Technolution
Wie unsere Zukunft sich entwickelt
Faszination Zukunft
Fliegende Autos und Städte im Weltraum solche Zukunftsvisionen begleiten uns seit Jahrzehnten. Warum sie nicht eingetroffen sind, wie sich die Technik tatsächlich entwickelt und welche verblüffenden Dinge wir daraus über uns selbst...
Fliegende Autos und Städte im Weltraum solche Zukunftsvisionen begleiten uns seit Jahrzehnten. Warum sie nicht eingetroffen sind, wie sich die Technik tatsächlich entwickelt und welche verblüffenden Dinge wir daraus über uns selbst...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Technolution “
Faszination Zukunft
Fliegende Autos und Städte im Weltraum solche Zukunftsvisionen begleiten uns seit Jahrzehnten. Warum sie nicht eingetroffen sind, wie sich die Technik tatsächlich entwickelt und welche verblüffenden Dinge wir daraus über uns selbst erfahren können, das erklärt der bekannteste Zukunftsforscher in diesem spannenden Buch.
Fliegende Autos und Städte im Weltraum solche Zukunftsvisionen begleiten uns seit Jahrzehnten. Warum sie nicht eingetroffen sind, wie sich die Technik tatsächlich entwickelt und welche verblüffenden Dinge wir daraus über uns selbst erfahren können, das erklärt der bekannteste Zukunftsforscher in diesem spannenden Buch.
Klappentext zu „Technolution “
Wenn wir an Zukunft denken, dann denken wir fast immer an technischen Fortschritt. Matthias Horx bietet eine völlig neue Erklärung dafür, wie dieser Fortschritt entsteht. Denn Technik entwickelt sich nicht planmäßig und linear, sondern nach den eigenständigen Gesetzen der Evolution. Wir Menschen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Unsere individuellen und kollektiven Bedürfnisse, Erwartungen und Ängste beeinflussen die Entwicklung der Technik. Wenn wir diesen evolutionären Prozess verstehen, können wir bereits heute die Technik von morgen voraussagen und den Zukunftsprozess auf neue Weise steuern.
Lese-Probe zu „Technolution “
OuvertüreAuf dem Dachboden oder:
der vollautomatische Mann
Die Geschichte dieses Buches beginnt auf einem Dachboden. Auf dem staubigen Dachboden eines Hauses, in dem ich heute nicht mehr wohne.
Vor einigen Jahren begaben meine Familie und ich uns wieder einmal in den prekären Ausnahmezustand des Umziehens. Umziehen ist ja stets mit einer milden Form des Wahnsinns verbunden. Man muss sich trennen - von alten Gewohnheiten, Bindungen und Verwurzelungen. Dieser Zustand ähnelt einem leichten Trauma, das die Sinne schärft und die Seele empfänglich macht für die Schrecken und Segnungen der Veränderung.
In diesem Zustand also fand ich beim Versuch des Aufräumens auf dem Dachboden des Mietshauses, das ich damals mit meiner Familie verließ, einen kleinen, roten Koffer aus laminierter Pappe, der an den Ecken bereits Auflösungserscheinungen zeigte. Darin lagen, mit spröden Gummibändern zusammengehalten und in fleckigen Umschlägen oder grauen Kartons, die vergessenen Zukunfts-Schätze meiner Kindheit aus den sechziger Jahren.
Sechs abgestoßene Matchbox-Rennautos, von denen der rote Porsche unbestrittener König war. Ein Stapel Schulhefte, an dessen Rändern die ersten bunten Jimi-Hendrix-Mäander blühten. Eine plastische Detailkarte des Mondes im Großformat 1,50 mal 1,50 Meter. Und eine abgegriffene "Pan-Am-Fahrkarte zum Mond", einzulösen am 1.1.2000, ausgestellt am 1.1.1967. Sie hatte 20 D-Mark gekostet, eine gewaltige Investition für die Taschengeldbudgets der damaligen Zeit. Ein Stapel Hobby-Hefte, mit wundersamen Geschichten über "Das sensationelle Leben im All". Darunter ein Stapel von "Birkel Zukunftsbildern" (von den Birkel-Nudelwerken in Endersbach bei Stuttgart, Buxtehude und Schwelm).
Lange betrachtete ich diese Bilder aus dem vergangenen Reich Technotopia, dem Königreich meiner Kindheit. Sie hatten sich auf seltsame Weise verändert. Ich hatte sie geradezu panoramisch im Gedächtnis; groß und bunt und lebensecht. Jetzt wirkten sie wie Karikaturen, wie
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rührende Witzbilder. Sie waren seltsam geschrumpft, auf banale Briefmarkengröße; und ihr Verblassen lag nicht nur an der Altersschwäche der Pigmente.
Auf einer der größeren Illustrationen rauschte aus einem mächtigen, kanonenähnlichen Ding, das auf einem Lastwagen aufgebaut war, eine Art Nordlicht gen Himmel.
Aber es sollte noch intensiver kommen. Weiter unten im roten Koffer, in einem braunen Pappumschlag, fand ich zwei Zeitungsausschnitte aus dem Jahr 1950, fünf Jahre vor meiner Geburt. Sie zeigten meinen Vater pfeiferauchend in zwei Reportagen in der Constanze und der Welt am Sonntag. Schauplatz war eine kleine Mansardenwohnung im zerstörten Nachkriegs-Berlin.
Mein Vater ist zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt, Student der Elektotechnik, und er sieht, das fand auch meine Mutter, ziemlich gut aus.
Junger Mann mit Ideen lebt wie der letzte Mensch -
Student haust vollelektrisch
Das schmale Bett in der kleinen Mansarde ist nicht gerade komfortabel. Aber dafür sind es manche Dinge ringsherum umso mehr. 800 Meter Kabel hat der junge Mann im Lauf eines Jahres hier eingebaut. 48 Kontrollanzeigen verwirren den Außenstehenden. Früh um 6.30 Uhr schaltet sich der Kocher ein, auf dem Kaffee- und Rasierwasser steht. 6.33 folgt das Radio. 6.36 treten die Ventilatoren in Tätigkeit und ermuntern mit sanftem Morgenwind ... Wenn er im Winter um sechs nach Hause kommt, hatte die Schaltuhr den Ofen bereits um vier Uhr entzündet, die Kartoffeln gekocht, oder sogar einen Griesbrei. Nein, keinen klumpigen! Denn dazu gab es eine Vorrichtung, die mit dem Kochen der Flüssigkeit einen Trichter öffnete, durch den der Gries hineingelangte und kräftig durchgequirlt wurde ...
Da ist er also. Werner Horx, mein Vater. 1950, fünf Jahre nach der Apokalypse des Krieges. Ein Tüftler, ein Bastler, ein Überlebenskünstler mit Ehrgeiz, wie es so viele im zerbombten Nachkriegsdeutschland gibt. Seine Kunst ist das Löten und Basteln, seine Leidenschaft die Elektrik. Sein Traum: der vollautomatische Junggesellen-Haushalt. Insgesamt 30 "elektrische Wunder" bastelt mein Vater in seine Mansardenwohnung im 6. Stock eines Hauses hinein, dessen hintere Hälfte durch eine Fliegerbombe weggerissen wurde: von der Klo-besetzt-Fernanzeige (Toiletten gab es nur auf dem Treppenabsatz zwei Stockwerke tiefer) über den automatischen Eisblumenabtauer (in den Berliner Nachkriegswintern blieb es wochenlang unter minus 20 Grad) bis zur automatischen Zeitschaltuhr, die um 22 Uhr das Licht herunterregelte.
Die Obsession, die Welt um ihn herum zu steuern, zu kontrollieren und in einen berechenbaren Zeittakt zu zwingen, sollte ihn nie wirklich verlassen. Im Reihenhaus in der Vorstadt, in dem ich meine Kindheit verbrachte, baute er eine riesige Eisenbahnanlage im Keller, die von einem gewaltigen Schaltpult aus gesteuert wurde (es war so voller schwerer Relais und Transformatoren, dass es später, bei einem weiteren Umzug, zurückgelassen werden musste). Die Züge leuchteten im Dunkeln und stießen sogar kleine weiße Dampfwolken aus. Meine Rolle in diesem vollautomatischen Rangierbahnhof war es, eine Eisenbahner-Mütze zu tragen, eine Kelle hochzuhalten und zu pfeifen.
Aus meinem sechsten Lebensjahr erinnere ich mich an die große tickende Uhr über meinem Kopfkissen. Mein Vater hatte mit schönen bunten Bildern die einzelnen Tagesabschnitte daraufgemalt: Zähneputzen, Anziehen, Frühstücken, Mittagessen, Hausaufgaben, Abendessen, Bettzeit. Eine geordnete zeitliche Welt, ein Uhrwerk des Lebens. Jedes Mal, wenn der Zeiger einen bestimmten Zeitabschnitt überschritt, klickte es deutlich hörbar. Immer um Punkt acht machte das Relais besonders laut klack, und dann leuchtete auf dem Kasten auf meinem Nachttisch das große, düstere rote Wort "Einschlafen!" auf.
Von meiner Mutter ist bekannt, dass sie den Automatisierungszwang meines Vaters etwas befremdlich fand, aber mit Humor nahm. Sie weigerte sich, das Sofa zu benutzen, angeblich aus Angst vor einem elektrischen Schlag. Den Grießbrei kochte sie lieber selbst, und bei der Planung einer vollautomatischen Bügelmaschine soll sie einmal ein Bügeleisen an die Wand geworfen haben. Aber das sind Familiengerüchte. Waren Männer nicht immer so? Musste man sich nicht daran gewöhnen, dass sie immer alles regeln, steuern und kontrollieren wollen?
Ich sehe ihn noch da stehen, an der Werkbank im Keller, meinen tüftelnden Meisterbastler-Vater, den Hohepriester der automatischen Welt. Ich rieche den Lötzinn und die heißen Transformatoren, den Geruch von schmelzendem Plastik und den aromatischen Sechziger-Jahre-Klebstoff, mit dem man die Modellhäuschen für die Eisenbahn-Landschaften zusammenklebte und den man in langen, lustvollen Schichten von den Fingern abziehen konnte. Ich sehe ihn, mit der Pfeife im Mund, mit Hunderten von Werkzeugen hantieren, elektrische Drähte schneiden und mit Kabelschellen, klobigen Relais und blinkenden Lämpchen verbinden, mit ruhigen, konzentrierten Bewegungen.
Und ich denke an meine eigene Jugend, die später nach Raketentreibstoff, einer Prise Marihuana und erheblichen erotischen Verheißungen roch.
Und plötzlich, auf diesem heißen Dachboden, mit dem Taubenkot unter den Gauben und dem durchdringenden Geruch unwiderbringlicher Vergangenheit, stieg ein heiliger Zorn in mir auf. Technik, so offenbarte sich mir, ist der große Betrüger. Sie gaukelt uns Erlösungen vor, die sie nie halten kann. Sie führt uns an der Nase herum, verdammt uns zu einer Illusion nach der anderen - und kann doch nie halten, was sie glorios verspricht. Sie ist wie der Vater auf dem Dachboden, der, kaum dass die Kindheit vorüber ist, alt und krank und hinfällig wird.
Wo sind sie nur alle geblieben, die Raumstationen, in denen wir fröhlich-schwerelos in hautengen Stretchuniformen umhertreiben, während am Himmel über uns Galaxien und Sterne leuchten? Hat jemand eine Ahnung, wo die sprachgesteuerten höflichen Roboter - "Ja, Herr! Selbstverständlich, Herr!" -, die uns den Rasen sprengen und das Geschirr abwaschen und den Müll raustragen und das Essen servieren, geblieben sind? Und die lichten Unterwasserstädte, die Aircopter, mit denen wir eben mal zum Einkaufen in die Stadt fliegen? Die Super-Medikamente, die uns alle schlank bleiben lassen, den Krebs bekämpfen und das Leben endlos und unbeschwert machen? Die Helme, die wir uns aufsetzen, und - zong! - schon haben wir eine neue Fremdsprache gelernt? Die sprechenden Haustiere, die sprachgesteuerten Häuser und selbstfahrenden Autos? Wir müssen nur noch eine kleine Weile Geduld haben? Wer's glaubt, wird selig!
Wo, zum Teufel, ist die Zukunft geblieben? Warum haben sich sogar die Utopien, die sich um die Technik ranken, heute in absurde Blödheiten verwandelt? Hier einige Beispiele aus der Gegenwart der Zukunftsvisionen:
Die Lifestyle-Medizin der Zukunft
Ein romantisches Wochenende im Jahr 2020, Tom und Linda sind zu einem Rendezvous verabredet. Dass beide schon jenseits der 60 sind, sieht man ihnen nicht an - regelmäßigen Antifalten-Behandlungen sei Dank. Außerdem schlucken die beiden täglich einen Cocktail aus 250 Vitaminen, Enzymen und Hormonen. Auch der Abend verläuft dank Lifestyle-Medikamenten wild wie bei Twens. Kurz bevor Linda an der Tür klingelt, verteilt Tom ein paar Spritzer Oxytocin im Raum - für eine vertrauensvolle Atmosphäre. Danach schluckt er eine Kombination aus Viagra und Dapoxetine, ein Medikament, das vorzeitigen Samenerguss verhindert.
In diesem Text, gefunden in einer Website im Jahr 2008, konzentriert sich alles, was an unsinnigem Technoquark in den heutigen Medien kursiert. Welche Welt- und Menschenverachtung muss hinter einer solchen "Vision" stecken, die uns als Vorstellung eines "romantischen Wochenendes in der Zukunft" verkauft wird? Alles daran ist falsch: das Bild der Sechzigjährigen als impotente Greise, die Technologie als Prothese, die Vorstellung, mit chemischen Mitteln Gefühle "herzustellen", die ganze Kontroll- und Manipulations-Fantasie, die uns als "Zukunft" verkauft wird.
Das Leben in der Zukunft
Wir werden nach wie vor morgens aufstehen. Wir werden ins Badezimmer gehen und wenn wir Männer sind, dann werden wir uns rasieren. Das ist alles, was von unserem alten Leben übrig bleibt. Neu wird sein, dass wir alle einen Avatar haben, der uns das Leben leicht und süß macht - eine Software. Sie wird mit unseren Eigenschaften, Vorlieben und Bedürfnissen gefüttert sein. Die Software wird wissen, was wir wollen ... Während wir uns rasieren, wird unser Butler im Badezimmer erscheinen und uns einen wunderschönen guten Morgen wünschen. Dann wird er uns das Fußballspiel von gestern Abend zeigen. Er wird dann unseren Freund anwählen, mit dem wir gerne gemeinsam Fußball schauen, und ihn im rechten oberen Eck des Badezimmerspiegels einblenden - wir werden dann gemeinsam das laufende Spiel kommentieren. Später werden wir unsere Sonnenbrille aufsetzen und zur Arbeit gehen, und während wir gehen, können wir das Spiel im Inneren der Sonnenbrille zu Ende gucken. Wenn wir im Büro ankommen, wird der Butler erkennen, in welcher Stimmung wir sind, aggressiv, melancholisch oder vielleicht verliebt. Er wird die passende Musik auswählen. Sensoren werden uns beobachten, unsere Emotionen erkennen können. Abends, wenn wir nach Hause kommen, wird der Butler ein individuelles Unterhaltungsprogramm komponieren. Wenn wir verkrampft sind, wird er uns ein Blödelfilmchen aus den Videoportalen vorspielen, wenn wir lüstern wirken, einen Porno. Unser Butler wird uns auf Artikel hinweisen, die uns erfahrungsgemäß interessieren. Auf Produkte, die uns erfahrungsgemäß gefallen. Auf Menschen, deren Eigenschaften wir erfahrungsgemäß schätzen. In sieben bis acht Jahren wird es so weit sein!
Markus Feldenkirchen, der Spiegel-Autor, der diese "Vision" auf einer typischen "Future Vision Conference" auf der Burg Giebichenstein bei Halle im Jahr 2007 protokollierte, fügte trocken hinzu:
Sie glauben, das Paradies zu gestalten, aber sie haben nicht bemerkt, dass sie die Vision eines stinklangweiligen Lebens entworfen haben!1
Wie wahr! Und wie schrecklich. Wir sind in einer Welt von futuristischem Spießertum gelandet. Die Zukunft ist zu einer automatisierten Hölle verkommen, gegen die das Bastel-Wohnzimmer meines Vaters noch einen gesunden dilettantischen Charme versprühte. Gegen diese "Zukunft" waren die Hirschgeweih- und Pantoffel-Idyllen unserer Ur-Urgroßeltern noch im hohen Maße spannend und fortschrittlich.
Schließlich fand ich in meiner Schublade einen Zukunftswettbewerb der Zeit, in dem junge Leser - Kinder um die zehn Jahre - "Zukunftsmaschinen" beschrieben, die sie unbedingt haben oder bauen wollten:
Emma, 7 Jahre: "Immer wenn ich 'Zähne putzen!' rufe, kommt diese Zahnputzmaschine. In der ersten Hand hat er meine Zahnbürste, in der zweiten meine Zahnpasta und in der dritten Hand einen Waschlappen."
Jan Philipp, 9 Jahre: "Das ist eine Essenbringmaschine. Sie kann sprechen, telefonieren, Essen machen und überall hinfassen. Sie kann auch ihre Arme zehn Kilometer weit ausfahren. Am besten aber kann sie Spaghetti kochen."
Und schließlich eine Postkarte, die ich meinen Söhnen aus London geschickt hatte, als sie vier und sechs Jahre alt waren - ach, waren sie süß!
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Unsere technologischen Zukunftsträume sind in Wirklichkeit Kleine-Hans-Visionen.
Technologie, das war - und ist bis heute - die große Mutti, die uns anstandslos und ohne Murren rund um die Uhr versorgt.
Wir alle sind Abkömmlinge eines futurologischen Kinderhortes, der irgendwie dem Raum mit den Tausenden bunten Styroporkugeln bei IKEA ähnelt. Der Krieg ist vorbei, und alles wird gut. Nur dass nun niemand mehr den kleinen Martin aus dem Kinderparadies abholen kann.
Auf einer der größeren Illustrationen rauschte aus einem mächtigen, kanonenähnlichen Ding, das auf einem Lastwagen aufgebaut war, eine Art Nordlicht gen Himmel.
Aber es sollte noch intensiver kommen. Weiter unten im roten Koffer, in einem braunen Pappumschlag, fand ich zwei Zeitungsausschnitte aus dem Jahr 1950, fünf Jahre vor meiner Geburt. Sie zeigten meinen Vater pfeiferauchend in zwei Reportagen in der Constanze und der Welt am Sonntag. Schauplatz war eine kleine Mansardenwohnung im zerstörten Nachkriegs-Berlin.
Mein Vater ist zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt, Student der Elektotechnik, und er sieht, das fand auch meine Mutter, ziemlich gut aus.
Junger Mann mit Ideen lebt wie der letzte Mensch -
Student haust vollelektrisch
Das schmale Bett in der kleinen Mansarde ist nicht gerade komfortabel. Aber dafür sind es manche Dinge ringsherum umso mehr. 800 Meter Kabel hat der junge Mann im Lauf eines Jahres hier eingebaut. 48 Kontrollanzeigen verwirren den Außenstehenden. Früh um 6.30 Uhr schaltet sich der Kocher ein, auf dem Kaffee- und Rasierwasser steht. 6.33 folgt das Radio. 6.36 treten die Ventilatoren in Tätigkeit und ermuntern mit sanftem Morgenwind ... Wenn er im Winter um sechs nach Hause kommt, hatte die Schaltuhr den Ofen bereits um vier Uhr entzündet, die Kartoffeln gekocht, oder sogar einen Griesbrei. Nein, keinen klumpigen! Denn dazu gab es eine Vorrichtung, die mit dem Kochen der Flüssigkeit einen Trichter öffnete, durch den der Gries hineingelangte und kräftig durchgequirlt wurde ...
Da ist er also. Werner Horx, mein Vater. 1950, fünf Jahre nach der Apokalypse des Krieges. Ein Tüftler, ein Bastler, ein Überlebenskünstler mit Ehrgeiz, wie es so viele im zerbombten Nachkriegsdeutschland gibt. Seine Kunst ist das Löten und Basteln, seine Leidenschaft die Elektrik. Sein Traum: der vollautomatische Junggesellen-Haushalt. Insgesamt 30 "elektrische Wunder" bastelt mein Vater in seine Mansardenwohnung im 6. Stock eines Hauses hinein, dessen hintere Hälfte durch eine Fliegerbombe weggerissen wurde: von der Klo-besetzt-Fernanzeige (Toiletten gab es nur auf dem Treppenabsatz zwei Stockwerke tiefer) über den automatischen Eisblumenabtauer (in den Berliner Nachkriegswintern blieb es wochenlang unter minus 20 Grad) bis zur automatischen Zeitschaltuhr, die um 22 Uhr das Licht herunterregelte.
Die Obsession, die Welt um ihn herum zu steuern, zu kontrollieren und in einen berechenbaren Zeittakt zu zwingen, sollte ihn nie wirklich verlassen. Im Reihenhaus in der Vorstadt, in dem ich meine Kindheit verbrachte, baute er eine riesige Eisenbahnanlage im Keller, die von einem gewaltigen Schaltpult aus gesteuert wurde (es war so voller schwerer Relais und Transformatoren, dass es später, bei einem weiteren Umzug, zurückgelassen werden musste). Die Züge leuchteten im Dunkeln und stießen sogar kleine weiße Dampfwolken aus. Meine Rolle in diesem vollautomatischen Rangierbahnhof war es, eine Eisenbahner-Mütze zu tragen, eine Kelle hochzuhalten und zu pfeifen.
Aus meinem sechsten Lebensjahr erinnere ich mich an die große tickende Uhr über meinem Kopfkissen. Mein Vater hatte mit schönen bunten Bildern die einzelnen Tagesabschnitte daraufgemalt: Zähneputzen, Anziehen, Frühstücken, Mittagessen, Hausaufgaben, Abendessen, Bettzeit. Eine geordnete zeitliche Welt, ein Uhrwerk des Lebens. Jedes Mal, wenn der Zeiger einen bestimmten Zeitabschnitt überschritt, klickte es deutlich hörbar. Immer um Punkt acht machte das Relais besonders laut klack, und dann leuchtete auf dem Kasten auf meinem Nachttisch das große, düstere rote Wort "Einschlafen!" auf.
Von meiner Mutter ist bekannt, dass sie den Automatisierungszwang meines Vaters etwas befremdlich fand, aber mit Humor nahm. Sie weigerte sich, das Sofa zu benutzen, angeblich aus Angst vor einem elektrischen Schlag. Den Grießbrei kochte sie lieber selbst, und bei der Planung einer vollautomatischen Bügelmaschine soll sie einmal ein Bügeleisen an die Wand geworfen haben. Aber das sind Familiengerüchte. Waren Männer nicht immer so? Musste man sich nicht daran gewöhnen, dass sie immer alles regeln, steuern und kontrollieren wollen?
Ich sehe ihn noch da stehen, an der Werkbank im Keller, meinen tüftelnden Meisterbastler-Vater, den Hohepriester der automatischen Welt. Ich rieche den Lötzinn und die heißen Transformatoren, den Geruch von schmelzendem Plastik und den aromatischen Sechziger-Jahre-Klebstoff, mit dem man die Modellhäuschen für die Eisenbahn-Landschaften zusammenklebte und den man in langen, lustvollen Schichten von den Fingern abziehen konnte. Ich sehe ihn, mit der Pfeife im Mund, mit Hunderten von Werkzeugen hantieren, elektrische Drähte schneiden und mit Kabelschellen, klobigen Relais und blinkenden Lämpchen verbinden, mit ruhigen, konzentrierten Bewegungen.
Und ich denke an meine eigene Jugend, die später nach Raketentreibstoff, einer Prise Marihuana und erheblichen erotischen Verheißungen roch.
Und plötzlich, auf diesem heißen Dachboden, mit dem Taubenkot unter den Gauben und dem durchdringenden Geruch unwiderbringlicher Vergangenheit, stieg ein heiliger Zorn in mir auf. Technik, so offenbarte sich mir, ist der große Betrüger. Sie gaukelt uns Erlösungen vor, die sie nie halten kann. Sie führt uns an der Nase herum, verdammt uns zu einer Illusion nach der anderen - und kann doch nie halten, was sie glorios verspricht. Sie ist wie der Vater auf dem Dachboden, der, kaum dass die Kindheit vorüber ist, alt und krank und hinfällig wird.
Wo sind sie nur alle geblieben, die Raumstationen, in denen wir fröhlich-schwerelos in hautengen Stretchuniformen umhertreiben, während am Himmel über uns Galaxien und Sterne leuchten? Hat jemand eine Ahnung, wo die sprachgesteuerten höflichen Roboter - "Ja, Herr! Selbstverständlich, Herr!" -, die uns den Rasen sprengen und das Geschirr abwaschen und den Müll raustragen und das Essen servieren, geblieben sind? Und die lichten Unterwasserstädte, die Aircopter, mit denen wir eben mal zum Einkaufen in die Stadt fliegen? Die Super-Medikamente, die uns alle schlank bleiben lassen, den Krebs bekämpfen und das Leben endlos und unbeschwert machen? Die Helme, die wir uns aufsetzen, und - zong! - schon haben wir eine neue Fremdsprache gelernt? Die sprechenden Haustiere, die sprachgesteuerten Häuser und selbstfahrenden Autos? Wir müssen nur noch eine kleine Weile Geduld haben? Wer's glaubt, wird selig!
Wo, zum Teufel, ist die Zukunft geblieben? Warum haben sich sogar die Utopien, die sich um die Technik ranken, heute in absurde Blödheiten verwandelt? Hier einige Beispiele aus der Gegenwart der Zukunftsvisionen:
Die Lifestyle-Medizin der Zukunft
Ein romantisches Wochenende im Jahr 2020, Tom und Linda sind zu einem Rendezvous verabredet. Dass beide schon jenseits der 60 sind, sieht man ihnen nicht an - regelmäßigen Antifalten-Behandlungen sei Dank. Außerdem schlucken die beiden täglich einen Cocktail aus 250 Vitaminen, Enzymen und Hormonen. Auch der Abend verläuft dank Lifestyle-Medikamenten wild wie bei Twens. Kurz bevor Linda an der Tür klingelt, verteilt Tom ein paar Spritzer Oxytocin im Raum - für eine vertrauensvolle Atmosphäre. Danach schluckt er eine Kombination aus Viagra und Dapoxetine, ein Medikament, das vorzeitigen Samenerguss verhindert.
In diesem Text, gefunden in einer Website im Jahr 2008, konzentriert sich alles, was an unsinnigem Technoquark in den heutigen Medien kursiert. Welche Welt- und Menschenverachtung muss hinter einer solchen "Vision" stecken, die uns als Vorstellung eines "romantischen Wochenendes in der Zukunft" verkauft wird? Alles daran ist falsch: das Bild der Sechzigjährigen als impotente Greise, die Technologie als Prothese, die Vorstellung, mit chemischen Mitteln Gefühle "herzustellen", die ganze Kontroll- und Manipulations-Fantasie, die uns als "Zukunft" verkauft wird.
Das Leben in der Zukunft
Wir werden nach wie vor morgens aufstehen. Wir werden ins Badezimmer gehen und wenn wir Männer sind, dann werden wir uns rasieren. Das ist alles, was von unserem alten Leben übrig bleibt. Neu wird sein, dass wir alle einen Avatar haben, der uns das Leben leicht und süß macht - eine Software. Sie wird mit unseren Eigenschaften, Vorlieben und Bedürfnissen gefüttert sein. Die Software wird wissen, was wir wollen ... Während wir uns rasieren, wird unser Butler im Badezimmer erscheinen und uns einen wunderschönen guten Morgen wünschen. Dann wird er uns das Fußballspiel von gestern Abend zeigen. Er wird dann unseren Freund anwählen, mit dem wir gerne gemeinsam Fußball schauen, und ihn im rechten oberen Eck des Badezimmerspiegels einblenden - wir werden dann gemeinsam das laufende Spiel kommentieren. Später werden wir unsere Sonnenbrille aufsetzen und zur Arbeit gehen, und während wir gehen, können wir das Spiel im Inneren der Sonnenbrille zu Ende gucken. Wenn wir im Büro ankommen, wird der Butler erkennen, in welcher Stimmung wir sind, aggressiv, melancholisch oder vielleicht verliebt. Er wird die passende Musik auswählen. Sensoren werden uns beobachten, unsere Emotionen erkennen können. Abends, wenn wir nach Hause kommen, wird der Butler ein individuelles Unterhaltungsprogramm komponieren. Wenn wir verkrampft sind, wird er uns ein Blödelfilmchen aus den Videoportalen vorspielen, wenn wir lüstern wirken, einen Porno. Unser Butler wird uns auf Artikel hinweisen, die uns erfahrungsgemäß interessieren. Auf Produkte, die uns erfahrungsgemäß gefallen. Auf Menschen, deren Eigenschaften wir erfahrungsgemäß schätzen. In sieben bis acht Jahren wird es so weit sein!
Markus Feldenkirchen, der Spiegel-Autor, der diese "Vision" auf einer typischen "Future Vision Conference" auf der Burg Giebichenstein bei Halle im Jahr 2007 protokollierte, fügte trocken hinzu:
Sie glauben, das Paradies zu gestalten, aber sie haben nicht bemerkt, dass sie die Vision eines stinklangweiligen Lebens entworfen haben!1
Wie wahr! Und wie schrecklich. Wir sind in einer Welt von futuristischem Spießertum gelandet. Die Zukunft ist zu einer automatisierten Hölle verkommen, gegen die das Bastel-Wohnzimmer meines Vaters noch einen gesunden dilettantischen Charme versprühte. Gegen diese "Zukunft" waren die Hirschgeweih- und Pantoffel-Idyllen unserer Ur-Urgroßeltern noch im hohen Maße spannend und fortschrittlich.
Schließlich fand ich in meiner Schublade einen Zukunftswettbewerb der Zeit, in dem junge Leser - Kinder um die zehn Jahre - "Zukunftsmaschinen" beschrieben, die sie unbedingt haben oder bauen wollten:
Emma, 7 Jahre: "Immer wenn ich 'Zähne putzen!' rufe, kommt diese Zahnputzmaschine. In der ersten Hand hat er meine Zahnbürste, in der zweiten meine Zahnpasta und in der dritten Hand einen Waschlappen."
Jan Philipp, 9 Jahre: "Das ist eine Essenbringmaschine. Sie kann sprechen, telefonieren, Essen machen und überall hinfassen. Sie kann auch ihre Arme zehn Kilometer weit ausfahren. Am besten aber kann sie Spaghetti kochen."
Und schließlich eine Postkarte, die ich meinen Söhnen aus London geschickt hatte, als sie vier und sechs Jahre alt waren - ach, waren sie süß!
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Unsere technologischen Zukunftsträume sind in Wirklichkeit Kleine-Hans-Visionen.
Technologie, das war - und ist bis heute - die große Mutti, die uns anstandslos und ohne Murren rund um die Uhr versorgt.
Wir alle sind Abkömmlinge eines futurologischen Kinderhortes, der irgendwie dem Raum mit den Tausenden bunten Styroporkugeln bei IKEA ähnelt. Der Krieg ist vorbei, und alles wird gut. Nur dass nun niemand mehr den kleinen Martin aus dem Kinderparadies abholen kann.
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Inhaltsverzeichnis zu „Technolution “
Aus dem Inhalt:Ouvertüre: Auf dem Dachboden oder:
der vollautomatische Mann
Teil I
Eine kleine Floppologie - Warum Innovationen scheitern
Teil II
Die Mensch-Maschine-Symbiose - Wie Kultur und Technik
ko-evolutionieren
Teil III
Heilige Technologie - Wie die "Smart Tech" der Zukunft
selektiert wird
Teil IV
Zu den Sternen - Unsere meta-technologische Zukunft
Nachwort und Danksagung
Anhang: Der Futuretech-Scan
Anmerkungen
Bildnachweise
Register
Autoren-Porträt von Matthias Horx
Matthias Horx, geboren 1955, ist der profilierteste und einflussreichste Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum und Autor vieler erfolgreicher Bücher. 1999 gründete er das Zukunftsinstitut , einen Prognose-Think-Tank, der heute zahlreiche europäische Unternehmen in allen Wirtschaftsbereichen berät. Seit 2007 ist er auch Dozent für Trend- und Zukunftsforschung an der Zeppelin-Universität am Bodensee.
Bibliographische Angaben
- Autor: Matthias Horx
- 2008, 278 Seiten, teilweise farbige Abbildungen, mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 16 x 23,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: CAMPUS VERLAG
- ISBN-10: 3593385554
- ISBN-13: 9783593385556
Rezension zu „Technolution “
Technolution "Eine amüsante Reise durch Vergangenheit und Zukunft technischer Innovationen." (Harvard Business Manager, 01.10.2008) Die Stunde der Trendforscher "Horx beweist erneut, dass er ein Meister des Erzählens ist. Er verpackt Innovationsstrategien in interessante Geschichten und überraschende Anekdoten." (Handelsblatt, 02.01.2009) Technolution "Kundig und kurzweilig." (Die Welt, 24.01.2009)
Kommentar zu "Technolution"
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