Am Anfang war die Liebe
''Der lebende Beweis dafür, dass Talent vererbbar ist.''
Booklist über Robin Pilcher, dem Sohn von Rosamunde Pilcher.
Am Anfang war die Liebe von Robin Pilcher
LESEPROBE
Ein Vorgeschmack auf den Frühling. Genau sokonnte man es beschreiben. Allerdings hatte es nichts mit den Schlagzeilen derModemagazine zu tun, in denen die neue Frühjahrskollektion vorgestellt wurde.Hier handelte es sich um Geschmack im wahrsten Sinne des Wortes, darum, dassdie Natur alle Sinne durchdrang - mit dem herben Duft der frisch umgepflügtenErde, begleitet von dem salzigen Prickeln, das der kühle Wind von der Nordsee herübertrug. Liz Dewhurst lehntesich gegen den morschen Strommast am Rand des Feldes und schloss die Augen. Miteinem tiefen Atemzug versuchte sie, so viel wie möglich von dem köstlichen Duftin sich aufzunehmen. Es lag noch eine andere Note in der Luft, aber sie kam ihreigenartig fremd vor, als ob sie zu diesem sorgfältig zusammengestellten Rezeptnicht passte. Sie öffnete die Augen und entdeckte den großen John Deere-Traktor, der fünfzig Meter von ihr entferntvorbeifuhr. Das Dröhnen des Sechszylinders wurde von dem leiseren Geräusch derSaatscharen begleitet, die wie tausend Stricknadeln klapperten, während sieihre vorgegebene Menge Gerste an die fruchtbare, dunkle Erde abgaben.
Liz Dewhurst lächelteleise und machte sich wieder auf den Weg. Dieselgestank. Das war es. Ihre süßeAndacht war jäh von den Errungenschaften der technologischen Entwicklunggestört worden.
»Komm, Leckie!«, rief sic, schob den Henkel ihres Korbes höher auf denArm und blickte sich nach ihrem Jack-Russell-Terrier um. Wie der Korken auseiner Champagnerflasche kam er aus dem Gebüsch auf dem Hügel gesprungen und sahsie an, ein kleines Kraftpaket, das abwägte, ob esihr gehorchen oder sich lieber weiter der Freude des Herurntollenswidmen sollte.
Aber beim Klang ihrer Stimme besann er sichrasch. Heute war wohl eher Gehorsam angebracht. Wie der Blitz sauste der Hundauf sein Frauchen zu und lief dann voraus aufs Feld.
Liz folgte ihm his zur Mitte des Feldes, wobeisie hoffte, dass der John Deere wieder an ihrvorbeikommen würde, aber nachdem er am Ende der Furche gewendet hatte,verstummte der Motor. Auf einmal wurde es ganz still und nur noch diemelodischen Klänge aus dem Radio in der Fahrerkabine waren zu hören.
Als Liz am Traktor ankam, verzehrte Bert bereitssein Mittagessen, wobei er abwechselnd von seinem Sandwich abbiss und Tee auseiner Plastiktasse trank. Der alte Mann hatte die Frau kommen sehen und stießdie Tür auf. Der süße Duft von Pfeifentabak wehte Liz entgegen.
»Hallo, Bert.«
»Nun?«, entgegnete Bert- seine übliche Begrüßungsfloskel.
Liz drehte sich um und betrachtete die saubergezogenen Saatfurchen. »Wie läuft's?«
Geräuschvoll schlürfte Bert seinen Tee, bevor erantwortete: »Der Traktor läuft gut, aber die Maschine hinten dran ist Mist, dieverteilt die Saat nicht gut.«
Liz lächelte den alten Mann an. Sie hatte ihreganzen siebenunddreißig Lebensjahre hier an der Ostküste von Fife verlebt und war stolz auf ihre schottischen Wurzelnund ihre singende Aussprache. Manchmal fragte sie sich jedoch, ob sie und Bertwohl aus dem gleichen Land kamen, so breit war sein Akzent. Er stammte ausAberdeen und wenn er sprach, klang es, als habe er die Worte gründlichdurchgekaut, bevor er sie in einem unverständlichen Schwall hervorstieß.Allerdings waren die Verständnisschwierigkeiten nicht nur einseitig. Auf der Ceilidh, zu der ihr Vater anlässlich Bertsfünfundzwanzigjähriger Zugehörigkeit zum Hof eingeladen hatte, war derTraktorfahrer schwankend aufgestanden, ein Glas Whisky in der Hand, der sodunkel war wie der Torf, mit dessen Hilfe er hergestellt wurde, und hatteerklärt, dass »er und der Bauer es nur so lange miteinander ausgehalten haben,weil keiner von uns auch nur ein einziges Wort von dem verstanden hat, was derandere sagt«.
Liz bückte sich und ergriff eine Hand voll Erde.Vorsichtig zerrieb sie sie zwischen den Fingern und ließ sie wieder zu Bodenkrümeln. »Wenigstens sind die Bedingungen perfekt. Ich glaube, sie waren seitJahren nicht mehr so gut.«
Bert lehnte sich auf seinem Sitz zurück. »Ja,das kann man wohl sagen.«
Liz blickte zu dem alten Fordsonhinüber, der am Feldrand parkte. »Sie wissen nicht zufällig, wo mein Vater ist?«
»Doch. Kurz bevor Sie kamen, ist er zumAbflussgraben gegangen.« Er gab ein kehliges Kichernvon sich. »Wahrscheinlich will er auf den Felsen ein bisschen in der Sonne liegen.«
Liz lachte. »Ja, wahrscheinlich.« Kopfschüttelndmerkte sie, dass auch sie unwillkürlich in den breiten Dialekt verfallen war.»Gut. Ich mache mich dann mal auf den Weg zu ihm. Ich habe nämlich seinMittagessen dabei.«
Sie klopfte auf den Korb, aber der Traktorfahrerhatte die Tür zu seiner Kabine schon wieder geschlossen, um sich weiter seinemeigenen Mittagessen zu widmen.
Liz schritt zügig aus, um ihren Vater noch amAbflussgraben anzutreffen, bevor er sich auf den Rückweg machte. Plötzlichbemerkte sie auf dem anliegenden Feld einen grellen Lichtreflex - vermutlichein Sonnenstrahl, der auf Metall traf - und blieb stehen. In der Ferne erkanntesie zwei Gestalten, die auf dem offenen Feld etwa zweihundert Meter voneinanderentfernt standen. Ihre glänzenden grünen Mäntel hoben sich deutlich von derdunklen Fläche des Meeres im Hintergrund ab. Einer hielt einen langen, weißenStab senkrecht in die Höhe und schwenkte ihn, entsprechenden Handbewegungen desanderen folgend, mal in die eine, mal in die andere Richtung. Zwischendurchbeugte er sich immer wieder über ein Vermessungsgerät, das offenbar denLichtreflex abgegeben hatte. Der Anblick dieser eigentlich harmlosen Tätigkeitlöste in Liz eine seltsame Vorahnung aus. Sie sah den beiden noch einen Momentlang zu, dann packte sie ihren Korb fester und begann, über den unbearbeitetenAcker davonzulaufen, als könne sie so dem, was die Landvermesser dort taten,entkommen. Erst als sie sicher war, dass die Männer sie nicht mehr sehenkonnten, verlangsamte sie ihren Schritt.
Der Abflussgraben führte zum Meer und war vondichten, wild wachsenden Rotdornsträuchern überwuchert, deren Wurzeln vonKaninchen freigelegt worden waren und wie arthritische Gliedmaßen aus der Erderagten. Im Graben war es feucht und dunkel, und obwohl es in der letzten Zeitnicht geregnet hatte, standen immer noch ein paar braune Wasserpfützen dort.Liz folgte dem Pfad dort, wo er am trockensten war, und achtete darauf, dasssich ihre Haare nicht in den stacheligen Zweigen des Rotdorns verfingen.Gleichzeitig behielt sie den Jack Russell im Auge, für den Fall, dass er sichplötzlich entschloss, in einem der verlockenden Kaninchengänge zu verschwinden.
Liz war froh, als sie am Ende des Abflussgrabenswieder in das helle Sonnenlicht treten konnte, und kletterte den überhängendenVulkanfelsen hinauf, von dem aus man die Küste gut überblicken konnte. Hieroben wehte ein eisiger Wind, der jetzt zusätzlich die Feuchtigkeit der tosendenWellen mit sich trug. Liz zog den Reißverschluss ihrer Daunenjacke bis zum Halszu und schob sich eine Strähne ihres kurzen, blonden Haares aus dem Gesicht.Der Hund, der in dieser neuen, geruchlosen Umgebung vergeblich nach etwasInteressantem schnüffelte, jaulte plötzlich auf. Offenbar hatte er Liz' Vaterentdeckt, denn er rannte in Richtung der einsamen Gestalt, die in ungefährfünfzig Metern Entfernung stand und aufs Meer blickte. Liz folgte dem Tier mitvorsichtigen Schritten, denn ihre Stiefel waren für diese Gegend nicht geradedas geeignete Schuhwerk.
Obwohler durch den Hund schon auf das Erscheinen seiner Tochter vorbereitet war,blickte der Bauer weiter wie gebannt auf das Meer. Er hatte den Kragen seinerJacke zum Schutz gegen den Wind hochgeschlagen und trug eine zerknautschteTweedkappe auf dem Kopf. Den Hund hatte er auf den Arm genommen und ihm dieSchnauze zugehalten, um seiner freudig-nassen Begrüßung zu entgehen.
© Heyne Verlag
Aus dem Englischen von Margarethe van Pée
- Autor: Robin Pilcher
- 2004, Neuausg., 429 Seiten, Maße: 11,9 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Margarethe van Pee
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3453870158
- ISBN-13: 9783453870154
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