Angelus
Roman
Die junge Nonne Evangeline stößt in der Klosterbibliothek auf die geheime Korrespondenz einer früheren Äbtissin. Dabei entdeckt sie ein uraltes Geheimnis.
Evangelines Neugier ist geweckt und langsam beginnt sie in...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Angelus “
Die junge Nonne Evangeline stößt in der Klosterbibliothek auf die geheime Korrespondenz einer früheren Äbtissin. Dabei entdeckt sie ein uraltes Geheimnis.
Evangelines Neugier ist geweckt und langsam beginnt sie in den geheimen Briefen zu lesen. Je tiefer sie forscht umso unglaublicher erscheint ihr, was sie plötzlich begreift: Seit Jahrtausenden tobt ein geheimnisvoller, unerbittlicher Kampf. Ein Kampf zwischen den Angelologen und den überirdisch schönen Nephilim, bei dem es um nichts weniger geht als die Weltherrschaft! Ehe Evangeline sich versieht, befindet sie sich mitten in diesem Kampf. Und für die junge Nonne beginnt ein dramatischer Wettlauf mit der Zeit.
Klappentext zu „Angelus “
Der letzte Kampf der Engel hat begonnenSeit Jahrtausenden wollen sie die Macht über die Welt, und dafür benutzen und töten sie jeden die Nephilim, die Nachkommen jener Engel, die einst gegen Gott rebellierten. Ihr Sieg hängt von dem Besitz eines Musikinstruments ab, einer Leier.
An einem 24. Dezember sind sie ihrem Ziel ganz nahe. Doch ihre Widersacher, die Angelologen, die Anhänger der Boten Gottes, versuchen das Instrument vor ihnen in Sicherheit zu bringen. An ihrer Seite kämpft die junge Nonne Evangeline. Seit jeher trägt sie eine Kette mit einem goldenen Anhänger: einer Leier ...
Lese-Probe zu „Angelus “
Angelus von Danielle Trussoni Teufelsschlund-Höhle,
Rhodopen, Bulgarien
Winter 1943
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Die Angelologen untersuchten den Leichnam. Er war unversehrt und nicht verwest, die Haut glatt wie geöltes Pergament. Die leblosen, aquamarinblauen Augen blickten starr zum Himmel. Blonde Locken fielen in die hohe Stirn und über die statuenhaften Schultern wie ein Heiligenschein aus goldenem Haar. Die auf der Brust verschränkten Arme waren dünn wie die jungen Birken, die den Berg bedeckten. Selbst die Kleidung ein aus weiß schimmerndem metallischem Material gewebtes Gewand sah jungfräulich und makellos aus, als sei dieses Geschöpf in einem Krankenhauszimmer in Paris gestorben, nicht in einer Felsspalte, ein paar hundert Meter tief unter der Erde. Es hätte sie nicht überraschen sollen, dass sie den Engel in diesem guterhaltenen Zustand fanden. Die Fingernägel, perlmuttglänzend wie das Innere einer Austernschale, der langgestreckte, glatte, nabellose Bauch, die geisterhaft durchscheinende Haut alles an diesem Wesen war so, wie sie es vorausgewusst hatten, sogar die Stellung der Flügel. Dennoch, dieses Geschöpf war zu schön, zu lebendig für das, was sie bisher nur in muffigen Bibliotheken studiert hatten, wo Drucke von Gemälden aus dem Quattrocento vor ihnen ausgebreitet lagen wie Straßenkarten. Ihr ganzes Berufsleben lang hatten sie darauf gewartet, so etwas sehen zu können. Keiner von ihnen hätte es zugegeben, aber insgeheim hatten sie vermutet, sie würden einen monströsen Kadaver finden, lauter Knochen und Faserfetzen wie bei einer archäologischen Ausgrabung. Stattdessen aber dies: eine grazile, schmal zulaufende Hand, eine Adlernase, rosarote Lippen, zusammengedrückt in einem erstarrten Kuss. Die Angelologen standen da und starrten gebannt auf das Geschöpf hinunter, als erwarteten sie, dass es gleich die Augen aufschlagen und erwachen werde.
Die erste Sphäre
Euch auch drohet ein gleiches Los, die ihr hoch in das Reich des Lichts dringt mit strebendem Forschergeist: Euch auch, wenn ihr besiegt den Blick kehrt zur höllischen Nacht zurück, geht verloren des Sieges Preis, wenn ihr den Hades erblicket!Boethius,
Die Tröstungen der Philosophie
Kloster der hl. Rosa,
Hudson River Valley,
Milton, New York
23. Dezember 1999
Evangeline erwachte vor Sonnenaufgang, als es im dritten Stock noch still und dunkel war. Leise, um die Schwestern, die die Nacht hindurch gebetet hatten, nicht zu wecken, raffte sie Schuhe, Strümpfe und Rock in den Armen zusammen und ging barfuß in den Gemeinschaftswaschraum. Durch einen Spalt im Fenster warf sie einen Blick hinaus auf das Klostergelände, das im Frühdunst lag. Ein weitläufiger, verschneiter Hof reichte bis ans Wasser, und eine Reihe von dürren, kahlen Bäumen säumte das Ufer des Hudson. Das Kloster der hl. Rosa ragte bedrohlich nah am Flussufer auf, so dass es bei Tag aussah, als seien es zwei Klöster, eins an Land, und eins, das schwerelos auf dem Wasser schwebte. Im Sommer störten Frachtkähne diese Illusion, im Winter die Eisschollen. Evangeline betrachtete den Fluss, einen breiten, schwarzen Streifen am Rand des strahlend weißen Schnees. Bald würde die Morgensonne das Wasser vergolden. Evangeline beugte sich über das Porzellanwaschbecken und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, um die Reste eines Traums zu vertreiben. Sie konnte sich an den Traum nicht mehr erinnern, nur an den Eindruck, den er auf sie gemacht hatte: eine Woge der Vorahnung, die sich wie ein Leichentuch auf ihre Gedanken gelegt hatte, ein Gefühl von Einsamkeit und Verwirrung, das sie in letzter Zeit immer öfter plagte. Schlaftrunken streifte sie das schwere Flanellnachthemd ab und stand fröstelnd in der Kälte des Waschraums. In Unterhose und -hemd aus weißer Baumwolle die Standardunterkleidung, die zweimal im Jahr en gros bestellt und unter den Schwestern der hl. Rosa verteilt wurde betrachtete sie sich mit prüfendem, analytischem Blick: die schlanken Arme und Beine, den flachen Bauch, die schmalen Füße, den goldenen Anhänger, der auf ihrem Brustbein lag. Das Bild, das da vor ihr im Glas des Spiegels schwebte, war das einer verschlafenen jungen Frau. Evangeline betastete die goldene Kette, die warm auf ihrer Haut lag. Der Anhänger, eine winzige goldene Leier, hatte ihrer Mutter Angela Valko DeFlorian gehört und war nach deren Tod in ihren Besitz gekommen. Es war ein wunderschönes Amulett, und die antike Leier war aus reinem Gold geformt, aber für Evangeline war es nur von emotionalem Wert. Ihre Großmutter, Gabriella Lévi-Franche Valko, hatte ihr die Kette gebracht, nachdem ihre Mutter gestorben war. Auf der Beerdigung war Gabriella mit ihr zu einem Weihwasserbecken gegangen; sie hatte den Anhänger mit dem Wasser gewaschen und ihr die Kette dann um den Hals gelegt. Der Duft ihres Parfüms hatte Evangelines Sinne überwältigt, als Gabriella ihr zeigte, dass sie die gleiche Leier um den Hals trug. »Versprich mir, dass du sie immer tragen wirst, Tag und Nacht, wie Angela es getan hat.« Gabriella sprach den Namen ihrer Mutter mit einem melodischen Akzent, sie verschluckte die erste Silbe und betonte die zweite: An-ge-la. Diese Betonung gefiel Evangeline besser als alle anderen, und schon als Kind hatte sie gelernt, sie perfekt zu imitieren. Gabriella war eine wortkarge Intellektuelle von strenger Eleganz, und sie trug nüchterne, maßgeschneiderte Kleidung, als sei sie unterwegs zu einer geschäftlichen Besprechung. Wenn Evangeline ihre Großmutter besucht hatte, war Gabriella ihr immer sehr gefasst, ruhig und gut organisiert erschienen, und sie hatte ihren Schmuck mit zurückhaltender Eleganz getragen. Aber wie ihre Eltern war Gabriella inzwischen kaum mehr als eine machtvolle Erinnerung für sie. Nur der Anhänger auf ihrer Haut fühlte sich handfest an, wie eine solide Verbindung zu ihrer Mutter und ihrer Großmutter. Noch einmal fröstelte es sie in der kühlen Luft, und sie wandte sich ihren Kleidern zu. Sie besaß fünf identische schwarze, knielange Röcke, sieben schwarze Rollkragenpullover für den Winter und sieben kurzärmelige Baumwollblusen für die Sommermonate, eine schwarze Strickjacke, fünfzehn Garnituren Unterwäsche aus weißer Baumwolle und unzählige Paare von schwarzen Strümpfen. Nicht mehr und nicht weniger als das Nötige. Sie zog einen Rollkragenpullover an, streifte ein Haarband über ihr kurzes dunkles Haar und spannte es straff über die Stirn, bevor sie den schwarzen Schleier daran befestigte. Sie zog Nylonstrümpfe und einen schwarzen, knielangen Rock an, schloss mit einer kurzen, unbewussten Bewegung den Reißverschluss und zog die Falten glatt. Innerhalb von Sekunden war ihr privates Ich verschwunden, und sie war Schwester Evangeline, Franziskanerin im Orden der Ewigen Anbetung. Jetzt noch der Rosenkranz, und die Verwandlung war vollkommen. Sie warf die getragenen Sachen in den Wäschebehälter am Ende des Waschraums und begann ihren Tag. Während des letzten halben Jahrzehnts hatte Schwester Evangeline jeden Morgen am Fünf-Uhr-Gebet teilgenommen seit sie die Formation vollendet und mit achtzehn Jahren ihr Gelübde abgelegt hatte. Im Kloster der hl. Rosa lebte sie seit ihrem zwölften Lebensjahr, und sie kannte es so genau, wie man das Temperament einer geliebten Freundin kennt. Ihr morgendlicher Weg durch die Klosteranlage verlief inzwischen mit wissenschaftlicher Präzision. Von Stockwerk zu Stockwerk strich sie mit den Fingern über das Holz der Balustraden, und die Gummisohlen ihrer Schuhe berührten kaum die Treppenabsätze. Um diese Zeit wirkte das Kloster immer menschenleer. Es war erfüllt von blauen Schatten und Grabesstille, aber nach Sonnenaufgang erwachte es zum Leben, und es brummte in allen Räumen von Arbeit und Gebet wie in einem Bienenkorb. Auch jetzt wäre es bald zu Ende mit der Stille. Auf Treppen, in Gemeinschaftsräumen, Bibliothek, Cafeteria und Dutzenden von schrankgroßen Zellen würde es binnen kurzem wimmeln von Schwestern. Evangeline lief die drei Treppen hinunter. Den Weg in die Kapelle fand sie mit geschlossenen Augen. Unten betrat sie den großen Hauptkorridor, das Rückgrat des Klosters der hl. Rosa. An den Wänden hingen gerahmte Porträts längst verstorbener Äbtissinnen und herausragender Schwestern und Darstellungen des Klostergebäudes in den verschiedenen Phasen seiner Existenz. Dutzende von Frauen starrten aus diesen Bildern auf Evangeline und alle anderen Schwestern, die auf dem Weg zum Gebet hier vorbeikamen, herab und erinnerten sie daran, dass sie Teil eines uralten und vornehmen Matriarchats waren, in dem alle die Toten und die Lebenden miteinander zu einer einzigen, gemeinsamen Mission verwoben waren. Obwohl sie nicht zu spät zum Gebet kommen durfte, blieb Schwester Evangeline auf halbem Wege im Korridor stehen. Hier hing das Bild der hl. Rosa von Viterbo (12331252), nach der das Kloster benannt war, in einem vergoldeten Rahmen. Ihre winzigen Hände waren im Gebet gefaltet, und ein zarter Nimbus umgab leuchtend ihren Kopf. Das Leben der heiligen Rosa war kurz gewesen. Kurz nach ihrem dritten Geburtstag hatten die Engel angefangen, flüsternd zu ihr zu sprechen und sie zu drängen, ihre Botschaft all denen zu verkünden, die sie hören wollten. Rosa gehorchte und erwarb als junge Frau die Erhebung in den Stand einer Heiligen, als sie in einem heidnischen Dorf von der Güte Gottes und seiner Engel predigte und dafür als Hexe zum Tode verurteilt wurde. Die Leute aus dem Dorf banden sie auf einen Scheiterhaufen und zündeten das Feuer an. Zur großen Bestürzung der Zuschauer verbrannte Rosa jedoch nicht, sondern stand drei Stunden lang in den züngelnden Flammen und sprach mit Engeln, während das Feuer ihre Gestalt umloderte. Manche glaubten, die Engel hätten sich um das Mädchen gelegt und sie mit einer klaren, schützenden Rüstung umhüllt. Schließlich starb sie doch in den Flammen, aber durch das wunderbare Eingreifen war ihr Körper unverletzt geblieben. Noch Jahrhunderte nach ihrem Tod wurde Rosas unverwester Leichnam in einer Prozession durch die Straßen von Viterbo getragen, und an dem glatten, jugendlichen Leib war nicht die geringste Spur dieser Tortur zu sehen. Schwester Evangeline dachte daran, wie spät es war, und wandte sich von dem Porträt ab. Eilig lief sie bis zum Ende des Korridors, wo ein großes Portal, in dessen Holz Szenen der Verkündigung geschnitzt waren, das Kloster von der Kirche trennte. Diesseits dieser Grenze stand Evangeline in der schlichten Umgebung des Klosters, jenseits in der majestätischen der Kirche. Wenn sie die Schwelle übertrat, wurde der Klang ihrer Schritte härter, denn sie verließ den Teppich und betrat einen blassrosafarbenen, grüngeäderten Marmorboden. Dazu genügte ein Schritt, aber sofort war alles anders, von der Luft, die plötzlich schwer von Weihrauchduft war, bis zur Farbe des Lichts, das tiefblau durch die bunten Glasfenster fiel. Die Wände waren nicht mehr weiß verputzt, sondern mit mächtigen Steinplatten verkleidet und ragten schwindelerregend hoch auf. Das Auge musste sich an den goldenen Reichtum des Neo-Rokoko gewöhnen. Wenn Evangeline das Kloster verließ, fielen ihre weltlichen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft und zur Nächstenliebe von ihr ab, und sie betrat die Sphäre des Göttlichen: die Sphäre Gottes, Marias und der Engel. In den ersten Jahren im Kloster der hl. Rosa hatte sie die Zahl der Engelsbildnisse in der Kirche Maria Angelorum als übermäßig empfunden, als überwältigend und überfrachtet in ihrer Allgegenwart. Die Himmelswesen erfüllten jede Ecke, jeden Winkel der Kirche und ließen wenig Platz für anderes. Seraphim umringten die zentrale Kuppel, marmorne Erzengel stützten die Ecken des Altars. In den Intarsien an den Säulen leuchteten goldene Heiligenscheine, Posaunen, Harfen und kleine Flügel, und an den Enden der Kirchenbänke blickten ihr modellierte Puttengesichter entgegen, hypnotisierend und kompakt wie Flughunde. Evangeline wusste, dass diese Pracht als Geschenk an den Herrn gedacht war und als Symbol ihrer Verehrung, aber insgeheim war ihr die schlichte Funktionalität im Kloster lieber. Während ihrer Formation hatte sie die Gründungsschwestern mit eher kritischen Augen betrachtet und sich gefragt, warum sie solchen Reichtum nicht für einen besseren Zweck verwendet hatten. Aber wie so vieles andere waren ihre Einwände verflogen und ihre Prioritäten hatten sich verändert, als habe die Zeremonie der Einkleidung sie sanft schmelzen und eine neue, einheitlichere Gestalt annehmen lassen. Fünf Jahre nach ihrer Profess war das Mädchen, das sie gewesen war, fast verschwunden. Am Weihwasserbecken blieb sie stehen und tauchte den Finger hinein. Sie bekreuzigte sich Stirn, Herz, erst die linke, dann die rechte Schulter und ging dann schnell weiter durch das schmale Kirchenschiff, zwischen den roteichenen, harten Kirchenbänken und den Marmorsäulen hindurch und vorbei an den vierzehn Stationen des Kreuzwegs.
Im trüben Licht der frühen Stunde folgte Evangeline dem Mittelgang nach vorn zur Sakristei, wo Kelche, Glocken und Gewänder in ihren Schränken auf die Messe warteten. Am anderen Ende der Sakristei war eine Tür. Evangeline holte tief Luft und schloss die Augen, als müsse sie sich auf ein grelles Licht vorbereiten. Sie legte die Hand auf den kalten Messingknauf und öffnete die Tür. Die Anbetungskapelle tat sich vor ihr auf und erfüllte ihr Gesichtsfeld. Die Wände glänzten golden, als habe sie ein emailliertes Fabergé-Ei betreten. Die Privatkapelle der Anbetungsschwestern des Franziskanerordens hatte eine hohe Mittelkuppel, und bunte Glasfenster leuchteten in den Wänden. Das beherrschende Prunkstück der Anbetungskapelle war eine Reihe von farbenprächtigen bayerischen Fenstern mit Abbildungen der drei Sphären der Engel. Die erste Sphäre war die der Seraphim, Cherubim und Throne, die zweite war die Sphäre der Herrschaften, Mächte und Tugenden und die dritte die der Fürsten, Erzengel und Engel. Zusammengenommen bildeten die Sphären den Himmlischen Chor, die vereinigte Stimme des Himmels. Jeden Morgen bestaunte Schwester Evangeline die Engel, die da in einem Himmel aus funkelndem Glas schwebten, und versuchte, sich ihr angeborenes Strahlen vorzustellen, dieses reine Licht, das sie wie Wärme verströmten. Evangeline entdeckte die Schwestern Bernice und Boniface, die jeden Morgen von vier bis fünf Uhr Gebetsdienst hatten. Sie knieten vor dem Altar und ließen ihre Rosenkränze durch die Finger gleiten und achteten darauf, dass sie die letzte Silbe des Gebets ebenso andächtig flüsterten, wie sie die erste geflüstert hatten. Zu jeder Stunde, Tag und Nacht, konnte man zwei Schwestern in voller Tracht Seite an Seite in der Kapelle antreffen. Ihre Lippen bewegten sich in gleichförmigem Gebet, während sie vor dem Altar knieten. Der Gegenstand ihrer Anbetung wohnte in einer goldenen
Strahlenmonstranz hoch auf dem Altar: eine weiße Hostie in einer Explosion von Gold. Die Franziskanerschwestern der Ewigen Anbetung hatten jede Minute jeder Stunde jedes Tages im Gebet verbracht, seit es die Gründungsäbtissin zu Beginn des 19. Jahrhunderts angeordnet hatte. Fast zweihundert Jahre später war dieses Gebet immer noch im Gange: das längste und beharrlichste Ewige Gebet der Welt. Stündlich kamen Schwestern in die Kapelle, bekreuzigten sich und knieten in Demut vor dem Herrn. Sie beteten im Licht der Morgensonne und bei Kerzenschein. Sie beteten um Frieden, Gnade und das Ende menschlichen Leidens. Sie beteten für Afrika und Asien, für Europa und Amerika. Sie beteten für die Lebenden und Toten. Sie beteten für ihre gefallene Welt. Die Schwestern Bernice und Boniface bekreuzigten sich gleichzeitig und verließen die Kapelle. Die schwarzen Röcke ihrer Tracht lange, schwere Gewänder von traditionellerem Schnitt als Schwester Evangelines postkonziliare Kleidung schleiften über den blanken Marmorboden, und sie machten Platz für die nächsten beiden Schwestern. Evangeline ließ sich auf ein weiches Kniekissen sinken. Es war noch warm von Schwester Bernice. Zehn Sekunden später war Schwester Philomena, ihre tägliche Gebetspartnerin, an ihrer Seite. Zusammen setzten sie das Gebet fort, das vor Generationen begonnen hatte, ein Gebet, das alle Schwestern ihres Ordens miteinander verband, eine Kette beständiger Hoffnung. Das Werk einer goldenen Pendeluhr, klein und verschnörkelt, tickte mit sanfter Regelmäßigkeit unter einer schützenden Glaskuppel, und jetzt schlug die Uhr fünfmal. Evangeline hörte es mit Erleichterung: Alles im Himmel und auf Erden lief genau nach Plan. Sie senkte den Kopf und fing an zu beten. Es war fünf Uhr.
Copyright © 2010 by Danielle Trussoni
Copyright © 2010 der deutschsprachigen Ausgabe bei Droemer Verlag.
Übersetzung:»Rainer Schmidt«
Die erste Sphäre
Euch auch drohet ein gleiches Los, die ihr hoch in das Reich des Lichts dringt mit strebendem Forschergeist: Euch auch, wenn ihr besiegt den Blick kehrt zur höllischen Nacht zurück, geht verloren des Sieges Preis, wenn ihr den Hades erblicket!Boethius,
Die Tröstungen der Philosophie
Kloster der hl. Rosa,
Hudson River Valley,
Milton, New York
23. Dezember 1999
Evangeline erwachte vor Sonnenaufgang, als es im dritten Stock noch still und dunkel war. Leise, um die Schwestern, die die Nacht hindurch gebetet hatten, nicht zu wecken, raffte sie Schuhe, Strümpfe und Rock in den Armen zusammen und ging barfuß in den Gemeinschaftswaschraum. Durch einen Spalt im Fenster warf sie einen Blick hinaus auf das Klostergelände, das im Frühdunst lag. Ein weitläufiger, verschneiter Hof reichte bis ans Wasser, und eine Reihe von dürren, kahlen Bäumen säumte das Ufer des Hudson. Das Kloster der hl. Rosa ragte bedrohlich nah am Flussufer auf, so dass es bei Tag aussah, als seien es zwei Klöster, eins an Land, und eins, das schwerelos auf dem Wasser schwebte. Im Sommer störten Frachtkähne diese Illusion, im Winter die Eisschollen. Evangeline betrachtete den Fluss, einen breiten, schwarzen Streifen am Rand des strahlend weißen Schnees. Bald würde die Morgensonne das Wasser vergolden. Evangeline beugte sich über das Porzellanwaschbecken und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, um die Reste eines Traums zu vertreiben. Sie konnte sich an den Traum nicht mehr erinnern, nur an den Eindruck, den er auf sie gemacht hatte: eine Woge der Vorahnung, die sich wie ein Leichentuch auf ihre Gedanken gelegt hatte, ein Gefühl von Einsamkeit und Verwirrung, das sie in letzter Zeit immer öfter plagte. Schlaftrunken streifte sie das schwere Flanellnachthemd ab und stand fröstelnd in der Kälte des Waschraums. In Unterhose und -hemd aus weißer Baumwolle die Standardunterkleidung, die zweimal im Jahr en gros bestellt und unter den Schwestern der hl. Rosa verteilt wurde betrachtete sie sich mit prüfendem, analytischem Blick: die schlanken Arme und Beine, den flachen Bauch, die schmalen Füße, den goldenen Anhänger, der auf ihrem Brustbein lag. Das Bild, das da vor ihr im Glas des Spiegels schwebte, war das einer verschlafenen jungen Frau. Evangeline betastete die goldene Kette, die warm auf ihrer Haut lag. Der Anhänger, eine winzige goldene Leier, hatte ihrer Mutter Angela Valko DeFlorian gehört und war nach deren Tod in ihren Besitz gekommen. Es war ein wunderschönes Amulett, und die antike Leier war aus reinem Gold geformt, aber für Evangeline war es nur von emotionalem Wert. Ihre Großmutter, Gabriella Lévi-Franche Valko, hatte ihr die Kette gebracht, nachdem ihre Mutter gestorben war. Auf der Beerdigung war Gabriella mit ihr zu einem Weihwasserbecken gegangen; sie hatte den Anhänger mit dem Wasser gewaschen und ihr die Kette dann um den Hals gelegt. Der Duft ihres Parfüms hatte Evangelines Sinne überwältigt, als Gabriella ihr zeigte, dass sie die gleiche Leier um den Hals trug. »Versprich mir, dass du sie immer tragen wirst, Tag und Nacht, wie Angela es getan hat.« Gabriella sprach den Namen ihrer Mutter mit einem melodischen Akzent, sie verschluckte die erste Silbe und betonte die zweite: An-ge-la. Diese Betonung gefiel Evangeline besser als alle anderen, und schon als Kind hatte sie gelernt, sie perfekt zu imitieren. Gabriella war eine wortkarge Intellektuelle von strenger Eleganz, und sie trug nüchterne, maßgeschneiderte Kleidung, als sei sie unterwegs zu einer geschäftlichen Besprechung. Wenn Evangeline ihre Großmutter besucht hatte, war Gabriella ihr immer sehr gefasst, ruhig und gut organisiert erschienen, und sie hatte ihren Schmuck mit zurückhaltender Eleganz getragen. Aber wie ihre Eltern war Gabriella inzwischen kaum mehr als eine machtvolle Erinnerung für sie. Nur der Anhänger auf ihrer Haut fühlte sich handfest an, wie eine solide Verbindung zu ihrer Mutter und ihrer Großmutter. Noch einmal fröstelte es sie in der kühlen Luft, und sie wandte sich ihren Kleidern zu. Sie besaß fünf identische schwarze, knielange Röcke, sieben schwarze Rollkragenpullover für den Winter und sieben kurzärmelige Baumwollblusen für die Sommermonate, eine schwarze Strickjacke, fünfzehn Garnituren Unterwäsche aus weißer Baumwolle und unzählige Paare von schwarzen Strümpfen. Nicht mehr und nicht weniger als das Nötige. Sie zog einen Rollkragenpullover an, streifte ein Haarband über ihr kurzes dunkles Haar und spannte es straff über die Stirn, bevor sie den schwarzen Schleier daran befestigte. Sie zog Nylonstrümpfe und einen schwarzen, knielangen Rock an, schloss mit einer kurzen, unbewussten Bewegung den Reißverschluss und zog die Falten glatt. Innerhalb von Sekunden war ihr privates Ich verschwunden, und sie war Schwester Evangeline, Franziskanerin im Orden der Ewigen Anbetung. Jetzt noch der Rosenkranz, und die Verwandlung war vollkommen. Sie warf die getragenen Sachen in den Wäschebehälter am Ende des Waschraums und begann ihren Tag. Während des letzten halben Jahrzehnts hatte Schwester Evangeline jeden Morgen am Fünf-Uhr-Gebet teilgenommen seit sie die Formation vollendet und mit achtzehn Jahren ihr Gelübde abgelegt hatte. Im Kloster der hl. Rosa lebte sie seit ihrem zwölften Lebensjahr, und sie kannte es so genau, wie man das Temperament einer geliebten Freundin kennt. Ihr morgendlicher Weg durch die Klosteranlage verlief inzwischen mit wissenschaftlicher Präzision. Von Stockwerk zu Stockwerk strich sie mit den Fingern über das Holz der Balustraden, und die Gummisohlen ihrer Schuhe berührten kaum die Treppenabsätze. Um diese Zeit wirkte das Kloster immer menschenleer. Es war erfüllt von blauen Schatten und Grabesstille, aber nach Sonnenaufgang erwachte es zum Leben, und es brummte in allen Räumen von Arbeit und Gebet wie in einem Bienenkorb. Auch jetzt wäre es bald zu Ende mit der Stille. Auf Treppen, in Gemeinschaftsräumen, Bibliothek, Cafeteria und Dutzenden von schrankgroßen Zellen würde es binnen kurzem wimmeln von Schwestern. Evangeline lief die drei Treppen hinunter. Den Weg in die Kapelle fand sie mit geschlossenen Augen. Unten betrat sie den großen Hauptkorridor, das Rückgrat des Klosters der hl. Rosa. An den Wänden hingen gerahmte Porträts längst verstorbener Äbtissinnen und herausragender Schwestern und Darstellungen des Klostergebäudes in den verschiedenen Phasen seiner Existenz. Dutzende von Frauen starrten aus diesen Bildern auf Evangeline und alle anderen Schwestern, die auf dem Weg zum Gebet hier vorbeikamen, herab und erinnerten sie daran, dass sie Teil eines uralten und vornehmen Matriarchats waren, in dem alle die Toten und die Lebenden miteinander zu einer einzigen, gemeinsamen Mission verwoben waren. Obwohl sie nicht zu spät zum Gebet kommen durfte, blieb Schwester Evangeline auf halbem Wege im Korridor stehen. Hier hing das Bild der hl. Rosa von Viterbo (12331252), nach der das Kloster benannt war, in einem vergoldeten Rahmen. Ihre winzigen Hände waren im Gebet gefaltet, und ein zarter Nimbus umgab leuchtend ihren Kopf. Das Leben der heiligen Rosa war kurz gewesen. Kurz nach ihrem dritten Geburtstag hatten die Engel angefangen, flüsternd zu ihr zu sprechen und sie zu drängen, ihre Botschaft all denen zu verkünden, die sie hören wollten. Rosa gehorchte und erwarb als junge Frau die Erhebung in den Stand einer Heiligen, als sie in einem heidnischen Dorf von der Güte Gottes und seiner Engel predigte und dafür als Hexe zum Tode verurteilt wurde. Die Leute aus dem Dorf banden sie auf einen Scheiterhaufen und zündeten das Feuer an. Zur großen Bestürzung der Zuschauer verbrannte Rosa jedoch nicht, sondern stand drei Stunden lang in den züngelnden Flammen und sprach mit Engeln, während das Feuer ihre Gestalt umloderte. Manche glaubten, die Engel hätten sich um das Mädchen gelegt und sie mit einer klaren, schützenden Rüstung umhüllt. Schließlich starb sie doch in den Flammen, aber durch das wunderbare Eingreifen war ihr Körper unverletzt geblieben. Noch Jahrhunderte nach ihrem Tod wurde Rosas unverwester Leichnam in einer Prozession durch die Straßen von Viterbo getragen, und an dem glatten, jugendlichen Leib war nicht die geringste Spur dieser Tortur zu sehen. Schwester Evangeline dachte daran, wie spät es war, und wandte sich von dem Porträt ab. Eilig lief sie bis zum Ende des Korridors, wo ein großes Portal, in dessen Holz Szenen der Verkündigung geschnitzt waren, das Kloster von der Kirche trennte. Diesseits dieser Grenze stand Evangeline in der schlichten Umgebung des Klosters, jenseits in der majestätischen der Kirche. Wenn sie die Schwelle übertrat, wurde der Klang ihrer Schritte härter, denn sie verließ den Teppich und betrat einen blassrosafarbenen, grüngeäderten Marmorboden. Dazu genügte ein Schritt, aber sofort war alles anders, von der Luft, die plötzlich schwer von Weihrauchduft war, bis zur Farbe des Lichts, das tiefblau durch die bunten Glasfenster fiel. Die Wände waren nicht mehr weiß verputzt, sondern mit mächtigen Steinplatten verkleidet und ragten schwindelerregend hoch auf. Das Auge musste sich an den goldenen Reichtum des Neo-Rokoko gewöhnen. Wenn Evangeline das Kloster verließ, fielen ihre weltlichen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft und zur Nächstenliebe von ihr ab, und sie betrat die Sphäre des Göttlichen: die Sphäre Gottes, Marias und der Engel. In den ersten Jahren im Kloster der hl. Rosa hatte sie die Zahl der Engelsbildnisse in der Kirche Maria Angelorum als übermäßig empfunden, als überwältigend und überfrachtet in ihrer Allgegenwart. Die Himmelswesen erfüllten jede Ecke, jeden Winkel der Kirche und ließen wenig Platz für anderes. Seraphim umringten die zentrale Kuppel, marmorne Erzengel stützten die Ecken des Altars. In den Intarsien an den Säulen leuchteten goldene Heiligenscheine, Posaunen, Harfen und kleine Flügel, und an den Enden der Kirchenbänke blickten ihr modellierte Puttengesichter entgegen, hypnotisierend und kompakt wie Flughunde. Evangeline wusste, dass diese Pracht als Geschenk an den Herrn gedacht war und als Symbol ihrer Verehrung, aber insgeheim war ihr die schlichte Funktionalität im Kloster lieber. Während ihrer Formation hatte sie die Gründungsschwestern mit eher kritischen Augen betrachtet und sich gefragt, warum sie solchen Reichtum nicht für einen besseren Zweck verwendet hatten. Aber wie so vieles andere waren ihre Einwände verflogen und ihre Prioritäten hatten sich verändert, als habe die Zeremonie der Einkleidung sie sanft schmelzen und eine neue, einheitlichere Gestalt annehmen lassen. Fünf Jahre nach ihrer Profess war das Mädchen, das sie gewesen war, fast verschwunden. Am Weihwasserbecken blieb sie stehen und tauchte den Finger hinein. Sie bekreuzigte sich Stirn, Herz, erst die linke, dann die rechte Schulter und ging dann schnell weiter durch das schmale Kirchenschiff, zwischen den roteichenen, harten Kirchenbänken und den Marmorsäulen hindurch und vorbei an den vierzehn Stationen des Kreuzwegs.
Im trüben Licht der frühen Stunde folgte Evangeline dem Mittelgang nach vorn zur Sakristei, wo Kelche, Glocken und Gewänder in ihren Schränken auf die Messe warteten. Am anderen Ende der Sakristei war eine Tür. Evangeline holte tief Luft und schloss die Augen, als müsse sie sich auf ein grelles Licht vorbereiten. Sie legte die Hand auf den kalten Messingknauf und öffnete die Tür. Die Anbetungskapelle tat sich vor ihr auf und erfüllte ihr Gesichtsfeld. Die Wände glänzten golden, als habe sie ein emailliertes Fabergé-Ei betreten. Die Privatkapelle der Anbetungsschwestern des Franziskanerordens hatte eine hohe Mittelkuppel, und bunte Glasfenster leuchteten in den Wänden. Das beherrschende Prunkstück der Anbetungskapelle war eine Reihe von farbenprächtigen bayerischen Fenstern mit Abbildungen der drei Sphären der Engel. Die erste Sphäre war die der Seraphim, Cherubim und Throne, die zweite war die Sphäre der Herrschaften, Mächte und Tugenden und die dritte die der Fürsten, Erzengel und Engel. Zusammengenommen bildeten die Sphären den Himmlischen Chor, die vereinigte Stimme des Himmels. Jeden Morgen bestaunte Schwester Evangeline die Engel, die da in einem Himmel aus funkelndem Glas schwebten, und versuchte, sich ihr angeborenes Strahlen vorzustellen, dieses reine Licht, das sie wie Wärme verströmten. Evangeline entdeckte die Schwestern Bernice und Boniface, die jeden Morgen von vier bis fünf Uhr Gebetsdienst hatten. Sie knieten vor dem Altar und ließen ihre Rosenkränze durch die Finger gleiten und achteten darauf, dass sie die letzte Silbe des Gebets ebenso andächtig flüsterten, wie sie die erste geflüstert hatten. Zu jeder Stunde, Tag und Nacht, konnte man zwei Schwestern in voller Tracht Seite an Seite in der Kapelle antreffen. Ihre Lippen bewegten sich in gleichförmigem Gebet, während sie vor dem Altar knieten. Der Gegenstand ihrer Anbetung wohnte in einer goldenen
Strahlenmonstranz hoch auf dem Altar: eine weiße Hostie in einer Explosion von Gold. Die Franziskanerschwestern der Ewigen Anbetung hatten jede Minute jeder Stunde jedes Tages im Gebet verbracht, seit es die Gründungsäbtissin zu Beginn des 19. Jahrhunderts angeordnet hatte. Fast zweihundert Jahre später war dieses Gebet immer noch im Gange: das längste und beharrlichste Ewige Gebet der Welt. Stündlich kamen Schwestern in die Kapelle, bekreuzigten sich und knieten in Demut vor dem Herrn. Sie beteten im Licht der Morgensonne und bei Kerzenschein. Sie beteten um Frieden, Gnade und das Ende menschlichen Leidens. Sie beteten für Afrika und Asien, für Europa und Amerika. Sie beteten für die Lebenden und Toten. Sie beteten für ihre gefallene Welt. Die Schwestern Bernice und Boniface bekreuzigten sich gleichzeitig und verließen die Kapelle. Die schwarzen Röcke ihrer Tracht lange, schwere Gewänder von traditionellerem Schnitt als Schwester Evangelines postkonziliare Kleidung schleiften über den blanken Marmorboden, und sie machten Platz für die nächsten beiden Schwestern. Evangeline ließ sich auf ein weiches Kniekissen sinken. Es war noch warm von Schwester Bernice. Zehn Sekunden später war Schwester Philomena, ihre tägliche Gebetspartnerin, an ihrer Seite. Zusammen setzten sie das Gebet fort, das vor Generationen begonnen hatte, ein Gebet, das alle Schwestern ihres Ordens miteinander verband, eine Kette beständiger Hoffnung. Das Werk einer goldenen Pendeluhr, klein und verschnörkelt, tickte mit sanfter Regelmäßigkeit unter einer schützenden Glaskuppel, und jetzt schlug die Uhr fünfmal. Evangeline hörte es mit Erleichterung: Alles im Himmel und auf Erden lief genau nach Plan. Sie senkte den Kopf und fing an zu beten. Es war fünf Uhr.
Copyright © 2010 by Danielle Trussoni
Copyright © 2010 der deutschsprachigen Ausgabe bei Droemer Verlag.
Übersetzung:»Rainer Schmidt«
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Autoren-Interview mit Danielle Trussoni
Interview mit Danielle TrussoniWie kam Ihnen die Idee zu Ihrem Roman und was war der Anstoß für den Roman?
Der Roman begann eigentlich mit der Figur Evangeline, einer Franziskanerin im Orden der Ewigen Anbetung. Um zu verstehen, was es heißt, das Leben einer Nonne zu führen, habe ich meine Recherchen direkt vor Ort in einem Kloster durchgeführt. Ich habe mit den Nonnen dort gesprochen und auch einige Tage dort gelebt, um sie in ihrem normalen Tagesablauf beobachten zu können. Eins der täglichen Rituale der Nonnen war die Anbetung – die Nonnen verbringen abwechselnd jede Stunde jedes Tages im Gebet in einer Kapelle vor einem Hostienschrein. Eines Abends saß ich in der Kapelle und beobachtete das Kommen und Gehen der Nonnen bis in die frühen Morgenstunden.
Als ich durch die Flure zu meinem Zimmer zurück ging, stieß ich auf eine Bibliothek. Dort entdeckte ich ein ganzes Regal gefüllt mit Büchern über Engel. Ich begann zu lesen – und am nächsten Morgen hatte ich nicht nur etwas über Evangeline gelernt, sondern wusste ebenfalls, welche Geschichte mein Roman erzählen würde.
Wie sah Ihre Recherche aus?
Die Recherche für den Roman war sehr aufwendig und intensiv. Wie ich bereits erwähnte, suchte ich ein Kloster auf und verbrachte einige Zeit mit den Nonnen dort. Zusätzlich habe ich alles gelesen, was ich über Engel und das offizielle Fach der Engelkunde, ‚Angelologie’ genannt, finden konnte. Ich habe mir ein Exemplar von ‚Das Buch Enoch’ besorgt – und habe es komplett gelesen. Meiner Meinung nach ist dieses Buch entscheidend für das Verständnis vieler Geschichten, die in der Bibel erzählt werden. Nach Lektüre des ‚Buch Enoch’ habe ich Teile der Bibel erneut gelesen.
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Haben Sie sich schon immer für biblische Figuren interessiert?
Nein, in der Vergangenheit habe ich mich nie für biblische Figuren interessiert. Ich bin nicht der Typ, der oft in der Bibel liest oder sich über biblische Geschichten viele Gedanken macht. Genaugenommen habe ich, bevor ich mit diesem Roman begann, die Bibel jahrelang nicht in der Hand gehabt. Doch ich war immer schon von der magischen Ausstrahlung der Bibel fasziniert, und davon, wie sie über die Jahrtausende hinweg Gesellschaften geformt hat.
Sind Sie religiös?
Nein, obwohl ich als Kind fünf Jahre auf eine katholische Schule ging. Ich habe einen großen Teil meiner Jugend in Kirchen zugebracht – meistens tagträumend – und habe viele Stunden damit verbracht, während der Messe Heiligenfiguren und Tafelbilder anzustarren. Und ich erinnere mich, dass mich beim Anblick von Engelsfiguren immer ein Gefühl der Erleichterung überkam. Engelsbilder hatten etwas ganz Besonderes für mich – das goldene Licht, das die Engel stets umgibt, steht im krassen Gegenteil zu den düsteren Kreuzigungsbildern. Bereits damals faszinierte mich die Mischung aus konkreter und geistiger Natur der Engel.
Haben Sie ein besonderes Interesse an Engeln?
Nachdem ich diesen Roman geschrieben und viele Jahre mit Recherchen über das Interesse der Menschheit an Engeln zugebracht habe, betrachte und bewerte ich Engel heute differenzierte als früher. Wenn man sich anschaut, wie Engel heutzutage auf Grußkarten dargestellt oder als Kitsch verkauft werden, dann ist es verständlich, dass die Idee von Engelwesen nicht ernst genommen wird. Es gibt jedoch eine lange Historie von wissenschaftlichen Untersuchungen, die sich der Existenz von Engeln widmet. Die Angelologie war einst ein seriöser Bereich der Theologie, der unter anderem von Thomas von Aquin und vom heiligen Augustinus studiert wurde.
Grundsätzlich ist ein Engel ein Wesen, das in der Lage ist, sich zwischen der realen und der spirituellen Welt zu bewegen. Diese Vorstellung finde ich besonders reizvoll.
Was glauben Sie: Warum sind Engel momentan so beliebt?
Nachdem ich so viel für meinen Roman recherchiert habe, bin ich der Überzeugung, dass Engel schon immer sehr beliebt waren. In fast jeder Religion spielen sie auf die eine oder andere Art und Weise eine Rolle. Und auch Künstler haben Engel immer und immer wieder auf Gemälden oder plastisch dargestellt. Es ist offensichtlich, dass Engel von jeher unsere Phantasie angeregt haben.
Hat die Tatsache, dass Sie teilweise auch in Bulgarien leben, ebenfalls einen Einfluss auf Ihren Roman gehabt?
Ja, auf jeden Fall. Ein Teil meines Romans spielt ja auch im Rhodopen-Gebirge – und nachdem ich dort einige Zeit verbracht habe, fiel es mir leichter, meine Ideen zu formulieren. Das ländliche Bulgarien hat so was angenehm Zurückgezogenes und Abgeschiedenes. Und nachdem ich dort gelebt habe, wusste ich ganz genau, dass ich diese einzigartig mysteriöse Stimmung der Berge unbedingt einfangen wollte.
Warum haben Sie sich für die Leier entschieden als das wichtige Musikinstrument im Kampf zwischen den Angelologen und den Nephilim?
Die Leier ist das Instrument von Orpheus. Ich wollte Orpheus und die verschiedenen Geschichten über ihn – vor allem seine Reise in die Unterwelt – unbedingt in meinen Roman einbinden.
Und nun die letzte Frage: Wie wird es mit Ihrer Heldin Evangeline weitergehen?
Evangeline wird vollkommen in die Welt der Engelslehre und der Angelologen eintauchen. Denn sie ist die Nachfahrin einer Familie von praktizierenden Angelologen und wird immer mehr über ihr Erbe und dessen Auswirkungen auf ihre Berufung herausfinden. Ferner wird sie ihre Beziehung mit Verlaine fortsetzen. Ich habe noch einiges an Dramatik für Evangeline in petto.
Nein, in der Vergangenheit habe ich mich nie für biblische Figuren interessiert. Ich bin nicht der Typ, der oft in der Bibel liest oder sich über biblische Geschichten viele Gedanken macht. Genaugenommen habe ich, bevor ich mit diesem Roman begann, die Bibel jahrelang nicht in der Hand gehabt. Doch ich war immer schon von der magischen Ausstrahlung der Bibel fasziniert, und davon, wie sie über die Jahrtausende hinweg Gesellschaften geformt hat.
Sind Sie religiös?
Nein, obwohl ich als Kind fünf Jahre auf eine katholische Schule ging. Ich habe einen großen Teil meiner Jugend in Kirchen zugebracht – meistens tagträumend – und habe viele Stunden damit verbracht, während der Messe Heiligenfiguren und Tafelbilder anzustarren. Und ich erinnere mich, dass mich beim Anblick von Engelsfiguren immer ein Gefühl der Erleichterung überkam. Engelsbilder hatten etwas ganz Besonderes für mich – das goldene Licht, das die Engel stets umgibt, steht im krassen Gegenteil zu den düsteren Kreuzigungsbildern. Bereits damals faszinierte mich die Mischung aus konkreter und geistiger Natur der Engel.
Haben Sie ein besonderes Interesse an Engeln?
Nachdem ich diesen Roman geschrieben und viele Jahre mit Recherchen über das Interesse der Menschheit an Engeln zugebracht habe, betrachte und bewerte ich Engel heute differenzierte als früher. Wenn man sich anschaut, wie Engel heutzutage auf Grußkarten dargestellt oder als Kitsch verkauft werden, dann ist es verständlich, dass die Idee von Engelwesen nicht ernst genommen wird. Es gibt jedoch eine lange Historie von wissenschaftlichen Untersuchungen, die sich der Existenz von Engeln widmet. Die Angelologie war einst ein seriöser Bereich der Theologie, der unter anderem von Thomas von Aquin und vom heiligen Augustinus studiert wurde.
Grundsätzlich ist ein Engel ein Wesen, das in der Lage ist, sich zwischen der realen und der spirituellen Welt zu bewegen. Diese Vorstellung finde ich besonders reizvoll.
Was glauben Sie: Warum sind Engel momentan so beliebt?
Nachdem ich so viel für meinen Roman recherchiert habe, bin ich der Überzeugung, dass Engel schon immer sehr beliebt waren. In fast jeder Religion spielen sie auf die eine oder andere Art und Weise eine Rolle. Und auch Künstler haben Engel immer und immer wieder auf Gemälden oder plastisch dargestellt. Es ist offensichtlich, dass Engel von jeher unsere Phantasie angeregt haben.
Hat die Tatsache, dass Sie teilweise auch in Bulgarien leben, ebenfalls einen Einfluss auf Ihren Roman gehabt?
Ja, auf jeden Fall. Ein Teil meines Romans spielt ja auch im Rhodopen-Gebirge – und nachdem ich dort einige Zeit verbracht habe, fiel es mir leichter, meine Ideen zu formulieren. Das ländliche Bulgarien hat so was angenehm Zurückgezogenes und Abgeschiedenes. Und nachdem ich dort gelebt habe, wusste ich ganz genau, dass ich diese einzigartig mysteriöse Stimmung der Berge unbedingt einfangen wollte.
Warum haben Sie sich für die Leier entschieden als das wichtige Musikinstrument im Kampf zwischen den Angelologen und den Nephilim?
Die Leier ist das Instrument von Orpheus. Ich wollte Orpheus und die verschiedenen Geschichten über ihn – vor allem seine Reise in die Unterwelt – unbedingt in meinen Roman einbinden.
Und nun die letzte Frage: Wie wird es mit Ihrer Heldin Evangeline weitergehen?
Evangeline wird vollkommen in die Welt der Engelslehre und der Angelologen eintauchen. Denn sie ist die Nachfahrin einer Familie von praktizierenden Angelologen und wird immer mehr über ihr Erbe und dessen Auswirkungen auf ihre Berufung herausfinden. Ferner wird sie ihre Beziehung mit Verlaine fortsetzen. Ich habe noch einiges an Dramatik für Evangeline in petto.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Danielle Trussoni
- 2010, 645 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schmidt, Rainer
- Übersetzer: Rainer Schmidt
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426198789
- ISBN-13: 9783426198780
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