Tortilla Flat
Als Mängel-Exemplar
nur
Tortilla FlatvonJohn Steinbeck
LESEPROBE
Vorwort
Diese Geschichte berichtet von Danny und Dannys Freunden undDannys Haus. Sie erzählt, wie dies alles eins wurde, so daß man in TortillaFlat, wenn man von Dannys Haus spricht, nicht jenes einstmals weißgestrichene,von alten, ungestutzten kastilischen Rosen bewachsene Haus meint. Nein, wer vonDannys Haus spricht, meint die Einheit, deren Teile Menschen waren, von denenjugendliche Frische und Lebensfreude, Menschenliebe und schließlich einemystische Trauer ausging. Denn Dannys Haus war König Arthurs Tafelrunde nichtunähnlich, und Dannys Freunde dürfen wohl mit ihren Rittern verglichen werden.Und unsere Geschichte erzählt, wie diese Gruppe ins Leben trat, wie sie erblühteund sich in Schönheit und Weisheit entfaltete. Sie handelt von den Abenteuernder Freunde Dannys, von dem Guten, das sie stifteten, von ihren Gedanken undihrem Streben. Und am Schluß berichtet sie, wie der Talisman verlorenging unddie Gruppe zerfiel. In Monterey, jener alten Stadt an der kalifornischen Küste,ist dies alles wohlbekannt, oft erzählt und bisweilen ausgeschmückt worden. Undes mag gut sein, diesen Geschichtenzyklus schwarz auf weiß festzuhalten, damitkünftige Gelehrte, wenn sie die Legenden vernehmen, nicht etwa wie von KönigArthur und Robin Hood sagen: Es hat nie einen Danny und keine Gruppe vonFreunden Dannys und kein solches Haus gegeben. Danny ist eine Naturgottheit,und seine Freunde sind Sinnbilder des Windes, des Himmels, der Sonne. UnsereGeschichte ist dazu da, jetzt und für immer das spöttische Lächeln von denLippen säuerlicher Gelehrter zu verbannen. Monterey liegt an einem Hügelhang,eine blaue Bucht zu Füßen und einen dunklen Kiefernwald im Rücken. Die unteren Teileder Stadt sind von Amerikanern italienischer Herkunft bewohnt, die sich vomFischfang und der Herstellung von Fischkonserven ernähren. Aber auf dem Hügel,wo der Wald und die Stadt ineinander übergehen, wo die Straßen noch nichts von Asphalt wissen undes an den Ecken keine Straßenlaternen gibt, haben sich die alteingesessenenBewohner von Monterey verschanzt wie in alten Zeiten die Briten in Wales. Diessind die Paisanos. Sie wohnen in alten, zwischen unkrautbewachsenen Höfen errichtetenHolzhäusern, umstanden von den Kiefern des Waldes. Die Paisanos sind frei vonHandelsgeist und unberührt von den komplizierten Systemen des amerikanischen Geschäftslebens,und da sie nichts besitzen, was gestohlen, ausgebeutet oder mit Hypothekenbelastet werden könnte, haben diese Unternehmen sie ziemlich in Ruhe gelassen. Wasist ein Paisano? Eine Mischung aus spanischem, indianischem, mexikanischem underlesenem kaukasischem Blut. Seine Vorfahren haben seit ein bis zweiJahrhunderten in Kalifornien gelebt. Er spricht englisch mit dem Akzent einesPaisanos, und spanisch mit dem gleichen Akzent. Stellt man ihm eine Frage obseiner Rasse, so pocht er entrüstet auf sein spanisches Blut und krempelt denÄrmel hoch, um zu zeigen, daß die weiche Innenseite seines Armes fast weiß ist.Wenn seine Hautfarbe einer stark gebräunten Meerschaumpfeife gleicht, soerklärt er dies damit, daß er sonnenverbrannt sei. Er ist ein Paisano und lebtin jenem Hügelbezirk oberhalb der Stadt Monterey, der den Namen Tortilla Flatführt, obwohl er nichts weniger als »Flachland« ist, wie der Name besagt. Dannywar ein Paisano und in Tortilla Flat aufgewachsen; jedermann mochte ihn gutleiden, aber er zeichnete sich durch nichts Besonderes vor den anderen lärmendenKindern des Ortes aus. Mit fast allen Bewohnern des Flat war er durch Blutsbandeoder durch gemeinsame abenteuerliche Erlebnisse verwandt. Sein Großvater warein bedeutender Mann und Besitzer zweier Häuschen in Tortilla Flat, geachtet umseines Reichtums willen. Wenn der heranwachsende Danny lieber im Wald schlief,auf Ranchen arbeitete und einer widerstrebenden Welt Nahrung und Wein mühsamentwand, so lag dies nicht an einem Mangel an einflußreichen Verwandten. Dannywar klein, dunkel und drahtig. Mit fünfundzwanzig Jahren waren seine Beine sogekrümmt, daß sie genau um die Flanken eines Pferdes paßten. Als Danny dieses Alter erreichthatte, wurde der Krieg gegen Deutschland erklärt. Er und sein Freund Pilon(»Pilon« bedeutet, nebenbei bemerkt, soviel wie ein besonderer Vorteil, der beieinem Handel herausschaut) besaßen zwei Gallonen, das sind etwa neun Liter,Wein, als sie vom Krieg vernahmen. Big Joe Portagee sah die Flaschen zwischenden Kiefern schimmern und gesellte sich zu Danny und Pilon. In dem Maße, wieder Wein in den Flaschen abnahm, stieg der Patriotismus in den drei Männern.Und als der Wein ihre Kehlen hinabgeflossen war, wanderten sie den Hügelhinunter, Arm in Arm, begeistert für Kameradschaft und Sicherheit, und sodurchzogen sie Monterey. Vor einer Rekrutenwerbestelle ließen sie laut Amerikahochleben und forderten Deutschland heftig heraus. Sie bedrohten das Deutsche Reichunter solchem Geheul, daß der Werbesergeant erwachte, seine Uniform anzog undauf die Straße trat, um sie zum Schweigen zu bringen. Dann blieb er da, um sieeinzuschreiben. Der Sergeant stellte sie vor seinem Schreibpult in einer Reihe auf.Sie bestanden alle vorgeschriebenen Prüfungen, mit Ausnahme der derNüchternheit, und dann begann der Sergeant seine weiteren Fragen bei Pilon. »Inwelche Truppe willst du eintreten?« »Das schert mich keinen Pfifferling«, gabPilon wohlgemut zurück. »Ich glaube, wir brauchen Leute wie dich bei derInfanterie. « So wurde Pilon als Infanterist eingetragen. Dann wandte derSergeant sich an Big Joe, gerade als der Portagee nüchtern wurde. »Wohinmöchtest du?« »Ich möchte heim«, wimmerte Big Joe kläglich. Der Sergeant nahmihn auch in die Infanterie auf. Zum Schluß wandte er sich an Danny, der stehendeingeschlafen war. »Und wohin willst du?« »W-w-was?« »Ich meine, zu welcher Waffe?« »Was heißt das - Waffe?« »Ichwill wissen: was kannst du tun?« »Ich - ich kann alles.« »Was hast du bisher getan?« »Ichbin Mauleselschinder.« »So, so. Und wieviel Maulesel kannst du treiben?« Dannybeugte sich vor und fragte leichthin und mit Berufsmiene zurück: »Wie vielehabt Ihr?« »Etwa dreißigtausend«, antwortete der Sergeant. Danny machte eineHandbewegung. »Bindet sie aneinander «, meinte er. So wurde Danny nach Texasgeschickt, um für die Dauer des Krieges Maulesel abzurichten. Pilon marschiertemit der Infanterie in Oregon umher, während Big Joe, wie wir noch sehen werden,im Gefängnis landete.
© Paul Zsolnay Verlag Wien, 1993
Übersetzung: Elisabeth Rotten
Autoren-Porträt von John Ernst Steinbeck
John Ernst Steinbeck, amerikanischer Erzählerdeutsch-irischer Abstammung, geboren am27. Februar 1902 in Salinas, wuchs inKalifornien auf. 1918-24 Studium der Naturwissenschaften an der StanfordUniversity, Gelegenheitsarbeiter, danach freier Schriftsteller in Los Gatos beiMonterey. Im Zweiten Weltkrieg Kriegsberichterstatter, 1962 Nobelpreis fürLiteratur, gestorben am 20. Dezember1968 in New York.
- Autor: John Steinbeck
- 2004, 190 Seiten, Maße: 12,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Rotten, Elisabeth
- Verlag: Süddeutsche Zeitung / Bibliothek
- ISBN-10: 3937793380
- ISBN-13: 9783937793382
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Tortilla Flat".
Kommentar verfassen