Das Flüstern der Toten
Roman. Deutsche Erstausgabe
Charley Davidson hat einen ungewöhnlichen Job: Sie weist den Geistern der Toten den Weg ins Jenseits. Als drei Anwälte einer Kanzlei in derselben Nacht ermordet werden, ahnt Charley, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Kurz darauf begegnet ihr in...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
9.99 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Flüstern der Toten “
Klappentext zu „Das Flüstern der Toten “
Charley Davidson hat einen ungewöhnlichen Job: Sie weist den Geistern der Toten den Weg ins Jenseits. Als drei Anwälte einer Kanzlei in derselben Nacht ermordet werden, ahnt Charley, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Kurz darauf begegnet ihr in ihren Träumen der geheimnisvolle und gut aussehende Reyes, den sie aus ihrer Kindheit kennt. Charley will der Mordserie auf den Grund gehen und gerät dabei schon bald in große Gefahr. Ein dunkles Geschöpf hat sich erhoben und droht, großes Unheil über die Stadt zu bringen.
Lese-Probe zu „Das Flüstern der Toten “
Das Flüstern der Toten von Darynda Jones1
Besser Tote sehen, als tot sein
- Charlotte Jean Davidson, Schnitterin
... mehr
Seit Monaten hatte ich immer wieder denselben Traum - den, wo ein dunkler Fremder aus Rauch und Schatten materialisierte, um mit mir Doktor zu spielen. Ich begann mich bereits zu fragen, ob das wiederholte Erleben nächtlicher Halluzinationen, die in erdbebenhaften Höhepunkten gipfeln, langfristig irgendwelche Nebenwirkungen zeitigen könnte. Ich machte mir ernsthaft Sorgen, dass die extremen Lustgefühle schließlich zum Tode führten. Eine Aussicht, die mich vor folgendes Dilemma stellte: Wende ich mich an jemanden, der etwas davon versteht, oder behelfe ich mich vorläufig mit Alkohol?
Diese Nacht bildete keine Ausnahme. Ich hatte einen um-werfenden Traum, in dem ein Paar kundiger Hände, ein heißer Mund sowie einfallsreich eingesetzte Lederhosen vorkamen, aus dem mich jedoch zwei äußere Mächte fortzulocken versuchten. Ich setzte mich mit aller Kraft dagegen zur Wehr, doch die äußeren Mächte erwiesen sich als ziemlich hartnäckig. Zuerst kroch Eiseskälte in meine Füße, eine klirrend kalte Liebkosung, die mich aus meinem heißen Traum riss. Ich erschauerte und trat aus, weil ich dem Ruf keineswegs nachgeben wollte, dann schob ich mein Bein in die dicken Falten meiner Bugs-Bunny-Bettwäsche.
Darauf begann am Rand meines Bewusstseins leise, aber unnachgiebig eine Melodie zu dudeln, wie ein Lied, das ich kannte, aber nicht zuordnen konnte. Einen Moment später ging mir auf, dass es sich um das Grillenzirpen meines neuen Telefons handelte.
Schwer seufzend öffnete ich meine Augen gerade so weit, dass ich die Leuchtziffern über dem Nachttisch erkennen konnte. Vier Uhr vierunddreißig morgens. Welcher Sadist rief einen um vier Uhr vierunddreißig morgens an?
Am Fuß meines Bettes räusperte sich jemand. Ich richtete mein Augenmerk auf den Toten, der da stand, dann senkte ich die Lider und fragte mit todernster Stimme: »Kannst du rangehen?«
Er zögerte. »Äh, ans Telefon?«
»Hmm.«
»Na ja, ich bin irgendwie - «
»Macht nichts.« Ich langte nach dem Telefon und verzog das Gesicht, als mich Schmerz durchzuckte und mich daran erinnerte, dass ich am Abend vorher nach Strich und Faden vermöbelt worden war.
Wieder räusperte sich der Tote.
»Hallo?«, krächzte ich.
Mein Onkel Bob. Er schwallte sofort drauflos, ausgerechnet, ohne auf die Idee zu kommen, dass ich in den frühen Morgen-stunden noch zu keinem klaren Gedanken fähig war. Ich konzentrierte mich darauf, mich zu konzentrieren, und nahm drei hervorstechende Wortverbindungen auf: anstrengende Nacht, zwei Todesopfer, hier ist die Kacke am Dampfen. Ich bekam sogar eine Antwort hin, so was wie: »Wie bist du denn drauf?«
Er seufzte hörbar verärgert, dann legte er auf.
Ich tat's ihm gleich und drückte eine Taste an meinem neuen Telefon, die entweder die aktuelle Verbindung unterbrach oder die Kurzwahl des Chinaimbisses um die Ecke betätigte. Dann versuchte ich mich aufzusetzen. Genau wie bei der Sache mit den klaren Gedanken war das leichter gedacht als getan. Obwohl ich normalerweise so um die einhundertfünfundzwanzig Pfund wog, brachte ich in den Stunden zwischen halb wach und ganz wach stolze vierhundertsiebzig auf die Waage.
Doch nach kurzem, an einen gestrandeten Wal gemahnenden Kampf gab ich es auf. Das Viertel Chunky Monkey, das ich nach der Tracht Prügel verdrückt hatte, war vermutlich keine gute Idee gewesen.
Da die Schmerzen zu groß waren, als dass ich mich recken wollte, gähnte ich einmal herzhaft und sah dann wieder den Toten am Fußende an. Er machte einen verschwommenen Ein-druck. Was nicht daran lag, dass er tot war, sondern daran, dass es erst vier Uhr vierunddreißig war. Und daran, dass ich kürzlich verdroschen worden war.
»Hi«, sagte er nervös. Mit seinem knittrigen Anzug, der runden Brille und den zerzausten Haaren sah er halb nach allseits beliebtem, jungen Genie und halb nach verrücktem Wissenschaftler aus. Allerdings zierten seinen Schädel zwei Einschuss-löcher, aus denen Blut über die rechte Schläfe und Wange sickerte. Aber nichts davon stellte ein Problem dar. Das Problem bestand darin, dass er sich in meinem Schlafzimmer aufhielt. In den frühen Morgenstunden. Und an meinem Bett stand wie ein Spanner.
Ich beäugte ihn mit meinem berüchtigten Mörderblick, der direkt nach meinem berüchtigten Irritierblick kam, und erzielte prompt eine Reaktion.
»Tut mir leid, tut mir leid«, haspelte er, »ich wollte Ihnen keine Angst machen.«
Sah ich aus, als hätte ich Angst? An meinem Mörderblick musste ich wohl noch feilen.
Ich ignorierte ihn und mühte mich aus dem Bett. Ich trug ein Hockeyhemd der Scorpions, das ich dem Torhüter abgeluchst hatte, und karierte Boxershorts - dieselbe Mannschaft, andere Position. Chihuahuas, Tequila und Strippoker. In einer Nacht, die auf der Liste der Dinge, die ich nie wieder tun werde, auf ewig ganz oben stehen wird.
Ich biss mörderisch gequält die Zähne zusammen und schleppte die vierhundertsiebzig schmerzenden Pfund Richtung Küche und - worauf es wirklich ankam - zur Kaffeemaschine. Koffein würde die Pfunde abschmelzen und in null Komma nichts mein Normalgewicht wiederherstellen.
Da mein Apartment ungefähr so groß war wie eine Schachtel Käsekräcker, brauchte ich nicht lange, um mich im Dunkeln in die Küche vorzutasten. Der Tote folgte mir. Die Toten folgen mir immer. Ich konnte bloß beten, dass dieser die Klappe hielt, bis das Koffein wirkte, aber wehe, so viel Glück war mir nicht beschieden.
Ich hatte die Maschine kaum angeschaltet, als er auch schon loslegte.
»Äh, ja«, meldete er sich von der Küchentür, »es ist so, dass ich gestern ermordet wurde, und man hat mir gesagt, Sie seien diejenige, an die man sich da wenden kann.«
»Hat man Ihnen gesagt, hm?« Vielleicht entwickelte die Kaffeemaschine, wenn ich einfach vor ihr herumlungerte, einen Minderwertigkeitskomplex und arbeitete schneller, um mir zu beweisen, dass sie dazu fähig war.
»Der Junge meinte, Sie klären Verbrechen auf.«
»Ah, meinte er das?«
»Sie sind doch Charley Davidson, oder?«
»Die bin ich.«
»Sind Sie ein Polyp?«
»Nicht ganz.«
»Hilfssheriff?«
»Nee.«
»Politesse?«
»Hören Sie«, sagte ich und drehte mich endlich zu ihm um, »nichts für ungut, aber soweit ich weiß, können Sie schon vor dreißig Jahren gestorben sein. Tote haben kein Zeitgefühl. Null. Nix. Nada.«
»Gestern, achtzehnter Oktober, fünf Uhr zweiunddreißig nachmittags, zwei Schüsse in den Kopf, die ein Schädelhirntrauma und mein sofortiges Ableben zur Folge hatten.«
»Oh«, sagte ich, mein Misstrauen zügelnd. »Also, ich bin kein Polyp.« Damit wandte ich mich wieder der Kaffeemaschine zu, entschlossen, ihren eisernen Willen mit meinem berüchtigten Mörderblick zu brechen, der direkt nach -
»Gut, was sind Sie dann?«
Ich fragte mich kurz, ob Ihr schlimmster Albtraum eine blöde Antwort wäre. »Ich bin Privatdetektivin. Ich spüre Ehebrecher und entlaufene Hunde auf. Mit Mordfällen gebe ich mich nicht ab.« Das tat ich eigentlich schon, aber das musste er ja nicht wissen. Ich hatte gerade erst einen großen Fall abgeschlossen und hoffte auf ein paar freie Tage.
»Aber dieser Junge - «
»Angel«, sagte ich, frustriert, dass ich den kleinen Satansbraten nicht bei erster Gelegenheit ausgetrieben hatte.
»Angel? War er ein Engel?«
»Nein, er heißt bloß Angel.«
»Er heißt Angel?«
»Ja. Wieso?«, fragte ich zurück. Obwohl mir das Getue um Angel langsam auf den Wecker ging.
»Ich dachte bloß, ich bin womöglich sein Auftrag.«
»Das ist bloß sein Name. Und glauben Sie mir, er ist alles andere als ein Engel.«
Nach einer erdgeschichtlichen Epoche, in der sich Einzeller zu Talkshowmoderatoren entwickelten, ließ Mister Kaffee mich immer noch schmoren. Ich gab's auf und beschloss, lieber pullern zu gehen.
Der Tote folgte mir. Die Toten folgen -
»Sie sind sehr ... hell«, meinte er.
»Hm, danke.«
»Und ... strahlend.«
»Aha.« Das war nichts Neues. Nach allem, was ich so mitbekommen habe, sehen mich die Verstorbenen als Leuchtfeuer, als blendende Wesenheit - mit der Betonung auf blendend -, die sie über Kontinente hinweg erkennen können. Und je näher sie mir kommen, desto blendender werde ich. Falls man das so sagen kann. Ich hab dieses Strahlen immer für einen Vorteil gehalten, wenn man die einzige Schnitterin diesseits des Mars ist. Und als solche war es meine Aufgabe, Menschen ins Licht zu führen. Durch das Portal. Das heißt, durch mich. Leider ging das nicht immer reibungslos. Manche ließen sich weder raten noch helfen. »Übrigens«, nahm ich den Faden wieder auf, indem ich einen Blick über die Schulter warf, »wenn Sie mal einen Engel sehen, einen echten, laufen Sie. Und zwar schnell. In die Gegenrichtung.« Ganz so schlimm war's nicht, aber es machte mir Spaß, Leuten Angst einzujagen.
»Wirklich?«
»Wirklich. Hey ... « Ich hielt inne und fuhr zu ihm herum. »... haben Sie mich angefasst?« Irgendwer hatte praktisch meinen rechten Knöchel befummelt, jemand Kaltes, und da er nun mal der einzige Tote im Zimmer gewesen war ...
»Wie bitte?«, sagte er entrüstet.
»Vorhin, als ich noch im Bett war.«
»Aber nein.«
Ich kniff die Augen zusammen, ließ den Blick bedrohlich auf ihm ruhen und humpelte dann weiter Richtung Badezimmer. Ich brauchte eine Dusche. Dringend. Und ich konnte nicht den ganzen Tag herumtrödeln. Sonst würde Onkel Bob noch der Schlag treffen.
Doch während ich mich dem Bad näherte, erkannte ich, dass mir der schlimmste Teil meines Morgens - in dem es Licht wurde - unmittelbar bevorstand. Ich stöhnte und dachte daran, ohne Rücksicht auf die Arterien meines Onkels weiter zu trödeln.
Da musst du jetzt durch, sagte ich mir. Daran führte kein Weg vorbei.
Ich stützte mich mit zittriger Hand an der Wand ab, hielt die Luft an und kippte den Lichtschalter.
»Ich bin blind!«, kreischte ich und hielt mir die Arme vor die Augen. Ich versuchte, mich auf den Fußboden zu konzentrieren, das Waschbecken, die Clorox-Toilettenbürste. Alles ein einziger verschwommener weißer Fleck.
Ich benötigte unbedingt weniger wattstarkes Licht.
Ich stolperte rückwärts, fing mich und zwang mich, einen Fuß vor den anderen zu setzen, ohne noch mal zurückzuweichen. Ich ließ mich doch nicht von einer Glühbirne aufhalten. Ich hatte einen Job, verdammt.
»Wussten Sie, dass Sie einen Toten in Ihrem Wohnzimmer haben?«, fragte der Tote.
Ich drehte mich zu ihm um, dann ließ ich den Blick durchs Zimmer schweifen, bis zu der Stelle, an der Mr Wong stand, der uns den Rücken zukehrte und die Nase in die Ecke steckte. Ich sah wieder den Toten Nummer eins an und fragte: »Meinen Sie nicht, da zieht der Topf über den Kessel her?«
Mr Wong war ebenfalls tot. Ein Toter wie ein Halbwüchsiger, kaum größer als eins fünfzig. Außerdem war er grau, von Kopf bis Fuß fast monochrom in seiner Durchsichtigkeit, trug irgendeine graue Uniform, und auch Haut und Haare waren aschgrau. Er sah aus wie ein chinesischer Kriegsgefangener, und er stand Tag für Tag, Jahr für Jahr in meiner Ecke, ohne sich je zu bewegen oder etwas zu sagen. Obwohl ich ihm keinen Vorwurf machen konnte, dass er mit dieser Farbe und so weiter nicht häufiger vor die Tür ging, fand ich doch, dass Mr Wong ein durchgeknallter Typ war.
Natürlich war der Umstand, dass bei mir ein Geist in der Ecke stand, nicht eigentlich unheimlich, aber in dem Augenblick, wo der Neue entdeckte, dass Mr Wong in Wahrheit gar nicht in meiner Ecke stand, sondern mit den Zehen zentimeterhoch über dem Boden schwebte, würde er bestimmt durchdrehen.
Ich lebte für solche Augenblicke.
»Guten Morgen, Mr Wong!«, rief ich halblaut. Ich war mir nicht sicher, ob Mr Wong mich überhaupt hören konnte. Das war vermutlich gut so, denn ich hatte keinen Schimmer, wie Mr Wong wirklich hieß. Ich nannte ihn nur so, solange er noch nicht von dem unheimlichen Toten in der Ecke zu einem normalen wandelnden Toten geworden war, der er, falls ich ein Wörtchen mitzureden hatte, eines Tages mal sein würde. Selbst Tote sollten es sich gut gehen lassen.
»Muss er in der Ecke stehen, weil er was verbrochen hat?« Gute Frage. »Ich habe keine Ahnung, wieso er in der Ecke steht. Der steht da schon, seit ich die Wohnung gemietet habe.« »Sie haben die Wohnung mit einem Toten in der Ecke gemietet?«
Ich zuckte die Achseln. »Ich wollte die Wohnung und dachte, ich könnte ihn mit einem Bücherregal oder irgendwas verdecken. Doch die Vorstellung, hinter meiner Ausgabe von Sweet Savage Love einen Toten herumhängen zu haben, störte mich. Ich konnte ihn nicht einfach dalassen. Zumal er vielleicht gar nicht auf Liebesromane steht.«
Ich sah mir die neuste körperlose Wesenheit, die mich mit
ihrer Gegenwart beehrte, genau an. »Wie heißen Sie eigentlich?«
»Oh, wie unhöflich von mir«, sagte er, straffte sich und kam auf mich zu, um mir die Hand zu schütteln. »Ich bin Patrick. Patrick Sussman. Der Dritte.« Er verstummte und betrachtete seine Hand, um mich gleich darauf anzuglotzen wie ein Schaf. »Ich glaube nicht, dass wir tatsächlich - «
Ich drückte ihm fest die Hand. »Doch, Patrick, Patrick Sussman, der Dritte, wir können.«
Er runzelte die Stirn. »Das kapier ich jetzt nicht.«
»Tja, nun«, sagte ich und ging ins Bad, »willkommen im Club.« Als ich die Badezimmertür schloss, hörte ich, wie Patrick Sussman III. endlich doch noch durchdrehte.
»Oh, großer Gott. Er ... schwebt.«
Es sind oft die einfachen Dinge im Leben ... Sie wissen schon.
...
© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Seit Monaten hatte ich immer wieder denselben Traum - den, wo ein dunkler Fremder aus Rauch und Schatten materialisierte, um mit mir Doktor zu spielen. Ich begann mich bereits zu fragen, ob das wiederholte Erleben nächtlicher Halluzinationen, die in erdbebenhaften Höhepunkten gipfeln, langfristig irgendwelche Nebenwirkungen zeitigen könnte. Ich machte mir ernsthaft Sorgen, dass die extremen Lustgefühle schließlich zum Tode führten. Eine Aussicht, die mich vor folgendes Dilemma stellte: Wende ich mich an jemanden, der etwas davon versteht, oder behelfe ich mich vorläufig mit Alkohol?
Diese Nacht bildete keine Ausnahme. Ich hatte einen um-werfenden Traum, in dem ein Paar kundiger Hände, ein heißer Mund sowie einfallsreich eingesetzte Lederhosen vorkamen, aus dem mich jedoch zwei äußere Mächte fortzulocken versuchten. Ich setzte mich mit aller Kraft dagegen zur Wehr, doch die äußeren Mächte erwiesen sich als ziemlich hartnäckig. Zuerst kroch Eiseskälte in meine Füße, eine klirrend kalte Liebkosung, die mich aus meinem heißen Traum riss. Ich erschauerte und trat aus, weil ich dem Ruf keineswegs nachgeben wollte, dann schob ich mein Bein in die dicken Falten meiner Bugs-Bunny-Bettwäsche.
Darauf begann am Rand meines Bewusstseins leise, aber unnachgiebig eine Melodie zu dudeln, wie ein Lied, das ich kannte, aber nicht zuordnen konnte. Einen Moment später ging mir auf, dass es sich um das Grillenzirpen meines neuen Telefons handelte.
Schwer seufzend öffnete ich meine Augen gerade so weit, dass ich die Leuchtziffern über dem Nachttisch erkennen konnte. Vier Uhr vierunddreißig morgens. Welcher Sadist rief einen um vier Uhr vierunddreißig morgens an?
Am Fuß meines Bettes räusperte sich jemand. Ich richtete mein Augenmerk auf den Toten, der da stand, dann senkte ich die Lider und fragte mit todernster Stimme: »Kannst du rangehen?«
Er zögerte. »Äh, ans Telefon?«
»Hmm.«
»Na ja, ich bin irgendwie - «
»Macht nichts.« Ich langte nach dem Telefon und verzog das Gesicht, als mich Schmerz durchzuckte und mich daran erinnerte, dass ich am Abend vorher nach Strich und Faden vermöbelt worden war.
Wieder räusperte sich der Tote.
»Hallo?«, krächzte ich.
Mein Onkel Bob. Er schwallte sofort drauflos, ausgerechnet, ohne auf die Idee zu kommen, dass ich in den frühen Morgen-stunden noch zu keinem klaren Gedanken fähig war. Ich konzentrierte mich darauf, mich zu konzentrieren, und nahm drei hervorstechende Wortverbindungen auf: anstrengende Nacht, zwei Todesopfer, hier ist die Kacke am Dampfen. Ich bekam sogar eine Antwort hin, so was wie: »Wie bist du denn drauf?«
Er seufzte hörbar verärgert, dann legte er auf.
Ich tat's ihm gleich und drückte eine Taste an meinem neuen Telefon, die entweder die aktuelle Verbindung unterbrach oder die Kurzwahl des Chinaimbisses um die Ecke betätigte. Dann versuchte ich mich aufzusetzen. Genau wie bei der Sache mit den klaren Gedanken war das leichter gedacht als getan. Obwohl ich normalerweise so um die einhundertfünfundzwanzig Pfund wog, brachte ich in den Stunden zwischen halb wach und ganz wach stolze vierhundertsiebzig auf die Waage.
Doch nach kurzem, an einen gestrandeten Wal gemahnenden Kampf gab ich es auf. Das Viertel Chunky Monkey, das ich nach der Tracht Prügel verdrückt hatte, war vermutlich keine gute Idee gewesen.
Da die Schmerzen zu groß waren, als dass ich mich recken wollte, gähnte ich einmal herzhaft und sah dann wieder den Toten am Fußende an. Er machte einen verschwommenen Ein-druck. Was nicht daran lag, dass er tot war, sondern daran, dass es erst vier Uhr vierunddreißig war. Und daran, dass ich kürzlich verdroschen worden war.
»Hi«, sagte er nervös. Mit seinem knittrigen Anzug, der runden Brille und den zerzausten Haaren sah er halb nach allseits beliebtem, jungen Genie und halb nach verrücktem Wissenschaftler aus. Allerdings zierten seinen Schädel zwei Einschuss-löcher, aus denen Blut über die rechte Schläfe und Wange sickerte. Aber nichts davon stellte ein Problem dar. Das Problem bestand darin, dass er sich in meinem Schlafzimmer aufhielt. In den frühen Morgenstunden. Und an meinem Bett stand wie ein Spanner.
Ich beäugte ihn mit meinem berüchtigten Mörderblick, der direkt nach meinem berüchtigten Irritierblick kam, und erzielte prompt eine Reaktion.
»Tut mir leid, tut mir leid«, haspelte er, »ich wollte Ihnen keine Angst machen.«
Sah ich aus, als hätte ich Angst? An meinem Mörderblick musste ich wohl noch feilen.
Ich ignorierte ihn und mühte mich aus dem Bett. Ich trug ein Hockeyhemd der Scorpions, das ich dem Torhüter abgeluchst hatte, und karierte Boxershorts - dieselbe Mannschaft, andere Position. Chihuahuas, Tequila und Strippoker. In einer Nacht, die auf der Liste der Dinge, die ich nie wieder tun werde, auf ewig ganz oben stehen wird.
Ich biss mörderisch gequält die Zähne zusammen und schleppte die vierhundertsiebzig schmerzenden Pfund Richtung Küche und - worauf es wirklich ankam - zur Kaffeemaschine. Koffein würde die Pfunde abschmelzen und in null Komma nichts mein Normalgewicht wiederherstellen.
Da mein Apartment ungefähr so groß war wie eine Schachtel Käsekräcker, brauchte ich nicht lange, um mich im Dunkeln in die Küche vorzutasten. Der Tote folgte mir. Die Toten folgen mir immer. Ich konnte bloß beten, dass dieser die Klappe hielt, bis das Koffein wirkte, aber wehe, so viel Glück war mir nicht beschieden.
Ich hatte die Maschine kaum angeschaltet, als er auch schon loslegte.
»Äh, ja«, meldete er sich von der Küchentür, »es ist so, dass ich gestern ermordet wurde, und man hat mir gesagt, Sie seien diejenige, an die man sich da wenden kann.«
»Hat man Ihnen gesagt, hm?« Vielleicht entwickelte die Kaffeemaschine, wenn ich einfach vor ihr herumlungerte, einen Minderwertigkeitskomplex und arbeitete schneller, um mir zu beweisen, dass sie dazu fähig war.
»Der Junge meinte, Sie klären Verbrechen auf.«
»Ah, meinte er das?«
»Sie sind doch Charley Davidson, oder?«
»Die bin ich.«
»Sind Sie ein Polyp?«
»Nicht ganz.«
»Hilfssheriff?«
»Nee.«
»Politesse?«
»Hören Sie«, sagte ich und drehte mich endlich zu ihm um, »nichts für ungut, aber soweit ich weiß, können Sie schon vor dreißig Jahren gestorben sein. Tote haben kein Zeitgefühl. Null. Nix. Nada.«
»Gestern, achtzehnter Oktober, fünf Uhr zweiunddreißig nachmittags, zwei Schüsse in den Kopf, die ein Schädelhirntrauma und mein sofortiges Ableben zur Folge hatten.«
»Oh«, sagte ich, mein Misstrauen zügelnd. »Also, ich bin kein Polyp.« Damit wandte ich mich wieder der Kaffeemaschine zu, entschlossen, ihren eisernen Willen mit meinem berüchtigten Mörderblick zu brechen, der direkt nach -
»Gut, was sind Sie dann?«
Ich fragte mich kurz, ob Ihr schlimmster Albtraum eine blöde Antwort wäre. »Ich bin Privatdetektivin. Ich spüre Ehebrecher und entlaufene Hunde auf. Mit Mordfällen gebe ich mich nicht ab.« Das tat ich eigentlich schon, aber das musste er ja nicht wissen. Ich hatte gerade erst einen großen Fall abgeschlossen und hoffte auf ein paar freie Tage.
»Aber dieser Junge - «
»Angel«, sagte ich, frustriert, dass ich den kleinen Satansbraten nicht bei erster Gelegenheit ausgetrieben hatte.
»Angel? War er ein Engel?«
»Nein, er heißt bloß Angel.«
»Er heißt Angel?«
»Ja. Wieso?«, fragte ich zurück. Obwohl mir das Getue um Angel langsam auf den Wecker ging.
»Ich dachte bloß, ich bin womöglich sein Auftrag.«
»Das ist bloß sein Name. Und glauben Sie mir, er ist alles andere als ein Engel.«
Nach einer erdgeschichtlichen Epoche, in der sich Einzeller zu Talkshowmoderatoren entwickelten, ließ Mister Kaffee mich immer noch schmoren. Ich gab's auf und beschloss, lieber pullern zu gehen.
Der Tote folgte mir. Die Toten folgen -
»Sie sind sehr ... hell«, meinte er.
»Hm, danke.«
»Und ... strahlend.«
»Aha.« Das war nichts Neues. Nach allem, was ich so mitbekommen habe, sehen mich die Verstorbenen als Leuchtfeuer, als blendende Wesenheit - mit der Betonung auf blendend -, die sie über Kontinente hinweg erkennen können. Und je näher sie mir kommen, desto blendender werde ich. Falls man das so sagen kann. Ich hab dieses Strahlen immer für einen Vorteil gehalten, wenn man die einzige Schnitterin diesseits des Mars ist. Und als solche war es meine Aufgabe, Menschen ins Licht zu führen. Durch das Portal. Das heißt, durch mich. Leider ging das nicht immer reibungslos. Manche ließen sich weder raten noch helfen. »Übrigens«, nahm ich den Faden wieder auf, indem ich einen Blick über die Schulter warf, »wenn Sie mal einen Engel sehen, einen echten, laufen Sie. Und zwar schnell. In die Gegenrichtung.« Ganz so schlimm war's nicht, aber es machte mir Spaß, Leuten Angst einzujagen.
»Wirklich?«
»Wirklich. Hey ... « Ich hielt inne und fuhr zu ihm herum. »... haben Sie mich angefasst?« Irgendwer hatte praktisch meinen rechten Knöchel befummelt, jemand Kaltes, und da er nun mal der einzige Tote im Zimmer gewesen war ...
»Wie bitte?«, sagte er entrüstet.
»Vorhin, als ich noch im Bett war.«
»Aber nein.«
Ich kniff die Augen zusammen, ließ den Blick bedrohlich auf ihm ruhen und humpelte dann weiter Richtung Badezimmer. Ich brauchte eine Dusche. Dringend. Und ich konnte nicht den ganzen Tag herumtrödeln. Sonst würde Onkel Bob noch der Schlag treffen.
Doch während ich mich dem Bad näherte, erkannte ich, dass mir der schlimmste Teil meines Morgens - in dem es Licht wurde - unmittelbar bevorstand. Ich stöhnte und dachte daran, ohne Rücksicht auf die Arterien meines Onkels weiter zu trödeln.
Da musst du jetzt durch, sagte ich mir. Daran führte kein Weg vorbei.
Ich stützte mich mit zittriger Hand an der Wand ab, hielt die Luft an und kippte den Lichtschalter.
»Ich bin blind!«, kreischte ich und hielt mir die Arme vor die Augen. Ich versuchte, mich auf den Fußboden zu konzentrieren, das Waschbecken, die Clorox-Toilettenbürste. Alles ein einziger verschwommener weißer Fleck.
Ich benötigte unbedingt weniger wattstarkes Licht.
Ich stolperte rückwärts, fing mich und zwang mich, einen Fuß vor den anderen zu setzen, ohne noch mal zurückzuweichen. Ich ließ mich doch nicht von einer Glühbirne aufhalten. Ich hatte einen Job, verdammt.
»Wussten Sie, dass Sie einen Toten in Ihrem Wohnzimmer haben?«, fragte der Tote.
Ich drehte mich zu ihm um, dann ließ ich den Blick durchs Zimmer schweifen, bis zu der Stelle, an der Mr Wong stand, der uns den Rücken zukehrte und die Nase in die Ecke steckte. Ich sah wieder den Toten Nummer eins an und fragte: »Meinen Sie nicht, da zieht der Topf über den Kessel her?«
Mr Wong war ebenfalls tot. Ein Toter wie ein Halbwüchsiger, kaum größer als eins fünfzig. Außerdem war er grau, von Kopf bis Fuß fast monochrom in seiner Durchsichtigkeit, trug irgendeine graue Uniform, und auch Haut und Haare waren aschgrau. Er sah aus wie ein chinesischer Kriegsgefangener, und er stand Tag für Tag, Jahr für Jahr in meiner Ecke, ohne sich je zu bewegen oder etwas zu sagen. Obwohl ich ihm keinen Vorwurf machen konnte, dass er mit dieser Farbe und so weiter nicht häufiger vor die Tür ging, fand ich doch, dass Mr Wong ein durchgeknallter Typ war.
Natürlich war der Umstand, dass bei mir ein Geist in der Ecke stand, nicht eigentlich unheimlich, aber in dem Augenblick, wo der Neue entdeckte, dass Mr Wong in Wahrheit gar nicht in meiner Ecke stand, sondern mit den Zehen zentimeterhoch über dem Boden schwebte, würde er bestimmt durchdrehen.
Ich lebte für solche Augenblicke.
»Guten Morgen, Mr Wong!«, rief ich halblaut. Ich war mir nicht sicher, ob Mr Wong mich überhaupt hören konnte. Das war vermutlich gut so, denn ich hatte keinen Schimmer, wie Mr Wong wirklich hieß. Ich nannte ihn nur so, solange er noch nicht von dem unheimlichen Toten in der Ecke zu einem normalen wandelnden Toten geworden war, der er, falls ich ein Wörtchen mitzureden hatte, eines Tages mal sein würde. Selbst Tote sollten es sich gut gehen lassen.
»Muss er in der Ecke stehen, weil er was verbrochen hat?« Gute Frage. »Ich habe keine Ahnung, wieso er in der Ecke steht. Der steht da schon, seit ich die Wohnung gemietet habe.« »Sie haben die Wohnung mit einem Toten in der Ecke gemietet?«
Ich zuckte die Achseln. »Ich wollte die Wohnung und dachte, ich könnte ihn mit einem Bücherregal oder irgendwas verdecken. Doch die Vorstellung, hinter meiner Ausgabe von Sweet Savage Love einen Toten herumhängen zu haben, störte mich. Ich konnte ihn nicht einfach dalassen. Zumal er vielleicht gar nicht auf Liebesromane steht.«
Ich sah mir die neuste körperlose Wesenheit, die mich mit
ihrer Gegenwart beehrte, genau an. »Wie heißen Sie eigentlich?«
»Oh, wie unhöflich von mir«, sagte er, straffte sich und kam auf mich zu, um mir die Hand zu schütteln. »Ich bin Patrick. Patrick Sussman. Der Dritte.« Er verstummte und betrachtete seine Hand, um mich gleich darauf anzuglotzen wie ein Schaf. »Ich glaube nicht, dass wir tatsächlich - «
Ich drückte ihm fest die Hand. »Doch, Patrick, Patrick Sussman, der Dritte, wir können.«
Er runzelte die Stirn. »Das kapier ich jetzt nicht.«
»Tja, nun«, sagte ich und ging ins Bad, »willkommen im Club.« Als ich die Badezimmertür schloss, hörte ich, wie Patrick Sussman III. endlich doch noch durchdrehte.
»Oh, großer Gott. Er ... schwebt.«
Es sind oft die einfachen Dinge im Leben ... Sie wissen schon.
...
© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
... weniger
Autoren-Porträt von Darynda Jones
Darynda Jones hat Zeichensprache studiert und lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in New Mexico.
Bibliographische Angaben
- Autor: Darynda Jones
- 2012, 360 Seiten, Maße: 12,7 x 18,4 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Schmitz, Ralf
- Übersetzer: Ralf Schmitz
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 380258421X
- ISBN-13: 9783802584213
Kommentare zu "Das Flüstern der Toten"
0 Gebrauchte Artikel zu „Das Flüstern der Toten“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 4Schreiben Sie einen Kommentar zu "Das Flüstern der Toten".
Kommentar verfassen