Willkommen in Teufels Küche
Chaos ist eine positive Kraft, aus der Höchstleistungen entstehen. Wer Dinge wieder einmal auf den letzten Drücker bewältigt, weil er sich vorher nicht organisieren konnte, setzt Energie frei, aus der - in einem wunderbaren Zustand der Wachheit und Gegenwärtigkeit - Außergewöhnliches erwächst. Songschreiberin und Rockpoetin Ulla Meinecke hat ein mitreißendes Plädoyer geschrieben, wider alle mahnenden Ratschläge der Simplify-Your-Life-Verfechter.
Ordnung ist das ganze Leben, Chaos bringt uns nicht weiter? Und ob, sagt Ulla Meinecke mit der vollen Überzeugung einer Frau und Künstlerin, die ihr Leben unter vielen Chaotikern verbracht hat und sich selbst auch nicht frei vom Chaos sieht. Sie geht von der unverbrüchlichen Gewissheit aus, dass eine chaotische Lebensweise nur vordergründig als Problem erscheint, auch wenn sie manchmal ganz schön Nerven kostet. In ihr verborgen sind kreative Kräfte, die freigesetzt und genutzt werden können.
Ulla Meinecke beleuchtet abwechslungsreich, gewürzt mit vielen amüsanten Anekdoten, den Charaktertypus des kreativen Chaoten, beschreibt die Art und Weise, wie das Chaos entsteht und welche Auswirkungen es auf den Verursacher und seine Umgebung hat. Sie begibt sich auf eine Reise in die Innenwelt der Chaosmenschen und ergründet, wie ihre Psycho-Mechanik funktioniert und wie sie ihre oft ungewöhnlichen Leistungen hervorbringen. Und lädt den Leser ein, mitleidend und mitlachend, den Pfad zur befreienden (Selbst-) Erkenntnis zu betreten!
"Ulla Meinecke sang schon intelligente deutsche Texte, als Gruppen wie 'Wir sind Helden' oder Sängerinnen wie Annett Louisan noch nicht einmal auf der Welt waren. ... Sie ist die Grande Dame des Deutsch-Pop!"
Norddeutsche Neueste Nachrichten
Schon seit den achtziger Jahren "zählt Ulla Meinecke zur Crème der deutschen Rock- und Pop-Musiker!"
Neue Osnabrücker Zeitung
"Ulla Meinecke schaut genauer hin, macht die Lügen nackt und kann Gefühlen ein Gewand geben. So verschmelzen in alten wie neuen Liedern und ohne Lärm die gültigen Texte vom Wünschen oder Wehren."
Leipziger Volkszeitung
Willkommen in Teufels Küche von Ulla Meinecke
LESEPROBE
Chaos und Drama
Nachtzug
Ein nicht unbekannter Maler, dessenName hier unerwähnt bleiben kann, wird von seinen Freunden manchmal der Last-Minute-Man genannt. Das kommt nicht daher, dass erständig in den Urlaub fährt, obwohl man, begegnet manihm, genau das wünscht. Ein melancholischer Mittvierziger. Im Gesicht dieBlässe, die man hei denen findet, die auf von der Lebensgefährtin erzwungenenSpaziergängen wie verwirrte Aliens wirken. Einer vondenen, die auch an den schönsten, lauesten Sommerabenden keinesfalls draußenvor einem Café sitzend zu finden sind. Die eisern immer drinnen hocken, da kanndie Grille zirpen, bis sie schwarz wird.
Er ist ein ernster Mann, derzunächst abweisend wirkt. Wenn man sich von seinem mürrischen, in sichgekehrten Ausdruck nicht vertreiben lässt, begegnet er einem mit sanfter Freundlichkeit.Zu seinem Spitznamen, den nur wenige Vertraute kennen, kam er auf andere Weise.
Er war eingeladen worden, an einerGruppenausstellung in einer renommierten Berliner Galerie teilzunehmen. Die Präsentationeiniger seiner älteren Werke war beschlossen, und er hatte zugesagt, zwei neueBilder für die Schau zu malen. Es waren etliche Monate Zeit bis dahin. Ihm warbewusst, dass diese Ausstellung sehr wichtig war und ihm neue Chancen eröffnenwürde. Er freute sich sehr über die Einladung, erzählte Freunden undLebensgefährtin stolz davon und genoss die Aussicht auf das Kommende, von demer sich in komfortabler zeitlicher Entfernung befand. Wie man weiß, verringernsich aber auch die größten zeitlichen Entfernungen irgendwann. Überhaupt istes mit der Zeit, dem Rätselwesen, dem letzten großen Geheimnis, so eine Sache.Manchmal dehnt sie sich, wird schier endlos, was die, die im Behandlungsstuhlihres Zahnarztes leiden, bestätigen werden. Manchmal aber schnurrt siezusammen und beginnt heimlich zu rasen. Und in ihrer Geschwindigkeit schrumpftder sicher geglaubte Vorrat schneller als man denkt. Der Ausstellungsterminwar auf diese Weise quasi von einem Moment auf den anderen in unmittelbare Nähegerückt, und unser Maler geriet unter immer stärker werdenden Druck. In seinemKopf, der normalerweise eher Mühe hat, die Fülle von Einfällen undInspirationen zu sortieren und auf Eignung auszuwerten, herrschte plötzlichLeere. Mit den immer schneller verstreichenden Tagen begann diese Leere zudröhnen. Die Ideen, die er anfangs für die Ausstellung ins Auge gefasst hatte,schienen im schal. Er versuchte zu rekonstruieren, wie er überhaupt jemals zueiner inspirierenden Idee für ein Bild gekommen war. Nicht nur das fiel ihmnicht mehr ein, er stellte bestürzt fest, dass er sich in einer Art innererWüste befand. Staub und Austrocknung breiteten sich aus. Die Quellen seinerSchaffenskraft schienen versiegt, schlimmer, er hatte plötzlich nicht einmalmehr eine Idee davon, wo er nach ihnen suchen könnte. »Geh flussaufwärts, dann kommstdu zur Quellet - alte Indianerweisheit. Schlecht, wenn weit und breit nicht malein Rinnsal zu sehen ist.
Die Lage machte ihn durstig. Seinnormalerweise moderater Rotweinkonsum stieg proportional zu seinerRatlosigkeit deutlich an. Als die letzte Woche vor der Ausstellungseröffnungangebrochen war und die Zeit wirklich knapp wurde, überschlugen sich widrigeUmstände aller Art dermaßen, dass sie sich zu einem unüberwindbaren Bergauftürmten, der es ihm gänzlich unmöglich machte zu malen. Höchst dringliche,unaufschiebbare Dinge, an die er sich heute nicht mal mehr entfernt erinnernkann, versperrten ihm den Weg ins Atelier.
Sicherheitshalber verletzte er sichauch noch die rechte Hand, sodass er am Tag vor der geplanten Abreise nicht nurvöllig verzweifelt war, sondern auch noch Schmerzen litt. Seine Lebensgefährtinhatte er schon zwei Wochen zuvor angeknurrt und, bildlich gesprochen, weggebissen, als sie versuchte, ihn zu beruhigen und zuunterstützen. Vom schmerzlichen Fernbleiben der Musen erbittert, wollte er mitder Weiblichkeit im Allgemeinen in dieser für ihn so schlimmen Zeit nichts mehrzu tun haben. Und so herrschte bei ihm und seiner Gefährtin mal wieder derZustand, der gerne mit dem blöden Wort 'Auszeit« bezeichnet wird. Als sei dieLiebe ein Basketballspiel.
Somit standder nun einsetzenden zehnstündigen Totalkrise nichts und niemand mehr im Wege.Er überlegte, kurzfristig abzusagen, und erwog, den Beruf des Malers ganz aufzugeben.Nachdem er den letzten Engel fortgeschickt hatte, stellte er einmal mehr fest,dass der Konsum von Wein gegen echte Probleme auch nicht hilft. Probleme könnennämlich schwimmen.
Verkatert riss er sich zusammen,warf Kleidung und Toilettenartikel in eine Reisetasche und packte eine großezweite Tasche mit Malutensilien. So zog der Held in die Schlacht respektive zumBaseler Bahnhof, um den Nachtzug zu erwischen. Man kann sich denken, wasfolgt. Er, der tatsächlich so aussieht, wie ein guter französischer Regisseursich die Besetzung des Malers wünscht - markantes Gesicht und kräftige schwarzeHaare, die zu Berge stehen, weil er sich ständig mit beiden Händen hindurchfährt -, war entschlossen, die Bilder im Zug zumalen. Die Szene muss man sich vorstellen.
Der Mann entert wahnsinnigen Blickesein Abteil, versorgt sich im Speisewagen mit Rotwein und beginnt in wilderPanik über die groteske Situation, Farben, Pinsel, Leinwand auszubreiten. FürZweifel bleibt keine Zeit. Es bleibt keine Zeit mehr für irgendetwas, außer zumalen. Er beginnt.
Nach einer Weile zieht die Arbeitihn an sich. Konturen werden sichtbar, sein Körper ist gespannt, hört aber aufzu schmerzen. Gestautes, Gefühltes beginnt zu fließen, in die Farben zuströmen. Etwas in ihm öffnet sich, er atmet leicht. Die Arbeit erlöst ihn vonsich selbst, gibt ihm Vertrauen, treibt ihn voran, fordert ihn wie nie zuvor.Für ganze lange Momente ist er völlig selbstvergessen und endlich hingegeben.Seine Dämonen, die Regisseure seines Dramas, wie er glaubt, schlappen noch einbisschen im Gang vor dem Abteil auf und ab und klappern mit der Tür, doch siehaben keine Chance mehr, für dieses Mal sind sie besiegt. Dafür fahren aber dieMusen offensichtlich mit ihm. Die Mädels kennen den Fahrplan und ihre Pappenheimer.Er ist beglückt, er ist unglaublich dankbar. Er ist am Leben, er malt.
Der Zug rast Richtung Berlin, errast mit und es gelingt. Die beiden Bilder liegen vor ihm. Er ist fertig.Fertig mit dem Malen, fertig mit den Nerven, er siehtheruntergekommen und so übernächtigt aus, wie er ist. Ein rotäugiges,ausgepumptes Wesen, aber er hat es geschafft.
© BlanvaletVerlag
- Autor: Ulla Meinecke
- 2007, 1, 253 Seiten, Maße: 13,5 x 20,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3764502304
- ISBN-13: 9783764502300
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