Wie in schönen Filmen
Wie in schönen Filmen von Friedrich Kröhnke
LESEPROBE
Am Weihnachtsabend 2002, der im Land des Königs Bhumipol ein Abend wie jeder andere war, ließ sich eineFrau namens Helen Herford von einem Astrologen auf dem SanamLuang die Zukunft deuten. Sie hockten zu dreien,Helen, ihr Gefährte und der kurzsichtige Astrologe, ein alter Grundschullehrermit einer armseligen Brille, der sich etwas dazuverdiente, auf einem Teppichauf dem großen ovalen staubigen Platz mit seinen spärlichen Resten zertretenenRasens. Er fragte nach dem Geburtstag, dem Geburtsjahr. Er studierte Tabellen,Mond und Sterne und kritzelte mit einem Kugelschreiber in ein Schulheft von Seven-Eleven.
»As about house«, sagte derfortune-teller, »you will have house. As about health. Youwill be healthy. As about love. Youwill have man.«
Zwei Jahre später, an Heiligabend 2004, rollte Helen ihren Koffer in denHausflur und schloß ihre Wohnungstür ab. Sie fuhr zuihrem Freund nach Berlin, um mit ihm zwischen den Jahren Urlaub zu machen, undwollte in zwei Wochen wieder in Köln sein.
Ich habe sie oft so gesehen, wie sie mit einem großen roten Koffer aufbrach,die Nachbarn kannten diesen Anblick. Sie ging sehr schnell, rollte den Kofferhinter sich her, ihre unauffällig gut gekleidete zierliche Gestalt, heute ineinem pelzähnlichen Mäntelchen und flauschigen Handschuhen, entfernte sichhüstelnd zur Stadtbahnstation. Sie war seit zehn Tagen schwer erkältet, hatteSchnupfen und Husten, eine schlimmere Bronchitis sogar als zurJahrtausendwende, als Friz in Prag lebte und sie imWinter dort hinkam. Damals war sie vor ihm in der Prager Wohnung gewesen, inder sie nicht herausbekam, wie die Heizung anging, hatte ihre Geschenke für denFriz aus dem Koffer geholt und sich, so gut es ging,stundenlang unter Wolldecken verkrochen, bis er kam.
Diesmal erwartete Friz sie am Bahnhof Zoo. Als er sieda stehen sah, schnitt ihm ihr Anblick ins Herz. Sie sah so sehr krank aus, under war mehrere Minuten zu spät, weil die U-Bahn unregelmäßig fuhr. Er küßte sie. Sie erzählte ihm von hartnäckigen Hustenanfällendie ganze Nacht, vom Laken, das klatschnaß vomSchweiß war. Sie schlug vor, ein Taxi zu seiner Wohnung an der Möckernbrücke zu nehmen, aber um Geld zu sparen, überredeteer sie, weil es doch genausoschnell ginge, mit derU-Bahn zu fahren.
Sie lag auf dem Sofa seines winzigen Apartments hoch über der Stadt mit demBlick auf den Potsdamer Platz und hatte wieder ihre Geschenke für ihn aus demKoffer geholt und aufgestellt. Als hinter den anderen Fenstern die Leute ihrenKindern bescherten, sahen sie sich von einer DVD Schnee auf dem Kilimandscharoan.
Friz hatte den Schnee auf dem Kilimandscharo aus dem Videodrom geholt. Sie sahen ihn beide nicht zum ersten Mal.Auf dem Sofa, wie hundertmal schon, saßen sie dicht beieinander, Helen untereiner Wolldecke.
Gregory Peck liegt auf seinem Feldbett im Camp und fiebert, und die Hyänenjaulen, und er führt zynische Reden. Er ist überzeugt, daßdas Flugzeug aus Nairobi nicht kommen und er an seiner Beinwunde verrecken wird.Susan Hayward sitzt voll Kummer dabei und will ihnermutigen und kann es nicht. Aber vor Gregory Pecks Augen zieht noch einmalsein Leben vorbei: Blumenmarkt auf der Place Contrescarpe, Bars in Madrid, Stierkämpfer, billige Hotels,in denen ein junges Ehepaar wohnt, das auf den literarischen Erfolg GregoryPecks hofft.
Schnee auf dem Kilimandscharo gilt als schlecht und ist es auch, und Helen und Friz wußten es. Auch wußten sie, daß Hemingway denFilm abgelehnt hat und daß bei ihm der Schriftstellerund Reisende und Ehemann an seiner zufälligen Beinwunde verreckt, wogegen imFilm für den Harry Street auf seinem Feldbett das Flugzeug aus Nairobirechtzeitig kommt.
Aber hier waren die Bilder, die sie liebten. Was sie so gern miteinander sahen,was sie so gern nebeneinander lasen. Fremde Länder, Hotels, Liebe, Tod undKrieg.
Die dunkel lockende Welt. Tania Blixen liebt denAbenteurer Finch-Hatton. Dann ist er plötzlich tot,alles für immer vorbei.
Helen strengte es an, den Film zu sehen, und schlug vor, ihn nächste Woche,nach ihrer Reise, zu Ende anzuschauen.
»Denn jetzt kriegst du erst einmal Gabeln«, sagte sie. Sie sagte immer Gabelnfür Geschenke, Gaben.
Ihre vielen Geschenke für den Friz, immer mehr, alser für sie hatte ... Wie meistens Düfte und Duschgels von bekannten Marken. Aufseinen Wunsch Alle Wege sind offen von Annemarie Schwarzenbach. Hüttenschuhefür ihre Winterreise. Die Geschenke waren in Weihnachtspapier verpackt. Esstrengte sie an, sie aus dem Koffer zu holen, doch war ihr daran gelegen. EinBild auf Holz, auf einem Markt gefunden, einen Vogel ihrer Ansicht nach oder,wie er meinte, ein Gespenst darstellend. Vögel und Gespenster liebten beide so.Und es war eine von Helens größten Freuden, FrizGabeln mitzubringen.
»Gib mir deine morgen«, sagte sie. Sie sei zu müde.
Ihr war die Tage schon so schwach, daß sie dachte,sie gehe ins Krankenhaus. Und das wegen einer Erkältung! Frizmeinte, sie sollte sich gründlich untersuchen lassen. Andererseits täte ihr dasHotel in Tallinn vielleicht gut, die Ruhe, der Komfort ...
»Ich war ja bei meiner Ärztin, sie hat mich doch untersucht. Mit der Lungejedenfalls ist nichts!«
Er räumte am Morgen den dreieckigen Küchentisch frei und stellte dort den aufHolz gemalten Vogel (oder das Gespenst) auf und den Bildband über Lotte Lenya,den er ihr geschenkt hatte, damit sie Lotte Lenya sei und er ihr glatzköpfigerWeill, und »Alle Wege sind offen« von Annemarie Schwarzenbach und die Düfte unddas Duschgel von Hugo Boss.
Den Nachmittag über saß sie unter der Wolldecke auf dem Sofa und schaute dieFotografien von Lotte Lenya an und überlegte wohl, ob sie wegfahren solltenoder nicht. »Tallinn liegt doch wohl am Meer?« fragtesie. »Dann möchte ich, wegen der Seeluft, daß wirreisen.«
© Ammann Verlag & Co., Zürich. Alle Rechtevorbehalten.
- Autor: Friedrich Kröhnke
- 2007, 1, 156 Seiten, Maße: 13 x 20,5 cm, Leinen, Deutsch
- Verlag: Ammann
- ISBN-10: 3250601144
- ISBN-13: 9783250601142
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