Walter Ulbricht
Eine deutsche Biografie
Eine deutsche Biografie: Wer war dieser Mann, der über ein Vierteljahrhundert die DDR geprägt hat? Kenntnisreich zeichnet Mario Frank
ein anschauliches Porträt eines deutschen Machthabers zwischen Moskau und Pankow. Es zeigt Herkunft, Lebensgeschichte,...
ein anschauliches Porträt eines deutschen Machthabers zwischen Moskau und Pankow. Es zeigt Herkunft, Lebensgeschichte,...
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Produktinformationen zu „Walter Ulbricht “
Eine deutsche Biografie: Wer war dieser Mann, der über ein Vierteljahrhundert die DDR geprägt hat? Kenntnisreich zeichnet Mario Frank
ein anschauliches Porträt eines deutschen Machthabers zwischen Moskau und Pankow. Es zeigt Herkunft, Lebensgeschichte, Denken und Handeln des Staatsmannes Ulbricht. Eine fesselnde, kritische Lebensbeschreibung eines umstrittenen Politikers, der Lenin kannte, Stalin verehrte und Adenauer bekämpfte.
ein anschauliches Porträt eines deutschen Machthabers zwischen Moskau und Pankow. Es zeigt Herkunft, Lebensgeschichte, Denken und Handeln des Staatsmannes Ulbricht. Eine fesselnde, kritische Lebensbeschreibung eines umstrittenen Politikers, der Lenin kannte, Stalin verehrte und Adenauer bekämpfte.
Klappentext zu „Walter Ulbricht “
Walter Ulbricht, 1893 in Leipzig als Spross einer sächsischen Handwerkerfamilie geboren, schloss sich nach einem Zwischenspiel bei der SPD früh der kommunistischen Bewegung an. Er wird Reichstagsabgeordneter der Kommunistischen Partei und geht im Oktober 1933 in die Emigration nach Prag, Paris und Moskau, wo er Herbert Wehner wiedertrifft. Für sein Buch hat Mario Frank erstmals geheime Unterlagen der Kommunistischen Internationale eingesehen, die diese wichtige Lebensphase von Ulbricht erhellen. Am Tag von Hitlers Selbstmord, dem 30. April 1945, kehrt er als Leiter der "Gruppe Ulbricht" nach Deutschland zurück und beginnt die administrative Arbeit in der sowjetisch besetzten Zone. Im Oktober 1949 wird die DDR gegründet, Ulbricht wird stellvertretender Ministerpräsident, im Juli 1950 Generalsekretär des ZK der SED. Damit schlägt die Stunde des Administrators, derFünfjahrespläne entwirft, mit dem "planmäßigen Aufbau der Grundlagen des Sozialismus" beginnt und persönlich Todesurteile verhängt. Mario Frank zeigt die Machtkämpfe der SED-Nomenklatura, die Erschütterung des Machtgefüges am 17. Juni 1953, den Eifer und die Machtbesessenheit Ulbrichts, der alle Krisen übersteht und schließlich 1960 Staatsratsvorsitzender wird. Akribisch in der Vorbereitung von Konferenzen und Zusammenkünften, fleißig im Aktenstudium, taktisch geschickt und verschlagen, hochfahrend und katzbuckelnd zugleich erscheint Walter Ulbricht, der vor allem in den sechziger Jahren, der eigenen Bevölkerung verhasst, um Anerkennung nach außen und Zuneigung im Innern rang. Was waren hinter alldem Eifer und der Energie Ulbrichts eigentliche Antriebe, seine Ideen und Ziele? Wollte Ulbricht anfangs die Einheit Deutschlands? Strebte er die Sowjetisierung der DDR an? Wie sollte dieser deutsche Staat überhaupt beschaffen sein? Ulbricht waren, trotz Mauer und Stacheldraht und eines furchtbaren Unrechtssystems, reformerische Ansätze nicht fremd. Nach dem von ihm vorangetriebenen Mauerbau gelang in der DDR ein
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"Rotes Wirtschaftswunder". Aber Ulbricht war zu sehr dem dogmatischen Denken seiner Herkunft und Prägung verhaftet, um Reformen konsequent durchzuführen. 1971 wurde Walter Ulbricht als SED-Generalsekretär von Erich Honecker abgelöst und in seinen beiden letzten Lebensjahren ins politische Abseits gedrängt. Der nahezu achtzigjährige Staatsratsvorsitzende wurde im Auftrag Erich Mielkes von seinem Fahrer bespitzelt.
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Lese-Probe zu „Walter Ulbricht “
Moskau, Ost-Berlin, April/Mai 1953Die neue sowjetische Führung - Stalin war im März gestorben - ist tief besorgt über die Entwicklung in der DDR. Es steht schlecht um den SED-Staat. Im Kreml fürchtet man, dass die Lage im sozialistischen Deutschland außer Kontrolle geraten könnte. Der harte, kompromisslose Sozialismuskurs des Statthalters in Ost-Berlin, Walter Ulbricht, hat zu spürbarer Unruhe unter der DDR-Bevölkerung geführt. Der Enteignungsdruck auf Bauern und Selbstständige ist ins Unerträgliche gestiegen. Die Tätigkeit der Kirchen ist noch einmal eingeschränkt worden, sie dürfen seit dem 1. Januar in Schulgebäuden keinen Religionsunterricht mehr erteilen. Tausenden von Gewerbetreibenden wird in der ersten Jahreshälfte die Gewerbegenehmigung entzogen. Die Grenze zur Bundesrepublik ist im letzten Jahr geschlossen worden und der deutsch-deutsche Besucherverkehr durch ein strenges Grenzregime faktisch zum Erliegen gekommen. Trotz der extremen Belastungen, die der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED (ZK) - so lautet Ulbrichts offizieller Titel - der Bevölkerung zumutet, bleibt die DDR-Wirtschaft zunehmend hinter der Entwicklung in der Bundesrepublik und hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Die Preise für wichtige Grundnahrungsmittel müssen erhöht und soziale Vergünstigungen zurückgenommen werden. Anfang April werden allen DDR-Bürgern, die in West-Berlin arbeiten, sowie allen Selbstständigen die Lebensmittelkarten entzogen, die zum Bezug subventionierter Grundnahrungsmittel berechtigen. Die Versorgungslage und die Stimmung in der Bevölkerung werden immer schlechter.
Hoffnungslosigkeit und offener Unmut machen sich breit. Der Flüchtlingsstrom in den Westen schwillt von 182000 Menschen im Vorjahr auf 311000 im Jahr 1953 an. Im März erreicht er mit 58605 registrierten Flüchtlingen seinen Höhepunkt. Besonders schmerzlich für die Machthaber in Ost-Berlin ist, dass in den ersten vier Monaten des Jahres 1953 auch rund 8000 Mann der kasernierten Volkspolizei
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sowie über 5000 SED- und FDJ-Mitglieder dem Arbeiter- und Bauernparadies für immer den Rücken kehren.
Nie zuvor und nie mehr danach, bis zum Revolutionsjahr 1989, flüchten so viele Menschen aus der DDR.
Die Folge ist eine tief greifende Verstimmung zwischen der Sowjetführung und ihrem Statthalter in Ost-Berlin. Monatelang wird Ulbricht in der sowjetischen Presse nicht mehr erwähnt. Ein "Merkblatt" der Sowjetischen Kontrollkommission stoppt das Inkrafttreten eines neuen Strafgesetzbuches in der DDR, welches vom SED-Politbüro am 14. April verabschiedet worden ist. Die sowjetischen Kontrolleure beanstanden die Härte der Strafbestimmungen und die Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale - also die Definition dessen, was strafbar ist. Die Kritik der Besatzungsbehörde gipfelt in der Aussage, dass bestimmte Strafnormen "eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit" erzeugen könnten. Moskaus Ständiger Vertreter in Ost-Berlin, Wladimir Semjonow, wird am 20. April zur Berichterstattung nach Moskau gerufen. Die sowjetische Führung beschließt aufgrund der Unruhe unter den DDR-Bürgern mit sofortiger Wirkung ein wirtschaftliches Hilfsprogramm für die DDR. Die Reparationsverpflichtungen der DDR an die UdSSR werden um einige hundert Millionen Mark reduziert. Zudem soll die DDR-Wirtschaft durch die Lieferung von Rohstoffen unterstützt werden.
Ost-Berlin, 8. Mai 1953
Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht verleihen sich gegenseitig den Karl-Marx-Orden. Diese höchste Auszeichnung der DDR ist zum 135. Geburtstag von Karl Marx neu gestiftet worden und wird an diesem Tag zum ersten Mal verliehen.
Ost-Berlin, Mai/Juni 1953
Ulbricht plant trotz der angespannten Lage, seinen 60. Geburtstag am 30. Juni bombastisch zu feiern. Dazu hat das von ihm geleitete Sekretariat des Zentralkomitees der SED schon Mitte 1952 beschlossen, eine "Kommission zur Vorbereitung des 60. Geburtstages des Genossen Ulbricht" einzusetzen. Sie soll den Geburtstag des Generalsekretärs der SED zu einem großartigen Schauspiel, zu einem Volksfest ausgestalten. Die Kommission, in der Ehefrau Lotte Ulbricht maßgeblich mitwirkt, leistet gute Arbeit. Johannes R. Becher verfasst eine "offizielle" Biografie über den Staatsmann Ulbricht. Das Gemälde "Walter Ulbricht im EKO-Stahlwerk" wird geschaffen, ebenso eine Ulbricht-Büste. Je eine Straße in Berlin und Leipzig soll nach dem SED-Chef benannt werden. Im Friedrichstadtpalast in Ost-Berlin wird ein Staatsakt geplant, in dessen Rahmen Ulbricht der Titel "Held der Arbeit" verliehen werden soll. Bücher und Festschriften werden geplant: "Walter Ulbricht - Kämpfer gegen Krieg und Faschismus", "Walter Ulbricht - Kämpfer für die Deutsche Einheit". Erich Honecker lässt ein in rotes Kunstleder gebundenes Buch mit eingeprägtem Ulbricht-Kopf über den Generalsekretär und die Jugend herausgeben. Auflage: eine Million. Bei der Ausarbeitung des Konzepts für die Geburtstagsfeier kann die Kommission auf Bewährtes zurückgreifen: Im Dezember 1949 wurde mit ähnlichem Aufwand Stalins 70. Geburtstag gefeiert. Man hofft auf viele schöne "individuelle" Geschenke aus allen Teilen der DDR und vor allem auch aus der Bundesrepublik, um nach dem Geburtstag eine Geschenkausstellung aufbauen zu können. Auch ein Film über den SED-Chef wird gedreht. Der Drehbuchautor des Streifens mit dem Titel "Baumeister des Sozialismus" ist prominent; er heißt Stephan Hermlin und ist Nationalpreisträger der DDR. Gleich zu Beginn des Films verkündet der Jubilar, dass ab sofort der Sozialismus in der DDR planmäßig aufgebaut werden soll. Tosender, nicht enden wollender Beifall brandet auf. Ulbricht ist unentwegt fröhlich, gut gelaunt, leutselig, anständig, ein "Arbeiter neuen Typus", geliebt von der Jugend in einem aufbrechenden Land. Er weiß alles, kann alles, dankt den Bäuerinnen in der LPG "Ernst Thälmann" mit aufmunternden Worten und weist den Traktorfahrern den richtigen Weg. Ulbricht ist Nachfahre des Revolutionärs Thomas Müntzer, Schüler Liebknechts und Stalins, Kampfgenosse Thälmanns. Dabei bleibt er immer Mensch: "Er spielt gern Tennis - es kann aber auch Tischtennis sein", teilt der Sprecher mit, während Walter und Lotte krampfhaft versuchen, den Ball zu treffen; meistens schlägt Ulbricht hilflos ins Leere. Die DDR, das Werk des "Baumeisters", ist eine schöne neue Welt, die er aus den Trümmern des Krieges aufgebaut hat. So schön wie in Ost-Berlin haben die deutschen Werktätigen noch nie gewohnt. In Westdeutschland herrscht dagegen das Elend. In der Kruppstraße entsteigen im Schatten verrußter Hochöfen hohlwangige Menschen mit schwarz umrandeten Augen ihren Wellblechhütten. "Wann werden sie sich erheben?", fragt der Sprecher.
Das Volk soll seinem Führer seine Sympathie und Zuneigung aktiv unter Beweis stellen. Jeder Werktätige und jeder Funktionär ist angehalten, zu Ehren des 60. Geburtstags von Ulbricht Selbstverpflichtungen einzugehen, sprich, besondere Arbeitsleistungen bis zum 30. Juni zu erbringen. Diese Kampagne zu Ehren Ulbrichts wirkt angesichts der schlechten Versorgungslage wie Hohn. Der Hass gegen den Generalsekretär nimmt in der Bevölkerung spürbar zu. Es kommt zu Protestaktionen und Arbeitsniederlegungen.
Moskau, 27. Mai 1953
Die Sowjetführung ist nicht länger bereit, diese Politik ihres Statthalters in Ost-Berlin hinzunehmen. Die Vorbereitungen zu Ulbrichts Geburtstag lösen im ZK der KPdSU Bestürzung aus. Wjatscheslaw Molotow, Außenminister der UdSSR, wird sich später erinnern, dass Ulbricht damals einen allzu starren Kurs verfolgt habe und nicht flexibel genug gewesen sei. Zudem habe er mit lauter Stimme über den "Sozialismus in der DDR" geredet, ohne auf diesen vorbereitet gewesen zu sein. Das Präsidium des Ministerrates der UdSSR diskutiert die Ursachen, die zur Massenflucht aus der DDR nach Westdeutschland geführt haben und beschließt Maßnahmen zur Korrektur der Entwicklung in der DDR.
Ost-Berlin, 28. Mai 1953
In Form einer Regierungsverordnung, die sofort in Kraft tritt, werden auf Ulbrichts Initiative hin die Arbeitsnormen der DDR-Arbeiter bis zum 30. Juni, Ulbrichts Geburtstag, um mindestens zehn Prozent erhöht.
Moskau, 2. bis 4. Juni 1953
Ulbricht, Ministerpräsident Otto Grotewohl und Politbüromitglied Fred Oelßner, der als Dolmetscher fungiert, werden in die sowjetische Hauptstadt zitiert. Parteiführer Wilhelm Pieck ist schwer erkrankt und hält sich seit Mitte Februar in der Nähe von Moskau in einem Sanatorium auf. In zwei Sitzungen mit Vertretern der sowjetischen Führung werden die deutschen Genossen erbittert kritisiert und attackiert. Malenkow schockiert die deutschen Genossen mit dem Satz: "Wenn wir jetzt nicht korrigieren, kommt eine Katastrophe." Vor allem Lawrenti Pawlowitsch Berija, der mächtige Innenminister und Chef der Organe der Staatssicherheit, erweist sich als entschiedener Gegner Ulbrichts: "Das ist ein Mann, der nichts versteht, der sein Volk nicht liebt." Das unter Berijas entscheidendem Einfluss entstandene Papier "Über die Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der Deutschen Demokratischen Republik" ist in seiner außergewöhnlichen Offenheit und Schärfe eine Ohrfeige für Ulbricht; mehr noch, ein Dokument seines Versagens als Partei- und Staatsführer. Es beginnt mit den Worten: "Infolge der Durchführung einer fehlerhaften politischen Linie ist in der Deutschen Demokratischen Republik eine äußerst unbefriedigende politische und wirtschaftliche Lage entstanden." Den DDR-Führern wird vorgeworfen, dass sie seit 1952 "fälschlicherweise" mit dem beschleunigten Aufbau des Kommunismus in der DDR begonnen haben "ohne das Vorhandensein der dafür notwendigen realen sowohl innen- als auch außenpolitischen Voraussetzungen". Kritisiert wird vor allem, dass die Bauern überstürzt in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften gedrängt sowie mittlere und kleinere Betriebe enteignet worden sind. In Form eines Diktats verlangen die Sowjetführer Konsequenzen aus dieser verfehlten Politik. Eine weitgehende Auflösung der LPGs in der DDR gehört ebenso zu ihren Forderungen wie die Aufhebung aller "Maßnahmen, die die unmittelbaren Interessen der Kirche und der Geistlichkeit einengen". Recht und Gesetz sollen gestärkt und Bürgerrechte in der DDR künftig sichergestellt werden. Unmittelbar gegen Ulbricht richtet sich der Vorwurf, dass die Arbeit im Politbüro der SED lange nicht funktioniert habe, weil Beschlüsse ohne ausreichende Vorbereitung und Diskussion gefasst worden seien. Am Ende der ersten Sitzung werden Ulbricht und Grotewohl ultimativ aufgefordert, einen tief greifenden Kurswechsel in der DDR vorzubereiten und eine schriftliche Stellungnahme zum sowjetischen Dokument abzugeben.
Ulbricht und Grotewohl reagieren sofort auf die Kritik, indem sie von Moskau aus das SED-Politbüro anweisen, den Druck und die Herausgabe aller Broschüren und Bücher einzustellen, die sich auf den "Aufbau des Sozialismus" in der DDR beziehen. Das Papier jedoch, das Ulbricht und Grotewohl in der Nacht ausarbeiten, entspricht in keiner Weise den sowjetischen Vorstellungen. Berija ist darüber so erbost, dass er es Ulbricht über den Tisch weg mit dem Kommentar zuwirft: "Das ist ein schlechter Aufguss unseres Dokuments."18 Nikita Chruschtschow, Mitglied des Politbüros der KPdSU, wird sich später erinnern, dass Berija Ulbricht und die anderen deutschen Genossen in diesem Moment derart angeschrien habe, dass es ihm peinlich gewesen sei. Die Deutschen werden dazu verdonnert, ihr Papier noch einmal selbstkritisch zu überarbeiten.
Ost-Berlin, 5. Juni 1953
Die SED-Führer treffen zusammen mit Wladimir Semjonow - der aufgewertet wurde durch den neuen Titel "Hoher Kommissar" - wieder in Ost-Berlin ein. Semjonows Auftrag lautet, den "Neuen Kurs" in der DDR durchzusetzen. Die sowjetischen Führer haben ihn ausdrücklich angewiesen, "aktiv an den Sitzungen des Politbüros der SED teilzunehmen". Zu den ersten Maßnahmen, die Semjonow durchsetzt, gehört die Einstellung der Geburtstagsvorbereitungen Ulbrichts: "Wir möchten dem Genossen Ulbricht raten, seinen 60. Geburtstag so zu feiern wie der Genosse Lenin seinen 50.... Genosse Lenin lud zum Abend ein paar Gäste", lässt er den SED-Chef süffisant wissen. Die SED bläst sofort alle Vorbereitungen zum geplanten Jubeltag ab. Bereits erstellte Bücher und Festschriften müssen wieder eingestampft werden. Der Film kommt als "dokumentarisches Material" ins Archiv; erst Jahrzehnte später, 1989, erblickt er das Licht der jetzt gewandelten Welt. Die Selbstverpflichtungskampagnen werden eingestellt. Das Neue Deutschland erwähnt den Generalsekretär vom 7. bis zum 17. Juni nicht mehr. In der SED kursiert das Gerücht, Ulbricht sei faktisch schon abgesetzt und Rudolf Herrnstadt, der Chefredakteur des Neuen Deutschland, habe den Auftrag, ein neues Politbüro zu bilden.
Ost-Berlin, 6. Juni 1953
Das SED-Politbüro tritt in Anwesenheit Semjonows zu einer Sondersitzung zusammen. Alle Mitglieder und Kandidaten des Politbüros haben eine Abschrift des Dokuments des ZK der KPdSU in den Händen und sind aufgefordert worden, sich verbindlich zu äußern, ob sie dem "Neuen Kurs" zustimmen. Allein schon die Möglichkeit einer Vorbereitung ist ganz außergewöhnlich. Wie nicht anders zu erwarten, erklären alle Anwesenden - einschließlich Ulbricht - am Ende der Sitzung ihre Zustimmung zum "Neuen Kurs", wie er von der sowjetischen Führung festgelegt worden ist.
Die Sitzung selbst nimmt einen sensationellen Verlauf. Ulbricht zeigt sich zu Beginn ungewöhnlich selbstkritisch: "Ich habe Verantwortung zu tragen und werde meine Arbeit ändern." Doch zur großen Überraschung Semjonows und Ulbrichts beginnt danach eine von allen Politbüromitgliedern getragene Anklage gegen den mächtigsten Mann in ihren Reihen. Fred Oelßner beginnt mit Vorwürfen gegen die Arbeitsweise und den politischen Stil des Sekretariats des Politbüros, wobei sich alle Anwesenden darüber im Klaren sind, dass damit der Führungsstil Ulbrichts gemeint ist. Oelßners Kritik gipfelt in dem Satz, eine "Lockerung der Diktatur ist nötig". Leidenschaftlich werden im Laufe der Sitzung die Diktatur Ulbrichts, seine Methoden zur Erzeugung von Druck und Furcht, die Erziehung zu Unterwürfigkeit und Opportunismus angeprangert. Elli Schmidt, die Vorsitzende des Frauenbundes, kritisiert das Sekretariat des ZK der SED als "überheblich" und bekennt: "Ich bin noch nie so einsam gewesen wie jetzt im Politbüro." Unisono schlagen alle Politbüromitglieder in dieselbe Kerbe, auch solche, die in der Vergangenheit stets zu Ulbricht gestanden haben. Fred Oelßner und Rudolf Herrnstadt monieren mit Blick auf Lotte Ulbricht, dass Frauen von verantwortlichen Genossen nicht im Apparat des Mannes beschäftigt werden sollten. Friedrich Ebert prangert an: "Außer dem Genossen Walter Ulbricht existiert für Presse und Rundfunk kein anderes Mitglied des Politbüros." Alles bricht jetzt auf, was sich in den letzten Jahren unter der Oberfläche an Aggression und Ablehnung gegenüber dem SED-Chef angestaut hat. An diesem Tag wird ausgesprochen, wozu bislang keiner den Mut hatte. Ulbrichts selbstherrlicher Stil, der zu Bürokratisierung und Versteinerung der Partei geführt hat, die Einschüchterung seiner Mitarbeiter, die keinen Mut mehr zur Offenheit haben, werden ihm ebenso vorgeworfen wie die Entfremdung der SED von der Bevölkerung und die fehlende innerparteiliche Auseinandersetzung über ideologische Fragen. Selbst Erich Honecker - Ulbrichts politischer Zögling - bekennt: "Einverstanden. Uns ist der Mut genommen, offen zu sprechen."
Rudolf Herrnstadt wird damit beauftragt, ein kurzes Kommuniqué für das Politbüro zu verfassen, in dem die wichtigsten Maßnahmen des "Neuen Kurses" bekannt gegeben werden. Baldmöglichst soll das Zentralkomitee der SED tagen, um den "Neuen Kurs" zu diskutieren und zu begründen. Der vorbereitenden Kommission für diese Tagung gehört neben Herrnstadt auch Ulbricht an.Am Ende der Sitzung wendet sich Semjonow an Ulbricht: "Ja, Genosse Ulbricht, meiner Meinung nach ist es jetzt an Ihnen, aus dieser sehr fundierten Kritik des Politbüros ernste Folgen zu ziehen."
Nie zuvor und nie mehr danach, bis zum Revolutionsjahr 1989, flüchten so viele Menschen aus der DDR.
Die Folge ist eine tief greifende Verstimmung zwischen der Sowjetführung und ihrem Statthalter in Ost-Berlin. Monatelang wird Ulbricht in der sowjetischen Presse nicht mehr erwähnt. Ein "Merkblatt" der Sowjetischen Kontrollkommission stoppt das Inkrafttreten eines neuen Strafgesetzbuches in der DDR, welches vom SED-Politbüro am 14. April verabschiedet worden ist. Die sowjetischen Kontrolleure beanstanden die Härte der Strafbestimmungen und die Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale - also die Definition dessen, was strafbar ist. Die Kritik der Besatzungsbehörde gipfelt in der Aussage, dass bestimmte Strafnormen "eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit" erzeugen könnten. Moskaus Ständiger Vertreter in Ost-Berlin, Wladimir Semjonow, wird am 20. April zur Berichterstattung nach Moskau gerufen. Die sowjetische Führung beschließt aufgrund der Unruhe unter den DDR-Bürgern mit sofortiger Wirkung ein wirtschaftliches Hilfsprogramm für die DDR. Die Reparationsverpflichtungen der DDR an die UdSSR werden um einige hundert Millionen Mark reduziert. Zudem soll die DDR-Wirtschaft durch die Lieferung von Rohstoffen unterstützt werden.
Ost-Berlin, 8. Mai 1953
Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht verleihen sich gegenseitig den Karl-Marx-Orden. Diese höchste Auszeichnung der DDR ist zum 135. Geburtstag von Karl Marx neu gestiftet worden und wird an diesem Tag zum ersten Mal verliehen.
Ost-Berlin, Mai/Juni 1953
Ulbricht plant trotz der angespannten Lage, seinen 60. Geburtstag am 30. Juni bombastisch zu feiern. Dazu hat das von ihm geleitete Sekretariat des Zentralkomitees der SED schon Mitte 1952 beschlossen, eine "Kommission zur Vorbereitung des 60. Geburtstages des Genossen Ulbricht" einzusetzen. Sie soll den Geburtstag des Generalsekretärs der SED zu einem großartigen Schauspiel, zu einem Volksfest ausgestalten. Die Kommission, in der Ehefrau Lotte Ulbricht maßgeblich mitwirkt, leistet gute Arbeit. Johannes R. Becher verfasst eine "offizielle" Biografie über den Staatsmann Ulbricht. Das Gemälde "Walter Ulbricht im EKO-Stahlwerk" wird geschaffen, ebenso eine Ulbricht-Büste. Je eine Straße in Berlin und Leipzig soll nach dem SED-Chef benannt werden. Im Friedrichstadtpalast in Ost-Berlin wird ein Staatsakt geplant, in dessen Rahmen Ulbricht der Titel "Held der Arbeit" verliehen werden soll. Bücher und Festschriften werden geplant: "Walter Ulbricht - Kämpfer gegen Krieg und Faschismus", "Walter Ulbricht - Kämpfer für die Deutsche Einheit". Erich Honecker lässt ein in rotes Kunstleder gebundenes Buch mit eingeprägtem Ulbricht-Kopf über den Generalsekretär und die Jugend herausgeben. Auflage: eine Million. Bei der Ausarbeitung des Konzepts für die Geburtstagsfeier kann die Kommission auf Bewährtes zurückgreifen: Im Dezember 1949 wurde mit ähnlichem Aufwand Stalins 70. Geburtstag gefeiert. Man hofft auf viele schöne "individuelle" Geschenke aus allen Teilen der DDR und vor allem auch aus der Bundesrepublik, um nach dem Geburtstag eine Geschenkausstellung aufbauen zu können. Auch ein Film über den SED-Chef wird gedreht. Der Drehbuchautor des Streifens mit dem Titel "Baumeister des Sozialismus" ist prominent; er heißt Stephan Hermlin und ist Nationalpreisträger der DDR. Gleich zu Beginn des Films verkündet der Jubilar, dass ab sofort der Sozialismus in der DDR planmäßig aufgebaut werden soll. Tosender, nicht enden wollender Beifall brandet auf. Ulbricht ist unentwegt fröhlich, gut gelaunt, leutselig, anständig, ein "Arbeiter neuen Typus", geliebt von der Jugend in einem aufbrechenden Land. Er weiß alles, kann alles, dankt den Bäuerinnen in der LPG "Ernst Thälmann" mit aufmunternden Worten und weist den Traktorfahrern den richtigen Weg. Ulbricht ist Nachfahre des Revolutionärs Thomas Müntzer, Schüler Liebknechts und Stalins, Kampfgenosse Thälmanns. Dabei bleibt er immer Mensch: "Er spielt gern Tennis - es kann aber auch Tischtennis sein", teilt der Sprecher mit, während Walter und Lotte krampfhaft versuchen, den Ball zu treffen; meistens schlägt Ulbricht hilflos ins Leere. Die DDR, das Werk des "Baumeisters", ist eine schöne neue Welt, die er aus den Trümmern des Krieges aufgebaut hat. So schön wie in Ost-Berlin haben die deutschen Werktätigen noch nie gewohnt. In Westdeutschland herrscht dagegen das Elend. In der Kruppstraße entsteigen im Schatten verrußter Hochöfen hohlwangige Menschen mit schwarz umrandeten Augen ihren Wellblechhütten. "Wann werden sie sich erheben?", fragt der Sprecher.
Das Volk soll seinem Führer seine Sympathie und Zuneigung aktiv unter Beweis stellen. Jeder Werktätige und jeder Funktionär ist angehalten, zu Ehren des 60. Geburtstags von Ulbricht Selbstverpflichtungen einzugehen, sprich, besondere Arbeitsleistungen bis zum 30. Juni zu erbringen. Diese Kampagne zu Ehren Ulbrichts wirkt angesichts der schlechten Versorgungslage wie Hohn. Der Hass gegen den Generalsekretär nimmt in der Bevölkerung spürbar zu. Es kommt zu Protestaktionen und Arbeitsniederlegungen.
Moskau, 27. Mai 1953
Die Sowjetführung ist nicht länger bereit, diese Politik ihres Statthalters in Ost-Berlin hinzunehmen. Die Vorbereitungen zu Ulbrichts Geburtstag lösen im ZK der KPdSU Bestürzung aus. Wjatscheslaw Molotow, Außenminister der UdSSR, wird sich später erinnern, dass Ulbricht damals einen allzu starren Kurs verfolgt habe und nicht flexibel genug gewesen sei. Zudem habe er mit lauter Stimme über den "Sozialismus in der DDR" geredet, ohne auf diesen vorbereitet gewesen zu sein. Das Präsidium des Ministerrates der UdSSR diskutiert die Ursachen, die zur Massenflucht aus der DDR nach Westdeutschland geführt haben und beschließt Maßnahmen zur Korrektur der Entwicklung in der DDR.
Ost-Berlin, 28. Mai 1953
In Form einer Regierungsverordnung, die sofort in Kraft tritt, werden auf Ulbrichts Initiative hin die Arbeitsnormen der DDR-Arbeiter bis zum 30. Juni, Ulbrichts Geburtstag, um mindestens zehn Prozent erhöht.
Moskau, 2. bis 4. Juni 1953
Ulbricht, Ministerpräsident Otto Grotewohl und Politbüromitglied Fred Oelßner, der als Dolmetscher fungiert, werden in die sowjetische Hauptstadt zitiert. Parteiführer Wilhelm Pieck ist schwer erkrankt und hält sich seit Mitte Februar in der Nähe von Moskau in einem Sanatorium auf. In zwei Sitzungen mit Vertretern der sowjetischen Führung werden die deutschen Genossen erbittert kritisiert und attackiert. Malenkow schockiert die deutschen Genossen mit dem Satz: "Wenn wir jetzt nicht korrigieren, kommt eine Katastrophe." Vor allem Lawrenti Pawlowitsch Berija, der mächtige Innenminister und Chef der Organe der Staatssicherheit, erweist sich als entschiedener Gegner Ulbrichts: "Das ist ein Mann, der nichts versteht, der sein Volk nicht liebt." Das unter Berijas entscheidendem Einfluss entstandene Papier "Über die Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der Deutschen Demokratischen Republik" ist in seiner außergewöhnlichen Offenheit und Schärfe eine Ohrfeige für Ulbricht; mehr noch, ein Dokument seines Versagens als Partei- und Staatsführer. Es beginnt mit den Worten: "Infolge der Durchführung einer fehlerhaften politischen Linie ist in der Deutschen Demokratischen Republik eine äußerst unbefriedigende politische und wirtschaftliche Lage entstanden." Den DDR-Führern wird vorgeworfen, dass sie seit 1952 "fälschlicherweise" mit dem beschleunigten Aufbau des Kommunismus in der DDR begonnen haben "ohne das Vorhandensein der dafür notwendigen realen sowohl innen- als auch außenpolitischen Voraussetzungen". Kritisiert wird vor allem, dass die Bauern überstürzt in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften gedrängt sowie mittlere und kleinere Betriebe enteignet worden sind. In Form eines Diktats verlangen die Sowjetführer Konsequenzen aus dieser verfehlten Politik. Eine weitgehende Auflösung der LPGs in der DDR gehört ebenso zu ihren Forderungen wie die Aufhebung aller "Maßnahmen, die die unmittelbaren Interessen der Kirche und der Geistlichkeit einengen". Recht und Gesetz sollen gestärkt und Bürgerrechte in der DDR künftig sichergestellt werden. Unmittelbar gegen Ulbricht richtet sich der Vorwurf, dass die Arbeit im Politbüro der SED lange nicht funktioniert habe, weil Beschlüsse ohne ausreichende Vorbereitung und Diskussion gefasst worden seien. Am Ende der ersten Sitzung werden Ulbricht und Grotewohl ultimativ aufgefordert, einen tief greifenden Kurswechsel in der DDR vorzubereiten und eine schriftliche Stellungnahme zum sowjetischen Dokument abzugeben.
Ulbricht und Grotewohl reagieren sofort auf die Kritik, indem sie von Moskau aus das SED-Politbüro anweisen, den Druck und die Herausgabe aller Broschüren und Bücher einzustellen, die sich auf den "Aufbau des Sozialismus" in der DDR beziehen. Das Papier jedoch, das Ulbricht und Grotewohl in der Nacht ausarbeiten, entspricht in keiner Weise den sowjetischen Vorstellungen. Berija ist darüber so erbost, dass er es Ulbricht über den Tisch weg mit dem Kommentar zuwirft: "Das ist ein schlechter Aufguss unseres Dokuments."18 Nikita Chruschtschow, Mitglied des Politbüros der KPdSU, wird sich später erinnern, dass Berija Ulbricht und die anderen deutschen Genossen in diesem Moment derart angeschrien habe, dass es ihm peinlich gewesen sei. Die Deutschen werden dazu verdonnert, ihr Papier noch einmal selbstkritisch zu überarbeiten.
Ost-Berlin, 5. Juni 1953
Die SED-Führer treffen zusammen mit Wladimir Semjonow - der aufgewertet wurde durch den neuen Titel "Hoher Kommissar" - wieder in Ost-Berlin ein. Semjonows Auftrag lautet, den "Neuen Kurs" in der DDR durchzusetzen. Die sowjetischen Führer haben ihn ausdrücklich angewiesen, "aktiv an den Sitzungen des Politbüros der SED teilzunehmen". Zu den ersten Maßnahmen, die Semjonow durchsetzt, gehört die Einstellung der Geburtstagsvorbereitungen Ulbrichts: "Wir möchten dem Genossen Ulbricht raten, seinen 60. Geburtstag so zu feiern wie der Genosse Lenin seinen 50.... Genosse Lenin lud zum Abend ein paar Gäste", lässt er den SED-Chef süffisant wissen. Die SED bläst sofort alle Vorbereitungen zum geplanten Jubeltag ab. Bereits erstellte Bücher und Festschriften müssen wieder eingestampft werden. Der Film kommt als "dokumentarisches Material" ins Archiv; erst Jahrzehnte später, 1989, erblickt er das Licht der jetzt gewandelten Welt. Die Selbstverpflichtungskampagnen werden eingestellt. Das Neue Deutschland erwähnt den Generalsekretär vom 7. bis zum 17. Juni nicht mehr. In der SED kursiert das Gerücht, Ulbricht sei faktisch schon abgesetzt und Rudolf Herrnstadt, der Chefredakteur des Neuen Deutschland, habe den Auftrag, ein neues Politbüro zu bilden.
Ost-Berlin, 6. Juni 1953
Das SED-Politbüro tritt in Anwesenheit Semjonows zu einer Sondersitzung zusammen. Alle Mitglieder und Kandidaten des Politbüros haben eine Abschrift des Dokuments des ZK der KPdSU in den Händen und sind aufgefordert worden, sich verbindlich zu äußern, ob sie dem "Neuen Kurs" zustimmen. Allein schon die Möglichkeit einer Vorbereitung ist ganz außergewöhnlich. Wie nicht anders zu erwarten, erklären alle Anwesenden - einschließlich Ulbricht - am Ende der Sitzung ihre Zustimmung zum "Neuen Kurs", wie er von der sowjetischen Führung festgelegt worden ist.
Die Sitzung selbst nimmt einen sensationellen Verlauf. Ulbricht zeigt sich zu Beginn ungewöhnlich selbstkritisch: "Ich habe Verantwortung zu tragen und werde meine Arbeit ändern." Doch zur großen Überraschung Semjonows und Ulbrichts beginnt danach eine von allen Politbüromitgliedern getragene Anklage gegen den mächtigsten Mann in ihren Reihen. Fred Oelßner beginnt mit Vorwürfen gegen die Arbeitsweise und den politischen Stil des Sekretariats des Politbüros, wobei sich alle Anwesenden darüber im Klaren sind, dass damit der Führungsstil Ulbrichts gemeint ist. Oelßners Kritik gipfelt in dem Satz, eine "Lockerung der Diktatur ist nötig". Leidenschaftlich werden im Laufe der Sitzung die Diktatur Ulbrichts, seine Methoden zur Erzeugung von Druck und Furcht, die Erziehung zu Unterwürfigkeit und Opportunismus angeprangert. Elli Schmidt, die Vorsitzende des Frauenbundes, kritisiert das Sekretariat des ZK der SED als "überheblich" und bekennt: "Ich bin noch nie so einsam gewesen wie jetzt im Politbüro." Unisono schlagen alle Politbüromitglieder in dieselbe Kerbe, auch solche, die in der Vergangenheit stets zu Ulbricht gestanden haben. Fred Oelßner und Rudolf Herrnstadt monieren mit Blick auf Lotte Ulbricht, dass Frauen von verantwortlichen Genossen nicht im Apparat des Mannes beschäftigt werden sollten. Friedrich Ebert prangert an: "Außer dem Genossen Walter Ulbricht existiert für Presse und Rundfunk kein anderes Mitglied des Politbüros." Alles bricht jetzt auf, was sich in den letzten Jahren unter der Oberfläche an Aggression und Ablehnung gegenüber dem SED-Chef angestaut hat. An diesem Tag wird ausgesprochen, wozu bislang keiner den Mut hatte. Ulbrichts selbstherrlicher Stil, der zu Bürokratisierung und Versteinerung der Partei geführt hat, die Einschüchterung seiner Mitarbeiter, die keinen Mut mehr zur Offenheit haben, werden ihm ebenso vorgeworfen wie die Entfremdung der SED von der Bevölkerung und die fehlende innerparteiliche Auseinandersetzung über ideologische Fragen. Selbst Erich Honecker - Ulbrichts politischer Zögling - bekennt: "Einverstanden. Uns ist der Mut genommen, offen zu sprechen."
Rudolf Herrnstadt wird damit beauftragt, ein kurzes Kommuniqué für das Politbüro zu verfassen, in dem die wichtigsten Maßnahmen des "Neuen Kurses" bekannt gegeben werden. Baldmöglichst soll das Zentralkomitee der SED tagen, um den "Neuen Kurs" zu diskutieren und zu begründen. Der vorbereitenden Kommission für diese Tagung gehört neben Herrnstadt auch Ulbricht an.Am Ende der Sitzung wendet sich Semjonow an Ulbricht: "Ja, Genosse Ulbricht, meiner Meinung nach ist es jetzt an Ihnen, aus dieser sehr fundierten Kritik des Politbüros ernste Folgen zu ziehen."
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Autoren-Porträt von Mario Frank
Mario Frank, geboren 1958 in Rostock, aufgewaschsen in der Schweiz auf. Studium der Rechtswissenschaften in Regensburg und Freiburg im Breisgau. Heute Geschäftsführer der "Sächsischen Zeitung" und der "Morgenpost" in Dresden tätig. 2001 Veröffentlichung einer viel beachteten 'Walter Ulbricht'-Biografie.
Bibliographische Angaben
- Autor: Mario Frank
- 2001, 536 Seiten, mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, mit Abbildungen, Maße: 14,5 x 22 cm, Leinen, Deutsch
- Verlag: Siedler
- ISBN-10: 3886807207
- ISBN-13: 9783886807208
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