Alles Zufall
Wer hätte gedacht, dass der Tesafilm eigentlich ein verunglücktes Heftpflaster ist? Und wäre Alexander Fleming nicht eine Bakterienkultur im Labor verschimmelt, hätte er das Penicillin nicht entdeckt.
Stefan Klein beleuchtet die verschiedenen Seiten des...
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Wer hätte gedacht, dass der Tesafilm eigentlich ein verunglücktes Heftpflaster ist? Und wäre Alexander Fleming nicht eine Bakterienkultur im Labor verschimmelt, hätte er das Penicillin nicht entdeckt.
Stefan Klein beleuchtet die verschiedenen Seiten des Zufalls und macht Mut, zufällige Ereignisse als neue Chancen zu erkennen.
Kennen Sie die einzig sichere Methode, im Spielcasino beim Roulette zu gewinnen? Treffen auch Sie immer wieder Bekannte in den unglaublichsten Situationen? Können Sie sich das Geheimnis der Träume erklären, die bald darauf Wirklichkeit werden? Alles Zufall? In diesem Buch finden Sie die Antworten. Und Sie erfahren, wie Sie sich den Zufall zum Freund machen können.
Alles Zufall von Stefan Klein
LESEPROBE
BarryBagshaw verlor seinen Sohn aus den Augen, als der Junge fünf Jahre alt war.Damals diente Bagshaw als Soldat der britischen Armee in Hongkong. Seine in Englandzurückgebliebene Frau konnte das Alleinsein nicht ertragen. Nach Monaten derEinsamkeit verliebte sie sich in Bagshaws besten Freund und zog mit dem Kindzu ihm. Als Bagshaw nach seiner Rückkehr dort anrief, wollten weder seine Frauund sein Freund noch sein Sohn etwas von ihm wissen. Verbittert brach Bagshawjeden Kontakt zu seiner Familie ab. Als er diesen Schritt nach Jahren bereuteund sich auf die Suche machte, war es zu spät: Er konnte seinen Jungen nichtmehr ausfindig machen.
Währendeines Einsatzes in Nordirland verwundete ihn eine Bombe; Bagshaw musste denArmeedienst quittieren und nahm eine Stelle als Taxifahrer im SeebadBrighton an. Am Abend des 7. August 2001, mehr als drei Jahrzehnte nach derTrennung von seiner Familie, wird er zu einem Motel bestellt. Ein Paar steigtein. In der Dunkelheit kann Bagshaw die Gesichter kaum ausmachen. Nachdem erden Motor angelassen hat, hört er, wie sich die Frau über den ungewöhnlichenNachnamen auf der Taxilizenz wundert. Dann fragt eine männliche Stimme: «IstIhr Vorname Barry?»
Bagshawzögert. «Woher wissen Sie das?» Schweigen. An der nächsten roten Ampel dreht ersich um. Da sitzt ein gedrungener Mann, Mitte dreißig vielleicht: «Mein Vaterhieß so.» «Und Ihre Mutter Patricia.» Der andere nickt. «Sie sind ColinBagshaw.»
«Ja.»
Barrybringt kein Wort mehr heraus. Er fährt weiter. Plötzlich hält er an, läuft umden Wagen, reißt die Autotür auf und umarmt den Fahrgast. «Lass uns etwastrinken gehen.»
In einemPub gehen die beiden die Namen aller Verwandten durch, die ihnen einfallen.Nein, da kann kein Zweifel bestehen: Der Kunde ist Bagshaws verlorener Sohn.Jetzt erst erfährt Barry, dass Colin nach Südafrika ausgewandert und erst vorwenigen Wochen zurückgekehrt ist. In einem Hotel in Brighton hat er Arbeit alsManager gefunden - nur ein paar Straßen vom Haus seines Vaters entfernt, dener für tot hielt. Hat eine Ahnung ihn in diese Stadt geführt? Und vor allem:Wieso schickte die Zentrale unter hunderten anderen an diesem Abend geradeBarrys Taxi zu dem Motel?
AllesZufall? Geschichten wie diese faszinieren uns und hinterlassen uns ratlos. EinWiedersehen wie das von Vater und Sohn Bagshaw, über das sogar die BBCberichtete, ist dermaßen unwahrscheinlich, dass selbst skeptische Zeitgenossenkaum anders können, als dahinter eine höhere Absicht zu vermuten.' Gibt es daeine Macht, die es gut mit uns meint?
Schon derAlltag gibt oft genug Anlass zu solchen Fragen. Die Freundin ruft genau in demMoment an, da man an sie denkt. Menschen werden zusammengeführt, weil der einevon ihnen eine Flaschenpost oder einen Luftballon ausgesandt hat - wie derHamburger Wolfgang Staude, der in der Silvesternacht 2002 an einem gelbenGasballon eine Karte mit seiner Telefonnummer aufsteigen ließ. Hundert Kilometerentfernt ging die Botschaft nieder - ausgerechnet im Apfelbaum eines Freundesaus Kindertagen, zu dem Staude längst den Kontakt verloren hatte.' Und jederLiebende zweifelt ohnehin daran, dass allein der Zufall ihn mit seinem Partnerzusammengebracht hat.
Für BarryBagshaw hatte das Taxi schon einmal sein Leben verändert. Zwei Jahre vor demWiedersehen mit seinem Sohn schickte ihn die Zentrale bei einer Französinvorbei, die zum Flughafen fahren wollte. Die Frau war in Tränen aufgelöst: Siemusste zur Beerdigung ihrer Mutter in die Heimat reisen. Auf den sechzigKilometern nach Gatwick gab ein Wort das andere, und am Ziel verriet sie Bagshawihre Telefonnummer. Als die Dame aus Frankreich zurückgekehrt war, rief er an.Die beiden gingen essen, und nach ein paar gemeinsamen Abenden verloren sie ihrHerz aneinander. Wenig später heirateten sie. Die Jahrzehnte der Einsamkeitsind für Barry Bagshaw vorbei.
«Zufall istdas Pseudonym Gottes, wenn er nicht selbst unterschreiben will», hat der DichterAnatole France einmal behauptet.
Die Willkür des Schicksals
Einen Sinnin dem zu sehen, was uns zustößt, tut uns wohl. Nach einem solchen Halt sehnenwir uns umso mehr, wenn unerklärliche Begebenheiten uns nicht ein freudigesWiedersehen oder Liebesglück bescheren: Zufälle haben auch die Macht, unsereExistenz zu zerstören.
Am Abenddes 10. September 2001 räumt Felix Sanchez sein Büro im Südturm des World TradeCenter. Sein Traum von der Selbständigkeit wird ihm am kommenden Tag das Lebenretten. Sanchez hat seine Arbeit bei der Investmentbank Merrill Lynchgekündigt, um sein Geld fortan als freier Finanzberater für seine Landsleuteaus der Dominikanischen Republik zu verdienen, wie Reporter der New York Times später recherchierten. Die Geschäftelaufen von Anfang an glänzend; genau zehn Wochen später macht er sich auf denWeg in seine Heimat. So besteigt er am 12. November die Morgenmaschine derAmerican Airlines nach Santo Domingo, Flugnummer 587 - das Flugzeug, das gleichnach dem Start über dem New Yorker Stadtteil Queens abstürzt und aus demniemand lebend entkommt.
Unter den258 Passagieren ist auch die Serviererin Hilda Mayor.' An dem Vormittag des 11.September, als die beiden entführten Jets in die Wolkenkratzer rasten, hat siein einem Restaurant im ersten Stock des World Trade Center bedient und ist demInferno entkommen. Nun stirbt auch sie in der Unglücksmaschine nach SantoDomingo - über einer Wohngegend von Queens, in der viele Feuerwehrleute leben.Die Trümmer des Airbus stürzen in die Gärten von Eltern, die ihre Söhne bei denRettungsversuchen des 11. September verloren haben.
Es istschon gespenstisch genug, dass New York binnen weniger Wochen zweimal vonKatastrophen heimgesucht wurde, in denen Flugzeuge eine wichtige Rolle spielten- auch wenn die Ermittlungsbehörden versicherten, Ursache für den Absturz derAmerican-Airlines-Maschine sei ein technisches Versagen gewesen, wie es jederzeitund überall auftreten könne. Dass Menschen wie Sanchez und Mayor aber scheinbardurch ein Wunder von einem Desaster verschont bleiben, nur um kurz daraufeinem anderen zum Opfer zu fallen, übersteigt unsere Vorstellungskraft.
UnseremWesen entspricht es, zielgerichtet zu denken und zu handeln; wir können undwollen nicht glauben, dass sich das Universum so offenkundig sinnlos verhält.Oder sollte der chinesische Philosoph Laotse Recht gehabt haben? «Die Himmelerachten die Menschen als Heuhunde», schrieb er. Zu Zeiten Laotses flochten dieGläubigen Hunde aus Heu und stellten sie vor ihre Altäre, um das Unglückabzuwehren. War das Ritual vorüber, wurden die Heuhunde auf die Straßegeworfen und von den Passanten zertrampelt.
© 2004 derdeutschsprachigen Ausgabe by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
- Autor: Stefan Isidor Klein
- 2005, 4. Aufl., 384 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499615967
- ISBN-13: 9783499615962
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