Wiedersehen mit Afrika
Doch in den Jahren hat sich das Land verändert und trotz der Vertrautheit der Menschen bekommt Stella plötzlich Sehnsucht nach England.
Doch in den Jahren hat sich das Land verändert und trotz der Vertrautheit der Menschen bekommt Stella plötzlich Sehnsucht nach England.
Wiedersehen mitAfrika von Stefanie Zweig
LESEPROBE
Die Pforte zuAfrikas Paradies
öffnet sich nurdenen, die
nicht nach hinten schauen
Dein Bauch wird jeden Tag dicker und das Loch in deinem Kopf immer größer«,tadelte Lilly auf dem steinigen Pfad, der von dem versiegenden Brunnen zu dem Affenbrotbaummit der traurigen Geschichte führte. »Vielleicht sollten wir wieder einmalenglisch sprechen. Suaheli frisst dir deinen letzten Verstand weg. Wenn du soweitermachst, wird dein Kind so dumm wie du.«
»Glücklich«, widersprach Stella, »Menschen ohne Verstand sind glücklicherals die Klugen. Das habe ich schon als Kind festgestellt.«
Die Hitze einer Trockenzeit, die schon längst hätte vor-bei sein müssen,war noch intensiver und drückender als an den schwülen Tagen zuvor. Selbst dieschwarzen Vögel mit dem langen gelben Schnabel, die ihren Flügeln zwischenSonnenaufgang und dem Anbruch der Nacht nur selten Ruhe gönnten, hocktenverstummt auf den morschen Ästen der durstenden Dornakazien. Schweiß tropftein kleinen violetten Perlen von Lillys Stirn und ihren bloßen Schultern.
»Dieser steile Weg«, sorgte sie sich weiter und schlug wütend nach denfetten Fliegen auf ihren Schultern, »ist der reinste Wahnsinn für dich. Duatmest so schwer wie eine Elefantenkuh mit Husten.«
»Mit Liebeskummer«, keuchte Stella. »Und sag jetzt nur nicht, dassträchtige Elefantenkühe keinen Liebeskummer haben. Den Punkt haben wir vorgenau achtzehn Jahren und neununddreißig Minuten geklärt. Mithilfe meinesVaters, wie gerade du dich erinnern solltest. Immerhin hat er ja für dich dieweinende Elefantenkönigin mit dem Taschentuch aus Bananenblättern gemalt. Michhat er mit einem kleinen blauen Schmetterling abgespeist. Vorsicht, Mylady,eben hättest du um ein Haar gelächelt. Also, ich finde, wenn wir miteinanderenglisch reden, bist du besonders missgestimmt. Außerdem bringt es nichts. Hiererfährt doch jeder alles, ehe man es ausgesprochen hat.«
»Und das merkst du erst jetzt?«
»Quatsch! Schau, Lilly, gerade nach dieser herrlichen Neugierde, die ichimmer als Anteilnahme empfunden habe, habe ich mich zurückgesehnt, als ichmeine diskreten Landsleute und den rücksichtsvoll wortkargen Vater meinesungeborenen Kindes verließ. Fernando hat mich noch nicht einmal gefragt, ob icheinen Rückflugschein in meiner Handtasche hatte, obwohl er es brennend gerngewusst hätte.«
In einem unerwarteten Moment von Wehmut erschien es Stella, als würde dieFreundin endlich mit ihr lachen, laut und lustvoll und fordernd wie zur Zeit,als sie Kinder gewesen waren und auf das Echo gewartet hatten. Lilly schütteltejedoch mit gespielter Bekümmerung den Kopf. »In unserem ersten Leben«, rügtesie, blieb stehen und zeichnete mit ihrem großen Zeh ein gleichschenkeligesDreieck in die krümelige Erde, »hast du sehr gut gewusst, dass du keineKikuyufrau bist. Madame hat schon als Zwölfjährige Zeitung gelesen, wenn siewissen wollte, was in der Welt passierte, und sie hat nicht auf die Trommeln imBusch gelauert. Ich habe dich damals schrecklich beneidet. Nie wärst du aufdie Idee gekommen, wegen eines kreischenden Radios in der Mittagshitze einenBerg hinaufzuhetzen. Und jetzt kapierst du noch nicht einmal mehr, dass es indiesem verdammten Teil der Welt, der dich um die Ruhe gebracht hat, keine Ärztegibt. Weiß der Teufel, ob meine Mutter noch die berühmte Schere hat, von derwir als Kinder gar nicht genug hören konnten.«
Stella griff ungewohnt scheu nach Lillys Hand und dann energisch nach derVergangenheit. Sie hatte immer Freude an einer rasch herbeigeführten Einverständlichkeitgehabt; der Freundin indes hatte es schon als Vierjährige Vergnügen bereitet,aus unbedeutenden Streitereien wütende Attacken zu machen.
»Du hast Recht«, besänftigte Stella. »Die kluge Lilly hatte ja immer Recht.Ich begreife auch nicht, warum ich immerzu dicke Bäuche und kleine Kinder ummich haben will, aber Chebeti hat mich getröstet. Sie sagt, das geht den meistenFrauen beim ersten Mal so.«
»Meine Mutter hat dich immer getröstet und dir das gesagt, was du hörenwolltest«, spottete Lilly, »deshalb lasse ich mir ja auch nicht ausreden, dassdu deinen reichen Großvater in London nur hast sitzen lassen, um in derAnbetung meiner Mutter zu baden.«
»Stimmt«, nickte Stella. »Der alte Griesgram hat mir schon beim Frühstückwidersprochen. Übrigens solltest du ihn nicht so oft erwähnen. Schwangerebekommen hässliche Kinder, wenn sie zu viel heulen. Komm, Lilly, lass gut seinund lach endlich auch mal. Irgendetwas muss dir doch am Leben gefallen.«
»Deine Fröhlichkeit, Stella, und dass du ein Kind geblieben bist.«
»Täusch dich nicht. Ich bin durch die Hölle gegangen. Die Hölle derEinsamkeit und der Liebe.«
Jeden Tag um die Zeit des kürzesten Schattens versammelten sich die jungenMütter und schwangeren Frauen aus den Häuschen mit den Wellblechdächern amRande der Ortschaft Nyahururu auf einer kleinen Anhöhe. Morgens kletterten dortdie munteren Klippschliefer auf den Felsen herum und nachmittags die Paviane.In der klaren Mittagsluft konnten die Augen von Menschen auf Safari zum MountKenya gehen, ohne dass sich Wolken und Nebel wie herrische Polizisten denTräumern in den Weg stellten. Sobald Stella und Lilly am Gebüsch mit den zartenvioletten Blüten auftauchten, wurde jubelnd ein altmodisches Radio angestellt.Das Gerät aus den fünfziger Jahren stand auf einem kleinen, seit der Ankunftder bewunderten Gäste weiß gestrichenen Schemel und steckte in einemhellblauen, im Laufe von vielen Jahren von Ameisen angenagten Lederetui. Eswar während Kenias Kampf um Unabhängigkeit von zwei britischen Offizieren untereinem Baum vergessen worden. Sie hatten auf einer Farm einen Mord an einemjungen Viehhirten aus dem Stamm der Lumbwa untersuchen sollen und waren ohneErgebnis sehr plötzlich abgefahren.
Nur eine Hand voll Menschen wusste noch, dass der heitere junge Hirte Mbojaund sein Mörder, ein pockennarbiger Kikuyu, Njerere geheißen hatte; das alteKofferradio aber spielte noch so klar wie zu den Zeiten, da es im Dienst derbritischen Armee gestanden hatte. So mancher Fremde aus Nairobi oder Mombasa,der nach Nyahururu kam, um Arbeit und Verwandte zu suchen, und dort beidesnicht fand, berichtete bei der Rückkehr in die Städte von den Frauen am MountKenya, die Tag für Tag in allerbester Laune um ein betagtes Radio saßen. Solcheursprüngliche Heiterkeit von Menschen, die augenscheinlich sehr zufriedenwaren mit den bescheidenen Verhältnissen, in denen sie lebten, war nicht mehrtypisch für den Rhythmus des afrikanischen Lebens - nicht einmal in denabgelegenen Ortschaften, die noch nichts von der Hetzjagd der Städter nach Geldwussten und dass die neue Zeit ihren Herzen die Ruhe gestohlen hatte.
In Nyahururu galten schon Musik und die vertraute, auffallend tiefe Stimmeeines Rundfunksprechers als Ereignisse, die jeden Tag neu belebten. Zwar warenmittags die Nachrichten aus Nairobi in der Regel langweilig oderunverständlich, denn Katastrophen, dreiste Überfälle und die blutigsten Mordegeschehen ja meistens in der Nacht; und fast immer wurde vom Bösen und demSchmerz in der Welt bei Sonnenaufgang erzählt. Der Wetterbericht zurMittagsstunde entschädigte jedoch für die Monotonie der Tagesnachrichten, denner wurde von Fachleuten in Gilgil zusammengestellt und war für die Menschen imHochland sehr viel interessanter als Hinweise auf jahreszeitlich nicht erwarteteschwere Regenfälle in der Hauptstadt oder eine noch nie da geweseneDürrekatastrophe in Malindi.
Entscheidend für das Ritual der Frauen, das Stella seit dem ersten Tagihres Aufenthalts in Nyahururu faszinierte, war die Mittagsmusik. Dieentstammte ausschließlich der afrikanischen Welt, es gab keinen einzigenunverständlichen Song mit englischem Text. Der größte Teil der Interpreten sangSuaheli, einige wenige sogar Kikuyu; die Musik war so temperamentvoll, wie eseinst die jungen Massaikrieger gewesen waren, als sie noch Feinde undgefährliche Tiere und nicht das Geld der Touristen gejagt hatten.
Vor allem geschah es nur mittags, dass der Rundfunksprecher die schönenwundersamen Schauris von Menschen mit einem ungewöhnlichen Schicksal erzählte.Zu Beginn der Sendungen waren diese Menschen nicht anders als die Nachbarn undFreunde, die man seit der Kindheit kannte, doch am Ende waren diese vom weisenGott Mungu beglückten Fremden satt, sehr reich und berühmt geworden. Siewohnten in soliden Häusern mit großen Fenstern, festen Türen und Badewannen undToiletten in besonders dafür vorgesehenen Räumen. Bei Tisch ließen sie sich vonMenschen ihres eigenen Stammes bedienen, sie fuhren in Autos mit Schattenspendenden Gardinen bis nach Kisumu, bestiegen Schiffe in Mombasa undFlugzeuge in Nairobi. Die Männer hatten Krawatten aus Seide, die der Freundvom Radio so genau schilderte, dass man sie fast fühlen konnte. Die Frauentrugen europäische Kleider und - wie die viel bestaunte Lilly aus Nairobi -Schuhe aus farbigem Leder und mit dünnen Riemen. Vor allem aßen diese neuenReichen nichts von dem mehr, was in Nyahururu seit Generationen in dieSchüsseln gekommen war und immer noch in tiefen Töpfen auf dem offenen Feuergekocht wurde.
Mit geschlossenen Augen ließen sich die Frauen aus der einsamen Gegend amFuß des Mount Kenya von solchen animierenden Berichten zu den eigenen Träumenvon weichen Stoffen, süßem Brot und ewiger Zufriedenheit führen. Wenn sieweder den Himmel über dem Kopf noch die Erde unter den Füßen sahen, konnten siesich die Bilder, die ein immer freundlicher, stets gut gelaunter Mann mitWorten malte, genau vorstellen. Derweil lagen ihre Babys auf alten grauenDecken im gütigen Schatten jenes mächtigen Affenbrotbaums, in den vor vielenJahren in einer Schreckensnacht ein todbringender Blitz gefahren war.
©S. Fischer Verlag GmbH
Autoren-Porträt von Stefanie Zweig
StefanieZweig, geboren 1932 in Oberschlesien. 1938 Auswanderung nach Kenia - zusammenmit ihren Eltern - im Zuge der nationalsozialistischen Verfolgungen. Dortverlebte sie ihre Kindheit auf einer Farm. 1947 Rückkehr nach Deutschland. 30Jahre lang Leitung des Feuilletons einer Frankfurter Tageszeitung.
Interview mit Stefanie Zweig
Sie leben seit langer Zeit inFrankfurt, doch Ihre Kindheit in Kenia hat Sie zu mehreren Bestsellerninspiriert. Was haben Sie vor Augen, wenn Sie heute an Ihre Zeit in Afrikadenken?
Denke ichheute an Afrika, dann sehe ich die Farm in Ol Joro Orok am Fuße des MountKenia. Dort bin ich aufgewachsen, sah den Flachs blau blühen und den Walddunkel leuchten. Ich hörte das Gelächter von Menschen, die nicht fragten nachHerkunft und Stand, und ich teilte ihre Fröhlichkeit, ihre Sprache und abends,wenn vor den Hütten das Feuer entzündet wurde, mit ihnen ihr "Ugali", ein aus Mais steif gekochter Brei.
Die Protagonistin Ihres Romans,Stella, kehrt zurück in das Afrika ihrer Kindheit, wird dort jedoch nicht mehrheimisch. Warum nicht?
Stella, dieProtagonistin aus "Karibu heißtwillkommen", kehrt in der Fortsetzung "Wiedersehen in Afrika"nach Kenia zurück, doch sie muss erkennen, wie der Traum ihrer Jugend seineFarbe verloren hat. Weshalb? Weil die Welt nach Kenia gekommen ist und mit derTechnik der Moderne auch die Ungewissheit und Unsicherheit, die Begehrlichkeitund die Ängste derer, die für ihre Kinder eine Zukunft suchen.
Sind Sie auch einmal sozurückgekehrt nach Afrika?
Ich binimmer nur als Besucherin nach Kenia zurückgekehrt, wissend, dass der Traum,dort zu leben, für immer ein Tabu bleiben wird.
Was ist es, was Sie an Afrika sofasziniert?
Noch immerfasziniert mich an Kenia die Schönheit seiner Landschaft, die Liebenswürdigkeitder Menschen, ihre Klugheit und Pfiffigkeit. Wenn ich mit ihnen rede, werdendie Jahre seit meinem Abschied zu einer unbedeutenden Größe. Es zählt nur, wiein den Tagen der Kindheit, der Augenblick - im wörtlichen Sinn. In Keniaschickt man die Augen auf Safari.
In Ihrem Roman "Nirgendwo inAfrika" erzählen Sie die Geschichte Ihrer Familie, die nach ihrer Flucht vordem Nationalsozialismus und Jahren in Kenia 1948 nach Deutschland zurückkehrte.Leben Sie heute gern in Deutschland?
Am 15.April 1947 kehrte ich mit meinen Eltern aus der Emigration nach Deutschlandzurück. Seitdem lebe ich in Frankfurt. Gern? Das habe ich mich nie gefragt! Esheißt, Afrika lässt die, die dort gelebt haben, nie mehr los. Wer den Kontinenthat verlassen müssen, weiß, dass die Sehnsucht allzeit der ungebetene Begleiterder Tage ist.
- Autor: Stefanie Zweig
- 2002, 315 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Langen/Müller
- ISBN-10: 3784428940
- ISBN-13: 9783784428949
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