100 Stunden
"Ein mitreißender Roman, perfekt in seiner Zusammensetzung."
Elle
Der Top-Thriller: schon über 250.000-malverkauft, in 12 Sprachen übersetzt.
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"Ein mitreißender Roman, perfekt in seiner Zusammensetzung."
Elle
Der Top-Thriller: schon über 250.000-mal verkauft, in 12 Sprachen übersetzt.
Polen, im Frühling 2005: Juliette, Aktivistin in einer Umweltschutzgruppe, befreit Tiere aus einem Versuchslabor. Doch diese vermeintlich harmlose Aktion führt ins Herz eines Komplotts. Eine fanatische Umweltorganisation verfolgt einen mörderischen Plan. Ex-CIA Agent Paul Matisse heftet sich an ihre Fersen. Bis er erfährt, was sie vorhaben, bleiben nur noch hundert Stunden, um die Welt zu retten. Und Juliette muss sich entscheiden, auf welcher Seite sie steht.
Der Goncourt-Preisträger und französische Botschafter im Senegal Jean-Christophe Rufin hat einen mitreißenden Roman geschrieben, dessen packender Sog und literarische Brillanz ganz Frankreich in Erstaunen versetzte.
"Bioterrorismus, Fanatismus und Suspense - ein Roman voller Action und Philosophie."
Le Monde
Der Goncourt-Preisträger und französische Botschafter im Senegal Jean-Christophe Rufin hat einen mitreißenden Roman geschrieben, dessen packender Sog und literarische Brillanz ganz Frankreich in Erstaunen versetzte.
100 Stunden von Jean-Christophe Rufin
LESEPROBE
I
WROC£AW,POLEN
Bis zu denAffen hatte Juliette nichts empfunden. Oder fast nichts. Alles hatte ganz gutangefangen. Das Labor war genau an der von Jonathan genannten Adresse. Und alsJuliette links um das Gebäude ging, entdeckte sie gleich den Notausgang, obwohler nicht beleuchtet war. Unter dem Brecheisen gab das Schloss sofort nach. ImDunkeln ertastete sie mit ausgestrecktem Arm den Sicherungskasten und betätigteden Hauptschalter. Schmerzhaft grelles Neonlicht überflutete dieVersuchstierkäfige.
Die einzigeÜberraschung war der Gestank. Juliette hatte mit allem gerechnet, nur nicht mitdieser widerlichen Mischung aus schmutzigem Fell, Exkrementen und verfaultemObst. Zum Glück ließ der Geruch nach, sobald das Licht an war, als hätte ersich mit den Schatten unter die Käfige verflüchtigt. Juliette brauchte einen Moment,ehe sie normal atmen konnte, dann vergewisserte sie sich, dass ihre Handschuheunversehrt waren.
Und gingauf die Käfige zu.
Jonathanhatte ihr nichts über deren Anordnung sagen können. Je nach Experimentwechselten die Tiere den Platz. Auch ihre Anzahl änderte sich. Manche musstendran glauben und wurden durch neue ersetzt. Je nachdem, was mit ihnen geschehensollte, wurden sie verschiedenen Gruppen zugeteilt. In zwei aufeinandergestelltenKäfigen neben dem weit geöffneten Notausgang saßen mehrere Katzen. Sie schienenin guter Verfassung. Kaum hatte Juliette die Türen geöffnet, sprangen sieheraus und flitzten ins Freie.
AberJuliette kam nicht dazu, sich mit ihnen zu freuen. Ein dumpfer Knall dröhnte inden gipsummantelten Rohrleitungen an der Decke. Juliette lauschte einen Moment.Wieder war alles still. »Nachts ist nie jemand im Labor.«Sie hatte Jonathans Worte noch im Kopf. Um sich zu beruhigen, versuchte sie,sich ihren Klang zu vergegenwärtigen, seinen Atem an ihrem Ohr zu spüren.Allmählich kehrte ihre Zuversicht zurück und war stärker als die Geräusche.
Dann wandtesie sich den Nagern zu. Sie hatte Mäuse erwartet, die sie weniger eklig fandals Ratten. Aber was da in den langen, flachen Käfigen herumwimmelte, war wederweiß noch grau. Es waren Monster. Einige ganz ohne Fell und widerlich rosa,andere grün, orange oder lila markiert. Mehrere Ratten hatten einen glasigen Blick,als hätte man ihre riesigen Augen entfärbt und lackiert. Juliette fragte sicheinen Moment, ob der Platz für solche Geschöpfe wirklich draußen in der Naturwar. Sie stellte sich kleine Mädchen vor, die ihren Schrank aufmachten undplötzlich so ein Ungeheuer vor der Nase hatten. Diese Skrupel überfielen sienicht unerwartet. Während der Vorbereitung der Aktion hatte sie oft mitJonathan darüber gesprochen. Natürlich verstand sie, dass der Schutz der Tierenichts mit ihrer Nützlichkeit für den Menschen zu tun hatte. »Jedes lebendeWesen hat seine Rechte, egal, ob es schön ist oder abstoßend, zahm oder wild,essbar oder nicht.« Die Lektion saß. Julietteschluckte ihren Ekel hinunter und ließ die blinden Ratten wie zuvor die Katzenin der Nacht verschwinden. Sie zwang sich sogar, dieselbe Befriedigung zu empfinden.
Nun aberwaren die Affen an der Reihe. Und sie setzten Juliettes Gefühle einer weithärteren Prüfung aus. Es waren fünf, ganz klein und erstaunlich menschlich inMimik und Blick. Vier waren paarweise eingesperrt und hielten sich umklammertwie alte Ehepaare. Als Juliette den Käfig öffnete, wollten sie nichtherauskommen. Sie dachte daran hineinzugreifen, beherrschte sich jedoch. Wenn dieÄffchen kratzten oder bissen, könnten sie ihren Handschuh zerreißen und sieverletzen. Juliette durfte nicht den geringsten genetischen Abdruckhinterlassen. Sie ließ ihnen Zeit, sich zu entscheiden, und kümmerte sich umdas letzte Tier.
Es war einkleines, mageres Pinseläffchen, das seine langen Arme um den Bauch geschlungenhatte. Der Körper war unversehrt, aber in seinem Kopf steckte ein DutzendElektroden, die wie der Federschmuck eines Indianerhäuptlings aussahen. Kaumwar der Käfig offen, sprang es mechanisch heraus und landete auf demweißgekachelten Fußboden. Dort verharrte es eine Weile und sah nach draußen. Einleichter Wind war aufgekommen, der Elektrodenschmuck wogte in dem Luftzug.Ihren Ekel vor den abstoßenden Nagetieren hatte Juliette überwunden, aber dieSchwäche dieses viel vertrauteren Wesens brachte ihreSicherheit ins Wanken. Schauer liefen über seine zarten Glieder. LangsameWimpernschläge verdeckten hin und wieder die von Schrecken und Schmerzerfüllten Augen. Juliette, die sich weder von der Gefahr noch von Hindernissenoder Geräuschen hatte aufhalten lassen, war erstarrt. Sie beobachtete denletzten Weg dieses Gefangenen, der sich nicht befreien ließ, weil er dieFolterinstrumente in sich trug. Lächerliches Mitleid, keine Frage, Mitleid vorallem mit sich selbst. Aber da war nichts zu machen: Dieser kleine Affeverkörperte all die Einsamkeit, all die Qualen, die sie seit ihrer Kindheit vonsich selbst kannte. Dasselbe Leid, das sie in diesem an den Handgelenken zugeschnürtenSchutzanzug, der schwarzen, erstickenden Sturmmaske und den viel zu großenTurnschuhen hierher getrieben hatte. Juliette verlor jedes Zeitgefühl. Aber dieZeit war entscheidend für den Erfolg der Operation.
Plötzlichraffte der kleine Affe seine Kräfte zusammen und stellte sich auf dieHinterpfoten. Er machte zwei Schritte auf den Ausgang zu, dann fiel er wie ein umgeschubstes Spielzeug auf die Seite. Sein Körper zuckte.Seine Augen schlossen sich - zum Glück! Juliette fühlte sich befreit von dem stummenVorwurf in seinem Blick, schüttelte sich, dachte wieder an die Zeit. Wie lange hattesie so reglos dagestanden? Es war zehn nach drei. Sie bekam Angst. Mit denTieren war sie zwar fertig, aber ihr blieb noch viel zu tun. »Der zweite Teildeiner Mission ist genauso wichtig wie der erste. Vergiss das nicht.« Und alles musste bis vier Uhr erledigt sein.
Sie nahmden Rucksack ab und holte die beiden Spraydosen heraus. An die Wand zwischenden beiden größten Käfigtürmen schrieb sie in einer Höhe von etwa anderthalbMetern die erste Parole in schwarzen Lettern: RespectAnimal Rights!
Sie gingzum Rucksack und nahm die andere Dose. Diesmal schrieb sie in roterSchreibschrift und mit ausgestrecktem Arm, um weiter nach oben zu kommen: Animal Liberation Front. Das machtesie an allen Wänden und vergaß auch nicht, in den oberen LosungenRechtschreibfehler einzubauen, um die Polizei zu verwirren. »Wenn sie glaubensollen, dass wir zu zweit sind, warum kommst du dann nicht mit?« Sie hatte die Frage sofort bereut. Es war das einzige Malgewesen, dass sie Jonathans Anweisungen nicht widerspruchslos hingenommenhatte. Er hatte trocken geantwortet, der Befehl lautete, so wenig Aktivistenwie möglich der Gefahr auszusetzen. Umso besser! Er hätte sie nur gestört, wenner dabei gewesen wäre. Das war ihre Aktion. Und sie wollte sie allein ausführen.
Sie stecktedie Spraydosen wieder in den Rucksack. Alles war ziemlich schnell gegangen.Seit sie das Labor betreten hatte, waren erst dreizehn Minuten verstrichen,aber Alarmbereitschaft und Gefahr hatten ihre Sinne so geschärft, dass ihr dieZeit länger, dichter vorkam. Von Kindheit an war Juliette daran gewöhnt, dassJahre der Langeweile wie Sekunden verflogen. Sie kannte aber auch das Gegenteil:In bestimmten Phasen ihres Lebens konnten sich Sekunden zu Jahren dehnen. Siemochte dieses Gefühl der Fülle, diese Momente der Beschleunigung, aber siehatte auch gelernt, sie zu fürchten. Und sie spürte, dass es wieder mal so weitwar.
Nun kam derletzte Teil. Sie setzte eine große Plastikbrille auf, wie sie Holzfällerverwenden, um sich vor Splittern zu schützen. Mit der rechten Hand umklammertesie den Griff des viereckigen Hammers, den sie aus dem Rucksack gezogen hatte. Dasstählerne Werkzeug war wunderbar schwer. Von jetzt an musste alles in weniger alsdrei Minuten erledigt sein.
Gegenüberdem Eingang befand sich noch eine Glastür. Sie führte zum eigentlichenForschungslabor. Jonathans Anweisungen waren eindeutig: »Nicht lange überlegen.Du schlägst zu und rennst.« Zuerst die Tür. Julietteließ den Hammer gegen das Mattglas sausen. Es zersplitterte beim ersten Schlag und . el wie ein Hagelschauer zu Boden. Sie überzeugte sich,dass die Handschuhe nicht beschädigt waren. Vorsichtig stieg sie über denfunkelnden Scherbenhaufen und betätigte den Schalter. Nacheinander leuchteten dielangen Neonröhren auf und surrten wie Bogensehnen. Wie in allen Labors der Weltwar die Einrichtung eine Mischung aus komplizierten Instrumenten undmenschlicher Intimität: Kinderfotos in schlichten Rahmen, Aktenstapel,Karikaturen an Pinnwänden. Gleich neben der Tür ein Chromatograph mit Säulenwie Orgelpfeifen. »Fang rechts an und mach die Runde.«Juliette hob den Hammer und schlug auf das Gerät ein. Kleine Glassplitter undweißliche Gelosetropfen prasselten auf ihre Brilleund ihre Mütze. Klebriger Saft rann über ihre Handschuhe. Sie war gutgeschützt. Mit der Gefahr überkam sie eine Erregung, die jede Wahrnehmung dämpfte- bis auf die Geräusche: das Splittern von Glas, das Klirren der zu Bodenfallenden Metallstäbe. Die Strömungshaube zersprang auf der Porzellanplatte.Juliette ging methodisch vor, zerstörte alles konsequent und kompetent.»Vergiss den Genanalysator nicht: Er sieht nachnichts aus, wie eine normale Waage, aber das ist das teuerste Ding.« Sie ließ den Hammer auf die glänzende Schale fallen. IhreBewegungen waren weder wütend noch aggressiv. Fast routiniert in ihrerZerstörung. Am meisten wunderte sich Juliette, wie diese kalte Gewalt ihrenGeist befreite. Sie war ganz gelassen und gleichzeitig erregt. Gedanken undErinnerungen überstürzten sich. Sie bewegte sich auf dem schmalen Grat zwischenzwei Abgründen - Lachen oder Weinen -, und wusste nicht, auf welcher Seite sielanden würde. Zum letzten Mal hatte sie so ein Gefühl vor fünf Jahren gehabt,bei einer Demonstration, die in Gewalt ausgeartet war. Sie war gestürzt, unddie Menge hatte sie niedergetrampelt. Sie hörte noch die Schreie, spürte die Tritte.Aber sie lachte schallend, Tränen in den Augen. ( )
© S. FischerVerlag
Übersetzung:Brigitte Große und Claudia Steinitz
- Autor: Jean-Christophe Rufin
- 2008, 557 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Große, Brigitte; Steinitz, Claudia
- Übersetzer: Brigitte Große, Claudia Steinitz
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100685091
- ISBN-13: 9783100685094
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
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