Planet der Leistungsträger 1. Buch (PDF)
Eine Geschichte aus der Zukunft von Peter A. Kettner
Am 2. Mai 2095, 09:00 Standartzeit treffen sich die Vertreter der zwölf weltgrößten Konzerne zu einem Gipfeltreffen in Madrid, um über die Zukunft der Welt im allgemeinen und ihre zukünftigen Gewinne im Besonderen zu entscheiden.In den Führungsetagen von...
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Produktinformationen zu „Planet der Leistungsträger 1. Buch (PDF)“
Am 2. Mai 2095, 09:00 Standartzeit treffen sich die Vertreter der zwölf weltgrößten Konzerne zu einem Gipfeltreffen in Madrid, um über die Zukunft der Welt im allgemeinen und ihre zukünftigen Gewinne im Besonderen zu entscheiden.In den Führungsetagen von Wirtschaft und Industrie ist man schon seit Längerem zu der Feststellung gelangt, nur mit harten, drakonischen Maßnahmen die Besitzstände wahren zu können.Sorgen bereiteten vor allem die Politiker der gemäßigten Linken, die eine gerechte Verteilung aller Ressourcen forderten.Es sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass fünf Prozent der Erdbevölkerung über neunzig Prozent des Gesamtvermögens besaßen. Konsumenten wurden bei dieser Quote nicht mehr benötigt.Gezielt lancierte Konflikte in Ländern der Dritten und Vierten Welt erzeugten zwar Hungersnöte, die eine gewisse Ausdünnung der Bevölkerung mit sich brachten, lösten aber das Gesamtproblem nicht nachhaltig.Unter Leitung der führenden Industriestaaten wurde in mehreren Geheimkonferenzen eine Aufteilung der Welt in 10 Sektoren beschlossen. Pro Sektor war eine Mega-City vorgesehen. Die zehn Mega-Citys verwalteten die Welt gemeinsam. Geschützt von der Außenwelt waren diese Stadtstaaten nur der Elite aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur vorbehalten.Diese selbsternannte Elite gab sich den hehren Namen Leistungsträger .Am 2. Februar 2102 waren alle Vorbereitungen abgeschlossen.Die Bartholomäusnacht von 1572, auch bekannt als Pariser Bluthochzeit, diente als Vorbild als am 20. März 2102 in einer von langer Hand vorbereiteten globalen Aktion, alle oppositionellen Politiker, Intellektuelle und verfassungstreue, nun nicht mehr benötigte Militärs eliminiert wurden.Vollkommen ohne Führung brach die staatliche Ordnung in fast allen Ländern innerhalb kürzester Zeit zusammen. Diese Jahre der großen Veränderungen ging in die Geschichtsbücher der Leistungsträger als die Grossen Geistige Wende ein.1 Buch der NachkommenKapitel 1 Der JagdausflugKapitel 2 Unter WildmenschenKapitel 3 Eine unerwartete BegegnungKapitel 4 Wahrheit und EntscheidungKapitel 5 Der PlanKapitel 6 Als wilde unterwegsKapitel 7 Der blutige WegKapitel 8 Wieder zuhauseKapitel 9 Ein gefährlicher EinsatzKapitel 10 Auf Leben und TodKapitel 11 Flucht aus EuropacityKapitel 12 Paradies OstKapitel 13 Paul RochefortKapitel 14 Der AnschlagKapitel 15 Die BefreiungPersonen und Handlung dieses Buches sind frei erfunden.Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sowie existierendenUnternehmen wären also rein zufällig.
Lese-Probe zu „Planet der Leistungsträger 1. Buch (PDF)“
Der Jagdausflug P ausenlos schossen die Spezialisten der Zentralen Sicherungskräfte (ZSK) mit ihren überschweren Impulsgewehren auf meine vermeintliche Deckung. Sie vermuteten mich hinter den robusten Steuerkonsolen der großen Versuchsanlage in der Nähe des Ausgangs. In ihren silbergrauen Mänteln, das Markenzeichen dieser gefährlichen Truppe, waren sie gut erkennbar. Eine Frage brannte mir allerdings schon seit einigen Minuten auf den Lippen: welcher verantwortungslose Idiot hatte diese Männer mit so großen Waffen ausgerüstet? Bedenkenlos zerstörten sie Millionenwerte und nahmen dabei auch auf ihr eigenes Leben keine Rücksicht. Bis jetzt waren die gnadenlosen Mantelträger auf meine Täuschungsmanöver hereingefallen. Sie ballerten planlos auf alles was ihnen verdächtig vorkam - nur nicht in meine Richtung. Irgendwie erinnerte mich diese Vorgehensweise an alte amerikanische Kriegsfilme, wo Menschen und Material auch oft vollkommen sinnlos für die hirnrissigen Planspiele gewissenloser Generäle geopfert wurden. Mir blutete das Herz, wenn ich an die zum Teil unersetzlichen Instrumente dachte, auf die meine Verfolger so leichtsinnig feuerten. Warum war es gerade hier zum großen Showdown gekommen? Ich befand mich im Haus der Wissenschaften , einem ultramodernem Hochhaus im Zentrum von Europa-City. Mit einem dumpfen, ungeheuer wuchtigen Knall implodierte ein kleinerer Energieträger etwa 30 Meter von mir entfernt. Zischend sausten faustgroße Splitter der Ummantelung durch den Raum - die Druckwelle raubte mir fast den Atem. Gebückt, einen tragbaren Energieschirm über mich haltend, fand ich Schutz zwischen zwei schweren Stahlschränken. Trümmerstücke, die mit irrwitzigem Tempo durch den Raum sausten, durchschlugen Trennwände und vernichteten komplizierte Versuchsanordnungen. Überall in dem weiträumigen Laboratorium flammten kleine Brände auf - hervorgerufen durch die glühendheißen Teilstücke des Energieträgers. Als einige aus Kunststoff bestehende Büromöbel zu brennen begannen
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wurde es gefährlich für mich. Rußiger Qualm drang in meine Lungen ein und zu allem Unglück begannen auch noch meine Augen von den ätzenden Verbrennungsgasen zu tränen. Zum Glück übertönte die schaurig heulende Alarmanlage mein Husten. Vorsichtig steuerte ich zwei zusätzlich aktivierte Personen-Simulatoren, möglichst weit von meinem jetzigen Standort weg. Personen-Simulatoren (P-Sims), waren von mir entwickelte hochempfindliche, fliegende Miniatur-Roboter mit einer biologischen Komponente. Sie simulierten meinen körpereigenen Geruch sowie die codierten Signale des implantierten Identifikationschips oberhalb meines Herzens. So hoffte ich mir wenigstens eine Zeitlang die Agenten vom Leibe halten zu können. Das misstönende Heulen der Alarmanlage begann an meinen Nerven zu zerren. Ich kämpfte nur mühsam eine aufsteigende Panik nieder und transpirierte zudem stärker als es für meine Sicherheit gut war, denn starken Schweißgeruch konnten auch meine P-Sims nicht überlagern. In der rechten Brusttasche meiner Montur befand sich ein schnell wirkendes Beruhigungsmittel. Es besaß die löbliche Eigenschaft, meine Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigten. Hastig riss ich die Verpackung auf und schluckte das pharmazeutische Produkt herunter. Schlagartig setzte die Wirkung ein. Unterdessen war meinen Verfolgern aufgefallen, dass ich sie hereingelegt hatte. Schnell korrigierten sie ihre Fehler und suchten mit ihren Spürgeräten noch gezielter nach mir. Nun musste jeder meiner nächsten Schritte überlegt sein, sonst würde ich schneller als mir lieb war im Leichenschauhaus enden. Eigentlich befand ich mich in einer paradoxen Situation, denn ich gehörte der Oberschicht an und galt als der renommierteste Wissenschaftler innerhalb der zehn Stadtstaaten. Nun wird sich jeder normale Mensch fragen: wie ist dieser Typ nur in eine solche Lage geraten. Das ist eine komplizierte, ja geradezu vertrackte Geschichte, auf die ich gerne verzichtet hätte. Auch war es für mich bis vor kurzem unvorstellbar, dass Mitarbeiter der ZSK auf mich schießen könnten. Warum das so ist wird verständlich wenn man weiß, dass ich aus einer der Einflussreichsten Familien von Europa-City stammte. Genealogen behaupteten sogar, wir seien in direkter Linie Nachkommen des sagenumwobenen Bill Gates. Doch das war augenblicklich irrelevant, denn die eigentliche Frage war: wie komme ich lebend hier heraus? Tim Roth Um zu verstehen, warum sich mein Leben von einem ruhig dahinfliessenden Fluss in einen reißenden Mahlstrom verwandelt hatte, sollte man die Vorgeschichte kennen. Es begann alles mit einer Einladung zu einem Jagdausflug - zu einer Jagd auf Wildmenschen. Ursprünglich war diese Sportart vor fast 400 Jahren eingeführt worden, um der Menschenmassen Herr zu werden, die nach der GROSSEN GEISTIGEN WENDE überlebt hatten und noch weite Teile der Erde bevölkerten. Hochmütig wurden sie damals von den Leistungsträgern als Parasiten und Schmarotzer eingestuft, die es unbedingt auszurotten galt. Heutzutage aber, werden die augenscheinlich kulturell auf Steinzeitniveau lebenden Nachkommen der früheren Arbeiterklassen, nur noch selten gesichtet, geschweige denn von unfähigen Amateurjägern erlegt. Nur die Einflussreichsten der Oberschicht frönen noch dieser Königsdisziplin der Jagdkunst, da sehr viel Einfluss und Geld vonnöten ist, um eine Lizenz zu erhalten. Aus genau diesen Gründen ist es Leistungsträgern den unteren Klassen nicht möglich, die vermeintlich primitiven Geschöpfe zu Bejagen. Mir selbst war diese Art von Zeitvertreib schon seit meiner Kindheit zuwider. Zu meinem großen Missfallen konnte ich diesmal die Einladung zu dem barbarischen Vergnügen schlecht abschlagen. Der Gastgeber, ein zukünftiges Regierungsmitglied, besaß großen Einfluss auf den Etat der Forschung. Zähneknirschend fügte ich mich meinem Schicksal und gab mich der schwachen Hoffnung hin, vielleicht einen erfolglosen, dafür aber unterhaltsamen Jagdausflug erleben zu dürfen. Die Chancen dafür standen nicht schlecht. Es war sonnig und warm, als ich an einem Samstag um etwa 0900 Uhr vormittags mit meinem Privatgleiter vor Tims Villa landete. Tim Roth, ein sportlich wirkender, dunkelhaariger Mann mit breiten Schultern, erwartete mich schon. Mit lässigem Gang und einem gewinnenden Augenzwinkern kam er auf mich zu - er war sich seiner Ausstrahlung auf andere Menschen vollkommen bewusst. Als Sohn des Innenministers konnte er sich jedes Vergnügen leisten und war es gewohnt, zu bekommen was er wollte. »Hallo Sean, wie geht es dir, alter Knabe?«, begrüßte er mich mit dem kameradschaftlichen Tonfall, wie ihn alte Semestergefährten gerne benutzten. »Eigentlich wie immer, Tim, entgegnete ich lächelnd und leicht zerstreut. »Zu viel Arbeit und zu wenig qualifiziertes Fachpersonal, um alle meine Verpflichtungen zu erfüllen.« »Das sind Probleme, die sich lösen lassen - dafür sind Freunde schließlich da«, erwiderte er Gönnerhaft und dem einstudierten Lächeln, das vielen Prominenten eigen war. »Wenn du nächstes Jahr die Nachfolge von Professor Noiret im Wissenschaftsrat antrittst, werden wir uns bestimmt öfter über den Weg laufen.« Ich nickte ihm kurz zu und meinte: »Von mir aus kann der alte Knabe noch länger seinen Posten behalten, mir sind meine Forschungsarbeiten ohnehin lieber.« »Aber er vergnügt sich aber auf deine Kosten«, wandte er ein. »Obwohl er der Leiter des wissenschaftlichen Institutes ist, machst du faktisch gesehen die ganze Arbeit.« Erheitert erwiderte ich: »Das weiß ich doch alles Tim. Aber Professor Noiret hält mir auf politischer Ebene den Rücken frei. Äußerlich gesehen wirkt er wie der nette Onkel von nebenan, doch in Wirklichkeit ist er ein Skorpion mit einem tödlichen Stachel.« »Wie es aussieht, sollte man dich auch nicht unterschätzen«, stellte er respektvoll fest. Ich ignorierte seine Bemerkung und sagte unbeeindruckt: »Du hast doch bestimmt Wichtigeres zu tun, als dich um die Angelegenheiten eines kleinen Physikers zu kümmern?« »Nur keine falsche Bescheidenheit, Sean. Deine Karriere in den letzten Jahren war ja erstaunlich. Von dir ist viel in den Medien berichtet worden. Männern wie dir und mir gehört die Zukunft in diesem Stadtstaat.« Wir tauschten noch einige Höflichkeiten aus, dann stellte Tim mich den anderen Mitgliedern der Jagdgesellschaft vor. Darunter waren so illustre Persönlichkeiten wie Boris Steinbeck, ein Maler und Bildhauer, derzeit absolut en vogue. Jeder, der auf sich hielt, musste einfach ein Werk von ihm besitzen; oder Doreen Frank, zurzeit die populärste Schauspielerin. Im 20. Jahrhundert hätte man sie sicher als die Filmdiva mit der größten erotischen Ausstrahlung bezeichnet. Vielleicht konnte ich dem Jagdausflug doch noch interessante Seiten abgewinnen. Um sich noch mehr Popularität und Einfluss zu verschaffen, umgab sich Tim gern mit erfolgreichen und bekannten Persönlichkeiten, wozu ich, zu meinem Leidwesen, auch zu gehören schien. Unter viel Gelächter und in bester Stimmung bestiegen wir Tims extravagantes Luftschiff. Insgesamt waren wir zwölf Personen aus den angesehensten Kreisen von Europa City. Die fliegenden 80 Fuß-Luxusjacht dokumentierten unverhohlen die Macht und den Reichtum ihres Besitzers. Das superteuere Stück arbeitete wie alle Gleiter mit Antigravitationsmotoren. Diese Maschinen liefen fast geräuschlos und waren dank ihres Kalt-Fusionsreaktors extrem umweltschonend. Sollten wir Wildmenschen entdecken, hatten sie kaum eine Chance uns zu entkommen. »Ich weiß, du gehst nicht so gerne auf Menschenjagd«, sprach Tim mich vorsichtig von der Seite her an, »aber gerade dein Institut würde ohne uns Freizeitjäger nicht genügend Gehirne für seine Forschungsarbeiten erhalten. Der Bedarf der Industrie ist schon hoch genug und kann nur sehr unzureichend durch den Einsatz der Kampfjäger gedeckt werden. Außerdem kann es dir nicht schaden, mit anderen Berühmtheiten unserer schönen Metropole gesehen zu werden.« Verlegen musste ich ihm zustimmen und versuchte das Thema zu wechseln. »Wie ich hörte, hast du nach Beendigung deines Studiums die politische Laufbahn eingeschlagen? Du wolltest doch in die Forschung gehen, wie ich!« »Mein Vater hat mich nach einigen heftigen Diskussionen von der Notwendigkeit seiner Nachfolge überzeugt«, entgegnete Tim lächelnd, wobei er die Bewegung des Geldzählens machte. Da politische Ämter bei Leistungsträgeren erblich waren, musste er sich keine große Sorgen um seine Zukunft machen. Vollkommen geräuschlos erhob sich die prächtige Luxusjacht und ordnete sich in den reservierten Luftkorridor ein. Automatisch übernahm der Tower der Luftraumüberwachung von Europa-City die Steuerung. Ich stellte mich an die Reling und genoss den Blick über die großzügig angelegte Stadt. Natürlich hatte ich die Metropole schon des Öfteren von oben gesehen, fand sie aber mit ihren grandiosen Bauwerken immer wieder aufs Neue einfach Atemberaubend. Europa-City war kein hässlicher Moloch wie es die metastasengleich wuchernden Ballungszentren der Vergangenheit waren, sondern eine städtebauliche Schönheit mit paradiesischen Zügen. Der tatsächliche Stadtkern war kreisförmig angelegt und sollte nach dem Willen der Gründerväter in ihrer Gesamtheit, die Überlegenheit der Leistungsträger als eigenständige Rasse hervorheben. Regierungspalast und andere Verwaltungsgebäude waren von einer inneren Ringstraße umgeben, aus der sie sich mit verspielter Eleganz in den Himmel erhoben. Nur das Gebäude des Staatlichen Sicherheitsdienstes (SD) machte mit seiner ausnehmend düsteren und kalten Architektur eine unrühmliche Ausnahme. Theater, Geschäfte, Restaurants, Schulen, Universitäten, wissenschaftliche Institute, u.s.w. wurden von einer äußeren Ringstraße umschlossen. Sternförmig strahlten vom Platz der Mächtigen im Mittelpunkt der Stadt die wichtigsten Straßen in alle Himmelsrichtungen aus. Der Platz selbst wurde von einem 50 Meter hohen Denkmal dominiert, das Henry Kim darstellte, den großen Initiator der Madrider Verträge . Das von den Leistungsträgern gerne als 8tes Weltwunder bezeichnete Ehrenmal des Henry Kim hielt abwehrend die rechte Hand, den doppelten Stinkefinger zeigend, gegen eine Meute gierig fordernder Arbeitnehmer und wies mit der Linken über die Schulter auf seine Besitztümer. Der Fuß des rechten Beines ruhte demonstrativ auf dem Globus und symbolisierte mit dieser Geste den natürlichen Herrschaftsanspruch der Besitzenden über die Welt. Gesichtsausdruck und körperliche Haltung, so stand es in den Schulbüchern geschrieben, stellten den reinen, edlen und geistig überlegenen Kapitalisten dar. Das ganze Ensemble umgab eine kalte Ausstrahlung von Macht und Überlegenheit. Fremdenführer erzählten gerne, dass dieses erhabene Monument eine ackermanmäßige Abgeklärtheit, gepaart mit einem putinistischen Machtbewusstsein verströmte. Es bündelte somit die wichtigsten Eigenschaften eines Leistungsträgers. Henry Kim hatte schon vor über 500 Jahren in seinem Buch Sozialparasiten und Profit, ein Widerspruch die Grundlagen für unser Gesellschaftssystem entworfen. Allein der Kapitalismus , so seine Aussage, sei in der Lage das Überleben der Menschheit zu sichern. Seine Lieblingsthese lautete Eigennutz ist der wahre Weg zur sozialen Wahrheit . Ein damals von ihm einberufener Arbeitskreis - er bestand aus Führungskräften von Industrie und Finanzwirtschaft, definierte gesellschaftliche Gruppen, deren bloße Existenz dem eigentlichen Volkskörper (Besitzstand) Schaden zufügen konnte. Deshalb enthielt das Buch auch detailliert beschriebene Maßnahmen, wie solch unwertes Leben aus der Gesellschaft auszusondern war. Die Unterschicht, nach seiner Aussage der schlimmste menschliche Abfall, von Politikern vor der GROSSEN WENDE auch als Prekäriat bezeichnet, waren nach seiner Auslegung nichtsnutziger Ballast, den es kostengünstig zu entsorgen galt. Er bewunderte daher Männer wie Hitler und Stalin, deren großer Verdienst er darin sah, den Genozid als politisches Instrument genutzt zu haben. Die wichtigste Straße, selbstverständlich benannt nach Henry Kim, verlief in Nord/Süd Richtung. Keine überbreite Prachtstraße, wie man annehmen könnte - nein, ein normaler sechsspuriger Boulevard. Eitle Zurschaustellung durch Paraden oder ähnliche Veranstaltungen hatte Europa-City nicht nötig, es gab ohnehin kein Proletariat mehr das man blenden musste. Die Villen der Oberschicht lagen außerhalb der eigentlichen Stadt, eingebettet in pompöse parkähnliche Anlagen, nur unterbrochen von Gärtnereien und kleineren Obst- und Gemüseplantagen, in denen Plebs (gentechnisch veränderte Nachfahren der ehemaligen Unterschicht) in malerischen Trachten arbeiten durften. Auf den Gesichtern der Gartenarbeiter lag immer ein seltsam dümmliches Grinsen. Das Vorbild für diese Art von unterwürfiger und infantiler Mimik hatten die Gen-Designer alten Filmen über volkstümliche Musik im früheren Alpenraum entnommen. Weshalb dieser Arbeitertyp Helwicht genannt wurde, blieb mir allerdings bis heute verborgen. In den Randgebieten existierten Zuchtstationen für Plebs und Produktionsanlagen für Hochleistungsrechner mit biologischen Komponenten. Auch die extrem kostenintensiven Einstein-Rechner wurden dort hergestellt, allerdings nur in sehr geringer Stückzahl, da ich nur eine bestimmte Anzahl von Gehirnen im Jahr implementieren konnte. Die meisten Firmen für Konsumgüter produzierten auf Luna oder dem Mars. Das gleich galt auch für die Schwerindustrie. Raumschiffe dagegen, wurden in gigantischen Schiffshangars gefertigt, die weit außerhalb von geostationären Sattelitenkreisbahnen lagen. Obwohl flächenmäßig sehr groß, besaßen die Städte der Leistungsträger dennoch nur eine sehr geringe Bevölkerungsdichte. Die Familien der Oberschicht beanspruchten ausgedehnte Areale für sich und legten größten Wert auf ihre Privatsphäre. Sie residierten in riesigen palastartigen Villen und herrschten oft wie absolutistische Fürsten über Hunderte von Plebs-Dienern, die ihrer Willkür schutzlos ausgeliefert waren. Weitläufige Parkanlagen trennten die einzelnen Anwesen voneinander und halfen so eine unmittelbare Nachbarschaft zu vermeiden. Das war einer der Gründe dafür, dass die Stadtstaaten der Leistungsträger aus der Vogelschau einem Meer von Grün glichen. Sanft glitt unsere Jacht über die vermeintliche Idylle. Das Gespräch »Wenn man sich vorstellt, wie die Welt einmal ausgesehen hat, als wir noch die Bedürfnisse der Untermenschen erfüllen mussten - einfach schrecklich!«, sinnierte Tim in einem seltenen Anflug von Romantik. Ich wunderte mich immer wieder über den geistigen Sondermüll, den manche Leute so von sich gaben. Doch ich behielt meine Meinung für mich und nickte nur beifällig mit dem Kopf. Das war natürlich opportun und stank nach Unterwürfigkeit, war jedoch allgemeiner Usus im Umgang mit Familienmitgliedern der regierenden Kaste. Allmählich erreichten wir die Grenze von Europa City. Schon von weitem sahen wir das beeindruckende irisierende Flimmern des gigantischen Energiezaunes, der den Stadtstaat umgab - eine notwendige bauliche Maßnahme, um das Eindringen von Tieren oder gar Wildmenschen zu verhindern. Meine Hoffnung, nicht weiter von den geistigen Ergüssen meines Gastgebers gequält zu werden, erfüllte sich leider nicht. Pathetisch dozierte er weiter: »Vor der GROSSEN GEISTIGEN WENDE (damit war die Zeit vor fünfhundert Jahren gemeint) gab es Reiseveranstalter, die es dem gewöhnlichen Pöbel ermöglichten, rund um die Welt zu reisen. Vermögende wurden so gezwungen in extrem teueren Hotelanlagen zu logieren, um nicht dieselbe Luft wie ihre Arbeiter und Angestellte einatmen zu müssen.« »Diese Vorstellung ist ja entsetzlich!«, warf Doreen Frank mit ihrer quietschigen Stimme ein. Blasiert ergänzte sie: »Stellt euch vor, es wurde in einigen Nationalstaaten sogar Arbeitslosengeld gezahlt, wenn einer dieser Proleten seine Beschäftigung verlor. Die ganz Faulen bekamen sogar Sozialhilfe, oder so - habe ich jedenfalls gehört.« »Die dieser Auswurf dann meistens in Alkohol umsetzte«, tönte es fröhlich von Bill Smith, der bereits die Bord-Bar entdeckt hatte. Der als Schauspieler und Sänger bekannte Mann, dessen Markenzeichen seine abstehenden Ohren waren, hatte Geld zum wegwerfen und ein übergroßes Ego. Damit konnte man mich allerdings nicht beeindrucken. »Sie müssen wie die Maden im Speck gelebt haben«, ereiferte sich Doreen Frank weiter, »deshalb haben sie ständig wilde Sexpartys gefeiert - also Rudelbumsen mit Anfassen - haufenweise übergewichtige Kinder gezeugt und somit die Sozialsysteme zum Erliegen gebracht.« »Meine Worte, genau meine Worte«, grölte Bill Smith mit glänzenden Augen. Ich grinste still in mich hinein, denn Unwissenheit produzierte schon immer haarsträubenden Blödsinn. Leider wurde dieser krude Unfug auch an den Schulen gelehrt und in populären Filmen zur absoluten Wahrheit erhoben. Mit dem Halbwissen eines klassischen Demagogen fügte Tim hinzu: »Linke Verführer hetzten damals die Massen gegen die Globalisierung auf. Doch das alleine reichte ihnen nicht. Sie nahmen weltweit agierenden Konzernen, ihre mit Fleiß erworbenen Gewinne übel und forderten eine Umverteilung von Oben nach Unten.« »Eine abnorme Forderung die jeglicher Vernunft widerspricht«, beeilte sich Bill Smith beizufügen. »Wie Recht du hast«, lobte ihn der Politikersohn. »Die mit gefährlicher Bildung ausgestatteten Weltverbesserer wollten nicht mehr und nicht weniger als das natürliche Wirtschaftssystem auf den Kopf stellen. Das musste unterbunden werden. Von wegen Gewinnbeteiligung und Eigentum verpflichtet - also bitte, wer hat sich denn diesen Schwachsinn ausgedacht?« Fast alle Anwesenden klatschten begeistert Beifall. Hier hielt schließlich einer der zukünftigen Machthaber eine brillante Rede, der sie nur unwidersprochen beipflichten konnten. Doch ich teilte ihre naive Weltsicht nicht, da ich dank Vaters gut ausgestatteter Bibliothek, ein anderes Geschichtsbild besaß. Mitgerissen von seiner eigenen Rede, tobte Tim weiter: »Erst mit Entwicklung des Kontrollchips Ende des 21. Jahrhunderts und der genialen Doktrin von Henry Kim war es schließlich möglich, diese immanente Katastrophe im Keim zu ersticken. Arbeit bekamen von da an nur noch diejenigen, die sich einen Chip cerebral implantieren ließen. Zum ersten Mal konnte die Aggressivität, vor allem aber auch der Wille eines Menschen kontrolliert werden. Eine segensreiche Erfindung, mit der wir die Unterschicht wirklich in der Hand hatten.« »Vielleicht solltest du auch erwähnen, dass nicht jeder der eine Arbeit wollte, auch eine Arbeit bekam«, ergänzte ich mit zynischem Spott, der für einige böse Blicke sorgte. Doch Tim Roth war nicht umsonst der Sohn eines aalglatten Politikers. Geschickt entgegnete er: »Natürlich hast du Recht. Der Bedarf an Arbeitskräften war schnell gedeckt. Es gab ja genügend Menschen die sich bereitwillig einen Chip einsetzen ließen, zumal dies von den Arbeitsämtern mit kleinen Prämien nach dem bewährten Gießkannen-Prinzip gefördert wurde. Motivationstrainer- und Trainerinnen leisteten in den Überzeugungsbüros, den Bild-Zentren - Kohl weiß, warum die so hießen - beste Dienste im Sinne der neuen Ordnung. Natürlich gab es auch ewig gestrige Widerständler, alte Gewerkschafter und echte Linke, aber das Problem hat sich zügig von selbst gelöst. Kohl-Maxime Nr. 1: Aussitzen!« Er lächelte überlegen, was mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Unerwartet säuselte Doreen einen Basis-Lehrsatz aus der Elementarstufe: »Die Eliten waren gezwungen schwere Entscheidungen zu treffen, um die Besitzstände zu waren. Wäre es zu einer Umverteilung gekommen, würden wir heute alle in bitterer Armut leben.« Belustigt stellte ich fest, mit welcher Berechnung sie versuchte, Tim durch geheucheltes Interesse näher zu kommen. Dabei spielte sie mit ganzem Körpereinsatz. Ihr Dekolleté gewährte einen so tiefen Einblick, dass mir unwillkürlich unanständige Gedanken in den Sinn kamen. Ihre Oberflächlichkeit dagegen, stieß mich ab. Tim, dessen Ruf als Schürzenjäger selbst mir bekannt war, schien die aufreizende Aufmachung der berühmten Schauspielerin nicht zu bemerken. Er hatte wohl schon zu viele Schönheiten flachgelegt, als das ihn eine mehr oder weniger noch hätte reizen können. Vielleicht war sie dem erfolgsverwöhnten Knaben auch egal; jedenfalls setzte er, erfreut über so viel Aufmerksamkeit, seinen Monolog großzügig fort: »Aus diesem Grund hatte die Elite damals begonnen die Stadtstaaten aufzubauen. Wir mussten uns von der Unterschicht trennen. Sie waren zu einem Ballast geworden. Wie zu erwarten verfielen die alten Metropolen wie Paris, New York, Moskau, München und wie sie alle hießen, zusehends. Ein deutliches Zeichen dafür, wie kulturlos die mittellose Pöbel war.« »Soweit ich weiß, sind die großen Städte doch Schritt für Schritt von arbeitslosen Bauarbeitern im Rahmen einer Beschäftigungsmaßnahme unter Aufsicht des Militärs, einer ABM , dem Erdboden gleich gemacht worden. Projekt Karthago hieß das - glaube ich«, gab ich zu bedenken. »Das stimmt schon, Sean«, entgegnete Tim leicht pikiert, »trotzdem war doch absehbar, dass der rassisch minderwertige Abschaum ohne Führung hilflos reagieren würde.« Dann wandte er sich wieder Doreen zu: »Wie du vielleicht weißt, Schätzchen, lieferten sich das überflüssige Volk heftige Verteilungskämpfe um die verbliebenen Lebensmittelreserven. Dabei sind einige Millionen draufgegangen, was die Altvorderen natürlich freute.« »Wurden sie in dieser Zeit nicht auch zur Plage für unsere Stadtstaaten?«, fragte Doreen naiv. »Schlimmer noch, meine Süße, es kam sogar zu Übergriffen dieser Wilden auf anständige Leistungsträger. Aber nicht umsonst waren und sind wir die überlegene Rasse auf diesem Planeten. Geniale Ingenieure konstruierten die Energiezäune, die bis heute das Eindringen von Wildmenschen und nebenbei auch von Tieren verhindern.« Mit weit aufgerissenen Augen hörte die Film-Diva den lächerlichen Ausführungen des Minister-Sohnes zu. Bedingt durch ihren heftigen Atem wogten ihre prallen Brüste wie zwei schwer beladene Schiffe auf einer stürmischen See. In diesem Moment bewunderte ich die Schauspielkunst der kurvenreichen Dame. Stolz wie ein Pfau, ob der dargebotenen Bewunderung, ergänzte Tim Roth: »Am Rande sei erwähnt: sehr gern gesehen waren zu dieser Zeit die Live-Übertragungen der Konditionierungseinsätze unserer ersten Kampfjäger-Einheiten gegen die umherziehenden und plündernden Proletenmassen. Es war ja notwendig sie noch weiter zu dezimieren. Leider reichte das nicht aus. Doch zufällig entwickelte einer der damals bekanntesten Sozialpädagogen gerade eine neue Kompensationstherapie. Er nannte sie: Stressabbau durch Aggressionsprojektion oder kurz Wildmenschen jagen . Eine Sportart die sich sehr schnell großer Beliebtheit erfreute. So konnten die Leistungsträger ihre Aggressionen außerhalb der Stadtstaaten austoben und privat ein ruhiges und ausgeglichenes Leben führen. Bald kam es zu sportlichen Wettkämpfen zwischen den einzelnen Stadtstaaten und es wurde sogar eine Weltliga gegründet. Europa-City war immerhin fünf Mal Meister!« Bill Smith, der sich seiner amerikanischen Vorfahren rühmte, fühlte sich nun auch genötigt etwas zum Gespräch beizusteuern. Voller Stolz berichtete er: »Ein Nachfahre von George W. Bush jr., einem ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, soll bei einer Jagdsaison über 100 Wildmenschen in nur einer Woche erlegt haben. Solche Zahlen sind heute leider unerreichbar, da der Bestand, wie ihr sicher wisst, in den letzten Jahrzehnten rapide geschrumpft ist. Wir wissen bis heute nicht, was die Population so dezimiert hat. Obduktionen und pathologische Untersuchungen an erlegten Wildmenschen brachten bis jetzt noch keine Ergebnisse.« »Deshalb gibt es auch eine Abschussquote zu vereinbaren«, fügte Tim hinzu. »Wir hoffen natürlich, dass sich der Bestand wieder erholt und wir wie früher jagen können.« »Das verstehe ich jetzt aber nicht so ganz«, unterbrach Doreen Tim mit plötzlich aufkeimender Neugier. »Ursprünglich sollten die Wildmenschen doch ausgerottet werden und jetzt plötzlich stehen sie unter dem Schutz der Stadtstaaten? Das muss mir erst einmal jemand erklären.« »Schau her, Doreen, du süßes Dummchen. Der Stoff deiner teuren Bluse stammt doch bestimmt vom Planeten Harrdim«, stellte Tim fest. »Ja, sie hat Osgud ein Vermögen gekostet«, erwiderte Doreen etwas verwirrt. »Na, siehst du. Und die Sektgläser, aus denen wir trinken, sind aus einem sehr seltenen Mineral, das nur auf dem Wüstenplaneten Schonkor vorkommt.« »Ja, ja. Das ist mir auch schon aufgefallen, ich bin ja nicht blöd. Aber was willst du mir damit sagen Tim.« »Nun, Doreen, du Schlaukopf, um zu diesen Planeten zu gelangen braucht man Raumschiffe. Aber erst die Einstein-Rechner ermöglichten es uns, Triebwerke und zu bauen, mit denen man Hunderte von Lichtjahren zurücklegen kann. Ohne sie gäbe es keine interstellare Raumfahrt oder auch nur Antigravitationsmotoren. Doch nur menschlichen Gehirne, im Verbund mit Hochleistungsrechnern, können solch' geniale Leistungen vollbringen. Die Gehirne aber, entnehmen wir Wildmenschen. Jetzt verstehst du hoffentlich warum wir sie nicht vollkommen ausrotten dürfen.« Aber Doreen gab nicht so schnell auf. »Wieso benutzen wir nicht einfach die Gehirne der Plebs für die Einstein-Rechner? Davon hat's doch wirklich genug!« Schon etwas genervt antwortete ihr Tim: »Schätzchen, unsere Wissenschaftler werden sich schon etwas dabei gedacht haben. Aber wenn's dich wirklich interessiert: um dir solche Fragen zu beantworten bin ich der falsche Mann. Wende dich doch an Sean. Er ist eine Koryphäe auf dem Gebiet. Seine Fähigkeiten und Kenntnisse haben ihn weit über Europa City als Wissenschaftler bekannt gemacht.« Verblüfft sah Doreen mich an. »Was, um Kohls Willen, hat Sean mit einem Nadelbaum zu tun?« »Nun ja, eine Konifere bin ich nicht«, korrigierte ich sie, etwas peinlich berührt. »Ich bin nur ein Mitglied in einem Team von Wissenschaftlern, die sich mit dem Bau und der Entwicklung von Einstein-Rechnern beschäftigen.« »Jetzt untertreibst du aber ganz gewaltig«, lachte Tim. »Du bist der einzig helle Kopf in einem Rudel voller Banausen und der Stellvertreter von Professor Dr. Patrick Noiret, dessen Nachfolge du auch einmal antreten wirst.« »Ist dieser Professor nicht Mitglied im Wissenschaftlichen Rat der Regierung?« fragte Bill Smith neugierig. Ich bestätigte seine Frage mit einem Nicken. Seine ursprüngliche Gleichgültigkeit mir gegenüber wandelte sich in eine sichtbare Anerkennung. Leise stellte er fest: »Dann werden sie eines Tages seinen Stuhl im Wissenschaftlichen Rat übernehmen.« »So ist es«, bestätigte ich kurz angebunden. Nun richtete auch Doreen verstärkt ihre Aufmerksamkeit auf mich, was mir nicht unbedingt behagte. Ich war ein Mensch der lieber als stiller Beobachter im Hintergrund blieb. Irritiert registrierte ich ihren treuherzigen Augenaufschlag. Sie versuchte mich tatsächlich um den Finger zu wickeln. »Das mit den Einstein-Rechnern habe ich noch nicht ganz verstanden», heuchelte sie interessiert. »Kannst du mir das noch einmal erklären?« Ich atmete tief durch und begann etwas holprig: »Äh, aham, also vor mehr als zwei Jahrhunderten hatte einer unserer bedeutendsten Wissenschaftler im Bereich der Bio-Genetik, der große Mendel-Pea, die Kompatibilität der Gehirne von Wildmenschen zu unseren Hochleistungsrechnern - nach bestimmten Manipulationen - entdeckt. Nachdem eine Schnittstelle, die MIT, das steht für Mensch-Idiot-Transfer - ein Insider-Scherz, zwischen Gehirnen und den physikalischen Komponenten der Rechner entwickelt worden war, konnten diese bioelektronischen Superrechner auch intuitiv arbeiten. Diese Rechnergeneration hatte nichts mehr mit dem zu tun, was man sich im 20. Jahrhundert unter einem Computer vorstellte, obwohl schon damals an Bio-Chips und neuronalen Netzen gearbeitet und geforscht wurde. Das heißt, diese Rechner sind in der Lage eigene Ideen zu entwickeln und selbständig auszuarbeiten. Die Gehirne können mit Lichtgeschwindigkeit auf gigantische Datenbänke zurückgreifen und gleichzeitig mit anderen Gehirnen kommunizieren. Ihnen verdanken wir auch eine neue Physik, die uns erst eine kommerziell erfolgreiche Raumfahrt ermöglichte. Deshalb nennen wir sie Einstein-Rechner , obwohl Planck-Rechner eher passen würde und die Bezeichnung Rechner überhaupt nicht mehr zutrifft. Diese Computer haben Programme geschrieben, für die normale Softwareentwickler, falls es so einen überhaupt noch gibt, Jahrhunderte bräuchten. Unsere Raumfahrt und auch die vollautomatisierten Produktionsanlagen auf Luna oder Mars und den verschieden Jupitermonden, auf denen große Vorkommen von seltenen Erzen abgebaut werden, würden ohne diese Super-Gehirne zusammenbrechen. Wir sind, im Grunde genommen, nicht mal in der Lage, die Komplexität und Funktionsweise der Raumschifftriebwerke zu verstehen. Genau betrachtet haben wir uns selbst in eine Abhängigkeit von den Einstein-Rechnern manövriert. »Jetzt weiß ich aber immer noch nicht, warum die Gehirne der Plebs ungeeignet sind?«, warf sie keck ein. »Weil wir unsere Dienerkaste seit Jahrhunderte gentechnisch Manipuliert haben. Sie sind zwar zu perfekten Knechten geworden, aber mit dem entscheidenden Nachteil, nicht mehr intuitiv denken zu können.« Das war ein Crash-Kurs über Einstein-Rechner gewesen. Sollte Doreen schauen, wie sie damit fertig wurde, mir reichte es jedenfalls. Ich hatte Urlaub. »Jetzt wird mir langsam klar, warum die Regierung die Jagd auf Wildmenschen so rigoros eingeschränkt hat«, säuselte Doreen mit schmachtendem Augenaufschlag und mir dämmerte, dass sie meinen Ausführungen nicht wirklich gefolgt war, was mich auch gewundert hätte. Tim Roth zog mich kurz an seine Seite, um mich unter vier Augen zu sprechen. »Da du sowieso bald in den Wissenschaftlichen Rat von Europa-City aufgenommen wirst, kann ich dich auch jetzt schon in ein kleines Staatsgeheimnis einweihen.« Verwundert und gleichzeitig neugierig schaute ich ihn an, gespannt darauf, was er mir offenbaren wollte. »Wir haben noch einen Minimalbestand an Plebs, die auch nach der GROSSEN GEISTIGEN WENDE kaum verändert wurden. Sie waren hauptsächlich für spezielle Aufgaben im persönlichen Bereich der Führungselite vorgesehen. Seitdem aber immer weniger Wildmenschen erlegt werden, sind sie unsere stille Reserve für den Notfall.« »Das ist ja unglaublich«, erwiderte ich überrascht. Tim schaute mich mit verschwörerischer Miene an als er fortfuhr: »Solltest du also bestimmte Bedürfnisse in Bezug auf Frauen haben, kann ich dir jeden Wunsch erfüllen.« Ich nickte, musste aber in Wirklichkeit Tims Ausführung erst noch verarbeiten. Das war ein Hammer - ein Schwarzbestand an Luxusweibchen der ersten Plebs-Generation! Um meine aufgewühlten Gedanken etwas zur Ruhe kommen zu lassen schaute ich über die Reling und betrachtete die unter uns vorbeiziehende Landschaft. »Ursprünglich war dieses Menschenmaterial für so genannte Mengele-Experimente vorgesehen«, raunte mir Tim zu, »aber vorausschauende Politiker hielten die besten Stücke zurück und züchteten sie auf speziell dafür vorgesehenen Farmen weiter.« »Wurden ihre Gehirne manipuliert?« »Nein, wie ich schon sagte, sie sind zum größten Teil Naturbelassen und nicht mit unseren Zombie-Plebs zu vergleichen.« »Wie schön für sie«, resümierte ich zweideutig. Wir hatten die Grenze unseres Stadtstaates schon um einige Meilen überflogen. Uns bot sich ein herrlicher Ausblick auf dichte grüne Wälder - die Natur hatte sich wieder das genommen, was ihr zustand. Kaum vorstellbar, wie diese Landschaft einmal im 20. Jahrhundert ausgesehen hatte. Infolge der Klimaveränderung herrschten jetzt in Südeuropa tropische Verhältnisse, die sich auch auf die Flora und Fauna dieser Region ausgewirkt hatten. In der Schule hatten wir gelernt, dass die moralisch unterentwickelten Vorfahren der Wildmenschen für die Umweltzerstörungen vor der GROSSEN GEISTIGEN WENDE verantwortlich waren, die Leistungsträger aber Paradies erschaffen hatten. Natürlich war dass Erstunken und Erlogen, aber die Geschichtsbücher wurden nun Mal von Siegern geschrieben. Wir flogen in Richtung Mitteleuropa, dorthin, wo früher einmal Deutschland lag. Hier lebte vor über einem halben Jahrtausend, laut unseren Schulbüchern, ein wahrhaft großer Politiker: Helmut Kohl. Der Begriff Leistungsträger , so erzählt die Legende, wurde von IHM geprägt. Auch heute noch ist er ein glänzendes Vorbild für unsere Studenten. Während seiner 16jährigen Regierungszeit war es ihm gelungen die Stellung der Konzernchefs und Manager als bestimmende Macht in Deutschland hervorzuheben und die deutschen Leistungsträger nachhaltig in den Globalisierungsprozess einzubinden. Die Löhne des einfachen Volkes wurden künstlich niedrig gehalten, um die Gewinne der Konzerne zu mehren. Nachfolgende Regierungen hielten sich an diese Politik und begannen noch stärker Sozialhilfe und Leistungen des Staates bei Arbeitslosigkeit abzubauen. Im Fachbereich Wirtschaft, dass jeder Student belegen musste, hatten wir gelernt, dass sein Nachfolger Gerhard Schröder, Schöpfer der Agenda 2010, sich rühmen durfte, den Niedriglohnsektor eingeführt zu haben. So sorgte er maßgeblich dafür, dass sich die Besitzenden noch schneller von der überflüssigen Volksmasse abspalteten konnten. Nach einer siebenjährigen Regierungszeit folgte ihm eine Frau auf den Thron des Bundeskanzlers. Ihre Leistungen als Wirtschaftslobbyisten, so lobte sie einst Henry Kim in einer Denkschrift, konnten gar nicht hoch genug eingestuft werden. Noch heute ziert ihre Büste die Schreibtische vieler Wirtschaftskapitäne. Diesem genialen Trio war es zu verdanken, dass im Laufe weniger Jahre, die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland abgeschafft wurde und die Gesetzte des reinen Kapitalismus zum tragen kamen. Die Leidtragenten ihrer Politik waren all' diejenigen, die keine Lobby besaßen. Noch schlimmer traf es die, deren Zuwendungen per Gesetz geregelt wurden. Geschickt gaukelte man der Bevölkerung mit Hilfe wirtschaftsnaher Massenmedien vor, die nationale Wirtschaft befände sich am Rande des Abgrunds, wenn nicht bestimmte alternativlose Reformen eingeführt würden. Eigenverantwortung war das Wort der Stunde. Bis das Stimmvieh merkte, dass ein einseitiger Aderlass erfolgte und die ganzen Maßnahmen nur eine Besitzstandsmehrung der ohnehin Besitzenden zum Ziel hatten, war es zu spät und das Geschrei war groß aber vergebens. Eine in den nachfolgenden Jahren von den Arbeitgeberverbänden gestartete Kampagne Nur ein ausgeschiedener Sozialhilfeempfänger mehrt den Profit! , das später so genannte Hundt'sche Axiom, zeigte dann auch bald seine Wirkung. Sämtliche Sozialleistungen wurden - politisch völlig korrekt - vollkommen eingestellt und die freiwerdenden Gelder kamen der Wirtschaft zusätzlich zugute. Das war der Beginn der GROSSEN GEISTIGE WENDE. Tims Augen leuchteten plötzlich freudig auf. »Ich habe gerade eine Meldung von der Jagdleitstelle hereinbekommen. Ein ganzes Rudel Wildmenschen wurde von einem Satelliten im Schwarzwald entdeckt. Genauere Koordinaten werden noch gesendet. Wir scheinen heute viel Glück zu haben.« »Wo liegt denn dieser - Schwarzwald?«, wollte Doreen wissen, für die Geographie anscheinend ein Fremdwort war. In manchen gesellschaftlichen Kreisen waren selbst naturwissenschaftliche Grundkenntnisse mit dem Makel des Handwerklichen behaftet und eine mathematische Niete zu sein, gehörte zum guten Ton. Tim war die Ruhe selbst, als er ihr wie einem kleinen Kind erklärte: »Der Schwarzwald ist ein Mittelgebirge das sich von der Oberrheinischen Tiefebene nach Osten bis in das Schwäbischen Stufenland erstreckt. Er ist ungefähr 160 km lang und bis zu 60 km breit. In früheren Jahrhunderten bestand der Schwarzwald aus Misch- und Nadelwäldern, heute ist alles Urwald.« »Ach Tim, was du alles weißt!« An den Augen der offenherzigen Schauspielerin erkannte ich, dass sie immer noch nicht wusste, wo der Schwarzwald lag. Wirklich verwundert war ich aber über die angebliche Sichtung einer ganzen Gruppe von Wildmenschen, denn bei einem Jagdausflug wurden im Normalfall nur ein oder zwei Exemplare aufgespürt. Aber ein ganzes Rudel, das hatte es seit zehn Jahren nicht mehr gegeben. »Ist dein Schiff auch mit der nötigen Anzahl von Kühlboxen ausgerüstet?«, fragte ich Tim daher sorgenvoll, denn Gehirne waren zu wertvoll, um auch nur eines von ihnen zu verlieren. »Keine Angst«, antwortete er lachend. »Mein Schiff hat 15 AOL-Kühlboxen an Bord.« AOL-Kühlboxen? Über eine solche Ausstattung war sogar ich erstaunt, diese Geräte wurden online über einen Mainframe nach den Kundenwünschen gesteuert und gehörten zu dem Exklusivsten, das derzeit auf dem Markt zu haben war. »Ich hoffe Tim, du hast deine Gäste über die strengen Jagdvorschriften aufgeklärt!« »Welche meinst du?« »Trächtige, sowie junge Weibchen dürfen nicht erlegt werden. Die Wildmenschen-Population muss unbedingt geschützt werden!« »Keine Sorge Sean, Henry Pullman ist der einzige außer dir und mir, der einigermaßen geradeaus schießen kann. Die andern paralysieren durch Zufall eher ein Eichhörnchen als einen Wildmenschen.« Dann richtete er das Wort an seine übrigen Gäste und wies sie an: »Bitte, begebt euch in eure Kabinen und legt die Jagdkleidung an. Paralysatoren werde ich euch rechtzeitig aus meinem Waffenschrank übergeben, achtet aber beim Jagen auf eure Nachbarn. Ich möchte nicht, dass ihr euch gegenseitig erlegt.« Bereitwillig und unter viel Gelächter folgte die Jagdgesellschaft Tims Anweisungen. Scherzend meinte Doreen zu mir: »Das Abtrennen des Kopfes überlasse ich aber euch Männern. Ich werde mich damit begnügen, ein paar dieser Kreaturen von Bord aus zu erlegen.« Ich musste tief Luftholen und konnte nur mit Mühe eine bissige Bemerkung unterlassen. So blöde konnte man doch nicht sein. Um Wildmenschen überhaupt jagen zu dürfen, musste jeder Aspirant eine harte Schulung durchlaufen, denn sie waren ungeheuer reaktionsschnell und sehr gefährlich. Zu glauben, einen von ihnen wie bei einem Computerspiel von Bord des Schiffes aus abzuknallen war, gelinde gesagt, lächerlich. Außerdem musste das waidmännische Trennen des Kopfes vom Körper beim Erwerb eines Jagdscheines erlernt werden. Mit einem Lasermesser konnte man einen sauberen, schnellen Schnitt führen. Als Studienobjekte dienten dazu alte, arbeitsunfähige und somit unbrauchbar gewordene Plebs. Meine ursprüngliche Befürchtung traf zu. Tim hatte mittels seiner Beziehungen einem Haufen unfähiger Ignoranten die Jagderlaubnis beschafft. Meine persönliche Abneigung gegen das Wildmenschenjagen beruhte auf einem Erlebnis in meiner Kindheit. Rückblende Ich war etwa zehn Jahre alt, als mich mein Vater mit auf einen Jagdausflug nahm. Ein Freund der Familie, Ben Willis, begleitet uns. Unser Jagdziel war ein Löwe. Dieses Mannbarkeitsritual hatte seinen Ursprung in uralten nordamerikanischen Traditionen und sollte wohl helfen, gestörte Vater-Sohn-Verhältnisse zu kitten. Das Schicksal meinte es an diesem Tag nicht gut mit einem jungen Wildmenschen. Aus unserem Jagdgleiter heraus sichtete der Freund meines Vaters ein junges Mädchen in grober Lederkleidung beim Früchtesammeln. Ohne jede Vorankündigung riss er seine Waffe, ein altmodisches Projektilgewehr hoch - Ben war ein wirklicher Sportsmann, der Paralysatoren als Weiberkram verachtete legte an, zielte kurz und schoss. Wir hörten einen spitzen, grellen Schrei und kurz darauf entdeckte ich das Kind. Es versuchte, das rechte Bein nachziehend, in ein Dickicht zu flüchten. Wir landeten, entstiegen dem Gleiter und folgten der Blutspur. Nach wenigen Minuten fanden wir das ca. acht Jahre alte Mädchen, mit einer heftig blutenden Schusswunde am Bein. Bill Willis zehrte sie brutal aus dem Gebüsch, riss ihren Kopf an den langen Haaren in die Höhe und schnitt ihr mit einer schnellen, zügigen Bewegung mit dem Laser-Bowie den Kopf ab. Weder mein Vater noch ich hatten seit damals jemals wieder das Bedürfnis, an einer Jagd teilzunehmen. Noch heute verfolgt mich der entsetzte, flehende Blick aus ihren rehbraunen Augen in meinen Albträumen. Der Abschuss Auf mein Betreiben hin wurde das Bejagen von Wildmenschen mit Projektilgewehren vor zwei Jahren verboten, da übereifrige Jäger immer wieder ihre Opfer mit gezielten Kopfschüssen getötet hatten. Der Paralysator hingegen, lähmt lediglich das Nervensystem und man kann der Beute leichter den Kopf vom Leibe trennen. Obwohl das Verbot aus wirtschaftlicher Sicht Sinn machte, war ich seitdem als das absolute Feindbild vieler Hobbyjäger. »Wenn mich heute keiner aufhält, werde ich im Alleingang, dass ganze Rudel erlegen«, hauchte Doreen Frank verwegen. Charmant lächelnd bat Tim: »Ich hoffe, Du gibst uns Männern auch eine Chance. Ich möchte wenigstens ein Exemplar erlegen.« Soviel Blödheit tat sogar mir weh. Ich konnte mir dass Gesülze nicht mehr anhören und konzentrierte mich auf die Umgebung. Mir gelang es sogar Doreens sinnentleerte Geplapper an meinen Gehörgängen vorbeirauschen zu lassen. Alle, außer mir, hatte jetzt das Jagdfieber gepackt. Über das Nimrod-Satelliten-System kamen jetzt genauere Daten über den Standort der Wildmenschenhorde herein. Die Jacht wurde vollautomatisch vom Orbitalsatelliten aus in die Nähe des Ziels gesteuert. Es musste sich um ein gutes Dutzend Exemplare handeln! Plötzlich sahen wir die ersten Wilden unter uns durch das dichte Gehölz brechen. Das Rudel bewegte sich mit einer unglaublichen Gewandtheit zwischen den Bäumen und Büschen hindurch. Einige voreilige Mitglieder unserer Jagdgesellschaft begannen schon von der Reling aus auf die Wildmenschen zu schießen. Tim grinste niederträchtig. Er wusste ganz genau, dass die Waffen, aus dieser Höhe abgefeuert, fast keine Wirkung hatten. Wir mussten schon landen und vom Boden aus unsere Jagdbeute erlegen. In unseren speziellen Outdoor-Suits fühlten wir uns völlig sicher. Auch ein Pfeil, aus nächster Nähe geschossen, konnte das zähe Gewebe eines solchen Anzuges nicht durchdringen. Obwohl ich das ganze Geschehen als neutraler Beobachter verfolgen wollte, packte mich die Aufregung. Ich hoffte, dass die Wildmenschen unverletzt entkommen konnten. Wir nahmen Fahrt auf und wurden schneller. Während ich die wilde Waldlandschaft, die von vereinzelten Lichtungen unterbrochen wurde, nach weiteren Lendenschurzträgern absuchte, umschlossen meine Hände fest den oberen Lauf der Reling. Es war alles irgendwie lachhaft. Während sich die vollbusige Filmdiva als wild herumballernte Calamity Jane inszenierte, schloss der Rest der Bande Wetten über ihre Abschussquoten ab. Tim Roth stand grinsend dazwischen. Der Ausflug war für ihn bisher ein voller Erfolg. Ich wollte gerade zur Bar zu gehen, um meinen Frust zu ersaufen, da ließ ein fürchterlicher Schlag die ganze Jacht erzittern. Fast alle stürzten zu Boden, nur mich rettete mein Platz an der Reling. Es war nicht erkennbar was die Erschütterung ausgelöst hatte, denn das Schiff hielt sich noch in der Luft. Ich wollte schon erfreut aufatmen, als mit einem dumpfen Grollen eine der Antriebsmaschinen den Geist aufgab. Jetzt wurde es richtig übel, denn durch den Ausfall des Aggregats geriet das Luftschiff in Schräglage, hielt sich aber immer noch in der Luft. Bestürzt sah ich Tim an, der sich geschickt an der Bar festhielt und genau so perplex aus der Wäsche schaute wie ich. Als wäre nicht alles schon schlimm genug, fingen auch noch einige Damen an, hysterisch zu kreischen. Das nütze ihnen nichts, denn retten konnte sie ohnehin keiner, da jeder genug damit zu tun hatte, sich irgendwo festzuhalten. Der noch funktionierende Antigravitationsmotor arbeitete tapfer, aber mit kleinen Unterbrechungen. Wenn er durchhielt konnten wir Überleben. Meine verzweifelte Hoffnung wurde durch einen dumpfen Knall, ausgelöst durch einen Kabelbrand, beendet. Sofort kam die Jacht ins Trudeln und Bill Smith, der Mann mit dem hohen Alkoholkonsum, fiel als erster über Bord. Es war fast komisch anzusehen, wie er wild mit Armen und Beinen seinen Flug zu korrigieren suchte. Ihm folgten, gellende Schreie ausstoßend, Susanne von Bismarck und irgendein Prinz von Hohenzollern. Uns klebte an diesem Tag das Pech wie frischer Harz am Hintern, denn unter uns befand sich eine gewaltige Lichtung mit felsigem Untergrund. Ich schloss mit dem Leben ab. Die Jacht hielt nun nichts mehr in der balkenlosen Höhe und mehrere Tonnen Stahl und Plastik folgten mit grausamer Logik der Physik. Mit brutaler Wucht schlug das luxuriöse Himmelsschiff auf dem Boden auf. Jagdmitglieder, die sich noch hatten festhalten können, wurden losgerissen und wirbelten wie Blätter durch die Luft. Auch ich konkurrierte für kurze Zeit mit dem gefiederten Volk, landete aber sanft in einem wilden Himbeerstrauch, der mir allerdings einige spitze Stacheln in den Allerwertesten jagte. Leicht benommen versuchte ich mich zu orientieren. Meine Gehörgänge wurden indessen von einem spitzen disharmonischen Kreischen gefoltert. Ich drehte meinen Kopf vorsichtig nach rechts und sah Doreen Frank hysterisch schreiend auf dem Ast eines Baumes sitzen. Etwas genervt fragte ich mich, welcher völlig irre Schutzgeist diese gemeingefährliche Sirene dort platziert hatte. Auch Tim Roth hatte den Absturz überlebt. Nur sehr langsam richtete er sich auf und wankte desorientiert davon. Er befand sich augenscheinlich in einem Schockzustand, denn er ignorierte eine heftig blutende Platzwunde an der Stirn. Henry Pullman dagegen, war auf wundersame Weise vollkommen unversehrt geblieben. Der Inhaber einer Firma, die von Waffen bis Jagdkleidung alles produzierte was das Herz eines Jägers begehrte, starrte gespannt in den Wald hinein. Ich folgte seinem Blick und erkannte einen Wildmenschen, der zwischen den Bäumen stand. Vielleicht konnte er uns ja helfen? Doch Henry Pullman hatte etwas anderes im Sinn. Ohne zu zögern ergriff er eine in der Nähe liegenden Waffe, legte an und schoss. Der Wilde ergriff sofort die Flucht und Henry hetzte hinterher. Verdutzt, über soviel Jagdeifer direkt nach einem Absturz, schaute ich dem Unternehmer hinterher. Dann: ein kurzer dumpfer Aufprall und Henrys Körper lief noch ein paar Meter ohne Kopf weiter. Des Jägers Haupt aber klebte am Ende eines Baumstammes, der wie eine Schaukel zwischen zwei Bäumen hin und her schwang. Mir wurde übel. Henry war nicht mehr zu helfen. Daher suchte ich die Umgebung nach weitern Überlebenden ab. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde mir gewahr, was Tims Jacht zum Absturz gebracht hatte: ein mit einer Eisenspitze bewehrter Baumstamm. Er stak wie ein gigantischer Pfeil in ihrem Rumpf. Wie, um alles in der Welt, das fragte ich mich, war es den primitiven Wildmenschen überhaupt gelungen, ein solches Geschoss auf das Luftschiff abzufeuern? Der Politikersohn, die schreiende Doreen und ich schienen die einzigen Überlebenden des Absturzes zu sein. Mit dem in jedem Jagdanzug integrierten Funkgerät trat ich mit Tim in Verbindung. »Tim, hörst du mich? Ich bin etwa 30 Meter hinter dir, bei dem großen Busch. Kannst du mich sehen?« »Ja, ich sehe dich!«, kam es prompt zurück. »Schnapp' dir eine Knarre und bleib' wo du bist! Ich komme zu dir!« Er hatte sich wieder gefasst, das war ein Trost. Ich versuchte, in der Zwischenzeit beruhigend auf Doreen einzuwirken, doch die reagierte überhaupt nicht auf meine Zeichen oder mein Rufen, es steckte wohl noch genügend Kraft in ihrem Luxuskörper, um eine Zeitlang weiter schreien zu können. Tim kletterte hastig in die noch rauchenden Überreste der einst so schmucken Jacht. Kurz darauf kam er mit einem überschweren H & K-Impulsgewehr auf mich zu gerannt. Seine Wunde hatte er zwischenzeitlich mit einem Verbandspray versorgt. »Wie kommst du an so eine Waffe?«, fragte ich ihn verwundert. »Der Besitz ist doch offiziell streng verboten und nur Mitglieder von Spezialeinheiten dürfen solche Waffen für Sondereinsätze benutzten.« »Genau, offiziell! Du vergisst, dass mein Vater Innenminister ist«, fuhr er mich an. »Allen Mitgliedern der Regierung ist es gestattet, solche Waffen zu führen. Du lebst schon viel zu lange in deinem Elfenbeinturm der Wissenschaften, sonst wüsstest du das!« Er eröffnete ein Dauerfeuer auf die Stellen wo er Wildmenschen vermutete. »In der Jacht muss es doch Notrufgeräte geben!« mutmaßte ich. »Normalerweise müssten sogar unsere Funkgeräte in den Jagdanzügen problemlos über Satellit eine Verbindung mit der Sicherheitszentrale in Europa City aufbauen können«, antwortete er keuchend, »aber die sind irgendwie gestört. Ich befürchte, dass auch die Geräte im Schiff nicht in der Lage sind, durchzukommen.« Die ganze Situation wurde immer grotesker: Wildmenschen, die eine hochmoderne Luxusjacht mit einem Baumstamm vom Himmel holten, High-End-Funkgeräte, mit denen man normalerweise rund um den Erdball kommunizieren konnte, jetzt aber nur noch eine Reichweite von knapp 100 Metern hatten, und eine schreiende Sexbombe auf einem Baum - irgendwie fühlte ich mich überfordert. Ich haderte noch eine Zeitlang mit der Welt und meinem Schicksal, bis ich bemerkte, dass Tim das Feuer eingestellt hatte. Als ich mich zu ihm umdrehte sah ich ihn mit seltsam verdrehtem Kopf auf dem Boden liegen. Entsetzt wendete ich mich von dem Anblick ab, nur um genau in die Augen eines breit grinsenden Wildmenschen zu blicken - so überrascht beschloss ich in Ohmacht zu fallen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich gefesselt auf dem Boden. Ich konnte den Baum sehen auf dem Doreen immer noch unaufhörlich schreiend saß. Es war mir rätselhaft woher sie die Luft nahm. Eine Gruppe von Wildmenschen stand ziemlich perplex um den Stamm herum und palaverte in einer mir nicht verständlichen Sprache. Einige machten dabei seltsame Gesten: sie deuteten auf Doreen und klopften sich dann mit dem Zeigefinger an die Stirn. Erst später ging mir auf, was diese Zeichen zu bedeuten hatten. Nach einer Weile stellten sich die Wildmenschen mit einer großen Decke in den Händen im Kreis unter Doreens Ast auf. Einer von ihnen suchte sich einen geeigneten Stein, zielte kurz und warf. Ich möchte das rabiate Vorgehen der Wildmenschen hier nicht weiter verteidigen, aber die plötzlich eintretende Stille wirkte sich beruhigend auf mich aus. Nachdem einer von ihnen mich und Doreen auf körperliche Unversehrtheit untersucht hatte, verbanden sie uns die Augen und hängten die Filmdiva und mich wie erjagtes Wild an lange und stabile Äste. Panikattacken drohten mich zu überwältigen, nur mühsam konnte ich meine Angst unterdrücken. Womöglich sollten wir bei einem grausigen Ritual einem unbekannten, schrecklichen Gott geopfert werden? Wie lange sie uns so durch die unwegsame Wildnis des Schwarzwaldes schleppten, weiß ich nicht mehr, aber es schien eine Ewigkeit zu dauern. Nach einer Weile erwachte Doreen wieder aus ihrer Bewusstlosigkeit. Zum Glück für uns alle wimmerte sie nur leise vor sich hin. Wir hatten ein beachtliches Stück Weges zurückgelegt, als es plötzlich merklich kühler wurde. Kurz darauf fand ich mich auf einem harten, kalten Steinboden wieder. Man befreite mich von meinen Fesseln und dann hörte ich das Zuschlagen einer schweren Tür. Ich konnte mir die Augenbinde abnehmen, musste aber feststellen, dass ich genau so wenig sah wie vorher. Der Raum, in den man mich verbracht hatte, war stockdunkel. Mir war elend zumute und ich zitterte am ganzen Leibe. Welch ein grausames Schicksal würde mir bevorstehen? Neben mir, auf dem Boden, ertastete ich eine Wolldecke. Erschöpft ließ ich mich darauf niedersinken und schlief auf der Stelle ein.
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Peter A. Kettner
- 2012, 239 Seiten, Deutsch
- Verlag: Roegelsnap Buch & Hörbuchverlag
- ISBN-10: 3864222095
- ISBN-13: 9783864222092
- Erscheinungsdatum: 17.11.2012
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