Alles Glück kommt nie
Als Charles Balanda eines Tages einen Brief mit den Worten ''Anouk ist tot'' erhält, ist für ihn nichts mehr wie es war. Anouk war seine große Liebe. Was damals passiert ist, lässt ihn nicht mehr los. Er geht auf Spurensuche. Und...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Weltbild Ausgabe
14.95 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Alles Glück kommt nie “
Als Charles Balanda eines Tages einen Brief mit den Worten ''Anouk ist tot'' erhält, ist für ihn nichts mehr wie es war. Anouk war seine große Liebe. Was damals passiert ist, lässt ihn nicht mehr los. Er geht auf Spurensuche. Und merkt auf einmal, dass er sich ein ganz anderes Leben wünscht.
Ein "Märchen für moderne Menschen."
FAZ
Lese-Probe zu „Alles Glück kommt nie “
Alles Glück kommt nie von Anna GavaldaLESEPROBE
Er hielt sich stets etwas abseits. Dort drüben, ein gutes Stück vom Gitterzaun entfernt, außerhalb unserer Reichweite. Mit fiebrigem Blick, die Arme verschränkt. Mehr als verschränkt, verschlossen, verhakt. Als hätte er Bauchschmerzen oder würde frieren. Als klammerte er sich an sich selbst, um nicht zu fallen.
Er trotzte uns allen, sah jedoch niemanden an. Hielt Ausschau nach einem bestimmten Jungen und presste eine Papiertüte fest an sein Herz.
Darin war ein Schokocroissant, das wusste ich genau und fragte mich jedes Mal, ob es nicht völlig platt gedrückt war, wo er es Ja, daran hielt er sich fest, an der Schulglocke, an der Verachtung der anderen, am Abstecher in die Bäckerei und an den vielen kleinen Fettflecken an seinem Revers, die ebenso vielen unverhofften Medaillen glichen.
Ja„ unverhofften ...
Aber - wie hätte ich das damals wissen können?
Damals flößte er mir Angst ein. Seine Schuhe waren zu spitz, seine Fingernägel zu lang, sein Zeigefinger zu gelb. Seine Lippen zu rot. Sein Mantel zu kurz und viel zu eng.
Seine Augenränder zu dunkel. lind seine Stimme zu seltsam.
Wenn er uns schließlich bemerkte, lächelte er und nahm die Arme auseinander. Bückte sich schweigend, berührte seine Haare, seine Schultern, sein Gesicht. Und während mich meine Mutter fest an sich drückte, zählte ich noch einmal voller Faszination die vielen Ringe an der Wange meines Freundes.
Er hatte einen an jedem Finger. Echte Ringe, schöne, wertvolle, wie meine Großmütter sie hatten. Und immer wandte meine Mutter sich in diesem Moment entsetzt ab, und ich ließ ihre Hand los.
Alexis hingegen nicht. Er entzog sich nie. Hielt ihm mit der einen Hand den Schulranzen hin und schob mit der anderen, der freien, das Schokocroissant in den Mund,
... mehr
während er in Richtung Marktplatz davonging.
Alexis mit seinem Außerirdischen auf hohen Absätzen, seinem Gruselmonster, dem Clown aller Grundschüler, fühlte sich sicherer als ich und wurde mehr geliebt.
Glaubte ich.
Trotzdem hatte ich ihn eines Tages gefragt: »Hm, ist das denn ist das jetzt ein Mann oder eine Frau?»
»Wer?»
»Der die dich abends abholt?»
Er hatte mit den Schultern gezuckt.
Ein Mann natürlich. Den er aber seine Nounou nannte.
Und sie, seine Nounou, hatte zum Beispiel versprochen, ihm Goldknöchelchen zum Spielen mitzubringen, die er gegen eine meiner Kugeln eintauschen würde, wenn ich wollte, oder, Mensch, heute kommt sie zu spät, meine Nounou. Hoffentlich hat sie ihren Schlüssel nicht verloren. Sie verliert nämlich immer alles, weißt du. Sie sagt oft, dass sie irgendwann ihren Kopf bei der Friseuse oder in der Umkleidekabine vom Prisunic vergessen wird, und dann lacht sie und sagt, zum Glück hat sie ihre Beine!
Es ist ein Mann, das siehst du doch.
Was für eine Frage ...
Ich kann mich nicht an seinen Namen erinnern. Dabei war er sehr ausgefallen.
Ein Name, der nach Music-Hall, abgewetztem Samt und kaltem Rauch klang. Ein Name wie Gigi Lamor oder Gino Cherubini oder Rubis Dolorosa oder ...
Ich weiß es nicht mehr, und das macht mich wütend. Ich sitze in einem Flugzeug ans Ende der Welt, ich sollte schlafen, ich muss schlafen. Ich habe sogar Medikamente genommen. Ich habe keine Wahl, sonst werde ich verrecken. Ich habe schon so lange kein Auge mehr zugetan, und ich ...
Ich werde verrecken.
Aber nichts hilft. Weder die Chemie noch der Kummer noch die Erschöpfung. In mehr als dreißigtausend Fuß, in der Leere hier oben, kämpfe ich immer noch wie ein Idiot, stochere in nicht ganz erloschenen Erinnerungen herum. Und je stärker ich in die Glut blase, umso stärker brennen mir die Augen, und je weniger ich sehe, umso mehr gehe ich in die Knie.
Meine Sitznachbarin hat mich schon zweimal gebeten, meine Leselampe auszumachen. Tut mir leid, das geht nicht. Es ist vierzig Jahre her, Madame. Vierzig Jahre, verstehen Sie? Ich brauche Licht, um den Namen dieser alten Transe zu finden. Den genialen Namen, den ich vermutlich vergessen habe, weil ich ihn auch Nounou genannt habe. Und den ich auch vergöttert habe. Weil es bei ihnen so war: Man vergötterte.
Nounou, die eines Abends im Krankenhaus in ihrem zerrütteten Leben aufgetaucht war.
Nounou, die uns verwöhnt, verzogen, verköstigt, vollgestopft, getröstet, entlaust und richtig hypnotisiert hatte, tausendmal verzaubert und wieder vom Zauber befreit. Die uns aus der Hand gelesen, Karten gelegt, ein Leben als Sultan, als König, als Nabob vorhergesagt hatte, ein Leben mit Bernsteinen und Saphiren, mit lässigen Posen und erlesenen Liebschaften, und Nounou, die eines Morgens auf dramatische Weise aus unserem Leben verschwunden war.
So dramatisch, wie es sich gehört. Wie es sich für ihn gehörte. Wie es sich für sie alle gehörte.
Ich aber ... Später. Das erzähle ich später. Ich habe jetzt nicht die Kraft dazu. Und außerdem habe ich keine Lust. Ich will sie jetzt nicht alle wieder verlieren. Noch ein wenig auf dem Rücken meines Resopalelefanten sitzen bleiben, mit dem Küchenmesser im Schurz, mit ihren Fesseln, ihrem Lidschatten und all den Turbanen aus dem berühmten Alhambra.
Ich brauche meinen Schlaf, und ich brauche meine Funzel. Ich brauche alles, was ich unterwegs verloren habe. Alles, was mir gegeben und wieder genommen worden war.
Und was mir verdorben wurde ...
Weil, ja, so war es in ihrer Welt. Das war ihr Gesetz, ihr Credo, ihr Leben als Ungläubige. Man vergötterte, prügelte sich, heulte, tanzte die ganze Nacht hindurch - und alles ging in Flammen auf.
Alles.
Nichts durfte bleiben. Nichts. Niemals. Nada. Von den verbitterten, verkniffenen, verzerrten Mündern, den Betten, der Asche, den verlebten Gesichtern, den Stunden zum Heulen, der jahrelangen Einsamkeit, keine Erinnerungen. Auf keinen Fall. Erinnerungen waren etwas für die anderen.
Die Zaghaften. Die Buchhalter.
»Ihr werdet sehen, Herzchen, die schönsten Feste sind am Morgen vergessen«, sagte er, »die schönsten Feste gibt es während des Fests. Den Morgen gibt es nicht. Der Morgen ist dann, wenn man die erste Metro nimmt und von neuem attakkiert wird.«
Und sie. Sie. Sie sprach unentwegt vom Tod. Unentwegt. Um ihm zu trotzen, das Miststück fertigzumachen. Weil sie wusste, dass wir alle dran glauben müssen ... Ihr Leben bestand darin, dies zu wissen, und darum musste man sich
berühren, sich lieben, trinken, beißen, genießen und alles vergessen.
»Setzt es in Brand, Kinder. Setzt mir alles in Brand.« Das ist ihre Stimme und ich - ich höre sie noch heute. Barbaren.
Er kann das Licht nicht löschen. Auch die Augen nicht schließen. Er wird bald, nein, er ist schon dabei, verrückt zu werden. Er weiß es. Überrascht sich in dem dunklen Fenster und ...
»Alles in Ordnung, Monsieur?«
Eine Stewardess berührt ihn an der Schulter.
Warum habt ihr mich verlassen?
»Alles in Ordnung?«
Er würde ihr gern mit Ja antworten, alles in Ordnung, danke, aber er kann nicht: Er weint.
Endlich.
© Hanser Verlag
Übersetzung: Ina Kronenberger
Alexis mit seinem Außerirdischen auf hohen Absätzen, seinem Gruselmonster, dem Clown aller Grundschüler, fühlte sich sicherer als ich und wurde mehr geliebt.
Glaubte ich.
Trotzdem hatte ich ihn eines Tages gefragt: »Hm, ist das denn ist das jetzt ein Mann oder eine Frau?»
»Wer?»
»Der die dich abends abholt?»
Er hatte mit den Schultern gezuckt.
Ein Mann natürlich. Den er aber seine Nounou nannte.
Und sie, seine Nounou, hatte zum Beispiel versprochen, ihm Goldknöchelchen zum Spielen mitzubringen, die er gegen eine meiner Kugeln eintauschen würde, wenn ich wollte, oder, Mensch, heute kommt sie zu spät, meine Nounou. Hoffentlich hat sie ihren Schlüssel nicht verloren. Sie verliert nämlich immer alles, weißt du. Sie sagt oft, dass sie irgendwann ihren Kopf bei der Friseuse oder in der Umkleidekabine vom Prisunic vergessen wird, und dann lacht sie und sagt, zum Glück hat sie ihre Beine!
Es ist ein Mann, das siehst du doch.
Was für eine Frage ...
Ich kann mich nicht an seinen Namen erinnern. Dabei war er sehr ausgefallen.
Ein Name, der nach Music-Hall, abgewetztem Samt und kaltem Rauch klang. Ein Name wie Gigi Lamor oder Gino Cherubini oder Rubis Dolorosa oder ...
Ich weiß es nicht mehr, und das macht mich wütend. Ich sitze in einem Flugzeug ans Ende der Welt, ich sollte schlafen, ich muss schlafen. Ich habe sogar Medikamente genommen. Ich habe keine Wahl, sonst werde ich verrecken. Ich habe schon so lange kein Auge mehr zugetan, und ich ...
Ich werde verrecken.
Aber nichts hilft. Weder die Chemie noch der Kummer noch die Erschöpfung. In mehr als dreißigtausend Fuß, in der Leere hier oben, kämpfe ich immer noch wie ein Idiot, stochere in nicht ganz erloschenen Erinnerungen herum. Und je stärker ich in die Glut blase, umso stärker brennen mir die Augen, und je weniger ich sehe, umso mehr gehe ich in die Knie.
Meine Sitznachbarin hat mich schon zweimal gebeten, meine Leselampe auszumachen. Tut mir leid, das geht nicht. Es ist vierzig Jahre her, Madame. Vierzig Jahre, verstehen Sie? Ich brauche Licht, um den Namen dieser alten Transe zu finden. Den genialen Namen, den ich vermutlich vergessen habe, weil ich ihn auch Nounou genannt habe. Und den ich auch vergöttert habe. Weil es bei ihnen so war: Man vergötterte.
Nounou, die eines Abends im Krankenhaus in ihrem zerrütteten Leben aufgetaucht war.
Nounou, die uns verwöhnt, verzogen, verköstigt, vollgestopft, getröstet, entlaust und richtig hypnotisiert hatte, tausendmal verzaubert und wieder vom Zauber befreit. Die uns aus der Hand gelesen, Karten gelegt, ein Leben als Sultan, als König, als Nabob vorhergesagt hatte, ein Leben mit Bernsteinen und Saphiren, mit lässigen Posen und erlesenen Liebschaften, und Nounou, die eines Morgens auf dramatische Weise aus unserem Leben verschwunden war.
So dramatisch, wie es sich gehört. Wie es sich für ihn gehörte. Wie es sich für sie alle gehörte.
Ich aber ... Später. Das erzähle ich später. Ich habe jetzt nicht die Kraft dazu. Und außerdem habe ich keine Lust. Ich will sie jetzt nicht alle wieder verlieren. Noch ein wenig auf dem Rücken meines Resopalelefanten sitzen bleiben, mit dem Küchenmesser im Schurz, mit ihren Fesseln, ihrem Lidschatten und all den Turbanen aus dem berühmten Alhambra.
Ich brauche meinen Schlaf, und ich brauche meine Funzel. Ich brauche alles, was ich unterwegs verloren habe. Alles, was mir gegeben und wieder genommen worden war.
Und was mir verdorben wurde ...
Weil, ja, so war es in ihrer Welt. Das war ihr Gesetz, ihr Credo, ihr Leben als Ungläubige. Man vergötterte, prügelte sich, heulte, tanzte die ganze Nacht hindurch - und alles ging in Flammen auf.
Alles.
Nichts durfte bleiben. Nichts. Niemals. Nada. Von den verbitterten, verkniffenen, verzerrten Mündern, den Betten, der Asche, den verlebten Gesichtern, den Stunden zum Heulen, der jahrelangen Einsamkeit, keine Erinnerungen. Auf keinen Fall. Erinnerungen waren etwas für die anderen.
Die Zaghaften. Die Buchhalter.
»Ihr werdet sehen, Herzchen, die schönsten Feste sind am Morgen vergessen«, sagte er, »die schönsten Feste gibt es während des Fests. Den Morgen gibt es nicht. Der Morgen ist dann, wenn man die erste Metro nimmt und von neuem attakkiert wird.«
Und sie. Sie. Sie sprach unentwegt vom Tod. Unentwegt. Um ihm zu trotzen, das Miststück fertigzumachen. Weil sie wusste, dass wir alle dran glauben müssen ... Ihr Leben bestand darin, dies zu wissen, und darum musste man sich
berühren, sich lieben, trinken, beißen, genießen und alles vergessen.
»Setzt es in Brand, Kinder. Setzt mir alles in Brand.« Das ist ihre Stimme und ich - ich höre sie noch heute. Barbaren.
Er kann das Licht nicht löschen. Auch die Augen nicht schließen. Er wird bald, nein, er ist schon dabei, verrückt zu werden. Er weiß es. Überrascht sich in dem dunklen Fenster und ...
»Alles in Ordnung, Monsieur?«
Eine Stewardess berührt ihn an der Schulter.
Warum habt ihr mich verlassen?
»Alles in Ordnung?«
Er würde ihr gern mit Ja antworten, alles in Ordnung, danke, aber er kann nicht: Er weint.
Endlich.
© Hanser Verlag
Übersetzung: Ina Kronenberger
... weniger
Autoren-Porträt von Anna Gavalda
Anna Gavalda, 1970 geboren, ist auf dem Land aufgewachsen, hat in Paris Literatur studiert und wurde mit ihrem ersten Erzählband auf einen Schlag berühmt. Sie lebt mit ihren zwei Kindern bei Paris.Ina Kronenberger, geboren 1965 in der Pfalz, übersetzt aus dem Norwegischen und Französischen, u.a. Per Petterson, Linn Ullmann, Ketil Björnstad, Anna Gavalda, Amin Maalouf und Thomas Gunzig.
Bibliographische Angaben
- Autor: Anna Gavalda
- 605 Seiten, Maße: 12,5 x 20,5 cm, Soft-Cover (Weltbild Reader)
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828994520
- ISBN-13: 9783828994522
Kommentar zu "Alles Glück kommt nie"
0 Gebrauchte Artikel zu „Alles Glück kommt nie“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Alles Glück kommt nie".
Kommentar verfassen