Wenn die Magnolien wieder blühen
Nach Kriegsende jedoch taucht der Arzt überraschend in Magnolia Creek auf. Sara ist...
Nach Kriegsende jedoch taucht der Arzt überraschend in Magnolia Creek auf. Sara ist überglücklich, aber sie ist nicht mehr allein: Sie hat eine kleine Tochter und Dru ist nicht der Vater.
Wenn dieMagnolien wieder blühen von Jill MarieLandis
LESEPROBE
Auf der Ladefläche eines Fuhrwerks saß eine junge Frau in Witwenkleidungund betrachtete die vorüberziehende Landschaft durch einen wallenden,ebenholzschwarzen Schleier, der um die breite Krempe ihres schwarzen Hutesgeschlungen war. Das dichte Gewebe warf nicht nur einen bedrohlichen, dunklenSchatten über die Welt, sondern verbarg auch ihr kastanienbraunes Haar, ihrefein geschnittenen Züge, die klaren, blauen Augen und den dicken Bluterguss,der ihre linke Wange entstellte.
Sie hielt ihre schlafende Tochter im Arm, ein kleines Mädchenmit goldenen Engelslocken. Die Kleine war in einen dicken, schwarzen Schalgehüllt und spürte die kühle Spätfrühlingsluft ebenso wenig wie die ungeheureVerzweiflung ihrer Mutter.
Sara Collier Talbot war schon seit Tagen unterwegs. Von Ohioaus zu Fuß gen Süden aufgebrochen, über vom Krieg zerstörte Straßen, abseitsder niedergerissenen Brücken und der überfüllten Routen voll heimkehrenderSoldaten und befreiter Sklaven auf dem Weg nach Norden. Sie hatte, das Kind aufdem Arm, Fuhrleute angefleht, sie mitzunehmen auf ihren Fuhrwerken, auf vollbesetzten Planwagen, hoch oben auf Strohballen oder zwischen Warenfässergezwängt.
Sie hatte kein Heim, kein Geld, keinen Stolz, nichts als einenabgeschabten Ranzen mit einem sauberen Unterrock, zwei Kleidern für das Kind,ein paar Keksen und einem alten Brotkanten. Das einzig Kostbare, das sie besaß,war die kleine Elizabeth, die Frucht ihrer Schande.
Sie drückte ihre geliebte Tochter fester an sich und wundertesich, dass das Schicksal sie nach Magnolia Creek heimgeführt hatte.
Eine plötzliche Brise strich über die offenen Felder, und Sonnenstrahlenstreiften die Wipfel der Straßenbäume. Hinter der schützenden Anonymität desSchleiers musterte Sara den einzigen anderen Passagier, der außer ihr undLissybeth auf dem Karren mitfuhr.
Am anderen Ende der Ladefläche lag zusammengerollt ein ehemaligerSoldat in zerlumpter, grauer Wolle, den Resten einer Uniform der einst sostolzen Konföderationsarmee, der eher einem Skelett als einem Menschen glich.Er hatte nur genickt, als Sara auf den Wagen geklettert war, und war dann soforteingeschlafen. Doch so brauchte sie sich zum Glück nicht zu unterhalten.
Neben ihm auf den Wagenbrettern lag ein Paar zerkratzter, mitLappen gepolsterter Krücken. Sein rechter Fuß fehlte. Seine Wangen warenstopplig, und seine Augen lagen tief in violetten Höhlen.
Sara seufzte. Auf die eine oder andere Weise hatte der Kriegsie alle zu Krüppeln gemacht.
Sie wandte den Blick ab und starrte in die Landschaft hinaus:Inmitten weiter, jetzt brach liegender Felder erhoben sich sanfte Hügel mitWäldchen aus Tulpenbäumen, Platanen, Kastanien, Walnussbäumen. Hier und dakräuselte sich Rauch aus den Baumwipfeln und verriet, wo sich Hütten verbargen.
Die Landschaft hatte sich kaum verändert, seit sie siezuletzt gesehen hatte, anders als die Menschen, die auf den Straßen unterwegswaren.
Vor dem Krieg waren es meist Farmer, Kesselflicker, Händleroder durchreisende Familien gewesen, jetzt eher Kriegsflüchtlinge - darunterzahlreiche Konföderationssoldaten aus Kentucky, die man als Verräterdavongejagt hatte, nachdem die Staatsregierung der Union beigetreten war. Nun,ein endloses Jahr nach der Niederlage, befanden sich viele dieser Männerimmer noch auf dem Heimweg.
Außerdem waren viel mehr Farbige unterwegs. Ehemalige Sklaven,die nach dem ersten Freudentaumel über ihre Freiheit jetzt genau so benommenwirkten wie die weißen Kriegsopfer. Sie zogen über das Land und suchten nacheiner Möglichkeit zu überleben. Ihre Welt war aus den Fugen geraten, und vielenhatte die ungewohnte Freiheit Hunger und Heimatlosigkeit beschert.
Sara hatte fast all ihre Habseligkeiten für ihre schwarze Reisekleidunghergegeben. Im Süden waren zahllose Frauen zu Witwen geworden; auch im Norden,wenn man den Zeitungen Glauben schenken konnte. Der Anblick einer allein reisendenFrau in tristem Schwarz war demnach nichts Ungewöhnliches, und so würde sienicht weiter auffallen.
Am Stadtrand rumpelte das Fuhrwerk an dem alten Schild vorbei,auf dem es hieß: Willkommen in Magnolia Creek, Heimat der Talbot Mills, 381Einwohner. Offenbar hatte sich niemand die Mühe gemacht, das Schild zuberichtigen. Denn mindestens ein Mann würde nie wieder heimkehren, das war Saraschmerzlich bewusst. (...)
© 2004 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Übersetzung: Tamara Willmann
- Autor: Jill M. Landis
- 2004, 384 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Dtsch. v. Tamara Willmann
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499236419
- ISBN-13: 9783499236419
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