Sprachdenken im Mittelalter / Studia Linguistica Germanica Bd.99 (PDF)
Im Zentrum dieses Bandes stehen die um 1270 in Paris entstandenen lateinischen Traktate der Dänen Martinus und Boethius de Dacia zur sog. "modistischen Grammatik", die in konziser und umfassender Weise den Versuch unternnehmen, Sprache als einen...
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Im Zentrum dieses Bandes stehen die um 1270 in Paris entstandenen lateinischen Traktate der Dänen Martinus und Boethius de Dacia zur sog. "modistischen Grammatik", die in konziser und umfassender Weise den Versuch unternnehmen, Sprache als einen wissenschaftlichen Gegenstand eigener Ordnung theoretisch zu beschreiben und damit ein eigenständiges Fach im Rahmen der neu entstehenden Universität zu begründen.
Die Konturen dieser "mittelalterlichen Linguistik" werden deutlich in einer komparatistischen Gegenüberstellung mit zwei weiteren, ganz unterschiedlichen sprachtheoretischen Ansätzen: (1) vier Traktaten mittelalterlicher isländischer Grammatiker, in denen sich ein Sonderweg mittelalterlicher Sprachbeschreibung beobachten lässt, und (2) Saussures "Cours de linguistique générale" als einem Grundlagenwerk der modernen Linguistik. So ergibt sich ein Vergleich zweier sprachwissenschaftlicher Epochen, die in ihrer systematischen Herangehensweise verbunden, in ihrer Auffassung vom Verhältnis zwischen Sprache und Realität jedoch diametral entgegengesetzt sind. Dies mündet in eine grundlegende wissenschaftstheoretische Reflexion einer möglichen Typologie sprachwissenschaftlicher Theoriegebäude.
A. Die modistische Grammatik bei Martinus und Boethius de Dacia
hoc retorquendum est ad modos
1. Einleitung
Im folgenden Kapitel soll es um die Darstellung der modistischen Grammatik gehen. Grundlage der Beschreibung sind die beiden frühesten Traktate der Gattung, die etwa um 1270 von den beiden dänischen Philosophen Martinus und Boethius de Dacia verfasst wurden.
Die modistische Sprachtheorie ist Fortsetzung und Höhepunkt einer Entwicklung, die bereits über hundert Jahre früher begonnen hat – einer kritischen Bearbeitung der Priscian’schen Grammatik vor dem Hintergrund eines zunehmenden Bewusstseins für die Anforderungen der Logik in der wissenschaftlichen Betrachtung (s. folgenden Exkurs). Ergebnis ist ein in sich konsistentes, äußerst differenziertes System der Sprachbeschreibung: die modistische Grammatik. Dass es auch im Rahmen dieser The orie noch Diskussionsbedarf gab, zeigt sich schon zwischen Martinus und Boethius de Dacia, bei denen es immer wieder Differenzen hinsichtlich der Genauigkeit der Beschreibung und der spezifisch linguistischen Perspektive auf den Gegenstand gibt. Boethius gelten dabei die Vorgaben seiner wissenschaftstheoretischen Konzeption als ein größerer Bezugrahmen. Außerdem unternimmt er es, die an manchen Stellen theoretisch noch nicht ganz konsequent ausgearbeiteten Formulierungen bei Martinus im modistischen Sinne zu verfeinern. Martinus hingegen entwickelt in seiner Darstellung Definitionen, die die Originalität, Klarheit und Bildhaftigkeit des ersten Entwurfs zeigen.
Die Grammatik der Modisten entstand vor über 700 Jahren an der Universität von Paris, zu dieser Zeit wohl das wichtigste geistige Zentrum des mittelalterlichen Europa. Obwohl für die Theorie selbst kein unmittelbares, aktives Weiterwirken in der Neuzeit
Bei der Konzeption dieser Arbeit stellte sich daher die Frage, wie die modistische Theorie darzustellen sei, in ihrer Eigenart, geprägt durch das Denken ihrer Zeit und dennoch als Teil einer sprachwissenschaftlichen Tradition, die, in groben Zügen betrachtet, von der Antike bis heute andauert. Die Gefahr, durch vorschnelle Gleichsetzungen Konturen und Inhalte dieser für uns ohnehin nicht mehr immer leicht nachzuvollziehenden mittelalterlichen Theorie zu verwischen, erschien mir schließlich schwerwiegender, als die Möglichkeit, an Verknüpfungen und Parallelen mit Ansätzen der mo dernen Linguistik vorbeizugehen – zumal Letzteres in einem nächsten Schritt jederzeit nachholbar ist bzw. der linguistisch versierte Leser selbst gemäß seiner Ausrichtung die Möglichkeiten solcher Entsprechungen zu ihm nahestehenden Theorien überprüfen wird. So habe ich mich dafür entschieden, den Blick zunächst ganz auf die mittelalterliche Sprachtheorie zu richten, um überhaupt ersteinmal eine nachvollziehbare, differenzierte Grundlage für einen späteren Vergleich zu schaffen.
Angela Beuerle, Universität Hamburg.
- Autor: Angela Beuerle
- 2010, 1. Auflage, 513 Seiten, Deutsch
- Verlag: De Gruyter
- ISBN-10: 3110215020
- ISBN-13: 9783110215021
- Erscheinungsdatum: 26.05.2010
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