We are Anonymous
Die Maske des Protests - Wer sie sind, was sie antreibt, was sie wollen
Sie nennen sich "Anonymous". Sie haben keinen Anführer, und sie kennen keine Gesetze. Sie unterstützen WikiLeaks und den arabischen Frühling. Sie kämpfen gegen Scientology und Internetsperren. Sie hacken und demonstrieren. Aber der...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „We are Anonymous “
Sie nennen sich "Anonymous". Sie haben keinen Anführer, und sie kennen keine Gesetze. Sie unterstützen WikiLeaks und den arabischen Frühling. Sie kämpfen gegen Scientology und Internetsperren. Sie hacken und demonstrieren. Aber der virtuelle Protest materialisiert sich längst auch auf der Straße, wo er in Gestalt der "Occupy Wall Street"-Proteste oder in der "Occupy-Frankfurt"-Bewegung sichtbar wird. Auch in der Türkei, in Griechenland, in Spanien, wo sich der revolutionäre Impetus der Netz-Jugend mit der bitteren Enttäuschung über das Versagen der Politik in der Finanz- und Währungskrise vermischt: Überall sieht man plötzlich Anonymous-Masken. Doch woher kommen die Namenlosen, und was wollen sie erreichen? Dieses Buch erklärt das Phänomen "Anonymous" und stellt es in einen größeren Kontext.
Lese-Probe zu „We are Anonymous “
We are Anonymous von Ole Reißmann, Christian Stöcker und Konrad LischkaEinleitung
»Wir sind Anonymous. Wir sind Legion. Wir vergeben nicht. Wir vergessen nicht. Rechnet mit uns!«
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Sie hacken die Rechnersysteme von Großkonzernen, blockieren Websites, kämpfen für die Freiheit des Internets, protestieren vor Büros der Scientology-Sekte. Nebenbei machen sie ordinäre Späße und brillante Witze, mit denen sie die Internet-Kultur prägen. Namenlose aus dem Netz, versteckt hinter dem Schleier der Anonymität, eine Armee aus dem Untergrund. Wer ins Visier des Web-Kollektivs Anonymous gerät, kann es mit dem Zorn von Tausenden zu tun bekommen. Im besten Fall schicken sie komplett schwarze Faxe, Lieferwagen voller Pizza oder legen Websites mit massenhaften Abfragen lahm. Dann ist Anonymous eine Horde rücksichtsloser Trolle, die sich in Vandalismus ergeht.
Sie können aber auch anders. In Mexiko verschafften Anonymous-Anhänger sich Zehntausende E-Mails von Beamten, Politikern und Behördenmitarbeitern in der Absicht, Korruption und Kooperation mit den Drogenkartellen aufzudecken. Aktivisten der Untergrundarmee griffen auch die Server von Polizeibehörden in den Vereinigten Staaten an und veröffentlichten Namen, Anschriften und andere Informationen über Ordnungshüter. In Deutschland ersetzten sie die Website der GEMA durch eine höhnische Botschaft, und auch in Österreich publizierten Anonymous-Anhänger E-Mails von Polizisten. In den Fokus der angriffslustigen Netzbewohner kann nahezu jeder geraten. Ein Mob selbsternannter Anonymous-Rächer machte es sich zur Aufgabe, einen Tierquäler in Litauen zu outen, der einen Hund von einer Brücke geworfen hatte. Ausgehend von einem Clip auf YouTube machten sich die Namenlosen gemeinsam auf die Suche, identifizierten den vermeintlichen Täter, hetzten ihm Polizei und Tierschutz auf den Hals, kontaktierten seine Facebook-Freunde und betrieben Telefonterror. Doch sie hatten den Falschen erwischt. Wer heute im Netz nach dem Namen des Unschuldigen sucht, findet weiterhin einen angeblichen Hundemörder.'
Sie sind nicht nur im Internet. Die weiße Grinsemaske, das Erkennungszeichen von Anonymous, ist inzwischen bei Demonstrationen weltweit zu sehen - ob es nun gegen die Finanzindustrie in Europa und den USA geht, gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, ob gegen die Atomenergie demonstriert wird oder für Datenschutz und Bürgerrechte. Regelmäßig stehen die Maskenträger (oft in schwarzem Anzug und weißem Hemd) vor den Büros von Scientology und protestieren gegen die Praktiken der Psychosekte. Was vor mehr als fünf Jahren im Internet begann, hat längst den Weg auf die Straße gefunden. Anonymous ist jetzt überall. In Mexiko, in der Türkei und in Kalifornien, in Australien und in Österreich.
Manchmal verfolgt Anonymous ein übergeordnetes Ziel, eine schlichte Vorstellung von Gerechtigkeit. Immer geht es um die Freiheit des Internets, ohne Kontrolle, Schranken, Regeln. Unternehmen und Behörden, die das Netz zivilisieren wollen, fordern in den Augen der Aktivisten Angriffe heraus. Die selbsterklärten Anhänger von Anonymous betrachten es als ihre Pflicht, ihr Netz gegen Eindringlinge zu verteidigen. Doch Anonymous ist nicht nur eine Art Web-Guerilla, sondern gleichzeitig eine Subkultur, in der vor allem Späße und Streiche, die sogenannten lulz zählen. »Lulz« kommt von »Laughing out loud« (lautes Lachen) beziehungsweise von der gängigen Internet-Abkürzung dafür: lol. Viele Aktionen haben kein übergeordnetes Ziel, Hauptsache, es gibt etwas zu lachen. Das macht Anonymous unberechenbar - und unheimlich.
Mal setzen sich die Aktivisten für die Netzfreiheit ein und enttarnen fragwürdige Aufträge von Behörden an Sicherheitsfirmen, was ihnen den Respekt vieler Netznutzer und die Sympathie der Presse einbringt. Lange bevor die Medien in Europa und den USA von den Aufständischen in Tunesien und Ägypten berichteten, waren Anonymous-Aktivisten bereits engagiert - mit WebsiteBlockaden, Hacker-Angriffen und Propaganda. Mal sind sie die Helden des digitalen Zeitalters, die Jedi-Ritter des Internets, sozialkritische Aktivisten. Im nächsten Moment aber fallen sie über ein zufällig ausgewähltes Opfer her, einen armen Tor, und lachen über ihre anarchischen Späße.
»Wir sind Anonymous. Wir sind Legion.« So beginnt ihre Beschwörungsformel, eine Allmachtsphantasie mit biblischer Anspielung. »Legion ist mein Name, denn wir sind viele«, sagt im Markus-Evangelium ein von Dämonen Besessener. Jesus Christus treibt die »unreinen Geister« aus und schickt sie in eine Herde von Schweinen, die sich anschließend in einem See selbst ertränken. Anonymous als die unreinen, unsteten Geister des Internets - das trifft es ganz gut, obwohl das Bibelzitat vermutlich eher wegen seiner sprachlichen Wucht als aufgrund theologischer Erwägungen gewählt wurde. Auch die Wahl ihrer Verkleidung sagt viel über die Richter und Henker des Webs aus: Die Grinsemaske stammt aus dem Comic »V wie Vendetta«, in dem ein kostümierter Freiheitskämpfer gegen einen Big-Brother-Staat bombt, agitiert und dabei selbst zum Monster wird. Die Wachoswki-Brüder, die auch die »Matrix«-Trilogie schufen, schrieben das Drehbuch zur Hollywood-Adaption. Erinnern soll die Maske wiederum an Guy Fawkes, einen katholischen Terroristen, der im Jahre 1605 das britische Parlament in die Luft sprengen wollte und in Großbritannien bis heute verabscheut, von manchen aber auch gefeiert wird. Anonymous ist auch ein Spiel mit Zeichen und Symbolen - immer mehrdeutig, verwirrend, ein bisschen gruselig.
Wer denkt sich so etwas aus? Die an Kitsch grenzende Sprache, die aufgeladenen Symbole? Wer steckt hinter Anonymous? Journalisten schreiben aufgeregt von »Super-Hackern«, wenn wieder einmal eine Aktion angekündigt wird. Dabei kennen sich viele Anhänger allenfalls gut mit dem Computer aus, das Knacken von Firewalls und Servern beherrschen wohl nur einige wenige. Viele gehen normalen Berufen nach, arbeiten als Lehrer oder sind bei Unternehmen angestellt. Studenten sind darunter, Arbeitslose, Teenager. So unterschiedlich wie die Aktionen der Web-Guerilla sind auch ihre Anhänger. Einige Anhänger haben ihre Anonymität inzwischen verloren: Ermittler kamen ihnen auf die Schliche, in mehreren Ländern sind Menschen im Gefängnis gelandet, weil sie bei Angriffen im Netz ihre digitalen Spuren nicht gut genug verwischt hatten.
Anonymous ist keine Gruppe, bei der man Mitglied werden kann, sondern eine - manchmal ziemlich vage - Idee, der man sich zugehörig fühlt. In Foren und Chats nehmen die Anhänger Kontakt zu Gleichgesinnten auf und schließen sich spontan einer Operation an. Oder sie rufen gleich selbst eine Aktion aus. Anonymous-Anhänger wehren sich vehement gegen die Bezeichnungen »Gruppe« und »Mitglied«. Vergleichen lässt sich das am ehesten mit der Umweltbewegung oder den Atomkraftgegnern: Auch hierbei handelt es sich eher um Sammelbewegungen, niemand ist Mitglied bei den Atomkraftgegnern. Stattdessen gibt es diverse mehr oder weniger lose Gruppen und Bündnisse mit einem gemeinsamen Nenner. Das Spektrum, der Hintergrund der Anti-Atom-Demonstranten, könnte vielfältiger kaum sein. Es gibt aktionsorientierte Jugendliche, die aus dem gesamten Bundes gebiet nach Gorleben reisen, um dort die Bahnstrecke zu sabotieren, auf der Atommüll transportiert werden soll. Es gibt pazifistische Bürgerbewegungen, radikale Bauern, die Kirche, atomkraftkritische Ärzte - und so weiter. Anonymous ist in diesem Punkt ähnlich - in vielen anderen aber ganz anders.
Wer bei Anonymous mitmacht, gibt seine Identität vorübergehend ab. Im Internet nutzen die Aktivisten Pseudonyme, ausgedachte Namen. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, in mehr oder weniger versteckten Chaträumen. Manifeste und Pamphlete, von denen es zahllose gibt, werden oft gemeinsam verfasst, dann arbeiten mehrere Dutzend Anonymous-Anhänger gleichzeitig an solchen Dokumenten, natürlich über das Internet, ohne dass sie einander vorher schon einmal begegnet sein müssten. Wer sich als Anführer aufspielt, wird ermahnt und bei notorischer Geltungssucht selbst zur Zielscheibe. Mit etwas Pech auch außerhalb des Internets. Mit mehr Glück sucht sich die Person einfach ein neues Pseudonym und macht weiter. Für diese Form der losen Verabredung und gemeinsamer Werte verwenden die Anonymous-Aktivisten den Begriff »Kollektiv«.
Was ist Anonymous nun? Ein Kollektiv der Namenlosen, das Label einer Idee, ein wildgewordener Mob selbstherrlicher Internet-Rowdys, eine Kultur? Was hält Anonymous zusammen, unter welchen Voraussetzungen schwingen sich die Anhänger zu einer gemeinsamen Operation auf? Was wollen die Namenlosen? Antworten auf diese Fragen gibt dieses Buch. Es beschreibt eine geheimnisvolle Subkultur, ihre Codes und Praktiken. Es zeigt, wie Anonymous eine neue Protestkultur entwickeln konnte, die ohne das Internet so nicht möglich wäre. Es skizziert ein Kollektiv, das sich ständig streitet, dazulernt, sich zurückbesinnt - und gegenüber abweichenden Meinungen aggressiv reagieren kann.
Dazu haben wir uns auf die Suche nach Anonymous gemacht. Wir haben Namenlose in Chats getroffen und uns mit ihnen in Kneipen verabredet, haben Nächte in ihren Webforen verbracht, Videos des Kollektivs angesehen und Manifeste gelesen. Wir haben die Reaktionen der Öffentlichkeit beobachtet, die der Gegner von Anonymous und die von Behörden. Wir haben zugehört, Fragen gestellt und uns zwischenzeitlich auch mal verwirren lassen.
Weil sich jeder Anonymous nennen kann, ist das Kollektiv voller Widersprüche. Die Web-Aktivisten neigen zur schamlosen Übertreibung ebenso wie zum Understatement. Zunächst stellte sich Anonymous uns als durchgedrehtes, launisches Kleinkind dar, dann als chaotischer Haufen großmäuliger Besserwisser. Erst allmählich entstand das Bild einer der aufregendsten Entwicklungen des Internets der Gegenwart, jenseits von Auktionsplattform, Buchversand und Videochat. Anonymous ist eine internationale Bewegung, wie es sie noch nie gegeben hat.
Muss man Anonymous ernst nehmen? Immer wieder kündigen Unbekannte Aktionen mit viel Pomp an - die Vernichtung von Facebook, einen Volksaufstand in den USA -, von denen Wochen später niemand mehr redet. Manche Appelle versanden, bevor sie an Fahrt aufnehmen, weil jeder im Namen von Anonymous einen Angriff ausrufen kann. Das lockt Trittbrettfahrer an. Der Anonymous-Schwarm hat jedoch ein gutes Gespür dafür, welche Aktionen sich lohnen können, welche durchführbar sind.
Als wir dieses Buch geschrieben haben, im Dezember 2011, befanden sich weite Teile des Kollektivs in einer Art Wartezustand. Die Anonymous-Masken waren Teil der weltweiten Proteste gegen die Finanzbranche geworden, Demonstranten zelteten in vielen Städten in der Kälte, wenn die Lager nicht von der Polizei aufgelöst wurden oder es die frierenden Aktivisten ins Warme zog. Die einzigartige, zwischen Wut und wildem Spaß oszillierende Protestkultur der Maskenträger richtete sich nun auch gegen Bankmanager und gegen Polizisten, die allzu bereitwillig zum Pfefferspray greifen. Unterdessen gingen Teile der Anonymous-Armee im Netz weiter ihren üblichen Spielchen und Streichen nach, trieben Schabernack, griffen arglose Webnutzer an, auf der Suche nach lulz.
Doch fangen wir von vorne an. Im Jahr 2005, in einem obskuren Internet-Forum, in dem Homer und Bart Simpson miteinander Sex haben - der ersten Station unserer Recherche im Niemandsland.
1. Ursuppe 4chan.
Anonymous lernt sich kennen
»Über /b/ spricht man nicht.«
Es gibt wohl keinen anderen Ort im Internet, an dem Genialität und Grauen so nah beieinanderliegen. Jeder kann sehr leicht an diesen Ort gelangen, doch noch immer verirren sich vergleichsweise wenige dorthin. Zum Glück, könnte man sagen. Man möchte seinen Eltern beispielsweise nicht dazu raten, die Adresse 4chan.org/b/ mit dem Webbrowser anzusteuern. Es würde sie verstören, ratlos und angewidert zurücklassen, was dort ständig auftaucht und schnell auch wieder verschwindet. Eine Momentaufnahme aus 4chan: das Ultraschallbild eines Babys, eine Meerjungfrau mit blauer Haut und Elfenohren, jede Menge Pornobilder - viele von Amateuren, manche mit gestellten Vergewaltigungen, nicht wenige mit halbtoten Oktopussen. Das Foto eines Fleischwolfs, dazu der Text »This is a Fleischwolf. It wolfes Fleisch.« Anime-Bildchen von Mädchen in Schuluniform, krakelige Zeichnungen mit kryptischen Texten. Das Angebot, jemanden ausfragen zu können, dessen Genitalwarzen gerade vereist wurden. So sieht ein ganz normaler Tag auf /b/ aus, einem von rund 50 Unterforen des millionenfach abgerufenen bulletin boards 4chan. Nutzer können dort Texte oder Bilder einstellen, ganz ohne Anmeldung, standardmäßig anonym, statt eines Namens wird als Autor eines jeden Beitrags »Anonymous« aufgeführt. Andere Nutzer kommentieren die Beiträge oder tragen eigene Bilder bei.
4chan ist die Quelle von Anonymous, einer heute internationalen Bewegung, die Regierungen herausfordert, von Ermittlungsbehörden gejagt wird, die sich mit Drogenkartellen anlegt und Großkonzerne das Fürchten lehrt. Das alles begann im täglichen, anarchischen und manchmal auch sehr lustigen Chaos von 4chan.
Ja, lustig kann 4chan auch sein. Da wären zum Beispiel die Lolcats - niedliche Katzenfotos mit absurden Sprüchen und möglichst vielen Grammatikfehlern. »I Can Has Cheezburger?« ist das bekannteste. Das Bild zeigt eine niedliche, etwas pummelige graue Katze, die arglos in die Kamera zu lächeln scheint, kombiniert mit diesem Satz in schiefem Englisch, auf das Bild gesetzt in kräftigen weißen Großbuchstaben. Die ersten solcher Katzenfotos tauchten 2005 auf 4chan auf. Vornehmlich samstags wurden Beiträge mit harmlosen Tierfotos zwischen all den Anstößigkeiten veröffentlicht. Der Caturday war geboren - Katzen am Samstag. Zwei Jahre später waren die Katzenfotos mit den Sprüchen praktisch überall im Web. Immer neu kombiniert, mit aktuellen Anspielungen auf andere Internet-Trends. Die Lolcats sind zum globalen Phänomen geworden, ein paar Jahre nach der Cheeseburger-Katze lachte das russischsprachige Web über eigene Katzenwitze: Neben einem andächtig starrenden weißen Kätzchen steht in kyrillischer Schrift: »Ich habe Putin gesehen!«
Für diese Art der Kulturverbreitung über Weitergabe und Remixe hat sich der Begriff Mem etabliert. Die Bezeichnung hat der Biologe Richard Dawkins einst erfunden, um seine These von den »egoistischen Genen«, die sich durch die Menschheitsgeschichte hindurch fortpflanzen möchten, auf Ideen auszuweiten. Ein Mem ist Dawkins zufolge ein Gedanke, ein Konzept, eine Theorie, die sich von Kopf zu Kopf verbreitet. Je haftender, je widerstandsfähiger und je fortpflanzungsfähiger sie ist, desto größer ist ihre Überlebenschance. Der Katholizismus ist demnach ein Mem - ein besonders mächtiges -, aber auch der Gedanke, dass alle Menschen gleich und frei geboren sind, Verschwörungstheorien ebenso wie die leicht surrealen running gags, die 4chan über die Jahre am laufenden Band hervorgebracht hat. Dass das Internet die ideale Überlebensmaschine für Meme ist, sagte Dawkins in einem »Spiegel«-Interview3 schon 1998 voraus.
So kam es dann auch: Im Netz breiten sich Ideen, Bilder, Videos und Witze virusartig aus. Werbeagenturen bemühen sich, für ihre Kunden virale Videos oder Websites zu lancieren - für die massenhafte Verbreitung sorgen die Internet-Nutzer im besten Falle selbst, das Buchen teurer Anzeigenspots entfällt. Wer die Mechanismen dahinter versteht, kann zum Millionär werden - - so wie Ben Huh. Er hatte 1999 ein Journalistikstudium an der berühmten Northwestern University nahe Chicago abgeschlossen und war überzeugt davon, dass durch das Internet enorme Veränderungen bevorstanden. Eine eigene Firma scheiterte, danach arbeitete er bei mehreren Unternehmen - acht Jahre später stieß er zufällig auf eine Website namens »I Can Has Cheezburger?«, auf der Katzenfotos gesammelt wurden. Er freundete sich mit den beiden Betreibern an, trieb Investoren auf und machte aus dem Hype ein Geschäft. Die Nutzer stellen die Inhalte kostenlos bereit, Huh verkauft Werbung - mittlerweile betreibt er ein regelrechtes Blog-Imperium für Mem-Vermarktung, mit 75 Mitarbeitern und zahlreichen Seiten. Nicht wenige der Trends, die Huh und andere Unternehmer zu Geld machen, haben ihren Ursprung auf 4chan.
Beispielsweise das Rickrolling, ein spätestens seit 2007 verbreiteter Brauch im Web. Nutzer werden unter einem Vorwand dazu gebracht, auf einen Link zu klicken. Zu sehen gibt es dann aber nicht die versprochenen Nacktfotos oder Enthüllungen, sondern das Musikvideo zu Rick Astleys »Never Gonna Give You Up«, einem Popsong aus den achtziger Jahren, der trotz eingängiger Melodie und Föhnfrisuren fast in Vergessenheit geraten war. Rick Astley gehörte damals wie Kylie Minogue und andere zu Recht vergessene Acts wie Mel and Kim oder Sonia zum Stall der britischen Hit-Fabrikanten Stock, Aitken und Waterman. Ein seelenloses Stück Plastikpop aus den Achtzigern, nicht schön, aber ein bösartig hartnäckiger Ohrwurm - ein ideales Stück Internet-Gemeinheit. Mehr als 40 Millionen Mal wurde der YouTube-Clip bis heute abgerufen, meistens vermutlich nicht mit Vorsatz. Durch den Internet-Hype wurde Rick Astley, der sich schon lange zuvor in den Ruhestand verabschiedet hatte, erneut zum Star. Auf einer Parade zum Thanksgiving Day in New York trat Astley 2008 als Überraschungsgast auf. Sogar das Weiße Haus hat das Rickrolling für sich entdeckt. Im Juli 2011 beschwerte sich ein Nutzer des Kurznachrichtendienstes Twitter genervt über die dröge Finanzpolitik. Die Antwort der mächtigen Regierungszentrale an ihn und die rund 2,3 Millionen Abonnenten des Twitter-Accounts @whitehouse: »Finanzpolitik ist wichtig, kann aber manchmal trocken sein. Hier ist etwas Lustigeres.« Darauf folgte ein abgekürzter Link, dessen Ziel sich erst nach einem Klick offenbarte: das Video zu »Never Gonna Give You Up«.
Der US-Journalist Cole Stryker hat in seinem Buch über 4chan, »Epic win for Anonymous«, den typischen Lebenszyklus eines Mems beschrieben. Über lange Zeit war Stryker professionell auf der Suche nach Memen. Sieben typische Phasen gibt es ihm zufolge im Lebenszyklus einer Internet-Idee. Irgendjemand stellt etwas Neues ins Web, etwa ein Video oder ein Bild: die Geburt. Bis zum nächsten Schritt, der Entdeckung, können Monate oder sogar Jahre vergehen. Irgendwann stellt nun jemand dieses Foto oder Video auf ein Forum wie 4chan - und mit etwas Glück provoziert der Beitrag Hunderte Kommentare. Wenn es ein Bild ist, wird es mit einem Programm bearbeitet, mit einem bereits existierenden Mem gemischt oder mit Text versehen. Videos werden ge-remixt. Verlässt so ein Mem 4chan, steht die nächste Stufe an: Aggregation. Auf Seiten wie Reddit oder Digg können solche Beiträge eingetragen werden, die Nutzer stimmen mit einem Klick über die Popularität ab. Schafft es ein Mem nach weit oben und gewinnt so zusätzliches Publikum, folgt die nächste Stufe: Mundpropaganda. Das Publikum von Reddit und Digg entdeckt das Mem, binnen Stunden wird darüber auf Twitter und in Blogs geschrieben. Gerade im Zeitalter der sozialen Medien, in der Ära von Twitter und Facebook, sind solche kleinen Humor-Häppchen das ideale Futter für die tägliche Netzplauderei, Fundstücke, die Internetnutzer an ihre Freunde und Bekannten weiterreichen, genauso wie man einen Witz weitererzählen würde - nur dass das Verlinken eines lustigen Bildchens viel einfacher ist.
Erfolgreiche Meme schaffen es in die Top-Listen von Twitter und Google. Bekannte Blogs schreiben darüber, sammeln ein, was es bereits für Variationen gibt, und versehen das Ganze mit ein wenig Kontext. Diese Blogs werden von den Mainstream-Medien beobachtet, die über besonders lustige oder abstoßende Meme berichten. Der nächste Schritt schließlich gelingt nur in Ausnahmefällen: die Kommerzialisierung, zum Beispiel, wenn Beteiligte im Fernsehen oder in der Werbung auftreten. »Tron Guy« beispielsweise, ein leicht übergewichtiger Programmierer namens Jay Maynard, wurde 2004 berühmt, weil er sich ein Kostüm mit leuchtenden Mustern darauf bastelte, wie sie in den achtziger Jahren im Film »Tron« vorkamen. Er sah mit seiner Stahlrandbrille und seinem akkurat gestutzten Schnurrbärtchen rein gar nicht aus wie ein Filmheld und wurde so zunächst zur Lachnummer. Dann aber wuchst der Ruhm des »Tron Guy« so stark, dass er schließlich in TV-Sendungen auftreten durfte. Heute dreht Maynard Werbespots für Klebeband - natürlich immer noch in seinem »Tron«-Kostüm. Der Autor Stryker zählt noch einen achten Schritt im Mem-Zyklus auf, den Tod - muss aber selbst einräumen, dass Meme zwar irgendwann alt werden, aber kaum mehr ganz verschwinden.
4chan ist eine Mem-Schleuder, eine Brutstätte für solche ansteckenden Ideen, aber auch ein abgründiger Ort, an dem Scheußlichkeiten, rassistische und sexistische Tiraden und Bilder weit jenseits der Grenzen des guten Geschmacks veröffentlicht werden. Eine Zensur findet kaum statt - nur Kinderpornografie ist nicht erlaubt. Und wenn doch mal etwas Gesetzwidriges auftaucht, bleibt es nicht lang. Threads bei 4chan überleben üblicherweise nicht länger als eine Stunde. Es gibt nur Platz für eine gewisse Anzahl von Threads, und neue Beiträge verdrängen die alten. Meist dauert es vier Minuten, bis ein Thread wieder verschwunden ist, haben Forscher des Massachusetts Institute of Technology und der University of Southampton errechnet. In diesen ewigen Strom tauchen die Nutzer kurz ein. Wer eine Stunde später 4chan aufruft, sieht schon eine komplett andere Seite.
Die karge Architektur der Plattform brachte die Nutzer im Laufe der Jahre dazu, praktisch jedes ihrer wenigen Details für Spiele und anderes zu nutzen. So bekommt beispielsweise jedes Posting eine eindeutige, mittlerweile neunstellige Nummer zugewiesen. Welche Nummer das eigene Posting bekommen wird, ist nicht vorherzusagen - wer dennoch korrekt ankündigt, sein Beitrag werde mit einer Schnapszahl enden, darf sich der Anerkennung der übrigen Anwesenden sicher sein. Wie für fast alles innerhalb von 4chan gibt es auch für dieses Schnapszahl-Spiel eine ganze Reihe von Spezialausdrücken (»doubles!«), damit assoziierten Bildern und ritualisierte Antwort-Phrasen. Das Resultat sind für Uneingeweihte nahezu unverständliche Stakkato-Konversationen, gespickt mit rätselhaften Abkürzungen und absichtlich falsch geschriebenen Wörtern. Über den konkreten Ablauf solcher Spiele und ihre konkreten Folgen, über Eingriffe der Forums-Moderatoren wird wiederum erbittert diskutiert und gestritten.
Das Webdesign von 4chan ist archaisch - aber eine ganze Reihe veritabler Internet-Trends ist dort entstanden, gerade weil die Seite nur begrenzte Möglichkeiten vorgibt. Ein typisches Zahlenspiel sieht etwa so aus: Ein Nutzer (genannt OP für original poster) eröffnet einen Thread und kündigt an: »Die Antwort, deren Nummer mit 82 endet, darf entscheiden, welches YouTube-Video wir mit >RIP<-Botschaften trollen« - der Sieger darf also entscheiden, wer in YouTube-Kommentaren von 4chan-Provokateuren für tot erklärt wird, in der Hoffnung, dass möglichst viele ahnungslose Zuschauer diese Behauptung glauben.
Wenn ein Nutzer ein Nacktfoto seiner Freundin auf 4chan einstellt, mit der Bitte um Ratschläge, weil sie ihn angeblich nicht oral befriedigen will, kann das eine zehnseitige Debatte hervorrufen, angereichert mit weiteren, zunehmend drastischen Bildern und immer wüsteren gegenseitigen Beschimpfungen der Teilnehmer. Das populärste Unterforum von 4chan ist /b/, ein Sammelbecken, an dem pro Tag allein mehrere Hunderttausende Beiträge rauschen. Weil auf /b/ mehr Beiträge auflaufen als in allen anderen Boards zusammen, ist mit einem Verweis auf 4chan meistens /b/ gemeint. Andere Ecken des Bilder-Boards sind harmloser - dort wird über Autos diskutiert, über Manga-Comics und Animes, über Essen oder, leidenschaftlich, über Computerspiele. /b/ ist die Anarcho-Zone, ohne gesetztes Thema und (fast) ohne Tabus.
Eigentlich darf über /b/ selbst nicht gesprochen werden, so besagen es die ersten beiden »Regeln des Internets«, der Rules of the internet, einer Sammlung von auf 4chan häufig auftauchenden Sprüche.' Mindestens 65 Punkte umfasst die Liste mittlerweile. Das Sprechverbot erinnert an die ersten beiden Regeln des Fight Clubs aus dem gleichnamigen Roman von Chuck Palahniuk, den später Regisseur David Fincher verfilmte. In »Fight Club« irrt die Hauptfigur schlaflos mit multipler Persönlichkeitsstörung umher und sammelt eine Truppe konsumfeindlicher Terroristen um sich, die zunächst absurde Streiche ausheckt, um schließlich mit dem »Project Chaos« den Versuch zu unternehmen, die bestehende Ordnung zu vernichten. Das erinnert gleich in mehrfacher Hinsicht an 4chan und Anonymous. Die erste Regel des Fight Club ist: »You don't talk about Fight Club.« Die zweite Regel lautet: »You don't talk about Fight Club.« Wenn im Netz irgendwo ein Verweis auf 4chan auftaucht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Kommentator in Großbuchstaben auf »RULES NO. 1 & 2!« verweist.
Die Teilnehmer des 4chan-Unterforums /b/ nennen sich selbst /b/tards, in Anlehnung an retards, was so viel wie »geistig zurückgeblieben« bedeutet. Immerhin ist der Humor demokratisch, man nimmt sich selbst nicht von den Gemeinheiten aus, die man anderen angedeihen lässt. Die meisten 4chan-Nutzer sind zur Ironie fähig und wissen sehr gut, wie 4chan auf Außenstehende wirkt. Die Welt von 4chan selbst aber ist dunkel, verwirrend und seltsam, wie das Innenleben eines verwirrten Provinz-Teenagers um drei Uhr morgens.
Eine typische Begrüßungsformel auf /b/: »Bist du ein Mädchen? Du kennst die Regeln. Hol sie raus.« Der Umgangston ist mehr als gewöhnungsbedürftig. Gibt sich eine Frau als solche zu erkennen oder veröffentlicht jemand das Bild seiner bekleideten Freundin, heißt es sofort: »Tits or GTFO«, entweder zeigst du uns deine Brüste, oder mach, dass du wegkommst. Auch das ist eine der vielen inoffiziellen Regeln des Boards. Neulinge werden als newfags tituliert, als Neuschwuchteln. Homosexuell, das ist bei 4chan ein Schimpfwort, Nicht-Weißen schlägt Rassismus entgegen. Ebenso verbreitet ist Antisemitismus in jeder Form. Vor allem der Begrifffag hat es den 4chan-Nutzern angetan, in immer neuen Kombinationen. 4chan-Chronist Cole Stryker sieht darin vor allem den Wunsch zu schockieren, möglichst abstoßend zu sein - allein schon, um die newfags zu verschrecken, die auf dem Board auftauchen, wenn sich wieder einmal jemand über die Regeln Nummer eins und zwei hinweggesetzt hat.
Auch die Kombination niggerfaggot, eine der wohl anstößigsten Beleidigungen der englischen Sprache, gehört auf 4chan zum Standardvokabular. Für die überwiegend männliche und weiße Nutzerschaft sei es nichts weiter als ein Spiel - so herabwürdigend Sprüche und Sprache auch seien, bringen 4chan-Verteidiger dazu vor.
Gleichzeitig gibt es immer wieder Beiträge auf 4chan, die diesem Eindruck entgegenstehen. So berichtet etwa ein schwarzer Mann, der mit seiner weißen Frau seit Jahren im US-Bundesstaat Texas lebt, vom alltäglichen Terror der wenig toleranten Mitmenschen. Und dieser Autor erhält ernsthafte Kommentare als Antwort. Im nächsten Moment zieht 4chan aber schon wieder über nigger her. Die oft weißen 4chan-Nutzer bekommen so das, was sie zu ihrer Erheiterung so dringend brauchen: moralische Empörung. Niemand könne auf /b/ Toleranz erwarten, schreibt Stryker. Nicht-Weiße hätten es schwer, auf 4chan akzeptiert zu werden - so sie sich denn zu erkennen geben und nicht wie die meisten Nutzer hinter Pseudonymen oder eben dem Label »Anonymous« ver- stecken.
Ähnlich ergeht es Frauen, in der 4chan-Sprache femanons: »Das Verhältnis zwischen 4chan und Frauen ist komisch und traurig«, schreibt Stryker. Auf 4chan posten manche Bilder mit einem aktuellen Datum, woraufhin in Kommentaren Brüste eingefordert werden. »In dem Moment, wo die Frauen das Gewünschte zeigen, werden sie ausgebuht.« Der Mob knüpft sich regelmäßig Frauen vor, die einerseits niedlich, andererseits nervig erscheinen. Manche steigen darauf ein, wie die Teenagerin Catherine W., die 2007 unter Pseudonym ein Video bei YouTube veröffentlicht hatte, in dem sie ein wenig debil in die Kamera grinst. Ein Jahr später entdeckte jemand den Clip, er kursierte in Foren und erreichte schließlich 4chan. /b/tards spürten W. über ihr MySpace-Profil auf und begannen, sie zu stalken. Ihre Mischung aus Naivität und Niedlichkeit zog die Trolle an. Eine Weile galt »Boxxy« als die »Königin von 4chan«, während andere gleichzeitig auf wüsteste Weise über sie herzogen. Mehrfach schrieb sie daraufhin selbst Nachrichten auf 4chan, offenbar fasziniert von der Reaktion der Nutzer. Von Boxxy genervte 4chan-Nutzerinnen posteten damals Nacktbilder von sich mit auf die Haut geschriebenen Hassbotschaften.
Die Schock-Strategie haben Subkulturen seit jeher genutzt, um sich vom Mainstream abzugrenzen. Der Effekt nutzt sich jedoch schnell ab - man sehe sich nur die deutschen Rapper Sido und Bushido an. In bestimmten Stilrichtungen des Hip-Hops, vornehmlich dem aus der Hauptstadt, gehören Zeilen wie »Berlin wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel« zum guten Ton. Bushido bekam trotz solcher Liedtexte im Jahr 2011 einen Integrationspreis verliehen - der Schlagersänger Heino gab daraufhin empört seine Auszeichnung, die er vom selben Veranstalter Jahre zuvor bekommen hatte, zurück. Die richtig große öffentliche Empörung blieb allerdings aus, dass Rapper gegen Schwule hetzen, wird schulterzuckend hingenommen. Gibt es einen Unterschied zwischen 4chan und den AggroRappern? Meinen Letztere es womöglich ernst? Schwer zu sagen, aber letztlich ist die Intention egal, wenn sich jemand durch die Sprüche herabgesetzt und beleidigt fühlt. 4chan immerhin ist in seiner Aggression schon wieder fast diskriminierungsfrei: Hier kann es praktisch jeden treffen. Internet-Regel Nummer sechs: »Anonymous kann ein schreckliches, gefühlloses, kaltschnäuziges Monstrum sein.« Und weil jedes Posting anonym ist, weiß man nicht einmal, ob sich da nicht gerade jemand selbst beschimpft. Das sei alles Teil des Spiels, erklärt ein deutscher 4chan-Veteran, es gehe immer nur um die Provokation. Was nicht heißt, dass zwischen all dem gespielten Hass auch das eine oder andere Posting von einem echten Rassisten, Homophoben oder Frauenhasser steht.
Beim Ton gegenüber Frauen ähneln sich Rapper und 4chanNutzer: In beiden Subkulturen geben Männer den Ton an, Frauen sind zunächst einmal Sexobjekte. Noch etwas teilen Hip-Hop und Anonymous: An beide werden von außen zum Teil überzogene Erwartungen herangetragen. Bei den Rappern war es die Hoffnung des Mainstreams, die Musiker aus prekären Verhältnissen würden ihre Popularität für Sozialkritik nutzen - aber dann rappten die dem Ghetto Entkommenen doch wieder nur von Blingbling, dicken Autos und Huren. Auch Anonymous wird später mit Freude Erwartungen an die vermeintlichen Weltverbesserer unterlaufen -- weswegen es umso wichtiger ist, die Ursprünge der lulz in den 4chan-Foren nicht aus dem Blick zu verlieren. Lulz, das ist der Spaß am Unfug, an böswilligen Späßen, an der Aktion, der Überraschung und vor allem: am Effekt.
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Copyright © 2012 by Wilhelm Goldmann Verlag, Mönchen,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Sie hacken die Rechnersysteme von Großkonzernen, blockieren Websites, kämpfen für die Freiheit des Internets, protestieren vor Büros der Scientology-Sekte. Nebenbei machen sie ordinäre Späße und brillante Witze, mit denen sie die Internet-Kultur prägen. Namenlose aus dem Netz, versteckt hinter dem Schleier der Anonymität, eine Armee aus dem Untergrund. Wer ins Visier des Web-Kollektivs Anonymous gerät, kann es mit dem Zorn von Tausenden zu tun bekommen. Im besten Fall schicken sie komplett schwarze Faxe, Lieferwagen voller Pizza oder legen Websites mit massenhaften Abfragen lahm. Dann ist Anonymous eine Horde rücksichtsloser Trolle, die sich in Vandalismus ergeht.
Sie können aber auch anders. In Mexiko verschafften Anonymous-Anhänger sich Zehntausende E-Mails von Beamten, Politikern und Behördenmitarbeitern in der Absicht, Korruption und Kooperation mit den Drogenkartellen aufzudecken. Aktivisten der Untergrundarmee griffen auch die Server von Polizeibehörden in den Vereinigten Staaten an und veröffentlichten Namen, Anschriften und andere Informationen über Ordnungshüter. In Deutschland ersetzten sie die Website der GEMA durch eine höhnische Botschaft, und auch in Österreich publizierten Anonymous-Anhänger E-Mails von Polizisten. In den Fokus der angriffslustigen Netzbewohner kann nahezu jeder geraten. Ein Mob selbsternannter Anonymous-Rächer machte es sich zur Aufgabe, einen Tierquäler in Litauen zu outen, der einen Hund von einer Brücke geworfen hatte. Ausgehend von einem Clip auf YouTube machten sich die Namenlosen gemeinsam auf die Suche, identifizierten den vermeintlichen Täter, hetzten ihm Polizei und Tierschutz auf den Hals, kontaktierten seine Facebook-Freunde und betrieben Telefonterror. Doch sie hatten den Falschen erwischt. Wer heute im Netz nach dem Namen des Unschuldigen sucht, findet weiterhin einen angeblichen Hundemörder.'
Sie sind nicht nur im Internet. Die weiße Grinsemaske, das Erkennungszeichen von Anonymous, ist inzwischen bei Demonstrationen weltweit zu sehen - ob es nun gegen die Finanzindustrie in Europa und den USA geht, gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, ob gegen die Atomenergie demonstriert wird oder für Datenschutz und Bürgerrechte. Regelmäßig stehen die Maskenträger (oft in schwarzem Anzug und weißem Hemd) vor den Büros von Scientology und protestieren gegen die Praktiken der Psychosekte. Was vor mehr als fünf Jahren im Internet begann, hat längst den Weg auf die Straße gefunden. Anonymous ist jetzt überall. In Mexiko, in der Türkei und in Kalifornien, in Australien und in Österreich.
Manchmal verfolgt Anonymous ein übergeordnetes Ziel, eine schlichte Vorstellung von Gerechtigkeit. Immer geht es um die Freiheit des Internets, ohne Kontrolle, Schranken, Regeln. Unternehmen und Behörden, die das Netz zivilisieren wollen, fordern in den Augen der Aktivisten Angriffe heraus. Die selbsterklärten Anhänger von Anonymous betrachten es als ihre Pflicht, ihr Netz gegen Eindringlinge zu verteidigen. Doch Anonymous ist nicht nur eine Art Web-Guerilla, sondern gleichzeitig eine Subkultur, in der vor allem Späße und Streiche, die sogenannten lulz zählen. »Lulz« kommt von »Laughing out loud« (lautes Lachen) beziehungsweise von der gängigen Internet-Abkürzung dafür: lol. Viele Aktionen haben kein übergeordnetes Ziel, Hauptsache, es gibt etwas zu lachen. Das macht Anonymous unberechenbar - und unheimlich.
Mal setzen sich die Aktivisten für die Netzfreiheit ein und enttarnen fragwürdige Aufträge von Behörden an Sicherheitsfirmen, was ihnen den Respekt vieler Netznutzer und die Sympathie der Presse einbringt. Lange bevor die Medien in Europa und den USA von den Aufständischen in Tunesien und Ägypten berichteten, waren Anonymous-Aktivisten bereits engagiert - mit WebsiteBlockaden, Hacker-Angriffen und Propaganda. Mal sind sie die Helden des digitalen Zeitalters, die Jedi-Ritter des Internets, sozialkritische Aktivisten. Im nächsten Moment aber fallen sie über ein zufällig ausgewähltes Opfer her, einen armen Tor, und lachen über ihre anarchischen Späße.
»Wir sind Anonymous. Wir sind Legion.« So beginnt ihre Beschwörungsformel, eine Allmachtsphantasie mit biblischer Anspielung. »Legion ist mein Name, denn wir sind viele«, sagt im Markus-Evangelium ein von Dämonen Besessener. Jesus Christus treibt die »unreinen Geister« aus und schickt sie in eine Herde von Schweinen, die sich anschließend in einem See selbst ertränken. Anonymous als die unreinen, unsteten Geister des Internets - das trifft es ganz gut, obwohl das Bibelzitat vermutlich eher wegen seiner sprachlichen Wucht als aufgrund theologischer Erwägungen gewählt wurde. Auch die Wahl ihrer Verkleidung sagt viel über die Richter und Henker des Webs aus: Die Grinsemaske stammt aus dem Comic »V wie Vendetta«, in dem ein kostümierter Freiheitskämpfer gegen einen Big-Brother-Staat bombt, agitiert und dabei selbst zum Monster wird. Die Wachoswki-Brüder, die auch die »Matrix«-Trilogie schufen, schrieben das Drehbuch zur Hollywood-Adaption. Erinnern soll die Maske wiederum an Guy Fawkes, einen katholischen Terroristen, der im Jahre 1605 das britische Parlament in die Luft sprengen wollte und in Großbritannien bis heute verabscheut, von manchen aber auch gefeiert wird. Anonymous ist auch ein Spiel mit Zeichen und Symbolen - immer mehrdeutig, verwirrend, ein bisschen gruselig.
Wer denkt sich so etwas aus? Die an Kitsch grenzende Sprache, die aufgeladenen Symbole? Wer steckt hinter Anonymous? Journalisten schreiben aufgeregt von »Super-Hackern«, wenn wieder einmal eine Aktion angekündigt wird. Dabei kennen sich viele Anhänger allenfalls gut mit dem Computer aus, das Knacken von Firewalls und Servern beherrschen wohl nur einige wenige. Viele gehen normalen Berufen nach, arbeiten als Lehrer oder sind bei Unternehmen angestellt. Studenten sind darunter, Arbeitslose, Teenager. So unterschiedlich wie die Aktionen der Web-Guerilla sind auch ihre Anhänger. Einige Anhänger haben ihre Anonymität inzwischen verloren: Ermittler kamen ihnen auf die Schliche, in mehreren Ländern sind Menschen im Gefängnis gelandet, weil sie bei Angriffen im Netz ihre digitalen Spuren nicht gut genug verwischt hatten.
Anonymous ist keine Gruppe, bei der man Mitglied werden kann, sondern eine - manchmal ziemlich vage - Idee, der man sich zugehörig fühlt. In Foren und Chats nehmen die Anhänger Kontakt zu Gleichgesinnten auf und schließen sich spontan einer Operation an. Oder sie rufen gleich selbst eine Aktion aus. Anonymous-Anhänger wehren sich vehement gegen die Bezeichnungen »Gruppe« und »Mitglied«. Vergleichen lässt sich das am ehesten mit der Umweltbewegung oder den Atomkraftgegnern: Auch hierbei handelt es sich eher um Sammelbewegungen, niemand ist Mitglied bei den Atomkraftgegnern. Stattdessen gibt es diverse mehr oder weniger lose Gruppen und Bündnisse mit einem gemeinsamen Nenner. Das Spektrum, der Hintergrund der Anti-Atom-Demonstranten, könnte vielfältiger kaum sein. Es gibt aktionsorientierte Jugendliche, die aus dem gesamten Bundes gebiet nach Gorleben reisen, um dort die Bahnstrecke zu sabotieren, auf der Atommüll transportiert werden soll. Es gibt pazifistische Bürgerbewegungen, radikale Bauern, die Kirche, atomkraftkritische Ärzte - und so weiter. Anonymous ist in diesem Punkt ähnlich - in vielen anderen aber ganz anders.
Wer bei Anonymous mitmacht, gibt seine Identität vorübergehend ab. Im Internet nutzen die Aktivisten Pseudonyme, ausgedachte Namen. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, in mehr oder weniger versteckten Chaträumen. Manifeste und Pamphlete, von denen es zahllose gibt, werden oft gemeinsam verfasst, dann arbeiten mehrere Dutzend Anonymous-Anhänger gleichzeitig an solchen Dokumenten, natürlich über das Internet, ohne dass sie einander vorher schon einmal begegnet sein müssten. Wer sich als Anführer aufspielt, wird ermahnt und bei notorischer Geltungssucht selbst zur Zielscheibe. Mit etwas Pech auch außerhalb des Internets. Mit mehr Glück sucht sich die Person einfach ein neues Pseudonym und macht weiter. Für diese Form der losen Verabredung und gemeinsamer Werte verwenden die Anonymous-Aktivisten den Begriff »Kollektiv«.
Was ist Anonymous nun? Ein Kollektiv der Namenlosen, das Label einer Idee, ein wildgewordener Mob selbstherrlicher Internet-Rowdys, eine Kultur? Was hält Anonymous zusammen, unter welchen Voraussetzungen schwingen sich die Anhänger zu einer gemeinsamen Operation auf? Was wollen die Namenlosen? Antworten auf diese Fragen gibt dieses Buch. Es beschreibt eine geheimnisvolle Subkultur, ihre Codes und Praktiken. Es zeigt, wie Anonymous eine neue Protestkultur entwickeln konnte, die ohne das Internet so nicht möglich wäre. Es skizziert ein Kollektiv, das sich ständig streitet, dazulernt, sich zurückbesinnt - und gegenüber abweichenden Meinungen aggressiv reagieren kann.
Dazu haben wir uns auf die Suche nach Anonymous gemacht. Wir haben Namenlose in Chats getroffen und uns mit ihnen in Kneipen verabredet, haben Nächte in ihren Webforen verbracht, Videos des Kollektivs angesehen und Manifeste gelesen. Wir haben die Reaktionen der Öffentlichkeit beobachtet, die der Gegner von Anonymous und die von Behörden. Wir haben zugehört, Fragen gestellt und uns zwischenzeitlich auch mal verwirren lassen.
Weil sich jeder Anonymous nennen kann, ist das Kollektiv voller Widersprüche. Die Web-Aktivisten neigen zur schamlosen Übertreibung ebenso wie zum Understatement. Zunächst stellte sich Anonymous uns als durchgedrehtes, launisches Kleinkind dar, dann als chaotischer Haufen großmäuliger Besserwisser. Erst allmählich entstand das Bild einer der aufregendsten Entwicklungen des Internets der Gegenwart, jenseits von Auktionsplattform, Buchversand und Videochat. Anonymous ist eine internationale Bewegung, wie es sie noch nie gegeben hat.
Muss man Anonymous ernst nehmen? Immer wieder kündigen Unbekannte Aktionen mit viel Pomp an - die Vernichtung von Facebook, einen Volksaufstand in den USA -, von denen Wochen später niemand mehr redet. Manche Appelle versanden, bevor sie an Fahrt aufnehmen, weil jeder im Namen von Anonymous einen Angriff ausrufen kann. Das lockt Trittbrettfahrer an. Der Anonymous-Schwarm hat jedoch ein gutes Gespür dafür, welche Aktionen sich lohnen können, welche durchführbar sind.
Als wir dieses Buch geschrieben haben, im Dezember 2011, befanden sich weite Teile des Kollektivs in einer Art Wartezustand. Die Anonymous-Masken waren Teil der weltweiten Proteste gegen die Finanzbranche geworden, Demonstranten zelteten in vielen Städten in der Kälte, wenn die Lager nicht von der Polizei aufgelöst wurden oder es die frierenden Aktivisten ins Warme zog. Die einzigartige, zwischen Wut und wildem Spaß oszillierende Protestkultur der Maskenträger richtete sich nun auch gegen Bankmanager und gegen Polizisten, die allzu bereitwillig zum Pfefferspray greifen. Unterdessen gingen Teile der Anonymous-Armee im Netz weiter ihren üblichen Spielchen und Streichen nach, trieben Schabernack, griffen arglose Webnutzer an, auf der Suche nach lulz.
Doch fangen wir von vorne an. Im Jahr 2005, in einem obskuren Internet-Forum, in dem Homer und Bart Simpson miteinander Sex haben - der ersten Station unserer Recherche im Niemandsland.
1. Ursuppe 4chan.
Anonymous lernt sich kennen
»Über /b/ spricht man nicht.«
Es gibt wohl keinen anderen Ort im Internet, an dem Genialität und Grauen so nah beieinanderliegen. Jeder kann sehr leicht an diesen Ort gelangen, doch noch immer verirren sich vergleichsweise wenige dorthin. Zum Glück, könnte man sagen. Man möchte seinen Eltern beispielsweise nicht dazu raten, die Adresse 4chan.org/b/ mit dem Webbrowser anzusteuern. Es würde sie verstören, ratlos und angewidert zurücklassen, was dort ständig auftaucht und schnell auch wieder verschwindet. Eine Momentaufnahme aus 4chan: das Ultraschallbild eines Babys, eine Meerjungfrau mit blauer Haut und Elfenohren, jede Menge Pornobilder - viele von Amateuren, manche mit gestellten Vergewaltigungen, nicht wenige mit halbtoten Oktopussen. Das Foto eines Fleischwolfs, dazu der Text »This is a Fleischwolf. It wolfes Fleisch.« Anime-Bildchen von Mädchen in Schuluniform, krakelige Zeichnungen mit kryptischen Texten. Das Angebot, jemanden ausfragen zu können, dessen Genitalwarzen gerade vereist wurden. So sieht ein ganz normaler Tag auf /b/ aus, einem von rund 50 Unterforen des millionenfach abgerufenen bulletin boards 4chan. Nutzer können dort Texte oder Bilder einstellen, ganz ohne Anmeldung, standardmäßig anonym, statt eines Namens wird als Autor eines jeden Beitrags »Anonymous« aufgeführt. Andere Nutzer kommentieren die Beiträge oder tragen eigene Bilder bei.
4chan ist die Quelle von Anonymous, einer heute internationalen Bewegung, die Regierungen herausfordert, von Ermittlungsbehörden gejagt wird, die sich mit Drogenkartellen anlegt und Großkonzerne das Fürchten lehrt. Das alles begann im täglichen, anarchischen und manchmal auch sehr lustigen Chaos von 4chan.
Ja, lustig kann 4chan auch sein. Da wären zum Beispiel die Lolcats - niedliche Katzenfotos mit absurden Sprüchen und möglichst vielen Grammatikfehlern. »I Can Has Cheezburger?« ist das bekannteste. Das Bild zeigt eine niedliche, etwas pummelige graue Katze, die arglos in die Kamera zu lächeln scheint, kombiniert mit diesem Satz in schiefem Englisch, auf das Bild gesetzt in kräftigen weißen Großbuchstaben. Die ersten solcher Katzenfotos tauchten 2005 auf 4chan auf. Vornehmlich samstags wurden Beiträge mit harmlosen Tierfotos zwischen all den Anstößigkeiten veröffentlicht. Der Caturday war geboren - Katzen am Samstag. Zwei Jahre später waren die Katzenfotos mit den Sprüchen praktisch überall im Web. Immer neu kombiniert, mit aktuellen Anspielungen auf andere Internet-Trends. Die Lolcats sind zum globalen Phänomen geworden, ein paar Jahre nach der Cheeseburger-Katze lachte das russischsprachige Web über eigene Katzenwitze: Neben einem andächtig starrenden weißen Kätzchen steht in kyrillischer Schrift: »Ich habe Putin gesehen!«
Für diese Art der Kulturverbreitung über Weitergabe und Remixe hat sich der Begriff Mem etabliert. Die Bezeichnung hat der Biologe Richard Dawkins einst erfunden, um seine These von den »egoistischen Genen«, die sich durch die Menschheitsgeschichte hindurch fortpflanzen möchten, auf Ideen auszuweiten. Ein Mem ist Dawkins zufolge ein Gedanke, ein Konzept, eine Theorie, die sich von Kopf zu Kopf verbreitet. Je haftender, je widerstandsfähiger und je fortpflanzungsfähiger sie ist, desto größer ist ihre Überlebenschance. Der Katholizismus ist demnach ein Mem - ein besonders mächtiges -, aber auch der Gedanke, dass alle Menschen gleich und frei geboren sind, Verschwörungstheorien ebenso wie die leicht surrealen running gags, die 4chan über die Jahre am laufenden Band hervorgebracht hat. Dass das Internet die ideale Überlebensmaschine für Meme ist, sagte Dawkins in einem »Spiegel«-Interview3 schon 1998 voraus.
So kam es dann auch: Im Netz breiten sich Ideen, Bilder, Videos und Witze virusartig aus. Werbeagenturen bemühen sich, für ihre Kunden virale Videos oder Websites zu lancieren - für die massenhafte Verbreitung sorgen die Internet-Nutzer im besten Falle selbst, das Buchen teurer Anzeigenspots entfällt. Wer die Mechanismen dahinter versteht, kann zum Millionär werden - - so wie Ben Huh. Er hatte 1999 ein Journalistikstudium an der berühmten Northwestern University nahe Chicago abgeschlossen und war überzeugt davon, dass durch das Internet enorme Veränderungen bevorstanden. Eine eigene Firma scheiterte, danach arbeitete er bei mehreren Unternehmen - acht Jahre später stieß er zufällig auf eine Website namens »I Can Has Cheezburger?«, auf der Katzenfotos gesammelt wurden. Er freundete sich mit den beiden Betreibern an, trieb Investoren auf und machte aus dem Hype ein Geschäft. Die Nutzer stellen die Inhalte kostenlos bereit, Huh verkauft Werbung - mittlerweile betreibt er ein regelrechtes Blog-Imperium für Mem-Vermarktung, mit 75 Mitarbeitern und zahlreichen Seiten. Nicht wenige der Trends, die Huh und andere Unternehmer zu Geld machen, haben ihren Ursprung auf 4chan.
Beispielsweise das Rickrolling, ein spätestens seit 2007 verbreiteter Brauch im Web. Nutzer werden unter einem Vorwand dazu gebracht, auf einen Link zu klicken. Zu sehen gibt es dann aber nicht die versprochenen Nacktfotos oder Enthüllungen, sondern das Musikvideo zu Rick Astleys »Never Gonna Give You Up«, einem Popsong aus den achtziger Jahren, der trotz eingängiger Melodie und Föhnfrisuren fast in Vergessenheit geraten war. Rick Astley gehörte damals wie Kylie Minogue und andere zu Recht vergessene Acts wie Mel and Kim oder Sonia zum Stall der britischen Hit-Fabrikanten Stock, Aitken und Waterman. Ein seelenloses Stück Plastikpop aus den Achtzigern, nicht schön, aber ein bösartig hartnäckiger Ohrwurm - ein ideales Stück Internet-Gemeinheit. Mehr als 40 Millionen Mal wurde der YouTube-Clip bis heute abgerufen, meistens vermutlich nicht mit Vorsatz. Durch den Internet-Hype wurde Rick Astley, der sich schon lange zuvor in den Ruhestand verabschiedet hatte, erneut zum Star. Auf einer Parade zum Thanksgiving Day in New York trat Astley 2008 als Überraschungsgast auf. Sogar das Weiße Haus hat das Rickrolling für sich entdeckt. Im Juli 2011 beschwerte sich ein Nutzer des Kurznachrichtendienstes Twitter genervt über die dröge Finanzpolitik. Die Antwort der mächtigen Regierungszentrale an ihn und die rund 2,3 Millionen Abonnenten des Twitter-Accounts @whitehouse: »Finanzpolitik ist wichtig, kann aber manchmal trocken sein. Hier ist etwas Lustigeres.« Darauf folgte ein abgekürzter Link, dessen Ziel sich erst nach einem Klick offenbarte: das Video zu »Never Gonna Give You Up«.
Der US-Journalist Cole Stryker hat in seinem Buch über 4chan, »Epic win for Anonymous«, den typischen Lebenszyklus eines Mems beschrieben. Über lange Zeit war Stryker professionell auf der Suche nach Memen. Sieben typische Phasen gibt es ihm zufolge im Lebenszyklus einer Internet-Idee. Irgendjemand stellt etwas Neues ins Web, etwa ein Video oder ein Bild: die Geburt. Bis zum nächsten Schritt, der Entdeckung, können Monate oder sogar Jahre vergehen. Irgendwann stellt nun jemand dieses Foto oder Video auf ein Forum wie 4chan - und mit etwas Glück provoziert der Beitrag Hunderte Kommentare. Wenn es ein Bild ist, wird es mit einem Programm bearbeitet, mit einem bereits existierenden Mem gemischt oder mit Text versehen. Videos werden ge-remixt. Verlässt so ein Mem 4chan, steht die nächste Stufe an: Aggregation. Auf Seiten wie Reddit oder Digg können solche Beiträge eingetragen werden, die Nutzer stimmen mit einem Klick über die Popularität ab. Schafft es ein Mem nach weit oben und gewinnt so zusätzliches Publikum, folgt die nächste Stufe: Mundpropaganda. Das Publikum von Reddit und Digg entdeckt das Mem, binnen Stunden wird darüber auf Twitter und in Blogs geschrieben. Gerade im Zeitalter der sozialen Medien, in der Ära von Twitter und Facebook, sind solche kleinen Humor-Häppchen das ideale Futter für die tägliche Netzplauderei, Fundstücke, die Internetnutzer an ihre Freunde und Bekannten weiterreichen, genauso wie man einen Witz weitererzählen würde - nur dass das Verlinken eines lustigen Bildchens viel einfacher ist.
Erfolgreiche Meme schaffen es in die Top-Listen von Twitter und Google. Bekannte Blogs schreiben darüber, sammeln ein, was es bereits für Variationen gibt, und versehen das Ganze mit ein wenig Kontext. Diese Blogs werden von den Mainstream-Medien beobachtet, die über besonders lustige oder abstoßende Meme berichten. Der nächste Schritt schließlich gelingt nur in Ausnahmefällen: die Kommerzialisierung, zum Beispiel, wenn Beteiligte im Fernsehen oder in der Werbung auftreten. »Tron Guy« beispielsweise, ein leicht übergewichtiger Programmierer namens Jay Maynard, wurde 2004 berühmt, weil er sich ein Kostüm mit leuchtenden Mustern darauf bastelte, wie sie in den achtziger Jahren im Film »Tron« vorkamen. Er sah mit seiner Stahlrandbrille und seinem akkurat gestutzten Schnurrbärtchen rein gar nicht aus wie ein Filmheld und wurde so zunächst zur Lachnummer. Dann aber wuchst der Ruhm des »Tron Guy« so stark, dass er schließlich in TV-Sendungen auftreten durfte. Heute dreht Maynard Werbespots für Klebeband - natürlich immer noch in seinem »Tron«-Kostüm. Der Autor Stryker zählt noch einen achten Schritt im Mem-Zyklus auf, den Tod - muss aber selbst einräumen, dass Meme zwar irgendwann alt werden, aber kaum mehr ganz verschwinden.
4chan ist eine Mem-Schleuder, eine Brutstätte für solche ansteckenden Ideen, aber auch ein abgründiger Ort, an dem Scheußlichkeiten, rassistische und sexistische Tiraden und Bilder weit jenseits der Grenzen des guten Geschmacks veröffentlicht werden. Eine Zensur findet kaum statt - nur Kinderpornografie ist nicht erlaubt. Und wenn doch mal etwas Gesetzwidriges auftaucht, bleibt es nicht lang. Threads bei 4chan überleben üblicherweise nicht länger als eine Stunde. Es gibt nur Platz für eine gewisse Anzahl von Threads, und neue Beiträge verdrängen die alten. Meist dauert es vier Minuten, bis ein Thread wieder verschwunden ist, haben Forscher des Massachusetts Institute of Technology und der University of Southampton errechnet. In diesen ewigen Strom tauchen die Nutzer kurz ein. Wer eine Stunde später 4chan aufruft, sieht schon eine komplett andere Seite.
Die karge Architektur der Plattform brachte die Nutzer im Laufe der Jahre dazu, praktisch jedes ihrer wenigen Details für Spiele und anderes zu nutzen. So bekommt beispielsweise jedes Posting eine eindeutige, mittlerweile neunstellige Nummer zugewiesen. Welche Nummer das eigene Posting bekommen wird, ist nicht vorherzusagen - wer dennoch korrekt ankündigt, sein Beitrag werde mit einer Schnapszahl enden, darf sich der Anerkennung der übrigen Anwesenden sicher sein. Wie für fast alles innerhalb von 4chan gibt es auch für dieses Schnapszahl-Spiel eine ganze Reihe von Spezialausdrücken (»doubles!«), damit assoziierten Bildern und ritualisierte Antwort-Phrasen. Das Resultat sind für Uneingeweihte nahezu unverständliche Stakkato-Konversationen, gespickt mit rätselhaften Abkürzungen und absichtlich falsch geschriebenen Wörtern. Über den konkreten Ablauf solcher Spiele und ihre konkreten Folgen, über Eingriffe der Forums-Moderatoren wird wiederum erbittert diskutiert und gestritten.
Das Webdesign von 4chan ist archaisch - aber eine ganze Reihe veritabler Internet-Trends ist dort entstanden, gerade weil die Seite nur begrenzte Möglichkeiten vorgibt. Ein typisches Zahlenspiel sieht etwa so aus: Ein Nutzer (genannt OP für original poster) eröffnet einen Thread und kündigt an: »Die Antwort, deren Nummer mit 82 endet, darf entscheiden, welches YouTube-Video wir mit >RIP<-Botschaften trollen« - der Sieger darf also entscheiden, wer in YouTube-Kommentaren von 4chan-Provokateuren für tot erklärt wird, in der Hoffnung, dass möglichst viele ahnungslose Zuschauer diese Behauptung glauben.
Wenn ein Nutzer ein Nacktfoto seiner Freundin auf 4chan einstellt, mit der Bitte um Ratschläge, weil sie ihn angeblich nicht oral befriedigen will, kann das eine zehnseitige Debatte hervorrufen, angereichert mit weiteren, zunehmend drastischen Bildern und immer wüsteren gegenseitigen Beschimpfungen der Teilnehmer. Das populärste Unterforum von 4chan ist /b/, ein Sammelbecken, an dem pro Tag allein mehrere Hunderttausende Beiträge rauschen. Weil auf /b/ mehr Beiträge auflaufen als in allen anderen Boards zusammen, ist mit einem Verweis auf 4chan meistens /b/ gemeint. Andere Ecken des Bilder-Boards sind harmloser - dort wird über Autos diskutiert, über Manga-Comics und Animes, über Essen oder, leidenschaftlich, über Computerspiele. /b/ ist die Anarcho-Zone, ohne gesetztes Thema und (fast) ohne Tabus.
Eigentlich darf über /b/ selbst nicht gesprochen werden, so besagen es die ersten beiden »Regeln des Internets«, der Rules of the internet, einer Sammlung von auf 4chan häufig auftauchenden Sprüche.' Mindestens 65 Punkte umfasst die Liste mittlerweile. Das Sprechverbot erinnert an die ersten beiden Regeln des Fight Clubs aus dem gleichnamigen Roman von Chuck Palahniuk, den später Regisseur David Fincher verfilmte. In »Fight Club« irrt die Hauptfigur schlaflos mit multipler Persönlichkeitsstörung umher und sammelt eine Truppe konsumfeindlicher Terroristen um sich, die zunächst absurde Streiche ausheckt, um schließlich mit dem »Project Chaos« den Versuch zu unternehmen, die bestehende Ordnung zu vernichten. Das erinnert gleich in mehrfacher Hinsicht an 4chan und Anonymous. Die erste Regel des Fight Club ist: »You don't talk about Fight Club.« Die zweite Regel lautet: »You don't talk about Fight Club.« Wenn im Netz irgendwo ein Verweis auf 4chan auftaucht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Kommentator in Großbuchstaben auf »RULES NO. 1 & 2!« verweist.
Die Teilnehmer des 4chan-Unterforums /b/ nennen sich selbst /b/tards, in Anlehnung an retards, was so viel wie »geistig zurückgeblieben« bedeutet. Immerhin ist der Humor demokratisch, man nimmt sich selbst nicht von den Gemeinheiten aus, die man anderen angedeihen lässt. Die meisten 4chan-Nutzer sind zur Ironie fähig und wissen sehr gut, wie 4chan auf Außenstehende wirkt. Die Welt von 4chan selbst aber ist dunkel, verwirrend und seltsam, wie das Innenleben eines verwirrten Provinz-Teenagers um drei Uhr morgens.
Eine typische Begrüßungsformel auf /b/: »Bist du ein Mädchen? Du kennst die Regeln. Hol sie raus.« Der Umgangston ist mehr als gewöhnungsbedürftig. Gibt sich eine Frau als solche zu erkennen oder veröffentlicht jemand das Bild seiner bekleideten Freundin, heißt es sofort: »Tits or GTFO«, entweder zeigst du uns deine Brüste, oder mach, dass du wegkommst. Auch das ist eine der vielen inoffiziellen Regeln des Boards. Neulinge werden als newfags tituliert, als Neuschwuchteln. Homosexuell, das ist bei 4chan ein Schimpfwort, Nicht-Weißen schlägt Rassismus entgegen. Ebenso verbreitet ist Antisemitismus in jeder Form. Vor allem der Begrifffag hat es den 4chan-Nutzern angetan, in immer neuen Kombinationen. 4chan-Chronist Cole Stryker sieht darin vor allem den Wunsch zu schockieren, möglichst abstoßend zu sein - allein schon, um die newfags zu verschrecken, die auf dem Board auftauchen, wenn sich wieder einmal jemand über die Regeln Nummer eins und zwei hinweggesetzt hat.
Auch die Kombination niggerfaggot, eine der wohl anstößigsten Beleidigungen der englischen Sprache, gehört auf 4chan zum Standardvokabular. Für die überwiegend männliche und weiße Nutzerschaft sei es nichts weiter als ein Spiel - so herabwürdigend Sprüche und Sprache auch seien, bringen 4chan-Verteidiger dazu vor.
Gleichzeitig gibt es immer wieder Beiträge auf 4chan, die diesem Eindruck entgegenstehen. So berichtet etwa ein schwarzer Mann, der mit seiner weißen Frau seit Jahren im US-Bundesstaat Texas lebt, vom alltäglichen Terror der wenig toleranten Mitmenschen. Und dieser Autor erhält ernsthafte Kommentare als Antwort. Im nächsten Moment zieht 4chan aber schon wieder über nigger her. Die oft weißen 4chan-Nutzer bekommen so das, was sie zu ihrer Erheiterung so dringend brauchen: moralische Empörung. Niemand könne auf /b/ Toleranz erwarten, schreibt Stryker. Nicht-Weiße hätten es schwer, auf 4chan akzeptiert zu werden - so sie sich denn zu erkennen geben und nicht wie die meisten Nutzer hinter Pseudonymen oder eben dem Label »Anonymous« ver- stecken.
Ähnlich ergeht es Frauen, in der 4chan-Sprache femanons: »Das Verhältnis zwischen 4chan und Frauen ist komisch und traurig«, schreibt Stryker. Auf 4chan posten manche Bilder mit einem aktuellen Datum, woraufhin in Kommentaren Brüste eingefordert werden. »In dem Moment, wo die Frauen das Gewünschte zeigen, werden sie ausgebuht.« Der Mob knüpft sich regelmäßig Frauen vor, die einerseits niedlich, andererseits nervig erscheinen. Manche steigen darauf ein, wie die Teenagerin Catherine W., die 2007 unter Pseudonym ein Video bei YouTube veröffentlicht hatte, in dem sie ein wenig debil in die Kamera grinst. Ein Jahr später entdeckte jemand den Clip, er kursierte in Foren und erreichte schließlich 4chan. /b/tards spürten W. über ihr MySpace-Profil auf und begannen, sie zu stalken. Ihre Mischung aus Naivität und Niedlichkeit zog die Trolle an. Eine Weile galt »Boxxy« als die »Königin von 4chan«, während andere gleichzeitig auf wüsteste Weise über sie herzogen. Mehrfach schrieb sie daraufhin selbst Nachrichten auf 4chan, offenbar fasziniert von der Reaktion der Nutzer. Von Boxxy genervte 4chan-Nutzerinnen posteten damals Nacktbilder von sich mit auf die Haut geschriebenen Hassbotschaften.
Die Schock-Strategie haben Subkulturen seit jeher genutzt, um sich vom Mainstream abzugrenzen. Der Effekt nutzt sich jedoch schnell ab - man sehe sich nur die deutschen Rapper Sido und Bushido an. In bestimmten Stilrichtungen des Hip-Hops, vornehmlich dem aus der Hauptstadt, gehören Zeilen wie »Berlin wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel« zum guten Ton. Bushido bekam trotz solcher Liedtexte im Jahr 2011 einen Integrationspreis verliehen - der Schlagersänger Heino gab daraufhin empört seine Auszeichnung, die er vom selben Veranstalter Jahre zuvor bekommen hatte, zurück. Die richtig große öffentliche Empörung blieb allerdings aus, dass Rapper gegen Schwule hetzen, wird schulterzuckend hingenommen. Gibt es einen Unterschied zwischen 4chan und den AggroRappern? Meinen Letztere es womöglich ernst? Schwer zu sagen, aber letztlich ist die Intention egal, wenn sich jemand durch die Sprüche herabgesetzt und beleidigt fühlt. 4chan immerhin ist in seiner Aggression schon wieder fast diskriminierungsfrei: Hier kann es praktisch jeden treffen. Internet-Regel Nummer sechs: »Anonymous kann ein schreckliches, gefühlloses, kaltschnäuziges Monstrum sein.« Und weil jedes Posting anonym ist, weiß man nicht einmal, ob sich da nicht gerade jemand selbst beschimpft. Das sei alles Teil des Spiels, erklärt ein deutscher 4chan-Veteran, es gehe immer nur um die Provokation. Was nicht heißt, dass zwischen all dem gespielten Hass auch das eine oder andere Posting von einem echten Rassisten, Homophoben oder Frauenhasser steht.
Beim Ton gegenüber Frauen ähneln sich Rapper und 4chanNutzer: In beiden Subkulturen geben Männer den Ton an, Frauen sind zunächst einmal Sexobjekte. Noch etwas teilen Hip-Hop und Anonymous: An beide werden von außen zum Teil überzogene Erwartungen herangetragen. Bei den Rappern war es die Hoffnung des Mainstreams, die Musiker aus prekären Verhältnissen würden ihre Popularität für Sozialkritik nutzen - aber dann rappten die dem Ghetto Entkommenen doch wieder nur von Blingbling, dicken Autos und Huren. Auch Anonymous wird später mit Freude Erwartungen an die vermeintlichen Weltverbesserer unterlaufen -- weswegen es umso wichtiger ist, die Ursprünge der lulz in den 4chan-Foren nicht aus dem Blick zu verlieren. Lulz, das ist der Spaß am Unfug, an böswilligen Späßen, an der Aktion, der Überraschung und vor allem: am Effekt.
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Autoren-Porträt von Ole Reissmann, Christian Stöcker, Konrad Lischka
Dr. Christian Stöcker, geboren 1973, studierte Psychologie in Würzburg und Bristol sowie Theater-, Film- und Fernsehkritik an der Bayerischen Theaterakademie München. Er schrieb u.a. für die "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit"und "Spiegel Online". Seit 2004 ist er Redakteur in den Ressorts Wissenschaft und Netzwelt bei "Spiegel Online".Konrad Lischka arbeitet als Redakteur bei SPIEGEL ONLINE im Ressort Netzwelt, war von 2004 bis 2007 Redaktionsleiter, dann Chefredakteur des Literaturmagazins bücher. Er hat Bücher über Alltagstechnik veröffentlicht.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Ole Reissmann , Christian Stöcker , Konrad Lischka
- 2012, 250 Seiten, Maße: 12,6 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442102405
- ISBN-13: 9783442102402
Rezension zu „We are Anonymous “
"We are Anonymous erklärt den Ursprung und den Werdegang einer Bewegung, die als Antwort auf die zunehmende Regulierung des Internets weiter wächst."
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