Johann Friedrich Allmen Band 3: Allmen und die Dahlien
Roman
Ein millionenschweres Dahliengemälde wurde gestohlen! Und das ganz offensichlich nicht zum ersten Mal.
Johann Friedrich von Allmen, sein Mitarbeiter Carlos und dessen Gefährtin Maria ermitteln in einer äußerst...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
18.90 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Johann Friedrich Allmen Band 3: Allmen und die Dahlien “
Ein millionenschweres Dahliengemälde wurde gestohlen! Und das ganz offensichlich nicht zum ersten Mal.
Johann Friedrich von Allmen, sein Mitarbeiter Carlos und dessen Gefährtin Maria ermitteln in einer äußerst delikaten Angelegenheit: Das verschwundene Bild von Henri Fantin-Latour gehörte der steinreichen alten Dame, die es jetzt vermisst, wohl gar nicht! Doch Dalia Gutbauer, so ihr Name, hat ein besonderes Verhältnis zu diesem Kunstwerk. Allmen, Carlos und Maria begeben sich auf das glatte Parkett von Halbganoven, heimlichen Experten und gefährlichen Beziehungen. Ein verfallendes Luxushotel bietet dazu die perfekt-morbide Kulisse.
Klappentext zu „Johann Friedrich Allmen Band 3: Allmen und die Dahlien “
Ein Dahliengemälde von Henri Fantin-Latour, einige Millionen wert, wurde entwendet. Die steinreiche alte Dame, der es gehörte, Dalia Gutbauer, hat ein auffallend emotionales Verhältnis zu diesem Bild. Johann Friedrich von Allmen soll es wiederbeschaffen um jeden Preis. Fall Nummer drei führt ihn und Carlos in das Labyrinth eines heruntergekommenen Luxushotels. Und damit in die Welt der Reichen und Schönen umschwirrt von all denen, die auch dazugehören wollen.
Lese-Probe zu „Johann Friedrich Allmen Band 3: Allmen und die Dahlien “
In dem antiken Fahrstuhl wechselten sich Spiegel ab mit Vitrinen, in denen ein Juwelier, eine Parfümerie und ein Optiker ausstellten. Frau Talfeld steckte einen Schlüssel in ein Schloss über dem Knopf zum dritten Stockwerk. Der Lift setzte sich mit einem Ruck in Bewegung.»Sagt Ihnen der Name Dalia Gutbauer etwas?«, fragte sie.
Der Name Gutbauer war Allmen natürlich ein Begriff. In seiner Kindheit stand er - mit einem stilisierten Sämann als Markenzeichen - auf jedem Kanaldeckel und Hydranten des Landes. Es war der Name eines Industrieunternehmens, das in den sechziger Jahren von dessen Hauptaktionär, Gustav Gutbauer, an einen multinationalen Maschinenkonzern
verkauft worden war, welcher es aufgeteilt und sich einverleibt hatte. Gutbauer war kurz nach dem Verkauf gestorben, und das Erbe - es war die Rede von über einer halben Milliarde Schweizer Franken - ging an seine einzige Tochter, Dalia Gutbauer. Diese hatte nach dem Krieg bis in die späten fünfziger Jahre ein aufsehenerregendes Gesellschaftsleben geführt und war von einem Tag auf den anderen aus den Klatschspalten und Gesellschaftsnachrichten verschwunden. Ein wenig wurde noch über ihren Aufenthaltsort spekuliert - Chile, Kenia, Singapur -, aber bald richtete sich das Interesse wieder
auf die Anwesenden, und der Name Dalia Gutbauer wäre vollends vergessen worden, wenn er nicht alljährlich in den obersten Rängen der Liste der hundert Reichsten des Landes aufgetaucht wäre. Mit einem Fragezeichen anstelle eines Fotos.
Und jetzt tauchte er in diesem ruckelnden Aufzug auf.
Allmen hatte sich schon als Junge für die High Society interessiert. Das mysteriöse Untertauchen der legendären Dalia hatte ihn fasziniert, auch wenn es vor seiner Geburt geschah. Dass jemand freiwillig auf ein Leben verzichtete, wie er es immer hatte führen wollen, war ihm schleierhaft gewesen. »Wenn ich mich richtig
... mehr
erinnere, war sie die untergetauchte Gutbauer-Erbin.«
»Falsch.« Der Aufzug stoppte brüsk. »Sie ist es
noch immer.«
Die Lifttür glitt auf, und sie betraten eine Halle.
Ein älterer Herr in einem Stresemann erwartete sie
und bat sie, ihm zu folgen. Er führte sie in einen Salon, der Allmen, dem Art-déco-Sammler, die Sprache verschlug.
»Madame Gutbauer wird gleich bei Ihnen sein«, sagte der Mann, »was darf ich Ihnen bringen?«
»Für mich einen Espresso, bitte, Monsieur Louis«, sagte Frau Talfeld. Und mit einem Lächeln zu Allmen gewandt: »Der Kaffee hier oben ist nicht zu vergleichen mit der Brühe unten in der Lobby.«
Allmen bestellte ein Perrier mit zwei Stück Eis und einem Schnitz Zitrone. »Hat sie all die Jahre hier gelebt?«, fragte Allmen, während sie warteten. Außer einem geheimnisvollen Lächeln erhielt er keine Antwort. Beide schwiegen, bis Monsieur Louis mit den Getränken zurückkam. Er schenkte Allmen ein und zog sich zurück. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet. Frau Talfeld sprang auf. Allmen erhob sich und knöpfte das Jackett zu. Dalia Gutbauer betrat den Raum. Sie war eine sehr kleine Frau und stützte sich auf ein Gehgestell, das wohl eigens für ihre Körpergröße angefertigt worden war. Sie hob es bei jedem Schritt ruckartig an und ließ es geräuschvoll wieder fallen. Dicht hinter ihr folgte konzentriert eine weißgekleidete Pflegerin, die Hände etwas vorgestreckt, um ihren Schützling jederzeit auffangen zu können. Die alte Frau beachtete Allmen erst, als die Pflegerin und Frau Talfeld ihr behutsam in den Polstersessel geholfen hatten. Als sie saß, sagte sie mit einer für eine so zerbrechliche alte Dame überraschend tiefen Stimme: »Sie haben wieder geraucht, Cheryl.«
»Ihr Näschen möchte ich haben, Frau Gutbauer«, antwortete Frau Talfeld in scherzhaftem Ton. »Da braucht es keinen besonderen Geruchssinn. Sie stinken gegen den Wind.« Jetzt sah sie zu Allmen empor. »So setzen Sie sich doch, ich habe einen steifen Nacken.«
Allmen gehorchte, und sie musterten sich gegenseitig.
Dalia Gutbauer hatte einen dichten Wusch weißer Haare, der so frisiert war, dass er einen großen Teil des zerknitterten Gesichts verbarg. Sie trug eine geschwungene diamantenbesetzte Brille, die ihre tiefblauen Augen etwas vergrößerte. Die faltigen Lippen waren im Scharlachrot ihrer Nägel geschminkt. Sie sahen aus wie frisch aus dem Nagelstudio und bildeten einen scharfen Kontrast zu den gekrümmten, fleckigen Händen. Sie trug ein Chanel-Kostüm
aus hellgrauem Tweed mit schwarzer Bordüre und eine schwarze Seidenbluse mit Schlingkragen.
»Sind Sie ein ehrlicher Mann?«, fragte sie.
»Nach Möglichkeit.«
»Kommt es oft vor, dass es nicht möglich ist?«
»Doch, schon. Berufsbedingt.«
Sie nickte verständnisvoll. »Aber wenn auch nicht immer ehrlich, so doch stets gesetzestreu?«
Allmens Intuition, auf die er ein wenig stolz war, gab ihm die folgende Antwort ein: »Stets. Es sei denn, es würde unserer Klientel zum Nachteil gereichen.«
Dalia Gutbauer wechselte einen Blick mit Frau Talfeld und wandte sich an die Pflegerin: »Ich rufe Sie dann, Schwester.«
Die Pflegerin verließ den Raum. Frau Gutbauer richtete sich wieder an Allmen. Es schien ihm, als habe er die Prüfung bestanden. »Sagt Ihnen der Name Henri Fantin-Latour etwas?« Allmen kannte ihn. Es war ein Maler, der mitten im Impressionismus realistische Blumenbilder und
Porträts gemalt hatte, die heute auf dem Kunstmarkt hohe Preise erzielten. Vor allem die Blumenbilder waren zauberhaft. Wenn auch nicht ganz nach seinem Geschmack. Er nickte.
»Es handelt sich um ein Werk von ihm. Bitte, Cheryl.«
Frau Talfeld zog ein Mäppchen aus der Handtasche, entnahm diesem ein Foto und reichte es Allmen.
Es zeigte einen Strauß Dahlien in verschiedenen Rot- und Weißtönen in einer schlichten, weißen, taillierten Vase. Warmes Licht fiel auf ein paar davon, andere lagen im Schatten, dahinter waren im geheimnisvollen Dunkel weitere Blüten zu erahnen. Das Bild kam Allmen bekannt vor. »Könnte es sein, dass ich es kenne?«
»Fantin-Latour hat viele Dahlien gemalt«, antwortete
Dalia Gutbauer. »Aber das sind seine schönsten.«
Jetzt erst fiel Allmen das Detail mit dem Namen auf. Dalia, Dahlien. Er zog ein ledergebundenes Notizbuch mit Goldschnitt und den goldenen Initialen j. f. v. a. aus dem Jackett - er eröffnete für jeden Fall ein neues - und schrieb den Titel »Dahlien« hinein. »Und seit wann vermissen Sie das Bild?«
»Vermissen? Wie könnte ich es vermissen! Ich kann mir noch nicht einmal vorstellen, dass es weg ist. Es begleitet mich seit sechzig Jahren. Verstehen Sie?«
Allmen verstand. Er wandte sich an Frau Talfeld.
»Seit wann ist das Bild verschwunden?«
Sie sah ihre Chefin an. Die hob die Schultern.
»Erst gestern haben wir entdeckt, dass es fehlt. Es
befand sich in einem Raum, der nicht täglich betreten
wird.«
»Darf ich ihn sehen?«
Wieder konsultierte Frau Talfeld ihre Chefin mit einem Blick. Diese nickte. »Ich warte hier.«
Das Schlafzimmer, in das Allmen geführt wurde, war mit ausgesuchten Stücken aus dem amerikanischen Art déco eingerichtet. Allmen erkannte viele seiner Lieblinge wieder: Donald Deskey in dem Schlafzimmerset aus tropischem Furnier, schwarzem Lack und Messing; Kem Weber in den stromlinienförmigen Sesseln aus Leder und Chrom; Wolfgang Hoffmann in dem fast schwerelosen Schminktischchen aus spiegelndem Lack und schmalen Nickelbändern.
An den Wänden hingen vier Porträts derselben Frau. Eines sah nach Allmens Gefühl nach Niklaus Stoecklin aus. Eines hätte von Rudolf Schlichter stammen können, eines war unverkennbar ein Meredith Frampton, das vierte konnte er niemandem zuordnen.
»War sie nicht eine Schönheit?«
Allmen nickte, obwohl er sich für ein anderes Wort entschieden hätte. Schönheit war nicht das zutreffende. Nicht bei den Porträtisten, die sie gewählt hatte. Alle vier hatten dem Ausdruck mehr Bedeutung beigemessen als der Ähnlichkeit und das Hauptmerkmal auf Dalia Gutbauers blaue Augen gelegt. Man sah, dass sie eine sehr selbstbewusste und aparte Frau gewesen war. Aber schön? Schön waren vor allem die Werke.
»Madame Gutbauers Vater war ein großer Kunstfreund, und seine Tochter hat diese Leidenschaft von ihm geerbt«, erklärte Frau Talfeld. Im Zimmer lag der Duft von Parfum und der frischen Bettwäsche des akkurat aufgeschlagenen
Bettes. Die Vorhänge - auch sie in einem geometrischen,
schwarzweißen Art-déco-Muster - waren zugezogen, der Raum lag im Licht von fünf Bilderspots. Vier waren auf die Porträts gerichtet. Der fünfte erhellte eine leere Stelle an der Wand.
»Hier hingen die Dahlien«, sagte Frau Talfeld unnötigerweise.
»Aber wenn das Bild im Schlafzimmer war, weshalb
wurde sein Fehlen nicht sofort bemerkt?«
»Madame Gutbauer schläft meistens in einem anderen Zimmer. Einem etwas zweckmäßigeren mit einem Krankenhausbett, Sie verstehen.«
»Aber das Personal? Hier wird doch bestimmt ab und zu gelüftet, abgestaubt, gesaugt.«
»Das Mädchen, das für dieses Zimmer zuständig ist, hat ihre kranke Mutter in Spanien besucht. Und ihre Vertretung war eine Temporärangestellte.«
Allmen sah sich die Stelle an der Wand an. Der Spot warf keinen Kegel, sondern ein scharf begrenztes Viereck, das sagte: »Hier fehlt ein Bild.«
»Das Bild wurde also während der Abwesenheit des Zimmermädchens und vor dem Arbeitsbeginn seiner Stellvertreterin gestohlen. Sonst wäre ihr das Fehlen des Bildes aufgefallen.«
»An dieser Stelle habe nie ein Bild gehangen, hat sie gesagt.«
»Wissen Sie, welche Zeitspanne das betrifft?«
»Laut Monsieur Louis, der auch für das Hauspersonal zuständig ist, war Carmen am Mittwoch, dem dritten April, morgens zum letzten Mal im Zimmer. Und gestern zum ersten Mal wieder. Am sechsten April sprang die Aushilfe ein.«
»Drei Tage.« Wieder glaubte Allmen, den Anflug eines spöttischen Lächelns um Frau Talfelds schmale Lippen zu entdecken. Als mache sie sich über seine Rechenkünste lustig.
»Falls die Temporärbeschäftigte die Wahrheit sagt. Sonst wären es sieben.«
»Weshalb sollte sie lügen?«
»Vielleicht, weil sie etwas mit dem Verschwinden des Bildes zu tun hat.«
Cheryl Talfeld zog es in Erwägung. Dann schüttelte sie den Kopf. »Zu dumm.«
Als sie zurückkamen, war Dalia Gutbauer eingenickt. Der Kopf war ihr auf die rechte Schulter gefallen, und ihr Mund stand offen. Frau Talfeld komplimentierte Allmen wieder hinaus. »Madame Gutbauer würde so nicht gesehen werden wollen«, flüsterte sie. Sie öffnete die Tür ein zweites Mal, diesmal mit einem lauten »So, da wären wir wieder«.
Über dem Polster ihres Sessels erschien jetzt ein Schopf weißer Haare. Als sie um die Rückenlehne her umgegangen waren, hatte sie ihre blauen Augen weit aufgerissen. »Und?«, fragte sie.
Allmen und Frau Talfeld setzten sich wieder auf ihre Plätze. Die Tassen waren weggeräumt, an ihrer Stelle stand etwas Blätterteiggebäck.
»Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
Die alte Dame winkte ungeduldig ab. »Fragen Sie, fragen Sie.«
Allmen zückte wieder sein Notizbuch. »Die erste Frage, die wir routinemäßig stellen, lautet: Weshalb wenden Sie sich nicht an die Polizei?«
»Nächste Frage.«
Allmen sah sie überrascht an.
Cheryl Talfeld schüttelte fast unmerklich den Kopf, und Madame Gutbauer überwand sich: »Aber das fällt unter das Klientengeheimnis: Das Bild ist ... Man weiß nicht so genau, woher es stammt.«
»Raubkunst?« Allmen war etwas schockiert.
»Nicht im üblichen Sinn. Cheryl!«
Frau Talfeld übernahm: »Das Bild war ein Geschenk an Madame Gutbauer. Eine kleine Aufmerksamkeit eines Verehrers, wegen der Namensgleichheit, Dalia und Dahlien, Sie verstehen.«
Allmen verstand. »Und Sie vermuten, dass das Bild nicht ganz rechtmäßig erworben sein könnte?«
»Nun, jedenfalls überstieg es vermutlich die finanziellen
Mittel des Schenkenden.«
Der alten Frau wurde das Drumherumgerede zu viel: »Das Bild war geklaut, basta. Nächste Frage.«
»Wie hoch schätzen Sie den Wert des Werks?«
»Für mich ist es unbezahlbar.« Sie sah Cheryl Talfeld an, die wieder ihr Dossier aus der Handtasche nahm und darin blätterte. »Im Jahr 2000 ging bei Christie's New York ein Blumenbild von Fantin-Latour für über dreieinhalb Millionen Dollar ...«
»Kein Vergleich«, unterbrach Dalia Gutbauer verächtlich,
»die Dahlien sind hundertmal schöner.«
»Es war ein bisschen größer als die Dahlien«, fuhr Frau Talfeld fort, »aber es ist auch eine ganze Weile her.«
»Kein Vergleich«, wiederholte Madame Gutbauer.
»Sie würden es also höher einschätzen?«, fragte Allmen.
Sie wollte antworten, besann sich aber anders und fragte: »Ihr Erfolgshonorar besteht aus einem Prozentsatz des Wertes, nicht wahr?«
»Zehn Prozent des fakturierten Aufwands oder des Wertes des Wiederbeschafften, je nachdem, was höher liegt.« Allmen waren Honorargespräche immer etwas peinlich. Aber Dalia Gutbauer offensichtlich nicht.
»Kommt es oft vor, dass Ihr Honorar höher ist als zehn Prozent des Wertes des Diebesguts?«, erkundigte sie sich lächelnd.
»Es gibt Fälle, in denen es um den immateriellen Wert geht. Und der liegt manchmal weit über dem tatsächlichen«, gab Allmen etwas formell zur Antwort.
»Dann gehen Sie meinetwegen von diesen dreieinhalb
Millionen aus. Materiell. Immateriell das Doppelte.«
Allmen machte sich eine Notiz.
»Nächste Frage«, sagte Madame Gutbauer.
Allmen ging seine Standardfragen durch, die er mit Carlos' Hilfe memoriert hatte wie ein Schüler seine Vokabeln. Haben Sie einen Verdacht? Haben Sie etwas beobachtet? Wer hat alles Zugang zur Wohnung? Wer wusste von dem Bild?
Die Damen hatten weder einen Verdacht noch etwas beobachtet. Frau Talfeld diktierte ihm die Namen der Leute, die Zugang zur Wohnung hatten und von dem Bild wussten, während Dalia Gutbauer eine Goldkette aus ihrem Schlingkragen fischte, an der ein roter Funksender hing. Sie drückte darauf, und einen Augenblick später betrat die Pflegerin den Raum und half Madame Gutbauer auf die Beine.
Allmen erhob sich und bot ihr seinen Arm. Ihre krumme Hand mit den perfekten roten Nägeln hielt sich daran fest wie die Krallen eines Falken.
»Das Administrative erledigt Frau Talfeld, nicht wahr, Cheryl?«, sagte sie. Und: »Ich verlasse mich auf Sie, Allmen. Ich will das Bild zurück.«
Er sah ihr zu, wie sie ihr Gehgestell aus dem Salon
wuchtete und unter den wachsamen Augen ihrer Pflegerin im Korridor verschwand. Sobald sie wieder allein waren, bemerkte Frau Talfeld: »Ich nehme an, Sie brauchen einen Vorschuss.«
»Ach so«, antwortete Allmen vage, »unsere Buchhaltung
wird gegebenenfalls auf Sie zukommen.«
»Falsch.« Der Aufzug stoppte brüsk. »Sie ist es
noch immer.«
Die Lifttür glitt auf, und sie betraten eine Halle.
Ein älterer Herr in einem Stresemann erwartete sie
und bat sie, ihm zu folgen. Er führte sie in einen Salon, der Allmen, dem Art-déco-Sammler, die Sprache verschlug.
»Madame Gutbauer wird gleich bei Ihnen sein«, sagte der Mann, »was darf ich Ihnen bringen?«
»Für mich einen Espresso, bitte, Monsieur Louis«, sagte Frau Talfeld. Und mit einem Lächeln zu Allmen gewandt: »Der Kaffee hier oben ist nicht zu vergleichen mit der Brühe unten in der Lobby.«
Allmen bestellte ein Perrier mit zwei Stück Eis und einem Schnitz Zitrone. »Hat sie all die Jahre hier gelebt?«, fragte Allmen, während sie warteten. Außer einem geheimnisvollen Lächeln erhielt er keine Antwort. Beide schwiegen, bis Monsieur Louis mit den Getränken zurückkam. Er schenkte Allmen ein und zog sich zurück. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet. Frau Talfeld sprang auf. Allmen erhob sich und knöpfte das Jackett zu. Dalia Gutbauer betrat den Raum. Sie war eine sehr kleine Frau und stützte sich auf ein Gehgestell, das wohl eigens für ihre Körpergröße angefertigt worden war. Sie hob es bei jedem Schritt ruckartig an und ließ es geräuschvoll wieder fallen. Dicht hinter ihr folgte konzentriert eine weißgekleidete Pflegerin, die Hände etwas vorgestreckt, um ihren Schützling jederzeit auffangen zu können. Die alte Frau beachtete Allmen erst, als die Pflegerin und Frau Talfeld ihr behutsam in den Polstersessel geholfen hatten. Als sie saß, sagte sie mit einer für eine so zerbrechliche alte Dame überraschend tiefen Stimme: »Sie haben wieder geraucht, Cheryl.«
»Ihr Näschen möchte ich haben, Frau Gutbauer«, antwortete Frau Talfeld in scherzhaftem Ton. »Da braucht es keinen besonderen Geruchssinn. Sie stinken gegen den Wind.« Jetzt sah sie zu Allmen empor. »So setzen Sie sich doch, ich habe einen steifen Nacken.«
Allmen gehorchte, und sie musterten sich gegenseitig.
Dalia Gutbauer hatte einen dichten Wusch weißer Haare, der so frisiert war, dass er einen großen Teil des zerknitterten Gesichts verbarg. Sie trug eine geschwungene diamantenbesetzte Brille, die ihre tiefblauen Augen etwas vergrößerte. Die faltigen Lippen waren im Scharlachrot ihrer Nägel geschminkt. Sie sahen aus wie frisch aus dem Nagelstudio und bildeten einen scharfen Kontrast zu den gekrümmten, fleckigen Händen. Sie trug ein Chanel-Kostüm
aus hellgrauem Tweed mit schwarzer Bordüre und eine schwarze Seidenbluse mit Schlingkragen.
»Sind Sie ein ehrlicher Mann?«, fragte sie.
»Nach Möglichkeit.«
»Kommt es oft vor, dass es nicht möglich ist?«
»Doch, schon. Berufsbedingt.«
Sie nickte verständnisvoll. »Aber wenn auch nicht immer ehrlich, so doch stets gesetzestreu?«
Allmens Intuition, auf die er ein wenig stolz war, gab ihm die folgende Antwort ein: »Stets. Es sei denn, es würde unserer Klientel zum Nachteil gereichen.«
Dalia Gutbauer wechselte einen Blick mit Frau Talfeld und wandte sich an die Pflegerin: »Ich rufe Sie dann, Schwester.«
Die Pflegerin verließ den Raum. Frau Gutbauer richtete sich wieder an Allmen. Es schien ihm, als habe er die Prüfung bestanden. »Sagt Ihnen der Name Henri Fantin-Latour etwas?« Allmen kannte ihn. Es war ein Maler, der mitten im Impressionismus realistische Blumenbilder und
Porträts gemalt hatte, die heute auf dem Kunstmarkt hohe Preise erzielten. Vor allem die Blumenbilder waren zauberhaft. Wenn auch nicht ganz nach seinem Geschmack. Er nickte.
»Es handelt sich um ein Werk von ihm. Bitte, Cheryl.«
Frau Talfeld zog ein Mäppchen aus der Handtasche, entnahm diesem ein Foto und reichte es Allmen.
Es zeigte einen Strauß Dahlien in verschiedenen Rot- und Weißtönen in einer schlichten, weißen, taillierten Vase. Warmes Licht fiel auf ein paar davon, andere lagen im Schatten, dahinter waren im geheimnisvollen Dunkel weitere Blüten zu erahnen. Das Bild kam Allmen bekannt vor. »Könnte es sein, dass ich es kenne?«
»Fantin-Latour hat viele Dahlien gemalt«, antwortete
Dalia Gutbauer. »Aber das sind seine schönsten.«
Jetzt erst fiel Allmen das Detail mit dem Namen auf. Dalia, Dahlien. Er zog ein ledergebundenes Notizbuch mit Goldschnitt und den goldenen Initialen j. f. v. a. aus dem Jackett - er eröffnete für jeden Fall ein neues - und schrieb den Titel »Dahlien« hinein. »Und seit wann vermissen Sie das Bild?«
»Vermissen? Wie könnte ich es vermissen! Ich kann mir noch nicht einmal vorstellen, dass es weg ist. Es begleitet mich seit sechzig Jahren. Verstehen Sie?«
Allmen verstand. Er wandte sich an Frau Talfeld.
»Seit wann ist das Bild verschwunden?«
Sie sah ihre Chefin an. Die hob die Schultern.
»Erst gestern haben wir entdeckt, dass es fehlt. Es
befand sich in einem Raum, der nicht täglich betreten
wird.«
»Darf ich ihn sehen?«
Wieder konsultierte Frau Talfeld ihre Chefin mit einem Blick. Diese nickte. »Ich warte hier.«
Das Schlafzimmer, in das Allmen geführt wurde, war mit ausgesuchten Stücken aus dem amerikanischen Art déco eingerichtet. Allmen erkannte viele seiner Lieblinge wieder: Donald Deskey in dem Schlafzimmerset aus tropischem Furnier, schwarzem Lack und Messing; Kem Weber in den stromlinienförmigen Sesseln aus Leder und Chrom; Wolfgang Hoffmann in dem fast schwerelosen Schminktischchen aus spiegelndem Lack und schmalen Nickelbändern.
An den Wänden hingen vier Porträts derselben Frau. Eines sah nach Allmens Gefühl nach Niklaus Stoecklin aus. Eines hätte von Rudolf Schlichter stammen können, eines war unverkennbar ein Meredith Frampton, das vierte konnte er niemandem zuordnen.
»War sie nicht eine Schönheit?«
Allmen nickte, obwohl er sich für ein anderes Wort entschieden hätte. Schönheit war nicht das zutreffende. Nicht bei den Porträtisten, die sie gewählt hatte. Alle vier hatten dem Ausdruck mehr Bedeutung beigemessen als der Ähnlichkeit und das Hauptmerkmal auf Dalia Gutbauers blaue Augen gelegt. Man sah, dass sie eine sehr selbstbewusste und aparte Frau gewesen war. Aber schön? Schön waren vor allem die Werke.
»Madame Gutbauers Vater war ein großer Kunstfreund, und seine Tochter hat diese Leidenschaft von ihm geerbt«, erklärte Frau Talfeld. Im Zimmer lag der Duft von Parfum und der frischen Bettwäsche des akkurat aufgeschlagenen
Bettes. Die Vorhänge - auch sie in einem geometrischen,
schwarzweißen Art-déco-Muster - waren zugezogen, der Raum lag im Licht von fünf Bilderspots. Vier waren auf die Porträts gerichtet. Der fünfte erhellte eine leere Stelle an der Wand.
»Hier hingen die Dahlien«, sagte Frau Talfeld unnötigerweise.
»Aber wenn das Bild im Schlafzimmer war, weshalb
wurde sein Fehlen nicht sofort bemerkt?«
»Madame Gutbauer schläft meistens in einem anderen Zimmer. Einem etwas zweckmäßigeren mit einem Krankenhausbett, Sie verstehen.«
»Aber das Personal? Hier wird doch bestimmt ab und zu gelüftet, abgestaubt, gesaugt.«
»Das Mädchen, das für dieses Zimmer zuständig ist, hat ihre kranke Mutter in Spanien besucht. Und ihre Vertretung war eine Temporärangestellte.«
Allmen sah sich die Stelle an der Wand an. Der Spot warf keinen Kegel, sondern ein scharf begrenztes Viereck, das sagte: »Hier fehlt ein Bild.«
»Das Bild wurde also während der Abwesenheit des Zimmermädchens und vor dem Arbeitsbeginn seiner Stellvertreterin gestohlen. Sonst wäre ihr das Fehlen des Bildes aufgefallen.«
»An dieser Stelle habe nie ein Bild gehangen, hat sie gesagt.«
»Wissen Sie, welche Zeitspanne das betrifft?«
»Laut Monsieur Louis, der auch für das Hauspersonal zuständig ist, war Carmen am Mittwoch, dem dritten April, morgens zum letzten Mal im Zimmer. Und gestern zum ersten Mal wieder. Am sechsten April sprang die Aushilfe ein.«
»Drei Tage.« Wieder glaubte Allmen, den Anflug eines spöttischen Lächelns um Frau Talfelds schmale Lippen zu entdecken. Als mache sie sich über seine Rechenkünste lustig.
»Falls die Temporärbeschäftigte die Wahrheit sagt. Sonst wären es sieben.«
»Weshalb sollte sie lügen?«
»Vielleicht, weil sie etwas mit dem Verschwinden des Bildes zu tun hat.«
Cheryl Talfeld zog es in Erwägung. Dann schüttelte sie den Kopf. »Zu dumm.«
Als sie zurückkamen, war Dalia Gutbauer eingenickt. Der Kopf war ihr auf die rechte Schulter gefallen, und ihr Mund stand offen. Frau Talfeld komplimentierte Allmen wieder hinaus. »Madame Gutbauer würde so nicht gesehen werden wollen«, flüsterte sie. Sie öffnete die Tür ein zweites Mal, diesmal mit einem lauten »So, da wären wir wieder«.
Über dem Polster ihres Sessels erschien jetzt ein Schopf weißer Haare. Als sie um die Rückenlehne her umgegangen waren, hatte sie ihre blauen Augen weit aufgerissen. »Und?«, fragte sie.
Allmen und Frau Talfeld setzten sich wieder auf ihre Plätze. Die Tassen waren weggeräumt, an ihrer Stelle stand etwas Blätterteiggebäck.
»Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
Die alte Dame winkte ungeduldig ab. »Fragen Sie, fragen Sie.«
Allmen zückte wieder sein Notizbuch. »Die erste Frage, die wir routinemäßig stellen, lautet: Weshalb wenden Sie sich nicht an die Polizei?«
»Nächste Frage.«
Allmen sah sie überrascht an.
Cheryl Talfeld schüttelte fast unmerklich den Kopf, und Madame Gutbauer überwand sich: »Aber das fällt unter das Klientengeheimnis: Das Bild ist ... Man weiß nicht so genau, woher es stammt.«
»Raubkunst?« Allmen war etwas schockiert.
»Nicht im üblichen Sinn. Cheryl!«
Frau Talfeld übernahm: »Das Bild war ein Geschenk an Madame Gutbauer. Eine kleine Aufmerksamkeit eines Verehrers, wegen der Namensgleichheit, Dalia und Dahlien, Sie verstehen.«
Allmen verstand. »Und Sie vermuten, dass das Bild nicht ganz rechtmäßig erworben sein könnte?«
»Nun, jedenfalls überstieg es vermutlich die finanziellen
Mittel des Schenkenden.«
Der alten Frau wurde das Drumherumgerede zu viel: »Das Bild war geklaut, basta. Nächste Frage.«
»Wie hoch schätzen Sie den Wert des Werks?«
»Für mich ist es unbezahlbar.« Sie sah Cheryl Talfeld an, die wieder ihr Dossier aus der Handtasche nahm und darin blätterte. »Im Jahr 2000 ging bei Christie's New York ein Blumenbild von Fantin-Latour für über dreieinhalb Millionen Dollar ...«
»Kein Vergleich«, unterbrach Dalia Gutbauer verächtlich,
»die Dahlien sind hundertmal schöner.«
»Es war ein bisschen größer als die Dahlien«, fuhr Frau Talfeld fort, »aber es ist auch eine ganze Weile her.«
»Kein Vergleich«, wiederholte Madame Gutbauer.
»Sie würden es also höher einschätzen?«, fragte Allmen.
Sie wollte antworten, besann sich aber anders und fragte: »Ihr Erfolgshonorar besteht aus einem Prozentsatz des Wertes, nicht wahr?«
»Zehn Prozent des fakturierten Aufwands oder des Wertes des Wiederbeschafften, je nachdem, was höher liegt.« Allmen waren Honorargespräche immer etwas peinlich. Aber Dalia Gutbauer offensichtlich nicht.
»Kommt es oft vor, dass Ihr Honorar höher ist als zehn Prozent des Wertes des Diebesguts?«, erkundigte sie sich lächelnd.
»Es gibt Fälle, in denen es um den immateriellen Wert geht. Und der liegt manchmal weit über dem tatsächlichen«, gab Allmen etwas formell zur Antwort.
»Dann gehen Sie meinetwegen von diesen dreieinhalb
Millionen aus. Materiell. Immateriell das Doppelte.«
Allmen machte sich eine Notiz.
»Nächste Frage«, sagte Madame Gutbauer.
Allmen ging seine Standardfragen durch, die er mit Carlos' Hilfe memoriert hatte wie ein Schüler seine Vokabeln. Haben Sie einen Verdacht? Haben Sie etwas beobachtet? Wer hat alles Zugang zur Wohnung? Wer wusste von dem Bild?
Die Damen hatten weder einen Verdacht noch etwas beobachtet. Frau Talfeld diktierte ihm die Namen der Leute, die Zugang zur Wohnung hatten und von dem Bild wussten, während Dalia Gutbauer eine Goldkette aus ihrem Schlingkragen fischte, an der ein roter Funksender hing. Sie drückte darauf, und einen Augenblick später betrat die Pflegerin den Raum und half Madame Gutbauer auf die Beine.
Allmen erhob sich und bot ihr seinen Arm. Ihre krumme Hand mit den perfekten roten Nägeln hielt sich daran fest wie die Krallen eines Falken.
»Das Administrative erledigt Frau Talfeld, nicht wahr, Cheryl?«, sagte sie. Und: »Ich verlasse mich auf Sie, Allmen. Ich will das Bild zurück.«
Er sah ihr zu, wie sie ihr Gehgestell aus dem Salon
wuchtete und unter den wachsamen Augen ihrer Pflegerin im Korridor verschwand. Sobald sie wieder allein waren, bemerkte Frau Talfeld: »Ich nehme an, Sie brauchen einen Vorschuss.«
»Ach so«, antwortete Allmen vage, »unsere Buchhaltung
wird gegebenenfalls auf Sie zukommen.«
... weniger
Autoren-Porträt von Martin Suter
Martin Suter, geboren 1948 in Zürich, ist Schriftsteller, Kolumnist (er schrieb die wöchentliche Kolumne ›Business Class‹ und verfasste die Geschichten um Geri Weibel) und Drehbuchautor (u.a. schrieb er 2009 das Drehbuch zu dem Film ›Giulias Verschwinden‹). Bis 1991 arbeitete er als Werbetexter und Creative Director, bis er sich ausschließlich fürs Schreiben entschied. Seine Romane - zuletzt erschien ›Die Zeit, die Zeit‹ - sind auch international große Erfolge. 2011 erschienen die ersten beiden Bände seiner Krimiserie, ›Allmen und die Libellen‹ und ›Allmen und der rosa Diamant‹. Martin Suter lebt mit seiner Familie in Spanien und Guatemala.»Martin Suter erreicht mit seinen Romanen ein Riesenpublikum. Von der Kritik wird Suter grob unterschätzt. Suter schreibt aufregende, gut und nahezu filmisch gebaute Geschichten; er fängt seine Leser mit schlanken, raffinierten Plots. Das macht ihn in der deutschsprachigen Literaturwelt, wo die Kritik stets zuallererst auf schlaue Reflexion und schöne Sätze erpicht ist, zu einem bestaunten Ausnahme-Schriftsteller.«Der Spiegel
Bibliographische Angaben
- Autor: Martin Suter
- 2013, 224 Seiten, Maße: 12 x 18,8 cm, Leinen, Deutsch
- Verlag: Diogenes
- ISBN-10: 3257068603
- ISBN-13: 9783257068603
Kommentare zu "Johann Friedrich Allmen Band 3: Allmen und die Dahlien"
0 Gebrauchte Artikel zu „Johann Friedrich Allmen Band 3: Allmen und die Dahlien“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
3.5 von 5 Sternen
5 Sterne 2Schreiben Sie einen Kommentar zu "Johann Friedrich Allmen Band 3: Allmen und die Dahlien".
Kommentar verfassen