Wolfsbruder / Chronik der dunklen Wälder Bd.1
6.000 Jahre vor unserer Zeit:
Der 12-jährige Torak sucht den Berg des Waldgeistes. Superspannend!
Der 12-jährige Torak sucht den Berg des Waldgeistes. Superspannend!
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Produktinformationen zu „Wolfsbruder / Chronik der dunklen Wälder Bd.1 “
6.000 Jahre vor unserer Zeit:
Der 12-jährige Torak sucht den Berg des Waldgeistes. Superspannend!
Der 12-jährige Torak sucht den Berg des Waldgeistes. Superspannend!
Klappentext zu „Wolfsbruder / Chronik der dunklen Wälder Bd.1 “
Als die Wälder noch dunkel waren ...Zwölf Sommer lang hat Torak mit seinem Vater in den Wäldern verborgen gelebt. Nun ist der Vater tot, ermordet von einem Bären, in dem sich alle dunklen Mächte vereinen, und Torak ist zum ersten Mal in seinem Leben allein. Sein einziger Gefährte ist ein junger Wolf, elternlos und halb verhungert wie er bis er das Mädchen Renn kennen lernt, die die beiden fortan begleitet. Doch der Hunger und die Jägerdes Rabenclans sind die geringsten Gefahren, die Torak fürchten muss! Denn zwischen den flüsternden Bäumen wartet ein Wesen auf ihn, schrecklicher und bösartiger als es ein Mensch je gesehen hat, und Torak allein kann es besiegen ...
»Wolfsbruder« entführt uns in eine Jahrtausende zurückliegende Welt, bedeckt von unendlichen Wäldern und bevölkert von Baumgeistern, Wölfen und Auerochsen. In dieser archaischen Zeit der Mythen und Naturgewalten wird Torak auserwählt, gegen die Seelenesser zu kämpfen Menschen, die die Macht haben, das Böse zu entfesseln.
Eindrucksvolles Abenteuerepos aus vorgeschichtlicher Zeit.
Als die Wälder noch dunkel waren ...
Zwölf Sommer lang hat Torak mit seinem Vater in den Wäldern verborgen gelebt. Nun ist der Vater tot, ermordet von einem Bären, in dem sich alle dunklen Mächte vereinen, und Torak ist zum ersten Mal in seinem Leben allein. Sein einziger Gefährte ist ein junger Wolf, elternlos und halb verhungert wie er - bis er das Mädchen Renn kennen lernt, die die beiden fortan begleitet. Doch der Hunger und die Jäger des Rabenclans sind die geringsten Gefahren, die Torak fürchten muss! Denn zwischen den flüsternden Bäumen wartet ein Wesen auf ihn, schrecklicher und bösartiger als es ein Mensch je gesehen hat, und Torak allein kann es besiegen ...
"Wolfsbruder" entführt uns in eine Jahrtausende zurückliegende Welt, bedeckt von unendlichen Wäldern und bevölkert von Baumgeistern, Wölfen und Auerochsen. In dieser archaischen Zeit der Mythen und Naturgewalten wird Torak auserwählt, gegen die Seelenesser zu kämpfen - Menschen, die die Macht haben, das Böse zu entfesseln.
Eindrucksvolles Abenteuerepos aus vorgeschichtlicher Zeit.
"Eine spannende Mischung aus prähistorischer Fantasy-, Abenteuer und Tiergeschichte." - Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Die englische Autorin verbindet in melodischer Sprache Mystik, Phantastik, grandiose Naturbeschreibungen und nicht zuletzt die innige Beziehung zwischen Torak und seinem Wolfsgefährten zu einem besonderen Abenteuerroman." - Süddeutsche Zeitung
"'Wolfsbruder' vermischt geschickt Fakten über die Ära der Jäger und Sammler, wie sie die Archäologie überliefert, mit spannender Fiktion. Sinnlich wird ein Stück Geschichte erfahrbar." - DIE ZEIT
Zwölf Sommer lang hat Torak mit seinem Vater in den Wäldern verborgen gelebt. Nun ist der Vater tot, ermordet von einem Bären, in dem sich alle dunklen Mächte vereinen, und Torak ist zum ersten Mal in seinem Leben allein. Sein einziger Gefährte ist ein junger Wolf, elternlos und halb verhungert wie er - bis er das Mädchen Renn kennen lernt, die die beiden fortan begleitet. Doch der Hunger und die Jäger des Rabenclans sind die geringsten Gefahren, die Torak fürchten muss! Denn zwischen den flüsternden Bäumen wartet ein Wesen auf ihn, schrecklicher und bösartiger als es ein Mensch je gesehen hat, und Torak allein kann es besiegen ...
"Wolfsbruder" entführt uns in eine Jahrtausende zurückliegende Welt, bedeckt von unendlichen Wäldern und bevölkert von Baumgeistern, Wölfen und Auerochsen. In dieser archaischen Zeit der Mythen und Naturgewalten wird Torak auserwählt, gegen die Seelenesser zu kämpfen - Menschen, die die Macht haben, das Böse zu entfesseln.
Eindrucksvolles Abenteuerepos aus vorgeschichtlicher Zeit.
"Eine spannende Mischung aus prähistorischer Fantasy-, Abenteuer und Tiergeschichte." - Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Die englische Autorin verbindet in melodischer Sprache Mystik, Phantastik, grandiose Naturbeschreibungen und nicht zuletzt die innige Beziehung zwischen Torak und seinem Wolfsgefährten zu einem besonderen Abenteuerroman." - Süddeutsche Zeitung
"'Wolfsbruder' vermischt geschickt Fakten über die Ära der Jäger und Sammler, wie sie die Archäologie überliefert, mit spannender Fiktion. Sinnlich wird ein Stück Geschichte erfahrbar." - DIE ZEIT
Lese-Probe zu „Wolfsbruder / Chronik der dunklen Wälder Bd.1 “
Kapitel 1Torak erwachte mit einem Ruck und stellte erschrocken fest, dass er doch eingeschlafen war.
Das Feuer war heruntergebrannt. Er duckte sich in den trügerischen Schutz des Lichtscheins und spähte ins unheimliche Dunkel des Großen Waldes. Er konnte nichts sehen. Er konnte nichts hören. War er zurückgekommen? War er dort draußen und belauerte ihn mit mordlustig funkelnden Augen?
Torak hatte Hunger und fror. Er wusste, dass er dringend etwas essen musste, dass ihm der Arm wehtat und seine Augen vor Müdigkeit brannten, aber er konnte es nicht richtig spüren. Die ganze Nacht hatte er die zerstörte Hütte aus Fichtenzweigen bewacht und zugesehen, wie sein Vater verblutete. Wie konnte so etwas geschehen?
Erst gestern – gestern – hatten sie hier in der herbstlich blauen Abenddämmerung ihr Lager aufgeschlagen. Torak hatte einen Scherz gemacht und sein Vater hatte gelacht. Dann war urplötzlich der Wald über sie hereingebrochen.
Raben krächzten. Kiefern knackten. Und aus dem Dunkel unter den Bäumen sprang etwas noch Dunkleres – ein riesiges Scheusal in Bärengestalt.
Plötzlich war der Tod über ihnen. Wirbelnde Klauen. Ohrenbetäubendes Gebrüll. Im Nu hatte das rasende Tier die Hütte zertrümmert. Im Nu hatte es Toraks Vater eine klaffende Wunde in die Seite gerissen. Dann war es lautlos wie Nebel im Wald verschwunden.
Aber was war das für ein Bär, der einen Menschen anfiel und wieder verschwand, ohne sein Opfer zu töten? Was für ein Bär spielte nur mit seiner Beute?
Und wo war er jetzt?
Torak konnte nicht über den Lichtkreis des Feuers hinaussehen, aber er wusste, dass die gesamte Lichtung verwüstet war, voller geknickter Schösslinge und zertrampeltem Farn. Es roch nach Kiefernblut und zerwühlter Erde. Dreißig Schritt entfernt hörte er den Bach kummervoll strudeln und murmeln. Der Bär konnte überall sein.
Sein Vater stöhnte. Er öffnete mühsam die Augen und sah seinen Sohn an, ohne ihn zu erkennen.
Torak stockte das Herz.
... mehr
"Ich ... ich bin es", stotterte er. "Wie geht es dir?"
Das hagere braun gebrannte Gesicht seines Vaters verkrampfte sich vor Schmerzen. Seine Wangen waren aschgrau und die Clantätowierung hob sich bläulich davon ab. Sein langes dunkles Haar war schweißverklebt.
Die Wunde war so tief, dass Torak das Gedärm des Vaters im Flammenschein schimmern sah, als er ungeschickt versuchte, die Blutung mit Bartflechten zu stillen. Er musste die Zähne zusammenbeißen, um sich nicht zu übergeben. Hoffentlich merkte Fa nichts – aber Fa war Jäger. Ihm entging nichts.
"Torak ...", flüsterte er, streckte die heißen Finger aus und umklammerte Toraks Hand so fest wie ein kleines Kind. Torak schluckte. So klammerte sich ein Sohn an die Hand des Vaters, nicht umgekehrt.
Torak riss sich zusammen, wollte ein Mann sein, kein Kind. "Ich hab noch ein paar Schafgarbenblätter", sagte er und tastete mit der freien Hand nach seinem Medizinbeutel. "Vielleicht hilft das gegen ..."
"Behalt sie. Du blutest auch."
"Es tut nicht weh", log Torak. Der Bär hatte ihn gegen eine Birke geschleudert und dabei hatte er sich die Rippen geprellt und den linken Unterarm aufgeschürft.
"Geh, Torak. Jetzt. Bevor er wiederkommt."
Torak starrte seinen Vater an. Er öffnete den Mund, aber es kam kein Laut heraus.
"Du musst gehen", sagte sein Vater.
"Nein. Nein. Ich kann nicht ..."
"Ich sterbe, Torak. Bis die Sonne aufgeht, bin ich tot."
Torak griff nach dem Medizinbeutel. In seinen Ohren rauschte es. "Fa ..."
"Bereite mich ... auf die Todesreise vor. Dann pack deine Sachen."
Die Todesreise. Nein. Nein.
Doch die Miene des Vaters war unerbittlich. "Meinen Bogen", fuhr er fort. "Drei Pfeile. Du ... behältst die übrigen. Dort, wo ich hingehe ... macht das Jagen keine Mühe."
Toraks Beinleder war am Knie zerrissen. Er bohrte den Daumennagel in die Haut. Es tat weh. Er konzentrierte sich mit aller Macht auf den Schmerz.
"Essen", keuchte sein Vater. "Das Räucherfleisch. Nimm dir ... alles."
Toraks Knie blutete jetzt. Er grub den Fingernagel noch fester hinein. Er wollte sich nicht vorstellen, wie sein Vater auf die Todesreise ging. Er wollte sich nicht vorstellen, wie er allein im Wald zurückblieb. Er zählte erst zwölf Sommer. Allein konnte er nicht überleben. Er wusste nicht, wie.
"Torak! Mach schon!"
Heftig blinzelnd nahm Torak seines Vaters Waffen und legte sie neben den Verwundeten. Er zählte die Pfeile ab und stach sich dabei an den scharfen Feuersteinspitzen. Dann schulterte er Köcher und Bogen und suchte in den Resten der Hütte nach seiner kleinen Axt aus schwarzem Basalt. Seine aus Haselnussruten geflochtene Rückentrage war beim Angriff des Bären kaputtgegangen. Er musste die Sachen in sein Wams stecken oder an seinen Gürtel binden.
Dann zog er seinen Schlafsack aus Rentierfell zu sich heran.
"Nimm meinen", sagte sein Vater leise. "Du hast deinen ... immer noch nicht geflickt. Und tausch ... mit mir das Messer."
Torak war entsetzt. "Ich will dein Messer nicht! Du brauchst es doch noch!"
"Du brauchst es nötiger. Und es gefällt mir, etwas von dir mit auf die ... Todesreise zu nehmen."
"Bitte, Fa! Du darfst nicht ..."
Ein Zweig knackte.
Torak fuhr herum.
Die Dunkelheit war undurchdringlich. Alle Schatten sahen aus wie Bären.
Kein Wind.
Kein Vogelgezwitscher.
Nur das knisternde Feuer und sein hämmernder Puls. Der ganze Wald hielt den Atem an.
Sein Vater leckte sich den Schweiß von den Lippen. "Noch ist er nicht da. Aber bald. Bald kommt er mich holen ... Rasch. Die Messer."
Torak wollte nicht mit seinem Vater das Messer tauschen. Das hatte so etwas Endgültiges. Aber der Vater sah ihn mit einem Blick an, der keinen Widerspruch duldete.
Torak biss die Zähne so fest zusammen, dass es wehtat, holte sein Messer heraus und gab es seinem Vater in die Hand. Dann band er die Lederscheide von seines Vaters Gürtel los. Fas Waffe war schön und tödlich, die Klinge aus gebändertem blauem Schiefer war wie ein Weidenblatt geformt, und das Heft aus Hirschgeweih war mit Elchsehnen umwickelt, damit man nicht abrutschte. Als Torak es betrachtete, traf ihn die Wahrheit wie ein Faustschlag – er bereitete sich darauf vor, ohne Fa zurechtzukommen. "Ich lass dich nicht allein!", rief er. "Ich kämpfe mit ihm. Ich ..."
"Nein! Mit diesem Bären wird niemand fertig!"
Raben flatterten auf.
Torak hielt unwillkürlich den Atem an.
"Hör zu", keuchte sein Vater. "Du weißt, dass Bären ... alle Bären ... die stärksten Jäger im ganzen Wald sind. Aber dieser Bär ... ist noch viel stärker."
Torak lief es kalt den Rücken herunter. Er schaute seinem Vater in die Augen, sah die roten Äderchen und die unergründlichen schwarzen Pupillen. "Wie meinst du das?", flüsterte er. "Was ..."
"Er ist ... besessen." Fas Gesicht war so verzerrt, dass es kaum wiederzuerkennen war. "Ein ... Dämon ... aus der Anderen Welt ... ist in ihn gefahren und macht ihn so böse."
Die Glut knisterte. Die Bäume beugten sich lauschend vor.
"Ein Dämon?", wiederholte Torak.
Sein Vater schloss die Augen und sammelte neue Kraft.
"Er lebt nur, um zu töten", brachte er schließlich heraus. "Je öfter er tötet ... desto stärker wird er. Er vernichtet ... alles. Das Wild. Die Sippen. Alle müssen sterben. Der ganze Wald muss sterben ...", er brach ab. "Nur noch ein Mond ... dann ist es zu spät. Dann ist der Dämon ... zu mächtig."
"Ein Mond? Aber was ..."
"Denk nach, Torak! Du weißt, wenn das rote Auge am höchsten steht, sind die Dämonen am mächtigsten. Dann ist der Bär ... unbesiegbar." Er rang nach Luft. Im Schein der Glut sah Torak die große Ader an seinem Hals. Sie pochte immer schwächer. "Du musst ... mir etwas versprechen", keuchte Fa.
"Alles, was du willst."
Fa schluckte. "Geh nach Norden. Viele Tagesmärsche. Suche ... den Berg ... des Weltgeistes."
Torak sah seinen Vater entsetzt an. Was soll ich?
Der Vater öffnete die Augen und schaute in das Blätterdach über seinem Kopf, als erblickte er dort etwas, das nur er sah. "Such ihn", wiederholte er. "Es ist unsere einzige Hoffnung."
"Aber ... niemand weiß, wo der Berg ist. Niemand hat ihn je gefunden."
"Du findest ihn."
"Wie soll ich ihn finden? Ich weiß doch nicht ..."
"Dein Gefährte ... zeigt dir den Weg."
Torak war verwirrt. So hatte sein Vater noch nie gesprochen. Er war ein nüchterner Mann, ein Jäger. "Ich verstehe kein Wort!", rief er aus. "Was für ein Gefährte? Warum muss ich den Berg suchen? Weil ich dort in Sicherheit bin? Vor dem Bären? Ist das der Grund?"
Langsam wandte Fa den Blick, bis er seinem Sohn ins Gesicht sah. Er schien zu überlegen, wie viel Torak verkraften konnte. "Du bist ... zu jung", seufzte er. "Ich dachte, mir bliebe mehr Zeit. Es gibt so vieles, was ich dir noch nicht erklärt habe. Bitte ... bitte hasse mich nicht eines Tages deswegen."
Torak starrte ihn entsetzt an. Dann sprang er auf. "Ich schaffe es nicht allein. Soll ich nicht lieber loslaufen und ..."
"Nein", sagte sein Vater ungewöhnlich streng. "Dein ganzes Leben lang habe ich dich von anderen fern gehalten. Sogar ... vom Wolfsclan, unserer eigenen Sippe. Geh ihnen aus dem Weg! Wenn sie herausfinden ... was du vermagst ..."
"Was meinst du damit? Ich verstehe nicht ..."
"Zu spät", unterbrach ihn der Vater. "Schwöre jetzt. Auf mein Messer. Schwöre bei deinem Leben, dass du den Berg suchst, und wenn es dein Tod ist."
Torak biss sich fest auf die Unterlippe. Durch die Baumkronen im Osten drang graues Licht. Noch nicht, dachte er verzweifelt. Bitte noch nicht.
"Schwöre!", röchelte der Vater.
Torak kniete sich hin und hob das Messer auf. Es war schwer ... das Messer eines Erwachsenen, zu groß für ihn. Unbeholfen berührte er mit der Klinge erst seine Armwunde, dann den Fellstreifen, der auf die Schulter seines Wamses genäht war. Das Fell stammte vom Wolf, dem Totemtier seiner Sippe. Mit schwankender Stimme sprach er den Schwur: "Ich schwöre beim Blut auf dieser Klinge und bei allen meinen drei Seelen ... den Berg des Weltgeistes zu suchen, und wenn es mein Tod ist."
Sein Vater atmete erleichtert aus. "Gut ... Gut. Jetzt ... mal mir die Todeszeichen auf. Beeil dich. Der Bär ... ist bald da."
In Toraks Augen brannten salzige Tränen. Wütend wischte er sie weg. "Ich habe keinen Ocker", nuschelte er.
"Nimm ... meinen."
Blinzelnd kramte Torak nach dem aus einer Geweihsprosse gefertigten kleinen Medizinhorn, das einst seiner Mutter gehört hatte. Mit tränenblinden Augen zog er den Pfropfen aus dunkler Eichenrinde heraus und schüttete sich das rote Pulver in die gewölbte Hand.
Plötzlich hielt er inne. "Ich kann das nicht."
"O doch. Tu's für mich."
Torak spuckte in seine Hand und vermengte Pulver und Speichel zu einer klebrigen Paste, dem dunkelroten Blut der Erde. Dann machte er sich daran, seinem Vater die kleinen Kreise aufzumalen, mit deren Hilfe die Seelen einander nach dem Tod wiederfanden.
Erst zog er dem Vater behutsam die Biberfellstiefel aus und malte ihm auf jede Ferse einen Kreis als Zeichen für die Namensseele. Dann malte er ihm für die Clanseele einen Kreis über das Herz. Das war nicht ganz einfach, denn Fas Brust war von einer alten Verwundung voller Narben, und Torak brachte nur eine schiefe Eiform zustande, die ihren Zweck hoffentlich trotzdem erfüllte.
Das wichtigste Zeichen kam zum Schluss, der Kreis auf der Stirn für Nanuak, die Weltseele. Als er damit fertig war, kämpfte er mit den Tränen.
"So ist's gut", sagte sein Vater leise. Aber Torak sah bestürzt, dass die Ader an seinem Hals kaum noch pochte.
"Du darfst nicht sterben!", rief er flehend.
Sein Vater betrachtete ihn voller Schmerz und Sehnsucht.
"Ich lass dich nicht allein, Fa. Ich ..."
"Du hast einen Eid geschworen, Torak." Der Vater schloss die Augen wieder. "Also. Behalte ... das Medizinhorn. Ich brauche es nicht mehr. Pack deine Sachen. Lauf zum Fluss und hol mir Wasser. Und dann ... geh."
Ich weine nicht!, nahm sich Torak vor, als er den Schlafsack des Vaters zusammenrollte und sich auf den Rücken band, seine Axt in den Gürtel schob und den Medizinbeutel in sein Wams steckte.
Er stand auf und griff nach dem Wassersack, aber der war völlig zerfetzt. Er musste das Wasser in ein Blutampferblatt schöpfen. Als er aufbrechen wollte, rief ihn sein Vater leise beim Namen.
Er drehte sich um. "Ja, Fa?"
"Denk dran. Wenn du jagen gehst, schau immer hinter dich. Das habe ich ... dir schon so oft gesagt." Er lächelte schief. "Du ... vergisst es jedes Mal. Schau immer hinter dich, hörst du?"
Torak nickte. Er zwang sich zurückzulächeln. Dann stapfte er durchs nasse Farnkraut zum Fluss hinunter.
Es wurde heller, die Luft roch frisch und süß. Die Bäume ringsum bluteten, goldenes Kiefernblut sickerte aus den Wunden, die der Bär den Stämmen geschlagen hatte. In der Morgenbrise hörte man die Baumgeister leise klagen.
Unten am Fluss zogen Nebelschwaden über den Farn, Weidenbäume tauchten ihre Finger ins kalte Wasser. Torak sah sich rasch um, dann pflückte er ein Ampferblatt und ging ans Ufer. Seine Stiefel sanken in den weichen roten Boden ein.
Er blieb wie angewurzelt stehen.
Direkt neben seinem rechten Fuß war eine Bärenspur. Der Abdruck einer Vorderpfote, doppelt so groß wie sein eigener Kopf und noch so frisch, dass sich die Löcher dort, wo sich die tückischen langen Klauen tief in den Lehm gebohrt hatten, scharf umrissen abzeichneten.
Schau hinter dich, Torak.
Er fuhr herum.
Weiden. Erlen. Tannen.
Kein Bär.
Er erschrak, als sich neben ihm ein Rabe auf einem Ast niederließ. Der Vogel legte unbeholfen die schwarzen Flügel an und heftete ein rundes schwarzes Auge auf ihn. Dann ruckte er mit dem Kopf, krächzte und flog davon.
Es kam Torak vor, als wollte ihm der Vogel etwas zeigen. Er blickte ihm nach.
Dunkle Eiben. Tropfnasse Fichten. Dicht. Undurchdringlich.
Aber höchstens zehn Schritt entfernt, bewegten sich Zweige im Dickicht. Da war etwas. Etwas sehr Großes.
Torak versuchte, die Ruhe zu bewahren und nachzudenken, aber sein Kopf fühlte sich vor lauter Angst ganz leer an.
Das Gefährliche an Bären ist, dass sie sich so leise wie ein Lufthauch bewegen können, sagte sein Vater immer. Ein Bär kann zehn Schritt neben einem lauern, ohne dass man es merkt. Gegen einen Bären kann man sich nicht wehren. Er ist schneller. Er kann besser klettern. Allein wird man nicht mit ihm fertig. Man kann ihn nur beobachten und versuchen, ihm klar zu machen, dass man weder Feind noch Beute ist.
Torak zwang sich, ganz still zu stehen. Nicht weglaufen. Nicht weglaufen. Vielleicht hat er dich nicht bemerkt.
Ein dumpfes Fauchen. Wieder bewegten sich die Zweige.
Er hörte es rascheln, als sich das Tier der Hütte näherte, wo sein Vater lag. Er blieb reglos stehen, als es an ihm vorbeitappte. Feigling!, schalt er sich stumm. Du versuchst ja nicht mal, Fa zu beschützen!
Aber was kannst du schon machen?, widersprach die leise Stimme der Vernunft. Fa hat gewusst, dass es so kommen würde. Deshalb hat er dich zum Fluss geschickt. Er hat gewusst, dass ihn der Bär holen kommt ...
"Torak!", hörte er den Vater schreien. "Lauf!"
Krähenschwärme stoben krächzend auf. Ein Gebrüll erschütterte den Wald, ein nicht enden wollendes Gebrüll, von dem Torak schier der Schädel platzte.
"Fa!", schrie er gellend.
"Lauf!"
Noch einmal bebte der Wald. Noch einmal hörte er seinen Vater rufen, dann verstummte er jäh.
Torak biss sich auf die Faust.
Zwischen den Bäumen erspähte er in den Trümmern der Hütte einen großen schwarzen Schatten.
Dann drehte er sich um und rannte los.
Kapitel 2
Torak stürmte durchs Erlendickicht und versank bis zu den Knien im Morast. Die Birken verständigten sich flüsternd über den Eindringling. Stumm beschwor er sie, dem Bären nichts zu verraten.
Sein verletzter Arm brannte, und seine Rippen schmerzten bei jedem Atemzug, aber er traute sich nicht, stehen zu bleiben. Der Wald war voller Augen. Er stellte sich vor, wie ihn der Bär verfolgte. Er rannte weiter.
Er scheuchte einen jungen Keiler auf, der nach Knollenkümmel grub, und grunzte eine Entschuldigung, damit das Tier nicht auf ihn losging. Der Keiler antwortete mit einem übellaunigen Schnauben und ließ ihn ziehen.
Ein Vielfraß knurrte Verschwinde!, als er vorbeilief, und er knurrte so wütend zurück, wie er konnte, denn bei Vielfraßen musste man sehr bestimmt sein. Dieser hier kam jedenfalls zu dem Schluss, dass Torak es ernst meinte, und floh auf einen Baum.
Im Osten war der Himmel wolfsgrau. Ferner Donner grollte. Das Licht vor dem Gewitter färbte die Bäume leuchtend grün. Im Gebirge gibt es Regen, ging es Torak durch den Kopf. Gib auf Sturzbäche Acht.
Auf diesen Gedanken konzentrierte er sich, um seine Angst zu vergessen. Es gelang ihm nicht. Er rannte weiter.
Irgendwann war er außer Atem und musste Halt machen. Unter einer Eiche ließ er sich auf den Boden fallen. Als er den Kopf hob und in das flirrende grüne Blätterdach emporblickte, hörte er den Baum vor sich hin murmeln, doch er ließ den Jungen nicht an seinen Geheimnissen teilhaben.
Zum ersten Mal in seinem Leben war Torak ganz allein. Er fühlte sich nicht mehr als Teil des Waldes. Er hatte das Gefühl, als hätte seine Weltseele ihre Verbindung zu allem Lebendigen durchtrennt – zu Baum und Vogel, Jäger und Wild, Fluss und Fels. Niemand und nichts auf der ganzen Welt wusste, wie es ihm erging, und es wollte auch niemand wissen.
Der schmerzende Arm riss ihn aus seinen Gedanken. Er holte den letzten Rest Birkenbast aus dem Medizinbeutel und wickelte ihn um die Wunde. Dann stand er auf und sah sich um.
In diesem Teil des Waldes war er aufgewachsen. Hier kannte er jeden Hang, jede Lichtung. Durch das Tal im Westen floss das Rotwasser. Für Kanus war es zu seicht, aber wenn im Frühjahr die Lachse vom Meer heraufkamen, konnte man dort gut angeln. Am östlichen Rand des Großen Waldes lag ein weites, sonniges Gehölz, in dem sich das Wild im Herbst dick und rund fraß und wo es Beeren und Nüsse im Überfluss gab, und im Süden war das Hochmoor, wo die Rentiere im Winter Moos ästen.
Fa sagte immer, das Beste an diesem Teil des Waldes sei, dass kaum andere Menschen herkamen. Höchstens ab und zu die sonderbaren Leute vom Weidenclan, der am Meer im Westen lebte, oder Angehörige des Natternclans aus dem Süden, aber keiner ließ sich hier für längere Zeit nieder. Sie zogen lediglich vorüber, jagten, was sie benötigten, wie es alle Bewohner des Großen Waldes taten, und keiner ahnte, dass hier auch Fa und Torak ihr Jagdrevier hatten.
Torak hatte nie darüber nachgedacht, warum das so war. So hatte er schon immer gelebt: allein mit Fa und fern aller Sippen. Doch jetzt sehnte er sich zum ersten Mal nach anderen Menschen. Er hätte gern laut gerufen, um Hilfe geschrien.
Aber Fa hatte ihm dringend davon abgeraten.
Außerdem konnte ihn der Bär dann hören.
Der Bär.
Das hagere braun gebrannte Gesicht seines Vaters verkrampfte sich vor Schmerzen. Seine Wangen waren aschgrau und die Clantätowierung hob sich bläulich davon ab. Sein langes dunkles Haar war schweißverklebt.
Die Wunde war so tief, dass Torak das Gedärm des Vaters im Flammenschein schimmern sah, als er ungeschickt versuchte, die Blutung mit Bartflechten zu stillen. Er musste die Zähne zusammenbeißen, um sich nicht zu übergeben. Hoffentlich merkte Fa nichts – aber Fa war Jäger. Ihm entging nichts.
"Torak ...", flüsterte er, streckte die heißen Finger aus und umklammerte Toraks Hand so fest wie ein kleines Kind. Torak schluckte. So klammerte sich ein Sohn an die Hand des Vaters, nicht umgekehrt.
Torak riss sich zusammen, wollte ein Mann sein, kein Kind. "Ich hab noch ein paar Schafgarbenblätter", sagte er und tastete mit der freien Hand nach seinem Medizinbeutel. "Vielleicht hilft das gegen ..."
"Behalt sie. Du blutest auch."
"Es tut nicht weh", log Torak. Der Bär hatte ihn gegen eine Birke geschleudert und dabei hatte er sich die Rippen geprellt und den linken Unterarm aufgeschürft.
"Geh, Torak. Jetzt. Bevor er wiederkommt."
Torak starrte seinen Vater an. Er öffnete den Mund, aber es kam kein Laut heraus.
"Du musst gehen", sagte sein Vater.
"Nein. Nein. Ich kann nicht ..."
"Ich sterbe, Torak. Bis die Sonne aufgeht, bin ich tot."
Torak griff nach dem Medizinbeutel. In seinen Ohren rauschte es. "Fa ..."
"Bereite mich ... auf die Todesreise vor. Dann pack deine Sachen."
Die Todesreise. Nein. Nein.
Doch die Miene des Vaters war unerbittlich. "Meinen Bogen", fuhr er fort. "Drei Pfeile. Du ... behältst die übrigen. Dort, wo ich hingehe ... macht das Jagen keine Mühe."
Toraks Beinleder war am Knie zerrissen. Er bohrte den Daumennagel in die Haut. Es tat weh. Er konzentrierte sich mit aller Macht auf den Schmerz.
"Essen", keuchte sein Vater. "Das Räucherfleisch. Nimm dir ... alles."
Toraks Knie blutete jetzt. Er grub den Fingernagel noch fester hinein. Er wollte sich nicht vorstellen, wie sein Vater auf die Todesreise ging. Er wollte sich nicht vorstellen, wie er allein im Wald zurückblieb. Er zählte erst zwölf Sommer. Allein konnte er nicht überleben. Er wusste nicht, wie.
"Torak! Mach schon!"
Heftig blinzelnd nahm Torak seines Vaters Waffen und legte sie neben den Verwundeten. Er zählte die Pfeile ab und stach sich dabei an den scharfen Feuersteinspitzen. Dann schulterte er Köcher und Bogen und suchte in den Resten der Hütte nach seiner kleinen Axt aus schwarzem Basalt. Seine aus Haselnussruten geflochtene Rückentrage war beim Angriff des Bären kaputtgegangen. Er musste die Sachen in sein Wams stecken oder an seinen Gürtel binden.
Dann zog er seinen Schlafsack aus Rentierfell zu sich heran.
"Nimm meinen", sagte sein Vater leise. "Du hast deinen ... immer noch nicht geflickt. Und tausch ... mit mir das Messer."
Torak war entsetzt. "Ich will dein Messer nicht! Du brauchst es doch noch!"
"Du brauchst es nötiger. Und es gefällt mir, etwas von dir mit auf die ... Todesreise zu nehmen."
"Bitte, Fa! Du darfst nicht ..."
Ein Zweig knackte.
Torak fuhr herum.
Die Dunkelheit war undurchdringlich. Alle Schatten sahen aus wie Bären.
Kein Wind.
Kein Vogelgezwitscher.
Nur das knisternde Feuer und sein hämmernder Puls. Der ganze Wald hielt den Atem an.
Sein Vater leckte sich den Schweiß von den Lippen. "Noch ist er nicht da. Aber bald. Bald kommt er mich holen ... Rasch. Die Messer."
Torak wollte nicht mit seinem Vater das Messer tauschen. Das hatte so etwas Endgültiges. Aber der Vater sah ihn mit einem Blick an, der keinen Widerspruch duldete.
Torak biss die Zähne so fest zusammen, dass es wehtat, holte sein Messer heraus und gab es seinem Vater in die Hand. Dann band er die Lederscheide von seines Vaters Gürtel los. Fas Waffe war schön und tödlich, die Klinge aus gebändertem blauem Schiefer war wie ein Weidenblatt geformt, und das Heft aus Hirschgeweih war mit Elchsehnen umwickelt, damit man nicht abrutschte. Als Torak es betrachtete, traf ihn die Wahrheit wie ein Faustschlag – er bereitete sich darauf vor, ohne Fa zurechtzukommen. "Ich lass dich nicht allein!", rief er. "Ich kämpfe mit ihm. Ich ..."
"Nein! Mit diesem Bären wird niemand fertig!"
Raben flatterten auf.
Torak hielt unwillkürlich den Atem an.
"Hör zu", keuchte sein Vater. "Du weißt, dass Bären ... alle Bären ... die stärksten Jäger im ganzen Wald sind. Aber dieser Bär ... ist noch viel stärker."
Torak lief es kalt den Rücken herunter. Er schaute seinem Vater in die Augen, sah die roten Äderchen und die unergründlichen schwarzen Pupillen. "Wie meinst du das?", flüsterte er. "Was ..."
"Er ist ... besessen." Fas Gesicht war so verzerrt, dass es kaum wiederzuerkennen war. "Ein ... Dämon ... aus der Anderen Welt ... ist in ihn gefahren und macht ihn so böse."
Die Glut knisterte. Die Bäume beugten sich lauschend vor.
"Ein Dämon?", wiederholte Torak.
Sein Vater schloss die Augen und sammelte neue Kraft.
"Er lebt nur, um zu töten", brachte er schließlich heraus. "Je öfter er tötet ... desto stärker wird er. Er vernichtet ... alles. Das Wild. Die Sippen. Alle müssen sterben. Der ganze Wald muss sterben ...", er brach ab. "Nur noch ein Mond ... dann ist es zu spät. Dann ist der Dämon ... zu mächtig."
"Ein Mond? Aber was ..."
"Denk nach, Torak! Du weißt, wenn das rote Auge am höchsten steht, sind die Dämonen am mächtigsten. Dann ist der Bär ... unbesiegbar." Er rang nach Luft. Im Schein der Glut sah Torak die große Ader an seinem Hals. Sie pochte immer schwächer. "Du musst ... mir etwas versprechen", keuchte Fa.
"Alles, was du willst."
Fa schluckte. "Geh nach Norden. Viele Tagesmärsche. Suche ... den Berg ... des Weltgeistes."
Torak sah seinen Vater entsetzt an. Was soll ich?
Der Vater öffnete die Augen und schaute in das Blätterdach über seinem Kopf, als erblickte er dort etwas, das nur er sah. "Such ihn", wiederholte er. "Es ist unsere einzige Hoffnung."
"Aber ... niemand weiß, wo der Berg ist. Niemand hat ihn je gefunden."
"Du findest ihn."
"Wie soll ich ihn finden? Ich weiß doch nicht ..."
"Dein Gefährte ... zeigt dir den Weg."
Torak war verwirrt. So hatte sein Vater noch nie gesprochen. Er war ein nüchterner Mann, ein Jäger. "Ich verstehe kein Wort!", rief er aus. "Was für ein Gefährte? Warum muss ich den Berg suchen? Weil ich dort in Sicherheit bin? Vor dem Bären? Ist das der Grund?"
Langsam wandte Fa den Blick, bis er seinem Sohn ins Gesicht sah. Er schien zu überlegen, wie viel Torak verkraften konnte. "Du bist ... zu jung", seufzte er. "Ich dachte, mir bliebe mehr Zeit. Es gibt so vieles, was ich dir noch nicht erklärt habe. Bitte ... bitte hasse mich nicht eines Tages deswegen."
Torak starrte ihn entsetzt an. Dann sprang er auf. "Ich schaffe es nicht allein. Soll ich nicht lieber loslaufen und ..."
"Nein", sagte sein Vater ungewöhnlich streng. "Dein ganzes Leben lang habe ich dich von anderen fern gehalten. Sogar ... vom Wolfsclan, unserer eigenen Sippe. Geh ihnen aus dem Weg! Wenn sie herausfinden ... was du vermagst ..."
"Was meinst du damit? Ich verstehe nicht ..."
"Zu spät", unterbrach ihn der Vater. "Schwöre jetzt. Auf mein Messer. Schwöre bei deinem Leben, dass du den Berg suchst, und wenn es dein Tod ist."
Torak biss sich fest auf die Unterlippe. Durch die Baumkronen im Osten drang graues Licht. Noch nicht, dachte er verzweifelt. Bitte noch nicht.
"Schwöre!", röchelte der Vater.
Torak kniete sich hin und hob das Messer auf. Es war schwer ... das Messer eines Erwachsenen, zu groß für ihn. Unbeholfen berührte er mit der Klinge erst seine Armwunde, dann den Fellstreifen, der auf die Schulter seines Wamses genäht war. Das Fell stammte vom Wolf, dem Totemtier seiner Sippe. Mit schwankender Stimme sprach er den Schwur: "Ich schwöre beim Blut auf dieser Klinge und bei allen meinen drei Seelen ... den Berg des Weltgeistes zu suchen, und wenn es mein Tod ist."
Sein Vater atmete erleichtert aus. "Gut ... Gut. Jetzt ... mal mir die Todeszeichen auf. Beeil dich. Der Bär ... ist bald da."
In Toraks Augen brannten salzige Tränen. Wütend wischte er sie weg. "Ich habe keinen Ocker", nuschelte er.
"Nimm ... meinen."
Blinzelnd kramte Torak nach dem aus einer Geweihsprosse gefertigten kleinen Medizinhorn, das einst seiner Mutter gehört hatte. Mit tränenblinden Augen zog er den Pfropfen aus dunkler Eichenrinde heraus und schüttete sich das rote Pulver in die gewölbte Hand.
Plötzlich hielt er inne. "Ich kann das nicht."
"O doch. Tu's für mich."
Torak spuckte in seine Hand und vermengte Pulver und Speichel zu einer klebrigen Paste, dem dunkelroten Blut der Erde. Dann machte er sich daran, seinem Vater die kleinen Kreise aufzumalen, mit deren Hilfe die Seelen einander nach dem Tod wiederfanden.
Erst zog er dem Vater behutsam die Biberfellstiefel aus und malte ihm auf jede Ferse einen Kreis als Zeichen für die Namensseele. Dann malte er ihm für die Clanseele einen Kreis über das Herz. Das war nicht ganz einfach, denn Fas Brust war von einer alten Verwundung voller Narben, und Torak brachte nur eine schiefe Eiform zustande, die ihren Zweck hoffentlich trotzdem erfüllte.
Das wichtigste Zeichen kam zum Schluss, der Kreis auf der Stirn für Nanuak, die Weltseele. Als er damit fertig war, kämpfte er mit den Tränen.
"So ist's gut", sagte sein Vater leise. Aber Torak sah bestürzt, dass die Ader an seinem Hals kaum noch pochte.
"Du darfst nicht sterben!", rief er flehend.
Sein Vater betrachtete ihn voller Schmerz und Sehnsucht.
"Ich lass dich nicht allein, Fa. Ich ..."
"Du hast einen Eid geschworen, Torak." Der Vater schloss die Augen wieder. "Also. Behalte ... das Medizinhorn. Ich brauche es nicht mehr. Pack deine Sachen. Lauf zum Fluss und hol mir Wasser. Und dann ... geh."
Ich weine nicht!, nahm sich Torak vor, als er den Schlafsack des Vaters zusammenrollte und sich auf den Rücken band, seine Axt in den Gürtel schob und den Medizinbeutel in sein Wams steckte.
Er stand auf und griff nach dem Wassersack, aber der war völlig zerfetzt. Er musste das Wasser in ein Blutampferblatt schöpfen. Als er aufbrechen wollte, rief ihn sein Vater leise beim Namen.
Er drehte sich um. "Ja, Fa?"
"Denk dran. Wenn du jagen gehst, schau immer hinter dich. Das habe ich ... dir schon so oft gesagt." Er lächelte schief. "Du ... vergisst es jedes Mal. Schau immer hinter dich, hörst du?"
Torak nickte. Er zwang sich zurückzulächeln. Dann stapfte er durchs nasse Farnkraut zum Fluss hinunter.
Es wurde heller, die Luft roch frisch und süß. Die Bäume ringsum bluteten, goldenes Kiefernblut sickerte aus den Wunden, die der Bär den Stämmen geschlagen hatte. In der Morgenbrise hörte man die Baumgeister leise klagen.
Unten am Fluss zogen Nebelschwaden über den Farn, Weidenbäume tauchten ihre Finger ins kalte Wasser. Torak sah sich rasch um, dann pflückte er ein Ampferblatt und ging ans Ufer. Seine Stiefel sanken in den weichen roten Boden ein.
Er blieb wie angewurzelt stehen.
Direkt neben seinem rechten Fuß war eine Bärenspur. Der Abdruck einer Vorderpfote, doppelt so groß wie sein eigener Kopf und noch so frisch, dass sich die Löcher dort, wo sich die tückischen langen Klauen tief in den Lehm gebohrt hatten, scharf umrissen abzeichneten.
Schau hinter dich, Torak.
Er fuhr herum.
Weiden. Erlen. Tannen.
Kein Bär.
Er erschrak, als sich neben ihm ein Rabe auf einem Ast niederließ. Der Vogel legte unbeholfen die schwarzen Flügel an und heftete ein rundes schwarzes Auge auf ihn. Dann ruckte er mit dem Kopf, krächzte und flog davon.
Es kam Torak vor, als wollte ihm der Vogel etwas zeigen. Er blickte ihm nach.
Dunkle Eiben. Tropfnasse Fichten. Dicht. Undurchdringlich.
Aber höchstens zehn Schritt entfernt, bewegten sich Zweige im Dickicht. Da war etwas. Etwas sehr Großes.
Torak versuchte, die Ruhe zu bewahren und nachzudenken, aber sein Kopf fühlte sich vor lauter Angst ganz leer an.
Das Gefährliche an Bären ist, dass sie sich so leise wie ein Lufthauch bewegen können, sagte sein Vater immer. Ein Bär kann zehn Schritt neben einem lauern, ohne dass man es merkt. Gegen einen Bären kann man sich nicht wehren. Er ist schneller. Er kann besser klettern. Allein wird man nicht mit ihm fertig. Man kann ihn nur beobachten und versuchen, ihm klar zu machen, dass man weder Feind noch Beute ist.
Torak zwang sich, ganz still zu stehen. Nicht weglaufen. Nicht weglaufen. Vielleicht hat er dich nicht bemerkt.
Ein dumpfes Fauchen. Wieder bewegten sich die Zweige.
Er hörte es rascheln, als sich das Tier der Hütte näherte, wo sein Vater lag. Er blieb reglos stehen, als es an ihm vorbeitappte. Feigling!, schalt er sich stumm. Du versuchst ja nicht mal, Fa zu beschützen!
Aber was kannst du schon machen?, widersprach die leise Stimme der Vernunft. Fa hat gewusst, dass es so kommen würde. Deshalb hat er dich zum Fluss geschickt. Er hat gewusst, dass ihn der Bär holen kommt ...
"Torak!", hörte er den Vater schreien. "Lauf!"
Krähenschwärme stoben krächzend auf. Ein Gebrüll erschütterte den Wald, ein nicht enden wollendes Gebrüll, von dem Torak schier der Schädel platzte.
"Fa!", schrie er gellend.
"Lauf!"
Noch einmal bebte der Wald. Noch einmal hörte er seinen Vater rufen, dann verstummte er jäh.
Torak biss sich auf die Faust.
Zwischen den Bäumen erspähte er in den Trümmern der Hütte einen großen schwarzen Schatten.
Dann drehte er sich um und rannte los.
Kapitel 2
Torak stürmte durchs Erlendickicht und versank bis zu den Knien im Morast. Die Birken verständigten sich flüsternd über den Eindringling. Stumm beschwor er sie, dem Bären nichts zu verraten.
Sein verletzter Arm brannte, und seine Rippen schmerzten bei jedem Atemzug, aber er traute sich nicht, stehen zu bleiben. Der Wald war voller Augen. Er stellte sich vor, wie ihn der Bär verfolgte. Er rannte weiter.
Er scheuchte einen jungen Keiler auf, der nach Knollenkümmel grub, und grunzte eine Entschuldigung, damit das Tier nicht auf ihn losging. Der Keiler antwortete mit einem übellaunigen Schnauben und ließ ihn ziehen.
Ein Vielfraß knurrte Verschwinde!, als er vorbeilief, und er knurrte so wütend zurück, wie er konnte, denn bei Vielfraßen musste man sehr bestimmt sein. Dieser hier kam jedenfalls zu dem Schluss, dass Torak es ernst meinte, und floh auf einen Baum.
Im Osten war der Himmel wolfsgrau. Ferner Donner grollte. Das Licht vor dem Gewitter färbte die Bäume leuchtend grün. Im Gebirge gibt es Regen, ging es Torak durch den Kopf. Gib auf Sturzbäche Acht.
Auf diesen Gedanken konzentrierte er sich, um seine Angst zu vergessen. Es gelang ihm nicht. Er rannte weiter.
Irgendwann war er außer Atem und musste Halt machen. Unter einer Eiche ließ er sich auf den Boden fallen. Als er den Kopf hob und in das flirrende grüne Blätterdach emporblickte, hörte er den Baum vor sich hin murmeln, doch er ließ den Jungen nicht an seinen Geheimnissen teilhaben.
Zum ersten Mal in seinem Leben war Torak ganz allein. Er fühlte sich nicht mehr als Teil des Waldes. Er hatte das Gefühl, als hätte seine Weltseele ihre Verbindung zu allem Lebendigen durchtrennt – zu Baum und Vogel, Jäger und Wild, Fluss und Fels. Niemand und nichts auf der ganzen Welt wusste, wie es ihm erging, und es wollte auch niemand wissen.
Der schmerzende Arm riss ihn aus seinen Gedanken. Er holte den letzten Rest Birkenbast aus dem Medizinbeutel und wickelte ihn um die Wunde. Dann stand er auf und sah sich um.
In diesem Teil des Waldes war er aufgewachsen. Hier kannte er jeden Hang, jede Lichtung. Durch das Tal im Westen floss das Rotwasser. Für Kanus war es zu seicht, aber wenn im Frühjahr die Lachse vom Meer heraufkamen, konnte man dort gut angeln. Am östlichen Rand des Großen Waldes lag ein weites, sonniges Gehölz, in dem sich das Wild im Herbst dick und rund fraß und wo es Beeren und Nüsse im Überfluss gab, und im Süden war das Hochmoor, wo die Rentiere im Winter Moos ästen.
Fa sagte immer, das Beste an diesem Teil des Waldes sei, dass kaum andere Menschen herkamen. Höchstens ab und zu die sonderbaren Leute vom Weidenclan, der am Meer im Westen lebte, oder Angehörige des Natternclans aus dem Süden, aber keiner ließ sich hier für längere Zeit nieder. Sie zogen lediglich vorüber, jagten, was sie benötigten, wie es alle Bewohner des Großen Waldes taten, und keiner ahnte, dass hier auch Fa und Torak ihr Jagdrevier hatten.
Torak hatte nie darüber nachgedacht, warum das so war. So hatte er schon immer gelebt: allein mit Fa und fern aller Sippen. Doch jetzt sehnte er sich zum ersten Mal nach anderen Menschen. Er hätte gern laut gerufen, um Hilfe geschrien.
Aber Fa hatte ihm dringend davon abgeraten.
Außerdem konnte ihn der Bär dann hören.
Der Bär.
... weniger
Autoren-Porträt von Michelle Paver
Michelle Paver, geb. 1960 im heutigen Malawi, wächst in England auf und lebt heute in Wimbledon bei London. Ihren Beruf als Patentanwältin in einer großen Londoner Kanzlei gab sie auf, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Schon als Kind war sie begeistert von Mythen und Geschichten aus der vorgeschichtlichen Zeit. Nachdem sie zunächst historische Romane für Erwachsene veröffentlicht hatte, beschäftigte sie sich erneut mit der Geschichte eines Jungen und eines Wolfs, die sie zwanzig Jahre zuvor begonnen hatte. Die Geburtstunde von Torak war gekommen. Für ihre Recherchen zur 'Chronik der dunklen Wälder' unternahm sie ausgedehnte Reisen in die Wildnis Lapplands.
Bibliographische Angaben
- Autor: Michelle Paver
- Altersempfehlung: 10 - 12 Jahre
- 2005, 2. Aufl., 282 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 14,5 x 22,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Katharina Orgaß, Gerald Jung
- Verlag: cbj
- ISBN-10: 3570129055
- ISBN-13: 9783570129050
Rezension zu „Wolfsbruder / Chronik der dunklen Wälder Bd.1 “
"'Wolfsbruder' vermischt geschickt Fakten über die Ära der Jäger und Sammler, wie sie die Archäologie überliefert, mit spannender Fiktion. Sinnlich wird ein Stück Geschichte erfahrbar."
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