Der Herr der Ringe, Film Tie-In, 3 Bände
Die Gefährten; Die zwei Türme; Die Rückkehr des Königs
Die Gefährten: Der Hobbit Frodo erhält einen unvorstellbar gefährlichen Auftrag Die zwei Türme: Eine zwielichtige Gestalt ist den Gefährten auf den Fersen. Die Rückkehr des Königs: Menschen, Zwerge, Elben und Ents schließen sich im Kampf gegen den dunklen Herrscher zusammen.
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Produktinformationen zu „Der Herr der Ringe, Film Tie-In, 3 Bände “
Die Gefährten: Der Hobbit Frodo erhält einen unvorstellbar gefährlichen Auftrag Die zwei Türme: Eine zwielichtige Gestalt ist den Gefährten auf den Fersen. Die Rückkehr des Königs: Menschen, Zwerge, Elben und Ents schließen sich im Kampf gegen den dunklen Herrscher zusammen.
Klappentext zu „Der Herr der Ringe, Film Tie-In, 3 Bände “
Dem Wiedersehen mit den Helden aus "Der Herr der Ringe" steht nichts mehr im Wege. Dank der Überarbeitung und Aktualisierung des Buches passt die Ausgabe zu "Der Hobbit". Nicht nur hinsichtlich der Ausstattung oder des Tonfalls, sondern auch in Bezug auf die Namen - hier wird die Zusammengehörigikeit von "Der Herr der Ringe" und "Der Hobbit" deutlich.Durch einen merkwürdigen Zufall fällt dem Hobbit Bilbo Beutlin ein Zauberring zu, dessen Kraft, käme er in die falschen Hände, zu einer absoluten Herrschaft des Bösen führen würde. Bilbo übergibt den Ring an seinen Neffen Frodo, der den Ring in der Schicksalskluft zerstören soll.
Hobbits sind kleine, gemütliche Leute, dabei aber erstaunlich zäh. Sie leben in einem ländlichen Idyll, dem Auenland.
Der Übersetzer Wolfgang Krege ist einer der profundesten Kenner Mittelerdes. Er hat die wichtigsten Bücher J. R. R. Tolkiens übersetzt ("Das Silmarillion", den "Hobbit"), sowie Tolkiens Essays und den von Humphrey Carpenter herausgegebenen umfangreichen Briefwechsel Tolkiens, und er ist der Autor der Tolkien-Enzyklopädie "Handbuch der Weisen von Mittelerde", dem Standardwerk, in dem alle Fragen zu Tolkien beantwortet werden, sowie eines elbischen Wörterbuchs.
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DER HERR DER RINGE von J.R.R. Tolkien... mehr
ZWEITES KAPITEL
Der Schatten der Vergangenheit
Des Geredes war nach neun und auch nach neunundneunzig Tagen kein Ende. Das zweite Verschwinden des Herrn Bilbo Beutlin blieb in Hobbingen und im ganzen Auenland über Jahr und Tag ein Gesprächsstoff, und in Erinnerung blieb es noch viel länger. Zuerst wurde daraus eine Gutenachtgeschichte für kleine Hobbits, und schließlich war der irre Beutlin, der immer mit Blitz und Donner verschwand und mit Säcken voll Gold und Edelsteinen wieder auftauchte, eine populäre Sagengestalt, die noch lange fortlebte, als die wirklichen Ereignisse schon vergessen waren.
Einstweilen aber ging die öffentliche Meinung in der Nachbarschaft dahin, dass Bilbo, der schon immer ein bisschen gesponnen habe, nun vollends durchgedreht und ins Blaue hinein davongerannt
sei. Zweifelsohne war er irgendwo in einen Fluss oder Teich gefallen und hatte dort ein zwar tragisches, aber keineswegs unzeitiges Ende gefunden. Die Schuld suchten die meisten bei Gandalf. »Wenn doch nur dieser verdammte Zauberer den jungen Frodo in Ruhe ließe - dann wird er vielleicht doch noch ein gestandener Hobbit und der gesunde Hobbitverstand siegt«, sagten sie. Und allem Anschein nach ließ der Zauberer Frodo tatsächlich in Ruhe, und dass Frodo inzwischen ein gestandener Hobbit war, konnte man kaum bezweifeln, aber vom Sieg des gesunden Hobbitverstandes war nicht viel zu bemerken. Dem von Bilbo ererbten Ruf der Kauzigkeit wurde er bald gerecht. Er dachte nicht daran, in Trauer zu gehen, und im Jahr darauf gab er ein Fest zu Bilbos hundertzwölftem Geburtstag, das er eine Langzentnerfeier nannte. Doch die Zahl der Gäste blieb weit hinter einem solchen Anspruch zurück, denn nur zwanzig waren geladen, für die es freilich bei mehreren Mahlzeiten Futter schneite und Schoppen regnete, wie man bei den Hobbits sagt.
Manche nahmen Anstoß, aber Frodo hielt daran fest, Jahr für Jahr Bilbos Geburtstag zu feiern, bis man sich schließlich daran gewöhnte. Er sagte, er glaube nicht, dass Bilbo tot sei. Auf die Frage: »Wo ist er dann?«, zuckte er die Achseln.
Wie Bilbo vor ihm, wohnte er für sich allein, hatte aber viele Freunde, besonders unter den jüngeren Hobbits (meist Nachkommen des Alten Tuk), die schon als Kinder sehr an Bilbo gehangen hatten und in Beutelsend aus und ein gegangen waren. Zu ihnen gehörten Folko Boffin und Fredegar Bolger; doch Frodos engsten Freunde waren Peregrin Tuk (gewöhnlich Pippin genannt) und Merry Brandybock (der in Wirklichkeit Meriadoc hieß, woran aber nur selten jemand dachte). Mit ihnen durchstreifte er das Auenland; öfter aber war er allein unterwegs, und zum Befremden vernünftiger Hobbits sah man ihn manchmal weit von zu Hause bei Sternen- schein in den Hügeln und Wäldern herumlaufen. Merry und Pippin vermuteten, dass er dann und wann die Elben besuchte, wie es auch Bilbo getan hatte.
Mit der Zeit fiel den Leuten auf, dass auch Frodo sich »gut zu halten « schien: Sein Äußeres blieb das eines handfesten, energischen, eben erst den Zwiens entwachsenen Hobbits. »Manche Leute haben aber auch alles Glück der Welt!«, sagte man, aber erst als Frodo auf das doch schon reifere Alter der fünfzig zuging, begann man die Sache nicht geheuer zu finden.
Frodo selbst fühlte sich nach dem ersten Schrecken sehr wohl dabei, nun sein eigener Herr und der Herr Beutlin von Beutelsend zu sein. Einige Jahre lang war er ganz zufrieden und dachte nicht viel an die Zukunft. Doch stetig wuchs in ihm, fast ohne dass er es merkte, das Bedauern, dass er nicht mit Bilbo gegangen war. Bisweilen ertappte er sich dabei, besonders im Herbst, wie er an die wilden Lande dachte; und im Traum erschienen ihm seltsame Bilder von Bergen, die er nie gesehen hatte. Er begann sich zu sagen: »Vielleicht gehe ich auch noch eines Tages über den Fluss.« Worauf die andere Hälfte seines Charakters immer die gleiche Antwort gab: »Noch nicht!«
So ging es weiter, bis er hoch in die Vierziger kam und sein fünfzigster Geburtstag näherrückte. Die Fünfzig war eine Zahl, die er als irgendwie bedeutsam (oder schicksalsträchtig) empfand; jedenfalls war dies das Alter, in dem Bilbo plötzlich von der Abenteuerlust gepackt worden war. Allmählich fand Frodo keine Ruhe mehr, und seine gewohnten Wege erschienen ihm allzu ausgetreten. Er studierte Landkarten und fragte sich, was wohl jenseits ihrer Ränder läge: Auenländische Karten zeigten außerhalb der heimischen Grenzen meistens nur weiße Flächen. Er streifte immer weiter umher, und immer öfter allein; Merry und seine anderen Freunde beobachteten ihn mit Besorgnis. Oft ging und sprach er mit den fremden Fahrensleuten, die zu dieser Zeit im Auenland auftauchten.
Gerüchte von seltsamen Dingen drangen herein, die draußen in der weiten Welt geschahen; und weil Gandalf seit Jahren nicht gekommen war oder Nachricht geschickt hatte, versuchte Frodo selbst, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. Elben, die selten ins Auenland kamen, sah man jetzt abends westwärts durch die Wälder ziehen, immer nur in der einen Richtung: Sie verließen Mittelerde und kümmerten sich nicht mehr um seine Nöte. Doch auch Zwerge waren in ungewöhnlicher Zahl unterwegs. Die alte Ost-Weststraße führte durchs Auenland und endete bei den Grauen Anfurten, und die Zwerge hatten sie immer auf dem Weg zu ihren Minen in den Blauen Bergen benutzt. Sie waren die wichtigste Quelle, von der die Hobbits Neuigkeiten von fernen Ländern erfahren konnten - wenn sie denn wollten: In der Regel sagten die Zwerge wenig, und die Hobbits fragten noch weniger. Aber nun traf Frodo oft seltsame Zwerge aus fernen Ländern, die im Westen Zuflucht suchten. Sie waren niedergeschlagen, und manche sprachen im Flüsterton von dem Feind und dem Lande Mordor.
Dieser Name war den Hobbits nur aus Sagen einer dunklen Vergangenheit bekannt, wie ein Schatten im Hintergrund ihrer Erinnerungen; zugleich aber weckte er unruhige Vorahnungen. Es schien, als sei die böse Macht zwar vom Weißen Rat aus dem Düsterwald vertrieben worden, dafür aber nur um so stärker in den alten Festungen von Mordor neu erstanden. Der Dunkle Turm, hieß es, sei wieder aufgebaut worden. Von dort breitete die Macht sich weithin aus; im fernen Osten und Süden tobten Kriege, und Furcht griff um sich. Im Gebirge vermehrten sich wieder die Orks. Trolle waren unterwegs; nicht mehr nur schwachköpfige Raufbolde, sondern gerissene Burschen mit furchtbaren Waffen. Und manchen leisen Andeutungen war zu entnehmen, dass es noch andere Kreaturen gab, schrecklicher als all diese; doch hatten sie keinen Namen.
Wenig von alledem kam natürlich dem normalen Hobbit zu Ohren. Aber selbst dem schwerhörigsten Stubenhocker konnten mit der Zeit manche wilden Geschichten nicht unbekannt bleiben; und wen seine Geschäfte manchmal bis zu den Grenzen führten, der sah allerlei Befremdliches. Das Gespräch im Grünen Drachen zu Wasserau, an einem Abend im Frühling des Jahres, in dem Frodo fünfzig wurde, zeigte, dass man selbst hier, im behaglichen Herzen des Auenlandes, von den Gerüchten nicht verschont geblieben war, wenn auch die meisten Hobbits sie nicht ernst nahmen.
Sam Gamdschie saß in einer Ecke beim Feuer, ihm gegenüber Timm Sandigmann, der Müllerssohn. Einige andere Hobbits aus dem Dorf hörten ihrem Gespräch zu.
»Komische Sachen, was man heute so erzählt, kannst du mir glauben! «, sagte Sam.
»Ach was!«, sagte Timm. »Nur wenn du hinhörst. Aber Räuberpistolen und Ammenmärchen kann ich zu Hause hören, wenn ich das will.«
»Klar, kannst du«, sagte Sam, »und ich sage dir, an manchen ist mehr Wahres dran, als du denkst. Wer soll denn die Geschichten alle erfunden haben? Nimm zum Beispiel die über Drachen.«
»Nöö danke!«, sagte Timm. »Hör mir auf davon! So was hab ich gehört, als ich klein war, aber da muss ich doch jetzt nicht mehr dran glauben. In Wasserau gibt's nur einen Drachen, und das ist der grüne«, sagte er, und die Zuhörer lachten.
»Schön«, sagte Sam, ebenfalls lachend, »aber was sagst du zu diesen Baummännern oder Riesen, wenn du so willst? Man sagt, vor noch nicht langer Zeit ist einer, der größer war als ein Baum, oben hinter den Nordmooren gesehen worden.«
»Wer ist man?«
»Mein Vetter Hal zum Beispiel. Der arbeitet bei Herrn Boffin in Oberbühl und geht manchmal zur Jagd rauf ins Nordviertel. Der hat einen gesehen.«
»Sagt er! Dein Vetter Hal sagt vieles und sieht vieles, und vielleicht auch mal ein bisschen mehr, als da ist.«
»Aber dieser eine war groß wie eine Ulme und ist gelaufen - gelaufen, mit jedem Schritt sechs Ellen, wenn's wenig war.«
»Dann wett ich, es war nicht wenig. Was er gesehn hat, war eben eine Ulme und nichts weiter!«
»Aber der ist gelaufen, sag ich dir, und in den Nordmooren gibt es gar keine Ulmen.«
»Dann kann Hal auch keine gesehen haben«, sagte Timm, und wieder lachten einige und klatschten; sie schienen zu denken, dass Timm die erste Runde gewonnen hatte.
»Trotzdem«, sagte Sam, »du kannst nicht bestreiten, dass auch andere als unser Halfast schon sehr sonderbare Leute auf der Durchreise durchs Auenland gesehn haben - auf der Durchreise, wohlgemerkt, denn an den Grenzen, da gibt's noch ganz andere, die man gar nicht erst reinlässt. Die Grenzer haben noch nie so viel zu tun gehabt.
Und dann hab ich auch gehört, dass die Elben nach Westen ziehen. Sie sagen, sie gehn zu den Häfen, da draußen hinter den Weißen Türmen.« Sam schwenkte den Arm ungefähr in die bezeichnete Richtung: Weder er noch irgendeiner der Anwesenden wusste, wie weit es von den alten Türmen hinter den westlichen Grenzen des Auenlands bis zum Meer war. Doch eine alte Überlieferung besagte, dass irgendwo dort die Grauen Anfurten seien, von denen zuweilen die Elbenschiffe ausliefen, um nie wiederzukehren.
»Und die segeln, segeln, segeln übers Meer, fahren in den Westen und verlassen uns«, sagte Sam, fast wie wenn er ein Lied sänge; und er schüttelte betrübt und bedächtig den Kopf. Aber Timm lachte.
»Na, das ist nichts Neues, wenn du solche alten Mären glauben willst. Aber ich seh nicht ein, was es mich oder dich angeht. Lass die nur segeln! Aber ich wette, du hast es nicht gesehn, wie sie fortsegeln, und auch sonst niemand aus dem Auenland.«
»Na, ich weiß nicht«, sagte Sam nachdenklich. Er glaubte, im Wald einmal einen Elben gesehen zu haben, und hoffte, irgendwann noch mehr von ihnen zu sehen. Von all den Sagen, die er als Kind gehört hatte, waren es immer die bei den Hobbits noch bekannten Bruchstücke von Märchen und fast vergessenen Geschichten von den Elben gewesen, die ihn am tiefsten berührten. »Es gibt schon noch ein paar Leute, sogar hier in der Gegend, die das Schöne Volk kennen und von ihm Neuigkeiten erfahren«, sagte er. »Zum Beispiel der Herr Beutlin, bei dem ich arbeite. Er hat mir erzählt, dass sie fortsegeln, und er weiß so einiges von den Elben. Und noch mehr wusste der alte Herr Bilbo, und der hat oft mit mir geredet, als ich noch ein kleiner Junge war.«
»Na, die spinnen ja beide!«, sagte Timm. »Wenigstens der alte Bilbo, der war ganz übergeschnappt, und bei Frodo fängt es auch schon an. Wenn du deine Neuigkeiten von daher hast, dann kannst du uns viel Stuss erzählen. So, Freunde, ich segle nach Hause. Zum Wohl!« Er leerte seinen Krug und stapfte geräuschvoll hinaus.
Sam saß still und sagte nichts mehr. Er musste über einiges nachdenken. Zunächst mal gab es im Garten von Beutelsend allerhand zu tun, und wenn sich das Wetter morgen besserte, würde es ein schwerer Tag. Das Gras spross rasch. Aber Sam hatte mehr im Sinn als nur die Gartenarbeit. Nach einer Weile stand er seufzend auf und ging hinaus.
Es war Anfang April, und nach einem starken Regen klarte der Himmel auf. Die Sonne war untergegangen, und ein kühler, blasser Abend dämmerte langsam in die Nacht hinüber. Unter den ersten Sternen am Himmel ging er heim, durch Hobbingen und den Bühl hinauf, nachdenklich und leise vor sich hin pfeifend.
Es war gerade zu dieser Zeit, dass Gandalf nach langer Abwesenheit wieder auftauchte. Drei Jahre lang war er nach dem Fest fortgeblieben. Danach kam er einmal kurz zu Besuch, schaute sich Frodo sehr genau an und ging wieder fort. Während der nächsten ein, zwei Jahre war er dann öfter gekommen, immer unerwartet nach Einbruch der Dunkelheit, und ohne Vorankündigung bei Sonnenaufgang wieder verschwunden. Über seine eigenen Reisen und Angelegenheiten mochte er nicht sprechen; dafür erkundigte er sich in allen Einzelheiten nach Frodos Gesundheit und seinen Beschäftigungen.
Dann plötzlich war er nicht mehr gekommen. Seit über neun Jahren hatte Frodo nichts mehr von ihm gesehen oder gehört. Allmählich dachte er, der Zauberer werde wohl nie mehr auftauchen und habe längst jedes Interesse an den Hobbits verloren. Aber an diesem Abend, als Sam in der Dämmerung heimging, hörte Frodo das einst so vertraute Klopfen am Fenster seines Studierzimmers.
Freudig überrascht begrüßte er den alten Freund. Sie musterten einander gründlich.
»Na, geht's dir gut?«, sagte Gandalf. »Du hast dich überhaupt nicht verändert, Frodo!«
»Du auch nicht«, antwortete Frodo, aber im Stillen fand er, dass Gandalf doch um einiges älter und ein bisschen mitgenommen aussah. Er setzte ihm mit Fragen zu, wie es ihm gehe und was in der weiten Welt los sei, und bald waren sie tief im Gespräch und gingen noch lange nicht schlafen.
Am nächsten Vormittag, nach einem späten Frühstück, saß der Zauberer mit Frodo im Studierzimmer am offenen Fenster. Ein Feuer brannte hell im Kamin, aber die Sonne schien warm, und der Wind kam von Süden. Alles sah frisch aus, und die Felder und die Zweigspitzen der Bäume schimmerten in jungem Grün.
Gandalf dachte an den Frühling vor fast achtzig Jahren, als Bilbo aus Beutelsend fortgerannt war, ohne auch nur ein Taschentuch mitzunehmen. Der Zauberer hatte nun vielleicht mehr weiße Haare als damals, Bart und Brauen waren vielleicht länger, und sein Gesicht hatte mehr Sorgen- und Weisheitsfalten, aber seine Augen leuchteten wie eh und je, und er zog noch mit ebenso vollem Behagen an seiner Pfeife und blies Rauchringe in die Luft.
Jetzt rauchte er schweigend, denn auch Frodo war still und tief in Gedanken versunken. Noch am hellen Vormittag spürte er, wie ein dunkler Schatten auf ihn fiel: ein Schatten dessen, wovon ihm Gandalf berichtet hatte. Endlich brach er das Schweigen.
»Letzte Nacht hast du angefangen, mir allerlei Seltsames über meinen Ring zu erzählen, Gandalf«, sagte er. »Dann hast du aufgehört, weil solche Dinge, sagtest du, am besten nur bei Tageslicht zu besprechen seien. Meinst du nicht, du solltest nun fortfahren? Du sagtest, der Ring sei gefährlich, viel gefährlicher, als ich ahne. In welcher Hinsicht?«
»In vieler Hinsicht«, antwortete der Zauberer. »Er ist viel mächtiger, als ich zuerst zu denken wagte, so mächtig, dass er am Ende jeden Sterblichen, der ihn besäße, ganz und gar beherrschen würde. Der Ring würde dann ihn besitzen.
In Eregion wurden vor langer Zeit viele Elbenringe geschmiedet, Zauberringe, wie ihr sie nennt, und sie waren natürlich von verschiedener Art, manche stärker und manche schwächer. Die minderen Ringe waren nur Übungen in der noch nicht voll entfalteten Kunst, für die Elbenschmiede kaum mehr als Spielzeug - und dennoch, wie mir scheint, für Sterbliche immer noch gefährlich genug. Die großen Ringe aber, die Ringe der Macht, die konnten dem Träger zum Verhängnis werden.
Ein Sterblicher, Frodo, der einen der Großen Ringe trägt, stirbt nicht, aber er wächst auch nicht und bereichert nicht sein Leben. Er lebt einfach fort, bis zuletzt jede Minute nur noch in endloser Müdigkeit verstreicht. Und gebraucht er den Ring oft, um sich unsichtbar zu machen, so schwindet er: Er wird für immer unsichtbar und lebt in einem Dämmerlicht unter dem Auge der dunklen Macht, welche die Ringe beherrscht. Ja, früher oder später - später, wenn er zu Anfang stark oder gutwillig ist, doch weder Stärke noch guter Wille werden von Dauer sein -, früher oder später wird die dunkle Macht ihn aufzehren.«
»Furchtbar!«, sagte Frodo. Wieder schwiegen sie lange. Im Garten hörte man Sam Gamdschie den Rasen mähen.
»Wie lange weißt du das schon?«, fragte Frodo endlich. »Und wie viel hat Bilbo davon gewusst?«
»Bilbo wusste bestimmt nicht mehr, als er dir gesagt hat«, sagte Gandalf. »Er hätte jedenfalls nie etwas, das er für gefährlich hielt, an dich weitergegeben, auch nicht, als ich versprochen hatte, ein Auge auf dich zu haben. Er fand den Ring wunderschön und in Notlagen sehr nützlich; wenn irgendetwas daran nicht geheuer war, dann musste es an ihm selbst liegen. Er sagte zwar, der Ring habe in seinem Kopf immer mehr Platz eingenommen, und war ständig um ihn besorgt; aber dass daran der Ring schuld sein könnte, ahnte er nicht. Dabei hatte er schon gemerkt, dass man auf das Ding aufpassen musste; es schien nicht immer gleich groß oder gleich schwer zu sein; es konnte sich auf sonderbare Weise ausdehnen oder schrumpfen oder einem plötzlich vom Finger rutschen, auch wenn es ganz fest steckte.«
»Ja, davor hat er mich in seinem letzten Brief gewarnt«, sagte Frodo, »darum habe ich es immer am Kettchen.«
»Sehr ratsam«, sagte Gandalf. »Aber sein langes Leben hat Bilbo nie mit dem Ring in Zusammenhang gebracht. Das hielt er allein sich selbst zugute und war sehr stolz darauf. Dennoch wurde ihm immer unbehaglicher zumute. Dünn und gestreckt, sagte er, käme er sich vor. Ein Zeichen, dass der Ring Gewalt über ihn gewann.«
»Wie lange weißt du das alles schon?«, fragte Frodo noch einmal.
»Wissen?«, sagte Gandalf. »Ich weiß einiges, das nur die Weisen wissen, Frodo. Aber wenn du ›wissen von diesem Ring‹ meinst, nun, da weiß ich noch immer nicht recht, könnte man sagen. Eine letzte Probe steht noch aus. Aber ich habe keinen Zweifel mehr, dass es so ist, wie ich vermute.
»Wann war das, als ich zuerst daran dachte?«, besann er sich und stöberte in seinen Erinnerungen. »Lass mich nachdenken - das war in dem Jahr, als der Weiße Rat die dunkle Macht aus dem Düsterwald vertrieb, kurz vor der Schlacht der fünf Heere, als Bilbo den Ring fand. Damals fiel mir ein Schatten aufs Herz, ohne dass ich wusste, was es zu befürchten gab. Ich habe mich oft gefragt, wie Gollum zu einem großen Ring gekommen war - denn dass es nur einer von den großen sein konnte, war von Anfang an klar. Dann hörte ich Bilbos komische Geschichte, wie er ihn ›gewonnen‹ haben wollte, und das konnte ich nicht glauben. Als ich endlich die Wahrheit aus ihm herausbekam, begriff ich gleich, dass er versucht hatte, seinen Anspruch auf den Ring gegen jeden Zweifel unanfechtbar zu machen. Ganz wie Gollum mit seinem ›Geburtstagsgeschenk‹. Dass ihre Lügen sich so ähnlich waren, fand ich bedenklich. Offenbar steckte in dem Ring eine nicht geheure Macht, die sofort auf den Träger einwirkte. Das war für mich das erste echte Warnzeichen, dass nicht alles in Ordnung war. Ich habe Bilbo oft gesagt, dass man solche Ringe besser unbenutzt lässt; aber das wollte er nicht hören und wurde wütend. Viel mehr konnte ich nicht tun. Ich konnte ihm den Ring nicht wegnehmen, ohne noch mehr Schaden anzurichten; und ein Recht dazu hatte ich schon gar nicht. Ich konnte nur abwarten und die Augen offen halten. Vielleicht hätte ich Saruman den Weißen um Rat fragen können, aber irgendwas hielt mich immer davon ab.«
»Wer ist das?«, fragte Frodo. »Ich habe noch nie von ihm gehört.«
»Mag sein«, antwortete Gandalf. »Hobbits sind - oder waren - für ihn kein Thema. Aber er ist ein Großer unter den Weisen. Er ist der Oberste meines Ordens und der Vorsitzende des Rats. Seine Kenntnisse sind gewaltig, aber sein Stolz ebenso, und jede Einmischung nimmt er übel. Die Wissenschaft von den Elbenringen, den großen wie den kleinen, ist sein Fach. Den verschollenen Geheimnissen der Ringschmiedekunst hat er lange nachgeforscht; aber als wir im Rat über die Ringe debattierten, sprach alles, was er uns dazu anvertrauen wollte, gegen meine Befürchtungen. Also ließ ich meine Zweifel auf sich beruhen - aber ruhen wollten sie nicht. Ich wartete weiter ab und hielt die Augen offen.
Und mit Bilbo schien alles in Ordnung zu sein. Und die Jahre vergingen. Ja, sie gingen an ihm vorüber und schienen ihn nicht zu berühren. Kein Zeichen von Alter war an ihm zu erkennen. Abermals spürte ich den Schatten. Doch ich sagte mir: ›Schließlich kommt er ja aus einer langlebigen Familie, mütterlicherseits. Es ist noch Zeit, warte ab!‹
Und ich wartete. Bis zu der Nacht, als er aus diesem Hause fortging. Was er damals sagte und tat, erfüllte mich mit einer Furcht, die alle Reden Sarumans nicht mehr beschwichtigen konnten. Nun endlich wusste ich, dass etwas Dunkles und Tödliches am Werk war. Und die Jahre seither habe ich zumeist darauf verwendet, die Wahrheit in Erfahrung zu bringen.«
»Er hatte doch noch keinen bleibenden Schaden genommen, oder?«, fragte Frodo besorgt. »Er wird schon mit der Zeit wieder der Alte werden, nicht? Ruhe und Frieden haben, meine ich?«
»Er fühlte sich gleich besser«, sagte Gandalf. »Aber es gibt nur eine Macht auf dieser Welt, die alles über die Ringe und ihre Wirkungen weiß; und soviel ich weiß, gibt es keine Macht auf der Welt, die alles über Hobbits weiß. Unter den Weisen bin ich der Einzige, der sich mit der Hobbitkunde befasst: ein abseitiges Fachgebiet, aber voller Überraschungen. Butterweich können sie sein, dann aber auch wieder zäh wie alte Baumwurzeln. Wahrscheinlich könnten manche von ihnen den Ringen viel länger widerstehen, als die meisten Weisen für möglich halten. Ich glaube, du brauchst dir um Bilbo keine Sorgen zu machen.
Gewiss, er hat den Ring viele Jahre lang in Besitz gehabt und ihn auch benutzt; daher könnte es lange dauern, bis sich der Einfluss erschöpft hat - und es für ihn zum Beispiel unbedenklich wäre, den Ring wieder zu Gesicht zu bekommen. Davon abgesehen, könnte er noch jahrelang ganz zufrieden weiterleben, einfach so bleiben, wie er war, als er sich von ihm trennte. Denn schließlich hat er ihn aus freien Stücken hergegeben: ein wichtiger Umstand. Nein, um den guten Bilbo hatte ich keine Angst mehr, sobald er auf das Ding verzichtet hatte. Jetzt bist du es, für den ich mich verantwortlich fühle.
Die ganze Zeit, seit Bilbo fort ist, war ich in tiefer Sorge um dich und um all diese netten, albernen, hilflosen Hobbits. Es wäre ein harter Schlag für die ganze Welt, wenn der Dunkle Herrscher das Auenland unterwerfen und all diese lieben, ulkigen, dussligen Bolgers, Hornbläsers, Boffins, Straffgürtels und wie sie alle heißen, von den lächerlichen Beutlins ganz zu schweigen, versklaven würde.«
Frodo lief es kalt über den Rücken. »Aber warum sollte das so kommen?«, fragte er. »Und warum sollte er solche Sklaven haben wollen?«
»Um dir die Wahrheit zu sagen«, antwortete Gandalf, »ich glaube, dass ihm bisher - bisher, wohlgemerkt - die Existenz des Hobbitvölkchens vollkommen entgangen ist. Dafür solltet ihr dankbar sein. Aber mit eurer Sicherheit ist es vorbei. Er braucht euch nicht - er hat viele weit nützlichere Diener -, aber er wird euch nicht mehr vergessen. Und an jämmerlich versklavten Hobbits hätte er mehr Freude als an freien und fidelen. Es gibt so was wie Bosheit und Rache. «
»Rache?«, sagte Frodo. »Rache wofür? Ich verstehe noch immer nicht, was dies alles mit Bilbo, mit mir und unserem Ring zu tun hat.«
»Alles hat mit dem Ring zu tun«, sagte Gandalf. »Du kennst das volle Ausmaß der Gefahr noch nicht; aber du sollst es kennen lernen. Ich selbst war mir dessen noch nicht sicher, als ich zuletzt hier war; doch nun ist es an der Zeit, davon zu sprechen. Gib mir einen Augenblick den Ring!«
Frodo zog ihn aus der Hosentasche, wo er an einem am Gürtel befestigten Kettchen hing. Er machte ihn los und reichte ihn mit langsamer Bewegung dem Zauberer. Er wog plötzlich schwer in der Hand, als ob entweder er oder Frodo etwas dagegen hätten, dass Gandalf ihn berührte.
Gandalf hielt ihn hoch. Er schien aus purem, massivem Gold zu sein. »Kannst du irgendwelche Zeichen auf ihm erkennen?«, fragte er.
»Nein«, sagte Frodo. »Da sind keine. Er ist ganz glatt und weist nie einen Kratzer oder ein Zeichen von Abgegriffenheit auf.«
»Nun denn, sieh!« Und zu Frodos Erstaunen und Bestürzung warf der Zauberer den Ring mitten in die Glut des Kaminfeuers. Frodo schrie auf und griff nach der Feuerzange, aber Gandalf hielt ihn zurück.
»Warte!«, sagte er in gebieterischem Ton und sah Frodo unter seinen stacheligen Brauen hervor scharf an.
An dem Ring war keine Veränderung zu bemerken. Nach einer Weile stand Gandalf auf, schloss die Läden vor dem Fenster und zog die Vorhänge zu. Im Zimmer wurde es dunkel und still, obwohl aus dem Garten, nun näher beim Fenster, immer noch ein leises Klappern von Sams Grasschere zu hören war. Der Zauberer blieb einen Moment vor dem Kamin stehen und blickte ins Feuer; dann bückte er sich, holte den Ring mit der Zange heraus und nahm ihn sofort in die Hand. Frodo stockte der Atem.
»Er ist ganz kühl«, sagte Gandalf. »Nimm ihn!« Frodo ließ ihn sich auf die Handfläche legen und zuckte ein wenig zurück: Er schien dicker und schwerer denn je geworden zu sein.
»Halt ihn hoch!«, sagte Gandalf. »Und sieh ihn dir genau an!«
Übersetzung: Wolfgang Krege
© by 1969, 1972 J.G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
ZWEITES KAPITEL
Der Schatten der Vergangenheit
Des Geredes war nach neun und auch nach neunundneunzig Tagen kein Ende. Das zweite Verschwinden des Herrn Bilbo Beutlin blieb in Hobbingen und im ganzen Auenland über Jahr und Tag ein Gesprächsstoff, und in Erinnerung blieb es noch viel länger. Zuerst wurde daraus eine Gutenachtgeschichte für kleine Hobbits, und schließlich war der irre Beutlin, der immer mit Blitz und Donner verschwand und mit Säcken voll Gold und Edelsteinen wieder auftauchte, eine populäre Sagengestalt, die noch lange fortlebte, als die wirklichen Ereignisse schon vergessen waren.
Einstweilen aber ging die öffentliche Meinung in der Nachbarschaft dahin, dass Bilbo, der schon immer ein bisschen gesponnen habe, nun vollends durchgedreht und ins Blaue hinein davongerannt
sei. Zweifelsohne war er irgendwo in einen Fluss oder Teich gefallen und hatte dort ein zwar tragisches, aber keineswegs unzeitiges Ende gefunden. Die Schuld suchten die meisten bei Gandalf. »Wenn doch nur dieser verdammte Zauberer den jungen Frodo in Ruhe ließe - dann wird er vielleicht doch noch ein gestandener Hobbit und der gesunde Hobbitverstand siegt«, sagten sie. Und allem Anschein nach ließ der Zauberer Frodo tatsächlich in Ruhe, und dass Frodo inzwischen ein gestandener Hobbit war, konnte man kaum bezweifeln, aber vom Sieg des gesunden Hobbitverstandes war nicht viel zu bemerken. Dem von Bilbo ererbten Ruf der Kauzigkeit wurde er bald gerecht. Er dachte nicht daran, in Trauer zu gehen, und im Jahr darauf gab er ein Fest zu Bilbos hundertzwölftem Geburtstag, das er eine Langzentnerfeier nannte. Doch die Zahl der Gäste blieb weit hinter einem solchen Anspruch zurück, denn nur zwanzig waren geladen, für die es freilich bei mehreren Mahlzeiten Futter schneite und Schoppen regnete, wie man bei den Hobbits sagt.
Manche nahmen Anstoß, aber Frodo hielt daran fest, Jahr für Jahr Bilbos Geburtstag zu feiern, bis man sich schließlich daran gewöhnte. Er sagte, er glaube nicht, dass Bilbo tot sei. Auf die Frage: »Wo ist er dann?«, zuckte er die Achseln.
Wie Bilbo vor ihm, wohnte er für sich allein, hatte aber viele Freunde, besonders unter den jüngeren Hobbits (meist Nachkommen des Alten Tuk), die schon als Kinder sehr an Bilbo gehangen hatten und in Beutelsend aus und ein gegangen waren. Zu ihnen gehörten Folko Boffin und Fredegar Bolger; doch Frodos engsten Freunde waren Peregrin Tuk (gewöhnlich Pippin genannt) und Merry Brandybock (der in Wirklichkeit Meriadoc hieß, woran aber nur selten jemand dachte). Mit ihnen durchstreifte er das Auenland; öfter aber war er allein unterwegs, und zum Befremden vernünftiger Hobbits sah man ihn manchmal weit von zu Hause bei Sternen- schein in den Hügeln und Wäldern herumlaufen. Merry und Pippin vermuteten, dass er dann und wann die Elben besuchte, wie es auch Bilbo getan hatte.
Mit der Zeit fiel den Leuten auf, dass auch Frodo sich »gut zu halten « schien: Sein Äußeres blieb das eines handfesten, energischen, eben erst den Zwiens entwachsenen Hobbits. »Manche Leute haben aber auch alles Glück der Welt!«, sagte man, aber erst als Frodo auf das doch schon reifere Alter der fünfzig zuging, begann man die Sache nicht geheuer zu finden.
Frodo selbst fühlte sich nach dem ersten Schrecken sehr wohl dabei, nun sein eigener Herr und der Herr Beutlin von Beutelsend zu sein. Einige Jahre lang war er ganz zufrieden und dachte nicht viel an die Zukunft. Doch stetig wuchs in ihm, fast ohne dass er es merkte, das Bedauern, dass er nicht mit Bilbo gegangen war. Bisweilen ertappte er sich dabei, besonders im Herbst, wie er an die wilden Lande dachte; und im Traum erschienen ihm seltsame Bilder von Bergen, die er nie gesehen hatte. Er begann sich zu sagen: »Vielleicht gehe ich auch noch eines Tages über den Fluss.« Worauf die andere Hälfte seines Charakters immer die gleiche Antwort gab: »Noch nicht!«
So ging es weiter, bis er hoch in die Vierziger kam und sein fünfzigster Geburtstag näherrückte. Die Fünfzig war eine Zahl, die er als irgendwie bedeutsam (oder schicksalsträchtig) empfand; jedenfalls war dies das Alter, in dem Bilbo plötzlich von der Abenteuerlust gepackt worden war. Allmählich fand Frodo keine Ruhe mehr, und seine gewohnten Wege erschienen ihm allzu ausgetreten. Er studierte Landkarten und fragte sich, was wohl jenseits ihrer Ränder läge: Auenländische Karten zeigten außerhalb der heimischen Grenzen meistens nur weiße Flächen. Er streifte immer weiter umher, und immer öfter allein; Merry und seine anderen Freunde beobachteten ihn mit Besorgnis. Oft ging und sprach er mit den fremden Fahrensleuten, die zu dieser Zeit im Auenland auftauchten.
Gerüchte von seltsamen Dingen drangen herein, die draußen in der weiten Welt geschahen; und weil Gandalf seit Jahren nicht gekommen war oder Nachricht geschickt hatte, versuchte Frodo selbst, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. Elben, die selten ins Auenland kamen, sah man jetzt abends westwärts durch die Wälder ziehen, immer nur in der einen Richtung: Sie verließen Mittelerde und kümmerten sich nicht mehr um seine Nöte. Doch auch Zwerge waren in ungewöhnlicher Zahl unterwegs. Die alte Ost-Weststraße führte durchs Auenland und endete bei den Grauen Anfurten, und die Zwerge hatten sie immer auf dem Weg zu ihren Minen in den Blauen Bergen benutzt. Sie waren die wichtigste Quelle, von der die Hobbits Neuigkeiten von fernen Ländern erfahren konnten - wenn sie denn wollten: In der Regel sagten die Zwerge wenig, und die Hobbits fragten noch weniger. Aber nun traf Frodo oft seltsame Zwerge aus fernen Ländern, die im Westen Zuflucht suchten. Sie waren niedergeschlagen, und manche sprachen im Flüsterton von dem Feind und dem Lande Mordor.
Dieser Name war den Hobbits nur aus Sagen einer dunklen Vergangenheit bekannt, wie ein Schatten im Hintergrund ihrer Erinnerungen; zugleich aber weckte er unruhige Vorahnungen. Es schien, als sei die böse Macht zwar vom Weißen Rat aus dem Düsterwald vertrieben worden, dafür aber nur um so stärker in den alten Festungen von Mordor neu erstanden. Der Dunkle Turm, hieß es, sei wieder aufgebaut worden. Von dort breitete die Macht sich weithin aus; im fernen Osten und Süden tobten Kriege, und Furcht griff um sich. Im Gebirge vermehrten sich wieder die Orks. Trolle waren unterwegs; nicht mehr nur schwachköpfige Raufbolde, sondern gerissene Burschen mit furchtbaren Waffen. Und manchen leisen Andeutungen war zu entnehmen, dass es noch andere Kreaturen gab, schrecklicher als all diese; doch hatten sie keinen Namen.
Wenig von alledem kam natürlich dem normalen Hobbit zu Ohren. Aber selbst dem schwerhörigsten Stubenhocker konnten mit der Zeit manche wilden Geschichten nicht unbekannt bleiben; und wen seine Geschäfte manchmal bis zu den Grenzen führten, der sah allerlei Befremdliches. Das Gespräch im Grünen Drachen zu Wasserau, an einem Abend im Frühling des Jahres, in dem Frodo fünfzig wurde, zeigte, dass man selbst hier, im behaglichen Herzen des Auenlandes, von den Gerüchten nicht verschont geblieben war, wenn auch die meisten Hobbits sie nicht ernst nahmen.
Sam Gamdschie saß in einer Ecke beim Feuer, ihm gegenüber Timm Sandigmann, der Müllerssohn. Einige andere Hobbits aus dem Dorf hörten ihrem Gespräch zu.
»Komische Sachen, was man heute so erzählt, kannst du mir glauben! «, sagte Sam.
»Ach was!«, sagte Timm. »Nur wenn du hinhörst. Aber Räuberpistolen und Ammenmärchen kann ich zu Hause hören, wenn ich das will.«
»Klar, kannst du«, sagte Sam, »und ich sage dir, an manchen ist mehr Wahres dran, als du denkst. Wer soll denn die Geschichten alle erfunden haben? Nimm zum Beispiel die über Drachen.«
»Nöö danke!«, sagte Timm. »Hör mir auf davon! So was hab ich gehört, als ich klein war, aber da muss ich doch jetzt nicht mehr dran glauben. In Wasserau gibt's nur einen Drachen, und das ist der grüne«, sagte er, und die Zuhörer lachten.
»Schön«, sagte Sam, ebenfalls lachend, »aber was sagst du zu diesen Baummännern oder Riesen, wenn du so willst? Man sagt, vor noch nicht langer Zeit ist einer, der größer war als ein Baum, oben hinter den Nordmooren gesehen worden.«
»Wer ist man?«
»Mein Vetter Hal zum Beispiel. Der arbeitet bei Herrn Boffin in Oberbühl und geht manchmal zur Jagd rauf ins Nordviertel. Der hat einen gesehen.«
»Sagt er! Dein Vetter Hal sagt vieles und sieht vieles, und vielleicht auch mal ein bisschen mehr, als da ist.«
»Aber dieser eine war groß wie eine Ulme und ist gelaufen - gelaufen, mit jedem Schritt sechs Ellen, wenn's wenig war.«
»Dann wett ich, es war nicht wenig. Was er gesehn hat, war eben eine Ulme und nichts weiter!«
»Aber der ist gelaufen, sag ich dir, und in den Nordmooren gibt es gar keine Ulmen.«
»Dann kann Hal auch keine gesehen haben«, sagte Timm, und wieder lachten einige und klatschten; sie schienen zu denken, dass Timm die erste Runde gewonnen hatte.
»Trotzdem«, sagte Sam, »du kannst nicht bestreiten, dass auch andere als unser Halfast schon sehr sonderbare Leute auf der Durchreise durchs Auenland gesehn haben - auf der Durchreise, wohlgemerkt, denn an den Grenzen, da gibt's noch ganz andere, die man gar nicht erst reinlässt. Die Grenzer haben noch nie so viel zu tun gehabt.
Und dann hab ich auch gehört, dass die Elben nach Westen ziehen. Sie sagen, sie gehn zu den Häfen, da draußen hinter den Weißen Türmen.« Sam schwenkte den Arm ungefähr in die bezeichnete Richtung: Weder er noch irgendeiner der Anwesenden wusste, wie weit es von den alten Türmen hinter den westlichen Grenzen des Auenlands bis zum Meer war. Doch eine alte Überlieferung besagte, dass irgendwo dort die Grauen Anfurten seien, von denen zuweilen die Elbenschiffe ausliefen, um nie wiederzukehren.
»Und die segeln, segeln, segeln übers Meer, fahren in den Westen und verlassen uns«, sagte Sam, fast wie wenn er ein Lied sänge; und er schüttelte betrübt und bedächtig den Kopf. Aber Timm lachte.
»Na, das ist nichts Neues, wenn du solche alten Mären glauben willst. Aber ich seh nicht ein, was es mich oder dich angeht. Lass die nur segeln! Aber ich wette, du hast es nicht gesehn, wie sie fortsegeln, und auch sonst niemand aus dem Auenland.«
»Na, ich weiß nicht«, sagte Sam nachdenklich. Er glaubte, im Wald einmal einen Elben gesehen zu haben, und hoffte, irgendwann noch mehr von ihnen zu sehen. Von all den Sagen, die er als Kind gehört hatte, waren es immer die bei den Hobbits noch bekannten Bruchstücke von Märchen und fast vergessenen Geschichten von den Elben gewesen, die ihn am tiefsten berührten. »Es gibt schon noch ein paar Leute, sogar hier in der Gegend, die das Schöne Volk kennen und von ihm Neuigkeiten erfahren«, sagte er. »Zum Beispiel der Herr Beutlin, bei dem ich arbeite. Er hat mir erzählt, dass sie fortsegeln, und er weiß so einiges von den Elben. Und noch mehr wusste der alte Herr Bilbo, und der hat oft mit mir geredet, als ich noch ein kleiner Junge war.«
»Na, die spinnen ja beide!«, sagte Timm. »Wenigstens der alte Bilbo, der war ganz übergeschnappt, und bei Frodo fängt es auch schon an. Wenn du deine Neuigkeiten von daher hast, dann kannst du uns viel Stuss erzählen. So, Freunde, ich segle nach Hause. Zum Wohl!« Er leerte seinen Krug und stapfte geräuschvoll hinaus.
Sam saß still und sagte nichts mehr. Er musste über einiges nachdenken. Zunächst mal gab es im Garten von Beutelsend allerhand zu tun, und wenn sich das Wetter morgen besserte, würde es ein schwerer Tag. Das Gras spross rasch. Aber Sam hatte mehr im Sinn als nur die Gartenarbeit. Nach einer Weile stand er seufzend auf und ging hinaus.
Es war Anfang April, und nach einem starken Regen klarte der Himmel auf. Die Sonne war untergegangen, und ein kühler, blasser Abend dämmerte langsam in die Nacht hinüber. Unter den ersten Sternen am Himmel ging er heim, durch Hobbingen und den Bühl hinauf, nachdenklich und leise vor sich hin pfeifend.
Es war gerade zu dieser Zeit, dass Gandalf nach langer Abwesenheit wieder auftauchte. Drei Jahre lang war er nach dem Fest fortgeblieben. Danach kam er einmal kurz zu Besuch, schaute sich Frodo sehr genau an und ging wieder fort. Während der nächsten ein, zwei Jahre war er dann öfter gekommen, immer unerwartet nach Einbruch der Dunkelheit, und ohne Vorankündigung bei Sonnenaufgang wieder verschwunden. Über seine eigenen Reisen und Angelegenheiten mochte er nicht sprechen; dafür erkundigte er sich in allen Einzelheiten nach Frodos Gesundheit und seinen Beschäftigungen.
Dann plötzlich war er nicht mehr gekommen. Seit über neun Jahren hatte Frodo nichts mehr von ihm gesehen oder gehört. Allmählich dachte er, der Zauberer werde wohl nie mehr auftauchen und habe längst jedes Interesse an den Hobbits verloren. Aber an diesem Abend, als Sam in der Dämmerung heimging, hörte Frodo das einst so vertraute Klopfen am Fenster seines Studierzimmers.
Freudig überrascht begrüßte er den alten Freund. Sie musterten einander gründlich.
»Na, geht's dir gut?«, sagte Gandalf. »Du hast dich überhaupt nicht verändert, Frodo!«
»Du auch nicht«, antwortete Frodo, aber im Stillen fand er, dass Gandalf doch um einiges älter und ein bisschen mitgenommen aussah. Er setzte ihm mit Fragen zu, wie es ihm gehe und was in der weiten Welt los sei, und bald waren sie tief im Gespräch und gingen noch lange nicht schlafen.
Am nächsten Vormittag, nach einem späten Frühstück, saß der Zauberer mit Frodo im Studierzimmer am offenen Fenster. Ein Feuer brannte hell im Kamin, aber die Sonne schien warm, und der Wind kam von Süden. Alles sah frisch aus, und die Felder und die Zweigspitzen der Bäume schimmerten in jungem Grün.
Gandalf dachte an den Frühling vor fast achtzig Jahren, als Bilbo aus Beutelsend fortgerannt war, ohne auch nur ein Taschentuch mitzunehmen. Der Zauberer hatte nun vielleicht mehr weiße Haare als damals, Bart und Brauen waren vielleicht länger, und sein Gesicht hatte mehr Sorgen- und Weisheitsfalten, aber seine Augen leuchteten wie eh und je, und er zog noch mit ebenso vollem Behagen an seiner Pfeife und blies Rauchringe in die Luft.
Jetzt rauchte er schweigend, denn auch Frodo war still und tief in Gedanken versunken. Noch am hellen Vormittag spürte er, wie ein dunkler Schatten auf ihn fiel: ein Schatten dessen, wovon ihm Gandalf berichtet hatte. Endlich brach er das Schweigen.
»Letzte Nacht hast du angefangen, mir allerlei Seltsames über meinen Ring zu erzählen, Gandalf«, sagte er. »Dann hast du aufgehört, weil solche Dinge, sagtest du, am besten nur bei Tageslicht zu besprechen seien. Meinst du nicht, du solltest nun fortfahren? Du sagtest, der Ring sei gefährlich, viel gefährlicher, als ich ahne. In welcher Hinsicht?«
»In vieler Hinsicht«, antwortete der Zauberer. »Er ist viel mächtiger, als ich zuerst zu denken wagte, so mächtig, dass er am Ende jeden Sterblichen, der ihn besäße, ganz und gar beherrschen würde. Der Ring würde dann ihn besitzen.
In Eregion wurden vor langer Zeit viele Elbenringe geschmiedet, Zauberringe, wie ihr sie nennt, und sie waren natürlich von verschiedener Art, manche stärker und manche schwächer. Die minderen Ringe waren nur Übungen in der noch nicht voll entfalteten Kunst, für die Elbenschmiede kaum mehr als Spielzeug - und dennoch, wie mir scheint, für Sterbliche immer noch gefährlich genug. Die großen Ringe aber, die Ringe der Macht, die konnten dem Träger zum Verhängnis werden.
Ein Sterblicher, Frodo, der einen der Großen Ringe trägt, stirbt nicht, aber er wächst auch nicht und bereichert nicht sein Leben. Er lebt einfach fort, bis zuletzt jede Minute nur noch in endloser Müdigkeit verstreicht. Und gebraucht er den Ring oft, um sich unsichtbar zu machen, so schwindet er: Er wird für immer unsichtbar und lebt in einem Dämmerlicht unter dem Auge der dunklen Macht, welche die Ringe beherrscht. Ja, früher oder später - später, wenn er zu Anfang stark oder gutwillig ist, doch weder Stärke noch guter Wille werden von Dauer sein -, früher oder später wird die dunkle Macht ihn aufzehren.«
»Furchtbar!«, sagte Frodo. Wieder schwiegen sie lange. Im Garten hörte man Sam Gamdschie den Rasen mähen.
»Wie lange weißt du das schon?«, fragte Frodo endlich. »Und wie viel hat Bilbo davon gewusst?«
»Bilbo wusste bestimmt nicht mehr, als er dir gesagt hat«, sagte Gandalf. »Er hätte jedenfalls nie etwas, das er für gefährlich hielt, an dich weitergegeben, auch nicht, als ich versprochen hatte, ein Auge auf dich zu haben. Er fand den Ring wunderschön und in Notlagen sehr nützlich; wenn irgendetwas daran nicht geheuer war, dann musste es an ihm selbst liegen. Er sagte zwar, der Ring habe in seinem Kopf immer mehr Platz eingenommen, und war ständig um ihn besorgt; aber dass daran der Ring schuld sein könnte, ahnte er nicht. Dabei hatte er schon gemerkt, dass man auf das Ding aufpassen musste; es schien nicht immer gleich groß oder gleich schwer zu sein; es konnte sich auf sonderbare Weise ausdehnen oder schrumpfen oder einem plötzlich vom Finger rutschen, auch wenn es ganz fest steckte.«
»Ja, davor hat er mich in seinem letzten Brief gewarnt«, sagte Frodo, »darum habe ich es immer am Kettchen.«
»Sehr ratsam«, sagte Gandalf. »Aber sein langes Leben hat Bilbo nie mit dem Ring in Zusammenhang gebracht. Das hielt er allein sich selbst zugute und war sehr stolz darauf. Dennoch wurde ihm immer unbehaglicher zumute. Dünn und gestreckt, sagte er, käme er sich vor. Ein Zeichen, dass der Ring Gewalt über ihn gewann.«
»Wie lange weißt du das alles schon?«, fragte Frodo noch einmal.
»Wissen?«, sagte Gandalf. »Ich weiß einiges, das nur die Weisen wissen, Frodo. Aber wenn du ›wissen von diesem Ring‹ meinst, nun, da weiß ich noch immer nicht recht, könnte man sagen. Eine letzte Probe steht noch aus. Aber ich habe keinen Zweifel mehr, dass es so ist, wie ich vermute.
»Wann war das, als ich zuerst daran dachte?«, besann er sich und stöberte in seinen Erinnerungen. »Lass mich nachdenken - das war in dem Jahr, als der Weiße Rat die dunkle Macht aus dem Düsterwald vertrieb, kurz vor der Schlacht der fünf Heere, als Bilbo den Ring fand. Damals fiel mir ein Schatten aufs Herz, ohne dass ich wusste, was es zu befürchten gab. Ich habe mich oft gefragt, wie Gollum zu einem großen Ring gekommen war - denn dass es nur einer von den großen sein konnte, war von Anfang an klar. Dann hörte ich Bilbos komische Geschichte, wie er ihn ›gewonnen‹ haben wollte, und das konnte ich nicht glauben. Als ich endlich die Wahrheit aus ihm herausbekam, begriff ich gleich, dass er versucht hatte, seinen Anspruch auf den Ring gegen jeden Zweifel unanfechtbar zu machen. Ganz wie Gollum mit seinem ›Geburtstagsgeschenk‹. Dass ihre Lügen sich so ähnlich waren, fand ich bedenklich. Offenbar steckte in dem Ring eine nicht geheure Macht, die sofort auf den Träger einwirkte. Das war für mich das erste echte Warnzeichen, dass nicht alles in Ordnung war. Ich habe Bilbo oft gesagt, dass man solche Ringe besser unbenutzt lässt; aber das wollte er nicht hören und wurde wütend. Viel mehr konnte ich nicht tun. Ich konnte ihm den Ring nicht wegnehmen, ohne noch mehr Schaden anzurichten; und ein Recht dazu hatte ich schon gar nicht. Ich konnte nur abwarten und die Augen offen halten. Vielleicht hätte ich Saruman den Weißen um Rat fragen können, aber irgendwas hielt mich immer davon ab.«
»Wer ist das?«, fragte Frodo. »Ich habe noch nie von ihm gehört.«
»Mag sein«, antwortete Gandalf. »Hobbits sind - oder waren - für ihn kein Thema. Aber er ist ein Großer unter den Weisen. Er ist der Oberste meines Ordens und der Vorsitzende des Rats. Seine Kenntnisse sind gewaltig, aber sein Stolz ebenso, und jede Einmischung nimmt er übel. Die Wissenschaft von den Elbenringen, den großen wie den kleinen, ist sein Fach. Den verschollenen Geheimnissen der Ringschmiedekunst hat er lange nachgeforscht; aber als wir im Rat über die Ringe debattierten, sprach alles, was er uns dazu anvertrauen wollte, gegen meine Befürchtungen. Also ließ ich meine Zweifel auf sich beruhen - aber ruhen wollten sie nicht. Ich wartete weiter ab und hielt die Augen offen.
Und mit Bilbo schien alles in Ordnung zu sein. Und die Jahre vergingen. Ja, sie gingen an ihm vorüber und schienen ihn nicht zu berühren. Kein Zeichen von Alter war an ihm zu erkennen. Abermals spürte ich den Schatten. Doch ich sagte mir: ›Schließlich kommt er ja aus einer langlebigen Familie, mütterlicherseits. Es ist noch Zeit, warte ab!‹
Und ich wartete. Bis zu der Nacht, als er aus diesem Hause fortging. Was er damals sagte und tat, erfüllte mich mit einer Furcht, die alle Reden Sarumans nicht mehr beschwichtigen konnten. Nun endlich wusste ich, dass etwas Dunkles und Tödliches am Werk war. Und die Jahre seither habe ich zumeist darauf verwendet, die Wahrheit in Erfahrung zu bringen.«
»Er hatte doch noch keinen bleibenden Schaden genommen, oder?«, fragte Frodo besorgt. »Er wird schon mit der Zeit wieder der Alte werden, nicht? Ruhe und Frieden haben, meine ich?«
»Er fühlte sich gleich besser«, sagte Gandalf. »Aber es gibt nur eine Macht auf dieser Welt, die alles über die Ringe und ihre Wirkungen weiß; und soviel ich weiß, gibt es keine Macht auf der Welt, die alles über Hobbits weiß. Unter den Weisen bin ich der Einzige, der sich mit der Hobbitkunde befasst: ein abseitiges Fachgebiet, aber voller Überraschungen. Butterweich können sie sein, dann aber auch wieder zäh wie alte Baumwurzeln. Wahrscheinlich könnten manche von ihnen den Ringen viel länger widerstehen, als die meisten Weisen für möglich halten. Ich glaube, du brauchst dir um Bilbo keine Sorgen zu machen.
Gewiss, er hat den Ring viele Jahre lang in Besitz gehabt und ihn auch benutzt; daher könnte es lange dauern, bis sich der Einfluss erschöpft hat - und es für ihn zum Beispiel unbedenklich wäre, den Ring wieder zu Gesicht zu bekommen. Davon abgesehen, könnte er noch jahrelang ganz zufrieden weiterleben, einfach so bleiben, wie er war, als er sich von ihm trennte. Denn schließlich hat er ihn aus freien Stücken hergegeben: ein wichtiger Umstand. Nein, um den guten Bilbo hatte ich keine Angst mehr, sobald er auf das Ding verzichtet hatte. Jetzt bist du es, für den ich mich verantwortlich fühle.
Die ganze Zeit, seit Bilbo fort ist, war ich in tiefer Sorge um dich und um all diese netten, albernen, hilflosen Hobbits. Es wäre ein harter Schlag für die ganze Welt, wenn der Dunkle Herrscher das Auenland unterwerfen und all diese lieben, ulkigen, dussligen Bolgers, Hornbläsers, Boffins, Straffgürtels und wie sie alle heißen, von den lächerlichen Beutlins ganz zu schweigen, versklaven würde.«
Frodo lief es kalt über den Rücken. »Aber warum sollte das so kommen?«, fragte er. »Und warum sollte er solche Sklaven haben wollen?«
»Um dir die Wahrheit zu sagen«, antwortete Gandalf, »ich glaube, dass ihm bisher - bisher, wohlgemerkt - die Existenz des Hobbitvölkchens vollkommen entgangen ist. Dafür solltet ihr dankbar sein. Aber mit eurer Sicherheit ist es vorbei. Er braucht euch nicht - er hat viele weit nützlichere Diener -, aber er wird euch nicht mehr vergessen. Und an jämmerlich versklavten Hobbits hätte er mehr Freude als an freien und fidelen. Es gibt so was wie Bosheit und Rache. «
»Rache?«, sagte Frodo. »Rache wofür? Ich verstehe noch immer nicht, was dies alles mit Bilbo, mit mir und unserem Ring zu tun hat.«
»Alles hat mit dem Ring zu tun«, sagte Gandalf. »Du kennst das volle Ausmaß der Gefahr noch nicht; aber du sollst es kennen lernen. Ich selbst war mir dessen noch nicht sicher, als ich zuletzt hier war; doch nun ist es an der Zeit, davon zu sprechen. Gib mir einen Augenblick den Ring!«
Frodo zog ihn aus der Hosentasche, wo er an einem am Gürtel befestigten Kettchen hing. Er machte ihn los und reichte ihn mit langsamer Bewegung dem Zauberer. Er wog plötzlich schwer in der Hand, als ob entweder er oder Frodo etwas dagegen hätten, dass Gandalf ihn berührte.
Gandalf hielt ihn hoch. Er schien aus purem, massivem Gold zu sein. »Kannst du irgendwelche Zeichen auf ihm erkennen?«, fragte er.
»Nein«, sagte Frodo. »Da sind keine. Er ist ganz glatt und weist nie einen Kratzer oder ein Zeichen von Abgegriffenheit auf.«
»Nun denn, sieh!« Und zu Frodos Erstaunen und Bestürzung warf der Zauberer den Ring mitten in die Glut des Kaminfeuers. Frodo schrie auf und griff nach der Feuerzange, aber Gandalf hielt ihn zurück.
»Warte!«, sagte er in gebieterischem Ton und sah Frodo unter seinen stacheligen Brauen hervor scharf an.
An dem Ring war keine Veränderung zu bemerken. Nach einer Weile stand Gandalf auf, schloss die Läden vor dem Fenster und zog die Vorhänge zu. Im Zimmer wurde es dunkel und still, obwohl aus dem Garten, nun näher beim Fenster, immer noch ein leises Klappern von Sams Grasschere zu hören war. Der Zauberer blieb einen Moment vor dem Kamin stehen und blickte ins Feuer; dann bückte er sich, holte den Ring mit der Zange heraus und nahm ihn sofort in die Hand. Frodo stockte der Atem.
»Er ist ganz kühl«, sagte Gandalf. »Nimm ihn!« Frodo ließ ihn sich auf die Handfläche legen und zuckte ein wenig zurück: Er schien dicker und schwerer denn je geworden zu sein.
»Halt ihn hoch!«, sagte Gandalf. »Und sieh ihn dir genau an!«
Übersetzung: Wolfgang Krege
© by 1969, 1972 J.G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
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Autoren-Porträt von J.R.R. Tolkien
Wolfgang Krege, geboren und aufgewachsen in Berlin. Philosophiestudium an der Freien Universität Anfang der 60er Jahre. Lexikonredakteur, Werbetexter, Verlagslektor. Seit 1970 Übersetzer ("Silmarillion ", "Hobbit", Anthony Burgess, Annie Proulx, Amelie Nothomb und viele andere), erste Lektüre des "Herrn der Ringe" 1970, Neuübersetzung des "Herrn der Ringe" 2000. John R. R. Tolkien, geb. am 3. Januar 1892 in Südafrika, in England aufgewachsen, früh verwaist, hat mit seiner Romantrilogie 'Der Herr der Ringe' das Genre 'Fantasy' überhaupt erst geschaffen. Er zeigte sich schon als Kind fasziniert von alten, längst vergessenen Sprachen und Mythen. In Oxford spezialisierte sich der Stipendiat, der seit Kindertagen in seiner Freizeit zum bloßen Zeitvertreib Alphabete kreierte und neue Sprachen komponierte wie andere Menschen Musikstücke, bald aufs Altenglische und beschäftigte sich vor allem mit mittelalterlichen Dialekten der westlichen Midlands. W.A. Craigie, ein Kenner besonders der schottischen Volksüberlieferungen, führte ihn in die isländischen und finnischen Sprachen und Mythologien ein. Das Finnische wie das Walisische wurden später Grundlage für die Elfensprache im Herrn der Ringe. 1924, gerade 32 Jahre alt, wurde Tolkien als Professor für englische Sprachen nach Oxford berufen und blieb mehr als vierzig Jahre. Mit Frau und Kindern lebte er in einem schmucklosen Reihenhaus am Rande der Stadt.Tolkien ist 1973 gestorben, sein Fantasy-Land 'Mittelerde' ist, obwohl literarisch inzwischen vielfach abgekupfert, der beliebteste literarische Abenteuerspielplatz für Kinder und Erwachsene geblieben.
Bibliographische Angaben
- Autor: J.R.R. Tolkien
- 2013, 2. Aufl., 1568 Seiten, Maße: 13 x 20 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Wolfgang Krege
- Verlag: Klett-Cotta
- ISBN-10: 3608939997
- ISBN-13: 9783608939996
- Erscheinungsdatum: 18.09.2012
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