Als Tom mir den Mond vom Himmel holte
inklusive Postkarte
Sophie ist 34. Kein Grund für sie, nicht verliebt zu sein wie ein Teenie. Nur dumm, dass ihr Traummann Tom nichts so sehr hasst wie Lügen. Und ausgerechnet in einem kleinen Detail hat Sophie ihn - naja - angeschwindelt. Denn Tom denkt, Sophie...
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Produktinformationen zu „Als Tom mir den Mond vom Himmel holte “
Sophie ist 34. Kein Grund für sie, nicht verliebt zu sein wie ein Teenie. Nur dumm, dass ihr Traummann Tom nichts so sehr hasst wie Lügen. Und ausgerechnet in einem kleinen Detail hat Sophie ihn - naja - angeschwindelt. Denn Tom denkt, Sophie sei eine erfolgreiche Karrierefrau. Sophie dagegen schlägt sich ständig mit der lästigen Mitarbeiterin vom Arbeitsamt herum und wohnt in einer WG mit zwei alten Damen. Aber Tom die Wahrheit sagen? Auf gar keinen Fall! Sophie schmiedet also einen Plan: Wenn ihr Leben nicht ihren kleinen Lügen entspricht, dann muss sie die Realität eben an ihren Wunschtraum anpassen. So einfach ist das. Oder doch nicht?
Mit süßem Add-On: Postkarte zum Selberbeschriften. Einfach den Namen Ihres Liebsten einsetzen und schon holt Ihnen Ihr ganz persönlicher ''Tom'' den Mond vom Himmel!
Lese-Probe zu „Als Tom mir den Mond vom Himmel holte “
Als Tom mir den Mond vom Himmel holte von Silke SchützeIch hab’s schon wieder getan. Es war stärker als ich. Dabei versuche ich seit Jahren, es mir abzugewöhnen. Es gelingt mir mittlerweile auch immer häufiger, nicht in Versuchung zu geraten. Aber dann ist es plötzlich wieder da, dieses Verlangen, es zu tun. Es ist vergleichbar mit der Lust auf Schokolade. Nein, stärker … wie die Vorstellung vom erlösenden Kratzen einer juckenden Stelle zwischen den Schulterblättern, an die man nur mit akrobatischen Verrenkungen herankommt. Wenn es mir in diesem Zustand nicht gelingt, mich abzulenken – ich habe sogar schon kalt geduscht, um mich selbst aufzuhalten! –, dann bin ich meiner Gier ausgeliefert.
Was ich dann tue? Ich lüge. Flunkere. Täusche vor. Schlage einen Haken um die Wahrheit. Schon als Kind habe ich mir lieber spannende Geschichten ausgedacht, als einen Tatsachenbericht über meinen langweiligen Schulalltag am heimischen Abendbrottisch abzuliefern. Um eins aber gleich klarzustellen: Ich habe nie zum Vergnügen gelogen. Sondern aus höchst unterschiedlichen Gründen: Weil mir die Wahrheit nicht gefiel. Um die Welt ein bisschen hübscher zu sehen oder um ein klein wenig besser dazustehen. Manchmal auch, um andere nicht zu verletzen. Dieses »Wir können Freunde bleiben« – ist das etwa die Wahrheit? Nun gut, vielleicht ist es auch keine Lüge im klassischen Sinn – aber doch einfach nicht wahr.
Ich habe ein eher entspanntes Verhältnis zu dem, was man »Wahrheit« nennt, weil mir einfach so viel einfällt. Was kann ich für meine Phantasie? Andere sind kurzsichtig oder dick, rothaarig oder haben Haare an den unmöglichsten Stellen – ich habe Phantasie. In meinen Erzählungen wird jeder Unfall blutiger, jede Torte kalorienreicher, jeder Verflossene pickliger. Mit den
... mehr
Jahren habe ich aber gelernt, meine Phantasie etwas in den Griff zu bekommen. Und an meinem momentanen Schlamassel hat sie keine Schuld. Schuld ist Markus.
Ich halte nicht viel vom Heiraten. Vertrauen ist mir wichtiger als ein Trauschein. Schon früh haben meine beste Freundin Özge und ich uns geschworen, keine »MeinMann«-Frauen zu werden. Das sind die, die auf die Frage nach dem eigenen Befinden mit gequältem Lächeln erwidern: »Ach, mein Mann hat so viel zu tun.« Schrecklich, oder? Aber Lotti sagt immer so schön: »Jeder ist seines Glückes Hufschmied.« Sie muss es wissen, sie hat schon sehr viel Leben hinter sich und dabei einiges bewältigt. Markus will also unbedingt diese Hochzeit, mit Kirche, großer Feier und Pipapo. Als evangelischer Pastor muss er Abschied nehmen vom Lotterleben der wilden Ehe, meint er. Wobei ich mich frage, was wild an dieser noch nicht offiziellen Ehe meines Bruders sein soll. Und warum ich zum Pipapo gehören muss – als Trauzeugin nämlich. Als »gutgekleidete« noch dazu.
Warum habe ich nicht einfach nein gesagt? Es ist sowieso eine Frechheit, dass meine Familie mir immer noch etwas vorschreiben will. Mit Mitte dreißig! So wie ich bin, bin ich ihnen wohl nicht gut genug. »Du siehst immer so struppig aus, Fräulein Münchhausen!«, hat Papa grinsend beim letzten Sonntagsbesuch gesagt. »Sollen Mama und ich dir für die Hochzeit etwas Hübsches kaufen?« Vor Schreck fiel mir erst die Kinnlade runter und dann eine Frikadelle von der Gabel. Shoppen mit meinen Eltern? Als ob ich acht Jahre alt wäre? Und dazu noch Fräulein Münchhausen! So hat mich meine Mutter getauft, als sie mich mal wieder beim Flunkern erwischt hatte – in der dritten Klasse! Sie selbst nennt mich nie so, das übernehmen Papa und Markus.
Aber ich will mich nicht herausreden. Ich hätte ja auch ablehnen oder mich auf ihre Kosten neu einkleiden können. Was habe ich getan? Genau: Ich habe ohne nachzudenken gelogen, dass sich die Balken bogen. Lüge Nummer 1: »Vielen Dank. Für die Jobsuche habe ich mich kürzlich nach einem eleganten Kostüm umgesehen und dabei auch für die Hochzeit etwas Großartiges gefunden.«
Lüge Nummer 2: »Ich habe es sogar schon gekauft. Ihr werdet euch wundern.«
Meine Mutter sah mich erstaunt an. »Kannst du dir so etwas denn leisten?«
Wie das so ist, zieht eine Lüge immer weitere Lügen nach sich. Lüge Nummer 3 wurde von mir mit töchterlich bravem Augenaufschlag serviert: »Ich musste schon sparen.«
Mit einer Geste, als trüge ich das edle Stück bereits, strich ich über meinen Körper und vermied es so geschickt, Mama oder Papa in die Augen zu sehen. »Bevor ihr fragt – ich habe Markus nicht angepumpt! Natürlich werde ich jetzt erst einmal auf sehr viel verzichten müssen … aber das ist es mir wert, damit ich euch bei der Hochzeit nicht enttäusche.« Das war der Vernichtungsschlag. Meine lieben Eltern warfen sich betretene Blicke zu, Papa murmelte etwas von »Tut mir leid, wir wollten uns nicht einmischen «, und Mama kräuselte ihre Lippen, wie sie es immer tut, wenn sie sich nicht wohl fühlt.
Nun stehe ich in Lottis und Hedis Wohnzimmer auf dem Tisch und hadere mit meiner großen Klappe, während Özge unter mir den Saum meiner Hose absteckt. Drei öde Sitzungen habe ich schon hinter mir, in denen sie an mir herumgemessen und mysteriöse Zahlen auf einen Block geschrieben hat. Bei unserem letzten Termin bekam ich einen Krampf im Oberschenkel und halluzinierte von einem Express-Shopping mit meiner Mutter.
»Dauert das noch lange?«, frage ich und trete von einem Fuß auf den anderen. »Ja, wenn du weiter so herumzappelst!«, kommt die wenig ermutigende Antwort von unten. Özge und ich kennen uns aus der Schule, seit der fünften Klasse. Meine beste Freundin ist das genaue Gegenteil von mir: Sie ist hübsch und kurvig und mit der schönsten schwarzen Mähne der Welt gesegnet. Ich dagegen bin schlaksig, habe eine nicht nennenswerte Oberweite und sandfarbene Haare, die schon meine Oma als »Sophies Schnittlauchlocken« bezeichnete. Wenn Männer mir ein Kompliment machen wollen, wählen sie meist treffsicher das Wort, das ich am wenigsten hören möchte: apart. Mein Mund ist groß (meine Klappe auch, sagt Markus), meine Haut sommersprossig. Immerhin habe ich sehr schöne grüne Augen. Aber die gucken, wenn naturbelassen, umrahmt von viel zu hellen Wimpern in die Welt. Ein Alptraum für jede Frau. Obwohl ich sonst wirklich nicht eitel bin, lasse ich mir die Wimpern färben. Das muss ich unbedingt auch noch vor der Hochzeit machen. Wenn ich das Ganze nur schon hinter mir hätte! »Möchtet ihr einen Kaffee?« Hedi steht in der Tür. Von hinten hören wir Lotti rufen: »Ja, gerne!« Hedi schüttelt ihre grauen Haare und klopft mit dem Zeigefinger an ihre Schläfe. Sie schreit zurück: »Ich habe die Mädchen gefragt.« Hinter ihr taucht im Korridor Lottis weißer Lockenkopf auf. Sie lacht. »Das ist mir doch egal. Ich hätte trotzdem gern einen Kaffee.«
Özge und ich tauschen einen amüsierten Blick. Die beiden alten Damen sehen aber auch zu komisch aus, wie sie da in identischen Küchenschürzen stehen. »Seid ihr beim Frühjahrsputz?«, fragt Özge.
Lotti lacht. »Nein, ich habe Hedi verpflichtet, beim Silberputzen zu helfen! Wir schenken den Kindern zur Hochzeit die Serviettenringe von meiner Großtante.« Sie begutachtet kritisch Özges Werk. »Die Hose sieht großartig aus. Aber das Oberteil, ich weiß nicht.«
»Das Oberteil ist nur ein T-Shirt von mir«, stelle ich richtig.
»Was sagst du?« Hedi schüttelt den Kopf. »Dass ihr bei dieser Lärmbelästigung überhaupt etwas zustande bekommt ... « Damit spielt sie auf die durchdringende Stimme unserer dänischen Nachbarin Ulla an, die schon den ganzen Vormittag singt. Weil sie Opernsängerin ist, tut sie das jeden Tag. Weil sie gut singt, finde ich das nicht störend. Und weil sie nett ist, sowieso nicht. Nur wenn ihre Yorkshire-Terrier Rigoletto, Lohengrin und Tosca wieder einmal einen ihrer Kläffanfälle haben, verfluche ich die dünnen Wände. »Ich find es ganz hübsch«, verteidige ich Ulla, und einen Moment hören wir alle ihrem gefühlvollen Geschmetter zu.
»Das ist Lehár ... «, diagnostiziert Hedi fachmännisch.
Özge und ich gucken verständnislos. »Ein Operettenkomponist. Das war vor eurer Zeit. Was Ulla da singt, ist aus Land des Lächelns. Sie hat mir erzählt, dass sie ein Operettenprogramm erarbeitet.« Und wie auf ein Stichwort stimmen die beiden Damen nun ein: »Wer hat die Liebe uns ins Herz gesenkt?« Das entspricht zwar musikalisch nicht meinem Geschmack, aber romantisch klingt es schon. »Wenigstens hat sie mit diesem ewigen italienischen Rumgejammer aufgehört. Ein Operettenprogramm ist doch mal was anderes«, resümiert Lotti. »Jetzt gibt’s aber erst mal Kaffee.« Sie schiebt Hedi sanft in Richtung Küche. Dabei ruft sie über die Schulter: »Ich schäume heiße Milch auf. Mögt ihr Macchiato?«
Lotti und Hedi sind zwar beide über siebzig, aber sie stehen noch mitten im Leben. Was vielleicht daran liegt, dass sie in Hamburg unweit des Schanzenviertels auch mitten im Leben wohnen. Ich bin vor drei Jahren bei ihnen eingezogen. Hedi und Lotti waren Freundinnen meiner Oma, die leider im letzten Herbst gestorben ist. Die drei kannten einander ein Leben lang und sind mit über sechzig zusammengezogen, weil Hedi ihre halbe Altbauetage zu groß war und die Männer von Oma und Lotti gestorben sind. Als ich aus meiner Wohnung ausziehen musste, weil das Geld von der Agentur für Arbeit hinten und vorne nicht langte, hatte Oma die Idee, dass ich zu ihnen ins Gästezimmer kommen sollte. Trotzdem wohne ich jetzt nicht etwa im Altenheim. Ab einem bestimmten Alter ist es gleichgültig, wie alt man ist. Hauptsache, man versteht sich. Lotti, Hedi und ich haben eine richtig nette WG. Es ist schön, dass meistens jemand zu Hause ist, dass wir morgens oft gemeinsam frühstücken und dass ich einfach mal einen Kaffee angeboten bekomme. Ich erledige dafür alle anfallenden Arbeiten, die die beiden nicht mehr schaffen, und einiges mehr. Zurzeit sieht das Wohnzimmer daher wie eine Baustelle aus: Ich habe mir vorgenommen, den alten Stuck aufzufrischen. So etwas kann ich nämlich. Dübeln, sägen, tapezieren, ich habe sogar schon mal eine Wand gefliest. Was ich nicht kann, ist stillstehen – deswegen fange ich schon wieder an zu zappeln. »Bist du bald fertig? Wie sehe ich aus?«
Özge richtet sich auf und begutachtet kritisch, aber zufrieden ihr Werk. »Gar nicht so schlecht, meine Süße. Die Hose sitzt sehr gut, ich muss da nur noch einmal drübernähen. Los, zieh das T-Shirt aus. « Sie wirft mir eine weiße Bluse mit langen Manschetten, großen grünen Knöpfen und einem tiefen Ausschnitt zu, die ich mir irgendwie um den Leib wickeln muss. Özge sieht meinem Treiben kopfschüttelnd zu. »Herrje, Sophie, ich kann doch an eine Designer-Bluse keinen Klettverschluss machen. Komm mal runter, so wird das nichts!« Sie hilft mir vom Tisch und zieht mich an wie eine Mutter ihr Kind. Und wie ein Kind fange ich auch schon an zu betteln: »Darf ich jetzt gucken?«
© Knaur Verlag
Ich halte nicht viel vom Heiraten. Vertrauen ist mir wichtiger als ein Trauschein. Schon früh haben meine beste Freundin Özge und ich uns geschworen, keine »MeinMann«-Frauen zu werden. Das sind die, die auf die Frage nach dem eigenen Befinden mit gequältem Lächeln erwidern: »Ach, mein Mann hat so viel zu tun.« Schrecklich, oder? Aber Lotti sagt immer so schön: »Jeder ist seines Glückes Hufschmied.« Sie muss es wissen, sie hat schon sehr viel Leben hinter sich und dabei einiges bewältigt. Markus will also unbedingt diese Hochzeit, mit Kirche, großer Feier und Pipapo. Als evangelischer Pastor muss er Abschied nehmen vom Lotterleben der wilden Ehe, meint er. Wobei ich mich frage, was wild an dieser noch nicht offiziellen Ehe meines Bruders sein soll. Und warum ich zum Pipapo gehören muss – als Trauzeugin nämlich. Als »gutgekleidete« noch dazu.
Warum habe ich nicht einfach nein gesagt? Es ist sowieso eine Frechheit, dass meine Familie mir immer noch etwas vorschreiben will. Mit Mitte dreißig! So wie ich bin, bin ich ihnen wohl nicht gut genug. »Du siehst immer so struppig aus, Fräulein Münchhausen!«, hat Papa grinsend beim letzten Sonntagsbesuch gesagt. »Sollen Mama und ich dir für die Hochzeit etwas Hübsches kaufen?« Vor Schreck fiel mir erst die Kinnlade runter und dann eine Frikadelle von der Gabel. Shoppen mit meinen Eltern? Als ob ich acht Jahre alt wäre? Und dazu noch Fräulein Münchhausen! So hat mich meine Mutter getauft, als sie mich mal wieder beim Flunkern erwischt hatte – in der dritten Klasse! Sie selbst nennt mich nie so, das übernehmen Papa und Markus.
Aber ich will mich nicht herausreden. Ich hätte ja auch ablehnen oder mich auf ihre Kosten neu einkleiden können. Was habe ich getan? Genau: Ich habe ohne nachzudenken gelogen, dass sich die Balken bogen. Lüge Nummer 1: »Vielen Dank. Für die Jobsuche habe ich mich kürzlich nach einem eleganten Kostüm umgesehen und dabei auch für die Hochzeit etwas Großartiges gefunden.«
Lüge Nummer 2: »Ich habe es sogar schon gekauft. Ihr werdet euch wundern.«
Meine Mutter sah mich erstaunt an. »Kannst du dir so etwas denn leisten?«
Wie das so ist, zieht eine Lüge immer weitere Lügen nach sich. Lüge Nummer 3 wurde von mir mit töchterlich bravem Augenaufschlag serviert: »Ich musste schon sparen.«
Mit einer Geste, als trüge ich das edle Stück bereits, strich ich über meinen Körper und vermied es so geschickt, Mama oder Papa in die Augen zu sehen. »Bevor ihr fragt – ich habe Markus nicht angepumpt! Natürlich werde ich jetzt erst einmal auf sehr viel verzichten müssen … aber das ist es mir wert, damit ich euch bei der Hochzeit nicht enttäusche.« Das war der Vernichtungsschlag. Meine lieben Eltern warfen sich betretene Blicke zu, Papa murmelte etwas von »Tut mir leid, wir wollten uns nicht einmischen «, und Mama kräuselte ihre Lippen, wie sie es immer tut, wenn sie sich nicht wohl fühlt.
Nun stehe ich in Lottis und Hedis Wohnzimmer auf dem Tisch und hadere mit meiner großen Klappe, während Özge unter mir den Saum meiner Hose absteckt. Drei öde Sitzungen habe ich schon hinter mir, in denen sie an mir herumgemessen und mysteriöse Zahlen auf einen Block geschrieben hat. Bei unserem letzten Termin bekam ich einen Krampf im Oberschenkel und halluzinierte von einem Express-Shopping mit meiner Mutter.
»Dauert das noch lange?«, frage ich und trete von einem Fuß auf den anderen. »Ja, wenn du weiter so herumzappelst!«, kommt die wenig ermutigende Antwort von unten. Özge und ich kennen uns aus der Schule, seit der fünften Klasse. Meine beste Freundin ist das genaue Gegenteil von mir: Sie ist hübsch und kurvig und mit der schönsten schwarzen Mähne der Welt gesegnet. Ich dagegen bin schlaksig, habe eine nicht nennenswerte Oberweite und sandfarbene Haare, die schon meine Oma als »Sophies Schnittlauchlocken« bezeichnete. Wenn Männer mir ein Kompliment machen wollen, wählen sie meist treffsicher das Wort, das ich am wenigsten hören möchte: apart. Mein Mund ist groß (meine Klappe auch, sagt Markus), meine Haut sommersprossig. Immerhin habe ich sehr schöne grüne Augen. Aber die gucken, wenn naturbelassen, umrahmt von viel zu hellen Wimpern in die Welt. Ein Alptraum für jede Frau. Obwohl ich sonst wirklich nicht eitel bin, lasse ich mir die Wimpern färben. Das muss ich unbedingt auch noch vor der Hochzeit machen. Wenn ich das Ganze nur schon hinter mir hätte! »Möchtet ihr einen Kaffee?« Hedi steht in der Tür. Von hinten hören wir Lotti rufen: »Ja, gerne!« Hedi schüttelt ihre grauen Haare und klopft mit dem Zeigefinger an ihre Schläfe. Sie schreit zurück: »Ich habe die Mädchen gefragt.« Hinter ihr taucht im Korridor Lottis weißer Lockenkopf auf. Sie lacht. »Das ist mir doch egal. Ich hätte trotzdem gern einen Kaffee.«
Özge und ich tauschen einen amüsierten Blick. Die beiden alten Damen sehen aber auch zu komisch aus, wie sie da in identischen Küchenschürzen stehen. »Seid ihr beim Frühjahrsputz?«, fragt Özge.
Lotti lacht. »Nein, ich habe Hedi verpflichtet, beim Silberputzen zu helfen! Wir schenken den Kindern zur Hochzeit die Serviettenringe von meiner Großtante.« Sie begutachtet kritisch Özges Werk. »Die Hose sieht großartig aus. Aber das Oberteil, ich weiß nicht.«
»Das Oberteil ist nur ein T-Shirt von mir«, stelle ich richtig.
»Was sagst du?« Hedi schüttelt den Kopf. »Dass ihr bei dieser Lärmbelästigung überhaupt etwas zustande bekommt ... « Damit spielt sie auf die durchdringende Stimme unserer dänischen Nachbarin Ulla an, die schon den ganzen Vormittag singt. Weil sie Opernsängerin ist, tut sie das jeden Tag. Weil sie gut singt, finde ich das nicht störend. Und weil sie nett ist, sowieso nicht. Nur wenn ihre Yorkshire-Terrier Rigoletto, Lohengrin und Tosca wieder einmal einen ihrer Kläffanfälle haben, verfluche ich die dünnen Wände. »Ich find es ganz hübsch«, verteidige ich Ulla, und einen Moment hören wir alle ihrem gefühlvollen Geschmetter zu.
»Das ist Lehár ... «, diagnostiziert Hedi fachmännisch.
Özge und ich gucken verständnislos. »Ein Operettenkomponist. Das war vor eurer Zeit. Was Ulla da singt, ist aus Land des Lächelns. Sie hat mir erzählt, dass sie ein Operettenprogramm erarbeitet.« Und wie auf ein Stichwort stimmen die beiden Damen nun ein: »Wer hat die Liebe uns ins Herz gesenkt?« Das entspricht zwar musikalisch nicht meinem Geschmack, aber romantisch klingt es schon. »Wenigstens hat sie mit diesem ewigen italienischen Rumgejammer aufgehört. Ein Operettenprogramm ist doch mal was anderes«, resümiert Lotti. »Jetzt gibt’s aber erst mal Kaffee.« Sie schiebt Hedi sanft in Richtung Küche. Dabei ruft sie über die Schulter: »Ich schäume heiße Milch auf. Mögt ihr Macchiato?«
Lotti und Hedi sind zwar beide über siebzig, aber sie stehen noch mitten im Leben. Was vielleicht daran liegt, dass sie in Hamburg unweit des Schanzenviertels auch mitten im Leben wohnen. Ich bin vor drei Jahren bei ihnen eingezogen. Hedi und Lotti waren Freundinnen meiner Oma, die leider im letzten Herbst gestorben ist. Die drei kannten einander ein Leben lang und sind mit über sechzig zusammengezogen, weil Hedi ihre halbe Altbauetage zu groß war und die Männer von Oma und Lotti gestorben sind. Als ich aus meiner Wohnung ausziehen musste, weil das Geld von der Agentur für Arbeit hinten und vorne nicht langte, hatte Oma die Idee, dass ich zu ihnen ins Gästezimmer kommen sollte. Trotzdem wohne ich jetzt nicht etwa im Altenheim. Ab einem bestimmten Alter ist es gleichgültig, wie alt man ist. Hauptsache, man versteht sich. Lotti, Hedi und ich haben eine richtig nette WG. Es ist schön, dass meistens jemand zu Hause ist, dass wir morgens oft gemeinsam frühstücken und dass ich einfach mal einen Kaffee angeboten bekomme. Ich erledige dafür alle anfallenden Arbeiten, die die beiden nicht mehr schaffen, und einiges mehr. Zurzeit sieht das Wohnzimmer daher wie eine Baustelle aus: Ich habe mir vorgenommen, den alten Stuck aufzufrischen. So etwas kann ich nämlich. Dübeln, sägen, tapezieren, ich habe sogar schon mal eine Wand gefliest. Was ich nicht kann, ist stillstehen – deswegen fange ich schon wieder an zu zappeln. »Bist du bald fertig? Wie sehe ich aus?«
Özge richtet sich auf und begutachtet kritisch, aber zufrieden ihr Werk. »Gar nicht so schlecht, meine Süße. Die Hose sitzt sehr gut, ich muss da nur noch einmal drübernähen. Los, zieh das T-Shirt aus. « Sie wirft mir eine weiße Bluse mit langen Manschetten, großen grünen Knöpfen und einem tiefen Ausschnitt zu, die ich mir irgendwie um den Leib wickeln muss. Özge sieht meinem Treiben kopfschüttelnd zu. »Herrje, Sophie, ich kann doch an eine Designer-Bluse keinen Klettverschluss machen. Komm mal runter, so wird das nichts!« Sie hilft mir vom Tisch und zieht mich an wie eine Mutter ihr Kind. Und wie ein Kind fange ich auch schon an zu betteln: »Darf ich jetzt gucken?«
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Autoren-Porträt von Silke Schütze
Silke Schütze, geboren 1961, selbstständig als Autorin und Journalistin nach ihrer Zeit als Chefredakteurin bei der Filmzeitschrift "cinema". Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Silke Schütze
- 351 Seiten, Maße: 13 x 19 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828994652
- ISBN-13: 9783828994652
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