Zeit des Wiedersehens
Doch in der Einsamkeit Schottlands beginnt für ihn ein neuer Weg zum Glück.
Robin Pilcher hat das Erzähltalent seiner berühmten Mutter geerbt.
Zeit desWiedersehens von Robin Pilcher
LESEPROBE
Der Wecker klingelte um sieben, wie immer während der letztenvierzehn Monate. Nicht bereits um sechs wie zu der Zeit, als Dan Porter nochzur Arbeit gegangen war. Dan schreckte auf und tastete nach dem Hebel, um dem höllischenKlingeln ein Ende zu setzen, aber der Wecker vibrierte so stark, dass er aufden Teppichboden fiel. Dort unten klingelte er weiter, während Dans Hand nochimmer blind auf dem Nachttisch herumtapste.
»Wo zum Teufel ist das Ding?« Dan gab sich einen Ruck, schlugdie Decke zur Seite, schwang die Beine über den Bettrand und setzte sich auf.Keine kluge Entscheidung, dachte er und musste die Augen zusammenkneifen, umgegen den einsetzenden Schwindel anzugehen. Langsam fand die Welt ihr Oben undUnten wieder, das Pochen in den Ohren ließ nach; schließlich sah er den Weckerauf dem Boden liegen, der nun endlich ruhiger wurde, wie eine Fliege in ihrenletzten Zuckungen.
Er stöhnte und beugte sich vor, um den Störenfried aufzuheben,rutschte vom Bett auf die Knie und streckte den Arm aus, griff aber ins Leere.Mit verschlafenen Augen sah er, wie eine schöne, schlanke Hand den Weckeraufhob, sah das goldene Band um den Zeigefinger, den Kranz Rubine, der sich umeinen glitzernden Diamanten schloss. Ein rot
lackierter Daumennagel schnippte den Hebel zur Seite und erlösteden Wecker von seinem Übel. Dan drehte den Kopf, ließ den Blick hinaufgleitenbis zu dem goldenen Anhänger über dem Spalt zwischen ihren Brüsten: Jackiehatte die oberen drei Blusenknöpfe offen gelassen, und die ganze Pracht darunterließ sich erahnen. Er hob den Kopf ein wenig und sah seiner Frau ins Gesicht.Wie so oft dachte er, dass er ewig brauchen würde, um ihre Züge richtig zubeschreiben, weil er nie all die Nuancen zu Papier bringen könnte - ihre Augen,die vielleicht eine Idee zu weit auseinander lagen, ihre kleine Nase, dieOhren. Im Grunde reichte ein einziges Wort: PERFEKT, in großen, schwarzenLettern. Jackie hatte ihn immer schon ungeheuer angemacht - und tat es noch. Auchnoch im zwanzigsten Ehejahr.
Heute jedoch war es offensichtlich, dass seine Gefühle nichterwidert wurden. Zwar umspielte ihren Mund die Spur eines Lächelns, aber daslas sich für ihn als ein: »Dan, was bist du doch für ein trauriger Anblick«,und nicht: »Hallo, Liebling, wie geht's dir heute Morgen?«
Dan rappelte sich vom Boden auf und ließ sich zurück aufsBett fallen. Das Gesicht auf die Hand gestützt, beobachtete er, wie Jackie denWecker auf ihren Frisiertisch stellte und das Make-up für unterwegs in dieHandtasche packte.
»Hey«, sagte er und verzog den Mund zu einem, wie er hoffte,sexy Lächeln.
»Was?«, fragte Jackie, ohne in seine Richtung zu sehen. Sieging zum Kleiderschrank hinüber und nahm einen Regenmantel heraus.
So schnell gab Dan sich nicht geschlagen. »Wie wär's, wenndu noch mal ins Bett kämst und ich dir den Turm von Westminster zeigte?«
Jackie warf sich den Regenmantel über den Arm, drehte sichzu ihm um und unterzog ihn und seinen gewohnten nächtlichen Aufzug einereingehenden Musterung: seine ausgebeulten grauen Sportshorts und dasverwaschene gelbe T-Shirt mit dem Mottenloch über der linken Brust.
»Ich frage mich, ob mich irgendwas an der Idee reizt«, sagtesie und schüttelte dabei langsam den Kopf.
Dan ließ den Kopf aus der Hand gleiten und sank in übertriebenerNiedergeschlagenheit in sich zusammen. »Nun, wenigstens macht einer von uns malvon Zeit zu Zeit einen Vorschlag in der Richtung«, grummelte er in seinDeckbett.
»Was war das?«
Dan richtete sich auf. »Nichts.«
»Ich habe dich genau verstanden.«
»Schon gut, war nur ein Witz.«
»Finde ich aber nicht sehr komisch.«
Dan seufzte tief. »Okay, es tut mir Leid.« Er schob die Händein die Taschen seiner Shorts. »Soll ich dir eine Tasse Kaffee machen?«
Jackie schüttelte den Kopf. »Nein, ich muss um acht im Bürosein. Um neun haben wir eine Budgetbesprechung, und vorher muss ich unserenAusstatter noch in den Hintern treten. Schon seit drei Monaten hat er denAuftrag, an unserem Setting für die Show in Paris ein paar Änderungen vorzunehmen,hat aber noch nichts geliefert. « Sie ließ den Blick kurz durch den Raumwandern, um zu sehen, ob sie auch nichts vergessen hatte, hauchte einen sonichtssagenden wie flüchtigen Kuss auf Dans Wange und wandte sich Richtung Tür.Er folgte ihr hinaus auf den schmalen Treppenabsatz und hinunter insErdgeschoss.
»Und was machst du heute?«, fragte sie über die Schulter.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht vertreibe ich mir die Zeit mitein bisschen Hausarbeit.«
Am Fuß der Treppe angekommen, drehte Jackie sich zu ihm um,und wieder sah er, dass seine witzig gemeinte Bemerkung auf einen versteinertenAusdruck stieß.
»Hast du Ben Appleton angerufen?«, fragte sie. (...)
© 2004 Ullstein Heyne List Verlag GmbH & Co. KG, München
Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence
Robin Pilcher hat einen ziemlich originellen Lebenslauf zubieten. In Schottland aufgewachsen, jobbte er als Cowboy auf einerMormonen-Ranch in Utah, arbeitete als Mechaniker in einer dänischen BH-Fabrikund wurde aus der Armee entlassen, weil er wegen seines kürzeren linken Beinsbeim Appell nicht gerade stehen konnte. Nach einigen Jahren alsKamera-Assistent bei Dokumentardrehs besuchte er eine Landwirtschaftsschule undbegann den Hof seines Großvaters zu bewirtschaften. Nach einem Sabbatical -inzwischen mit Frau und vier Kindern - in Australien stieg er in die PR-Brancheein, gründete nebenbei ein Plattenstudio und nahm selbst eine LP auf. Erst 1999veröffentlichte er seinen ersten Roman. Wenn er nicht in Schottland ist,arbeitet er auf seiner spanischen Finca, die gleichzeitig eine Stiftung zurFörderung schriftstellerischen Nachwuchs beherbergt, die auch von seiner MutterRosamunde unterstützt wird.
Interviewmit RobinPilcher
Der 11. September2001 und die zunehmende soziale Kälte bilden den Rahmen Ihres Romans "Zeit desWiedersehens". Wie wichtig ist es Ihnen, in Ihren Büchern auch die Stimmungeiner Zeit oder einer Epoche zu transportieren?
Schreibtman ein Buch, das in der Gegenwart spielt, ist es sehr wichtig, sich aufEreignisse und Umstände zu beziehen, die jeden von uns betreffen. Während ich"Zeit des Wiedersehens" schrieb, stellte ich ungefähr nach der Hälfte meinesPensums fest, dass ich ein wenig diesen Fokus verloren hatte. Mir wurde klar,dass z.B. jeder Banker auf der Welt - mein Held, Dan Porter, war ja auch einer- tief betroffen war vom 11. September 2001. Da wurde mir klar, dass das Teilmeines Buches werden musste. Schwer gefallen ist mir das nicht. DasEinführungskapitel zu dem Teil, in dem ich die Reaktion von Dan Porter auf dasUnglück schildere, schrieb ich in einer halben Stunde - und ich habe kein Wortmehr daran geändert. Aber obwohl diese sicher eine der besten Passagen ist, dieich je geschrieben habe, kann ich sie nie während einer Lesung vortragen. DerKloß in meinem Hals ist einfach zu groß.
Der wichtigsteTeil des Romans spielt im schottischen Hochland, wo auch Sie leben. Etliche derCharaktere werden hier geläutert. Haben Sie dies auch so erfahren? Wie würdenSie den Einfluss dieser Landschaft auf den Menschen beschreiben?
Schottlandgibt einem Rätsel auf. Es ist ein Land, das gerade einmal knapp 500 mal 180Kilometer groß ist. Es liegt im Norden einer der am dichtesten besiedeltenRegionen Europas, und doch gibt es in diesem wundervollen Land immer nochGegenden, in denen es schwer ist, ein Haus oder ein menschliches Wesen zufinden. Schottland hat Kraft, es kann gefährlich sein, es zieht einen an wieein Magnet und kann hypnotisieren. Die Bewohner haben einen großenNationalstolz, und ich empfinde es als Segen, hier leben zu dürfen.
Sie selbst habeneine wechselhafte Karriere als Farmer, Kameramann und PR-Berater hinter sich.Täuscht der Eindruck, oder haben Sie aus diesem Fundus auch für "Zeit desWiedersehens" geschöpft?
Wenn manschreiben möchte, sollte man sich immer seiner Erfahrungen bedienen, solcherDinge, mit denen man sich gut auskennt. Ich habe immer schon beobachtet, was ummich herum vorgeht. Und auch in meinem vierten Buch vertraue ich auf meineLebenserfahrung. Das bezieht sich nicht nur auf bestimmte Umstände, sondernauch auf die Leute, denen ich begegnet bin.
Ihr Romanbeschreibt auch das turbulente Leben einer Patchwork-Familie. Haben Sie selbstschon Erfahrungen mit den Tücken des elterlichen "Erziehungsauftrags" sammelndürfen?
Vater zusein ist immer voller "Gefahren" - besonders am Anfang. Meine Frau und ichhatten absolut keinen Plan, wie wir mit einem Kind umgehen sollen - von vierenganz zu schweigen. Aber ich würde das für nichts in der Welt missen wollen. Ichhabe nie über den Verlust von Freiheit oder Selbstausbeutung nachgedacht. Dennmeine Kinder haben mein Leben bereichert. Und ich weiß gar nicht mehr, wie eswäre, ohne sie zu sein. Erst vor kurzem haben mein ältester Sohn und seineFreundin ein Mädchen bekommen, Andalucia - die nächste Generation der Pilchers.Es gibt nichts, was mich glücklicher machen könnte. Auch daraus kann man diesewundervollen Geschichten beziehen.
Als meinejüngste Tochter Florence elf Jahr alt war, bin ich mit ihr im Supermarkteinkaufen gewesen.
Auf dem Wegdorthin fragte sie mich: "Papa, hast Du Mama geheiratet wegen ihres Aussehensoder wegen ihres Charakters?" Ich antwortete mit einer Art Mischung aus beidem,dass sie sehr hübsch war und dass wir denselben Sinn für Humor gehabt hätten.Sie sagte während des ganzen Einkaufes kein Wort. Auf dem Rückweg schaute siemich an und sagte: "Papa?". Und ich. "Ja, Florence.". Darauf meinte sie: "Papa,ich glaube, Mama hat dich wegen deines Charakters geheiratet!" Super, oder! Dasist doch einfach unnachahmlich!
Zuletzt eineFrage, die Sie hoffentlich noch nicht zu oft gehört haben: Sie haben eineberühmte Mutter - haben Sie dies eher als hilfreich für Ihren Erfolg alsSchriftsteller empfunden oder als Hypothek?
Das Lustigeist, dass ich am Anfang nicht auf die Idee kam, dass mich das irgendwiebehindern könnte. Ich war absolut davon überzeugt, dass ich ein Buch schreibenkönnte, das jeder lesen will. Und dass ich natürlich nach meiner Leistungbeurteilt werden würde. Rückblickend würde ich sagen, dass es sehr mutig vonmeinem Verleger in den USA, Tom Dunne, gewesen ist, mein erstes Buchherauszugeben. Es scheint eben einfach eine Medaille mit zwei Seiten zu sein.Zweifellos hat mir der Name Pilcher geholfen, an die Spitze zu kommen. Aber alsSchriftsteller musste ich mich schon selbst beweisen. Das Lernen hört nie auf,und ich hoffe, ich werde besser.
Die Fragen stellte HenrikFlor, Literaturtest.
- Autor: Robin Pilcher
- 2005, N.-A., 334 Seiten, Maße: 12 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Löcher-Lawrence, Werner
- Übersetzer: Werner Löcher-Lawrence
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453350898
- ISBN-13: 9783453350892
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