Tödliche Fracht
Das heimliche Geschäft mit Waffen und Drogen
Sie fliegen jede Fracht an jeden Ort. Ob Hilfsgüter, Waffen oder Drogen. Sie arbeiten für die USA und für Russland, für Hilfsorganisationen und für das organisierte Verbrechen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben Piloten der Roten Armee das größte...
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Produktinformationen zu „Tödliche Fracht “
Klappentext zu „Tödliche Fracht “
Sie fliegen jede Fracht an jeden Ort. Ob Hilfsgüter, Waffen oder Drogen. Sie arbeiten für die USA und für Russland, für Hilfsorganisationen und für das organisierte Verbrechen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben Piloten der Roten Armee das größte Schmuggler-Netzwerk der Welt aufgebaut - das bis heute nahezu unbekannt ist.Der britische Journalist Matt Potter hat diese Männer bei ihren gefährlichen Geschäftsreisen begleitet. Er enthüllt, wie das Piloten-Netzwerk funktioniert und welche dubiosen Beziehungen es zu Diktatoren, Geheimdiensten und westlichen Regierungen unterhält.
Lese-Probe zu „Tödliche Fracht “
Tödliche Fracht von Matt Potter1
DES TEUFELS GRÖSSTER TRICK Über Kabul
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Es gibt keine Warnung, als wir unsere Flugbahn verlassen, nur einen Übelkeit erregenden Ruck nach oben. Im Cockpit geht ein rotes Licht an. Die Instrumente sagen, dass wir über Kabul sind, aber dass wir plötzlich steigen anstatt zu sinken, und dass wir es zu schnell und zu steil tun.
»Was ist los?«, frage ich auf Russisch, aber Sergej, ein Mitglied der sieben Mann starken Crew, kann mich nicht mehr hören im Brüllen der vier Triebwerke, die unseren gefährlich überladenen Riesen nach oben reißen und ihn, statt in den Landeanflug zu gehen, fast senkrecht in den Nachthimmel steigen lassen. Im fahlen Licht des Frachtraums gleicht sein Gesicht einer Maske. Die 20 Jahre alte, ölverschmierte, mit Draht und Gewebe-Klebeband zusammengehaltene, 176 Tonnen schwere Metallröhre vibriert, stöhnt und knackt unter meinen Füßen.
Dann schaut er mich an und beugt sich zu mir herüber. »Raketen«, schreit er, als wolle er mir eine Bar am Straßenrand zeigen oder ein Haus, in dem er einmal gewohnt hat. »Hier fangen sie immer an zu schießen.« Zum ersten Mal fällt mir auf, dass er stinkt, nicht nur nach dem üblichen Mix aus Schweiß und Öl, sondern nach Alkohol. Ich kenne die Nachrichtenmeldungen: vage Einzeiler über ungeklärte Abstürze von Frachtmaschinen in Afrika, in Russland, im Balkan. Vermutete Ursachen: Flugabwehrraketen am Boden, Wodka in der Luft.
»Verdammt! Wer?«
Er zuckt mit den Schultern. »Mudschaheddin. Rebellen. Soldaten. Man weiß es nie. Aber es gibt immer jemanden.« Er schließt ein Auge, ein imaginärer Heckenschütze. Dann grinst er. »Aber Michail ist ein Top-Pilot. Er kennt die Landebahn aus dem Krieg. Er hat seine eigene Methode - er landet, indem er über dem Flughafen hoch nach oben steigt und dann eine Art Korkenzieher-Sturzflug auf die Landebahn macht.«
Sergej lacht. »So wird man nicht abgeschossen. Der Trick ist zu wissen, wann man aus dem Sturzflug wieder hochziehen muss. Unglaublich! Pass auf.«
Doch plötzlich wird es still. Die Motoren sind nun fast gedämpft und trotz des großen Drucks auf unseren Ohren, Angst und Schwindelgefühl habe ich das seltsame Gefühl fast euphorischer Schwerelosigkeit.
Ich brauche einen Moment, bis ich die plötzliche Neigung nach vorn registriere und durch die Cockpitscheibe die Lichter von Kabul sehe. Genau vor uns, dort, wo vor Sekunden noch Sterne blinkten, breitet sich nun, flach wie eine Landkarte, der Boden vor uns aus.
Die Sowjets nutzten die Il-76 für das Schwerelosigkeits-Training ihrer Kosmonauten - die berüchtigten »Kotzbomber«- Flüge. Sie absolvierten dazu eine Reihe von Parabelflügen, bei denen an Bord eine kurze Phase der Schwerelosigkeit erreicht wird. Solche Sturzflugmanöver aus großer Höhe, bei denen der Pilot versucht, die Maschine im letzten Moment hochzuziehen, bevor sich die Nase in den Asphalt bohrt, sind extrem gefährlich, in einer Il-76 besteht bei einem Anflugwinkel von 20 Prozent oder mehr ein echtes Risiko für einen Strömungsabriss. Sie haben, wie man hört, zu einer Reihe von unappetitlichen Todesfällen und darüber hinaus zu zahlreichen vollgekotzten Cockpits geführt. Wir stürzen in Richtung Erde und mein Magen fühlt sich an, als würde er gleich meine Schädeldecke durchschlagen.
Gegen meinen Instinkt beuge ich mich nach vorn, um dem Piloten über die Schulter zu sehen. Michail sitzt zusammengesunken wie ein Mann, der auf der Toilette liest oder der betet. Der Boden ist nun direkt vor uns. Zieh hoch. Zieh hoch, um Gottes Willen. Aber es ist zu spät. Unwillkürlich ballen sich meine Fäuste, die Beine strecken sich nach vorn, die Augen schließen sich. Scheiße. Das war's. Wir stürzen ab.
»Manche Leute stellen für die Post Briefe zu. Ein Postbote - genau das bin ich auch, nur sind meine Pakete schwerer.«
Ich weiß nicht genau, wie ich mir das Aussehen eines gesetzlosen Piloten und internationalen Waffenschmugglers vorgestellt habe. Tatsache ist: Michail entspricht definitiv - und zwar auf beinahe komische Weise - nicht meiner Erwartung.
Er ist kräftig, grau, die Haltung gebeugt, er wirkt wie 50, vielleicht auch älter. Sein hageres, aschfahles Gesicht scheint beständig eine leichte Enttäuschung auszudrücken; es würde besser auf das Plakat einer Antiraucherkampagne im Wartezimmer eines Arztes passen als auf einen Steckbrief der UNO. Seine riesigen Hände sind schmutzig und rissig, die Nägel verhornt. Er trägt einen grauen Overall, eine abgewetzte Mütze und Stiefel aus ehemaligen Armeebeständen. Wenn er nach einem weiteren Hilfsflug in irgendein Drittweltland auf dem ausgedörrten Boden neben dem Rollfeld sitzt, die geschnorrte Zigarette schon zwischen den Lippen, sieht er aus wie ein Fließbandarbeiter aus einer Autofabrik in seiner Pause. Es ist gerade erst kurz nach sieben, aber schon jetzt hat er, wie er vor sich hin brummelt, Lust auf ein kühles Bier.
Er entspricht nicht ganz dem einsamen Wolf und Han-SoloTyp, mit dem ich in meiner Phantasie durch den Himmel geritten bin. Doch wenn Michail - den ich bald anfange »Mickey« zu nennen, was er zunächst mit einer Mischung aus Humor und Verdruss und später resigniert hinnimmt - als Verbrecher eine merkwürdige Figur abgibt, dann gilt das erst recht für ihn als Geschäftsmann. Er war immer Il-76-Pilot, ein Produkt des so wje tischen Militärs. Die Stationen seines Lebens sind eine Kindheit im Ural, die Ausbildung auf einer Luftwaffenbasis zu Hause in Russland, danach die riesige Militärbasis im weißrussischen Wizebsk sowie das Transportflug-Regiment und schließlich Zentralasien. Dieser kettenrauchende Veteran der letzten blutigen Tage des so wje tischen Afghanistankriegs ist Arbeiter durch und durch, von den stets zusammengekniffenen Augen über die hängenden Schultern bis hin zum Alkoholgehalt seines Schweißes. Und doch ist er gleichzeitig, wie er selbst sagt, Partner in einem hochprofitablen Luftfrachtunternehmen, das die Arabischen Emirate, Asien, Afrika und Osteuropa anfliegt und dessen Operationen in den schlimmsten Krisengebieten der Welt ihm eine Position beschert, der der harte Konkurrenzdruck der globalisierten Weltmärkte nichts anhaben kann.
Mickey und seine Crew fliegen seit mehr als einem Vierteljahrhundert zusammen. Als Piloten, Navigatoren, Bordschützen, Ingenieure und Lademeister der so wje tischen Luftwaffe sind sie mehr als 300 Feindmissionen über den gleichen afghanischen Bergen, Dörfern, Ebenen und Städten geflogen, die auch heute ihre Spezialität sind - und zwar im gleichen Flugzeug.
»Als die UdSSR auseinanderzubrechen begann«, erklärt Mickey, »nun ja, da sahen einige von uns, was in der Luft lag, und wir ergriffen unsere Chance, etwas anderes zu machen.« Dieses Etwas war eine dramatisches Flucht aus dem Militärdienst und der Versuch, ein Stück vom privatwirtschaftlichen Kuchen zu erhaschen. »Es war nicht schwer. Wir kannten ein paar Leute, und als diese sich ein Militärflugzeug ›anschafften‹, flogen wir es nach Kasachstan hinunter und machten sozusagen ein Rebranding.« Er ist plötzlich verlegen wegen dieser Phrase aus dem Unternehmens-Jargon. »Natürlich haben wir nicht diesen Begriff benutzt, aber später hat sich gezeigt, dass es das war, was wir gemacht haben.«
Also hieß es, weg mit dem Stern der Roten Armee, weg mit den Farben der UdSSR und her mit einem grauen Anstrich ohne Logo. »Auf einmal«, lächelt er unbeholfen, »waren wir Biznesm eny. « Für russische Sprecher schwingen in diesem Wort Konnotationen von Spekulantentum und Mafiaverbindungen mit, die in jenen wilden Zeiten an der Tagesordnung waren. »Und heute sind wir das A-Team.«
Sie sind eine Elite-Crew, die rund um die Uhr zur Verfügung steht und die keine Fragen stellt, wenn man sie anruft. Sie fliegen das, was der Kunde hat, mit einem der größten Flugzeuge der Welt dorthin, wo er es haben will. Dabei ist Gefahr kein Problem - vorausgesetzt, der Preis stimmt.
»Wir operieren als privates Transportunternehmen für alle möglichen Dinge«, sagt Mickey. »Wir fliegen eine Menge Frachtgut. Militärische Sachen. Und viele Hilfsgüter.«
Was den Effekt hat, dass sich Mickey, seine Crew und ihre »Partner« obendrein auch noch in unfreiwillige Heilige verwandeln. (Diese Partner sind eine nebulöse Gruppe von Männern - Mickey spricht nicht gern über sie und ich werde fast zehn Jahre brauchen, um sie ausfindig zu machen.) Denn ob in Pakistan oder in Somalia, bei Hungersnöten oder Tsunamis, es sind immer Mickeys Crew und ihre ramponierte, 20 Jahre alte Il-76, die als Erste mit lebensrettenden humanitären Hilfsgütern in den Katastrophengebieten ankommen. Sie werden gechartert von NGOs und westlichen Regierungen, man schätzt sie, weil sie agil und reaktionsschnell sind - und weil sie mehr Hilfe näher an schwer zugängliche Katastrophengebiete bringen können als irgendjemand anderes. Wenn die Bezahlung stimmt.
Die unorthodoxen Methoden, der Mut und die Chuzpe dieser Crews sind legendär. Dies sind die Männer, die Sie anrufen müssen, wenn Sie - wie es beim A-Team heißt - mal ein Problem haben und nicht mehr weiter wissen.
John MacDonald betreibt im englischen Surrey eine Agentur für Charterflüge. Er ist einer der Mittelsmänner, die zunächst die Job-Anforderungen von Armeen, Hilfsorganisationen, Import/ Exportfirmen und Privatleuten entgegennehmen und dann die Flugzeuge und Besatzungen finden, die den Auftrag ausführen können. Obwohl er aus einer Familie von Luftfahrtspezialisten stammt und nach eigenen Worten »schon alles gesehen« hat, muss er lachen, als er sich an die Aktion eines solchen unabhängig operierenden Teams mit einer Il-76 erinnert, das der amerikanischen Militärführung in Südafghanistan Bewunderung abnötigte und ihnen die beschämende Erkenntnis bescherte, dass sie von einer fünf Mann starken Crew von Russen und ihrem Schattennetzwerk vorgeführt worden waren.
»Das US-Militär plante im Süden des Landes einen Flugplatz, und sie hatten diesen riesigen Generator, den sie dorthin bringen mussten. Es war eine ziemlich abgelegene Gegend, die, abgesehen von ein paar vereinzelten Stellungen mit US-Truppen, vollkommen unter der Kontrolle von Banditen war. Es gab meilenweit im Umkreis keinen Treibstoff und niemand, den wir anfragten, wollte etwas damit zu tun haben. Sie sagten alle: ›Wir kommen da nie wieder raus, wie sollen wir ohne Treibstoff von einem nicht fertiggestellten Flugfeld starten?‹
Der Job war mit 60 bis 70 000 Dollar veranschlagt, aber eines Tages gab es einen Anruf von diesen russischen Burschen. Sie sagten: ›Wir machen es, aber es kostet Sie zwei Millionen Dollar, zahlbar im Voraus.‹ Die Amerikaner hatten zu diesem Zeitpunkt keine Wahl mehr, also bezahlten sie. Und tatsächlich flog exakt zum geforderten Termin eine Crew aus ehemaligen so wje tischen Luftwaffensoldaten mit dieser ramponierten alten Il-76 ein. Sie luden den Generator aus, dann setzten sie sich hin und rauchten in aller Ruhe.
Und gerade als die Amerikaner sich zu fragen begannen, wie in aller Welt die russischen Piloten wieder zurückfliegen wollen, wurde eine Staubwolke am Horizont sichtbar, ein alter Kleinbus kam herangeklappert, gefahren von einem Afghanen - und die Besatzung stieg einfach ein und fuhr weg. Die Yankees schrien: ›Hey, wie wollt ihr denn euer Flugzeug hier wegbekommen?‹ Und die Crew sagte einfach: ›Wollen wir gar nicht. Es ist alt. Wir haben es nur für diesen Job gekauft und wir lassen es hier stehen.‹ Eine halbe Million Dollar hat es sie gekostet und sie hatten es mit Kordel und Klebeband zusammengeflickt, gerade lange genug, um damit landen zu können, dann kassierten sie eineinhalb Millionen Dollar Gewinn und ließen es zum Verrosten dort stehen. Es ist immer noch da.
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Es gibt keine Warnung, als wir unsere Flugbahn verlassen, nur einen Übelkeit erregenden Ruck nach oben. Im Cockpit geht ein rotes Licht an. Die Instrumente sagen, dass wir über Kabul sind, aber dass wir plötzlich steigen anstatt zu sinken, und dass wir es zu schnell und zu steil tun.
»Was ist los?«, frage ich auf Russisch, aber Sergej, ein Mitglied der sieben Mann starken Crew, kann mich nicht mehr hören im Brüllen der vier Triebwerke, die unseren gefährlich überladenen Riesen nach oben reißen und ihn, statt in den Landeanflug zu gehen, fast senkrecht in den Nachthimmel steigen lassen. Im fahlen Licht des Frachtraums gleicht sein Gesicht einer Maske. Die 20 Jahre alte, ölverschmierte, mit Draht und Gewebe-Klebeband zusammengehaltene, 176 Tonnen schwere Metallröhre vibriert, stöhnt und knackt unter meinen Füßen.
Dann schaut er mich an und beugt sich zu mir herüber. »Raketen«, schreit er, als wolle er mir eine Bar am Straßenrand zeigen oder ein Haus, in dem er einmal gewohnt hat. »Hier fangen sie immer an zu schießen.« Zum ersten Mal fällt mir auf, dass er stinkt, nicht nur nach dem üblichen Mix aus Schweiß und Öl, sondern nach Alkohol. Ich kenne die Nachrichtenmeldungen: vage Einzeiler über ungeklärte Abstürze von Frachtmaschinen in Afrika, in Russland, im Balkan. Vermutete Ursachen: Flugabwehrraketen am Boden, Wodka in der Luft.
»Verdammt! Wer?«
Er zuckt mit den Schultern. »Mudschaheddin. Rebellen. Soldaten. Man weiß es nie. Aber es gibt immer jemanden.« Er schließt ein Auge, ein imaginärer Heckenschütze. Dann grinst er. »Aber Michail ist ein Top-Pilot. Er kennt die Landebahn aus dem Krieg. Er hat seine eigene Methode - er landet, indem er über dem Flughafen hoch nach oben steigt und dann eine Art Korkenzieher-Sturzflug auf die Landebahn macht.«
Sergej lacht. »So wird man nicht abgeschossen. Der Trick ist zu wissen, wann man aus dem Sturzflug wieder hochziehen muss. Unglaublich! Pass auf.«
Doch plötzlich wird es still. Die Motoren sind nun fast gedämpft und trotz des großen Drucks auf unseren Ohren, Angst und Schwindelgefühl habe ich das seltsame Gefühl fast euphorischer Schwerelosigkeit.
Ich brauche einen Moment, bis ich die plötzliche Neigung nach vorn registriere und durch die Cockpitscheibe die Lichter von Kabul sehe. Genau vor uns, dort, wo vor Sekunden noch Sterne blinkten, breitet sich nun, flach wie eine Landkarte, der Boden vor uns aus.
Die Sowjets nutzten die Il-76 für das Schwerelosigkeits-Training ihrer Kosmonauten - die berüchtigten »Kotzbomber«- Flüge. Sie absolvierten dazu eine Reihe von Parabelflügen, bei denen an Bord eine kurze Phase der Schwerelosigkeit erreicht wird. Solche Sturzflugmanöver aus großer Höhe, bei denen der Pilot versucht, die Maschine im letzten Moment hochzuziehen, bevor sich die Nase in den Asphalt bohrt, sind extrem gefährlich, in einer Il-76 besteht bei einem Anflugwinkel von 20 Prozent oder mehr ein echtes Risiko für einen Strömungsabriss. Sie haben, wie man hört, zu einer Reihe von unappetitlichen Todesfällen und darüber hinaus zu zahlreichen vollgekotzten Cockpits geführt. Wir stürzen in Richtung Erde und mein Magen fühlt sich an, als würde er gleich meine Schädeldecke durchschlagen.
Gegen meinen Instinkt beuge ich mich nach vorn, um dem Piloten über die Schulter zu sehen. Michail sitzt zusammengesunken wie ein Mann, der auf der Toilette liest oder der betet. Der Boden ist nun direkt vor uns. Zieh hoch. Zieh hoch, um Gottes Willen. Aber es ist zu spät. Unwillkürlich ballen sich meine Fäuste, die Beine strecken sich nach vorn, die Augen schließen sich. Scheiße. Das war's. Wir stürzen ab.
»Manche Leute stellen für die Post Briefe zu. Ein Postbote - genau das bin ich auch, nur sind meine Pakete schwerer.«
Ich weiß nicht genau, wie ich mir das Aussehen eines gesetzlosen Piloten und internationalen Waffenschmugglers vorgestellt habe. Tatsache ist: Michail entspricht definitiv - und zwar auf beinahe komische Weise - nicht meiner Erwartung.
Er ist kräftig, grau, die Haltung gebeugt, er wirkt wie 50, vielleicht auch älter. Sein hageres, aschfahles Gesicht scheint beständig eine leichte Enttäuschung auszudrücken; es würde besser auf das Plakat einer Antiraucherkampagne im Wartezimmer eines Arztes passen als auf einen Steckbrief der UNO. Seine riesigen Hände sind schmutzig und rissig, die Nägel verhornt. Er trägt einen grauen Overall, eine abgewetzte Mütze und Stiefel aus ehemaligen Armeebeständen. Wenn er nach einem weiteren Hilfsflug in irgendein Drittweltland auf dem ausgedörrten Boden neben dem Rollfeld sitzt, die geschnorrte Zigarette schon zwischen den Lippen, sieht er aus wie ein Fließbandarbeiter aus einer Autofabrik in seiner Pause. Es ist gerade erst kurz nach sieben, aber schon jetzt hat er, wie er vor sich hin brummelt, Lust auf ein kühles Bier.
Er entspricht nicht ganz dem einsamen Wolf und Han-SoloTyp, mit dem ich in meiner Phantasie durch den Himmel geritten bin. Doch wenn Michail - den ich bald anfange »Mickey« zu nennen, was er zunächst mit einer Mischung aus Humor und Verdruss und später resigniert hinnimmt - als Verbrecher eine merkwürdige Figur abgibt, dann gilt das erst recht für ihn als Geschäftsmann. Er war immer Il-76-Pilot, ein Produkt des so wje tischen Militärs. Die Stationen seines Lebens sind eine Kindheit im Ural, die Ausbildung auf einer Luftwaffenbasis zu Hause in Russland, danach die riesige Militärbasis im weißrussischen Wizebsk sowie das Transportflug-Regiment und schließlich Zentralasien. Dieser kettenrauchende Veteran der letzten blutigen Tage des so wje tischen Afghanistankriegs ist Arbeiter durch und durch, von den stets zusammengekniffenen Augen über die hängenden Schultern bis hin zum Alkoholgehalt seines Schweißes. Und doch ist er gleichzeitig, wie er selbst sagt, Partner in einem hochprofitablen Luftfrachtunternehmen, das die Arabischen Emirate, Asien, Afrika und Osteuropa anfliegt und dessen Operationen in den schlimmsten Krisengebieten der Welt ihm eine Position beschert, der der harte Konkurrenzdruck der globalisierten Weltmärkte nichts anhaben kann.
Mickey und seine Crew fliegen seit mehr als einem Vierteljahrhundert zusammen. Als Piloten, Navigatoren, Bordschützen, Ingenieure und Lademeister der so wje tischen Luftwaffe sind sie mehr als 300 Feindmissionen über den gleichen afghanischen Bergen, Dörfern, Ebenen und Städten geflogen, die auch heute ihre Spezialität sind - und zwar im gleichen Flugzeug.
»Als die UdSSR auseinanderzubrechen begann«, erklärt Mickey, »nun ja, da sahen einige von uns, was in der Luft lag, und wir ergriffen unsere Chance, etwas anderes zu machen.« Dieses Etwas war eine dramatisches Flucht aus dem Militärdienst und der Versuch, ein Stück vom privatwirtschaftlichen Kuchen zu erhaschen. »Es war nicht schwer. Wir kannten ein paar Leute, und als diese sich ein Militärflugzeug ›anschafften‹, flogen wir es nach Kasachstan hinunter und machten sozusagen ein Rebranding.« Er ist plötzlich verlegen wegen dieser Phrase aus dem Unternehmens-Jargon. »Natürlich haben wir nicht diesen Begriff benutzt, aber später hat sich gezeigt, dass es das war, was wir gemacht haben.«
Also hieß es, weg mit dem Stern der Roten Armee, weg mit den Farben der UdSSR und her mit einem grauen Anstrich ohne Logo. »Auf einmal«, lächelt er unbeholfen, »waren wir Biznesm eny. « Für russische Sprecher schwingen in diesem Wort Konnotationen von Spekulantentum und Mafiaverbindungen mit, die in jenen wilden Zeiten an der Tagesordnung waren. »Und heute sind wir das A-Team.«
Sie sind eine Elite-Crew, die rund um die Uhr zur Verfügung steht und die keine Fragen stellt, wenn man sie anruft. Sie fliegen das, was der Kunde hat, mit einem der größten Flugzeuge der Welt dorthin, wo er es haben will. Dabei ist Gefahr kein Problem - vorausgesetzt, der Preis stimmt.
»Wir operieren als privates Transportunternehmen für alle möglichen Dinge«, sagt Mickey. »Wir fliegen eine Menge Frachtgut. Militärische Sachen. Und viele Hilfsgüter.«
Was den Effekt hat, dass sich Mickey, seine Crew und ihre »Partner« obendrein auch noch in unfreiwillige Heilige verwandeln. (Diese Partner sind eine nebulöse Gruppe von Männern - Mickey spricht nicht gern über sie und ich werde fast zehn Jahre brauchen, um sie ausfindig zu machen.) Denn ob in Pakistan oder in Somalia, bei Hungersnöten oder Tsunamis, es sind immer Mickeys Crew und ihre ramponierte, 20 Jahre alte Il-76, die als Erste mit lebensrettenden humanitären Hilfsgütern in den Katastrophengebieten ankommen. Sie werden gechartert von NGOs und westlichen Regierungen, man schätzt sie, weil sie agil und reaktionsschnell sind - und weil sie mehr Hilfe näher an schwer zugängliche Katastrophengebiete bringen können als irgendjemand anderes. Wenn die Bezahlung stimmt.
Die unorthodoxen Methoden, der Mut und die Chuzpe dieser Crews sind legendär. Dies sind die Männer, die Sie anrufen müssen, wenn Sie - wie es beim A-Team heißt - mal ein Problem haben und nicht mehr weiter wissen.
John MacDonald betreibt im englischen Surrey eine Agentur für Charterflüge. Er ist einer der Mittelsmänner, die zunächst die Job-Anforderungen von Armeen, Hilfsorganisationen, Import/ Exportfirmen und Privatleuten entgegennehmen und dann die Flugzeuge und Besatzungen finden, die den Auftrag ausführen können. Obwohl er aus einer Familie von Luftfahrtspezialisten stammt und nach eigenen Worten »schon alles gesehen« hat, muss er lachen, als er sich an die Aktion eines solchen unabhängig operierenden Teams mit einer Il-76 erinnert, das der amerikanischen Militärführung in Südafghanistan Bewunderung abnötigte und ihnen die beschämende Erkenntnis bescherte, dass sie von einer fünf Mann starken Crew von Russen und ihrem Schattennetzwerk vorgeführt worden waren.
»Das US-Militär plante im Süden des Landes einen Flugplatz, und sie hatten diesen riesigen Generator, den sie dorthin bringen mussten. Es war eine ziemlich abgelegene Gegend, die, abgesehen von ein paar vereinzelten Stellungen mit US-Truppen, vollkommen unter der Kontrolle von Banditen war. Es gab meilenweit im Umkreis keinen Treibstoff und niemand, den wir anfragten, wollte etwas damit zu tun haben. Sie sagten alle: ›Wir kommen da nie wieder raus, wie sollen wir ohne Treibstoff von einem nicht fertiggestellten Flugfeld starten?‹
Der Job war mit 60 bis 70 000 Dollar veranschlagt, aber eines Tages gab es einen Anruf von diesen russischen Burschen. Sie sagten: ›Wir machen es, aber es kostet Sie zwei Millionen Dollar, zahlbar im Voraus.‹ Die Amerikaner hatten zu diesem Zeitpunkt keine Wahl mehr, also bezahlten sie. Und tatsächlich flog exakt zum geforderten Termin eine Crew aus ehemaligen so wje tischen Luftwaffensoldaten mit dieser ramponierten alten Il-76 ein. Sie luden den Generator aus, dann setzten sie sich hin und rauchten in aller Ruhe.
Und gerade als die Amerikaner sich zu fragen begannen, wie in aller Welt die russischen Piloten wieder zurückfliegen wollen, wurde eine Staubwolke am Horizont sichtbar, ein alter Kleinbus kam herangeklappert, gefahren von einem Afghanen - und die Besatzung stieg einfach ein und fuhr weg. Die Yankees schrien: ›Hey, wie wollt ihr denn euer Flugzeug hier wegbekommen?‹ Und die Crew sagte einfach: ›Wollen wir gar nicht. Es ist alt. Wir haben es nur für diesen Job gekauft und wir lassen es hier stehen.‹ Eine halbe Million Dollar hat es sie gekostet und sie hatten es mit Kordel und Klebeband zusammengeflickt, gerade lange genug, um damit landen zu können, dann kassierten sie eineinhalb Millionen Dollar Gewinn und ließen es zum Verrosten dort stehen. Es ist immer noch da.
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Autoren-Porträt von Matt Potter
Matt Potter ist investigativer Journalist und Radiomoderator. Als Korrespondent der BBC berichtet er aus Osteuropa, Afghanistan und Südostasien. Er spricht fließend deutsch und hat mehrere Jahre in München gelebt. Heute ist er in London zuhause.
Bibliographische Angaben
- Autor: Matt Potter
- 2011, 400 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Maße: 13,9 x 20,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Bausum, Christoph; Kunz, Barbara
- Übersetzer: Christoph Bausum
- Verlag: ECON
- ISBN-10: 3430201160
- ISBN-13: 9783430201162
Rezension zu „Tödliche Fracht “
»Ein spannendes Dokument der Scheinheiligkeit.« KIELER NACHRICHTEN, Michael G. Schmidt, 01.12.11
Kommentar zu "Tödliche Fracht"
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