Eugénie (ePub)
oder Die Bürgerzeit
1873 eines Nachmittags im Sommer erhob die Luft sich leicht und so hell wie Perlen über den Gärten vor der Stadt. Die Fahrstraße stand leer. Sie war eine Lindenallee und zog dahin, bis der Blick sich unter den Baumkronen verlor. Wer anhielt vor dem Landhaus...
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Produktinformationen zu „Eugénie (ePub)“
1873 eines Nachmittags im Sommer erhob die Luft sich leicht und so hell wie Perlen über den Gärten vor der Stadt. Die Fahrstraße stand leer. Sie war eine Lindenallee und zog dahin, bis der Blick sich unter den Baumkronen verlor. Wer anhielt vor dem Landhaus des Konsuls West, sah seitwärts bis in die Tiefe seines Gartens. Man sah darin klar und schleierlos hingezeichnet die Gestalten, ihre Bewegungen beim Krocketspiel, sah Falbeln und Spitzen flüchtig aufwehen. Das glückliche junge Lachen der Konsulin war einmal genau zu hören.
Sie gewann. Denn Leutnant von Kühn schob seinen Ball absichtlich derart, daß er der Konsulin zum Fortbringen des ihren diente. Sowohl ihre Kusine als auch Leutnant von Kessel widersprachen entschieden. Kessel tat es aus Eifersucht, Emmy Nissen nur, um zu zeigen, daß sie alles durchschaute. Nicht älter als Gabriele West, hatte sie mit zweiundzwanzig Jahren doch schon Schärfe in Ton und Gesicht. Eine mißglückte Heirat lag hinter ihr. Sie hätte, wäre nicht Gabriele dazwischengekommen, Konsul West geheiratet.
Emmy hielt Gabriele für leichtsinnig. Die junge Frau war halb fremd hier. Als noch Unerwachsene, wenigstens Emmy erinnerte sich, verwechselte sie beim Sprechen eine Menge Worte. Seither hatte sie, wie ein kleines Kind, wieder von ihrer ersten Sprache das meiste verlernt. Sie war gefallsüchtig, wohl nicht anders, als alle dort unten; aber keine wendete nun einmal hierzulande den Kopf nach einem Herrn, wie sie nach Kühn gerade jetzt.
Wäre sie nicht auch so liebenswürdig gewesen! Emmy warf es sich vor, wieviel sie selbst an Nachsicht gewährte - dem eigensüchtigen Kind, das niemanden liebte. Für ihren Vetter Jürgen fürchtete Emmy, daß Gabriele ihn vor allem geheiratet habe, um aus dem Mädchenpensionat herauszukommen. Mit den Offizieren spielte sie nur. Hätte sie wenigstens Herz für ihr Söhnchen gehabt! Auch das nicht. Die gleichaltrige Emmy seufzte, als trüge sie Verantwortung.
Neben ihr seufzte Leutnant von Kessel. "Beherrschen Sie sich, mein Lieber!" riet Emmy ihm. Er sagte mit Schwermut - und sie war echt, mußte ihn freilich auch entschuldigen, wenn er Unerlaubtes dachte: "Wie Ihre Kusine bewundernswürdig das Kleid trägt! Es wäre leicht für die Gestalten, schön zu sein, wenn der Stoff sie nur abformen, sie einfach zeigen dürfte! Hier dagegen: fünf Lagen Rüschen, gebauschte Tunika, dennoch aber siegen die jungen Glieder. Die größte Robe wird lebend, wird durchsichtig und spielt um sie wie ein Quell."
Emmy war errötet; sogleich ...
Sie gewann. Denn Leutnant von Kühn schob seinen Ball absichtlich derart, daß er der Konsulin zum Fortbringen des ihren diente. Sowohl ihre Kusine als auch Leutnant von Kessel widersprachen entschieden. Kessel tat es aus Eifersucht, Emmy Nissen nur, um zu zeigen, daß sie alles durchschaute. Nicht älter als Gabriele West, hatte sie mit zweiundzwanzig Jahren doch schon Schärfe in Ton und Gesicht. Eine mißglückte Heirat lag hinter ihr. Sie hätte, wäre nicht Gabriele dazwischengekommen, Konsul West geheiratet.
Emmy hielt Gabriele für leichtsinnig. Die junge Frau war halb fremd hier. Als noch Unerwachsene, wenigstens Emmy erinnerte sich, verwechselte sie beim Sprechen eine Menge Worte. Seither hatte sie, wie ein kleines Kind, wieder von ihrer ersten Sprache das meiste verlernt. Sie war gefallsüchtig, wohl nicht anders, als alle dort unten; aber keine wendete nun einmal hierzulande den Kopf nach einem Herrn, wie sie nach Kühn gerade jetzt.
Wäre sie nicht auch so liebenswürdig gewesen! Emmy warf es sich vor, wieviel sie selbst an Nachsicht gewährte - dem eigensüchtigen Kind, das niemanden liebte. Für ihren Vetter Jürgen fürchtete Emmy, daß Gabriele ihn vor allem geheiratet habe, um aus dem Mädchenpensionat herauszukommen. Mit den Offizieren spielte sie nur. Hätte sie wenigstens Herz für ihr Söhnchen gehabt! Auch das nicht. Die gleichaltrige Emmy seufzte, als trüge sie Verantwortung.
Neben ihr seufzte Leutnant von Kessel. "Beherrschen Sie sich, mein Lieber!" riet Emmy ihm. Er sagte mit Schwermut - und sie war echt, mußte ihn freilich auch entschuldigen, wenn er Unerlaubtes dachte: "Wie Ihre Kusine bewundernswürdig das Kleid trägt! Es wäre leicht für die Gestalten, schön zu sein, wenn der Stoff sie nur abformen, sie einfach zeigen dürfte! Hier dagegen: fünf Lagen Rüschen, gebauschte Tunika, dennoch aber siegen die jungen Glieder. Die größte Robe wird lebend, wird durchsichtig und spielt um sie wie ein Quell."
Emmy war errötet; sogleich ...
Autoren-Porträt von Heinrich Mann
Heinrich Mann lebte von 1871 bis 1950 und war ein deutscher Schriftsteller.
Bibliographische Angaben
- Autor: Heinrich Mann
- 2021, 1. Auflage, 234 Seiten, Deutsch
- Verlag: Books on Demand
- ISBN-10: 3752674474
- ISBN-13: 9783752674477
- Erscheinungsdatum: 08.03.2021
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