Der Zweite Weltkrieg
John Keegan schildert eindringlich die Ereignisse deiser Jahre - den Krieg in Afrika und auf dem Balkan, den Russlandfeldzug, den Angriff auf Pearl Harbor und den Bombenkrieg in Europa ebenso wie die Seeschlachten im Pazifik, die Landung in der Normandie und den Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki. Anschaulich und packend beschreibt er die Strategien der Hauptakteure. Er zeigt, wie politisches Kalkül, technische Neuerungen und taktische Erwägungen den Kriegsverlauf entscheidend prägten.
Der zweite Weltkrieg von JohnKeegan
LESEPROBE
DIE VERSORGUNGSLAGE UND DIESCHLACHT IM ATLANTIK
Ursprung des Krieges ist die Beschaffung vonNahrungsmitteln, Rohstoffen, Fertigwaren und Waffen selbst. Seit frühester Zeitist der Mensch in den Krieg gezogen, um sich fehlende Ressourcen anzueignen,und er kämpfte, um seine Lebensgrundlagen zu sichern und sich gegen den Feindzu verteidigen. Der Zweite Weltkrieg war keine Ausnahme von dieser Regel. NachAnsicht des Wirtschaftshistorikers Alan Milward lagen sein Ursachen «in der bewusstenEntscheidung zweier wirtschaftlich hoch entwickelter Staaten für den Krieg alspolitisches Instrument. Weit entfernt davon, wirtschaftliche Bedenken gegendie Kriegführung als Politik zu hegen, wurde sowohl die deutsche wie diejapanische Regierung bei ihrer Entscheidung für den Krieg von der Überzeugung geleitet,der Krieg könne ein Mittel zu wirtschaftlicher Gewinnerzielung sein.»
Milwards Ansicht, ökonomische Gründe könnten Japan in denKrieg getrieben haben, ist zweifellos richtig. Japan glaubte, seine raschwachsende Bevölkerung auf den Mutterinseln, denen es an nahezu allen Ressourcenfehlte, könne nur unterhalten werden, wenn es die produktiven Regionen desbenachbarten China in Besitz nehme. Der Einmarsch in China hatte zwischen 1937und 1941 zu einem direkten diplomatischen Konflikt mit den Vereinigten Staatengeführt. Amerika verhängte Handelsembargos, die Japan bewegen sollten, aufstrategische Abenteuer zu verzichten, was die Tokioter Regierung 1941veranlasste, zur Wahrung der nationalen Interessen den Krieg anstelle einesbegrenzten Friedens zu wählen. Im Jahr von Pearl Harbor mussten 40 Prozent desjapanischen Stahlbedarfs importiert werden, dazu 60 Prozent des Aluminiums, 80Prozent des Erdöls, 85 Prozent des Eisens und 100 Prozent des Bedarfs anNickel. Amerikas Drohung, die Lieferung von Öl und Metallen einzustellen, wennJapan nicht garantiere, was Washington als Wohlverhalten ansah, kam dahereiner wirtschaftlichen Strangulation gleich. Die »Südoffensive» war eine fastvorhersagbare Folge.
Hitler konnte sein strategisches Abenteurertum nicht mitwirtschaftlichen Schwächen rechtfertigen. 1939, als noch ein Viertel derBevölkerung in der Landwirtschaft tätig war, war Deutschland, was dieErnährung anging, fast autark; eingeführt werden musste nur ein Teil desBedarfs an Eiern, Obst, Gemüse und Fetten. Deutschland verbrauchte nicht mehrKohle, als in heimischen Gruben gefördert wurde, Ähnliches galt für Eisenerz,nur das hochwertige Erz für die Waffenproduktion bezog man aus Schweden. FürGummi und Erdöl - Güter, für die während des Krieges mit Hilfe der KohlechemieErsatzstoffe gefunden wurden - war es vollkommen auf Importe angewiesen, ebensowie für die meisten Nichteisenmetalle. Im friedlichen Handel jedoch erzielte Deutschlanddank seinem hohen Exportniveau (insbesondere bei Fertigwaren wie Chemikalien,Maschinen und Anlagen) mühelos die nötigen Überschüsse, um diese Mängelauszugleichen. Wäre da nicht Hitlers sozialdarwinistische Fixierung auf dieAutarkie - die absolute Unabhängigkeit der Volkswirtschaft - gewesen, hätteDeutschland keinen Grund gehabt, sich statt für den kommerziellen Verkehr mitseinen Nachbarn für den militärischen zu entscheiden.
Paradoxerweise hatten Deutschlands Gegner Großbritannien undFrankreich sowie sein halbherziger Verbündeter Italien bessere wirtschaftlicheGründe, in den Krieg zu ziehen. Italien musste einen großen Teil seinesEnergiebedarfs durch Importe decken, während seine Industrie, insbesondere dieRüstungsindustrie, fest in der Tradition des Handwerks stand, ein Anachronismusangesichts des unbarmherzigen Massenverschleißes auf dem modernenSchlachtfeld. Italienische Flugzeuge waren regelrechte Kunstwerke - dies warjedoch kein Trost für die Piloten der Regia Aeronautica, da es denFertigungsstätten nicht gelang, so rasch Ersatz zu liefern, wie die Maschinenüber Malta und Benghasi verloren gingen. Auch in Frankreichs Rüstungsfabrikenwurde nach handwerklichen Prinzipien produziert, und obwohl das Land sich mühelosselbst ernährte und Luxusgüter in großer Zahl exportierte, war es dochinsofern von seinem Kolonialreich und seinen Handelspartnern abhängig, als esviele Rohstoffe und Fertigwaren importieren musste - beispielsweise moderneFlugzeuge während der Krise von 1940 aus den Vereinigten Staaten und Gummi ausden Kolonien in Indochina.
Besonders paradox war die Situation Großbritanniens. Bei vollerAuslastung war seine Industrie in der Lage, an Waffen, Schiffen, Flugzeugen,Geschützen und Panzern alles zu produzieren, was die wehrfähige Bevölkerung beieiner Mobilmachung auf dem Schlachtfeld bemannen konnte. Wie der ErsteWeltkrieg bewiesen hatte und wie die Ereignisse des Zweiten zeigen sollten,fand es selbst auf dem Tiefpunkt seines militärischen Schicksals noch Gelegenheit,überschüssiges Rüstungsmaterial zu exportieren (nach Russland) oder Exiltruppen(Polen, Tschechen, Freie Franzosen) neu auszustatten. Doch das war nur möglich,weil Großbritannien einen Großteil der Nichteisenmetalle, einige der von denFabriken benötigten Maschinen und Anlagen, das gesamte Erdöl und - der heikelstePunkt auf der überbevölkerten Insel - die Hälfte aller Lebensmittelimportierte. Die Japaner konnten zur Not von ungeschältem Reis leben, hart an derGrenze zum Verhungern. Hätte die britische Bevölkerung aber auf die Einfuhrnordamerikanischen Weizens verzichten müssen, wäre sie ein paar Monate nach demVerzehr der strategischen Vorräte an Mehl und Milchpulver mit malthusischerGesetzmäßigkeit auf die Hälfte geschrumpft.
Daher war Winston Churchills Bekenntnis unmittelbar nach demsiegreichen Ende des Krieges ganz ehrlich gemeint: «Das Einzige, was ichwährend des Krieges wirklich fürchtete, war die U-Boot-Gefahr ... siemanifestierte sich nicht in heroischen Schlachten und spektakulären Leistungen,sondern in Gestalt von
Statistiken, Diagrammen und Kurven, die der Nation unbekanntund der Öffentlichkeit unverständlich waren.« Die wichtigsten statistischenDaten waren schnell genannt. 1939 benötigte Großbritannien 55 Millionen Tonnenan überseeischen Einfuhren, um seiner Bevölkerung das gewohnte Leben zu bieten.Deshalb unterhielt England die größte Handelsflotte der Welt; 3000 Seeschiffeund 1000 große Küstenschiffe mit einer Gesamttonnage von 21 Millionen BRT.Ständig waren rund 2500 Schiffe auf See: Die Besatzungen der Handelsmarine,eine fast ebenso wichtige Ressource wie die Schiffe selbst, zählten insgesamt160 000 Mann. Zum Schutz dieser Flotte hatte die Royal Navy 220 Schiffe im Einsatz,die mit ASDIC ausgerüstet waren (einem 1917 vom Allied Submarine DetectionInvestigation Committee entwickelten Unterwasser-Ortungsgerät) - 165Zerstörer, 35 Sloops und Korvetten sowie 20 Trawler. Folglich lag dasVerhältnis zwischen Handelsund Begleitschiffen bei etwa 14 zu 1. DerGeleitzug, die Zusammenfassung von Handelsschiffen zu einer geordnetenFormation unter dem Begleitschutz der Kriegsmarine, war nicht mehr Gegenstandeiner Kontroverse wie noch im Ersten Weltkrieg; schon vor Kriegsbeginn hattesich die Admiralität auf diese Taktik verständigt und setzte sie auf denÜberseerouten sofort um, in den Küstengewässern, sobald das möglich war.
© 2004 by Rowohlt-Berlin Verlag GmbH, Berlin
Übersetzung: Hainer Kober
- Autor: John Keegan
- 2004, Neuausg., 896 Seiten, mit farbigen Abbildungen, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 14 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung v. Hainer Kober
- Übersetzer: Hainer Kober
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871345113
- ISBN-13: 9783871345111
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