Zurück ins Glück
Roman. Deutsche Erstausgabe
Liebe, Macht und ein streng gehütetes Familiengeheimnis
Der absolute Albtraum! Samantha steht mit ihrem Traummann vor dem Altar. Da ruft eine Stimme aus der hintersten Reihe, sie und ihr Liebster dürften niemals heiraten. Sie seien doch Geschwister...
Der absolute Albtraum! Samantha steht mit ihrem Traummann vor dem Altar. Da ruft eine Stimme aus der hintersten Reihe, sie und ihr Liebster dürften niemals heiraten. Sie seien doch Geschwister...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
7.95 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Zurück ins Glück “
Klappentext zu „Zurück ins Glück “
Liebe, Macht und ein streng gehütetes FamiliengeheimnisDer absolute Albtraum! Samantha steht mit ihrem Traummann vor dem Altar. Da ruft eine Stimme aus der hintersten Reihe, sie und ihr Liebster dürften niemals heiraten. Sie seien doch Geschwister Vollkommen erschüttert flüchtet Sam aus dem windumtosten Irland ins heiße Spanien. Der Weg zu sich selbst, den sie dort zu gehen hofft, führt sie in die Vergangenheit. Und zu der Liebe ihres Lebens
Der absolute Albtraum! Samantha steht mit ihrem Traummann vor dem Altar. Da ruft eine Stimme aus der hintersten Reihe, sie und ihr Liebster dften niemals heiraten. Sie seien doch Geschwister ... Vollkommen erschtert flhtet Sam aus dem windumtosten Irland ins hei Spanien. Der Weg zu sich selbst, den sie dort zu gehen hofft, frt sie in die Vergangenheit. Und zu der Liebe ihres Lebens ...
Lese-Probe zu „Zurück ins Glück “
Zurück ins Glück von Suzanne Higgins1. Kapitel
Ein solches Schauspiel hatte Fiddler’s Point noch nie erlebt. Hoch oben am Himmel kreischten die Möwen, während sie das farbenprächtige Spektakel unter sich neugierig beäugten. Fuchsiafarbene und scharlachrote Federboas bauschten sich träge im Wind, als Frauen in eleganten Kostümen und Stilettos in die malerische Dorfkirche strömten. Über dem Gebäude zogen Hubschrauber ihre Kreise und warteten ungeduldig darauf, sich ihrer aus Irlands Vertretern von Reichtum und Macht bestehenden Fracht entledigen zu können.
Die Bewohner von Fiddler’s Point verfolgten dies alles mit stiller Belustigung. Sie waren an die Eskapaden der Superreichen gewöhnt, die in ihrer Mitte lebten. Vor über hundert Jahren hatte sich die Familie Judge hier niedergelassen, und obgleich alle Judges ein wenig exzentrisch waren, musste man ihnen zugute halten, dass sie dem Dorf dringend benötigte Arbeitsplätze und regelmäßige Einkünfte verschafft hatten. Lange Zeit war der Fischfang die einzige Existenzgrundlage von Fiddler’s Point gewesen, doch dann hatte James Judge der Erste damit begonnen, schwarz gebrannten Whiskey zu vertreiben, und dem Dorf so eine zweite Einkommensquelle erschlossen.
Schon bald erlangte es den Ruf eines Mekkas durchzechter Nächte.
Frank Delaney pflegte an sechs Tagen in der Woche mit seinem Kutter zum Fischen hinauszufahren, und es passte ihm gar nicht, an einem Samstagnachmittag nicht draußen auf der Irischen See zu sein, aber seine Frau Tess hatte keine Ausflüchte gelten lassen. Nachdem ihre alte Arbeitgeberin Rose Judge ihr vorige Woche, als die beiden Frauen nach dem Gottesdienst gemeinsam die Kirche verließen, beiläufig mitgeteilt hatte, sie werde für sie einen Platz in einer der hinteren Bänke reservieren, hätten keine zehn Pferde
... mehr
Tess dazu bewegen können, der Zeremonie fernzubleiben. Höchstwahrscheinlich hatte Rose die Einladung lediglich aus einem Impuls heraus ausgesprochen, aber Tess hatte sie trotz der unüberhörbaren Kälte in Roses Stimme sofort angenommen. Die Zeit, in der sie gemeinsam mit Mrs. Bumble in Dunross, dem Familiensitz der Judges, Böden poliert und Wäsche gebügelt hatte, lag schon lange zurück. Mrs. B war immer noch dort, inzwischen als Haushälterin tätig, Tess hatte gekündigt, als sie schwanger geworden war. Sie und Mrs. B waren gute Freundinnen geblieben, wohingegen Rose Judge bis heute eine gewisse Distanz wahrte.
Sie hatte von jeher deutlich durchblicken lassen, dass sie der Meinung war, ihr Personal sollte wissen, wo sein Platz war.
Frank, Tess’ Mann, verspürte nicht die geringste Lust, eine Kirche zu betreten – schon gar nicht, um mit anzusehen, wie der junge Judge getraut wurde, aber Tess hatte ihn unaufhörlich bestürmt, und da sie ihn ohnehin nur selten um etwas bat, hatte er schließlich nachgegeben. Immerhin hielt sie es nun schon seit fast vierzig Jahren mit ihm aus, da konnte er ihr ruhig diesen kleinen Gefallen tun. Außerdem kamen seine drei Söhne auf dem Fischkutter auch ohne ihn zurecht.
Frank und Tess zählten zu den ersten Gästen – die Aufregung hatte sie viel früher als nötig aus dem Haus getrieben –, und so konnten sie verfolgen, wie sich die Kirche füllte. Nach und nach trafen die Freundinnen der Braut ein, eine Schar fröhlicher junger Dinger, die miteinander um die Wette strahlten und so glücklich und unbeschwert wirkten, als scheine die Sonne nur für sie allein.
Tess betrachtete sie nachsichtig und dachte unwillkürlich daran, dass an dem alten Sinnspruch, die Jugend meine, ihr gehöre die Welt, doch etwas Wahres dran war.
Frank ließ den Blick über den Rest der Menge schweifen. Er erkannte mehrere Minister und natürlich die Taoiseach, die Ministerpräsidentin, die die ruhige Zufriedenheit eines Menschen ausstrahlte, der seine Ziele im Leben erreicht hatte. Tess’ Hauptinteresse galt den Frauen der Großkopferten, die ungefähr in ihrem Alter standen – Mitte bis Ende fünfzig – und zahlreich vertreten waren. Ihr kostbarer Schmuck entlockte ihr einen wehmütigen Seufzer, und erst die Kleider … Tess’ Augen weiteten sich vor Bewunderung. Aber sie empfand keine Spur von Neid oder Missgunst, denn sie war mit ihrem Leben zufrieden.
Sie liebte Frank aufrichtig und dankte ihrem Schöpfer jeden Tag für ihre drei wohlgeratenen Söhne, doch sie nutzte gerne jede Gelegenheit, als Zuschauerin am Leben dieser Leute teilzuhaben. Sie sahen allesamt so aus, als seien sie einem Modejournal entsprungen. Tess verstand nicht viel von Kleidern, aber sie erkannte Qualität, wenn sie sie sah. Die älteren Frauen trugen creme oder pastellfarbene, häufig mit Gold bestickte Kostüme; weiche Töne, die reifer Haut schmeichelten, wie sie schmunzelnd bei sich dachte, dazu zumeist die traditionellen Perlen. Die hübschen jungen Mädchen waren in federleichte, in kräftigen, bunten Farben gehaltene Stoffe gehüllt, die sich eng an ihre schlanken Körper schmiegten.
Am Mittelmeer oder in Florida verbrachte Urlaube hatten fast allen Gästen der Judges eine gesunde Bräune beschert. Tess musterte ihren Frank verstohlen. Ironischerweise sah er dank der harten Arbeit bei Wind und Wetter an Bord seines Kutters, der Ashling, mindestens ebenso gesund aus. Einen Moment lang wanderten ihre Gedanken zu ihrer eigenen geliebten Ashling, der einzigen Tochter, die Gott ihr geschenkt hatte. Sie war auf ihre drei Söhne gefolgt, und Tess hatte sie Ashling genannt – das irische Wort für ›Traumbild‹, weil ihr Traum von einem kleinen Mädchen endlich doch noch wahr geworden war. Doch der Traum war von kurzer Dauer gewesen; Tess hatte Ashling nur eine Stunde lang in den Armen halten dürfen, dann hatte Gott sie wieder zu sich gerufen.
Der Tod der Tochter war die einzige große Tragödie in ihrem Leben. Tess wusste, dass sie über diesen Verlust nie hinwegkommen würde. Ein paar Jahre später war Frank in der Lage gewesen, seinen ersten bescheidenen Fischkutter zu erwerben, und er hatte seiner Frau vorgeschlagen, ihn The Ashling zu nennen. Sie hatte sich sofort einverstanden erklärt, weil auf diese Weise die Erinnerung an ihr kleines Mädchen, ihren Fleisch gewordenen Traum, am Leben gehalten wurde. Rasch verdrängte sie diese traurigen Gedanken. Ihre Söhne waren heute mit der Ashling hinausgefahren. Hoffentlich machten sie einen guten Fang.
Energisch konzentrierte sie sich wieder auf das Hier und Jetzt und strich mit beiden Händen über ihr Kleid, um nicht vorhandene Falten zu glätten. Dann zupfte sie an ihrem Haar, das sie sich noch heute Morgen frisch hatte legen lassen. Frank drehte sich zu ihr um und zwinkerte ihr zu. Er hatte darauf bestanden, dass sie sich für diesen Anlass ein neues Kleid kaufte, und da sie sich seit Jahren nichts Neues mehr geleistet hatte, kam sie sich ausgesprochen elegant vor. Sie hatte das, was Frank als üppige Rundungen und einen stattlichen Busen bezeichnete, und war eigentlich ganz zufrieden mit ihrer Figur.
Heute fiel es ihr allerdings schwer, ihre Körperfülle mit Stolz zu tragen. Außerdem war sie fast so groß wie ihr Mann, was allerdings den Vorteil hatte, dass sie die gesamte Kirche bis vorn zum Altar überblicken konnte. Diese füllte sich zunehmend. Die Düfte kostbarer, schwerer Parfüms, die miteinander um die Vorherrschaft zu streiten schienen, erfüllten die Luft. Draußen ertönte ein lautes Getöse, als die Hubschrauber auf dem Vorplatz landeten. Dann stockte Tess der Atem, als die Präsidentin an ihr vorbeischritt und einigen hochrangigen Besuchern der kleinen Kirche lächelnd zunickte.
»Du lieber Himmel, das ist ja besser als alles, was man in der Glotze zu sehen bekommt«, murmelte Frank fast ehrfürchtig. Tess zischte ihm zu, den Mund zu halten, denn nun rauschten Rose und ihr Mann James Judge der Zweite den Gang entlang. Rose war die Mutter des Bräutigams, und heute war ihr großer Tag. Sie schwebte so hoheitsvoll durch das Kirchenschiff, als sei sie ein Mitglied des Königshauses. Dabei hatte sie entschieden mehr Ähnlichkeit mit Joan Collins als mit einem der Royals. Obwohl sie ihre Einladung dankend angenommen hatte, mochte Tess Rose Judge nicht sonderlich. Niemand in Fiddler’s Point brachte ihr große Sympathie entgegen. Sie war eine hochnäsige, eingebildete Hexe und legte es heute ganz offensichtlich darauf an, allen anderen Frauen die Schau zu stehlen. Ihr lilafarbenes Kostüm, natürlich ein Designermodell, saß perfekt, betonte ihre zierliche Figur und schmeichelte ihrem Teint. Ihre Augen funkelten wie Diamanten. Man sah ihr an, dass sie jede Sekunde ihres Auftritts in vollen Zügen genoss.
Doch dann wurde Tess’ Blick weich, denn nun geleitete Cameron seine Großmutter Victoria Judge zu ihrem Platz im vorderen Teil der Kirche, direkt hinter seinen Eltern. Eigentlich ist heute sein großer Tag, dachte sie liebevoll. Cameron war im Dorf aufgewachsen. Während ihrer Kindheit hatten er und Tess’ Söhne jeden Tag miteinander gespielt. Später hatten sich ihre Wege natürlich getrennt, denn Cameron war der Familientradition der Judges folgend nach England geschickt worden, um dort die Schule zu besuchen. Die Delaney-Jungen Matt, Mark und Luke waren selbstverständlich in die hiesige Jungenschule gegangen, die sich in der zehn Meilen entfernten Stadt Wicklow befand. Obgleich der Kontakt zwischen den drei Delaneys und Cameron Judge nie ganz abgerissen war, verband sie heute nicht mehr die enge Freundschaft ihrer Kindertage und würde sich vermutlich auch nie wieder
aufbauen lassen.
Tess sah gerührt zu, wie Cameron seine Großmutter behutsam zu ihrem Platz führte. Nicht dass sie wirklich auf seine Hilfe angewiesen wäre – sogar mit ihren über neunzig Jahren verfügte diese Frau noch über rasiermesserscharfen Verstand. Doch Tess registrierte betrübt, dass Victorias Körper dem Alter Tribut zu zollen begann; sie wurde allmählich doch recht gebrechlich. Zum ersten Mal benutzte die alte Dame zwei Gehstöcke statt einem. Der Tag, an dem Victoria Judge starb, würde ein schwarzer Tag für Fiddler’s Point sein. Granny Vic, wie sie allgemein genannt wurde, lebte in Dunross, seit sie irgendwann um 1920 herum in den Judge-Clan eingeheiratet hatte. Sie glich einer weisen alten Eule und hatte weder mit Dummköpfen noch mit Rose viel Geduld.
Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass seine Großmutter bequem saß, wandte sich Cameron ab, um die Gäste zu begrüßen, die weiter in die Kirche strömten.
Ein vollendeter Gentleman, der jede Situation unter Kontrolle hat, dachte Tess. Die meisten Männer waren blass, nervös und zappelig, während sie auf das Eintreffen ihrer Braut warteten. Nicht so Cameron Judge. Er strahlte jenes typische Selbstbewusstsein aus, das wohlhabenden, erfolgreichen Männern zu eigen ist, und erweckte den Eindruck, als würde er viel Zeit in der Kirche verbringen, so ungezwungen gab er sich. Aber der Schein trog. Es gehörte zu Camerons zahlreichen Talen ten, sich überall dort, wo er sich gerade aufhielt, den An schein geben zu können, als fühle er sich wie zu Hause.
Er war so groß wie sein Vater, nahezu eins neunzig, und immer leicht gebräunt, da er den Sommer in der Villa der Judges auf Barbados verbrachte. Im Winter lief er in der Schweiz und in Colorado Ski. Cameron sah überwältigend gut aus, fand Tess, er war athletisch gebaut, hatte seine Gesichtszüge aber von seiner Mutter geerbt. Seine Augen standen wie die ihren weit auseinander und schimmerten strahlend blau, doch sie funkelten überdies noch vor Humor und Lebensfreude, während Roses Augen stets kühl und abschätzend blickten. Seine Nase war wie die seiner Mutter ein wenig zu markant geraten, sein Mund war breit, die Lippen voll, und wenn er lächelte, was er fast ständig tat, leuchtete sein ganzes Gesicht auf.
Beiden gemeinsam war die klassische Knochenstruktur eines griechischen Gottes und ein wacher, rasch arbeitender Verstand. Doch Cameron verströmte überdies noch einen Charme, von dem sich die Menschen so unwiderstehlich angezogen fühlten wie Motten vom Licht. Auch Rose konnte sehr charmant sein, wenn sie wollte, aber bei ihr wusste man nie, ob sie liebenswürdige Worte ernst meinte oder nur das sagte, was ihr Gegenüber ihrer Meinung nach zu hören wünschte. Man wurde aus dieser Frau einfach nicht schlau und schon gar nicht mit ihr warm, dachte Tess.
Jeder der Anwesenden wusste, dass Cameron heute auch Geburtstag feierte, denn in fast allen Illustrierten war ausführlich über seine bevorstehende Hochzeit berichtet worden. Heute, am 30. September, wurde Cameron Judge, Irlands begehrtester Junggeselle, fünfunddreißig Jahre alt und stand im Begriff, eine bildhübsche junge Frau namens Samantha White zu heiraten. Alle waren sich einig, dass Samantha das glücklichste Mädchen der Welt sein musste.
Samantha war mit dem Anblick, der sich ihr im Spiegel bot, überaus zufrieden. Sie sah von Natur aus gut oder sogar mehr als gut aus, aber heute übertraf sie sich selbst.
Ihre beiden besten Freundinnen waren es leid, vor ihrer Zimmertür ausharren zu müssen.
»Es ist unsere Pflicht, dir zur Hand zu gehen, Miss White!«, rief Gillian durch die geschlossene Schlafzimmertür.
»Ich komme wunderbar allein zurecht, vielen Dank«, ertönte Samanthas Antwort. Gillian schlug die Hände über dem Kopf zusammen und verschwand in ihrem eigenen Zimmer, um ihre Zigaretten zu holen.
»Was ist mit deinem Make-up? Sollte ich das nicht besser übernehmen?«, schlug Wendy vor. »Oder hast du vergessen, dass ich Kosmetikerin von Beruf bin?«
»Wann hast du das letzte Mal jemandem ein professionelles Make-up verpasst, Wendy Doyle? Du magst in grauer Vorzeit einmal eine Ausbildung als Kosmetikerin gemacht haben, aber es ist eine Ewigkeit her, seit du tatsächlich einen weißen Kittel getragen und dir die Hände schmutzig gemacht hast!«
Wendy schnaubte unwillig. »Was glaubst du denn, wer mich jeden Morgen schminkt? Denk ja nicht, dass ich irgendetwas verlernt habe.« Da ihr keine weiteren Argumente einfielen, hämmerte sie gegen Samanthas Tür.
»Okay, vergessen wir das Make-up. Wir wollen nur einen Blick auf dich werfen, immerhin sind wir deine Brautjungfern, das verleiht uns gewisse Privilegien. Komm schon, Sam, mach endlich diese verdammte Tür auf!«
Samantha hatte eigentlich um jeden Preis verhindern wollen, dass irgendjemand außer ihrer Friseuse sie zu Gesicht bekam, bevor sie die Kirche betrat – eine dumme, romantische Idee, die bei ihren beiden ältesten Freundinnen offensichtlich auf wenig Verständnis stieß. Als sie nach ihrer Verlobung die Hochzeitsfeier zu planen begonnen hatte, hatte sie mit dem Gedanken gespielt, ganz auf Brautjungfern zu verzichten. Sie hielt diese Sitte für altmodisch und überflüssig; sie brauchte ja auch sonst niemanden, der ihr beim Ankleiden oder bei ihrem Make-up behilflich war, warum sollte sie an ihrem Hochzeitstag nicht auch alleine fertig werden? Doch ihre zukünftige Schwiegermutter hatte nichts davon hören wollen.
»Keine Brautjungfern? Wo denkst du hin?« Roses Lächeln haftete die Wärme zerstoßenen Eises an, als sie Samantha durchdringend musterte. »Das kommt überhaupt nicht infrage. Du heiratest einen Judge, da brauchst du ein ganzes Heer von Brautjungfern und Blumenmädchen. Das wird von dir erwartet.« Ohne Samanthas Antwort abzuwarten, war sie davongerauscht.
Sam hatte von Anfang an gewusst, dass sie in diesem Punkt den Kürzeren ziehen würde. Sie tröstete sich damit, dass es noch weit schlimmer hätte kommen können.
Zum Glück hatten sich ihre Schwägerinnen in spe glattweg geweigert, eine aktive Rolle bei der Hochzeit zu übernehmen. Rose hatte sie gebeten, als Brautjungfern oder wenigstens als Ehrendamen zu fungieren, doch sie waren nicht gewillt gewesen, sich in mit Bändern und Schleifen besetzte Rüschenkleider stecken zu lassen.
Auch Camerons Nichte Zoë hatte Rose eine Abfuhr erteilt. Der siebenjährige kleine Satansbraten dachte gar nicht daran, sich als Blumenmädchen einspannen zu lassen.
Als erstgeborenes Enkelkind der Judge-Dynastie war Zoë furchtbar verzogen; ein vorlautes, aufsässiges Kind, weshalb Samantha insgeheim froh war, dass sämtliche Überredungsversuche seitens der Großmutter auf taube Ohren gestoßen waren. Samantha fürchtete sich nicht vor ihrer zukünftigen Schwiegermutter, aber sie hasste die Art, wie Rose allen Menschen um sich herum ihren Willen aufzuzwingen versuchte.
Gemeinsam mit ihr die Hochzeit zu planen, hatte sich dann prompt als extrem schwierig erwiesen. Sam hätte nicht davor zurückgescheut, ihr die Stirn zu bieten, aber der Ausdruck auf Camerons Gesicht hatte sie davon abgehalten. Sie wusste, wie sehr er darunter litt, dass sich die beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben wegen jeder Kleinigkeit in die Haare gerieten, und so hatte sie ihm zuliebe schließlich in fast allen Punkten nachgegeben. So wichtig waren ihr diese Einzelheiten
nicht.
Wieder ertönte ein energisches Klopfen an der Tür. Ganz offensichtlich waren ihre Freundinnen fest entschlossen, kein Nein als Antwort gelten zu lassen, und immerhin waren sie ja ihre Brautjungfern. Sie betrachtete sich ein letztes Mal in dem hohen Spiegel und nickte beifällig. Sie war mit ihrer Erscheinung mehr als zufrieden.
Gillian, durch Nikotinzufuhr gestärkt, unternahm einen neuerlichen Anlauf. »Komm schon, Samantha, früher oder später musst du dich ja doch begutachten lassen. Also bring es hinter dich und erspar dir diese Diskussion durch die gottverdammte Tür!« Sie zog erneut an ihrer Zigarette.
»Na schön.« Samantha gab auf. »Ich lasse euch rein. Aber dann will ich eure ehrliche Meinung hören.« Wendy, Gillian und Samantha befanden sich bereits im Rathnew Manor, einem Hotel in der Grafschaft Wicklow, in dem später auch der Hochzeitsempfang stattfinden sollte. Die Mädchen sowie Rose und James Judge hatten am Abend zuvor ihre Zimmer bezogen. Wendy und Gillian teilten sich eine große, sehr luxuriöse Suite, Samantha bewohnte eine kleinere am Ende des Korridors. Später würde sie in die prächtige Hochzeitssuite umziehen, die sie bislang noch nicht gesehen hatte, weil Cameron sie überraschen wollte. Er hatte ihr das feierliche Versprechen abgenommen, ja nicht zu versuchen, nur ein einziges Mal hineinzulinsen. Samantha seufzte resigniert, ging durch den Raum und öffnete die Tür. Ihre beiden besten Freundinnen standen auf der Schwelle und starrten sie mit offenem Mund an.
»O mein Gott!«, japste Wendy. »Sam, du siehst hinreißend aus!«
»Himmel, Samantha, man könnte dich glatt mit einem Hollywoodstar verwechseln.« Gillian musterte ihre Freun din bewundernd.
»Ich bin wirklich froh, dass ich mich für ein elfenbeinfarbenes Kleid entschieden habe statt für ein schneeweißes. « Samantha blickte an sich hinab. »Der dunklere Ton steht mir besser, und er passt wunderbar zu dem leichten Goldschimmer eurer Kleider.«
Gillian hüstelte betont indigniert. »Entschuldige bitte, aber dieser Farbton nennt sich Champagner und hat mit Gold überhaupt nichts zu tun.« Sie lächelte Samantha an.
»Trotzdem ergänzen wir uns perfekt.« Samantha strahlte.
»Du siehst aus wie eine Filmgöttin«, schloss Gillian. Über die allgemeine Anerkennung sichtlich erfreut, schwebte Samantha in den Raum zurück und drehte sich einmal langsam um die eigene Achse. »Das Kleid gefällt euch also wirklich?«, vergewisserte sie sich.
»Um Himmels willen, Sam, du hast doch nicht etwa noch stärker abgenommen?«, fragte Gillian entsetzt, dabei drückte sie ihre Zigarette aus und zündete sich im nächsten Atemzug eine neue an. »Jetzt habe ich die Nase voll! Ich werde nie wieder einen Bissen essen!«
»Nein, Gilly«, erwiderte Samantha mit fester Stimme, »ich habe nicht weiter abgenommen, und du weißt ganz genau, was ich von deiner Qualmerei halte. Jeder einzelne Glimmstängel lässt deine Haut einen Tag altern.«
Ihr entging nicht, wie Gillian entnervt die Augen verdrehte, und sie beschloss, das Thema nicht weiterzuverfolgen. Jetzt war nicht die Zeit für einen Vortrag über die Gefahren des Rauchens. »Aber meine Absätze sind ein gutes Stück höher als die, die ich normalerweise trage, deshalb wirke ich größer.«
»Hoffentlich nicht größer als Cam«, meinte Gillian bedenklich.
»Keine Sorge. In diesen Dingern …«, Samantha raffte ihren Rock, sodass ihre Stilettos sichtbar wurden, »… bin ich knapp einsachtzig groß. Cam ist fast einsneunzig.«
»Ein Meter neunzig geballte Männlichkeit«, fügte Wendy mit einem anzüglichen Grinsen hinzu. »Samantha, du kannst dich glücklich schätzen, ihn dir geangelt zu haben, aber er hat auch Glück, eine Frau wie dich zu bekommen. Ich habe dich noch nie so strahlend schön gesehen, und wenn ich das sage, will es etwas heißen.«
Samantha hatte sich für ein figurbetontes Kleid mit eng anliegendem Mieder aus elfenbeinfarbenem Satin entschieden, das mit Hunderten kleiner, kaum sichtbarer handgestickter Rosen übersät war, passend zu denen, die sie im Haar trug. Die Brautjungfern umkreisten sie langsam, um das exquisite Kleidungsstück von allen Seiten zu bewundern. Das Rückenteil der Corsage war ebenso aufwändig gearbeitet; unzählige winzige, satinüberzogene Knöpfe zogen sich Samanthas langen, schlanken Rücken hinunter. Der weich fließende, schmal geschnittene Rock bildete einen auffälligen Kontrast zu dem steifen Mieder.
»Sexy.« Gillian fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Aber nicht gerade jungfräulich-bräutlich«, stellte Wendy sachlich fest.
»Nun, ich wollte nicht aussehen wie ein Zuckerpüppchen, wenn ihr das meint«, lachte Samantha. »Man muss sich immer so vorteilhaft wie möglich präsentieren, vor allem an seinem Hochzeitstag.«
Der schmale Rock betonte die langen, schlanken Beine der Trägerin und wirkte entschieden verführerischer als die gebauschten Röcke der meisten Brautkleider. Samantha trat ein paar Schritte vor, damit ihre Freundinnen die daran befestigte Schleppe sehen konnten.
»Wow, ist die lang!«, staunte Gillian.
»Nur leider ziemlich unpraktisch, wenn später getanzt wird«, erwiderte Samantha trocken.
»Aber sooo romantisch«, seufzte Wendy. »Du siehst aus wie eine Prinzessin.«
Gillian nickte zustimmend. »Aber trotzdem schaffst du es noch, Sexappeal zu verströmen. Kompliment, Mädchen. «
»Was, du hast auf einen Schleier verzichtet?« Wendy sog scharf den Atem ein. »Das wird Rose Judge gar nicht gefallen.«
»Wenn sie mich zu Gesicht bekommt, kann sie nichts mehr machen.« Samantha grinste teuflisch. »Außerdem wäre es ein Stilbruch, zu diesem Kleid einen Schleier zu tragen. Dafür habe ich mir Rosen ins Haar flechten lassen.«
Übersetzung: Nina Bader
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Sie hatte von jeher deutlich durchblicken lassen, dass sie der Meinung war, ihr Personal sollte wissen, wo sein Platz war.
Frank, Tess’ Mann, verspürte nicht die geringste Lust, eine Kirche zu betreten – schon gar nicht, um mit anzusehen, wie der junge Judge getraut wurde, aber Tess hatte ihn unaufhörlich bestürmt, und da sie ihn ohnehin nur selten um etwas bat, hatte er schließlich nachgegeben. Immerhin hielt sie es nun schon seit fast vierzig Jahren mit ihm aus, da konnte er ihr ruhig diesen kleinen Gefallen tun. Außerdem kamen seine drei Söhne auf dem Fischkutter auch ohne ihn zurecht.
Frank und Tess zählten zu den ersten Gästen – die Aufregung hatte sie viel früher als nötig aus dem Haus getrieben –, und so konnten sie verfolgen, wie sich die Kirche füllte. Nach und nach trafen die Freundinnen der Braut ein, eine Schar fröhlicher junger Dinger, die miteinander um die Wette strahlten und so glücklich und unbeschwert wirkten, als scheine die Sonne nur für sie allein.
Tess betrachtete sie nachsichtig und dachte unwillkürlich daran, dass an dem alten Sinnspruch, die Jugend meine, ihr gehöre die Welt, doch etwas Wahres dran war.
Frank ließ den Blick über den Rest der Menge schweifen. Er erkannte mehrere Minister und natürlich die Taoiseach, die Ministerpräsidentin, die die ruhige Zufriedenheit eines Menschen ausstrahlte, der seine Ziele im Leben erreicht hatte. Tess’ Hauptinteresse galt den Frauen der Großkopferten, die ungefähr in ihrem Alter standen – Mitte bis Ende fünfzig – und zahlreich vertreten waren. Ihr kostbarer Schmuck entlockte ihr einen wehmütigen Seufzer, und erst die Kleider … Tess’ Augen weiteten sich vor Bewunderung. Aber sie empfand keine Spur von Neid oder Missgunst, denn sie war mit ihrem Leben zufrieden.
Sie liebte Frank aufrichtig und dankte ihrem Schöpfer jeden Tag für ihre drei wohlgeratenen Söhne, doch sie nutzte gerne jede Gelegenheit, als Zuschauerin am Leben dieser Leute teilzuhaben. Sie sahen allesamt so aus, als seien sie einem Modejournal entsprungen. Tess verstand nicht viel von Kleidern, aber sie erkannte Qualität, wenn sie sie sah. Die älteren Frauen trugen creme oder pastellfarbene, häufig mit Gold bestickte Kostüme; weiche Töne, die reifer Haut schmeichelten, wie sie schmunzelnd bei sich dachte, dazu zumeist die traditionellen Perlen. Die hübschen jungen Mädchen waren in federleichte, in kräftigen, bunten Farben gehaltene Stoffe gehüllt, die sich eng an ihre schlanken Körper schmiegten.
Am Mittelmeer oder in Florida verbrachte Urlaube hatten fast allen Gästen der Judges eine gesunde Bräune beschert. Tess musterte ihren Frank verstohlen. Ironischerweise sah er dank der harten Arbeit bei Wind und Wetter an Bord seines Kutters, der Ashling, mindestens ebenso gesund aus. Einen Moment lang wanderten ihre Gedanken zu ihrer eigenen geliebten Ashling, der einzigen Tochter, die Gott ihr geschenkt hatte. Sie war auf ihre drei Söhne gefolgt, und Tess hatte sie Ashling genannt – das irische Wort für ›Traumbild‹, weil ihr Traum von einem kleinen Mädchen endlich doch noch wahr geworden war. Doch der Traum war von kurzer Dauer gewesen; Tess hatte Ashling nur eine Stunde lang in den Armen halten dürfen, dann hatte Gott sie wieder zu sich gerufen.
Der Tod der Tochter war die einzige große Tragödie in ihrem Leben. Tess wusste, dass sie über diesen Verlust nie hinwegkommen würde. Ein paar Jahre später war Frank in der Lage gewesen, seinen ersten bescheidenen Fischkutter zu erwerben, und er hatte seiner Frau vorgeschlagen, ihn The Ashling zu nennen. Sie hatte sich sofort einverstanden erklärt, weil auf diese Weise die Erinnerung an ihr kleines Mädchen, ihren Fleisch gewordenen Traum, am Leben gehalten wurde. Rasch verdrängte sie diese traurigen Gedanken. Ihre Söhne waren heute mit der Ashling hinausgefahren. Hoffentlich machten sie einen guten Fang.
Energisch konzentrierte sie sich wieder auf das Hier und Jetzt und strich mit beiden Händen über ihr Kleid, um nicht vorhandene Falten zu glätten. Dann zupfte sie an ihrem Haar, das sie sich noch heute Morgen frisch hatte legen lassen. Frank drehte sich zu ihr um und zwinkerte ihr zu. Er hatte darauf bestanden, dass sie sich für diesen Anlass ein neues Kleid kaufte, und da sie sich seit Jahren nichts Neues mehr geleistet hatte, kam sie sich ausgesprochen elegant vor. Sie hatte das, was Frank als üppige Rundungen und einen stattlichen Busen bezeichnete, und war eigentlich ganz zufrieden mit ihrer Figur.
Heute fiel es ihr allerdings schwer, ihre Körperfülle mit Stolz zu tragen. Außerdem war sie fast so groß wie ihr Mann, was allerdings den Vorteil hatte, dass sie die gesamte Kirche bis vorn zum Altar überblicken konnte. Diese füllte sich zunehmend. Die Düfte kostbarer, schwerer Parfüms, die miteinander um die Vorherrschaft zu streiten schienen, erfüllten die Luft. Draußen ertönte ein lautes Getöse, als die Hubschrauber auf dem Vorplatz landeten. Dann stockte Tess der Atem, als die Präsidentin an ihr vorbeischritt und einigen hochrangigen Besuchern der kleinen Kirche lächelnd zunickte.
»Du lieber Himmel, das ist ja besser als alles, was man in der Glotze zu sehen bekommt«, murmelte Frank fast ehrfürchtig. Tess zischte ihm zu, den Mund zu halten, denn nun rauschten Rose und ihr Mann James Judge der Zweite den Gang entlang. Rose war die Mutter des Bräutigams, und heute war ihr großer Tag. Sie schwebte so hoheitsvoll durch das Kirchenschiff, als sei sie ein Mitglied des Königshauses. Dabei hatte sie entschieden mehr Ähnlichkeit mit Joan Collins als mit einem der Royals. Obwohl sie ihre Einladung dankend angenommen hatte, mochte Tess Rose Judge nicht sonderlich. Niemand in Fiddler’s Point brachte ihr große Sympathie entgegen. Sie war eine hochnäsige, eingebildete Hexe und legte es heute ganz offensichtlich darauf an, allen anderen Frauen die Schau zu stehlen. Ihr lilafarbenes Kostüm, natürlich ein Designermodell, saß perfekt, betonte ihre zierliche Figur und schmeichelte ihrem Teint. Ihre Augen funkelten wie Diamanten. Man sah ihr an, dass sie jede Sekunde ihres Auftritts in vollen Zügen genoss.
Doch dann wurde Tess’ Blick weich, denn nun geleitete Cameron seine Großmutter Victoria Judge zu ihrem Platz im vorderen Teil der Kirche, direkt hinter seinen Eltern. Eigentlich ist heute sein großer Tag, dachte sie liebevoll. Cameron war im Dorf aufgewachsen. Während ihrer Kindheit hatten er und Tess’ Söhne jeden Tag miteinander gespielt. Später hatten sich ihre Wege natürlich getrennt, denn Cameron war der Familientradition der Judges folgend nach England geschickt worden, um dort die Schule zu besuchen. Die Delaney-Jungen Matt, Mark und Luke waren selbstverständlich in die hiesige Jungenschule gegangen, die sich in der zehn Meilen entfernten Stadt Wicklow befand. Obgleich der Kontakt zwischen den drei Delaneys und Cameron Judge nie ganz abgerissen war, verband sie heute nicht mehr die enge Freundschaft ihrer Kindertage und würde sich vermutlich auch nie wieder
aufbauen lassen.
Tess sah gerührt zu, wie Cameron seine Großmutter behutsam zu ihrem Platz führte. Nicht dass sie wirklich auf seine Hilfe angewiesen wäre – sogar mit ihren über neunzig Jahren verfügte diese Frau noch über rasiermesserscharfen Verstand. Doch Tess registrierte betrübt, dass Victorias Körper dem Alter Tribut zu zollen begann; sie wurde allmählich doch recht gebrechlich. Zum ersten Mal benutzte die alte Dame zwei Gehstöcke statt einem. Der Tag, an dem Victoria Judge starb, würde ein schwarzer Tag für Fiddler’s Point sein. Granny Vic, wie sie allgemein genannt wurde, lebte in Dunross, seit sie irgendwann um 1920 herum in den Judge-Clan eingeheiratet hatte. Sie glich einer weisen alten Eule und hatte weder mit Dummköpfen noch mit Rose viel Geduld.
Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass seine Großmutter bequem saß, wandte sich Cameron ab, um die Gäste zu begrüßen, die weiter in die Kirche strömten.
Ein vollendeter Gentleman, der jede Situation unter Kontrolle hat, dachte Tess. Die meisten Männer waren blass, nervös und zappelig, während sie auf das Eintreffen ihrer Braut warteten. Nicht so Cameron Judge. Er strahlte jenes typische Selbstbewusstsein aus, das wohlhabenden, erfolgreichen Männern zu eigen ist, und erweckte den Eindruck, als würde er viel Zeit in der Kirche verbringen, so ungezwungen gab er sich. Aber der Schein trog. Es gehörte zu Camerons zahlreichen Talen ten, sich überall dort, wo er sich gerade aufhielt, den An schein geben zu können, als fühle er sich wie zu Hause.
Er war so groß wie sein Vater, nahezu eins neunzig, und immer leicht gebräunt, da er den Sommer in der Villa der Judges auf Barbados verbrachte. Im Winter lief er in der Schweiz und in Colorado Ski. Cameron sah überwältigend gut aus, fand Tess, er war athletisch gebaut, hatte seine Gesichtszüge aber von seiner Mutter geerbt. Seine Augen standen wie die ihren weit auseinander und schimmerten strahlend blau, doch sie funkelten überdies noch vor Humor und Lebensfreude, während Roses Augen stets kühl und abschätzend blickten. Seine Nase war wie die seiner Mutter ein wenig zu markant geraten, sein Mund war breit, die Lippen voll, und wenn er lächelte, was er fast ständig tat, leuchtete sein ganzes Gesicht auf.
Beiden gemeinsam war die klassische Knochenstruktur eines griechischen Gottes und ein wacher, rasch arbeitender Verstand. Doch Cameron verströmte überdies noch einen Charme, von dem sich die Menschen so unwiderstehlich angezogen fühlten wie Motten vom Licht. Auch Rose konnte sehr charmant sein, wenn sie wollte, aber bei ihr wusste man nie, ob sie liebenswürdige Worte ernst meinte oder nur das sagte, was ihr Gegenüber ihrer Meinung nach zu hören wünschte. Man wurde aus dieser Frau einfach nicht schlau und schon gar nicht mit ihr warm, dachte Tess.
Jeder der Anwesenden wusste, dass Cameron heute auch Geburtstag feierte, denn in fast allen Illustrierten war ausführlich über seine bevorstehende Hochzeit berichtet worden. Heute, am 30. September, wurde Cameron Judge, Irlands begehrtester Junggeselle, fünfunddreißig Jahre alt und stand im Begriff, eine bildhübsche junge Frau namens Samantha White zu heiraten. Alle waren sich einig, dass Samantha das glücklichste Mädchen der Welt sein musste.
Samantha war mit dem Anblick, der sich ihr im Spiegel bot, überaus zufrieden. Sie sah von Natur aus gut oder sogar mehr als gut aus, aber heute übertraf sie sich selbst.
Ihre beiden besten Freundinnen waren es leid, vor ihrer Zimmertür ausharren zu müssen.
»Es ist unsere Pflicht, dir zur Hand zu gehen, Miss White!«, rief Gillian durch die geschlossene Schlafzimmertür.
»Ich komme wunderbar allein zurecht, vielen Dank«, ertönte Samanthas Antwort. Gillian schlug die Hände über dem Kopf zusammen und verschwand in ihrem eigenen Zimmer, um ihre Zigaretten zu holen.
»Was ist mit deinem Make-up? Sollte ich das nicht besser übernehmen?«, schlug Wendy vor. »Oder hast du vergessen, dass ich Kosmetikerin von Beruf bin?«
»Wann hast du das letzte Mal jemandem ein professionelles Make-up verpasst, Wendy Doyle? Du magst in grauer Vorzeit einmal eine Ausbildung als Kosmetikerin gemacht haben, aber es ist eine Ewigkeit her, seit du tatsächlich einen weißen Kittel getragen und dir die Hände schmutzig gemacht hast!«
Wendy schnaubte unwillig. »Was glaubst du denn, wer mich jeden Morgen schminkt? Denk ja nicht, dass ich irgendetwas verlernt habe.« Da ihr keine weiteren Argumente einfielen, hämmerte sie gegen Samanthas Tür.
»Okay, vergessen wir das Make-up. Wir wollen nur einen Blick auf dich werfen, immerhin sind wir deine Brautjungfern, das verleiht uns gewisse Privilegien. Komm schon, Sam, mach endlich diese verdammte Tür auf!«
Samantha hatte eigentlich um jeden Preis verhindern wollen, dass irgendjemand außer ihrer Friseuse sie zu Gesicht bekam, bevor sie die Kirche betrat – eine dumme, romantische Idee, die bei ihren beiden ältesten Freundinnen offensichtlich auf wenig Verständnis stieß. Als sie nach ihrer Verlobung die Hochzeitsfeier zu planen begonnen hatte, hatte sie mit dem Gedanken gespielt, ganz auf Brautjungfern zu verzichten. Sie hielt diese Sitte für altmodisch und überflüssig; sie brauchte ja auch sonst niemanden, der ihr beim Ankleiden oder bei ihrem Make-up behilflich war, warum sollte sie an ihrem Hochzeitstag nicht auch alleine fertig werden? Doch ihre zukünftige Schwiegermutter hatte nichts davon hören wollen.
»Keine Brautjungfern? Wo denkst du hin?« Roses Lächeln haftete die Wärme zerstoßenen Eises an, als sie Samantha durchdringend musterte. »Das kommt überhaupt nicht infrage. Du heiratest einen Judge, da brauchst du ein ganzes Heer von Brautjungfern und Blumenmädchen. Das wird von dir erwartet.« Ohne Samanthas Antwort abzuwarten, war sie davongerauscht.
Sam hatte von Anfang an gewusst, dass sie in diesem Punkt den Kürzeren ziehen würde. Sie tröstete sich damit, dass es noch weit schlimmer hätte kommen können.
Zum Glück hatten sich ihre Schwägerinnen in spe glattweg geweigert, eine aktive Rolle bei der Hochzeit zu übernehmen. Rose hatte sie gebeten, als Brautjungfern oder wenigstens als Ehrendamen zu fungieren, doch sie waren nicht gewillt gewesen, sich in mit Bändern und Schleifen besetzte Rüschenkleider stecken zu lassen.
Auch Camerons Nichte Zoë hatte Rose eine Abfuhr erteilt. Der siebenjährige kleine Satansbraten dachte gar nicht daran, sich als Blumenmädchen einspannen zu lassen.
Als erstgeborenes Enkelkind der Judge-Dynastie war Zoë furchtbar verzogen; ein vorlautes, aufsässiges Kind, weshalb Samantha insgeheim froh war, dass sämtliche Überredungsversuche seitens der Großmutter auf taube Ohren gestoßen waren. Samantha fürchtete sich nicht vor ihrer zukünftigen Schwiegermutter, aber sie hasste die Art, wie Rose allen Menschen um sich herum ihren Willen aufzuzwingen versuchte.
Gemeinsam mit ihr die Hochzeit zu planen, hatte sich dann prompt als extrem schwierig erwiesen. Sam hätte nicht davor zurückgescheut, ihr die Stirn zu bieten, aber der Ausdruck auf Camerons Gesicht hatte sie davon abgehalten. Sie wusste, wie sehr er darunter litt, dass sich die beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben wegen jeder Kleinigkeit in die Haare gerieten, und so hatte sie ihm zuliebe schließlich in fast allen Punkten nachgegeben. So wichtig waren ihr diese Einzelheiten
nicht.
Wieder ertönte ein energisches Klopfen an der Tür. Ganz offensichtlich waren ihre Freundinnen fest entschlossen, kein Nein als Antwort gelten zu lassen, und immerhin waren sie ja ihre Brautjungfern. Sie betrachtete sich ein letztes Mal in dem hohen Spiegel und nickte beifällig. Sie war mit ihrer Erscheinung mehr als zufrieden.
Gillian, durch Nikotinzufuhr gestärkt, unternahm einen neuerlichen Anlauf. »Komm schon, Samantha, früher oder später musst du dich ja doch begutachten lassen. Also bring es hinter dich und erspar dir diese Diskussion durch die gottverdammte Tür!« Sie zog erneut an ihrer Zigarette.
»Na schön.« Samantha gab auf. »Ich lasse euch rein. Aber dann will ich eure ehrliche Meinung hören.« Wendy, Gillian und Samantha befanden sich bereits im Rathnew Manor, einem Hotel in der Grafschaft Wicklow, in dem später auch der Hochzeitsempfang stattfinden sollte. Die Mädchen sowie Rose und James Judge hatten am Abend zuvor ihre Zimmer bezogen. Wendy und Gillian teilten sich eine große, sehr luxuriöse Suite, Samantha bewohnte eine kleinere am Ende des Korridors. Später würde sie in die prächtige Hochzeitssuite umziehen, die sie bislang noch nicht gesehen hatte, weil Cameron sie überraschen wollte. Er hatte ihr das feierliche Versprechen abgenommen, ja nicht zu versuchen, nur ein einziges Mal hineinzulinsen. Samantha seufzte resigniert, ging durch den Raum und öffnete die Tür. Ihre beiden besten Freundinnen standen auf der Schwelle und starrten sie mit offenem Mund an.
»O mein Gott!«, japste Wendy. »Sam, du siehst hinreißend aus!«
»Himmel, Samantha, man könnte dich glatt mit einem Hollywoodstar verwechseln.« Gillian musterte ihre Freun din bewundernd.
»Ich bin wirklich froh, dass ich mich für ein elfenbeinfarbenes Kleid entschieden habe statt für ein schneeweißes. « Samantha blickte an sich hinab. »Der dunklere Ton steht mir besser, und er passt wunderbar zu dem leichten Goldschimmer eurer Kleider.«
Gillian hüstelte betont indigniert. »Entschuldige bitte, aber dieser Farbton nennt sich Champagner und hat mit Gold überhaupt nichts zu tun.« Sie lächelte Samantha an.
»Trotzdem ergänzen wir uns perfekt.« Samantha strahlte.
»Du siehst aus wie eine Filmgöttin«, schloss Gillian. Über die allgemeine Anerkennung sichtlich erfreut, schwebte Samantha in den Raum zurück und drehte sich einmal langsam um die eigene Achse. »Das Kleid gefällt euch also wirklich?«, vergewisserte sie sich.
»Um Himmels willen, Sam, du hast doch nicht etwa noch stärker abgenommen?«, fragte Gillian entsetzt, dabei drückte sie ihre Zigarette aus und zündete sich im nächsten Atemzug eine neue an. »Jetzt habe ich die Nase voll! Ich werde nie wieder einen Bissen essen!«
»Nein, Gilly«, erwiderte Samantha mit fester Stimme, »ich habe nicht weiter abgenommen, und du weißt ganz genau, was ich von deiner Qualmerei halte. Jeder einzelne Glimmstängel lässt deine Haut einen Tag altern.«
Ihr entging nicht, wie Gillian entnervt die Augen verdrehte, und sie beschloss, das Thema nicht weiterzuverfolgen. Jetzt war nicht die Zeit für einen Vortrag über die Gefahren des Rauchens. »Aber meine Absätze sind ein gutes Stück höher als die, die ich normalerweise trage, deshalb wirke ich größer.«
»Hoffentlich nicht größer als Cam«, meinte Gillian bedenklich.
»Keine Sorge. In diesen Dingern …«, Samantha raffte ihren Rock, sodass ihre Stilettos sichtbar wurden, »… bin ich knapp einsachtzig groß. Cam ist fast einsneunzig.«
»Ein Meter neunzig geballte Männlichkeit«, fügte Wendy mit einem anzüglichen Grinsen hinzu. »Samantha, du kannst dich glücklich schätzen, ihn dir geangelt zu haben, aber er hat auch Glück, eine Frau wie dich zu bekommen. Ich habe dich noch nie so strahlend schön gesehen, und wenn ich das sage, will es etwas heißen.«
Samantha hatte sich für ein figurbetontes Kleid mit eng anliegendem Mieder aus elfenbeinfarbenem Satin entschieden, das mit Hunderten kleiner, kaum sichtbarer handgestickter Rosen übersät war, passend zu denen, die sie im Haar trug. Die Brautjungfern umkreisten sie langsam, um das exquisite Kleidungsstück von allen Seiten zu bewundern. Das Rückenteil der Corsage war ebenso aufwändig gearbeitet; unzählige winzige, satinüberzogene Knöpfe zogen sich Samanthas langen, schlanken Rücken hinunter. Der weich fließende, schmal geschnittene Rock bildete einen auffälligen Kontrast zu dem steifen Mieder.
»Sexy.« Gillian fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Aber nicht gerade jungfräulich-bräutlich«, stellte Wendy sachlich fest.
»Nun, ich wollte nicht aussehen wie ein Zuckerpüppchen, wenn ihr das meint«, lachte Samantha. »Man muss sich immer so vorteilhaft wie möglich präsentieren, vor allem an seinem Hochzeitstag.«
Der schmale Rock betonte die langen, schlanken Beine der Trägerin und wirkte entschieden verführerischer als die gebauschten Röcke der meisten Brautkleider. Samantha trat ein paar Schritte vor, damit ihre Freundinnen die daran befestigte Schleppe sehen konnten.
»Wow, ist die lang!«, staunte Gillian.
»Nur leider ziemlich unpraktisch, wenn später getanzt wird«, erwiderte Samantha trocken.
»Aber sooo romantisch«, seufzte Wendy. »Du siehst aus wie eine Prinzessin.«
Gillian nickte zustimmend. »Aber trotzdem schaffst du es noch, Sexappeal zu verströmen. Kompliment, Mädchen. «
»Was, du hast auf einen Schleier verzichtet?« Wendy sog scharf den Atem ein. »Das wird Rose Judge gar nicht gefallen.«
»Wenn sie mich zu Gesicht bekommt, kann sie nichts mehr machen.« Samantha grinste teuflisch. »Außerdem wäre es ein Stilbruch, zu diesem Kleid einen Schleier zu tragen. Dafür habe ich mir Rosen ins Haar flechten lassen.«
Übersetzung: Nina Bader
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München
... weniger
Autoren-Porträt von Suzanne Higgins
Bereits im Alter von 23 Jahren war Suzanne Higgins eine der beliebtesten und bekanntesten Radiomoderatorinnen Irlands, suchte dann erst eine neue Herausforderung beim Fernsehen, bekam bald zwei Kinder und wendete sich schließlich dem Schreiben zu. Schon ihr erster Roman eroberte die irischen Bestsellerlisten im Sturm.
Bibliographische Angaben
- Autor: Suzanne Higgins
- 2008, 544 Seiten, Maße: 11,6 x 18,4 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Engl. v. Nina Bader
- Übersetzer: Nina Bader
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442366569
- ISBN-13: 9783442366569
Rezension zu „Zurück ins Glück “
»Beeindruckend!«
Kommentar zu "Zurück ins Glück"
0 Gebrauchte Artikel zu „Zurück ins Glück“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Zurück ins Glück".
Kommentar verfassen