Slumgirl
Wie mein Traum von Hollywood wahr wurde
Rubina Ali stammt aus den Elendsvierteln von Mumbai - und wird für eine Hauptrolle im Kino-Hit ''Slumdog Millionär'' ausgewählt. Damit beginnt für die 9-jährige der märchenhafte Aufstieg vom armen Mädchen aus dem Slum...
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Produktinformationen zu „Slumgirl “
Rubina Ali stammt aus den Elendsvierteln von Mumbai - und wird für eine Hauptrolle im Kino-Hit ''Slumdog Millionär'' ausgewählt. Damit beginnt für die 9-jährige der märchenhafte Aufstieg vom armen Mädchen aus dem Slum zum gefeierten Star. Nun erzählt sie zum ersten Mal die ganze Wahrheit über ihr Leben.
Klappentext zu „Slumgirl “
Für Rubina Ali, ein kleines Mädchen aus den Elendsvierteln von Mumbai,geht ein Traum in Erfüllung: Aus über 1.500 Kindern wird sie für eine Hauptrolle
im Kinofilm Slumdog Millionär ausgewählt. Damit beginnt für die Neunjährige
der märchenhafte Aufstieg vom armen Mädchen aus dem Slum zum
gefeierten Star in Hollywoods Blitzlichtgewitter. Ihre unglaubliche Geschichte
ging um die Welt, nun erzählt sie zum ersten Mal die ganze Wahrheit über
ihr Leben nach Slumdog Millionär.
Für Rubina Ali, ein kleines Mädchen aus den Elendsvierteln von Mumbai, geht ein Traum in Erfüllung: Aus über 1.500 Kindern wird sie für eine Hauptrolle im Kinofilm Slumdog Millionär ausgewählt. Damit beginnt für die Neunjährige der märchenhafte Aufstieg vom armen Mädchen aus dem Slum zum gefeierten Star in Hollywoods Blitzlichtgewitter. Ihre unglaubliche Geschichte ging um die Welt, nun erzählt sie zum ersten Mal die ganze Wahrheit über ihr Leben nach Slumdog Millionär.
Lese-Probe zu „Slumgirl “
Slumgirl – Wie mein Traum von Hollywood wahr wurde von Rubina Ali“Ru-bi-na! As-har! Ay-ush!“
Was ist denn da los, irgendwer ruft in der Ferne, aber ich bin noch ganz benommen von 20 Stunden Flug, und dann dieser Lärm und die vielen Menschen am Flughafen von Mumbai. Jetzt werden die Rufe deutlicher. Kein Zweifel: Sie rufen unsere Namen! Und die Stimmen kommen von draußen. Ich und meine Freunde und Freundinnen, Ayush, Azhar, Tanay, Ashutosh und Tanvi, die alle in dem Film Slumdog Millionär mitgespielt haben, wir alle fragen uns, was das bedeutet.
Wir kommen gerade aus Los Angeles, von der Oscar-Verleihung. Es ist Donnerstag, der 26. Februar, und ich kehre von der ersten Amerikareise meines Lebens zurück. Ich freue mich riesig darauf, meine Familie wiederzusehen, von der ich noch nie so lange getrennt war. Zwar war ich darauf gefasst, dass man uns wie Stars empfangen würde, aber mit so etwas hatte ich nicht gerechnet!
Azhar, dem ebenso wie mir die Tränen in den Augen glitzern, schaut mich an. Er ist genauso aufgeregt wie ich. Auch Ayush ist ganz aus dem Häuschen. Sofort ist alle Müdigkeit verflogen, und ich habe Lust, mit allen zu reden! Schon geht es los, endlich haben wir unser Gepäck gefunden, nun warten wir ungeduldig darauf, hinausgehen zu können.
"Rubiiiiina! Azhaaaaaar!"
"Ayuuuuush! Tanaaaaay!"
Draußen ruft die Menge unsere Namen, laut und immer lauter. Azhar und ich können es gar nicht erwarten, die Leute zu sehen. Gleichzeitig bin ich durch die lauten Rufe und die vielen Polizisten ein wenig eingeschüchtert. Die Leute von der Filmproduktion besprechen sich mit dem Sicherheitspersonal des Flughafens. Polizisten kommen auf uns zu und sagen:
"Geht da jetzt nicht raus, das ist der reine Wahnsinn, da kommt ihr niemals durch."
"Was sollen wir dann machen?" fragt der Größte von
... mehr
uns.
"Wartet ein wenig, bis wir einen Weg gebahnt und Absperrbänder aufgestellt haben, dann kommt ihr sicher durch die Menge."
Die Polizisten scheinen von dem Menschenauflauf ebenso überrascht wie wir. Einer beugt sich herab und flüstert mir ins Ohr: "Das ist unglaublich, Rubina, so einen Empfang habe ich noch nie gesehen, selbst bei großen Stars und Politikern nicht!"
Wie viele sind das denn da draußen? Irgendwo in der Menge werden auch mein Vater und meine ganze Familie stecken. Papa hat mich nicht nach Amerika begleiten können, aber ich weiß, dass er mich abholt. Ich kann es kaum erwarten, alle meine Lieben wiederzusehen, meine Großmutter, meine ältere Schwester und meinen kleinen Bruder. Und vor allem meinen Vater, er hat mir am meisten gefehlt ...
Endlich, man sagt uns, wir könnten jetzt durch die Absperrung gehen. Ein Dutzend Polizisten schreitet voran, die Maschinenpistole gegen die Brust gedrückt. Ayush und ich folgen ihnen. Hinter der großen Glasscheibe ist es schwarz vor Menschen. Ich kneife mich, um mich zu vergewissern, dass das kein Traum ist. All diese Menschen sind wegen mir gekommen, wegen Rubina Ali!
Wow! Das müssen ja Hunderte von Leuten sein! Sie drängeln und treten sich auf die Füße, nur um mich zu sehen. Einige klettern sogar an Pfosten hoch, um nichts von dem Spektakel zu verpassen. Und das Spektakel, das sind wir! Das Sicherheitspersonal hat alle Hände voll zu tun, um die Menge zurückzudrängen. Die meisten sind Journalisten mit riesigen Kameras und langen Mikrofonen.
"Azhaar! Rubiiiina!"
Als wir aus dem Flughafengebäude treten, geht ein Blitzlichtgewitter los. Von allen Seiten versuchen mich Leute anzusprechen, die Menge ist außer Rand und Band. Ayush und ich bleiben dicht bei Tanay, dem Schauspieler, der die Hauptfigur des Films als jungen Teenager verkörpert, weil wir vor lauter Überraschung gar nicht wissen, wo wir hinschauen, wen wir anlächeln oder was wir sagen sollen. Doch Tanay hat nur Augen für seine Großmutter, die eine riesige Papptafel über die Köpfe der Menge hält, auf der in großen Buchstaben geschrieben steht: "WILLKOMMEN TANAY".
"Hier entlang! Und bitte lächeln!"
"Wie war es in Amerika, Rubina? Wen hast du dort getroffen?"
"Rubina, nur einen Augenblick, bitte ..."
All diese Menschen, die uns wie Helden bejubeln, es ist einfach unglaublich! Im Vergleich dazu war die Oscar-Verleihung direkt langweilig. Ich komme mir vor wie in einem Traum: Ich, die ich schon immer Bollywood-Schauspielerin werden wollte, und nun bin ich kaum neun Jahre alt, und der Traum scheint schon Wirklichkeit. Mit der einen Hand drücke ich das Plüschtier an mich, das ich mir in Los Angeles gekauft habe, mit der anderen winke ich den Leuten zu, als sei ich Shah Rukh Khan , der berühmte Schauspieler persönlich! Azhar amüsiert sich königlich, lacht, stößt spitze Freudenschreie aus. Er genießt es offenbar, berühmt zu sein. Dank der Absperrbänder, die man über den Bürgersteig gezogen hat, kommen wir halbwegs ungehindert bis zum Auto, auch wenn die Polizisten alle Hände voll zu tun haben, die Menge zurückzudrängen. Verzweifelt schaue ich mich nach Aba um, meinen Vater. In der Hoffnung, ein bekanntes Gesicht unter all den Menschen zu sehen, stelle ich mich auf die Zehenspitzen, aber ich erkenne niemanden, und nirgends ist Aba.
Einige Fans schaffen es, uns Blumengirlanden umzuhängen, und von allen Seiten werden uns Mikrofone unter die Nase gehalten. Mir macht das gar nichts aus, ich komme mir vor wie ein Star! Als wir die großen Limousinen erreichen, die die Produktionsfirma gemietet hat, um uns nach Hause zu bringen, durchbricht die Menge die Absperrung. Plötzlich herrscht Chaos, Rufe und Schreie kommen von allen Seiten, ich kann nichts mehr verstehen.
Azhar wird in die Luft gehoben, einen Augenblick lang sehe ich ihn nicht mehr. Auf einmal höre ich Aba rufenh:
"Rubina, meri jaan!“ – „Rubina, mein Schatz!"
Das ist mein Vater, der mich an die Brust drückt. Kaum hat er mich entdeckt, da hat er sich auch schon ins Gedränge gestürzt und sich unter Einsatz seiner Ellbogen zu mir durchgearbeitet. Er hat den Polizisten auch gesagt, dass er mein Vater sei, aber die haben ihm in all dem Trubel nicht glauben wollen und ihn nur barsch abgewiesen: "Haan, aaj to sab Rubina ke hona Chahega.“ – „Ja, ja, schon gut ... heute will jeder der Vater von Rubina sein."
Als er mich in seine Arme schließt und mich über die tobende Menge hebt, finde ich mein Lächeln rasch wieder. Im Schutz meines Vaters fühlt sich der Ruhm gleich viel besser an. Mein Vater, der in Begleitung meines Onkels gekommen ist, trägt mich zum Wagen. Jemand öffnet die Tür, und wir klettern alle drei auf die Rückbank des klimatisierten Wagens. Auch durch die geschlossenen Scheiben höre ich noch die Leute rufen. Wie schön es ist, ein Star zu sein!
Im Auto erwartet mich eine Überraschung: Da sind Munni, meine Stiefmutter, Dilshad, meine Tante, und die Schwester meiner Großmutter! Ich falle ihnen um den Hals und überschütte sie mit Küssen, überglücklich, sie wiederzusehen. Ihre Augen sagen deutlich, wie stolz sie auf mich sind, auch wenn sie es nicht laut sagen, und mir wird warm ums Herz. Munni bewundert mein rosa Kleid und befühlt den Stoff: Es ist ganz neu, in Los Angeles gekauft. Meine Jacke ist dunkelblau, passend zu meinen Leggins. Ich sehe wirklich aus wie eine kleine Amerikanerin ... Unbedingt muss ich ihnen alles von der Reise erzählen!
Azhar ist in ein anderes Auto eingestiegen, zusammen mit seiner Mutter. Wir fahren los, obwohl noch immer Hände und Gesichter an den Scheiben kleben. Die Journalisten laufen hinter uns her, bis wir die Straße erreichen, erst dann verklingen die Rufe in der Ferne. Mir schwirrt der Kopf von all dem Trubel, aber ich finde es toll, so viele Fans zu haben. Doch jetzt genieße ich erst einmal die Kühle des klimatisierten Wagens und ruhe mich ein wenig aus. Dazu habe ich nicht lange Gelegenheit, Aba warnt mich schon vor: "Zu Hause erwarten dich auch viele Leute, alles ist voller Journalisten, du wirst es gleich sehen!"
Ein Polizeiauto begleitet den kleinen Konvoi. Doch sobald wir in Bandra, meinem Slum, ankommen, dreht es ab. Ich bin zurück in meinem alten Leben. Wie seltsam, jetzt muss ich wieder in einer Hütte schlafen: Noch vor einigen Tagen habe ich mit Azhar in einem Hotelzimmer, das zehnmal größer als unsere Hütte war, Fangen gespielt. Dass es so große Zimmer überhaupt gibt, habe ich vorher gar nicht gewusst!
Nach all dem Schönen, das ich in Amerika gesehen habe, wo man mich wie eine echte Prinzessin behandelt hat, bin ich nun gar nicht glücklich, wieder in die schmutzigen Straßen des Slums zurückzukehren. Doch zugleich kann ich es kaum erwarten, meine Freunde wiederzusehen und ihnen von all den Stars zu erzählen, die ich auf dem roten Teppich in Hollywood getroffen habe! Azhar geht es sicher genauso. Wir wohnen nicht weit voneinander, wenn ich ihn besuchen will, muss ich nur über die Straße gehen. Eigentlich sind wir genau das, was wir im Film darstellen: Slumkinder, die große Träume haben.
1 Das Mädchen aus dem Slum
Ich heiße Rubina Ali. Wann genau ich geboren bin, weiß ich nicht, auch mein Vater kann es nicht sagen, aber ich bin neun Jahre alt und im Baba-Krankenhaus in Bandra zur Welt gekommen. Mein ganzes Leben habe ich bisher in der Barackenstadt von Bandra Ost verbracht. Das ist genau so ein Slum wie in dem Film Slumdog Millionär: Es riecht nach Urin, nach Safran und nach Frittieröl.
Das Viertel, in dem ich wohne, nennt man hier Garib Nagar, das heißt wörtlich übersetzt "Stadt der Armen". Ich kenne dort jeden Winkel, jedes Versteck. So groß ist die Barackenstadt gar nicht, aber hier leben zehntausend Menschen auf einem Quadratkilometer. Ein Haus zu bauen, ist bei uns das reinste Puzzlespiel, man nimmt einfach alles, was man finden kann, Wellblech, Bretter, Plastikplanen und verbindet es so gut es geht miteinander. Wir müssen jeden Quadratzentimeter Platz ausnutzen. Das Land, auf dem unsere Hütte steht, gehört weder meinem Vater noch meinem Onkel, sondern der Regierung. Trotzdem wohnen hier schon sehr lange Menschen. Das ist die Welt, in der ich lebe. Manchmal ist es ganz schön hart – und ganz bestimmt ist es nicht das Leben eines Stars.
Die Hauptstraße im Slum folgt dem Bahngleis. Dort spielt sich alles ab, dort wimmelt es immer vor Menschen. Wir Kinder spielen zwischen den Mülltonnen oder sammeln den Dreck auf, der zwischen den Gleisen liegt, während die Erwachsenen miteinander schwatzen. Manchmal werden auch große Feste gefeiert. Jede Menge kleine Läden gibt es hier: Friseurläden, Stände, an denen Tee angeboten wird, kleine Bäckereien, eine Hütte, in der man Videospiele machen kann, dazu viele Verkaufsstände direkt an den Gleisen, wo Obst und Gemüse und allerlei Snacks angeboten werden, auch Fleisch, auf dem zwar immer viele Fliegen sitzen, das aber herrlich schmeckt, wenn es einmal gebraten ist. Hier ist immer was los, und hier verbringe ich mit meinen Freunden die meiste Zeit. Weiter im Norden läuft der Slum in ein Brachgelände aus, dort wird der Müll hingekippt, und im Osten ist der Bahnhof für die Vorortzüge von Mumbai.
Mit meinen Freunden und den vielen anderen Kindern spiele ich gerne Fangen und andere Sachen, inmitten von Ziegen, Hühnern und all den Leuten, die nichts zu arbeiten haben und den ganzen Tag in der Sonne sitzen. Nur ganz selten kommt ein Zug durch, dann breitet sich jedes Mal Hektik aus, die Stände werden rasch weggeräumt, die Wäsche von der Leine geholt, alle müssen so rasch wie möglich von den Gleisen verschwinden. Das ist vor allem für die alten Leute gefährlich, die auf der blanken Erde schlafen. Ich habe schon schlimme Unfälle gesehen ...
Der rückwärtige Teil des Slums ist der schlimmste. Hier läuft das ganze Abwasser entlang und bildet einen kleinen, verdreckten Bach, in dem Kothaufen schwimmen. Damit niemand hineintritt, legt man Betonschwellen und Holzbretter darüber. So werden die Füße nicht nass und schmutzig. Dort gibt es auch einen riesigen, mehrere Meter hohen Abfallhaufen voller Schmutz und Fäkalien.
Sobald man die Hauptstraße verlässt und sich in die kleinen Seitengässchen begibt, verläuft man sich in einem Labyrinth aus Wellblechhütten. Hier ist es überall dunkel und feucht. Die Hälfte der schmalen Wege wird von der Abwasserrinne eingenommen, in der schwarzes Wasser schwappt. Alles ist voller Insekten, die Bodenplatten sind meist kaputt, und überall liegt der Kot von Tieren. Man muss höllisch aufpassen, wo man hintritt. Selbst wer daran gewöhnt ist wie ich muss vorsichtig sein. Ich habe schon Kinder ins Abwasser fallen sehen. Was habe ich da gelacht!
Die meisten Leute lassen ihre Tür immer offen stehen. Dann kann man sechs oder sieben Personen in einem fensterlosen Raum sitzen sehen. In den Hütten wird gegessen, geschlafen, hier wäscht man sich. Auch das ist der Slum: Überall wimmelt es von Menschen, auf den Straßen, in den Häusern, einfach überall. Privatleben gibt es nicht, die Menschen leben dicht an dicht. Auch an Ratten, Kakerlaken und Stechmücken fehlt es nirgends.
Als ich noch kleiner war, habe ich mir ganz Mumbai als einen großen Slum vorgestellt, mit Brachflächen und Abwassergräben voll fauligem Wasser. Doch dann begann ich, Serien und Filme auf unserem alten Schwarzweißfernseher zu schauen, und es dämmerte mir, dass es noch ein Leben außerhalb unseres Slums geben muss. Da habe ich angefangen, von einer anderen Welt und einem anderen Leben zu träumen. Bis letztes Jahr bin ich nur zweimal aus Bandra rausgekommen: Einmal zu einer Pilgerfahrt nach Ajmer Sharif in Rajasthan, als ich drei Jahre alt war, und einmal nach Kalkutta in den Slum, aus dem meine Stiefmutter Munni stammt. Das war keine schöne Reise, ihr Slum ist noch schlimmer als unserer. Um wenigstens zeitweise aus meiner Welt zu entkommen, blieb mir also nichts anders übrig, als mir im Fernsehen die herrlichen Häuser anzuschauen, die großen Parks und die Menschen in den wunderschönen Kleidern. Dann bin ins Schwärmen und Träumen geraten: "Woh kya sunder duniya hai!“ – „Was für eine wunderbare Welt!"
"Wartet ein wenig, bis wir einen Weg gebahnt und Absperrbänder aufgestellt haben, dann kommt ihr sicher durch die Menge."
Die Polizisten scheinen von dem Menschenauflauf ebenso überrascht wie wir. Einer beugt sich herab und flüstert mir ins Ohr: "Das ist unglaublich, Rubina, so einen Empfang habe ich noch nie gesehen, selbst bei großen Stars und Politikern nicht!"
Wie viele sind das denn da draußen? Irgendwo in der Menge werden auch mein Vater und meine ganze Familie stecken. Papa hat mich nicht nach Amerika begleiten können, aber ich weiß, dass er mich abholt. Ich kann es kaum erwarten, alle meine Lieben wiederzusehen, meine Großmutter, meine ältere Schwester und meinen kleinen Bruder. Und vor allem meinen Vater, er hat mir am meisten gefehlt ...
Endlich, man sagt uns, wir könnten jetzt durch die Absperrung gehen. Ein Dutzend Polizisten schreitet voran, die Maschinenpistole gegen die Brust gedrückt. Ayush und ich folgen ihnen. Hinter der großen Glasscheibe ist es schwarz vor Menschen. Ich kneife mich, um mich zu vergewissern, dass das kein Traum ist. All diese Menschen sind wegen mir gekommen, wegen Rubina Ali!
Wow! Das müssen ja Hunderte von Leuten sein! Sie drängeln und treten sich auf die Füße, nur um mich zu sehen. Einige klettern sogar an Pfosten hoch, um nichts von dem Spektakel zu verpassen. Und das Spektakel, das sind wir! Das Sicherheitspersonal hat alle Hände voll zu tun, um die Menge zurückzudrängen. Die meisten sind Journalisten mit riesigen Kameras und langen Mikrofonen.
"Azhaar! Rubiiiina!"
Als wir aus dem Flughafengebäude treten, geht ein Blitzlichtgewitter los. Von allen Seiten versuchen mich Leute anzusprechen, die Menge ist außer Rand und Band. Ayush und ich bleiben dicht bei Tanay, dem Schauspieler, der die Hauptfigur des Films als jungen Teenager verkörpert, weil wir vor lauter Überraschung gar nicht wissen, wo wir hinschauen, wen wir anlächeln oder was wir sagen sollen. Doch Tanay hat nur Augen für seine Großmutter, die eine riesige Papptafel über die Köpfe der Menge hält, auf der in großen Buchstaben geschrieben steht: "WILLKOMMEN TANAY".
"Hier entlang! Und bitte lächeln!"
"Wie war es in Amerika, Rubina? Wen hast du dort getroffen?"
"Rubina, nur einen Augenblick, bitte ..."
All diese Menschen, die uns wie Helden bejubeln, es ist einfach unglaublich! Im Vergleich dazu war die Oscar-Verleihung direkt langweilig. Ich komme mir vor wie in einem Traum: Ich, die ich schon immer Bollywood-Schauspielerin werden wollte, und nun bin ich kaum neun Jahre alt, und der Traum scheint schon Wirklichkeit. Mit der einen Hand drücke ich das Plüschtier an mich, das ich mir in Los Angeles gekauft habe, mit der anderen winke ich den Leuten zu, als sei ich Shah Rukh Khan , der berühmte Schauspieler persönlich! Azhar amüsiert sich königlich, lacht, stößt spitze Freudenschreie aus. Er genießt es offenbar, berühmt zu sein. Dank der Absperrbänder, die man über den Bürgersteig gezogen hat, kommen wir halbwegs ungehindert bis zum Auto, auch wenn die Polizisten alle Hände voll zu tun haben, die Menge zurückzudrängen. Verzweifelt schaue ich mich nach Aba um, meinen Vater. In der Hoffnung, ein bekanntes Gesicht unter all den Menschen zu sehen, stelle ich mich auf die Zehenspitzen, aber ich erkenne niemanden, und nirgends ist Aba.
Einige Fans schaffen es, uns Blumengirlanden umzuhängen, und von allen Seiten werden uns Mikrofone unter die Nase gehalten. Mir macht das gar nichts aus, ich komme mir vor wie ein Star! Als wir die großen Limousinen erreichen, die die Produktionsfirma gemietet hat, um uns nach Hause zu bringen, durchbricht die Menge die Absperrung. Plötzlich herrscht Chaos, Rufe und Schreie kommen von allen Seiten, ich kann nichts mehr verstehen.
Azhar wird in die Luft gehoben, einen Augenblick lang sehe ich ihn nicht mehr. Auf einmal höre ich Aba rufenh:
"Rubina, meri jaan!“ – „Rubina, mein Schatz!"
Das ist mein Vater, der mich an die Brust drückt. Kaum hat er mich entdeckt, da hat er sich auch schon ins Gedränge gestürzt und sich unter Einsatz seiner Ellbogen zu mir durchgearbeitet. Er hat den Polizisten auch gesagt, dass er mein Vater sei, aber die haben ihm in all dem Trubel nicht glauben wollen und ihn nur barsch abgewiesen: "Haan, aaj to sab Rubina ke hona Chahega.“ – „Ja, ja, schon gut ... heute will jeder der Vater von Rubina sein."
Als er mich in seine Arme schließt und mich über die tobende Menge hebt, finde ich mein Lächeln rasch wieder. Im Schutz meines Vaters fühlt sich der Ruhm gleich viel besser an. Mein Vater, der in Begleitung meines Onkels gekommen ist, trägt mich zum Wagen. Jemand öffnet die Tür, und wir klettern alle drei auf die Rückbank des klimatisierten Wagens. Auch durch die geschlossenen Scheiben höre ich noch die Leute rufen. Wie schön es ist, ein Star zu sein!
Im Auto erwartet mich eine Überraschung: Da sind Munni, meine Stiefmutter, Dilshad, meine Tante, und die Schwester meiner Großmutter! Ich falle ihnen um den Hals und überschütte sie mit Küssen, überglücklich, sie wiederzusehen. Ihre Augen sagen deutlich, wie stolz sie auf mich sind, auch wenn sie es nicht laut sagen, und mir wird warm ums Herz. Munni bewundert mein rosa Kleid und befühlt den Stoff: Es ist ganz neu, in Los Angeles gekauft. Meine Jacke ist dunkelblau, passend zu meinen Leggins. Ich sehe wirklich aus wie eine kleine Amerikanerin ... Unbedingt muss ich ihnen alles von der Reise erzählen!
Azhar ist in ein anderes Auto eingestiegen, zusammen mit seiner Mutter. Wir fahren los, obwohl noch immer Hände und Gesichter an den Scheiben kleben. Die Journalisten laufen hinter uns her, bis wir die Straße erreichen, erst dann verklingen die Rufe in der Ferne. Mir schwirrt der Kopf von all dem Trubel, aber ich finde es toll, so viele Fans zu haben. Doch jetzt genieße ich erst einmal die Kühle des klimatisierten Wagens und ruhe mich ein wenig aus. Dazu habe ich nicht lange Gelegenheit, Aba warnt mich schon vor: "Zu Hause erwarten dich auch viele Leute, alles ist voller Journalisten, du wirst es gleich sehen!"
Ein Polizeiauto begleitet den kleinen Konvoi. Doch sobald wir in Bandra, meinem Slum, ankommen, dreht es ab. Ich bin zurück in meinem alten Leben. Wie seltsam, jetzt muss ich wieder in einer Hütte schlafen: Noch vor einigen Tagen habe ich mit Azhar in einem Hotelzimmer, das zehnmal größer als unsere Hütte war, Fangen gespielt. Dass es so große Zimmer überhaupt gibt, habe ich vorher gar nicht gewusst!
Nach all dem Schönen, das ich in Amerika gesehen habe, wo man mich wie eine echte Prinzessin behandelt hat, bin ich nun gar nicht glücklich, wieder in die schmutzigen Straßen des Slums zurückzukehren. Doch zugleich kann ich es kaum erwarten, meine Freunde wiederzusehen und ihnen von all den Stars zu erzählen, die ich auf dem roten Teppich in Hollywood getroffen habe! Azhar geht es sicher genauso. Wir wohnen nicht weit voneinander, wenn ich ihn besuchen will, muss ich nur über die Straße gehen. Eigentlich sind wir genau das, was wir im Film darstellen: Slumkinder, die große Träume haben.
1 Das Mädchen aus dem Slum
Ich heiße Rubina Ali. Wann genau ich geboren bin, weiß ich nicht, auch mein Vater kann es nicht sagen, aber ich bin neun Jahre alt und im Baba-Krankenhaus in Bandra zur Welt gekommen. Mein ganzes Leben habe ich bisher in der Barackenstadt von Bandra Ost verbracht. Das ist genau so ein Slum wie in dem Film Slumdog Millionär: Es riecht nach Urin, nach Safran und nach Frittieröl.
Das Viertel, in dem ich wohne, nennt man hier Garib Nagar, das heißt wörtlich übersetzt "Stadt der Armen". Ich kenne dort jeden Winkel, jedes Versteck. So groß ist die Barackenstadt gar nicht, aber hier leben zehntausend Menschen auf einem Quadratkilometer. Ein Haus zu bauen, ist bei uns das reinste Puzzlespiel, man nimmt einfach alles, was man finden kann, Wellblech, Bretter, Plastikplanen und verbindet es so gut es geht miteinander. Wir müssen jeden Quadratzentimeter Platz ausnutzen. Das Land, auf dem unsere Hütte steht, gehört weder meinem Vater noch meinem Onkel, sondern der Regierung. Trotzdem wohnen hier schon sehr lange Menschen. Das ist die Welt, in der ich lebe. Manchmal ist es ganz schön hart – und ganz bestimmt ist es nicht das Leben eines Stars.
Die Hauptstraße im Slum folgt dem Bahngleis. Dort spielt sich alles ab, dort wimmelt es immer vor Menschen. Wir Kinder spielen zwischen den Mülltonnen oder sammeln den Dreck auf, der zwischen den Gleisen liegt, während die Erwachsenen miteinander schwatzen. Manchmal werden auch große Feste gefeiert. Jede Menge kleine Läden gibt es hier: Friseurläden, Stände, an denen Tee angeboten wird, kleine Bäckereien, eine Hütte, in der man Videospiele machen kann, dazu viele Verkaufsstände direkt an den Gleisen, wo Obst und Gemüse und allerlei Snacks angeboten werden, auch Fleisch, auf dem zwar immer viele Fliegen sitzen, das aber herrlich schmeckt, wenn es einmal gebraten ist. Hier ist immer was los, und hier verbringe ich mit meinen Freunden die meiste Zeit. Weiter im Norden läuft der Slum in ein Brachgelände aus, dort wird der Müll hingekippt, und im Osten ist der Bahnhof für die Vorortzüge von Mumbai.
Mit meinen Freunden und den vielen anderen Kindern spiele ich gerne Fangen und andere Sachen, inmitten von Ziegen, Hühnern und all den Leuten, die nichts zu arbeiten haben und den ganzen Tag in der Sonne sitzen. Nur ganz selten kommt ein Zug durch, dann breitet sich jedes Mal Hektik aus, die Stände werden rasch weggeräumt, die Wäsche von der Leine geholt, alle müssen so rasch wie möglich von den Gleisen verschwinden. Das ist vor allem für die alten Leute gefährlich, die auf der blanken Erde schlafen. Ich habe schon schlimme Unfälle gesehen ...
Der rückwärtige Teil des Slums ist der schlimmste. Hier läuft das ganze Abwasser entlang und bildet einen kleinen, verdreckten Bach, in dem Kothaufen schwimmen. Damit niemand hineintritt, legt man Betonschwellen und Holzbretter darüber. So werden die Füße nicht nass und schmutzig. Dort gibt es auch einen riesigen, mehrere Meter hohen Abfallhaufen voller Schmutz und Fäkalien.
Sobald man die Hauptstraße verlässt und sich in die kleinen Seitengässchen begibt, verläuft man sich in einem Labyrinth aus Wellblechhütten. Hier ist es überall dunkel und feucht. Die Hälfte der schmalen Wege wird von der Abwasserrinne eingenommen, in der schwarzes Wasser schwappt. Alles ist voller Insekten, die Bodenplatten sind meist kaputt, und überall liegt der Kot von Tieren. Man muss höllisch aufpassen, wo man hintritt. Selbst wer daran gewöhnt ist wie ich muss vorsichtig sein. Ich habe schon Kinder ins Abwasser fallen sehen. Was habe ich da gelacht!
Die meisten Leute lassen ihre Tür immer offen stehen. Dann kann man sechs oder sieben Personen in einem fensterlosen Raum sitzen sehen. In den Hütten wird gegessen, geschlafen, hier wäscht man sich. Auch das ist der Slum: Überall wimmelt es von Menschen, auf den Straßen, in den Häusern, einfach überall. Privatleben gibt es nicht, die Menschen leben dicht an dicht. Auch an Ratten, Kakerlaken und Stechmücken fehlt es nirgends.
Als ich noch kleiner war, habe ich mir ganz Mumbai als einen großen Slum vorgestellt, mit Brachflächen und Abwassergräben voll fauligem Wasser. Doch dann begann ich, Serien und Filme auf unserem alten Schwarzweißfernseher zu schauen, und es dämmerte mir, dass es noch ein Leben außerhalb unseres Slums geben muss. Da habe ich angefangen, von einer anderen Welt und einem anderen Leben zu träumen. Bis letztes Jahr bin ich nur zweimal aus Bandra rausgekommen: Einmal zu einer Pilgerfahrt nach Ajmer Sharif in Rajasthan, als ich drei Jahre alt war, und einmal nach Kalkutta in den Slum, aus dem meine Stiefmutter Munni stammt. Das war keine schöne Reise, ihr Slum ist noch schlimmer als unserer. Um wenigstens zeitweise aus meiner Welt zu entkommen, blieb mir also nichts anders übrig, als mir im Fernsehen die herrlichen Häuser anzuschauen, die großen Parks und die Menschen in den wunderschönen Kleidern. Dann bin ins Schwärmen und Träumen geraten: "Woh kya sunder duniya hai!“ – „Was für eine wunderbare Welt!"
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Autoren-Porträt von Rubina Ali
Rubina Ali lebt nach wie vor im Slum von Mumbai. Nach Slumdog Millionär hat sie Werbespots sowie einen weiteren Kinofilm gedreht. Sie besucht in Mumbai eine englische Schule, um ihren Traum von einer internationalen Schauspielkarriere eines Tages wahr werden zu lassen. Anne Berthod ist Autorin und Journalistin. Sie hat ein Jahr in Indien verbracht und lebt nun in Paris. Divya Dugar ist Journalistin und lebt in Neu Delhi.
Bibliographische Angaben
- Autor: Rubina Ali
- 2009, 176 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Elisabeth Liebl, Thomas Wollermann, Carolin Müller
- Verlag: Knaur
- ISBN-10: 3426654857
- ISBN-13: 9783426654859
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