Andy und Marwa
Jürgen Todenhöfer ist den...
Jürgen Todenhöfer ist den Lebensgeschichten der beiden nachgegangen. Er erzählt mit deren Schicksalen gleichzeitig die Geschichte von Millionen von Opfern des Irak-Krieges. Die Geschichte, die die menschenverachtende Politik der Mächtigen dieser Welt nicht kennen will.
Jürgen Todenhöfer finanziert mit den Honoraren seiner Bücher ein Heim für kriegsversehrte Kinder in Kabul und ein Ausbildungszentrum für Straßenkinder in Bagdad.
Marwa, ein Mädchen aus einem Armenviertel Bagdads, ist zwölf Jahre alt, Andy, ein Schüler aus Florida, ist achtzehn, als der Krieg im Irak ihre Träume zerstört...
Wie schon in seinem bewegenden Buch »Wer weint schon um Abdul und Tanaya?« erzählt Jürgen Todenhöfer Weltgeschichte aus Sicht der Opfer. Er verbindet das Leben von Andy und Marwa, die 12.000 Kilometer voneinander entfernt aufwachsen, zu einem Schicksal. Für beide sind die Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 noch ein fernes Ereignis. Sie ahnen nicht, dass an diesem Tag die Weichen ihres Lebens neu gestellt werden. Marwa träumt davon, Ärztin zu werden und eines Tages ihre Familie aus dem Elend herauszuholen. Andy hat sich als Reservist bei den Marines verpflichtet, um deren Training mitzumachen und nebenher etwas Geld zu verdienen. Als der Irak-Krieg heraufzieht, wird seine Einheit nach Kuwait verlegt.
Am 7. April, dem Schicksalstag der beiden, steht Andys Einheit vor den Toren Bagdads, nur noch wenige Kilometer von Marwa entfernt, deren Stadtteil bislang verschont wurde, weil es dort nichts mehr zu zerstören gab. Eine irakische Granate, die Andy aus seinem Panzerwagen schleudert, und eine amerikanische Splitterbombe, die Marwas Bein zerfetzt und ihre kleine Schwester tötet, beenden die Träume der beiden am selben Tag.
Die Geschichte zweier junger Menschen erzählt als Plädoyer gegen den Krieg, gegen das sinnlose Sterben und für eine Politik der Menschlichkeit. Jürgen Todenhöfer ist überzeugt: Das Sterben wird nur enden, wenn die Kulturen sich gegenseitig respektieren.
Andy und Marwa von Jürgen Todenhöfer
LESEPROBE
Das Leben eines Kindes ist mehr wertals der Kriegsruhm aller
Staatschefs der Welt zusammen.
Politisches Vorwort
Dies ist kein Buch über die großenAkteure der Weltpolitik.
Im Vordergrund stehen nicht deramerikanische
Präsident oder der britischePremierminister, Saddam
Hussein oder Bin Laden. ImVordergrund stehen zwei
einfache junge Menschen, deren Lebensich durch die
Entscheidungen der Großen dramatischverändert hat,
Andy und Marwa.Das Buch erzählt Weltgeschichte aus
der Sicht der Opfer. Es konfrontiertdie Politiker mit
dem, was Krieg wirklich ist.
Ich möchte mit dem Buch erreichen,dass die Politiker
wissen, was sie tun, wenn sie ihreTruppen mit pathetischen
Worten in den Krieg schicken. Ichmöchte, dass
sie erfahren, was ihre inSchreibstuben entworfenen
Strategien für amerikanische undirakische Kinder wie
Andy und Marwabedeuten. Ich möchte mithelfen, dass
der Westen sich nie wieder verleitenlässt, einen derart
sinnlosen, völkerrechtswidrigenKrieg zu führen wie den
Krieg gegen den Irak.
Mein Buch ist ein Plädoyer für eineandere, menschlichere
Außenpolitik. Nicht nur aus Gründender Moral,
sondern auch aus Gründen derVernunft. Unser Erfolgsrezept
im Ost-West-Konflikt hie߻Gerechtigkeit und
Stärke«. Die USA standen in denJahren des Kalten
Krieges politisch, wirtschaftlichund sozial in faszinierender
Weise für Gerechtigkeit. Ihrstärkstes Argument,
unser stärkstes Argument, waren dieMenschenrechte.
Die Menschenrechte, und nicht dieWaffen, haben die
Auseinandersetzung mit derSowjetunion zu unseren
Gunsten entschieden. Die NATO musstenicht einen
einzigen Schuss abgeben.
Gerechtigkeit und Stärke werden auchim 21. Jahrhundert
über den Erfolg unserer Außenpolitikentscheiden.
Stärke, weil der Schwache in dieserWelt keine
Chance hat, seine Ziele zurealisieren. Gerechtigkeit, weil
Macht ohne Gerechtigkeit immer denKern des Untergangs
in sich trägt. Bloße Macht züchtetsich ihre eigenen
Feinde - Todfeinde, wie wir seit dem11. September
2001 wissen.
Terrorismus wächst dort, wo krasseUngerechtigkeit
und Hoffnungslosigkeit herrschen.Solange der Nahost-
Konflikt nicht fair gelöst ist -fair für Israel, aber auch
fair für die Palästinenser -,solange die Golfstaaten als
Hinterhof der USA missbrauchtwerden, solange wir die
Muslime im Irak und anderswo alsMenschen zweiter
Klasse behandeln, werden ständigneue Generationen
von Terroristen nachwachsen.Perspektivlosigkeit führt
zu Hass und Gewalt.
Wenn wir den internationalenTerrorismus überwinden
und wirklichen Frieden herstellenwollen, müssen
wir radikal umdenken. Natürlichmüssen wir den Terrorismus
mit Härte bekämpfen. Aber besiegen,dauerhaft
überwinden werden wir ihn nur, wennwir der muslimischen
Welt Gerechtigkeit entgegenbringen.
Ein arabisches Sprichwort sagt:»Eine Stunde Gerechtigkeit
bringt mehr als zehn Jahre Krieg.«Diese Weisheit
müssen auch wir beherzigen. Wirmüssen in Menschlichkeit
und Gerechtigkeit mindestens genausoviel investieren
wie in Waffen. Nur dann wird unsereZivilisation
überleben. Nur dann hat sie esverdient zu überleben.
Die Führer der muslimischen Weltjedoch müssen lauter
und deutlicher ihre Stimme gegen denfanatisch-fundamentalistischen
Terrorismus erheben. Er ist nichtnur
der gefährlichste Feind des Westens,sondern auch der
Todfeind der muslimischen Kultur undihrer Werte. Die
meisten Führer der muslimischen Welthaben viel zu
lange geschwiegen, aus Angst, selbstins Fadenkreuz der
Terroristen zu geraten. Orient undOkzident können den
Kampf gegen den Terrorismus nurgemeinsam gewinnen.
Der Westen muss vor allem in vierPunkten umdenken:
1. Wirmüssen anderen Kulturen, anderen Religionen,
anderen Völkern mehr Respektentgegenbringen.
Muslime, Hindus, Buddhisten sindgenauso
viel wert wie Christen und Juden.Asiaten oder
Afrikaner genauso viel wieAmerikaner oder Europäer.
Es gibt im Westen einen massivenRassismus gegenüber
den Menschen der Dritten Welt, einenRassismus, der nur
aus Gründen »politischer Korrektheit« nicht offen zugegeben wird.
Dieser rassistische Überlegenheitskomplex ist nicht nur unmoralisch,
er ist auch unklug. Nur wer andere respektiert, wird selbst
respektiert.
© Verlagsgruppe Random House
Interview mit Jürgen Todenhöfer
Ihr Buchgibt dem Krieg ein Gesicht. Es dokumentiert das Schicksal zweier Kinder bzw.junger Erwachsener, die aus verschiedenen Welten kommen. Was möchten Sie anihrem Beispiel zeigen?
Ich möchte zeigen, was der Irakkrieg für die Opfer bedeutet,für irakische Kinder, die von westlichen Bomben verstümmelt wurden, aber auchfür junge amerikanische Reservisten, die man in einen völkerrechtswidrigenAngriffskrieg geschickt hat. Ich möchte das wahre Gesicht des Krieges zeigen. Fürmich ist das Schicksal von Andy und Marwa viel wichtiger als der Kriegsruhm vonGeorge W. Bush oder Tony Blair.
Siezitieren aus den Briefen, die Andy von der Front schrieb. Er unterzeichnete siezum Beispiel als "Held wider Willen". Wie konnte es dazu kommen, dass dieserblutjunge Mann, eigentlich nur ein Reservist, an die vorderste Front kam?
Andy war ein Sonnyboy und Clown, dessenLieblingsbeschäftigung es war, andere Menschen zum Lachen zu bringen. Er warerst 17, als er in einer amerikanischen Zeitschrift eine Anzeige der Marinesfand. Jedem, der auf diese Anzeige antwortete, wurde ein Paar kostenloseGewichtheberhandschuhe versprochen. Andy war begeisterter Sportler und wollteunbedingt die kostenlosen Sporthandschuhe.
Statt der Handschuhe bekam Andy den Besuch eines Anwerbers,der ihm die Legende der amerikanischen Elitetruppe Marines erzählte und von demspannenden Training sprach, das man dort als Reservist bekomme, ein Training,das nur die Besten durchstehen würden. Und da Frieden war - all das spieltesich im Juni 2001 ab, also einige Monate vor den Anschlägen auf das World TradeCenter -, unterschrieb Andy.
Ein Jahr später, sofort nach seinem Abitur, begann Andyseine sechs Monate dauernden Reserveübungen abzuleisten. Doch dann begann derIrakkrieg und Andy wurde in den Irak an die vorderste Front geschickt. Andy warvöllig überrascht. Er hatte bis zuletzt gehofft, wenn überhaupt, dann in einerVersorgungseinheit eingesetzt zu werden. Am 7. April wurde er vor den Toren vonBagdad von einer Granate zerfetzt. Seine Kameraden nannten ihn einen Helden,aber Andy wollte nie ein Held sein.
Wieempfanden Sie die Begegnung mit der kleinen Marwa, die ein Bein durch eineamerikanische Splitterbombe verloren hat?
Immer wenn ich Marwa sehe, bin ich tief traurig. Das Mädchenhat in seinem Leben nie Glück gehabt. Es lebte in Sabah Qusur, dem ärmstenVorort von Bagdad, verlor kurz nach dem 11. September seinen Vater durch einenArbeitsunfall und hatte nur noch einen Traum: Sie wollte Ärztin werden und ihreFamilie aus dem Elend von Sabah Qusur herausholen.
Der Krieg hat sie und ihre sechs Geschwister völligverschreckt. Bei jedem Bombeneinschlag in Bagdad zitterte auch in Sabah Qusurdie Erde. Am 7. April, als die amerikanischen Truppen vor Bagdad standen,hoffte sie, dass bald alles vorbei sein würde. Doch plötzlich wurde ihr Viertelvon amerikanischen Bombern angegriffen. Eine Splitterbombe zerfetzte ihrrechtes Bein, tötete ihre kleine Schwester Azra und zerstörte alle ihre Träume- am gleichen Tag, an dem Andy starb. Ich fühle mich gegenüber Marwa immermitschuldig. Wir alle hätten im Westen noch mehr tun müssen, um diesenWahnsinnskrieg zu verhindern.
Auf IhrenRecherchereisen, während derer Sie die Eltern des gefallenen amerikanischenSoldaten Andy und das im Irakkrieg schwer verletzte Mädchen Marwa besuchten,waren auch Ihre Kinder dabei. Wie haben sie diese Reisen erlebt?
Meine Kinder waren zweimal vor dem Krieg mit mir in Bagdad,wir waren nach dem Afghanistankrieg gemeinsam in Kabul und mein Sohn hat michzu den Eltern Andys begleitet. Die Reisen haben meine Kinder völlig verändert.Sie haben erlebt, dass es neben unserer heilen Welt noch eine Welt des totalenElends, der Not und des Leidens gibt. Meine Kinder konnten sich, als wir inBagdad waren, nicht vorstellen, dass die stärkste Militärmacht der Welt, diesesausgelaugte, ausgehungerte, am Boden liegende Land angreifen würde.
Auch ich habe übrigens durch die Anwesenheit meiner Kinderviel gelernt. Ich habe durch sie den Irak und Afghanistan nicht nur mit denAugen eines Erwachsenen gesehen, sondern auch mit den Augen junger Menschen.
Sieschreiben im Vorwort Ihres Buches vom Rassismus des Westens. Was genau meinenSie damit? Und welche Folgen hat dieser Rassismus?
Ich glaube, dass wir im Westen - auch wenn wir das nichtzugeben - noch immer unter einem latenten Rassismus leiden, dass wir denken,das Leben eines Europäers oder Amerikaners sei mehr wert als das Leben einesArabers, Afrikaners oder anderer Menschen der Dritten Welt. Ein Beispiel: DieAngehörigen der Opfer des 11. September erhielten durchschnittlich 3,1 MillionDollar pro Person, die Angehörigen eines getöteten amerikanischen Soldatenerhalten 100.000 Dollar, die Angehörigen eines außerhalb von Kampfhandlungengetöteten irakischen Zivilisten erhalten von der amerikanischen Regierungmaximal 2.500 Dollar - wenn überhaupt. Das sagt doch alles über unserenÜberlegenheitskomplex.
DieEinnahmen aus Ihren erfolgreichen Büchern, auch das Honorar für "Andy undMarwa", werden für wohltätige Zwecke gespendet. Welche Projekte genauunterstützen Sie?
Mit dem Honorar meines Buches "Wer weint schon um Abdul undTanaya?" baue ich zusammen mit einigen anderen Spendern ein Kinderheim in Kabulund zusammen mit UNICEF ein Ausbildungszentrum für Straßenkinder in Bagdad. DieArbeiten in Kabul werden noch dieses Jahr abgeschlossen, in Bagdad konnteUNICEF wegen der angespannten Sicherheitslage leider noch nicht beginnen. Ichhoffe aber, dass es auch dort bald losgeht.
Mit meinem Honorar für das Buch "Andy und Marwa" möchte ichein weiteres Heim für Straßenkinder bauen, vielleicht in Indonesien - und wennganz viele Menschen mein Buch kaufen, vielleicht noch ein viertes Kinderheim ineinem anderen Land.
Ich spende in jedem Fall jeden Euro meines Honorars fürkaritative Zwecke, und ich stelle vertraglich sicher, dass das Geld nicht indie Verwaltung, sondern direkt in die Projekte geht. Außerdem habe ich für dieKinder, die ich in meinen beiden Büchern beschreibe, also zum Beispiel fürTanaya und Marwa, Sonderkonten angelegt, mit denen ich ihre Ausbildungfinanziere.
Die Fragenstellte Mathias Voigt, Literaturtest.
- Autor: Jürgen Todenhöfer
- 2005, 189 Seiten, 28 farbige Abbildungen, Maße: 14 x 22,5 cm, Leinen, Deutsch
- Verlag: C. Bertelsmann
- ISBN-10: 3570008592
- ISBN-13: 9783570008591
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
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