Die Kurtisane und der Samurai
Japan 1868: Die schöne Hana flieht aus dem zerstörten Tokio nach Yoshiwara, in das schillernde Vergnügungsviertel vor den Toren der Stadt, wo sie zur begehrtesten Kurtisane wird. Hier begegnet sie dem jungen Samurai Yozo. Wo Sex und Macht...
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Produktinformationen zu „Die Kurtisane und der Samurai “
Japan 1868: Die schöne Hana flieht aus dem zerstörten Tokio nach Yoshiwara, in das schillernde Vergnügungsviertel vor den Toren der Stadt, wo sie zur begehrtesten Kurtisane wird. Hier begegnet sie dem jungen Samurai Yozo. Wo Sex und Macht regieren, hat ihre Liebe keine Zukunft. Also planen sie gemeinsam die Flucht. Doch etwas bedroht ihre Liebe: Beide hüten ein schreckliches Geheimnis voreinander.
Japan-Expertin Lesley Downer erweckt in dieser spannenden Liebes- und Abenteuergeschichte das sagenumwobene Yoshiwara der tausend Kurtisanen und Geishas, der prachtvollen Teehäuser und düsteren Opiumhöhlen zu prallem Leben.
Klappentext zu „Die Kurtisane und der Samurai “
Die unergründlichen und prachtvollen Seiten des alten JapanJapan 1868: Die schöne Hana flieht aus dem zerstörten Tokio nach Yoshiwara, in das schillernde Vergnügungsviertel vor den Toren der Stadt, wo sie zur begehrtesten Kurtisane wird. Hier begegnet sie dem jungen Samurai Yozo. Wo Sex und Macht regieren, hat ihre Liebe keine Zukunft. Also planen sie gemeinsam die Flucht. Doch etwas bedroht ihre Liebe: Beide hüten ein schreckliches Geheimnis voreinander
Japan-Expertin Lesley Downer erweckt in dieser spannenden Liebes- und Abenteuergeschichte das sagenumwobene Yoshiwara der tausend Kurtisanen und Geishas, der prachtvollen Teehäuser und düsteren Opiumhöhlen zu prallem Leben.
Lese-Probe zu „Die Kurtisane und der Samurai “
Die Kurtisane und der Samurai von Lesley DownerProlog
11. Tag des 4. Monats, Jahr des Drachen,
Meiji 1 (3. Mai 1868)
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Die letzten Kirschblüten wehten herab. Während Hana zusah, wie sich die rosa Blütenblätter auf dem Boden sammelten, überlegte sie, ob ihr Gatte wohl rechtzeitig zurück sein würde, um im nächsten Jahr den Kirschbaum blühen zu sehen. Sie hörte ihn auf und ab stapfen, dann ein Krachen, als er etwas zu Boden warf.
»Der Feind nimmt die Burg ein. Das ist unerträglich!«, brüllte die vertraute Stimme, so laut, dass die Dienstboten zusammenschraken. »Soldaten aus dem Süden innerhalb der Tore verpesten die große Halle und die Privaträume des Shogun - und wir können nur davonlaufen! Aber wir kommen wieder, und wir werden eine Möglichkeit finden, sie zu vertreiben und die Verräter zu töten.«
Er stürmte aus dem Haus und blieb im Eingang stehen, hochgewachsen und stattlich in seiner dunklen Uniform mit den beiden Schwertern an der Seite, den finsteren Blick auf die Dienstboten und seine junge Frau gerichtet, die nervös darauf warteten, ihn zu verabschieden.
Vom Tor her war Gemurmel zu hören. Dort hatten sich ein paar junge Männer versammelt, deren Strohsandalen auf dem fest gestampften Lehmboden der Straße knirschten und scharrten. Hana erkannte sie. Einige waren in der nahe gelegenen Kaserne untergebracht, andere in den Quartieren der Lehrburschen, und sie kamen oft ins Haus, um zu putzen und Botengänge zu erledigen.
Aber nun, in ihren leuchtend blauen Uniformen, den geschlitzten Kimonoröcken und mit den aus ihrer Schärpe ragenden Schwertern, hatten sie sich von Jungen in Männer verwandelt. Ihren Gesichtern war die Aufregung anzusehen.
Sie zogen in den Krieg, alle gemeinsam, und ließen nur Hana, ihre betagten Schwiegereltern und die Dienstboten zurück. Hana wünschte sich von ganzem Herzen, mit ihnen ziehen zu können. Ich kann genauso gut kämpfen wie diese Burschen, dachte sie.
Hana war siebzehn. Als verheiratete Frau hielt sie ihre Augenbrauen sauber rasiert und die Zähne schwarz gefärbt. Ihr langes schwarzes Haar, das offen bis auf den Boden reichte, war geölt und zu einer ordentlichen Frisur im Marumage-Stil hochgesteckt, wie es für junge Ehefrauen üblich war. Hana trug ihren besten Kimono, wie immer, wenn sie sich von ihrem Gatten verabschiedete. Sie war stets bemüht, sich in allem angemessen zu benehmen, wenngleich sie sich manchmal wünschte, ihr wäre ein anderes Schicksal bestimmt gewesen.
Sie war seit einigen Jahren verheiratet, doch ihr Ehemann war während dieser Zeit fast immer im Krieg gewesen, und sie hatte kaum die Möglichkeit gehabt, ihn wirklich kennenzulernen. Diesmal waren ihm nur ein paar Tage vergönnt, und schon musste er wieder fort. Er war ein strenger Mann, der strikten Gehorsam verlangte und Hana schlug, wenn sie sein Missfallen erregte. Doch sie hatte nie etwas anderes erwartet. Über ihre Eheschließung hatten ihre Eltern entschieden, und es stand ihr nicht zu, deren Entscheidung infrage zu stellen.
Zu normalen Zeiten wäre sie Teil eines riesigen Haushalts mit Schwiegereltern, Gefolgsleuten, Dienstboten und Lehrlingen gewesen, vielleicht Tanten, Onkeln, Vettern und Kusinen, und es wäre ihre Aufgabe gewesen, ihnen zu dienen und sich um das Haus zu kümmern. Aber jetzt konnte von normalen Zeiten keine Rede sein. Edo wurde angegriffen - Edo selbst, die größte Stadt der Welt, dieser wunderschöne Ort mit Bächen, Flüssen, Lustgärten und schattigen Alleen, in der zweihundertsechzig Daimyos ihre Residenzen hatten und zehntausende Stadtbewohner die geschäftigen Straßen füllten. Niemand konnte sich erinnern, dass die Stadt je bedroht worden war, doch nun war sie nicht nur angegriffen, sondern besetzt worden, und Soldatenhorden aus dem Süden überschwemmten die Straßen.
Sie hatten Seine Gnaden, den Shogun, gestürzt, und genau am heutigen Tag nahmen sie die Burg in Besitz. Hana versuchte sich vorzustellen, wie es in der Burg aussehen mochte - die hallenden Flure mit ihren »Nachtigallböden«, die unter dem leichtesten Schritt wie Nachtigallengesang knarrten und jeden Eindringling verrieten, die Tausend-Tatami-Säle für die Audienzen und die Reihen der livrierten Dienstboten, die unvergleichlichen Schätze, die auserlesenen Räume für die Teezeremonien und die wunderschönen Damen aus dem Gefolge des Shogun, die in ihren prächtigen Gewändern durch die Flure glitten. Was für ein unerträglicher Gedanke, dass die Männer aus dem Süden mit ihrer derben Sprache und den ungehobelten Manieren durch diese eleganten Räume trampelten und eine Kultur zerstörten, die sie niemals würden verstehen oder würdigen können.
Ganz Edo wusste es, und ganz Edo war entsetzt. Alle redeten davon. Die Südarmee hatte den Befehl an die Bevölkerung ausgegeben, in ihren Häusern zu bleiben, während die Übernahme stattfand, und verkündet, jeder Widerstand würde unnachgiebig niedergeschlagen werden. Flüsternd wurde verbreitet, die halbe Bevölkerung sei geflohen.
»Ich bin stolz, dass du den Kampf fortsetzt, mein Sohn«, sagte Hanas Schwiegervater in näselndem Ton. Der hagere alte Mann mit dem dünnen Bart stützte sich wie ein kampferprobter Veteran auf sein Schwert. »Wenn ich jünger wäre, stünde ich mit dir Seite an Seite auf dem Schlachtfeld.«
»Der Norden hält noch stand«, erwiderte ihr Gatte. »Wenigstens können wir dem Vormarsch des Südens dort Einhalt gebieten. Die Einwohner von Edo werden die Besetzung ertragen müssen, bis wir zurückkommen und die Stadt und die Burg zurückerobern.«
Er wandte sich den jungen Männern am Tor zu und rief: »Ichimura!« Ein linkischer, grobknochiger Junge, dem das Haar in einem Büschel zu Berge stand, zuckte zusammen und trat vor. Nervös schaute er sich um, und als er Hanas Blick auffing, errötete er bis über beide Ohren. Sie lächelte, sah zu Boden und bedeckte ihren Mund mit der Hand. Ihr Gatte schubste den Jungen auf den Schwiegervater zu.
»Mein zuverlässiger Adjutant«, sagte er und schlug dem jungen Mann so fest auf den Rücken, dass er vorwärtsstolperte. Ichimura verneigte sich tief. »Er ist keine Schönheit, doch er ist ein guter Schwertkämpfer und auch trinkfest. Ich vertraue ihm in allem.«
Als Ichimura auf dem Rückweg zu seinen Kameraden am Tor unbeholfen über einen Pflasterstein stolperte, biss sich Hana auf die Lippen und fragte sich, ob sie auch nur einen von ihnen je wiedersehen würde.
In Tränen aufgelöst, reihten sich die Dienstboten entlang dem Pfad von der Eingangstür zum Tor auf. Hanas Gatte war ein furchteinflößender Gebieter, und sie hatten alle Angst vor ihm, aber sie zollten ihm auch Respekt, weil er ein großer und berühmter Krieger war. Er schritt die Reihe ab und sprach jeden Einzelnen an.
»Du, Kiko, sorge dafür, dass das Feuer geschürt wird, und Jiro, du trägst regelmäßig Feuerholz und Wasser hinein. Oharu, kümmere dich um deine Herrin, und Gensuké, halte Wacht gegen Feuerausbrüche und Eindringlinge.« Selbst der verkrüppelte alte Gensuké wischte sich die Augen.
Hana stand vorne in der Reihe, hinter ihrer Schwiegermutter, und dahinter Oharu, ihre Dienerin. Sie roch den Moschusduft der Pomade ihres Gatten, als er auf sie zukam. Er hob ihr Kinn, und sie blickte in sein markantes Gesicht und die stechenden Augen, auf die gerunzelte Stirn und das dicke schwarze, zu einem glänzenden Haarknoten geölte Haar. Es wies graue Strähnen auf, die sie zuvor nicht bemerkt hatte.
»Du kennst deine Pflichten«, knurrte er. »Diene meiner Mutter getreulich und achte auf das Haus.«
»Lass mich mit dir kommen!«, rief sie. »Im Norden gibt es Frauenbataillone, die mit Schwertlanzen kämpfen. Denen kann ich mich anschließen.«
Ihr Gatte stieß ein schnaubendes Lachen aus, und die Falte zwischen seinen Augenbrauen vertiefte sich.
»Das Schlachtfeld ist kein Ort für Frauen«, blaffte er. »Das würdest du schnell merken. Deine Aufgabe ist es, für meine Eltern zu sorgen und das Haus zu verteidigen. Du wirst hier genauso viel Aufregung finden, vielleicht sogar mehr. Hier wird es keine Männer mehr geben, niemanden außer dir, vergiss das nicht. Das ist eine schwere Last.«
Sie seufzte und neigte den Kopf.
»Denk daran«, fuhr er fort und richtete seinen langen, schlanken Finger drohend auf sie. »Halte die Tore verschlossen, verriegele die Regentüren und geh nur hinaus, wenn es unbedingt nötig ist. Die Stadt befindet sich jetzt in Feindeshand, und niemand bewacht die Straßen. Die Männer der Südarmee wissen, wer ich bin, und könnten durch einen Angriff auf meine Familie Rache üben wollen. Du hast meine Anweisung doch nicht vergessen?«
»Wenn alles andere versagt, wenn Gefahr besteht, geh zur Nihonbashi, der Japan-Brücke, und frage nach ... dem Chikuzenya.«
»Sie haben unserer Familie seit Generationen gedient.« Sein Gesicht wurde weicher, und er umschloss ihr Kinn mit der Hand. »Du bist ein gutes Kind und ein mutiges dazu«, sagte er. »Ich bin froh, dass ich eine Samurai geheiratet habe. Du hast das Herz eines Kriegers. Ich werde auf dem Schlachtfeld an dieses liebreizende Gesicht denken, und du wirst mir einen Sohn gebären, wenn ich zurückkomme.«
Er verneigte sich vor seinem Vater und erbat dessen Segen, dann wandte er sich zum Tor. Die Männer hatten bereits Aufstellung genommen. Er setzte sich an ihre Spitze, und sie marschierten davon. Hana, ihre Schwiegereltern und die Dienstboten verharrten in ihrer Verneigung, bis sich die Marschtritte in der Ferne verloren und nur noch das Zirpen der Insekten, das Zwitschern der Vögel und das Rascheln der Blätter zu hören war.
1
10. Monat, Jahr des Drachen, Meiji 1
(Dezember 1868)
Beim Licht einiger Kerzen in ein Buch vertieft, kauerte Hana auf den Knien neben dem Kohlebecken im großen Hauptraum des Hauses. Ihr Kopf fuhr hoch, ihr Herz klopfte wie wild, und sie lauschte mit gerunzelter Stirn und angehaltenem Atem. Lärm ertönte aus der Ferne, wie das Donnern einer Lawine - das Trappeln von Strohsandalen auf der Straße, vielen Strohsandalen, die sich dem Haus näherten.
Das Getrappel kam immer näher. Dann ein Rums, der durch die stille Luft hallte, bis er Hana tief im Inneren des verdunkelten Hauses erreichte. Wer auch immer da draußen war, hämmerte an das schwere Holztor. Sie hielt es verschlossen und verriegelt, wie ihr Gatte sie angewiesen hatte, aber es würde bald nachgeben. Niemand kam in Zeiten wie diesen zu Besuch. Das konnten nur feindliche Soldaten sein, die gekommen waren, um sie wegzuschleppen oder zu töten.
Hana ballte die Fäuste, versuchte ihre aufsteigende Panik zu unterdrücken. Sie wusste, dass ihr Gatte eine Handfeuerwaffe für sie in der Schublade einer der großen Kommoden zurückgelassen hatte, doch sie hatte die Waffe noch nie benutzt. Meine Schwertlanze wird mir bessere Dienste leisten, dachte sie.
Die Schwertlanze war eine Frauenwaffe. Sie war leicht und zweimal so lang, wie eine Frau groß war, und dreimal so lang wie ein Samuraischwert, daher blieb einer Frau, wenn sie von einem Mann mit dem gezogenen Schwert angegriffen wurde, gerade genug Zeit, einen Streich gegen seine Waden zu führen, bevor sein Schwert sie erreichte. Schwertkämpfer schützten instinktiv Kopf, Kehle und Brustkorb, doch ein Streich gegen die Waden überraschte sie stets.
Hana hatte mit der Schwertlanze geübt, seit sie ein Kind war. Wenn sie die Lanze schwang, war sie wie ein Teil ihres Körpers, und die verschiedenen Stellungen sowie die fünf Schritte - Hieb, Stich, Stoß, Parade und Abwehr - waren für sie so selbstverständlich wie das Atmen. Aber sie hatte bisher nur mit dem Übungsstock gekämpft. Nie hatte sich eine Gelegenheit ergeben, die echte Waffe einzusetzen.
Jetzt sprang sie auf, rannte in die Eingangshalle und hob die Schwertlanze von dem Gestell über dem Türsturz. Sie war schwerer als ein Übungsstock. Hana wog sie in den Händen, spürte das Gewicht, und schon erfüllte sie neuer Mut.
Die Waffe war schön, hatte einen schmalen, hölzernen Schaft mit einer Einlegearbeit aus Perlmutt am oberen Ende. Hana zog die lackierte Scheide ab. Die lange, elegante Klinge war gebogen wie eine Sichel und scharf wie ein Rasiermesser. Sie war froh, dass sie die Klinge stets geölt und poliert hielt. In der Spiegelung der glänzenden Oberfläche wirkte Hana klein und schlank, doch trotz ihres zarten Äußeren würde sie sich zu verteidigen wissen, dachte sie erbittert.
Das Hämmern am Tor war lauter geworden. Oharu kam aus der Küche gerannt, das Hackmesser in der Hand, die Augen weit aufgerissen, auf ihrer Stirn stand der Schweiß. Sie war ein Mädchen vom Land mit stämmigen Beinen, kräftig und treu ergeben. Der Geruch von Angebranntem wehte hinter ihr her, als hätte sie in ihrer Eile vergessen, den Reis vom Feuer zu nehmen. Gensuké, der alte Gefolgsmann, humpelte auf seinen dünnen, krummen Beinen und mit vor Schreck hervorquellenden Augen dicht hinter ihr her. Er hatte den Schürhaken aus dem Herd gerissen und hielt ihn wie ein Schwert, die Spitze noch rot glühend. Oharu und Gensuké waren mit Hana gekommen, als sie zu ihrem Gatten in die Stadt gezogen war, und Hana wusste, dass die beiden alles tun würden, um sie zu beschützen. Nur sie waren von den Dienstboten noch übrig geblieben.
Monate waren vergangen, seit Hanas Schwiegervater sie zu sich kommen ließ. Er hatte in seinen Räumen gekniet, über einen Brief gebeugt, und als er aufschaute, hatte ein müdes, resigniertes Lächeln auf seinem Gesicht gelegen. Hana hatte sofort erraten, dass schlechte Nachrichten eingetroffen waren.
»Uns ist befohlen worden, nach Kano heimzukehren«, hatte er ruhig gesagt.
»Soll ich packen gehen, Vater?«, hatte sie unsicher gefragt. Der Ausdruck in seinen wässrigen Augen hatte sie mit Besorgnis erfüllt. Er hatte die Lippen geschürzt, den Kopf geschüttelt und sie mit einem finsteren Blick gemustert, der keinen Widerspruch duldete.
»Du musst hierbleiben«, hatte er streng verkündet. »Du gehörst in dieses Haus. Unser Sohn wird eines Tages zurückkehren, und du musst hier sein, um ihn zu begrüßen.«
Hana hatte genickt, hatte sich die windumtoste Ebene und die Reihen der Samurai-Häuser vorgestellt, die sich um die massiven Steinmauern der Burg von Kano drängten. In den letzten Monaten waren aus Kano nur schlechte Nachrichten gekommen; Nachrichten von Streitigkeiten und internen Meinungsverschiedenheiten, von Mordanschlägen, von Nachbarn, die ihre Nachbarn umbrachten. Nichtsdestoweniger gehörten sowohl Hanas als auch die Familie ihres Gatten zur Provinz Kano und hatten den Befehlen des Fürsten von Kano zu gehorchen, wenngleich ihr Gatte auch hier in Edo, nahe der Burg des Shogun, eine Residenz besaß, von der aus er seinen militärischen Pflichten nachging.
Die Dienstboten hatten geweint, während sie herumeilten, Truhen und Körbe bepackten. Noch am selben Tag waren sie aufgebrochen, ihre Schwiegereltern in Palankinen und die anderen zu Fuß; die Räume rochen noch nach Tabakrauch, und Schubladen standen offen, so eilig hatten sie es mit dem Packen gehabt. Mit Oharus Hilfe hatte Hana Kissen weggeräumt, niedrige Tische und Armlehnen, hatte alles neben Futons und lackierten, hölzernen Kopfstützen in Schränken verstaut. Über den großen Empfangsraum, in dem ihr Gatte und ihr Schwiegervater Gäste bewirtet hatten, über die Familienräume, die Unterkünfte der Dienstboten und die Küchen, einst voller Menschen, die plauderten und lachten, aßen und tranken, hatte sich Stille gesenkt.
Einen Monat nach ihrer Abreise hatten sich grausige Nachrichten über Hinrichtungen in Kano verbreitet. Es hieß, dass alle, die Verbindung zum Widerstand gehabt hätten, umgekommen seien - Hanas Eltern ebenso wie ihre Schwiegereltern. Wie sie vermutet hatte, war sie zurückgelassen worden, um verschont zu bleiben. Sie hatte tagelang geweint und sich dann innerlich verhärtet. Man hatte ihr zu einem bestimmten Zweck den Befehl erteilt, am Leben zu bleiben, und sie musste dem Folge leisten.
Aber sie hatte alles verloren. Ihr waren nur das Haus und die Erinnerungen an ihren Gatten geblieben. Er zumindest war noch am Leben. Er hatte einen Brief geschickt mit der Mitteilung, er sei auf dem Weg nach Sendai, der Hauptstadt einer der nördlichen Provinzen.
Früher wären die hölzernen Regentüren, die als Wände des Hauses dienten, geöffnet worden, um das Tageslicht hereinströmen zu lassen. Doch nun hielt Hana sie fest geschlossen und verriegelt, und das große, leere Haus war dunkel und frostig, als würde die Sonne nie aufgehen. Lichtstrahlen drangen durch die Ritzen, an denen die Holzplatten aneinanderstießen, und fielen in bleichen Streifen über die Tatamimatten wie die Gitterstäbe eines Käfigs. In den Monaten seit der Abreise ihrer Schwiegereltern hatte Hana zusammengekauert neben dem Kohlebecken gesessen und bei Kerzenlicht gelesen.
Selbst die Straßengeräusche vor dem Tor waren verstummt. Die Tofuhändler und Goldfischverkäufer, die Straßenhändler mit ihren Süßkartoffeln und Muscheln machten ihre Runden nicht mehr. Nur noch selten hörte Hana Fußgetrappel oder Stimmengemurmel, fing nicht mehr den Duft gerösteter Kastanien oder gegrillter Tintenfische auf. Die meisten Nachbarn waren geflohen - doch wohin oder ob sie ihr Ziel erreicht hatten, blieb ein Geheimnis.
Während Hana ihre Röcke hochsteckte und die Ärmel zurückband, ertönten Rufe: »Öffnet das Tor, oder wir brechen es auf! « Die Schwertlanze in beengten Räumen einzusetzen, war nutzlos, das wusste sie, aber draußen würde sie genug Platz haben, die Waffe zu schwingen. Die Eingangstür war verschlossen und verriegelt, daher rannte sie zur Küchentür seitlich im Haus, schob sie auf, und eisige Luft strömte herein. Vom plötzlichen Tageslicht fast geblendet, sah sie die riesigen, rauchgeschwärzten Dachsparren und den Rauch, der über dem Herd wirbelte. Sie blinzelte und stürzte hinaus, Oharu und Gensuké dicht hinter ihr.
Die Sonne schien aus einem beinah farblosen Himmel, und Raureif glitzerte auf der gefrorenen Erde. Ein paar verwelkte Blätter hingen noch an den knorrigen Ästen des großen Kirschbaums. Hana rannte auf das Tor zu und nahm in einigem Abstand davon ihre Stellung ein, einen Fuß vor dem anderen, den Schaft der Schwertlanze entschlossen, aber auch locker im Griff.
Am Scharren der Füße konnte Hana erkennen, dass vor dem Tor viele Männer standen. »Macht auf. Wir wissen, dass ihr da seid!«, brüllte eine Stimme.
Sie hörte kratzende Geräusche, Flüche und herabpolternde Steine, dann erschien ein Mann und hievte sich auf das Ziegeldach der hohen Mauer. Sein stoßweiser Atem hing in Wölkchen in der Luft. Um die Mauerkrone zu erreichen, musste er auf die Schultern eines anderen Mannes gestiegen sein. Hana starrte in sein breites Gesicht mit den hohen Wangenknochen. Oben auf der Mauer wirkte er so riesig und furchterregend wie ein Ungeheuer, mit buschigem Haar und langen Armen in engen schwarzen Uniformärmeln.
Er stieß ein kehliges Schnauben aus. »Niemand da. Nur zwei Mädchen und ein alter Dienstbote«, rief er seinen Kameraden zu. Von der anderen Seite der Mauer ertönte verächtliches Lachen.
Hana atmete tief durch und versuchte sich zu konzentrieren, konnte aber außer dem Blut, das ihr in den Ohren dröhnte, kaum etwas hören. Sie sah die beiden Schwertgriffe aus dem Gürtel des Mannes ragen. Ihm in dem Augenblick, in dem er heruntersprang, einen Hieb zu versetzen, war ihre einzige Chance, aber der Gedanke, jemanden zu verletzen oder sogar zu töten, war grauenerregend. Zitternd rief sie sich ins Gedächtnis, dass sie eine Samurai war und das Haus zu verteidigen hatte.
Sie richtete die Schwertlanze auf den Mann. »Bleib, wo du bist. Ich weiß, wie man damit umgeht, und werde die Lanze einsetzen, wenn es sein muss.« Sie hatte mit fester Stimme sprechen wollen, aber es klang schwach und zittrig und löste auf der anderen Seite des Tores weiteres Gelächter aus.
Mit anzüglichem Grinsen legte der Mann die Hand an den Schwertgriff. Hana hörte das Kreischen von Metall, als er das Schwert aus der Scheide zog, und im selben Moment sprang er hinab. Gleichzeitig waren von der anderen Seite der Mauer laute Schläge zu hören, mit denen die Männer das Tor bearbeiteten.
Als der Mann auf dem Boden aufkam, stolperte er und verlor das Gleichgewicht. Bevor er sich aufrappelte, schlug Hana mit aller Kraft zu. Licht funkelte auf der Klinge der Schwertlanze, während sie in großem Bogen sirrend durch die Luft fuhr und ihre eigene Schwungkraft bekam, wie Hana spürte. Bebend vor Entsetzen, stolperte sie zurück, als sie sah, dass die Brust des Mannes aufklaffte wie ein offener Mund, aus dem in hohem Bogen Blut heraus spritzte. Sie hatte erwartet, Widerstand zu spüren, aber da war keiner. Die Klinge war mit solcher Leichtigkeit durch Fleisch und Knochen gedrungen, als wäre es Wasser.
Der Mann gab ein ersticktes Geräusch von sich und ruderte mit den Armen, tastete hilflos nach seinem Schwert, sackte in die Knie und fiel vornüber. Er sah erschreckend klein und jung aus, wie er da zuckend am Boden lag und ihm Blut aus Mund und Brust quoll. Oharu und Gensuké rannten zu ihm und zerrten das Schwert aus seinem Gürtel.
...
Übersetzung: Susanne Aeckerle
Copyright © der deutschsprachigen Erstveröffentlichung 2011
beim C. Bertelsmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Die letzten Kirschblüten wehten herab. Während Hana zusah, wie sich die rosa Blütenblätter auf dem Boden sammelten, überlegte sie, ob ihr Gatte wohl rechtzeitig zurück sein würde, um im nächsten Jahr den Kirschbaum blühen zu sehen. Sie hörte ihn auf und ab stapfen, dann ein Krachen, als er etwas zu Boden warf.
»Der Feind nimmt die Burg ein. Das ist unerträglich!«, brüllte die vertraute Stimme, so laut, dass die Dienstboten zusammenschraken. »Soldaten aus dem Süden innerhalb der Tore verpesten die große Halle und die Privaträume des Shogun - und wir können nur davonlaufen! Aber wir kommen wieder, und wir werden eine Möglichkeit finden, sie zu vertreiben und die Verräter zu töten.«
Er stürmte aus dem Haus und blieb im Eingang stehen, hochgewachsen und stattlich in seiner dunklen Uniform mit den beiden Schwertern an der Seite, den finsteren Blick auf die Dienstboten und seine junge Frau gerichtet, die nervös darauf warteten, ihn zu verabschieden.
Vom Tor her war Gemurmel zu hören. Dort hatten sich ein paar junge Männer versammelt, deren Strohsandalen auf dem fest gestampften Lehmboden der Straße knirschten und scharrten. Hana erkannte sie. Einige waren in der nahe gelegenen Kaserne untergebracht, andere in den Quartieren der Lehrburschen, und sie kamen oft ins Haus, um zu putzen und Botengänge zu erledigen.
Aber nun, in ihren leuchtend blauen Uniformen, den geschlitzten Kimonoröcken und mit den aus ihrer Schärpe ragenden Schwertern, hatten sie sich von Jungen in Männer verwandelt. Ihren Gesichtern war die Aufregung anzusehen.
Sie zogen in den Krieg, alle gemeinsam, und ließen nur Hana, ihre betagten Schwiegereltern und die Dienstboten zurück. Hana wünschte sich von ganzem Herzen, mit ihnen ziehen zu können. Ich kann genauso gut kämpfen wie diese Burschen, dachte sie.
Hana war siebzehn. Als verheiratete Frau hielt sie ihre Augenbrauen sauber rasiert und die Zähne schwarz gefärbt. Ihr langes schwarzes Haar, das offen bis auf den Boden reichte, war geölt und zu einer ordentlichen Frisur im Marumage-Stil hochgesteckt, wie es für junge Ehefrauen üblich war. Hana trug ihren besten Kimono, wie immer, wenn sie sich von ihrem Gatten verabschiedete. Sie war stets bemüht, sich in allem angemessen zu benehmen, wenngleich sie sich manchmal wünschte, ihr wäre ein anderes Schicksal bestimmt gewesen.
Sie war seit einigen Jahren verheiratet, doch ihr Ehemann war während dieser Zeit fast immer im Krieg gewesen, und sie hatte kaum die Möglichkeit gehabt, ihn wirklich kennenzulernen. Diesmal waren ihm nur ein paar Tage vergönnt, und schon musste er wieder fort. Er war ein strenger Mann, der strikten Gehorsam verlangte und Hana schlug, wenn sie sein Missfallen erregte. Doch sie hatte nie etwas anderes erwartet. Über ihre Eheschließung hatten ihre Eltern entschieden, und es stand ihr nicht zu, deren Entscheidung infrage zu stellen.
Zu normalen Zeiten wäre sie Teil eines riesigen Haushalts mit Schwiegereltern, Gefolgsleuten, Dienstboten und Lehrlingen gewesen, vielleicht Tanten, Onkeln, Vettern und Kusinen, und es wäre ihre Aufgabe gewesen, ihnen zu dienen und sich um das Haus zu kümmern. Aber jetzt konnte von normalen Zeiten keine Rede sein. Edo wurde angegriffen - Edo selbst, die größte Stadt der Welt, dieser wunderschöne Ort mit Bächen, Flüssen, Lustgärten und schattigen Alleen, in der zweihundertsechzig Daimyos ihre Residenzen hatten und zehntausende Stadtbewohner die geschäftigen Straßen füllten. Niemand konnte sich erinnern, dass die Stadt je bedroht worden war, doch nun war sie nicht nur angegriffen, sondern besetzt worden, und Soldatenhorden aus dem Süden überschwemmten die Straßen.
Sie hatten Seine Gnaden, den Shogun, gestürzt, und genau am heutigen Tag nahmen sie die Burg in Besitz. Hana versuchte sich vorzustellen, wie es in der Burg aussehen mochte - die hallenden Flure mit ihren »Nachtigallböden«, die unter dem leichtesten Schritt wie Nachtigallengesang knarrten und jeden Eindringling verrieten, die Tausend-Tatami-Säle für die Audienzen und die Reihen der livrierten Dienstboten, die unvergleichlichen Schätze, die auserlesenen Räume für die Teezeremonien und die wunderschönen Damen aus dem Gefolge des Shogun, die in ihren prächtigen Gewändern durch die Flure glitten. Was für ein unerträglicher Gedanke, dass die Männer aus dem Süden mit ihrer derben Sprache und den ungehobelten Manieren durch diese eleganten Räume trampelten und eine Kultur zerstörten, die sie niemals würden verstehen oder würdigen können.
Ganz Edo wusste es, und ganz Edo war entsetzt. Alle redeten davon. Die Südarmee hatte den Befehl an die Bevölkerung ausgegeben, in ihren Häusern zu bleiben, während die Übernahme stattfand, und verkündet, jeder Widerstand würde unnachgiebig niedergeschlagen werden. Flüsternd wurde verbreitet, die halbe Bevölkerung sei geflohen.
»Ich bin stolz, dass du den Kampf fortsetzt, mein Sohn«, sagte Hanas Schwiegervater in näselndem Ton. Der hagere alte Mann mit dem dünnen Bart stützte sich wie ein kampferprobter Veteran auf sein Schwert. »Wenn ich jünger wäre, stünde ich mit dir Seite an Seite auf dem Schlachtfeld.«
»Der Norden hält noch stand«, erwiderte ihr Gatte. »Wenigstens können wir dem Vormarsch des Südens dort Einhalt gebieten. Die Einwohner von Edo werden die Besetzung ertragen müssen, bis wir zurückkommen und die Stadt und die Burg zurückerobern.«
Er wandte sich den jungen Männern am Tor zu und rief: »Ichimura!« Ein linkischer, grobknochiger Junge, dem das Haar in einem Büschel zu Berge stand, zuckte zusammen und trat vor. Nervös schaute er sich um, und als er Hanas Blick auffing, errötete er bis über beide Ohren. Sie lächelte, sah zu Boden und bedeckte ihren Mund mit der Hand. Ihr Gatte schubste den Jungen auf den Schwiegervater zu.
»Mein zuverlässiger Adjutant«, sagte er und schlug dem jungen Mann so fest auf den Rücken, dass er vorwärtsstolperte. Ichimura verneigte sich tief. »Er ist keine Schönheit, doch er ist ein guter Schwertkämpfer und auch trinkfest. Ich vertraue ihm in allem.«
Als Ichimura auf dem Rückweg zu seinen Kameraden am Tor unbeholfen über einen Pflasterstein stolperte, biss sich Hana auf die Lippen und fragte sich, ob sie auch nur einen von ihnen je wiedersehen würde.
In Tränen aufgelöst, reihten sich die Dienstboten entlang dem Pfad von der Eingangstür zum Tor auf. Hanas Gatte war ein furchteinflößender Gebieter, und sie hatten alle Angst vor ihm, aber sie zollten ihm auch Respekt, weil er ein großer und berühmter Krieger war. Er schritt die Reihe ab und sprach jeden Einzelnen an.
»Du, Kiko, sorge dafür, dass das Feuer geschürt wird, und Jiro, du trägst regelmäßig Feuerholz und Wasser hinein. Oharu, kümmere dich um deine Herrin, und Gensuké, halte Wacht gegen Feuerausbrüche und Eindringlinge.« Selbst der verkrüppelte alte Gensuké wischte sich die Augen.
Hana stand vorne in der Reihe, hinter ihrer Schwiegermutter, und dahinter Oharu, ihre Dienerin. Sie roch den Moschusduft der Pomade ihres Gatten, als er auf sie zukam. Er hob ihr Kinn, und sie blickte in sein markantes Gesicht und die stechenden Augen, auf die gerunzelte Stirn und das dicke schwarze, zu einem glänzenden Haarknoten geölte Haar. Es wies graue Strähnen auf, die sie zuvor nicht bemerkt hatte.
»Du kennst deine Pflichten«, knurrte er. »Diene meiner Mutter getreulich und achte auf das Haus.«
»Lass mich mit dir kommen!«, rief sie. »Im Norden gibt es Frauenbataillone, die mit Schwertlanzen kämpfen. Denen kann ich mich anschließen.«
Ihr Gatte stieß ein schnaubendes Lachen aus, und die Falte zwischen seinen Augenbrauen vertiefte sich.
»Das Schlachtfeld ist kein Ort für Frauen«, blaffte er. »Das würdest du schnell merken. Deine Aufgabe ist es, für meine Eltern zu sorgen und das Haus zu verteidigen. Du wirst hier genauso viel Aufregung finden, vielleicht sogar mehr. Hier wird es keine Männer mehr geben, niemanden außer dir, vergiss das nicht. Das ist eine schwere Last.«
Sie seufzte und neigte den Kopf.
»Denk daran«, fuhr er fort und richtete seinen langen, schlanken Finger drohend auf sie. »Halte die Tore verschlossen, verriegele die Regentüren und geh nur hinaus, wenn es unbedingt nötig ist. Die Stadt befindet sich jetzt in Feindeshand, und niemand bewacht die Straßen. Die Männer der Südarmee wissen, wer ich bin, und könnten durch einen Angriff auf meine Familie Rache üben wollen. Du hast meine Anweisung doch nicht vergessen?«
»Wenn alles andere versagt, wenn Gefahr besteht, geh zur Nihonbashi, der Japan-Brücke, und frage nach ... dem Chikuzenya.«
»Sie haben unserer Familie seit Generationen gedient.« Sein Gesicht wurde weicher, und er umschloss ihr Kinn mit der Hand. »Du bist ein gutes Kind und ein mutiges dazu«, sagte er. »Ich bin froh, dass ich eine Samurai geheiratet habe. Du hast das Herz eines Kriegers. Ich werde auf dem Schlachtfeld an dieses liebreizende Gesicht denken, und du wirst mir einen Sohn gebären, wenn ich zurückkomme.«
Er verneigte sich vor seinem Vater und erbat dessen Segen, dann wandte er sich zum Tor. Die Männer hatten bereits Aufstellung genommen. Er setzte sich an ihre Spitze, und sie marschierten davon. Hana, ihre Schwiegereltern und die Dienstboten verharrten in ihrer Verneigung, bis sich die Marschtritte in der Ferne verloren und nur noch das Zirpen der Insekten, das Zwitschern der Vögel und das Rascheln der Blätter zu hören war.
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10. Monat, Jahr des Drachen, Meiji 1
(Dezember 1868)
Beim Licht einiger Kerzen in ein Buch vertieft, kauerte Hana auf den Knien neben dem Kohlebecken im großen Hauptraum des Hauses. Ihr Kopf fuhr hoch, ihr Herz klopfte wie wild, und sie lauschte mit gerunzelter Stirn und angehaltenem Atem. Lärm ertönte aus der Ferne, wie das Donnern einer Lawine - das Trappeln von Strohsandalen auf der Straße, vielen Strohsandalen, die sich dem Haus näherten.
Das Getrappel kam immer näher. Dann ein Rums, der durch die stille Luft hallte, bis er Hana tief im Inneren des verdunkelten Hauses erreichte. Wer auch immer da draußen war, hämmerte an das schwere Holztor. Sie hielt es verschlossen und verriegelt, wie ihr Gatte sie angewiesen hatte, aber es würde bald nachgeben. Niemand kam in Zeiten wie diesen zu Besuch. Das konnten nur feindliche Soldaten sein, die gekommen waren, um sie wegzuschleppen oder zu töten.
Hana ballte die Fäuste, versuchte ihre aufsteigende Panik zu unterdrücken. Sie wusste, dass ihr Gatte eine Handfeuerwaffe für sie in der Schublade einer der großen Kommoden zurückgelassen hatte, doch sie hatte die Waffe noch nie benutzt. Meine Schwertlanze wird mir bessere Dienste leisten, dachte sie.
Die Schwertlanze war eine Frauenwaffe. Sie war leicht und zweimal so lang, wie eine Frau groß war, und dreimal so lang wie ein Samuraischwert, daher blieb einer Frau, wenn sie von einem Mann mit dem gezogenen Schwert angegriffen wurde, gerade genug Zeit, einen Streich gegen seine Waden zu führen, bevor sein Schwert sie erreichte. Schwertkämpfer schützten instinktiv Kopf, Kehle und Brustkorb, doch ein Streich gegen die Waden überraschte sie stets.
Hana hatte mit der Schwertlanze geübt, seit sie ein Kind war. Wenn sie die Lanze schwang, war sie wie ein Teil ihres Körpers, und die verschiedenen Stellungen sowie die fünf Schritte - Hieb, Stich, Stoß, Parade und Abwehr - waren für sie so selbstverständlich wie das Atmen. Aber sie hatte bisher nur mit dem Übungsstock gekämpft. Nie hatte sich eine Gelegenheit ergeben, die echte Waffe einzusetzen.
Jetzt sprang sie auf, rannte in die Eingangshalle und hob die Schwertlanze von dem Gestell über dem Türsturz. Sie war schwerer als ein Übungsstock. Hana wog sie in den Händen, spürte das Gewicht, und schon erfüllte sie neuer Mut.
Die Waffe war schön, hatte einen schmalen, hölzernen Schaft mit einer Einlegearbeit aus Perlmutt am oberen Ende. Hana zog die lackierte Scheide ab. Die lange, elegante Klinge war gebogen wie eine Sichel und scharf wie ein Rasiermesser. Sie war froh, dass sie die Klinge stets geölt und poliert hielt. In der Spiegelung der glänzenden Oberfläche wirkte Hana klein und schlank, doch trotz ihres zarten Äußeren würde sie sich zu verteidigen wissen, dachte sie erbittert.
Das Hämmern am Tor war lauter geworden. Oharu kam aus der Küche gerannt, das Hackmesser in der Hand, die Augen weit aufgerissen, auf ihrer Stirn stand der Schweiß. Sie war ein Mädchen vom Land mit stämmigen Beinen, kräftig und treu ergeben. Der Geruch von Angebranntem wehte hinter ihr her, als hätte sie in ihrer Eile vergessen, den Reis vom Feuer zu nehmen. Gensuké, der alte Gefolgsmann, humpelte auf seinen dünnen, krummen Beinen und mit vor Schreck hervorquellenden Augen dicht hinter ihr her. Er hatte den Schürhaken aus dem Herd gerissen und hielt ihn wie ein Schwert, die Spitze noch rot glühend. Oharu und Gensuké waren mit Hana gekommen, als sie zu ihrem Gatten in die Stadt gezogen war, und Hana wusste, dass die beiden alles tun würden, um sie zu beschützen. Nur sie waren von den Dienstboten noch übrig geblieben.
Monate waren vergangen, seit Hanas Schwiegervater sie zu sich kommen ließ. Er hatte in seinen Räumen gekniet, über einen Brief gebeugt, und als er aufschaute, hatte ein müdes, resigniertes Lächeln auf seinem Gesicht gelegen. Hana hatte sofort erraten, dass schlechte Nachrichten eingetroffen waren.
»Uns ist befohlen worden, nach Kano heimzukehren«, hatte er ruhig gesagt.
»Soll ich packen gehen, Vater?«, hatte sie unsicher gefragt. Der Ausdruck in seinen wässrigen Augen hatte sie mit Besorgnis erfüllt. Er hatte die Lippen geschürzt, den Kopf geschüttelt und sie mit einem finsteren Blick gemustert, der keinen Widerspruch duldete.
»Du musst hierbleiben«, hatte er streng verkündet. »Du gehörst in dieses Haus. Unser Sohn wird eines Tages zurückkehren, und du musst hier sein, um ihn zu begrüßen.«
Hana hatte genickt, hatte sich die windumtoste Ebene und die Reihen der Samurai-Häuser vorgestellt, die sich um die massiven Steinmauern der Burg von Kano drängten. In den letzten Monaten waren aus Kano nur schlechte Nachrichten gekommen; Nachrichten von Streitigkeiten und internen Meinungsverschiedenheiten, von Mordanschlägen, von Nachbarn, die ihre Nachbarn umbrachten. Nichtsdestoweniger gehörten sowohl Hanas als auch die Familie ihres Gatten zur Provinz Kano und hatten den Befehlen des Fürsten von Kano zu gehorchen, wenngleich ihr Gatte auch hier in Edo, nahe der Burg des Shogun, eine Residenz besaß, von der aus er seinen militärischen Pflichten nachging.
Die Dienstboten hatten geweint, während sie herumeilten, Truhen und Körbe bepackten. Noch am selben Tag waren sie aufgebrochen, ihre Schwiegereltern in Palankinen und die anderen zu Fuß; die Räume rochen noch nach Tabakrauch, und Schubladen standen offen, so eilig hatten sie es mit dem Packen gehabt. Mit Oharus Hilfe hatte Hana Kissen weggeräumt, niedrige Tische und Armlehnen, hatte alles neben Futons und lackierten, hölzernen Kopfstützen in Schränken verstaut. Über den großen Empfangsraum, in dem ihr Gatte und ihr Schwiegervater Gäste bewirtet hatten, über die Familienräume, die Unterkünfte der Dienstboten und die Küchen, einst voller Menschen, die plauderten und lachten, aßen und tranken, hatte sich Stille gesenkt.
Einen Monat nach ihrer Abreise hatten sich grausige Nachrichten über Hinrichtungen in Kano verbreitet. Es hieß, dass alle, die Verbindung zum Widerstand gehabt hätten, umgekommen seien - Hanas Eltern ebenso wie ihre Schwiegereltern. Wie sie vermutet hatte, war sie zurückgelassen worden, um verschont zu bleiben. Sie hatte tagelang geweint und sich dann innerlich verhärtet. Man hatte ihr zu einem bestimmten Zweck den Befehl erteilt, am Leben zu bleiben, und sie musste dem Folge leisten.
Aber sie hatte alles verloren. Ihr waren nur das Haus und die Erinnerungen an ihren Gatten geblieben. Er zumindest war noch am Leben. Er hatte einen Brief geschickt mit der Mitteilung, er sei auf dem Weg nach Sendai, der Hauptstadt einer der nördlichen Provinzen.
Früher wären die hölzernen Regentüren, die als Wände des Hauses dienten, geöffnet worden, um das Tageslicht hereinströmen zu lassen. Doch nun hielt Hana sie fest geschlossen und verriegelt, und das große, leere Haus war dunkel und frostig, als würde die Sonne nie aufgehen. Lichtstrahlen drangen durch die Ritzen, an denen die Holzplatten aneinanderstießen, und fielen in bleichen Streifen über die Tatamimatten wie die Gitterstäbe eines Käfigs. In den Monaten seit der Abreise ihrer Schwiegereltern hatte Hana zusammengekauert neben dem Kohlebecken gesessen und bei Kerzenlicht gelesen.
Selbst die Straßengeräusche vor dem Tor waren verstummt. Die Tofuhändler und Goldfischverkäufer, die Straßenhändler mit ihren Süßkartoffeln und Muscheln machten ihre Runden nicht mehr. Nur noch selten hörte Hana Fußgetrappel oder Stimmengemurmel, fing nicht mehr den Duft gerösteter Kastanien oder gegrillter Tintenfische auf. Die meisten Nachbarn waren geflohen - doch wohin oder ob sie ihr Ziel erreicht hatten, blieb ein Geheimnis.
Während Hana ihre Röcke hochsteckte und die Ärmel zurückband, ertönten Rufe: »Öffnet das Tor, oder wir brechen es auf! « Die Schwertlanze in beengten Räumen einzusetzen, war nutzlos, das wusste sie, aber draußen würde sie genug Platz haben, die Waffe zu schwingen. Die Eingangstür war verschlossen und verriegelt, daher rannte sie zur Küchentür seitlich im Haus, schob sie auf, und eisige Luft strömte herein. Vom plötzlichen Tageslicht fast geblendet, sah sie die riesigen, rauchgeschwärzten Dachsparren und den Rauch, der über dem Herd wirbelte. Sie blinzelte und stürzte hinaus, Oharu und Gensuké dicht hinter ihr.
Die Sonne schien aus einem beinah farblosen Himmel, und Raureif glitzerte auf der gefrorenen Erde. Ein paar verwelkte Blätter hingen noch an den knorrigen Ästen des großen Kirschbaums. Hana rannte auf das Tor zu und nahm in einigem Abstand davon ihre Stellung ein, einen Fuß vor dem anderen, den Schaft der Schwertlanze entschlossen, aber auch locker im Griff.
Am Scharren der Füße konnte Hana erkennen, dass vor dem Tor viele Männer standen. »Macht auf. Wir wissen, dass ihr da seid!«, brüllte eine Stimme.
Sie hörte kratzende Geräusche, Flüche und herabpolternde Steine, dann erschien ein Mann und hievte sich auf das Ziegeldach der hohen Mauer. Sein stoßweiser Atem hing in Wölkchen in der Luft. Um die Mauerkrone zu erreichen, musste er auf die Schultern eines anderen Mannes gestiegen sein. Hana starrte in sein breites Gesicht mit den hohen Wangenknochen. Oben auf der Mauer wirkte er so riesig und furchterregend wie ein Ungeheuer, mit buschigem Haar und langen Armen in engen schwarzen Uniformärmeln.
Er stieß ein kehliges Schnauben aus. »Niemand da. Nur zwei Mädchen und ein alter Dienstbote«, rief er seinen Kameraden zu. Von der anderen Seite der Mauer ertönte verächtliches Lachen.
Hana atmete tief durch und versuchte sich zu konzentrieren, konnte aber außer dem Blut, das ihr in den Ohren dröhnte, kaum etwas hören. Sie sah die beiden Schwertgriffe aus dem Gürtel des Mannes ragen. Ihm in dem Augenblick, in dem er heruntersprang, einen Hieb zu versetzen, war ihre einzige Chance, aber der Gedanke, jemanden zu verletzen oder sogar zu töten, war grauenerregend. Zitternd rief sie sich ins Gedächtnis, dass sie eine Samurai war und das Haus zu verteidigen hatte.
Sie richtete die Schwertlanze auf den Mann. »Bleib, wo du bist. Ich weiß, wie man damit umgeht, und werde die Lanze einsetzen, wenn es sein muss.« Sie hatte mit fester Stimme sprechen wollen, aber es klang schwach und zittrig und löste auf der anderen Seite des Tores weiteres Gelächter aus.
Mit anzüglichem Grinsen legte der Mann die Hand an den Schwertgriff. Hana hörte das Kreischen von Metall, als er das Schwert aus der Scheide zog, und im selben Moment sprang er hinab. Gleichzeitig waren von der anderen Seite der Mauer laute Schläge zu hören, mit denen die Männer das Tor bearbeiteten.
Als der Mann auf dem Boden aufkam, stolperte er und verlor das Gleichgewicht. Bevor er sich aufrappelte, schlug Hana mit aller Kraft zu. Licht funkelte auf der Klinge der Schwertlanze, während sie in großem Bogen sirrend durch die Luft fuhr und ihre eigene Schwungkraft bekam, wie Hana spürte. Bebend vor Entsetzen, stolperte sie zurück, als sie sah, dass die Brust des Mannes aufklaffte wie ein offener Mund, aus dem in hohem Bogen Blut heraus spritzte. Sie hatte erwartet, Widerstand zu spüren, aber da war keiner. Die Klinge war mit solcher Leichtigkeit durch Fleisch und Knochen gedrungen, als wäre es Wasser.
Der Mann gab ein ersticktes Geräusch von sich und ruderte mit den Armen, tastete hilflos nach seinem Schwert, sackte in die Knie und fiel vornüber. Er sah erschreckend klein und jung aus, wie er da zuckend am Boden lag und ihm Blut aus Mund und Brust quoll. Oharu und Gensuké rannten zu ihm und zerrten das Schwert aus seinem Gürtel.
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Übersetzung: Susanne Aeckerle
Copyright © der deutschsprachigen Erstveröffentlichung 2011
beim C. Bertelsmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Lesley Downer
Die britische Journalistin und Japan-Expertin Lesley Downer ist nach über zehnjährigem Aufenthalt im Reich des Tenno mit der japanischen Kultur und Geschichte ebenso vertraut wie mit der Landessprache. Sie schreibt für Zeitungen ("Sunday Times" und "Financial Times") und Fernsehsender (BBC und Channel 4). Zu ihren Buchveröffentlichungen zählt die Biographie der "Brüder Tsutsumi. Die Geschichte der reichsten Familie Japans" (Heyne).Susanne Aeckerle, geb. 1942 in Lindau/Bodensee. 1975 Mitbegründerin des ersten deutschen Frauenbuchladens in München. Später Geschäftsführerin eines Schallplattenvertriebs und Herausgeberin einer Frauenmusikzeitschrift. Von 1981-90 Redakteurin und Chefin vom Dienst bei der Zeitschrift ''Emma'. Sie lebt heute als Übersetzerin, Herausgeberin und freie Lektorin in München.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lesley Downer
- 2011, 1, 368 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Aeckerle, Susanne
- Übersetzer: Susanne Aeckerle
- Verlag: C. Bertelsmann
- ISBN-10: 3570100855
- ISBN-13: 9783570100851
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