Angelica
Roman
Der Feind in meinem eigenen Haus: Im viktorianischen England darf eine kleine Verkäuferin zwar einen Mann aus besseren Kreisen heiraten, ohne einen gesellschaftlichen Fauxpas zu begehen Schwäche zeigen darf sie aber niemals. Das lernt Constance Barton...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Angelica “
Der Feind in meinem eigenen Haus: Im viktorianischen England darf eine kleine Verkäuferin zwar einen Mann aus besseren Kreisen heiraten, ohne einen gesellschaftlichen Fauxpas zu begehen Schwäche zeigen darf sie aber niemals. Das lernt Constance Barton schnell und schmerzlich, als ihr Mann, ein angesehener Mediziner und Forscher, das vierjährige Töchterchen Angelica aus dem elterlichen Schlafzimmer ausquartiert und seine ehelichen Rechte einfordert. Rücksichtslos und blind für die mysteriösen Vorgänge, die sich in dem vornehmen Anwesen abspielen: Das Haus der Bartons scheint nämlich von einem äußerst gewalttätigen Dämon beherrscht, der Mutter und Tochter nach dem Leben trachtet. Sieht Constance Gespenster oder schmiedet ihr Mann einen tödlichen Plan?
Im viktorianischen England darf eine kleine Verk uferin zwar einen Mann aus besseren Kreisen heiraten, ohne einen gesellschaftlichen Fauxpas zu begehen - Schw che zeigen darf sie aber niemals. Das lernt Constance Barton schnell und schmerzlich, als ihr Mann, ein angesehener Mediziner und Forscher, das vierj hrige T chterchen Angelica aus dem elterlichen Schlafzimmer ausquartiert und seine ehelichen Rechte einfordert. R cksichtslos und blind f r die mysteri sen Vorg nge, die sich in dem vornehmen Anwesen abspielen: Das Haus der Bartons scheint n mlich von einem u erst gewaltt tigen D mon beherrscht, der Mutter und Tochter nach dem Leben trachtet. Sieht Constance Gespenster oder schmiedet ihr Mann einen t dlichen Plan?
"Arthur Phillips gelingt mit seinem neuen Roman ein Quantensprung! Er leuchtet seine Charaktere gnadenlos aus, er spr ht beim Erz hlen vor Geistesblitzen - und schreibt elegante, opulente Literatur." - Kirkus Review
"Jeder, der sich schon einmal vor einem Gespenst unter seinem Bett gef rchtet hat, sollte dieses Buch lesen." - Starred Review (Library Journal)
"Dieser Roman hat psychologischen Tiefgang und steckt voll kluger berraschungen." - Publishers Weekly.
"Arthur Phillips gelingt mit seinem neuen Roman ein Quantensprung! Er leuchtet seine Charaktere gnadenlos aus, er spr ht beim Erz hlen vor Geistesblitzen - und schreibt elegante, opulente Literatur." - Kirkus Review
"Jeder, der sich schon einmal vor einem Gespenst unter seinem Bett gef rchtet hat, sollte dieses Buch lesen." - Starred Review (Library Journal)
"Dieser Roman hat psychologischen Tiefgang und steckt voll kluger berraschungen." - Publishers Weekly.
Lese-Probe zu „Angelica “
Ich sollte die Flei arbeit, die Sie mir aufgetragen haben, vielleicht besser als Gespenstergeschichte beginnen, denn so hat Constance die Geschehnisse sicher erlebt. Ich bef rchte nur, das weckt bertriebene Erwartungen in Ihnen. Ich rechne eigentlich auch nicht damit, ausgerechnet Sie das Gruseln zu lehren, selbst wenn Sie das Folgende bei knisterndem Kerzenschein und knarzenden Dielen lesen. Oder wenn ich Ihnen zu F en liege.Also. Eine Gespenstergeschichte! Sie beginnt harmlos bei Tageslicht, an dem Morgen, als Joseph das Kind aus ihrem Schlafzimmer verbannt. Die Gruselgeschichten, die Constance auf ihrem Nachttisch stehen hat, fangen immer friedlich an, deshalb soll ihre es auch:
Das hereinbrechende Licht der Morgensonne scheuchte goldenen Staub von den halb aufgezogenen blutroten Vorh ngen und zeichnete feine schwarze Adern auf die R nder des walnussbraunen Simses. Die Fenster m ssen gestrichen werden, dachte sie. Von unten h rte man holprige Triller, Angelica stolperte mit unsicheren Fingern ber die Klaviertasten, aus der K che stieg der Backduft der ersten Brotlaibe hoch - in diesem dichten Gewebe h uslicher Traulichkeit traf sie sein geballter Zorn unvorbereitet.
"Ich ertrage diese Kr nkung nun schon zu lange", sagte er. "Ich kann mir solche N chte nicht mehr bieten lassen - es ist wider die Natur. Und du f rderst es auch noch. Du erg tzt dich daran, dass meine Autorit t untergraben wird", warf er ihr vor. "Damit ist jetzt Schluss. Angelica hat ein Schlafzimmer und soll auch darin schlafen. Verstanden? Du machst uns l cherlich. Siehst du das nicht? Antworte mir. Antworte!"
"Und wenn sie nachts nach mir ruft, mein Lieber?"
"Dann geh zu ihr oder lass es bleiben. Mir ist es vollkommen egal - und ihr auch, davon bin ich felsenfest berzeugt." Joseph zeigte auf das kleine, unauff llig am Fu ihres Ehebetts stehende Bettchen, als bemerke er es zum ersten Mal und als rechtfertige seine blo e Existenz seine Herzlosigkeit. Bei dem Anblick flammte sein
... mehr
Zorn erneut auf, er trat dagegen und freute sich, dass sein Schuh das Bettzeug schmutzig machte. Er wollte Constance mit der Geste treffen, und sie zuckte auch zusammen. "Sieh mich an, wenn ich mit dir rede. Willst du, dass wir wie Zigeunerpack hausen?" Er schrie, obwohl sie ihm gar nicht widersprochen, ja, einen solchen Akt der Rebellion in den sieben Jahren ihrer Ehe nicht einmal erwogen hatte. "Bist du nicht mehr f hig, auch nur ein einziges Mal zu gehorchen? Sind wir so weit gekommen? Wenn ich heute Abend nach Hause komme, will ich, dass ihre Sachen unten sind. Das ist mein letztes Wort."
Constance Barton hielt ob dieses Machtworts ihres Mannes den Mund. Wenn er in seiner weltherrscherlichen Stimmung war, wenn er glaubte, er sei der perfekte Engl nder, obwohl er sich wie ein italienischer Hei sporn in die Brust warf, konnte man vern nftigerweise nicht hoffen, sich ihm gegen ber zu behaupten. "Wie lange w rdest du es noch aufschieben, wenn ich dir nicht endlich diese Frauenentscheidung abgenommen h tte?" Trotz ihres gehorsamen Schweigens tobte er weiter und w rde mit der Standpauke auch erst aufh ren, wenn sie ihm bescheinigt hatte, wie klug seine Anweisung sei.
Doch Constance sah sicher weiter als er. Selbst wenn er sich einbildete, er sorge lediglich daf r, dass ein Kinderbett woandershin gebracht wurde, wusste sie es besser. Er war den unvermeidlichen Konsequenzen seiner Entscheidung gegen ber blind (oder tat so), und Constance w rde f r seine Unbeherrschtheit zahlen m ssen. Wenn man ihn nur berzeugen konnte, noch ein wenig zu warten, w rde ihr Problem von selbst verschwinden, und zwar vollst ndig. Mit der Zeit w rde eine andere, k hlere Zuneigung zwischen ihnen entstehen. So ging es allen Ehepaaren. Sicher, wegen Constances (und Angelicas) angegriffenen Zustands hatten sie und Joseph sich schneller als die meisten anderen anpassen m ssen, und insofern tat er ihr leid. Auch sie hatte Angelica nat rlich immer nach unten verbannen wollen, nur sp ter, wenn sie selbst nicht mehr der sch tzenden Gegenwart des Kindes bedurfte. Von den sicheren Gefilden waren sie ja gar nicht mehr weit entfernt.
Doch Joseph lenkte nicht ein. "Du hast viel zu viel durchgehen lassen." Er kn pfte sich den Kragen fest. "Das hat dem Kind bereits geschadet. Und ich habe dir gegen ber die Z gel zu sehr schleifen lassen."
Erst als die Haust r ins Schloss gefallen und sie sicher war, dass er zur Arbeit gegangen war, ging Constance nach unten in die K che. Ohne sich ihren Schmerz ber die von ihm getroffene Regelung anmerken zu lassen, bat sie Nora, das Kinderzimmer f r Angelica herzurichten und einen Mann zu holen, der das Bett auseinandernahm, dem das Kind nun entwachsen war, und den blauenseidenen Edwards-Sessel aus dem Wohnzimmer neben das neue Bett stellte. "Daf r, wenn ich ihr vorlese", sagte Constance und entzog sich den stummen Blicken des irischen Hausm dchens.
"Pass auf, Con - am Ende freut sie sich ber die Ver nderung", hatte Joseph vor seinem Weggehen gemeint, entweder aus irregeleiteter Freundlichkeit oder treffsicherer Grausamkeit. Ein Kind soll sich ber die Trennung von seiner Mutter freuen ... Constance fuhr mit den Fingern ber Angelicas Kleider, die unschuldig im Schrank ihrer Eltern hingen. Obwohl auch ihre Spielsachen kaum Platz im Zimmer wegnahmen, hatte er befohlen: "Hinaus damit! Mit allem! Ich will kein St ck davon mehr sehen, wenn ich zur ckkomme!" Constance gab diese bertrieben strengen Befehle an Nora weiter; sie selbst auszuf hren war ihr unertr glich.
Sie fl chtete mit Angelica und fand Vorw nde, um sich bis zum sp ten Nachmittag aus der Umr umerei herauszuhalten. Zuerst brachte sie ihre w chentlichen Geschenke - Geld, Essen und Gespr che - zur Witwe Moore, schaffte es aber nicht, ihren eigenen Kummer in den blichen, dankbaren Tr nen der alten Frau zu ertr nken. Danach tr delte sie auf dem Markt herum, im Teeladen, im Park und beobachtete Angelica beim Spielen. Als der lange drohende Regen losbrach und in warmen Str men floss und sie endlich zur ckkommen mussten, machte sie sich unten im Haus zu schaffen, schaute aber nicht einmal in Richtung der Treppe, sondern beanstandete Noras Arbeit, ermahnte das Hausm dchen, die Schr nke zu l ften, und inspizierte die K che. Sie dr ckte auf die Brotlaibe, bem ngelte das liederliche Auff llen der Vorratskammer, verlie Nora mitten in der Schimpftirade und setzte Angelica ans Klavier, damit sie Das b se und das liebe Kind bte. Sie setzte sich ans andere Ende des Zimmers und faltete selbst die Servietten. "Welches Kind bist du, mein Liebes?", murmelte sie, empfand aber die wie einstudiert klingende Antwort nur als traurig: "Das liebe, Mamma."
W hrend das M dchen mit Unterbrechungen weiterspielte, zwang sich Constance endlich, in den ersten Stock zu gehen, wo sie vor Angelicas neuem Zuhause auf und ab ging. Drinnen traf sie kein neuer Schock. Es war n mlich kaum eine Ver nderung in dem Zimmer zu bemerken, denn es wartete nun schon sechs Jahre auf einen Bewohner und war immer entt uscht worden. Als Josephs junge Frau vor sechs Jahren im siebten Monat schwanger war, hatte er ohne ersichtlichen Groll sein geliebtes Heimlabor abgebaut, um Platz f r ein Kinderzimmer zu schaffen. Doch Gott verlangte von Constance drei Versuche, ehe ein Kind berlebte, das das Zimmer h tte beziehen k nnen. Selbst dann aber blieb es leer, denn in Angelicas ersten Lebenswochen kr nkelten sowohl Mutter als auch Tochter, und es war viel kl ger, das Neugeborene neben der schlaflosen Mutter schlafen zu lassen.
In den folgenden Monaten wechselten Constances Beschwerden und Angelicas S uglingskrankheiten einander ab, als gebe es f r die beiden miteinander verbundenen Menschenkinder nur eine Gesundheit, und ein Jahr verstrich, ohne dass es ratsam erschien, das Kind nach unten ins Kinderzimmer zu bringen. Selbst als Angelica vollkommen gesund war, hatte Dr. Willette mit ausgesuchter Hartn ckigkeit das andere, heiklere Thema zur Sprache gebracht und Constances L sungsvorschlag zugestimmt, dass es am einfachsten und sichersten sei, Angelica f rs Erste weiter in H rweite schlafen zu lassen.
Nora hatte den Sessel neben das Bett gestellt. Das irische Hausm dchen war eher st mmig als fett und so stark, dass es ihn ganz allein hochgeschleppt hatte. Angelicas Kleidung hatte es ordentlich in den Kinder-Kirschbaumschrank geh ngt. Trostlos, dieses neue Domizil, zu dem Angelica verurteilt worden war. Das Bett war zu gro ; sie w rde sich ganz verloren darin vorkommen. Das Fenster schloss nicht richtig, und der Stra enl rm w rde sie am Schlafen hindern. Sogar das Bettzeug sah in dem regengrauen Licht abgenutzt und schmuddelig aus, B cher und Puppen standen freudlos an ihrem neuen Platz. Kein Wunder, dass Joseph hier sein Labor gehabt hatte; der Raum war, einerlei, wozu er gebraucht wurde, scheu lich und dunkel, eigentlich nur f r den Gestank und das Geschabe der Wissenschaft geeignet. Die Prinzessin Elizabeth ruhte, die F e bereinandergelegt, in ihrer Lieblingsposition auf den Kissen. Nora kannte nat rlich Angelicas Lieblingspuppe, und es war kein Zufall, dass sie ihre Zuneigung zu dem M dchen auf diese Weise kundtat.
Der blaue Sessel stand zu weit vom Bett entfernt. Constance schob ihn mit der H fte ein paar Zentimeter polternd vor. Dann setzte sie sich, strich sich das Kleid glatt, erhob sich wieder und r ckte die Beine der Prinzessin Elizabeth in eine nat rlichere Lage. W hrend des Tages war sie drau en oft laut gegen ber Angelica geworden und hatte sie mit scharfer Stimme herumkommandiert (wie Joseph sie), obwohl Freundlichkeit angebrachter gewesen w re. An dem Tag, an dem ihr bestimmt war, ihr Kind ein St ck zu verlieren, an dem Tag, an dem sie sich w nschte, es noch inniger und f r immer festzuhalten - wie leicht hatte Angelica sie an diesem Tag gereizt.
Dieser Umzug - diese verheerende Ver nderung in allem -, so bald nach ihrem vierten Geburtstag, w rde wahrscheinlich eine der ersten bleibenden Erinnerungen des M dchens bilden. Alles, was vorher gewesen war - die Umarmungen, das Sichaufopfern, die Momente tr ger Zufriedenheit oder wie Constance sie vor manch eisiger Erbarmungslosigkeit Josephs besch tzt hatte -, nichts davon w rde dem Kind in Erinnerung bleiben. Was n tzten dann diese vergessenen Jahre, all diese G te, die nirgendwo verzeichnet wurde? Als sei das Leben eine Geschichte, deren Mitte und Ende ohne einen deutlich erinnerten Beginn unverst ndlich sei. Oder als sei das Kind undankbar, ja, schuldig, weil es all die Gro z gigkeit und Liebe mutwillig vergessen hatte, die ihm w hrend der vier Jahre seines Daseins auf Erden und der acht Monate, die man es getragen hatte, zuteilgeworden waren - ganz zu schweigen von all den Todesqualen in den Jahren zuvor.
Heute war der Moment, in dem sich Angelicas Verh ltnis zur Welt nderte. Von nun an w rde sie ihre eigene Geschichte horten, w rde mit den Samenk rnern um sich herum einen Garten anlegen. Diese Scheiben aus Glas mit den Bl schen darin w rden ihr "Kinderzimmerfenster" sein, so wie, erinnerte Constance sich jetzt, eine kreisrunde bunte Scheibe, die durch Trennst be aus Holz wie eine Torte unterteilt war, ihr Kinderzimmerfenster gewesen war. Die Beschaffenheit dieses St ckchens Bettdecke w rde Angelicas Vorstellung von "weich" f r den Rest ihres Lebens pr gen. Der Schritt ihres Vaters auf der Treppe. Sein Geruch. Wie sie sich in Augenblicken der Angst tr sten w rde.
Ein stottriges Lied verdr ngte unvollst ndige Tonleitern, doch dann h rte auch das auf, brach mitten in der zweiten Wiederholung ab. Bei der unaufgel sten Harmonie berlief es Constance. Einen Moment sp ter h rte sie Angelicas leichte Schritte auf der Treppe. Das M dchen rannte in sein neues Zimmer, sprang aufs Bett und riss die Puppe an sich. "Also hierher hat sich die Prinzessin zur ckgezogen", sagte es. "Wir haben berall nach Eurer Hoheit gesucht." Angelica spielte den strengen H fling; sie ber hrte wie in einer feierlichen Zeremonie einen dunklen Pfosten des Bettes nach dem anderen und unterzog das Zimmer von der Decke bis zum Boden einer genauen Pr fung. Ganz offensichtlich k mpfte sie darum, eine Frage zu stellen, und bewegte stumm die Lippen, w hrend sie die Worte w hlte. Constance konnte die Gedanken ihrer Tochter beinahe lesen, und endlich sagte diese: "Nora sagt, dass ich von jetzt an hier schlafen soll."
Constance dr ckte ihr Kind fest an sich. "Es tut mir sehr leid, mein Liebes."
"Warum leid? Muss die Prinzessin bei dir und Papa oben bleiben?"
"Nat rlich nicht. Du bist ihre Hofdame. Sie w rde sich oben ganz verloren f hlen."
"Hier wird sie f r ein Weilchen von k niglichen Sorgen frei sein." Ohne sich dessen bewusst zu sein, zitierte Angelica aus einem M rchenbuch. Sie ging zu dem winzigen Frisiertisch, zog dessen St hlchen trotz der Proteste ihrer Mutter zum Fenster, stellte sich darauf und sah hinaus. "Ich kann die Stra e sehen." Ganz am Rand des scharlachroten Stuhlsitzes stand sie und dr ckte H nde und Nase an die lockere Fensterscheibe.
"Bitte, sei vorsichtig, mein Liebes. Das darfst du nicht."
"Aber ich kann die Stra e sehen. Da ist eine rotbraune Stute."
"Komm bitte einen Augenblick zu mir. Du musst mir versprechen, dass du mich sofort rufst oder sogar kommst und mich weckst, wenn du mich brauchst. Ich bin auch nie b se, wenn du mich brauchst. Es soll genauso sein wie vorher, wirklich. Komm mal auf meinen Scho . Ja, auch die Prinzessin. Jetzt sag mir, freust du dich dar ber, was dein Vater f r uns angeordnet hat oder nicht?"
"Ja, sehr. Er ist lieb. Ist das hier ein Turm? Ich meine, weil das Fenster so ist?"
"Nein, es ist kein Turm. Wenn du gern in einem Turm w rst - oben bei uns hast du an einer h heren Stelle geschlafen. Ich, ich bin oben in dem Turm."
"Aber du hast kein Turmfenster, aus dem man die Pferde weit unten sieht, also ist das hier der Turm." Offensichtlich war das Kind zufrieden.
"Hast du auch keine Angst, allein zu schlafen?"
"Oh Mamma, doch! Bestimmt! Gro e Angst." Auf ihrem Gesicht spiegelte sich der Gedanke an die vor ihr liegende dunkle Nacht, ihre Miene erhellte sich jedoch sofort. "Aber ich werde so tapfer sein wie die Sch ferin. 'Wenn die W lder dunkel Herden/Und in harten, nassen Sternen/Gottes licht sich zeigt auf Erden/Dann wird ihr ganz lang ums Herz/Gottes Licht sich zeigt ... Wenn die W lder dunkel Herden ...'"
Constance strich dem M dchen bers Haar, ber hrte die kleinen weichen Wangen, zog das runde Gesicht dicht zu sich. "'Wenn die W lder dunkel werden/Und in zarten, blassen Sternen/Gottes Licht sich zeigt auf Erden/Dann wird ihr ganz bang ums Herz/Aber ...'"
"'Aber ihr Glaube ist wie eine Lampe'", unterbrach Angelica sie stolz, verhaspelte sich aber sofort wieder. "'Und Gott ... Gott liebt, Gottlieb ...' Ich wei es nicht mehr."
"'Und Gottes Liebe ist noch heller ... noch heller ... als ...'", soufflierte ihre Mutter.
"Sehe ich den Mond durch das Turmfenster?"
Als der Abend anbrach, merkte man, wie aufgeregt Angelica wurde. Zweimal schaute sie Constance eindringlich an und sagte mit gro em Ernst: "Ich habe Angst, heute Nacht allein zu bleiben, Mamma." Doch Constance glaubte ihr nicht. Angelica sch tzte nur deshalb Angst vor, weil sie - obwohl sie nicht verstand, warum - sp rte, dass ihre Mutter es so wollte. Ihre Behauptung, Angst zu haben, war wie ein unverlangtes Geschenk - eine krakelige Kinderzeichnung -, einf hlsam und voller Liebe dargeboten.
Ihre durchsichtigen L gen konnten ihre aufrichtige Vorfreude beileibe nicht verbergen. Als Constance ihre Tochter wusch, redete die ber die Abenteuer der Prinzessin allein in ihrem Turm, und als Constance ihr das Haar b rstete und sie das Haar der Prinzessin b rstete, fragte sie, ob sie wohl bitte jetzt schon zu Bett gehen k nne. Also setzte Constance sich in den blauen Sessel und las ihr vor, doch Angelica verk ndete - v llig untypisch - mitten im Satz, sie sei m de, und lehnte auch das Angebot ihrer Mutter ab, so lange bei ihr sitzen zu bleiben, bis sie eingeschlafen sei.
"Soll ich die T r offen lassen, mein Liebes?"
"Nein danke, Mamma. Die Prinzessin w nscht dringlichst Privatigkeit."
Wahrscheinlich wartete Constance auf dem engen Flur, ordnete die W sche im Schrank, r ckte Bilder gerade, stellte das Licht der Lampen schw cher, h rte aber keinen Protest, sondern nur Gemurmel ber Hofintrigen, bis auch die verstummten.
Joseph war noch nicht zur ckgekehrt.
"Ist im Schlafzimmer des Kindes alles zu Ihrer Zufriedenheit, Madam?", fragte das Hausm dchen.
"Im Kinderzimmer, Nora. Ja, danke."
Als Joseph kam, fragte er nicht weiter nach, sondern ging davon aus, dass seine Anweisungen anstandslos umgesetzt worden waren. Er erz hlte von seinem Tag und erw hnte Angelica mit keinem Wort, ja, hielt im ersten Stock - als sie das Gas unten abdrehten und zum zweiten hinaufgingen - nicht einmal an, um nach seinem Kind in seiner neuen Umgebung zu sehen. Sein kaltes Triumphieren entging Constance nicht. "Angelica hat sich gegen das neue Arrangement gewehrt", erlaubte sie sich in sanfter Rebellion zu bemerken.
Er zeigte sich keineswegs besorgt, ja hatte sogar ein gewisses Vergn gen an der Mitteilung, oder zumindest daran, dass sich Constance trotz Gegenwehr seinem Willen gebeugt hatte. Sie h tte gern gewusst, ob berhaupt etwas Mitgef hl in ihm geweckt h tte, ganz zu schweigen davon, ob er die grausame Anordnung gar zur ckgenommen h tte. Dass das Kind heute Abend tats chlich zufrieden gewesen war, war sicher nur von kurzer Dauer, und Constance fragte sich, wie er wohl reagieren w rde, wenn Angelica nicht mehr so mutig war. Deshalb sagte sie: "Sie hat sich in den Schlaf geweint, so einsam f hlte sie sich.""Sie wird sich schon daran gew hnen", erwiderte er. "Ihr bleibt keine andere Wahl, und wo man keine Wahl hat, passt man sich an. Das wird sie im Handumdrehen lernen. Oder nicht." Er griff nach ihrer Hand. Neue Bartstoppeln sprossen ihm, um seinen Bart breitete sich Schatten aus. Er dr ckte die Lippen auf ihre Stirn, lie aber dann ihre Hand los, erhob sich, ging zur Waschsch ssel und zum Spiegel, und w hrend er sich dort in Augenschein nahm, sagte er noch einmal: "Sie gew hnt sich dran. Und au erdem habe ich mir ber ihre Erziehung Gedanken gemacht.".
Constance Barton hielt ob dieses Machtworts ihres Mannes den Mund. Wenn er in seiner weltherrscherlichen Stimmung war, wenn er glaubte, er sei der perfekte Engl nder, obwohl er sich wie ein italienischer Hei sporn in die Brust warf, konnte man vern nftigerweise nicht hoffen, sich ihm gegen ber zu behaupten. "Wie lange w rdest du es noch aufschieben, wenn ich dir nicht endlich diese Frauenentscheidung abgenommen h tte?" Trotz ihres gehorsamen Schweigens tobte er weiter und w rde mit der Standpauke auch erst aufh ren, wenn sie ihm bescheinigt hatte, wie klug seine Anweisung sei.
Doch Constance sah sicher weiter als er. Selbst wenn er sich einbildete, er sorge lediglich daf r, dass ein Kinderbett woandershin gebracht wurde, wusste sie es besser. Er war den unvermeidlichen Konsequenzen seiner Entscheidung gegen ber blind (oder tat so), und Constance w rde f r seine Unbeherrschtheit zahlen m ssen. Wenn man ihn nur berzeugen konnte, noch ein wenig zu warten, w rde ihr Problem von selbst verschwinden, und zwar vollst ndig. Mit der Zeit w rde eine andere, k hlere Zuneigung zwischen ihnen entstehen. So ging es allen Ehepaaren. Sicher, wegen Constances (und Angelicas) angegriffenen Zustands hatten sie und Joseph sich schneller als die meisten anderen anpassen m ssen, und insofern tat er ihr leid. Auch sie hatte Angelica nat rlich immer nach unten verbannen wollen, nur sp ter, wenn sie selbst nicht mehr der sch tzenden Gegenwart des Kindes bedurfte. Von den sicheren Gefilden waren sie ja gar nicht mehr weit entfernt.
Doch Joseph lenkte nicht ein. "Du hast viel zu viel durchgehen lassen." Er kn pfte sich den Kragen fest. "Das hat dem Kind bereits geschadet. Und ich habe dir gegen ber die Z gel zu sehr schleifen lassen."
Erst als die Haust r ins Schloss gefallen und sie sicher war, dass er zur Arbeit gegangen war, ging Constance nach unten in die K che. Ohne sich ihren Schmerz ber die von ihm getroffene Regelung anmerken zu lassen, bat sie Nora, das Kinderzimmer f r Angelica herzurichten und einen Mann zu holen, der das Bett auseinandernahm, dem das Kind nun entwachsen war, und den blauenseidenen Edwards-Sessel aus dem Wohnzimmer neben das neue Bett stellte. "Daf r, wenn ich ihr vorlese", sagte Constance und entzog sich den stummen Blicken des irischen Hausm dchens.
"Pass auf, Con - am Ende freut sie sich ber die Ver nderung", hatte Joseph vor seinem Weggehen gemeint, entweder aus irregeleiteter Freundlichkeit oder treffsicherer Grausamkeit. Ein Kind soll sich ber die Trennung von seiner Mutter freuen ... Constance fuhr mit den Fingern ber Angelicas Kleider, die unschuldig im Schrank ihrer Eltern hingen. Obwohl auch ihre Spielsachen kaum Platz im Zimmer wegnahmen, hatte er befohlen: "Hinaus damit! Mit allem! Ich will kein St ck davon mehr sehen, wenn ich zur ckkomme!" Constance gab diese bertrieben strengen Befehle an Nora weiter; sie selbst auszuf hren war ihr unertr glich.
Sie fl chtete mit Angelica und fand Vorw nde, um sich bis zum sp ten Nachmittag aus der Umr umerei herauszuhalten. Zuerst brachte sie ihre w chentlichen Geschenke - Geld, Essen und Gespr che - zur Witwe Moore, schaffte es aber nicht, ihren eigenen Kummer in den blichen, dankbaren Tr nen der alten Frau zu ertr nken. Danach tr delte sie auf dem Markt herum, im Teeladen, im Park und beobachtete Angelica beim Spielen. Als der lange drohende Regen losbrach und in warmen Str men floss und sie endlich zur ckkommen mussten, machte sie sich unten im Haus zu schaffen, schaute aber nicht einmal in Richtung der Treppe, sondern beanstandete Noras Arbeit, ermahnte das Hausm dchen, die Schr nke zu l ften, und inspizierte die K che. Sie dr ckte auf die Brotlaibe, bem ngelte das liederliche Auff llen der Vorratskammer, verlie Nora mitten in der Schimpftirade und setzte Angelica ans Klavier, damit sie Das b se und das liebe Kind bte. Sie setzte sich ans andere Ende des Zimmers und faltete selbst die Servietten. "Welches Kind bist du, mein Liebes?", murmelte sie, empfand aber die wie einstudiert klingende Antwort nur als traurig: "Das liebe, Mamma."
W hrend das M dchen mit Unterbrechungen weiterspielte, zwang sich Constance endlich, in den ersten Stock zu gehen, wo sie vor Angelicas neuem Zuhause auf und ab ging. Drinnen traf sie kein neuer Schock. Es war n mlich kaum eine Ver nderung in dem Zimmer zu bemerken, denn es wartete nun schon sechs Jahre auf einen Bewohner und war immer entt uscht worden. Als Josephs junge Frau vor sechs Jahren im siebten Monat schwanger war, hatte er ohne ersichtlichen Groll sein geliebtes Heimlabor abgebaut, um Platz f r ein Kinderzimmer zu schaffen. Doch Gott verlangte von Constance drei Versuche, ehe ein Kind berlebte, das das Zimmer h tte beziehen k nnen. Selbst dann aber blieb es leer, denn in Angelicas ersten Lebenswochen kr nkelten sowohl Mutter als auch Tochter, und es war viel kl ger, das Neugeborene neben der schlaflosen Mutter schlafen zu lassen.
In den folgenden Monaten wechselten Constances Beschwerden und Angelicas S uglingskrankheiten einander ab, als gebe es f r die beiden miteinander verbundenen Menschenkinder nur eine Gesundheit, und ein Jahr verstrich, ohne dass es ratsam erschien, das Kind nach unten ins Kinderzimmer zu bringen. Selbst als Angelica vollkommen gesund war, hatte Dr. Willette mit ausgesuchter Hartn ckigkeit das andere, heiklere Thema zur Sprache gebracht und Constances L sungsvorschlag zugestimmt, dass es am einfachsten und sichersten sei, Angelica f rs Erste weiter in H rweite schlafen zu lassen.
Nora hatte den Sessel neben das Bett gestellt. Das irische Hausm dchen war eher st mmig als fett und so stark, dass es ihn ganz allein hochgeschleppt hatte. Angelicas Kleidung hatte es ordentlich in den Kinder-Kirschbaumschrank geh ngt. Trostlos, dieses neue Domizil, zu dem Angelica verurteilt worden war. Das Bett war zu gro ; sie w rde sich ganz verloren darin vorkommen. Das Fenster schloss nicht richtig, und der Stra enl rm w rde sie am Schlafen hindern. Sogar das Bettzeug sah in dem regengrauen Licht abgenutzt und schmuddelig aus, B cher und Puppen standen freudlos an ihrem neuen Platz. Kein Wunder, dass Joseph hier sein Labor gehabt hatte; der Raum war, einerlei, wozu er gebraucht wurde, scheu lich und dunkel, eigentlich nur f r den Gestank und das Geschabe der Wissenschaft geeignet. Die Prinzessin Elizabeth ruhte, die F e bereinandergelegt, in ihrer Lieblingsposition auf den Kissen. Nora kannte nat rlich Angelicas Lieblingspuppe, und es war kein Zufall, dass sie ihre Zuneigung zu dem M dchen auf diese Weise kundtat.
Der blaue Sessel stand zu weit vom Bett entfernt. Constance schob ihn mit der H fte ein paar Zentimeter polternd vor. Dann setzte sie sich, strich sich das Kleid glatt, erhob sich wieder und r ckte die Beine der Prinzessin Elizabeth in eine nat rlichere Lage. W hrend des Tages war sie drau en oft laut gegen ber Angelica geworden und hatte sie mit scharfer Stimme herumkommandiert (wie Joseph sie), obwohl Freundlichkeit angebrachter gewesen w re. An dem Tag, an dem ihr bestimmt war, ihr Kind ein St ck zu verlieren, an dem Tag, an dem sie sich w nschte, es noch inniger und f r immer festzuhalten - wie leicht hatte Angelica sie an diesem Tag gereizt.
Dieser Umzug - diese verheerende Ver nderung in allem -, so bald nach ihrem vierten Geburtstag, w rde wahrscheinlich eine der ersten bleibenden Erinnerungen des M dchens bilden. Alles, was vorher gewesen war - die Umarmungen, das Sichaufopfern, die Momente tr ger Zufriedenheit oder wie Constance sie vor manch eisiger Erbarmungslosigkeit Josephs besch tzt hatte -, nichts davon w rde dem Kind in Erinnerung bleiben. Was n tzten dann diese vergessenen Jahre, all diese G te, die nirgendwo verzeichnet wurde? Als sei das Leben eine Geschichte, deren Mitte und Ende ohne einen deutlich erinnerten Beginn unverst ndlich sei. Oder als sei das Kind undankbar, ja, schuldig, weil es all die Gro z gigkeit und Liebe mutwillig vergessen hatte, die ihm w hrend der vier Jahre seines Daseins auf Erden und der acht Monate, die man es getragen hatte, zuteilgeworden waren - ganz zu schweigen von all den Todesqualen in den Jahren zuvor.
Heute war der Moment, in dem sich Angelicas Verh ltnis zur Welt nderte. Von nun an w rde sie ihre eigene Geschichte horten, w rde mit den Samenk rnern um sich herum einen Garten anlegen. Diese Scheiben aus Glas mit den Bl schen darin w rden ihr "Kinderzimmerfenster" sein, so wie, erinnerte Constance sich jetzt, eine kreisrunde bunte Scheibe, die durch Trennst be aus Holz wie eine Torte unterteilt war, ihr Kinderzimmerfenster gewesen war. Die Beschaffenheit dieses St ckchens Bettdecke w rde Angelicas Vorstellung von "weich" f r den Rest ihres Lebens pr gen. Der Schritt ihres Vaters auf der Treppe. Sein Geruch. Wie sie sich in Augenblicken der Angst tr sten w rde.
Ein stottriges Lied verdr ngte unvollst ndige Tonleitern, doch dann h rte auch das auf, brach mitten in der zweiten Wiederholung ab. Bei der unaufgel sten Harmonie berlief es Constance. Einen Moment sp ter h rte sie Angelicas leichte Schritte auf der Treppe. Das M dchen rannte in sein neues Zimmer, sprang aufs Bett und riss die Puppe an sich. "Also hierher hat sich die Prinzessin zur ckgezogen", sagte es. "Wir haben berall nach Eurer Hoheit gesucht." Angelica spielte den strengen H fling; sie ber hrte wie in einer feierlichen Zeremonie einen dunklen Pfosten des Bettes nach dem anderen und unterzog das Zimmer von der Decke bis zum Boden einer genauen Pr fung. Ganz offensichtlich k mpfte sie darum, eine Frage zu stellen, und bewegte stumm die Lippen, w hrend sie die Worte w hlte. Constance konnte die Gedanken ihrer Tochter beinahe lesen, und endlich sagte diese: "Nora sagt, dass ich von jetzt an hier schlafen soll."
Constance dr ckte ihr Kind fest an sich. "Es tut mir sehr leid, mein Liebes."
"Warum leid? Muss die Prinzessin bei dir und Papa oben bleiben?"
"Nat rlich nicht. Du bist ihre Hofdame. Sie w rde sich oben ganz verloren f hlen."
"Hier wird sie f r ein Weilchen von k niglichen Sorgen frei sein." Ohne sich dessen bewusst zu sein, zitierte Angelica aus einem M rchenbuch. Sie ging zu dem winzigen Frisiertisch, zog dessen St hlchen trotz der Proteste ihrer Mutter zum Fenster, stellte sich darauf und sah hinaus. "Ich kann die Stra e sehen." Ganz am Rand des scharlachroten Stuhlsitzes stand sie und dr ckte H nde und Nase an die lockere Fensterscheibe.
"Bitte, sei vorsichtig, mein Liebes. Das darfst du nicht."
"Aber ich kann die Stra e sehen. Da ist eine rotbraune Stute."
"Komm bitte einen Augenblick zu mir. Du musst mir versprechen, dass du mich sofort rufst oder sogar kommst und mich weckst, wenn du mich brauchst. Ich bin auch nie b se, wenn du mich brauchst. Es soll genauso sein wie vorher, wirklich. Komm mal auf meinen Scho . Ja, auch die Prinzessin. Jetzt sag mir, freust du dich dar ber, was dein Vater f r uns angeordnet hat oder nicht?"
"Ja, sehr. Er ist lieb. Ist das hier ein Turm? Ich meine, weil das Fenster so ist?"
"Nein, es ist kein Turm. Wenn du gern in einem Turm w rst - oben bei uns hast du an einer h heren Stelle geschlafen. Ich, ich bin oben in dem Turm."
"Aber du hast kein Turmfenster, aus dem man die Pferde weit unten sieht, also ist das hier der Turm." Offensichtlich war das Kind zufrieden.
"Hast du auch keine Angst, allein zu schlafen?"
"Oh Mamma, doch! Bestimmt! Gro e Angst." Auf ihrem Gesicht spiegelte sich der Gedanke an die vor ihr liegende dunkle Nacht, ihre Miene erhellte sich jedoch sofort. "Aber ich werde so tapfer sein wie die Sch ferin. 'Wenn die W lder dunkel Herden/Und in harten, nassen Sternen/Gottes licht sich zeigt auf Erden/Dann wird ihr ganz lang ums Herz/Gottes Licht sich zeigt ... Wenn die W lder dunkel Herden ...'"
Constance strich dem M dchen bers Haar, ber hrte die kleinen weichen Wangen, zog das runde Gesicht dicht zu sich. "'Wenn die W lder dunkel werden/Und in zarten, blassen Sternen/Gottes Licht sich zeigt auf Erden/Dann wird ihr ganz bang ums Herz/Aber ...'"
"'Aber ihr Glaube ist wie eine Lampe'", unterbrach Angelica sie stolz, verhaspelte sich aber sofort wieder. "'Und Gott ... Gott liebt, Gottlieb ...' Ich wei es nicht mehr."
"'Und Gottes Liebe ist noch heller ... noch heller ... als ...'", soufflierte ihre Mutter.
"Sehe ich den Mond durch das Turmfenster?"
Als der Abend anbrach, merkte man, wie aufgeregt Angelica wurde. Zweimal schaute sie Constance eindringlich an und sagte mit gro em Ernst: "Ich habe Angst, heute Nacht allein zu bleiben, Mamma." Doch Constance glaubte ihr nicht. Angelica sch tzte nur deshalb Angst vor, weil sie - obwohl sie nicht verstand, warum - sp rte, dass ihre Mutter es so wollte. Ihre Behauptung, Angst zu haben, war wie ein unverlangtes Geschenk - eine krakelige Kinderzeichnung -, einf hlsam und voller Liebe dargeboten.
Ihre durchsichtigen L gen konnten ihre aufrichtige Vorfreude beileibe nicht verbergen. Als Constance ihre Tochter wusch, redete die ber die Abenteuer der Prinzessin allein in ihrem Turm, und als Constance ihr das Haar b rstete und sie das Haar der Prinzessin b rstete, fragte sie, ob sie wohl bitte jetzt schon zu Bett gehen k nne. Also setzte Constance sich in den blauen Sessel und las ihr vor, doch Angelica verk ndete - v llig untypisch - mitten im Satz, sie sei m de, und lehnte auch das Angebot ihrer Mutter ab, so lange bei ihr sitzen zu bleiben, bis sie eingeschlafen sei.
"Soll ich die T r offen lassen, mein Liebes?"
"Nein danke, Mamma. Die Prinzessin w nscht dringlichst Privatigkeit."
Wahrscheinlich wartete Constance auf dem engen Flur, ordnete die W sche im Schrank, r ckte Bilder gerade, stellte das Licht der Lampen schw cher, h rte aber keinen Protest, sondern nur Gemurmel ber Hofintrigen, bis auch die verstummten.
Joseph war noch nicht zur ckgekehrt.
"Ist im Schlafzimmer des Kindes alles zu Ihrer Zufriedenheit, Madam?", fragte das Hausm dchen.
"Im Kinderzimmer, Nora. Ja, danke."
Als Joseph kam, fragte er nicht weiter nach, sondern ging davon aus, dass seine Anweisungen anstandslos umgesetzt worden waren. Er erz hlte von seinem Tag und erw hnte Angelica mit keinem Wort, ja, hielt im ersten Stock - als sie das Gas unten abdrehten und zum zweiten hinaufgingen - nicht einmal an, um nach seinem Kind in seiner neuen Umgebung zu sehen. Sein kaltes Triumphieren entging Constance nicht. "Angelica hat sich gegen das neue Arrangement gewehrt", erlaubte sie sich in sanfter Rebellion zu bemerken.
Er zeigte sich keineswegs besorgt, ja hatte sogar ein gewisses Vergn gen an der Mitteilung, oder zumindest daran, dass sich Constance trotz Gegenwehr seinem Willen gebeugt hatte. Sie h tte gern gewusst, ob berhaupt etwas Mitgef hl in ihm geweckt h tte, ganz zu schweigen davon, ob er die grausame Anordnung gar zur ckgenommen h tte. Dass das Kind heute Abend tats chlich zufrieden gewesen war, war sicher nur von kurzer Dauer, und Constance fragte sich, wie er wohl reagieren w rde, wenn Angelica nicht mehr so mutig war. Deshalb sagte sie: "Sie hat sich in den Schlaf geweint, so einsam f hlte sie sich.""Sie wird sich schon daran gew hnen", erwiderte er. "Ihr bleibt keine andere Wahl, und wo man keine Wahl hat, passt man sich an. Das wird sie im Handumdrehen lernen. Oder nicht." Er griff nach ihrer Hand. Neue Bartstoppeln sprossen ihm, um seinen Bart breitete sich Schatten aus. Er dr ckte die Lippen auf ihre Stirn, lie aber dann ihre Hand los, erhob sich, ging zur Waschsch ssel und zum Spiegel, und w hrend er sich dort in Augenschein nahm, sagte er noch einmal: "Sie gew hnt sich dran. Und au erdem habe ich mir ber ihre Erziehung Gedanken gemacht.".
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Autoren-Porträt von Arthur Phillips
Arthur Phillips, geboren 1969 in Minneapolis, Studium in Harvard. 2002 Erfolg mit seinem literarischen Romandebüt "Prag" und Übersetzung in zahlreiche Sprachen. Der Autor lebt heute - nach längeren Aufenthalten in Budapest und Paris - mit seiner Familie in New York.Sigrid Ruschmeier, geboren 1945, lebt in Berlin. Sie studierte Germanistik und Politologie an der Freien Universität Berlin, war dann in einem Verlag und seit 1988 ist sie als freie Übersetzerin tätig.
Bibliographische Angaben
- Autor: Arthur Phillips
- 2007, 1, 413 Seiten, Maße: 14,4 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Ruschmeier, Sigrid
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442310873
- ISBN-13: 9783442310876
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