Absturz
Alex Calder ist der aufsteigende Stern bei Bloomfield Weiss. Auf den internationalen Rentenmärkten hat er viele Millionen Pfund für die Investment-Bank verdient. Doch jetzt bekommt er Schwierigkeiten - ausgerechnet durch die einzige Frau in seinem Team. Jennifer Tan leidet unter den anzüglichen Bemerkungen eines Kollegen, des Stars von Bloomfield Weiss. Obwohl ihr Alex zu helfen versucht, stoßen ihre Klagen bei den Bossen auf taube Ohren. Jennifer strengt ein Gerichtsverfahren gegen die Bank an - und stürzt wenig später aus dem Fenster ihrer Wohnung in den Tod. Alex Calder bezweifelt die Selbstmord-Theorie der Polizei. Er bekommt auf schreckliche Weise Recht, als es einen zweiten Toten gibt.
Absturz von Michael Riopath
LESEPROBE
Prolog
Ruhigbeobachtete Alex Calder, Oberleutnant der Royal Air Force, wie der Tornado miteiner Geschwindigkeit von 800 Stundenkilometern in knapp hundert Meter Höheüber die Landschaft von Herefordshire hinwegschoss. Calders linke Hand ruhteauf dem Gashebel, die rechte lag in seinem Schoß. Die Maschine nahm minimaleKorrekturen an Kurs und Höhe vor, die ihr das Geländefolgeradar TFR in derFlugzeugnase vorgab. Grün, golden und braun flogen die sonnenbeschienenen Felderund Äcker unter Calder hinweg, und etwas weiter rechts glitt der einsameSchatten des Tornados über den Boden - ein treuer, geisterhafter Gefährte.
Ein hoherFabrikschornstein kam in Sicht, mit siebzig Meter Höhe überragte er einZementwerk - ein weißer Schandfleck in dieser Landschaft. »Wegepunkt B«,verkündete aus dem hinteren Teil des Cockpits Jacko, der untersetzte Navigatoraus Liverpool. Der Tornado ruckte nach links und folgte den Instruktionen aufder Kassette, die Jacko zuvor im Besprechungszimmer der 13. Schwadron amLuftwaffenstützpunkt Marham einprogrammiert hatte. »Keine Meldung auf demRHWR.«
FünfWegepunkte waren auf die Kassette programmiert, und darüber hinaus rechnetenCalder und Jacko auch noch mit dem Besuch von ein paar Jagdflugzeugen. DerRHWR, der Radarwarnempfänger, würde anzeigen, wenn die Jäger auftauchten undmit ihrem Radar nach dem Tornado Ausschau hielten, natürlich nur, wenn sie eseingeschaltet hatten. Sonst würden sich die Männer auf ihre Augen verlassenmüssen.
Schnellkamen die braunen Flanken der walisischen Hügel näher. Über ihnen lag eineWand aus schiefergrauen Wolken.
»Achtung,Jacko«, warnte Calder, dann ruckelte der Tornado über den ersten Höhenkamm.Trotz fünf Jahren Erfahrung als Navigator litt Jacko noch immer an derLuftkrankheit. Die Bewegungen im hinteren Teil der Maschine wirkten sichverheerend auf seinen Magen aus, besonders im TFR-Flugmodus.
DasFlugzeug gehorchte dem Bordcomputer, wann immer der ihm befahl, einem Hindernisauszuweichen, das sich auf dem Geländefolgeradar zeigte. So hüpfte es überHöhenzüge und fädelte sich durch Täler. Selbst nach einem Jahr im Tornado fieles Calder schwer, dabei nicht manuell einzugreifen.
Es gingüber den Kamm eines baumbestandenen Hügels, und schon lag das erste Ziel vorihnen: der Damm eines lang gezogenen Sees. Calder übernahm das Steuer undnäherte sich der Staumauer mit einem Abstand von rund hundert Metern, damit derLuftbildinterpreter auf dem Stützpunkt das bestmögliche Bild bekam. DasInfrarotvideo des Tornados lief, und als sie über den Damm hinwegflogen, sprachJacko eine Beschreibung des Bauwerks aufs Band. Auf dem Rückflug nach Norfolkwürde er es bearbeiten und direkt nach der Landung zusammen mit den Kommentarenaus dem Cockpit den Luftbildinterpretern übergeben.
Bald hattensie den Damm hinter sich gelassen. Weiter ging es zum nächsten Ziel, tiefer inden walisischen Bergen. Calder liebte diese Art zu fliegen: In hundert MeterHöhe vermittelten die steilen Berghänge das Gefühl des freien Falls. Calderkonzentrierte sich auf die Hügel draußen, die er als kleine grüne Markierungen aufseinem Head-up-Display sah. Nur gelegentlich warf er einen Blick auf dieelektronische Landkarte im Cockpit.
»Hey!Sechzig Grad links!«
Augenblicklichdrückte Calder den Hebel so weit er konnte nach vorn und zog das Flugzeugsechzig Grad nach links. Sein Anti-G-Anzug drückte ihm auf Bauch und Beine, umder Schwerkraft entgegenzuwirken, die durch Drehung und Beschleunigung entstand.Der Tornado flog tief, drehte sich flach an die Berge.
»UnbekanntesObjekt auf vier Uhr, sinkend, zirka fünf Meilen Entfernung.«
Calderschaute kurz auf seinen RHWR und sah die Radarspur des Jagdflugzeugs. Es mussteeine F-3 vom Stützpunkt Coningsby sein. Die Jägervariante des Tornadosversuchte, nah genug heranzukommen, um ihre Wärmesuchrakete abzuschießen. DieF-3 war deutlich schneller als die GR.1A von Calder und Jacko. Über offenemGelände hätten sie keine Chance gehabt, aber in den Bergen konnte es ihnengelingen, das Jagdflugzeug abzuschütteln, ehe es auf die nötige Entfernungherankam, um seine Rakete zu zünden. Bei all den Wundern der modernenElektronik hatte die Wissenschaft noch kein Gerät erfunden, das durch Felsblicken konnte.
»Direkthinter dem Berg da links ist ein Tal, das im rechten Winkel verläuft - dakönnen wir sie abhängen!«, rief Jacko.
Calder zogdas Flugzeug scharf nach links und brachte es zwischen dem Bergkamm und demnächsten Tal immer weiter in Seitenlage. Den höchsten Punkt des Kammes, wo derJäger sie möglicherweise entdecken konnte, versuchte er, so schnell und sotief wie möglich zu passieren. Die Maschine flog jetzt kopfüber; unter Calderschoss das Heidekraut dahin. Dann zog er den Knüppel zurück, die Nase des Jetszeigte nun in Richtung Tal. Die Maschine drehte sich wieder in Normallage. Vorsich erblickte Calder einen mäandernden Fluss, an dessen grünem Ufer Schafegrasten. Eine Straße führte in ein kleines, schiefergraues Dorf mit einerKapelle. Und vor dem Dorf stand ein Flugzeug in der Luft. Ein einmotorigerHochdecker: eine Cessna.
Natürlichstand sie nicht auf der Stelle, es sah nur so aus. Was bedeutete, dass sich diebeiden Flugzeuge auf Kollisionskurs befanden.
»Verdammt,was macht der denn da?«, rief Calder. Es war Wahnsinn, mit einer Zivilmaschineso tief zu fliegen, und hier, mitten auf der Spielwiese der Tornados, war esganz besonders gefährlich. Um ein anderes Flugzeug zu entdecken, es alsmögliches Kollisionsrisiko zu identifizieren, sich für ein Ausweichmanöver zuentscheiden und das Leitwerk entsprechend auszurichten, brauchte der Piloteines Jets zehn Sekunden. Bei einer Geschwindigkeit von knapp 1000Stundenkilometern legte man in zehn Sekunden rund drei Kilometer zurück. DieCessna war nicht mehr als einen Kilometer entfernt.
Calderdrückte den Gashebel nach vorn und zog den Steuerknüppel nach hinten. DieCessna wurde immer größer. Die Nase des Tornados hob sich, aber es war zu spät.Knapp links neben dem Cockpit rammte die Cessna Calders Jet. Er fuhr zusammen.Es gab einen lauten Knall, der Aufprall erschütterte den Tornado.
»Feuer!«,rief Jacko.
Calder sahzur Seite. Es fehlte ein Stück der linken Tragfläche, Flammen umzüngelten dasTriebwerk auf der Backbordseite. Rote Signalleuchten blinkten, Sirenen heulten,der Tornado teilte seiner Besatzung mit, dass etwas nicht stimmte. Das war denbeiden bereits bekannt. Die Hebel in Calders Händen waren nutzlos. Das Flugzeugging wieder in die Horizontale, dann sackte es in den Sinkflug. Das Feuerbreitete sich aus.
Es gab nureine Entscheidung, die man Calder für so einen Fall beigebracht hatte. Ermachte sich bereit.
»Fertig zumAusstieg! Fertig zum Ausstieg!« Calder griff nach dem schwarz-gelben Hebelzwischen seinen Beinen. Die Nase des Tornados neigte sich bereits nach unten.»Drei, zwei, eins ... Eject! Eject!«
Doch in demMoment, als er den Hebel betätigen wollte, blickte Calder hoch. Das Dorf vorihm wurde mit alarmierender Geschwindigkeit größer. Er sah einen asphaltiertenPlatz, über den kleine Gestalten liefen - ein Schulhof. Direkt vor ihm.
Er nahm dieHand vom Hebel und zog den Steuerknüppel kräftig nach hinten. Hinter ihm wurdedas Kabinendach abgesprengt; Jacko schnellte in die Luft. Sofort brauste kalterWind durch das nun offene Cockpit. Der Tornado reagierte nicht auf Calders Steuerbefehle,mit aller Kraft zog er den Knüppel nach hinten, fast hätte er ihnherausgerissen. Dann tat sich etwas, ein bisschen, und wie durch ein Wunder hobsich die Nase des Tornados. Nun zeigte sie statt auf den Schulhof auf eineBergflanke in ungefähr anderthalb Kilometer Entfernung. Noch sechs Sekunden.
ZweiSekunden lang hielt Calder den Knüppel fest, dann war er überzeugt, dass dasFlugzeug nicht ins Dorf stürzen würde. Er riss am Hebel.
Die Gurtestrafften sich. Aber es geschah nichts. Eine halbe Sekunde lang, für Caldereine Ewigkeit, fürchtete er, den Schleudersitz zu spät ausgelöst zu haben.Dann blitzte es hell auf, die Raketen unter seinem Sitz zündeten. DasFixiersystem drückte ihm die Arme in die Seiten. Er wurde emporkatapultiert, inden Luftstrahl des Flugzeugs, eine Wand, die sich mit 800 Stundenkilometern bewegte.Calder hörte eine Explosion, der Tornado schlug auf dem Felsen auf. Dannöffnete sich der kleine Bremsschirm und stoppte Calders trudelnden Fall.
EinenAugenblick später schwebte er am Hauptschirm nach unten. Er spürte ein Zwickenim Rücken. 200 Meterweiter brannte der Tornado. Die Flammen umzüngelten das Schwadronzeichen aufder riesigen Heckflosse, den Kopf eines Luchses. Calder sah zur Schule hinüber,sie war unversehrt. In der Ferne brannte auf einem Feld jenseits des Dorfes einkleineres Feuer. Die Cessna. Der arme Kerl hatte keinen Schleudersitz gehabt,dachte Calder.
Irgendetwasstimmte nicht mit seinem Rücken.
Der steile,felsige Abhang kam auf Calder zugesaust. Da er nach dem Öffnen des Fallschirmslangsam zu Boden geglitten war, kam die Geschwindigkeit, mit der er nunstürzte, sehr überraschend für ihn. Ihm blieb kaum Zeit, die Füße zur Landungzusammenzudrücken. Dann prallte er auf einen Felsen und fiel ins Vergessen.
© Hoffmannund Campe Verlag
Übersetzung:Andrea Fischer
- Autor: Michael Ridpath
- 2006, 1, 429 Seiten, Maße: 14 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Fischer, Andrea
- Übersetzer: Andrea Fischer
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455063187
- ISBN-13: 9783455063189
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