Wohin Du auch gehst
Während seines Urlaubs in Kambodscha trifft der 23-jährige Benjamin Prüfer eine Frau, die ihren Körper verkaufen muss, um überleben zu können. Die beiden verlieben sich ineinander. Als er erfährt, dass sie HIV hat, muss er sich entscheiden: für oder gegen...
Während seines Urlaubs in Kambodscha trifft der 23-jährige Benjamin Prüfer eine Frau, die ihren Körper verkaufen muss, um überleben zu können. Die beiden verlieben sich ineinander. Als er erfährt, dass sie HIV hat, muss er sich entscheiden: für oder gegen ein Leben mit Sreykeo. Schließlich heiratet er sie.
Ergreifend, ungeschnt und subjektiv wird die wahre Geschichte zweier junger Menschen erzhlt, die sich Tag fr Tag dem Kampf des (ber-)Lebens stellen - und damit ihre Liebe beweisen.
Wohin du auch gehst von Benjamin Prüfer
LESEPROBE
Heart of Darkness
Ich trafsie am 8. September 2003. Es war neben der Tanzfläche des Heartof Darkness in Phnom Penh, einem Club, über den meinReiseführer schrieb: »Its packedfrom midnight and the music canbe great.« Und das klangnoch von allem am besten. Ein Khmer hatte mir an diesem Abend für fünf Dollar einPulver verkauft, von dem er behauptete, es sei Kokain. Die Euphorie, die esausgelöst hatte, war rasch vorbei gewesen, und mit ihr auch die Lust aufAlkohol und Abenteuer. Danach hatte ich nur noch Wasser getrunken. Dieser Abendist nun drei Jahre her, daher kann ich mich nicht mehr daran erinnern, welchenGedanken ich nachhing. Wahrscheinlich saß ich nur einfach da und wunderte mich -wie so oft auf dieser Reise -, welche Kraft mich hierher nach Asien gebracht hatte.
Aus denBoxen dröhnte eine unbeholfene Mischung aus 80er-Jahre-Rock und HipHop, diemich an meine Abiturfeier erinnerte. Im Dämmerlicht sah ich, wie sichkambodschanische und vietnamesische Mädchen an junge westliche Backpacker schmiegten.Die vietnamesischen waren quirlig und zierlich, die kambodschanischen dunkelund geheimnisvoll. Am Rand des Raumes standen die Söhne der Neureichen von PhnomPenh mit verschränkten Armen und arrogantem Blick. Jemand löste sich aus derMenge. Es war Ed, ein Medizinstudent aus München, den ich einige Tage zuvor aufder Ladefläche eines Toyota-Pick-ups kennengelernt hatte. Wir waren gemeinsam mit einer LadungMais und zwei kambodschanischen Familien über eine Dschungelpiste der Provinz Mondulkiri gebrettert. SeinePupillen waren auf die Größe von Murmeln gewachsen. »Das ist so abgefahren. Wirsind in diesem Club in Kambodscha und haben uns dieses weiße Zeug in die Nase gezogen.Ich meine - es ist Kambodscha!« Dann verschwand er wiederin der Menge.
Plötzlichtauchte das Mädchen aus dem Dunkeln auf und fragte in gebrochenem Englisch, obsie sich neben mich setzen dürfte. »Sure«, sagte ich. Eine Weile saßen wirschweigend nebeneinander. Dann versucht sie, ein Gespräch anzufangen. Sie zeigtemir ihre Hände: »Look, I do my fingernails today. You know? Cost twoDollar.«
Ich schauteauf ihre Fingernägel. Sie waren die eines Mädchens aus der Stadt: lang, rot undauf jedem war noch ein Querstreifen aus silbernem Glitzerlack gepinselt, wieein Blitz. Sie standen in einem eigenartigen Gegensatz zu der Haut ihrer Hände.Diese war rau und faltig, mit vielen kleinen Narben von Kratzern und Stichen.Es waren die Hände von jemandem, der auf dem Land arbeitete. Für einen Momentsah ich sie Reis pflanzen, den Kopf zum Schutz vor der Tropensonne in einvergilbtes Baumwolltuch gehüllt, die nackten Beine bis zu den Knien in warmem Schlammversunken.
»Two Dollars is pretty much for doing yourfingernails«, sagte ich.
Ich war mirnicht sicher, was sie von mir wollte. Sie war nicht geschminkt wie die anderenMädchen im Club. Und sie wirkte nicht, als wollte sie den Eindruck vermitteln,dass ich mit ihr ein Abenteuer erleben könnte. Sie war auch nicht sexy angezogen.Vielleicht war sie gar keine Prostituierte.
»What is yourname?«, fragte ich sie.
»Rose.«
Das warkein kambodschanischer Name.
»That is not your real name«, sagteich.
»Sreykeo«, sagte sie.
Das konnteich nicht aussprechen, ich vergaß den Namen gleich. Wir schwiegen wieder.
Dann legtesie den Kopf auf meine Schulter. Es war eine subtile und intime Geste, die michüberrumpelte. Ich saß eine Weile verkrampft da und fragte mich, ob sievielleicht eingeschlafen sei. Kurz darauf gingen wir auf die Tanzfläche. Ich versuchtesie zu küssen, da ich dachte, das sei es, was sie von mir erwarte. Aber dasmachte sie nur verlegen. Irgendwann sagte sie, sie sei müde.
So lernteich Sreykeo kennen.
Living ondreams
Etwa dreiJahre später fragte mich jemand, ob ich mir vorstellen könnte, die Geschichtevon mir und Sreykeo in einem Buch zu erzählen. Bevorich antwortete, fragte ich sie.
»Yes, of course!«, sagte sie.
»But I will have to write about everything. About allthe bad things too.«
»I trust you«, antwortete sie nur.
Für sie wares keine Frage, dass man unsere Geschichte erzählen soll. Ich dagegen warnachdenklich. Es ist heilsam, vergessen zu können. Lasst die alten Geschichtenin ihren Gräbern, exhumiert sie nicht. Und Schreiben ist das Gegenteil von Vergessen.Es bedeutet, die Vergangenheit festhalten. Auch die ganzen schlechten Dinge.Andererseits: Unsere Geschichte ist ja lebendig. Und wenn es ein Buch über unsgibt, muss ich nie wieder auf die Frage antworten, wie wir uns kennengelernt hätten. Deshalb werde ich sie erzählen.
Begonnenhatte alles nicht in Phnom Penh, sondern in Hamburg. Als ich Sebastian kennenlernte: Ich war damals 22 Jahre alt und hatte gerademeine erste Stelle bei einer Zeitung angetreten. Ich kannte noch nicht vieleMenschen in Hamburg. Zu dieser Zeit kam ich mir noch wichtig vor, wenn ich dieRedaktion durch den Nachtausgang verließ oder mir am Wochenende Pizza an denSchreibtisch bestellte. Doch dann sah ich Redakteure, die Ende dreißig undfrisch geschieden waren und immer noch die Redaktion durch den Nachtausgangverließen. Und ich fragte mich: Wofür?
Eines Tagesstand Sebastian in meinem Büro und wollte sich als freier Mitarbeiter bewerben.Wahrscheinlich führten wir eine Weile Journalistengespräche; an Details kannich mich nicht mehr erinnern. Nur daran, dass er schließlich den Raum verließund etwas von ihm zurückblieb. Ein Dunst von Zigaretten und Alkohol. Es warnicht der Geruch von jemandem, der sich hastig auf dem Flur noch eine Zigaretteangezündet hatte, sondern von jemandem, der bis Sonnenaufgang Wodka Red Bull ineinem Club auf der Reeperbahn getrunken und dann zwei Stunden geschlafen hatte,um im Anschluss bei einem Vorstellungsgespräch zu erscheinen. Dieser Geruch passtenicht hierher. Nicht in diesen Flur mit grauem, dezentem Teppichboden, derjeden Morgen von einer afrikanischen Putzfrau gesaugt wurde. Und dieser Geruchwar genau das, wonach mir der Sinn stand.
Wir wurdenFreunde. Ich bewunderte ihn sehr. Er schien jeden in dieser Stadt zu kennen,oder zumindest schien jeder ihn zu kennen. Auf jeder Gästeliste schien seinName zu stehen. Mich beeindruckte vor allem sein weltmännisches Auftreten, inseiner Nähe kam ich mir provinziell vor. Deshalb brachte Sebastian mich auchzum Reisen. Für ihn hatte es nichts mit Erholung zu tun, Reisen war eineLebenseinstellung. Es bedeutete für ihn nicht, in ein Ferienhaus nach Schwedenoder in einen Robinson-Club nach Griechenland zu fahren. Manchmal saß ereinfach vor seinem Computer und verglich die Preise für Flugtickets, nur umsich die Zeit zu vertreiben. In seinem Regal standen Reiseführer der Reihe Lonely Planet, auch von Ländern, in deren Nähe er noch niegekommen war.
Wer voneiner Reise zurückkehrte und nichts zu erzählen hatte außer »wundervolleMenschen dort und das Essen war toll«, konnte sich seines Mitleids sicher sein.Von Reisen musste man seiner Ansicht nach mit haarsträubenden Geschichten undneuen Erkenntnissen zurückkehren. Einmal überfallen werden. Sich in den Slumsverirren. Wenigstens eine furchtbare Durchfallerkrankung sollte man gehabthaben. Er redete auch nie vom Reisen, sondern vom »travelln«,und nannte sich selbst nicht Tourist, sondern »Traveller«.
Er musstenoch nicht mal das Haus verlassen, um zu verreisen. Einmal wohnten zweiAustauschschülerinnen aus Moskau bei ihm. Dann ein junger indischer Student,den er mal auf einer Reise getroffen hatte. Und einmal sah ich ihn mit einem Mädchen,das er als Bettlerin in Bombay kennengelernt hatte. Erhatte ihr Geld für die Schule geschickt. Dann durfte sie überraschend nachDeutschland einreisen, um zu Verwandten nach Herne zu ziehen, und sie rief ihnsofort an.
Er warüberzeugt, Reisen mache einen zu einem besseren, glücklicherenMenschen. Im Rückblick muss ich ihm recht geben. Manwird nicht automatisch weiser, wenn man das Visum eines fremden Landes im Passhat. Aber es ist ein Anfang. Wenn er von einer Reise zurückkehrte, versammeltesich unser Freundeskreis in seiner Küche. Er nippte dann an einem Rotwein, undwir hörten seinen Geschichten, Anekdoten und Pointen zu. Allerdings kam ich nieauf die Idee, mir selbst ein Ticket zu kaufen. Ich hatte doch meinen Job undnur ein paar Wochen Urlaub.
Dann kamdieser Adventabend im Jahr 2002. Ich hatte mich mit Sebastian auf demWeihnachtsmarkt getroffen, und wir tranken Glühwein, bis wir lallten.Anschließend saßen wir in seiner Küche. Ich beklagte mich über meinen Job, wiefestgefahren alles sei, dass ich nicht wüsste, wie ich weitermachen sollte.Sebastian wusste, dass ich auf der Suche war, ohne zu wissen, was ich suchte.Und er wusste, dass ich es nicht in Hamburg finden würde.
© ScherzVerlag
- Autor: Benjamin Prüfer
- 2007, 319 Seiten, Maße: 12,5 x 20,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: FISCHER Scherz
- ISBN-10: 3502150885
- ISBN-13: 9783502150886
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