Hannelore Kohl
Ihr Leben
Sie war eine charismatische, starke Frau, aber sie gab nur wenig von sich preis: Hannelore Kohl.
Wie sie wirklich war, wie sie gelebt, gedacht und gefühlt hat und wie es ist, an der Seite des mächtigsten Mannes in Deutschland zu leben, davon...
Wie sie wirklich war, wie sie gelebt, gedacht und gefühlt hat und wie es ist, an der Seite des mächtigsten Mannes in Deutschland zu leben, davon...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Hannelore Kohl “
Sie war eine charismatische, starke Frau, aber sie gab nur wenig von sich preis: Hannelore Kohl.
Wie sie wirklich war, wie sie gelebt, gedacht und gefühlt hat und wie es ist, an der Seite des mächtigsten Mannes in Deutschland zu leben, davon berichtet ihr jüngerer Sohn Peter Kohl - zusammen mit der Journalistin Dona Kujacinski.
Wie sie wirklich war, wie sie gelebt, gedacht und gefühlt hat und wie es ist, an der Seite des mächtigsten Mannes in Deutschland zu leben, davon berichtet ihr jüngerer Sohn Peter Kohl - zusammen mit der Journalistin Dona Kujacinski.
Klappentext zu „Hannelore Kohl “
Sie war eine charismatische, starke Frau, aber sie gab nur wenig von sich preis: Hannelore Kohl. Wie sie wirklich war, wie sie gelebt, gedacht und gefühlt hat und wie es ist, an der Seite des mächtigsten Mannes in Deutschland zu leben, davon berichtet ihr jüngerer Sohn Peter Kohl - zusammen mit der Journalistin Dona Kujacinski.
Lese-Probe zu „Hannelore Kohl “
Hannelore Kohl von Dona Kujacinski und Peter Kohl Anstatt eines Vorwortes
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
am 7. März 2013 jährt sich der Geburtstag meiner Mutter Hannelore Kohl zum 80. Mal. In der Nacht vom 4. auf den
5. Juli 2001 nahm sie sich im 69. Lebensjahr das Leben. 53 lange Jahre teilten und bestritten meine Mutter und mein Vater Helmut Kohl ein gemeinsames und ereignisreiches Leben. Mehr als ein Jahrzehnt ist seit dem Tod von Hannelore Kohl vergangen. Immer wieder haben uns, mir und meinem Bruder, unzählige Menschen in Deutschland ihre Gefühle und Gedanken zu Mutter und Vater mitgeteilt. Mit dabei waren oft, neben Erinnerungen an persönliche Begegnungen mit Hannelore Kohl, auch klare Aussagen zu ihrem Tod.
Es ist viel - bei manchem Autor muss leider gesagt werden gar zu viel - über Leben und Tod meiner Mutter und über meinen Vater geschrieben worden. Dienliche und weniger dienliche Versuche sind unternommen worden, die Geschehnisse einzuordnen, sie zu deuten, sie vielleicht völlig umzudeuten. Wie in jeder spannenden Geschichte - für das wahre Leben gilt das umso mehr - gibt es die unterschiedlichsten Bedeutungsebenen und dann zugleich Wirkungen im Nach hinein.
... mehr
In den letzten zwölf Jahren seit ihrem Tod habe ich etwas Grundlegendes über diese Wirkungen nach außen gelernt: Hannelore Kohl war für viele eine zwar prominente, aber gleichsam auch typische Vertreterin ihrer Generation. Auf sie konnten und können sich eine nicht geringe Zahl von Frauen und Männern, die wie sie selbst noch den Zweiten Weltkrieg als Kinder erlebt haben, beziehen. Der Zugang der Jüngeren, sozusagen die Generation der Töchter und Söhne, erklärt sich auch im Wiedererkennen von Lebensumständen der eigenen Eltern in der Biografie von Hannelore Kohl. In der Wahrnehmung ganz wichtig: Sie war mit einem besonderen Mann verheiratet, der über lange Jahre eine öffentliche Konstante bildete, gerade im Leben auch der Jüngeren, der Generation der Töchter und Söhne.
Meine Eltern waren auch und vielleicht vor allem: eine deutsche Erfolgsgeschichte. Trotz eines ständigen Lebens im »Schaufenster der deutschen Öffentlichkeit«, im »Druckkessel der Spitzenpolitik«, wie Hannelore Kohl es manchmal nannte, hielt ihre Ehe unvorstellbare 41 Jahre, bis zu ihrem Tod. Gemeinsam haben meine Eltern, nicht nur an deutschen, sondern auch an internationalen Maßstäben gemessen, für meinen Vater und zum Wohle dieses Landes eine politische Jahrhundertkarriere aufgebaut.
Er, der die Menschen auch immer extrem mit seinem wuchtigen Ego und seiner schieren Macht polarisierte, hat entscheidende Wirkung in Deutschland und in Europa gezeigt, deren Nachhall wir noch in unserer Gegenwart spüren. Erst später, wenn die gegenwärtigen dramatischen Krisen in Europa verflogen und wichtige, noch gesperrte Archive, gerade auch in den Vereinigten Staaten, zugänglich sein werden, wird man sich ein nachhaltiges Urteil über den Politiker und Staatsmann Helmut Kohl bilden können.
Für meine Betrachtungen zu Hannelore Kohl ist dies jedoch nicht so sehr entscheidend. Bevor ich mit meinem Bericht über die Hintergründe zu diesem Buch und seiner Neuauflage fortfahre, bleibt noch anzumerken, was für mich, ihren jüngeren Sohn, den sie manchmal unverdienterweise bevorzugte, rückblickend am allerwichtigsten bleibt: Hannelore Kohl, unsere Mutter, hat unsere Familie geschaffen und erhalten, deren innerer Zusammenhalt, bis zu ihrem Tode, unerschütterlich war.
Die Nachricht von ihrem Selbstmord erreichte mich in unserem Wohnzimmer in London. Es war am späten Vormittag. Mein Bruder hatte mich angerufen, mich über das Unfassbare informiert. Ich legte auf. Meine Frau Elif und ich saßen einander gegenüber. Ich hatte gerade gesagt, was es zu berichten gab: Meine Mutter läge tot in ihrem Bett in Ludwigshafen, dem Bett im ehemaligen Kinderzimmer von Walter. Dort habe Frau Seeber sie gefunden. Meine Mutter habe sich wahrscheinlich vergiftet. Wir weinten.
Aus besonderem Anlass hätte es eigentlich ein schöner und glücklicher Tag werden sollen. So hatte es sich meine Frau erhofft. Erst wollte sie es mir sagen, und danach hätten wir, so ihr Wunsch, gemeinsam meine Mutter in Deutschland angerufen, um sie mit der freudigen Nachricht zu überraschen.
Elif war gerade im Begriff, mir beizubringen, dass wir ein Kind erwarten, da kam ihr jener Anruf zuvor. Ich sollte es an jenem Tag nicht und meine Mutter nie mehr erfahren, dass es ein kleines Mädchen in der Familie Kohl geben sollte - ihre Enkelin, die sie sich so sehnlichst gewünscht hatte.
Oft habe ich später über jene Ereignisse um den Tod meiner Mutter und deren Sinn nachgedacht, habe gegrübelt, mir alternative Szenarien ausgemalt und sie wieder verwerfen müssen. Es half alles nichts.
Elif pflegte eine besondere Beziehung zu meiner Mutter. Sie bewunderte sie als eine charakterstarke, aus ihrer Sicht vorbildliche Frau, die in allen Höhen und Tiefen des Lebens, und den vielen Widrigkeiten zum Trotz, schwierige und bisweilen unmögliche Situationen zu meistern verstand.
Meine berechtigte und vielleicht auch damals gelegentlich jugendlich überzogene Kritik, die ich gerne an meiner Mutter übte und dabei ihre aus meiner Sicht falschen Entscheidungen geißelte, ließ Elif meistens nicht gelten. Sie vertrat mehrheitlich den Standpunkt meiner Mutter. Ich hielt dann dagegen, dass man niemanden idealisieren sollte, weder im Leben noch im Tod. Elif trauerte sehr um meine Mutter.
Abschied nehmen
Die Tage nach ihrem Tod und vor der Beerdigung verbrachten mein Bruder und ich alleine zu Hause mit unserem Vater in Oggersheim, fast immer dabei waren die Seebers. Frau Hilde Seeber, die meine tote Mutter gefunden hatte, umsorgte uns, kochte für uns. Sie und ihr Mann Ecki, die alten Gefährten meiner Eltern, trauerten um meine Mutter wie um ein geliebtes Familienmitglied. Sie versuchten zu helfen, wo sie konnten.
Die Seebers, erst Ecki Seeber und später seine Frau Hilde, waren eine Konstante in unserer Kindheit. Bereits bevor mein Bruder 1963 auf die Welt kam, gehörte Ecki als Fahrer unseres Vaters mit dazu. Aber er war viel mehr. Für uns Kinder war die Zeit mit ihm immer etwas ganz Besonderes. Mit ihm haben wir Abenteuer erlebt, sehr viel Spaß gehabt. Bei ihm habe ich als Kind etwas erfahren, was es so nur sehr selten gibt: unbedingte Treue und Loyalität.
Mehrfach am Tag wurden in jener Woche Berge von Post und Telegramme zugestellt, die Ecki in das Arbeitszimmer schleppte, in dem mein Vater tagsüber hinter seinem Schreibtisch saß und versuchte, zumindest einen Teil der Kondolenzschreiben durchzusehen. Ständig klingelte das Telefon mit Anrufern aus Deutschland und der ganzen Welt. Weil es nicht anders ging, machte ich Telefondienst und übersetzte, wo notwendig.
Mein Bruder und ich hatten mit den Vorbereitungen der Trauerfeier im Speyerer Dom und dem Begräbnis auf dem Friesenheimer Friedhof alle Hände voll zu tun. Von Tag zu Tag wurden die Ausmaße dessen, was uns erwartete, immer unglaublicher. Tausende von Menschen, viele Amts- und Würdenträger würden teilnehmen, der erzwungene Sicherheitsaufwand war gewaltig.
Die Marbacher Straße in Oggersheim, auf deren äußerer Seite mein Elternhaus steht, wurde an beiden Enden mit Absperrungen durch die Bereitschaftspolizei gesichert. Dahinter befand sich ein riesiger Pulk an Presse, die gierig auf Neuigkeiten oder Gelegenheiten für Schnappschüsse mit ihren Teleobjektiven warteten. Wir drei Kohl-Männer saßen drinnen, scharf bewacht, wie in einer Festung.
Mich hatte das Drumherum von Trauerfeier und Beerdigung noch trauriger gestimmt. Es war einfach von allem zu viel. Nur ganz frühmorgens war ein Zeitpunkt des Innehaltens, der Reflexion möglich. Nach dieser schrecklichen Katharsis schien mir ein gemeinsames, klärendes Gespräch mit meinem Vater unausweichlich. Die Gelegenheit einer Aussprache, die doch so bitter nötig gewesen wäre, wurde jedoch nicht gesucht und ergab sich dann nicht mehr. Gespräche, in denen wir gemeinsam trauerten und mit der Ungeheuerlichkeit dieser Situation fertig zu werden versuchten, fanden alleine zwischen uns Brüdern statt.
Sofort nach dem Tod meiner Mutter habe ich eine Veränderung im Wesen meines Vaters feststellen können - als ob etwas mir lange Vertrautes von ihm gewichen war. Damals, nach meiner Ankunft aus London, habe ich das zwar gespürt, konnte es aber nicht richtig deuten.
Bei allen persönlichen Unterschieden bildeten meine Eltern für mich immer ein starkes emotionales Ganzes, über dessen inneres Zusammenspiel ich mir nie wirklich Gedanken gemacht hatte. Jetzt, als meine Mutter nicht mehr da war, wurde mir erst bewusst, wie mein Vater, nicht nur in seinem Privatleben, mit anderen Menschen emotional in Verbindung trat. Diese Verbindung stellte er sehr gerne durch und über seine Frau Hannelore her. Natürlich ergänzten sich die etwas gegensätzlichen Temperamente meiner Eltern, und zusammen konnten sie eine starke Wirkung auf Menschen entfalten, sie nicht selten sogar verzaubern.
Meinen Vater erlebte ich als Charismatiker - für mich weder etwas Gutes noch Schlechtes -, der, wenn er den Raum betrat, alle Anwesenden zwang, sich auf ihn auszurichten. Er hatte eine starke Wirkung, das wusste er natürlich. Nicht nur meiner Erfahrung nach definierte er sich zeitlebens über Machtanspruch und Position, weniger über Sachfragen und Meinungen. In gewisser Weise war es meine Mutter, die sein übergroßes Ego - eine Urwurzel seines Erfolges und ein Übel zugleich - bändigte und durch ihre weibliche Klugheit und emotionale Intelligenz ergänzte.
Hannelore machte Helmut Kohl, so wie wir ihn kannten, möglich.
Nach dem Tod seiner Frau befand er sich in einer verzweifelten Lage. Er fühlte sich machtlos und ohnmächtig einer Situation ausgesetzt, die er überhaupt nicht beherrschen konnte. Gerade jetzt bedurfte er des Rates und der Unterstützung jener Frau, der er immer blind vertraut hatte und die jetzt nicht mehr für ihn da war.
Die kurze Zeit, die sie noch bei uns zu Hause war, haben wir, mein Bruder und ich, bei ihr gesessen, bei ihr gewacht und gebetet. Mein Vater tat dies meist alleine. Ich habe das respektiert und verstanden. Ihr Tod und vor allem die Um stände ihres Todes waren und bleiben für ihn eine Katastrophe, in mehrfacher Hinsicht.
Bald war die Beerdigung vorbei, und nicht nur für unseren Vater begann die Zeit danach. Anderen Leuten konnte er Normalität vorspielen, nicht aber uns. Mein Bruder und ich waren von seinem Zustand entsetzt. Mein Vater, den ich mein Leben lang in vielen, auch großen Krisen in der Politik fast übermenschlich nervenstark und standfest erlebt hatte, konnte es hier nicht mehr sein.
Es folgte eine ausgesprochen traurige und defätistische Phase. Er begann von sich aus, über seine Gefühle zu sprechen, etwas, was er sonst nie tat. Mein Vater machte immer wieder Bemerkungen, dass es wohl besser wäre, wenn er nicht mehr sei, oder dass sich alle Probleme lösen würden, wenn er einfach nicht mehr da sei. Wir versuchten, mit ihm zu sprechen, uns um ihn zu kümmern.
Er war durch den Tod meiner Mutter bis ins Mark erschüttert. Gewisse Auslassungen in der Presse, in denen man ihn für ihren Tod verantwortlich machte, verletzten sein Innerstes und hätten ihn fast in die Knie gezwungen. Davon bin ich heute überzeugt.
Damals bekam ich Angst, richtige Angst. Alle Leser, die einen Elternteil durch Selbstmord verloren haben, werden mich verstehen. Er war auch mein Vater, mein Papa! Ich trauerte um meine tote Mutter und wollte nicht auch noch ihn verlieren. Hatte meine Mutter nicht geschrieben: »vertragt Euch miteinander«, »kümmert Euch umeinander«? Was wäre dann noch geblieben?
Später, im Abstand einiger Jahre, habe ich verstanden, was, in dieser Zeit kaum bemerkt, auch noch Wichtiges in meinem Leben passierte. Mit ihrem Tod starb die vertraute Heimat meiner Kindheit, setzte der schleichende Tod unserer Familie ein.
Ein Gespräch im Keller oder: Wie soll man mit der Presse umgehen?
Knapp drei Wochen nach der Beerdigung nahm Helmut Kohl seine Arbeit wieder auf und suchte den Weg zurück in den Alltag. Ich kann mich noch gut an jene Szene Ende Juli 2001 erinnern: Der Historiker und Pfalzspezialist Dr. Theo Schwarzmüller, der Journalist Dr. Heribert Schwan und mein Vater saßen in jenem oft beschriebenen Kellerraum in Oggersheim, in dem auf breiten Holzregalen auf drei Ebenen vielleicht dreißig Aktenmeter aufgereiht standen. Davor, vor dem Sessel meines Vaters, befand sich ein Mikrofon, das bei Hunderten von Stunden in Interviews von Herrn Schwan mit meinem Vater zum Einsatz kam.
Viele Jahre früher, in glücklicheren Tagen, hatte dieser Keller einst uns Kindern als Spielraum gedient und war später dann der Ort so manch fröhlicher Fete für meinen Bruder und mich gewesen. Nachdem mein Vater in den 90er Jahren aus der Politik ausgeschieden war und sich anschickte, an seinen Erinnerungen zu arbeiten, zog er mit seinen Akten in »unser« ehemaliges Reich ein. An dem Tag im Juli 2001 musste ich unweigerlich an diese Zeit zurückdenken, an eine gefühlte Normalität. Jetzt war gar nichts normal.
Entlang der Wand waren viele Aktenordner aufgereiht, darunter solche mit Aufklebern aus dem Bundeskanzleramt, manche mit der Aufschrift »Verschlusssache - Vertraulich«, andere mit »Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch« versehen.
Meiner Erinnerung nach gab es auch manchen Ordner im Zusammenhang mit den Stasi-Akten meines Vaters, um deren teilweise Nichtöffentlichmachung mein Vater unter reger Anteilnahme meiner Mutter intensiv vor Gericht gestritten hatte. Meine Mutter war wütend gewesen auf das DDR-Ministerium für Staatssicherheit und seine verbrecherischen Machenschaften, auch in Bezug auf unsere Familie.
Am 4. Juli 2001 erhielt mein Vater vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen die damalige Birthler-Behörde recht. Weil er zu diesem Termin bestimmt nicht zu Hause in Ludwigshafen sein würde, hatte sich seine Frau gerade diesen Tag ausgesucht, um aus dem Leben zu scheiden.
In meiner Schilderung fehlt aber noch ein Utensil: der Fotokopierer, der auch in diesem Raum stand. Im Nachhinein erinnere ich mich mit Schmunzeln gerade an diesen Fotokopierer. Er war damals eigens angeschafft worden, denn es gab ja viel im Hause Kohl zu kopieren. Als Ghostwriter meines Vaters hatte Dr. Schwan gerne wichtige Dokumente in Kopie oder auch im Original zur Verfügung. Er verfasste dann die erste Rohfassung fast aller Texte zu den ersten drei Erinnerungsbänden meines Vaters sowie »Mein Tagebuch: 1998 - 2000«, eine Darstellung der CDU-Parteispendenaffäre. Der Verbleib mancher Unterlagen aus jenem Raum sollte später noch die Anwälte beschäftigen.
Ich hatte Heribert Schwan bis dahin nie sonderlich wahrgenommen und immer den Kontakt zu ihm gemieden. Das sollte sich an jenem Tag ändern. Das Thema, um das es speziell bei einer Besprechung ging, zu der ich ungebeten dazukam, war offensichtlich äußerst unangenehm für meinen Vater.
Nach dem Tode seiner Frau wurde ihr Freitod in Sonderausgaben von namhaften Illustrierten und Nachrichtenmagazinen thematisiert. In Kommentaren wurde auch über die »wahren« Hintergründe und Motive spekuliert. Es wurde versucht, gewisse Zusammenhänge zwischen dem Geschehenen und meinem Vater herzustellen. Themen wie Mitverantwortung oder moralische Schuld wurden debattiert. Mein Vater und seine beiden Gesprächspartner diskutierten, was man unternehmen sollte, um das Medienbild im Sinne meines Vaters positiv zu verändern.
Ich habe die Diskussion als nicht sonderlich zielführend in Erinnerung, denn sie traf nicht den Kern des Problems. Es ging nämlich um Glaubwürdigkeit. Im Ergebnis entstand ein Artikel in einer großen deutschen Tageszeitung, eine Art journalistische Leumundserklärung, deren Wirkung aber eher gering war.
Im Rückblick war merkwürdig, dass weder mein Bruder noch ich in dieser ja auch für uns Kinder existenziellen Angelegenheit zuerst von unserem Vater zu einem Gespräch eingeladen wurden.
Zur Entstehungsgeschichte dieses Buches
Sehr schnell nach ihrem Tod habe ich mich zusammen mit der Autorin Dona Kujacinski entschlossen, ein Buch über meine Mutter zu verfassen. Es gab dazu viele intensive Gespräche mit meiner Frau Elif sowie meinem Bruder Walter. Gemeinsam haben wir uns von der Richtigkeit und Wichtigkeit dieses Buchprojektes überzeugt. Das Lektorat wurde schließlich an Weihnachten 2001 abgeschlossen.
Dona Kujacinski hatte als Journalistin und Privatperson einen besonderen Zugang zu Hannelore Kohl gefunden. Im Zeitraum von 1996 bis noch kurz vor ihrem Tod 2001 führte meine Mutter mit Frau Kujacinski als einziger Journalistin eine Reihe längerer Interviews, deren Tonbandabschriften einige hundert Textseiten umfassen. Für dieses Buchprojekt hat Frau Kujacinski sämtliche Zeitzeugen, insbesondere auch noch einmal meinen Vater, ausführlich über seine Frau interviewt.
Meine Frau Elif hatte den entscheidenden Anteil an der Recherchearbeit und immer wieder der inhaltlichen Korrekturlesung zu vorliegendem Buch, vor allem in Bezug auf die von uns zusammengetragenen Privatdokumente, die Tagebücher meiner Großmutter über ihre Tochter und Briefe, so wie die Rekonstruktion von historischen und politischen Daten, die genaue Überprüfung von Zeitzeugenaussagen und Zusammenhängen.
Über einen Zeitraum von ca. sechs Monaten haben wir uns damals fast ausschließlich auf das Recherchieren und Erstellen dieses Buches konzentriert. Es wurden immer wieder neue Versionen von Kapiteln zwischen Dona Kujacinski in Berlin, mir in London sowie dem Lektorat in München per E-Mail ausgetauscht.
Viele der Ereignisse in Hannelore Kohls wechselhaftem Leben werden in unserem Buch beschrieben, das hiermit nach zehn Jahren neu vorliegt, dargestellt anhand von Zeitzeugen - und darunter vor allem Helmut Kohl -, auf Basis vieler persönlicher Dokumente, Tagebücher, Lebensläufe und Briefe.
Dona Kujacinski, auf deren Idee dieses Buch zurückgeht, stellte gleich zu Anfang eine klare Bedingung für eine Hannelore- Kohl-Biografie, nämlich die der Unterstützung durch die Familie, sollte heißen, der ganzen Familie Kohl. Neben meinem Bruder Walter und mir sollte besonders auch unser Vater Helmut Kohl dieses Buch befürworten. Frau Kujacinski machte mir gleich zu Anfang klar, dass ohne ausgiebige Interviews zum Thema Hannelore Kohl mit meinem Vater als dem wichtigsten Zeitzeugen das Schreiben einer solchen Biografie praktisch unmöglich sein würde, vor allem, da nichts Vergleichbares bisher existierte.
Als mein Bruder auch in meinem Namen bei unserem Vater das erste Mal wegen des Ansinnens, ein Buch über Hannelore Kohl zu schreiben, vorfühlte, war seine Haltung zunächst einmal sehr ablehnend. Als ich schließlich nach Beurteilung der Lage vorschlug, selbst als Koautor mitzumachen, kam es zu einem gehörigen Konflikt zwischen meinem Vater und mir. Der wahre Grund seines schroffen Neins war erst nicht ersichtlich, bis es dann herauskam.
Wie mir mein Vater eröffnete, hatte er sich mit seinem Experten und Ghostwriter Dr. Heribert Schwan besprochen, der ihm folgenden dringenden Rat gegeben haben soll: Erstens, eine Hannelore-Kohl-Biografie unter alleiniger Autorenschaft von Dona Kujacinski sei in jedem Fall strikt abzulehnen. Zweitens, von einem Buch mit mir, Peter Kohl, als Koautor oder alleinigem Autor sei erst recht abzuraten, weil mir laut Schwan offensichtlich die notwendigen »historischen und handwerklichen Fähigkeiten« abgingen. Als ich ihn einmal, viele Jahre später, auf diesen Vorgang hin ansprach, bestritt Dr. Schwan diese Darstellung. Sie entspricht aber genau meiner und der Erinnerung meines Bruders.
Wie mein Vater mir damals zudem erzählte, sei es gar nicht notwendig, dass Dona Kujacinski oder ich mich mit diesem Thema belasteten, denn Schwan würde zu gegebenem Zeitpunkt, wahrscheinlich zum 10. Todestag im Jahr 2011, nach Abschluss seiner Arbeiten an den verschiedenen Bänden der Helmut-Kohl-Erinnerungen eine »historisch fundierte« Hannelore- Kohl-Biografie herausgeben. Im Klartext verstand ich den damaligen Rat so: Niemand außer Dr. Schwan sollte ein Buch über Hannelore Kohl schreiben. Alles andere würde meinen Vater blamieren.
Da zum damaligen Zeitpunkt, Ende Juli 2001, weitere Diskussionen zwischen meinem Vater und mir sinnlos gewesen wären, schickte ich nun meinen besten Fürsprecher, meinen Bruder Walter, ins Rennen. Es folgten zähe Verhandlungen; schließlich fand mein Bruder eine Lösung.
Mein Vater, mein Bruder und ich sollten jeweils einzeln das Recht erhalten, das Originalmanuskript, so wie es schließlich 2002 feststand, noch vor der Erstveröffentlichung zu sperren, und damit de facto ein Erscheinen unterbinden können. Die Verträge wurden damals auch dementsprechend gestaltet. Im Gegenzug zu diesem Vetorecht versprach mein Vater, uns zu unterstützen, sowohl bei den Interviews mit Frau Kujacinski als auch bei Rückfragen aller Art, die ich haben sollte. An diese Abmachung haben wir, mein Vater, mein Bruder und ich, uns dann letztlich auch gehalten.
Ich denke, es spricht für Dona Kujacinski, dass es ihr gelang, mit Helmut Kohl ein ungewöhnlich langes, sehr ausführliches und offenes Interview über seine Frau Hannelore und die 53 gemeinsamen Jahre zu führen. Dies war, wie er mir danach berichtete, auch für meinen Vater eine persönlich tief bewegende Erfahrung. Wichtige Teile dieses Interviews wurden in das vorliegende Buch eingearbeitet.
Beim Schreiben des Manuskripts bestätigte sich nochmals, dass es bei diesem Buch ohne den Zeitzeugen Helmut Kohl und sein Elefantengedächtnis - in Kombination mit den vielen privaten Dokumenten - einfach nicht ging.
© 2002 Droemer Verlag Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München Alle Rechte vorbehalten
In den letzten zwölf Jahren seit ihrem Tod habe ich etwas Grundlegendes über diese Wirkungen nach außen gelernt: Hannelore Kohl war für viele eine zwar prominente, aber gleichsam auch typische Vertreterin ihrer Generation. Auf sie konnten und können sich eine nicht geringe Zahl von Frauen und Männern, die wie sie selbst noch den Zweiten Weltkrieg als Kinder erlebt haben, beziehen. Der Zugang der Jüngeren, sozusagen die Generation der Töchter und Söhne, erklärt sich auch im Wiedererkennen von Lebensumständen der eigenen Eltern in der Biografie von Hannelore Kohl. In der Wahrnehmung ganz wichtig: Sie war mit einem besonderen Mann verheiratet, der über lange Jahre eine öffentliche Konstante bildete, gerade im Leben auch der Jüngeren, der Generation der Töchter und Söhne.
Meine Eltern waren auch und vielleicht vor allem: eine deutsche Erfolgsgeschichte. Trotz eines ständigen Lebens im »Schaufenster der deutschen Öffentlichkeit«, im »Druckkessel der Spitzenpolitik«, wie Hannelore Kohl es manchmal nannte, hielt ihre Ehe unvorstellbare 41 Jahre, bis zu ihrem Tod. Gemeinsam haben meine Eltern, nicht nur an deutschen, sondern auch an internationalen Maßstäben gemessen, für meinen Vater und zum Wohle dieses Landes eine politische Jahrhundertkarriere aufgebaut.
Er, der die Menschen auch immer extrem mit seinem wuchtigen Ego und seiner schieren Macht polarisierte, hat entscheidende Wirkung in Deutschland und in Europa gezeigt, deren Nachhall wir noch in unserer Gegenwart spüren. Erst später, wenn die gegenwärtigen dramatischen Krisen in Europa verflogen und wichtige, noch gesperrte Archive, gerade auch in den Vereinigten Staaten, zugänglich sein werden, wird man sich ein nachhaltiges Urteil über den Politiker und Staatsmann Helmut Kohl bilden können.
Für meine Betrachtungen zu Hannelore Kohl ist dies jedoch nicht so sehr entscheidend. Bevor ich mit meinem Bericht über die Hintergründe zu diesem Buch und seiner Neuauflage fortfahre, bleibt noch anzumerken, was für mich, ihren jüngeren Sohn, den sie manchmal unverdienterweise bevorzugte, rückblickend am allerwichtigsten bleibt: Hannelore Kohl, unsere Mutter, hat unsere Familie geschaffen und erhalten, deren innerer Zusammenhalt, bis zu ihrem Tode, unerschütterlich war.
Die Nachricht von ihrem Selbstmord erreichte mich in unserem Wohnzimmer in London. Es war am späten Vormittag. Mein Bruder hatte mich angerufen, mich über das Unfassbare informiert. Ich legte auf. Meine Frau Elif und ich saßen einander gegenüber. Ich hatte gerade gesagt, was es zu berichten gab: Meine Mutter läge tot in ihrem Bett in Ludwigshafen, dem Bett im ehemaligen Kinderzimmer von Walter. Dort habe Frau Seeber sie gefunden. Meine Mutter habe sich wahrscheinlich vergiftet. Wir weinten.
Aus besonderem Anlass hätte es eigentlich ein schöner und glücklicher Tag werden sollen. So hatte es sich meine Frau erhofft. Erst wollte sie es mir sagen, und danach hätten wir, so ihr Wunsch, gemeinsam meine Mutter in Deutschland angerufen, um sie mit der freudigen Nachricht zu überraschen.
Elif war gerade im Begriff, mir beizubringen, dass wir ein Kind erwarten, da kam ihr jener Anruf zuvor. Ich sollte es an jenem Tag nicht und meine Mutter nie mehr erfahren, dass es ein kleines Mädchen in der Familie Kohl geben sollte - ihre Enkelin, die sie sich so sehnlichst gewünscht hatte.
Oft habe ich später über jene Ereignisse um den Tod meiner Mutter und deren Sinn nachgedacht, habe gegrübelt, mir alternative Szenarien ausgemalt und sie wieder verwerfen müssen. Es half alles nichts.
Elif pflegte eine besondere Beziehung zu meiner Mutter. Sie bewunderte sie als eine charakterstarke, aus ihrer Sicht vorbildliche Frau, die in allen Höhen und Tiefen des Lebens, und den vielen Widrigkeiten zum Trotz, schwierige und bisweilen unmögliche Situationen zu meistern verstand.
Meine berechtigte und vielleicht auch damals gelegentlich jugendlich überzogene Kritik, die ich gerne an meiner Mutter übte und dabei ihre aus meiner Sicht falschen Entscheidungen geißelte, ließ Elif meistens nicht gelten. Sie vertrat mehrheitlich den Standpunkt meiner Mutter. Ich hielt dann dagegen, dass man niemanden idealisieren sollte, weder im Leben noch im Tod. Elif trauerte sehr um meine Mutter.
Abschied nehmen
Die Tage nach ihrem Tod und vor der Beerdigung verbrachten mein Bruder und ich alleine zu Hause mit unserem Vater in Oggersheim, fast immer dabei waren die Seebers. Frau Hilde Seeber, die meine tote Mutter gefunden hatte, umsorgte uns, kochte für uns. Sie und ihr Mann Ecki, die alten Gefährten meiner Eltern, trauerten um meine Mutter wie um ein geliebtes Familienmitglied. Sie versuchten zu helfen, wo sie konnten.
Die Seebers, erst Ecki Seeber und später seine Frau Hilde, waren eine Konstante in unserer Kindheit. Bereits bevor mein Bruder 1963 auf die Welt kam, gehörte Ecki als Fahrer unseres Vaters mit dazu. Aber er war viel mehr. Für uns Kinder war die Zeit mit ihm immer etwas ganz Besonderes. Mit ihm haben wir Abenteuer erlebt, sehr viel Spaß gehabt. Bei ihm habe ich als Kind etwas erfahren, was es so nur sehr selten gibt: unbedingte Treue und Loyalität.
Mehrfach am Tag wurden in jener Woche Berge von Post und Telegramme zugestellt, die Ecki in das Arbeitszimmer schleppte, in dem mein Vater tagsüber hinter seinem Schreibtisch saß und versuchte, zumindest einen Teil der Kondolenzschreiben durchzusehen. Ständig klingelte das Telefon mit Anrufern aus Deutschland und der ganzen Welt. Weil es nicht anders ging, machte ich Telefondienst und übersetzte, wo notwendig.
Mein Bruder und ich hatten mit den Vorbereitungen der Trauerfeier im Speyerer Dom und dem Begräbnis auf dem Friesenheimer Friedhof alle Hände voll zu tun. Von Tag zu Tag wurden die Ausmaße dessen, was uns erwartete, immer unglaublicher. Tausende von Menschen, viele Amts- und Würdenträger würden teilnehmen, der erzwungene Sicherheitsaufwand war gewaltig.
Die Marbacher Straße in Oggersheim, auf deren äußerer Seite mein Elternhaus steht, wurde an beiden Enden mit Absperrungen durch die Bereitschaftspolizei gesichert. Dahinter befand sich ein riesiger Pulk an Presse, die gierig auf Neuigkeiten oder Gelegenheiten für Schnappschüsse mit ihren Teleobjektiven warteten. Wir drei Kohl-Männer saßen drinnen, scharf bewacht, wie in einer Festung.
Mich hatte das Drumherum von Trauerfeier und Beerdigung noch trauriger gestimmt. Es war einfach von allem zu viel. Nur ganz frühmorgens war ein Zeitpunkt des Innehaltens, der Reflexion möglich. Nach dieser schrecklichen Katharsis schien mir ein gemeinsames, klärendes Gespräch mit meinem Vater unausweichlich. Die Gelegenheit einer Aussprache, die doch so bitter nötig gewesen wäre, wurde jedoch nicht gesucht und ergab sich dann nicht mehr. Gespräche, in denen wir gemeinsam trauerten und mit der Ungeheuerlichkeit dieser Situation fertig zu werden versuchten, fanden alleine zwischen uns Brüdern statt.
Sofort nach dem Tod meiner Mutter habe ich eine Veränderung im Wesen meines Vaters feststellen können - als ob etwas mir lange Vertrautes von ihm gewichen war. Damals, nach meiner Ankunft aus London, habe ich das zwar gespürt, konnte es aber nicht richtig deuten.
Bei allen persönlichen Unterschieden bildeten meine Eltern für mich immer ein starkes emotionales Ganzes, über dessen inneres Zusammenspiel ich mir nie wirklich Gedanken gemacht hatte. Jetzt, als meine Mutter nicht mehr da war, wurde mir erst bewusst, wie mein Vater, nicht nur in seinem Privatleben, mit anderen Menschen emotional in Verbindung trat. Diese Verbindung stellte er sehr gerne durch und über seine Frau Hannelore her. Natürlich ergänzten sich die etwas gegensätzlichen Temperamente meiner Eltern, und zusammen konnten sie eine starke Wirkung auf Menschen entfalten, sie nicht selten sogar verzaubern.
Meinen Vater erlebte ich als Charismatiker - für mich weder etwas Gutes noch Schlechtes -, der, wenn er den Raum betrat, alle Anwesenden zwang, sich auf ihn auszurichten. Er hatte eine starke Wirkung, das wusste er natürlich. Nicht nur meiner Erfahrung nach definierte er sich zeitlebens über Machtanspruch und Position, weniger über Sachfragen und Meinungen. In gewisser Weise war es meine Mutter, die sein übergroßes Ego - eine Urwurzel seines Erfolges und ein Übel zugleich - bändigte und durch ihre weibliche Klugheit und emotionale Intelligenz ergänzte.
Hannelore machte Helmut Kohl, so wie wir ihn kannten, möglich.
Nach dem Tod seiner Frau befand er sich in einer verzweifelten Lage. Er fühlte sich machtlos und ohnmächtig einer Situation ausgesetzt, die er überhaupt nicht beherrschen konnte. Gerade jetzt bedurfte er des Rates und der Unterstützung jener Frau, der er immer blind vertraut hatte und die jetzt nicht mehr für ihn da war.
Die kurze Zeit, die sie noch bei uns zu Hause war, haben wir, mein Bruder und ich, bei ihr gesessen, bei ihr gewacht und gebetet. Mein Vater tat dies meist alleine. Ich habe das respektiert und verstanden. Ihr Tod und vor allem die Um stände ihres Todes waren und bleiben für ihn eine Katastrophe, in mehrfacher Hinsicht.
Bald war die Beerdigung vorbei, und nicht nur für unseren Vater begann die Zeit danach. Anderen Leuten konnte er Normalität vorspielen, nicht aber uns. Mein Bruder und ich waren von seinem Zustand entsetzt. Mein Vater, den ich mein Leben lang in vielen, auch großen Krisen in der Politik fast übermenschlich nervenstark und standfest erlebt hatte, konnte es hier nicht mehr sein.
Es folgte eine ausgesprochen traurige und defätistische Phase. Er begann von sich aus, über seine Gefühle zu sprechen, etwas, was er sonst nie tat. Mein Vater machte immer wieder Bemerkungen, dass es wohl besser wäre, wenn er nicht mehr sei, oder dass sich alle Probleme lösen würden, wenn er einfach nicht mehr da sei. Wir versuchten, mit ihm zu sprechen, uns um ihn zu kümmern.
Er war durch den Tod meiner Mutter bis ins Mark erschüttert. Gewisse Auslassungen in der Presse, in denen man ihn für ihren Tod verantwortlich machte, verletzten sein Innerstes und hätten ihn fast in die Knie gezwungen. Davon bin ich heute überzeugt.
Damals bekam ich Angst, richtige Angst. Alle Leser, die einen Elternteil durch Selbstmord verloren haben, werden mich verstehen. Er war auch mein Vater, mein Papa! Ich trauerte um meine tote Mutter und wollte nicht auch noch ihn verlieren. Hatte meine Mutter nicht geschrieben: »vertragt Euch miteinander«, »kümmert Euch umeinander«? Was wäre dann noch geblieben?
Später, im Abstand einiger Jahre, habe ich verstanden, was, in dieser Zeit kaum bemerkt, auch noch Wichtiges in meinem Leben passierte. Mit ihrem Tod starb die vertraute Heimat meiner Kindheit, setzte der schleichende Tod unserer Familie ein.
Ein Gespräch im Keller oder: Wie soll man mit der Presse umgehen?
Knapp drei Wochen nach der Beerdigung nahm Helmut Kohl seine Arbeit wieder auf und suchte den Weg zurück in den Alltag. Ich kann mich noch gut an jene Szene Ende Juli 2001 erinnern: Der Historiker und Pfalzspezialist Dr. Theo Schwarzmüller, der Journalist Dr. Heribert Schwan und mein Vater saßen in jenem oft beschriebenen Kellerraum in Oggersheim, in dem auf breiten Holzregalen auf drei Ebenen vielleicht dreißig Aktenmeter aufgereiht standen. Davor, vor dem Sessel meines Vaters, befand sich ein Mikrofon, das bei Hunderten von Stunden in Interviews von Herrn Schwan mit meinem Vater zum Einsatz kam.
Viele Jahre früher, in glücklicheren Tagen, hatte dieser Keller einst uns Kindern als Spielraum gedient und war später dann der Ort so manch fröhlicher Fete für meinen Bruder und mich gewesen. Nachdem mein Vater in den 90er Jahren aus der Politik ausgeschieden war und sich anschickte, an seinen Erinnerungen zu arbeiten, zog er mit seinen Akten in »unser« ehemaliges Reich ein. An dem Tag im Juli 2001 musste ich unweigerlich an diese Zeit zurückdenken, an eine gefühlte Normalität. Jetzt war gar nichts normal.
Entlang der Wand waren viele Aktenordner aufgereiht, darunter solche mit Aufklebern aus dem Bundeskanzleramt, manche mit der Aufschrift »Verschlusssache - Vertraulich«, andere mit »Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch« versehen.
Meiner Erinnerung nach gab es auch manchen Ordner im Zusammenhang mit den Stasi-Akten meines Vaters, um deren teilweise Nichtöffentlichmachung mein Vater unter reger Anteilnahme meiner Mutter intensiv vor Gericht gestritten hatte. Meine Mutter war wütend gewesen auf das DDR-Ministerium für Staatssicherheit und seine verbrecherischen Machenschaften, auch in Bezug auf unsere Familie.
Am 4. Juli 2001 erhielt mein Vater vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen die damalige Birthler-Behörde recht. Weil er zu diesem Termin bestimmt nicht zu Hause in Ludwigshafen sein würde, hatte sich seine Frau gerade diesen Tag ausgesucht, um aus dem Leben zu scheiden.
In meiner Schilderung fehlt aber noch ein Utensil: der Fotokopierer, der auch in diesem Raum stand. Im Nachhinein erinnere ich mich mit Schmunzeln gerade an diesen Fotokopierer. Er war damals eigens angeschafft worden, denn es gab ja viel im Hause Kohl zu kopieren. Als Ghostwriter meines Vaters hatte Dr. Schwan gerne wichtige Dokumente in Kopie oder auch im Original zur Verfügung. Er verfasste dann die erste Rohfassung fast aller Texte zu den ersten drei Erinnerungsbänden meines Vaters sowie »Mein Tagebuch: 1998 - 2000«, eine Darstellung der CDU-Parteispendenaffäre. Der Verbleib mancher Unterlagen aus jenem Raum sollte später noch die Anwälte beschäftigen.
Ich hatte Heribert Schwan bis dahin nie sonderlich wahrgenommen und immer den Kontakt zu ihm gemieden. Das sollte sich an jenem Tag ändern. Das Thema, um das es speziell bei einer Besprechung ging, zu der ich ungebeten dazukam, war offensichtlich äußerst unangenehm für meinen Vater.
Nach dem Tode seiner Frau wurde ihr Freitod in Sonderausgaben von namhaften Illustrierten und Nachrichtenmagazinen thematisiert. In Kommentaren wurde auch über die »wahren« Hintergründe und Motive spekuliert. Es wurde versucht, gewisse Zusammenhänge zwischen dem Geschehenen und meinem Vater herzustellen. Themen wie Mitverantwortung oder moralische Schuld wurden debattiert. Mein Vater und seine beiden Gesprächspartner diskutierten, was man unternehmen sollte, um das Medienbild im Sinne meines Vaters positiv zu verändern.
Ich habe die Diskussion als nicht sonderlich zielführend in Erinnerung, denn sie traf nicht den Kern des Problems. Es ging nämlich um Glaubwürdigkeit. Im Ergebnis entstand ein Artikel in einer großen deutschen Tageszeitung, eine Art journalistische Leumundserklärung, deren Wirkung aber eher gering war.
Im Rückblick war merkwürdig, dass weder mein Bruder noch ich in dieser ja auch für uns Kinder existenziellen Angelegenheit zuerst von unserem Vater zu einem Gespräch eingeladen wurden.
Zur Entstehungsgeschichte dieses Buches
Sehr schnell nach ihrem Tod habe ich mich zusammen mit der Autorin Dona Kujacinski entschlossen, ein Buch über meine Mutter zu verfassen. Es gab dazu viele intensive Gespräche mit meiner Frau Elif sowie meinem Bruder Walter. Gemeinsam haben wir uns von der Richtigkeit und Wichtigkeit dieses Buchprojektes überzeugt. Das Lektorat wurde schließlich an Weihnachten 2001 abgeschlossen.
Dona Kujacinski hatte als Journalistin und Privatperson einen besonderen Zugang zu Hannelore Kohl gefunden. Im Zeitraum von 1996 bis noch kurz vor ihrem Tod 2001 führte meine Mutter mit Frau Kujacinski als einziger Journalistin eine Reihe längerer Interviews, deren Tonbandabschriften einige hundert Textseiten umfassen. Für dieses Buchprojekt hat Frau Kujacinski sämtliche Zeitzeugen, insbesondere auch noch einmal meinen Vater, ausführlich über seine Frau interviewt.
Meine Frau Elif hatte den entscheidenden Anteil an der Recherchearbeit und immer wieder der inhaltlichen Korrekturlesung zu vorliegendem Buch, vor allem in Bezug auf die von uns zusammengetragenen Privatdokumente, die Tagebücher meiner Großmutter über ihre Tochter und Briefe, so wie die Rekonstruktion von historischen und politischen Daten, die genaue Überprüfung von Zeitzeugenaussagen und Zusammenhängen.
Über einen Zeitraum von ca. sechs Monaten haben wir uns damals fast ausschließlich auf das Recherchieren und Erstellen dieses Buches konzentriert. Es wurden immer wieder neue Versionen von Kapiteln zwischen Dona Kujacinski in Berlin, mir in London sowie dem Lektorat in München per E-Mail ausgetauscht.
Viele der Ereignisse in Hannelore Kohls wechselhaftem Leben werden in unserem Buch beschrieben, das hiermit nach zehn Jahren neu vorliegt, dargestellt anhand von Zeitzeugen - und darunter vor allem Helmut Kohl -, auf Basis vieler persönlicher Dokumente, Tagebücher, Lebensläufe und Briefe.
Dona Kujacinski, auf deren Idee dieses Buch zurückgeht, stellte gleich zu Anfang eine klare Bedingung für eine Hannelore- Kohl-Biografie, nämlich die der Unterstützung durch die Familie, sollte heißen, der ganzen Familie Kohl. Neben meinem Bruder Walter und mir sollte besonders auch unser Vater Helmut Kohl dieses Buch befürworten. Frau Kujacinski machte mir gleich zu Anfang klar, dass ohne ausgiebige Interviews zum Thema Hannelore Kohl mit meinem Vater als dem wichtigsten Zeitzeugen das Schreiben einer solchen Biografie praktisch unmöglich sein würde, vor allem, da nichts Vergleichbares bisher existierte.
Als mein Bruder auch in meinem Namen bei unserem Vater das erste Mal wegen des Ansinnens, ein Buch über Hannelore Kohl zu schreiben, vorfühlte, war seine Haltung zunächst einmal sehr ablehnend. Als ich schließlich nach Beurteilung der Lage vorschlug, selbst als Koautor mitzumachen, kam es zu einem gehörigen Konflikt zwischen meinem Vater und mir. Der wahre Grund seines schroffen Neins war erst nicht ersichtlich, bis es dann herauskam.
Wie mir mein Vater eröffnete, hatte er sich mit seinem Experten und Ghostwriter Dr. Heribert Schwan besprochen, der ihm folgenden dringenden Rat gegeben haben soll: Erstens, eine Hannelore-Kohl-Biografie unter alleiniger Autorenschaft von Dona Kujacinski sei in jedem Fall strikt abzulehnen. Zweitens, von einem Buch mit mir, Peter Kohl, als Koautor oder alleinigem Autor sei erst recht abzuraten, weil mir laut Schwan offensichtlich die notwendigen »historischen und handwerklichen Fähigkeiten« abgingen. Als ich ihn einmal, viele Jahre später, auf diesen Vorgang hin ansprach, bestritt Dr. Schwan diese Darstellung. Sie entspricht aber genau meiner und der Erinnerung meines Bruders.
Wie mein Vater mir damals zudem erzählte, sei es gar nicht notwendig, dass Dona Kujacinski oder ich mich mit diesem Thema belasteten, denn Schwan würde zu gegebenem Zeitpunkt, wahrscheinlich zum 10. Todestag im Jahr 2011, nach Abschluss seiner Arbeiten an den verschiedenen Bänden der Helmut-Kohl-Erinnerungen eine »historisch fundierte« Hannelore- Kohl-Biografie herausgeben. Im Klartext verstand ich den damaligen Rat so: Niemand außer Dr. Schwan sollte ein Buch über Hannelore Kohl schreiben. Alles andere würde meinen Vater blamieren.
Da zum damaligen Zeitpunkt, Ende Juli 2001, weitere Diskussionen zwischen meinem Vater und mir sinnlos gewesen wären, schickte ich nun meinen besten Fürsprecher, meinen Bruder Walter, ins Rennen. Es folgten zähe Verhandlungen; schließlich fand mein Bruder eine Lösung.
Mein Vater, mein Bruder und ich sollten jeweils einzeln das Recht erhalten, das Originalmanuskript, so wie es schließlich 2002 feststand, noch vor der Erstveröffentlichung zu sperren, und damit de facto ein Erscheinen unterbinden können. Die Verträge wurden damals auch dementsprechend gestaltet. Im Gegenzug zu diesem Vetorecht versprach mein Vater, uns zu unterstützen, sowohl bei den Interviews mit Frau Kujacinski als auch bei Rückfragen aller Art, die ich haben sollte. An diese Abmachung haben wir, mein Vater, mein Bruder und ich, uns dann letztlich auch gehalten.
Ich denke, es spricht für Dona Kujacinski, dass es ihr gelang, mit Helmut Kohl ein ungewöhnlich langes, sehr ausführliches und offenes Interview über seine Frau Hannelore und die 53 gemeinsamen Jahre zu führen. Dies war, wie er mir danach berichtete, auch für meinen Vater eine persönlich tief bewegende Erfahrung. Wichtige Teile dieses Interviews wurden in das vorliegende Buch eingearbeitet.
Beim Schreiben des Manuskripts bestätigte sich nochmals, dass es bei diesem Buch ohne den Zeitzeugen Helmut Kohl und sein Elefantengedächtnis - in Kombination mit den vielen privaten Dokumenten - einfach nicht ging.
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Autoren-Porträt von Dona Kujacinski, Peter Kohl
Peter Kohl, geboren 1965 in Ludwigshafen, ist der jüngere Sohn von Hannelore und Helmut Kohl. Er studierte am Massachusetts Institute of Technology (MIT) sowie an den Universitäten Wien und Cambridge. Nach vielen Jahren in London lebt er heute als selbständiger Unternehmer in der Nähe von Zürich Dona Kujacinski, geboren 1956 in Offenburg, lebt und arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Sie führte unter anderem die letzten beiden Interviews mit Hannelore Kohl im März und Mai 2001.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Dona Kujacinski , Peter Kohl
- 2013, 3., erw. Aufl., 416 Seiten, 16 farbige Abbildungen, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426785579
- ISBN-13: 9783426785577
- Erscheinungsdatum: 27.02.2013
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