Alles, was wir geben mussten
Ein Speisesaal, ein Sportplatz und getrennte Schlafsäle für Jungen und Mädchen - auf den ersten Blick scheint Hailsham ein ganz gewöhnliches Internat zu sein. Aber die Lehrer, so freundlich und engagiert sie auch sind, heißen hier ''Wächter'' und lassen...
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Ein Speisesaal, ein Sportplatz und getrennte Schlafsäle für Jungen und Mädchen - auf den ersten Blick scheint Hailsham ein ganz gewöhnliches Internat zu sein. Aber die Lehrer, so freundlich und engagiert sie auch sind, heißen hier ''Wächter'' und lassen die Kinder früh spüren, dass ihnen ein besonderes Schicksal auferlegt worden ist.
Diese Gewissheit verbindet Kathy, Ruth und Tommy durch alle Stürme der Pubertät und Verwirrungen der Liebe - bis für zwei von ihnen das Ende naht.
Ein anrührendes und ungewöhnlich spannendes Meisterwerk über Menschen, deren Leben auf beklemmende Weise vorherbestimmt ist.
Ein anrührendes und ungewöhnlich spannendes Meisterwerk über Menschen, deren Leben auf beklemmende Weise vorherbestimmt ist.
Kathy ist einunddreißig Jahre alt und arbeitet als Betreuerin. Wann immer sie durch England fährt und hinter Pappeln ein halb verborgenes Herrenhaus sieht, muss sie an Hailsham denken, das Internat, in dem sie ihre Kindheit und Jugend verbrachte. Unwillkürlich steigen dann in ihr Erinnerungen an Tommy auf, der sich mit trotzigen Wutanfällen gegen die Ausgrenzung durch die Mitschüler wehrte, denen er nicht kreativ genug war. Seine geheimsten Ängste und Wünsche vertraute Tommy immer ihr, Kathy, an, aber eine Liebesbeziehung ging er zunächst mit ihrer besten Freundin ein, mit Ruth.
Sie alle waren damals in Hailsham gut behütet, aber auch vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Die Lehrer erzählten den Kindern, dass sie später "spenden" oder "betreuen" würden, aber was sich hinter diesen Begriffen verbarg, verriet ihnen niemand. Im Unterricht fertigten die Schüler Bilder und Gedichte an, und zweimal im Jahr kam eine Respekt erheischende Dame und sammelte die besten davon für eine Galerie ein, die aber keiner der Schüler je zu Gesicht bekam.
Tommy hatte den Verdacht, dass die Aufseher anhand dieser Artefakte entscheiden wollten, ob zwei Menschen wirklich zueinander passten. Denn nur wirkliche Liebespaare, so hieß es in Hailsham, konnten noch einen Aufschub erhalten, bevor sie "Spender" wurden.
"'Alles, was wir geben mussten' ... ist ein beunruhigendes und klug konstruiertes Buch. Weil den drei Hauptfiguren Kathy, Ruth und Tommy eine so kurze Lebenszeit bestimmt ist, verdichten sich die existentiellen Fragen ... Mit großer Schlichtheit erzählt Ishiguro, der in diesem Jahr für den Booker Prize nominiert war, seine kühle, abgründige Geschichte, die weit mehr ist als ein futuristischer Thriller zum Thema Biogenetik." -- Der Spiegel
"Ishiguro hat eine Metapher für die Ohnmacht der Menschen gefunden. Seine Sprache ist von raffinierter Schlichtheit." -- FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Alles, waswir geben mussten von KazuoIshiguro
LESEPROBE
Ich heiße Kathy H. Ich bin einunddreißig Jahre alt undarbeite inzwischen seit über elf Jahren als Betreuerin. Eine lange Zeit,scheint es, und dennoch soll ich jetzt noch acht Monate weitermachen, bis zumEnde des Jahres. Dann wären es fast genau zwölf Jahre. Dass ich schon so langeBetreuerin bin, liegt nicht unbedingt daran, dass sie meine Arbeit phantastischfinden. Es gibt ausgezeichnete Betreuer, die nach nur zwei oder drei Jahrenaufhören mussten. Und mir fällt mindestens eine Betreuerin ein, die den Jobsogar vierzehn Jahre erledigt hat, obwohl sie eine glatte Fehlbesetzung war.Also will ich mich lieber nicht zu sehr brüsten. Andererseits weiß ich genau,dass sie mit meiner Arbeit zufrieden waren, und im Großen und Ganzen war ichselbst es auch. Meine Spender haben sich fast immer viel besser gehalten alserwartet. Ihre Erholungszeiten waren beeindruckend, und kaum einer wurde als»aufgewühlt« eingestuft, auch nicht vor der vierten Spende. Okay, jetzt fangeich vielleicht doch an zu prahlen. Aber es bedeutet mir wirklich viel, dass ichden Anforderungen meiner Arbeit gewachsen bin, vor allem, dass meine Spender»ruhig« bleiben. Ich habe eine Art Instinkt im Umgang mit ihnen entwickelt, sodass ich genau weiß, wann es besser ist, an ihrer Seite zu sein und sie zutrösten, und wann man sie lieber sich selbst überlässt; wann ich ihnen geduldigzuhören und wann ich bloß mit den Schultern zucken und ihnen raten sollte, sichwieder zu beruhigen.
Jedenfalls bilde ich mir nicht besonders viel auf meine Leistung ein. Ich kenneBetreuer, die bestimmt genauso gut sind wie ich, aber nicht halb so vielAnerkennung erhalten. Falls Sie zu diesen gehören sollten, könnte ich esverstehen, wenn Sie mir manche Annehmlichkeit missgönnen sollten - meinEinzimmerapartment, mein Auto und vor allem die Tatsache, dass ich miraussuchen darf, wen ich betreue. Schließlich bin ich eine ehemaligeHailsham-Kollegiatin - das allein reicht manchmal schon aus, um die Leute gegensich aufzubringen. Kathy H., heißt es, darf sich die Leute aussuchen, und immersucht sie sich ihresgleichen aus: Ehemalige aus Hailsham oder aus einer deranderen privilegierten Einrichtungen. Kein Wunder, dass sie ausgezeichneteErgebnisse vorzuweisen hat. Ich habe es so oft mit eigenen Ohren gehört, dawerden Sie es sicher noch öfter gehört haben, und vielleicht ist ja auch etwasWahres daran. Aber ich bin nicht die Erste, die selbst darüber verfügen darf,wen sie betreut, und ich werde auch nicht die Letzte sein. Überdies habe ichsehr wohl Spender betreut, die an anderen Orten aufgewachsen sind. Wenn ichaufhöre, werde ich immerhin zwölf Jahre hinter mir haben, und wählen durfte icherst in den letzten sechs.
Und warum auch nicht? Betreuer sind keine Maschinen. Natürlich versucht man beijedem Spender sein Bestes zu geben, aber irgendwann zermürbt es einen. Man hateben nicht unendlich viel Kraft und Geduld. Wenn man sich also seine Leuteauswählen kann, zieht man selbstverständlich seinesgleichen vor. Das ist ganznatürlich. Ich hätte diese Arbeit nie und nimmer so lange durchgehalten, hätteich nicht in jeder Phase des Prozesses mit meinen Spendern mitempfunden. Undwenn ich nicht eines Tages angefangen hätte, mir selbst die Leute auszusuchen,die ich betreue, wie wäre ich nach all den Jahren je wieder Ruth und Tommy nahegekommen?
Doch inzwischen schrumpft die Anzahl möglicher Spender, die ich von früher nochpersönlich kenne, so dass die Auswahl gar nicht so groß ist. Wie ich schonsagte, die Arbeit wird sehr viel schwieriger, wenn man nicht eine innigeBeziehung mit dem Spender aufbauen kann, und obwohl es mir auch schwer fallenwird, keine Betreuerin mehr zu sein, ist es schon in Ordnung, dass ich Ende desJahres endlich damit aufhöre.
Übrigens war Ruth erst der dritte oder vierte Fall, den ich mir aussuchendurfte. Ihr war damals schon eine Betreuerin zugewiesen worden, und für michwar es nicht ganz einfach, meinen Willen durchzusetzen. Aber am Ende gelang es mir,und in dem Augenblick, als ich Ruth wiedersah, in diesem Erholungszentrum inDover, fielen unsere vielen Differenzen - auch wenn sie sich nicht gerade inLuft auflösten - weit weniger ins Gewicht als all das Verbindende: zumBeispiel, dass wir miteinander in Hailsham aufgewachsen waren, dass wirErinnerungen teilten, die nur uns gehörten. Ich glaube, in jenen Tagen habe ichdamit angefangen, mir als Spender bewusst Menschen auszusuchen, die ich vonfrüher kannte, vorzugsweise ehemalige Hailsham-Kollegiaten.
Im Laufe der Jahre hat es immer wieder Phasen gegeben, in denen ich Hailsham zuvergessen versuchte und mir vornahm, nicht so oft zurückzublicken. Bis ich anden Punkt gelangte, wo ich aufhörte, dieser Versuchung zu widerstehen. Es hingmit jenem Spender zusammen, für den ich in meinem dritten Jahr als Betreuerinzuständig war; mit seiner Reaktion, als ich erwähnte, ich stamme aus Hailsham.Er hatte gerade seine dritte Spende hinter sich, sie war nicht gut verlaufen,und er muss gewusst haben, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Er konnte kaumatmen, aber er sah mich an und sagte: »Hailsham. Ich wette, es war schön dort.«Am nächsten Morgen, als ich mit ihm plauderte, um ihn abzulenken, und fragte,wo er denn aufgewachsen sei, nannte er einen Ort in Dorset, und sein Gesichtunter den Flecken verzog sich zu einer Grimasse, wie ich sie noch nicht gesehenhatte. Und in dem Moment wurde mir klar, wie verzweifelt er sich bemühte, nichtdaran zu denken. Stattdessen wollte er von Hailsham hören.
Also erzählte ich ihm während der nächsten fünf oder sechs Tage alles, was erwissen wollte, und er lag da, an Geräte und Schläuche angeschlossen, und einsanftes Lächeln stahl sich in sein Gesicht. Er fragte mich nach den großen undden kleinen Dingen. Nach unseren Aufsehern, nach den Schatzkisten unter jedemBett, in denen wir unsere Sammlungen aufbewahrten, nach unseren Fußball- undRounders-Matches, nach dem schmalen Pfad, der rund um das Haupthaus führte unddessen Winkeln und Spalten folgte, nach dem Ententeich, dem Essen, dem Blickaus dem Zeichensaal über die Felder an einem nebligen Morgen. Manches wollte erwieder und wieder hören; gelegentlich fragte er nach Dingen, die ich ihm erstam Vortag erzählt hatte, so als hätte ich sie noch nie erwähnt. »Hattet ihr einenPavillon auf dem Sportplatz?« - »Wer war dein Lieblingsaufseher?« Zuerst hieltich das für eine Folge der Medikamente, aber dann begriff ich, dass ereigentlich ganz klar im Kopf war. Er wollte nicht nur von Hailsham hören,sondern sich an Hailsham erinnern, als wäre es seine eigene Kindheit gewesen.Er wusste, dass er nahe daran war abzuschließen, und anscheinend war das seineArt, damit umzugehen: sich von mir Eindrücke so beschreiben zu lassen, dass sieganz tief eindrangen - vielleicht damit ihm in den schlaflosen Nächten, unterdem Einfluss der Medikamente, der Schmerzen und der Erschöpfung, die Grenzezwischen meinen und seinen Erinnerungen verschwamm. Damals wurde mir zum erstenMal bewusst, wirklich bewusst, wie viel Glück wir gehabt hatten - Tommy, Ruth,ich, wir alle. (...)
© Verlagsgruppe Random House
Übersetzung: Barbara Schaden
- Autor: Kazuo Ishiguro
- 2005, 348 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schaden, Barbara
- Übersetzer: Barbara Schaden
- Verlag: Blessing
- ISBN-10: 3896672339
- ISBN-13: 9783896672339
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Alles, was wir geben mussten".
Kommentar verfassen