder schief auf den Kopfgedrückt. »Ganz üblen Joss!« Coopers Begleiter, Wilf Tillman, gab es einenleichten Ruck, als er aus der näselnden Stimme des jüngeren Mannes dieverborgene Schärfe heraushörte. Tillman war untersetzt, hatte ein rötlichesGesicht und stammte aus Alabama. »Und ich sage Ihnen, dieser ganzegottverdammte Fliegendreck ist nichts anderes als übler Joss!«, erklärte Brock. Joss war ein chinesisches Wort, das Glück, Schicksal, Gott und Teufel ineinem bedeutete. »Gottverdammt übel!«
»Hoffentlich nicht, Sir«, entgegnete Tillman. »Die ganzeZukunft des Chinahandels liegt jetzt hier - guter oder schlimmer Joss hin oderher.« Brock sah auf ihn herunter. »Hongkong hat keine Zukunft. Was wirbrauchen, sind offene Häfen auf dem chinesischen Festland.«
»Es gibt keinen besseren Hafen in diesen Gewässern«,antwortete Cooper. »Platz genug, um alle unsere Schiffe an Land zu setzen undzu überholen. Platz genug, um Wohnhäuser und Lagerschuppen für uns zu bauen.Endlich keine Einmischung der Chinesen mehr.«
»Eine Koloniemuss anbaufähiges Land und Bauern haben, diedieses Land bearbeiten, Mr. Cooper. Eigene Einkünfte«, erklärte Brock ungeduldig.»Ich bin hier kreuz und quer herumgelaufen, ebenso wie Sie. Wie soll man dennhier etwas ernten? Es gibt keine Felder, keine Bäche, kein Weideland. Alsogibt s auch kein Fleisch und keine Kartoffeln. Alles, was wir brauchen, müssenwir einführen. Stellen Sie sich einmal vor, was das kostet! Mensch, sogar dasFischen wird lausig sein. Und wer soll denn überhaupt die Unterhaltskosten für Hongkongtragen, he? Wir und unser Handel, verdammt noch mal!« »Du meine Güte, Mr.Brock, an eine solche Kolonie denken Sie?«, rief Cooper. »Ich hatte gedacht,das Britische Reich« - er spuckte geschickt gegen den Wind - »hätte schon mehrals genug solcher Kolonien. « Brocks Hand verirrte sich in die Nähe seinesMessers. »Haben Sie eben gespuckt, weil Sie was im Hals hatten, oder haben Sievielleicht das Empire gemeint?«
Tyler Brock war ein kräftiger, einäugiger Mann, der auf diefünfzig zuging, ebenso hart und ausdauernd wie das Eisen, das er in seinerJugend in Liverpool hatte verhökern müssen, und ebenso kampfstark undgefährlich wie die bewaffneten Handelsschiffe, auf denen er geflohen war undüber die er schließlich als Chef von Brock and Sons herrschen sollte.Seine Kleidung hatte eine Stange Geld gekostet, und das Messer an seinem Gürtelwar mit Juwelen besetzt. Bart und Haar waren ergraut. »Es ist kalt heute, Mr.Brock«, erwiderte Tillman hastig, innerlich über das lose Maulwerk seinesjungen Partners erzürnt. Brock war kein Mann, den man reizen durfte, und offeneFeindschaft mit ihm konnten sie sich noch nicht erlauben. »Ziemlich scharferWind, was, Jeff?« Cooper nickte kurz. Aber er wandte seinen Blick nicht vonBrock ab. Er hatte zwar kein Messer, aber dafür in seiner Tasche eine kurze Pistolevon schwerem Kaliber. Er war ebenso groß wie Brock, nur schlanker und leichter,und er hatte keine Angst. »Möchte Ihnen einen guten Rat geben, Mr. Cooper«,sagte Brock. »Besser, Sie spucken nicht so oft, wenn Sie gerade vom BritischenReich geredet haben. Könnten ja mal auf Leute stoßen, die so was nicht so ohneweiteres zu Ihren Gunsten auslegen.« »Danke, Mr. Brock, ich will daran denken«,erwiderte Cooper leichthin. »Und auch ich gebe Ihnen einen Rat: Es bedeuteteinen üblen Joss, an einem Dienstag zu fluchen.« Brock unterdrückte seinenZorn. Am Ende würde er Cooper, Tillman und ihre Firma, die größte deramerikanischen Kaufleute, doch noch vernichten. Jetzt brauchte er sieallerdings als Verbündete gegen Dirk und Robb Struan. Brock verfluchte denganzen Joss. Joss hatte Struan & Co. zum größten Handelshaus in Asiengemacht, das so reich und so mächtig war, dass die anderen Kaufleute imChinahandel es voller Respekt und Neid The Noble House getauft hatten -ein vornehmes Haus also, weil es das erste war an Reichtum und anGroßzügigkeit, das erste im Handel, weil es die meisten Klipper hatte, aber vorallem, weil Dirk Struan der Tai-Pan war, der Tai- Pan unter allenTai-Panen Asiens.
Und Joss hatte Brock ein Auge gekostet; das war vor siebzehnJahren, in dem Jahr, in dem Struan sein Reich gegründet hatte. Draußen auf Seewar es passiert, nicht weit von der Insel Tschuschan. Tschuschan lag genausüdlich vom großen Hafen Schanghai, in der Nähe der Mündung des mächtigenJangtsekiang. Brock hatte sich mit einer riesigen Ladung Opium durch den Monsungekämpft; Dirk Struan war nur ein paar Tage später ausgelaufen, ebenfalls mit Opiumbeladen. Brock hatte als Erster Tschuschan erreicht, seine Fracht verkauft undwar wieder ausgelaufen - voller Schadenfreude darüber, dass Struan nun weiternach Norden ziehen musste, um an einer neuen Küste und unter neuen Gefahrensein Glück zu versuchen. Brock war nach Süden davongebraust, heimwärts - nachMacao -, die Kästen mit Silber gefüllt und mit großer Fahrt vor dem Wind.Plötzlich aber war ein gewaltiger Sturm aus dem Chinesischen Meer über siehergefallen. Die Chinesen nannten diese Stürme taifung, die AllmächtigenWinde. Die Kaufleute nannten sie Taifune. Sie waren der Schrecken aller.
© Blanvalet
Übersetzung: Werner von Grünau
Autoren-Porträtvon JamesClavell
James Clavell ist nach seinen eigenen Worten einhalbirischer Engländer mit ein paar schottischen Glanzlichtern, in Australiengeboren, Bürger der Vereinigten Staaten mit Wohnsitz in Kalifornien und Kanadaoder sonst wo. Als der Krieg ausbrach, besuchte er in England noch die PublicSchool. Von 1940 bis 1946 diente er in der britischen Armee. 1954 begann er zuschreiben. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, verfilmt undwaren allesamt Welterfolge. JamesClavell verstarb 1994.
- Autor: James Clavell
- 2004, 815 Seiten, 2 Abbildungen, Maße: 14,2 x 22 cm, Leinen, Deutsch
- Dtsch. v. Werner von Grünau
- Verlag: Weltbild Lager
- ISBN-10: 3898971163
- ISBN-13: 9783898971164
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