Auf einmal war er nicht mehr da
Ein Sohn, ein Vater, eine Spurensuche
An einem Samstagnachmittag telefonierte Philip Reichardt noch mit seinem Vater, Sonntagabend sprach er ihm auf die Mailbox, Montagmorgen um sieben bekam er den Anruf, dass sein Vater tot sei. Eine Stunde später war er bei ihm und nahm Abschied. In diesen...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Taschenbuch
9.00 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Auf einmal war er nicht mehr da “
An einem Samstagnachmittag telefonierte Philip Reichardt noch mit seinem Vater, Sonntagabend sprach er ihm auf die Mailbox, Montagmorgen um sieben bekam er den Anruf, dass sein Vater tot sei. Eine Stunde später war er bei ihm und nahm Abschied. In diesen Momenten wurde Reichardt zum ersten Mal bewusst, dass er über seinen Vater - Journalist wie er selbst - nicht so viel wusste, wie er dachte. Aber was weiß man schon von seinen Eltern? Und warum wurden sie so, wie wir sie kennen gelernt haben? Als er damit beginnt, die Wohnung des Vaters zu räumen, fallen Reichardt eine Reihe von Dingen und Unterlagen in die Hände, bis hin zu einem Tagebuch, das sein Vater als 17-Jähriger schrieb. Mit diesen Fundstücken setzt er das Bild vom Leben seines Vaters nochmals neu zusammen und beginnt auf eigene Faust zu recherchieren. Bald aber stellen sich ganz neue Fragen.
Wie viel etwa sollen, was müssen wir überhaupt über unsere Eltern, Familien und unsere Herkunft wissen, um über uns selbst Bescheid zu wissen? Hat es Bedeutung für das eigene Leben, zu wissen, wie die Trauzeugen der Eltern hießen, mit wie vielen Frauen der Vater schlief oder ob er im Krieg auf einen Menschen schoss?
Philip Reichardt erzählt am Beispiel seines Vaters auf sensible und eindringliche Weise, was es für die inzwischen selbst erwachsenen Kinder bedeutet, wenn ein Elternteil stirbt, er beschreibt, warum so viele Gelegenheiten des Miteinandersprechens ungenutzt bleiben und berichtet von den Möglichkeiten und Grenzen, den Menschen im Nachhinein noch einmal neu kennen zu lernen: eine immer überraschende, manchmal auch bestürzend komische Begegnung.
Wie viel etwa sollen, was müssen wir überhaupt über unsere Eltern, Familien und unsere Herkunft wissen, um über uns selbst Bescheid zu wissen? Hat es Bedeutung für das eigene Leben, zu wissen, wie die Trauzeugen der Eltern hießen, mit wie vielen Frauen der Vater schlief oder ob er im Krieg auf einen Menschen schoss?
Philip Reichardt erzählt am Beispiel seines Vaters auf sensible und eindringliche Weise, was es für die inzwischen selbst erwachsenen Kinder bedeutet, wenn ein Elternteil stirbt, er beschreibt, warum so viele Gelegenheiten des Miteinandersprechens ungenutzt bleiben und berichtet von den Möglichkeiten und Grenzen, den Menschen im Nachhinein noch einmal neu kennen zu lernen: eine immer überraschende, manchmal auch bestürzend komische Begegnung.
Klappentext zu „Auf einmal war er nicht mehr da “
Ein Buch über die verpassten Gelegenheiten und die Möglichkeiten, die eigenen Eltern noch einmal neu kennenzulernenWir glauben, sie zu kennen, weil sie uns von klein auf vertraut sind. Doch was wissen wir tatsächlich über unsere Eltern? Als sein Vater unerwartet stirbt, sieht sich Philip Reichardt einer Reihe von Fragen gegenüber, auf die er keine Antworten hat. Er geht dem Leben seines Vaters nach, überprüft Familienlegenden, führt zahlreiche Gespräche und fördert nach und nach Überraschendes und Erstaunliches zutage. Aber er stößt auch auf Grenzen. Wie nahe kann man seinen Eltern im Nachhinein kommen? Und wie verändert sich das eigene Leben, wenn die Eltern auf einmal nicht mehr da sind?
Lese-Probe zu „Auf einmal war er nicht mehr da “
Samstagnachmittag telefonierten wir, Sonntagabend sprach er mir auf die Mailbox, Montagmorgen um sieben bekam ich den Anruf, dass mein Vater tot sei.Ich schlief noch, als das Telefon klingelte. Den Abend zuvor hatte ich bei einem Freund verbracht. Es war Wahlabend, wir verfolgten die Hochrechnungen, lange war nicht abzusehen, wer gewinnen würde. Ich kam spät nach Hause, setzte mich gleich wieder vor den Fernseher, und als ich das Licht ausschaltete, war es weit nach Mitternacht. Ich hörte das Telefon, einmal, zweimal, dreimal, doch ich war noch nicht in der Lage, es zu orten und den Anruf entgegenzunehmen.
Nach dem letzten Klingeln war ich gerade wach genug, um einen Blick auf die Uhr zu werfen. Kurz nach sieben. Ich blieb noch einen Moment liegen. Wer könnte mich um diese Zeit sprechen wollen? Meine Schwester mit einem ersten Kommentar zum Wahlergebnis? Vielleicht. Ich stand auf, als es erneut klingelte. Das Telefon lag unter einer Zeitung, ich sah auf das Display und las: "Anruf Mailbox." Ich drückte erst die grüne Taste, dann die Eins, um die Nachricht abzuhören. Ich erkannte die Stimme von Klara, der Lebensgefährtin meines Vaters. Sie klang aufgelöst und atemlos, sie sprach schnell, aber klar: "Philip", hörte ich sie sagen, "der Vater ist tot. Er liegt im Bett. Bitte komm her".
So lief das jetzt also.
Dass dieser Moment auf mich zukäme, eines Tages, irgendwann, war mir bewusst, auch dass er näher rückte. Ich hatte diesen Gedanken verdrängt, so gut es ging, doch ab und an bahnte er sich seinen Weg, als gelte es, etwas anzukündigen, dem ohnehin nicht zu entkommen war. Einige Momente lang hatte ich dann vor Augen, wie alles kommen würde.
Mal sah ich mich einem Polizisten die Tür öffnen, ihn überrascht fragen, was er wolle, und ihn so verlegen wie routiniert seine traurige Botschaft überbringen. Ich sah mich durch einen Krankenhausflur rennen im Wettlauf mit einer imaginären Stoppuhr, um den plötzlich schwer erkrankten Vater noch einmal zu sehen, sah
... mehr
eine Schwester, die sich in den Weg stellt, um mir mitzuteilen, dass ich zu spät dran sei. Mal sah ich mir dabei zu, wie ich an einem Konferenztisch sitze, mir ein Zettel zugesteckt wird, ich solle ans Telefon kommen, ich ein wenig unwirsch den Kopf schüttle, der andere aber darauf besteht, ernst blickt und flüstert: "Es ist wichtig. Ihr Vater." Dass ich in seiner Nähe sein könnte, dieser Fall tauchte nie auf.
Ich weiß nicht, wann diese Bilder sich das erste Mal einstellten. Vielleicht, als ich ihn das erste Mal das Altwerden verfluchen hörte, bemerkte, dass seine Kräfte nachließen und die Möglichkeit aufschien, dass er einmal nicht mehr da sein könnte.
Diese Bilder bedurften keines Anlasses, um aufzutauchen. Sie überfielen mich, ergriffen einige Augenblicke Besitz von mir und verschwanden so schnell wie sie kamen, rissen irgendwo ab, ohne einer Dramaturgie zu folgen. Sie erschienen wie Warnungen, die auf eine unausweichliche Erfahrung vorbereiten wollten, als könnte die Ahnung von der Wucht dieser Nachricht helfen, den zu erwartenden Schmerz zu parieren und zu ertragen.
Manchmal kam es auch vor, dass ich mir den Moment danach vorstellte. Ich beobachtete dann meine Reaktion auf die Nachricht. Eine sah so aus, dass ich in eine Art Schockstarre verfalle. Ich sitze auf einem Stuhl, kann mich nicht mehr bewegen und vergesse zu atmen. Bei einer anderen trommele ich mit den Fäusten gegen einen hölzernen Schrank und schreie laut "Nein, nein, nein!". Oder ich sah mich, wie ich einmal hörbar schlucken würde, in einen leeren Raum gehe, die Türe schließe und dort leise ein paar Tränen vergieße. Manchmal war ein Zustand der Kontrolle zu sehen, der jegliche Zurschaustellung eines Gefühls unterbindet und darauf zielt, das Nötige zu veranlassen und das Gebotene zu tun. Termine absagen, die Familie verständigen, Trost spenden.
Wie das a) b) c) und d) in einem Fragebogen standen diese Möglichkeiten zur Wahl, meistens hielt ich die beiden letzten für am wahrscheinlichsten, die ersten beiden hoffte ich ausschließen zu können. Sie kamen mir lächerlich vor, wie Klischees aus einem Fernsehfilm.
Mein Puls beschleunigte auf Höchstgeschwindigkeit, ich spürte meinen Herzschlag, ich lief auf und ab durch die Wohnung, schlagartig brauchten sich sämtliche Vorräte an Adrenalin auf, ich atmete, als hätte ich einen langen Sprint hinter mir. Der Vater, tot. Um dem Drang nachzukommen, etwas zu tun, nahm ich das Telefon und rief zurück. Klara nahm gleich ab. Nochmals dieselben knappen, unmissverständlichen Worte. Vor einer halben Stunde, sagte sie, habe sie ihn gefunden, ein Arzt sei bereits verständigt. Ich versprach, mich gleich auf den Weg zu machen, legte auf und ging ins Bad. Ungläubig sah ich in den Spiegel, als wollte ich mich vergewissern, dass ich richtig verstanden hatte. Der Moment, mit dem ich irgendwann einmal gerechnet hatte, da war er nun. Tatsächlich? Jetzt? Gab es nicht doch irgendeinen Hinweis, dass daran etwas nicht stimmen könne, die eben gehörten Sätze nicht wahr seien, und das eben geführte Telefonat gar nicht stattgefunden hatte? Nichts. Ich sah nur einen, der eben erfahren hatte, dass sein Vater tot ist.
Draußen war es finster und regnete. Ich nahm ein Taxi, es roch nach kaltem Rauch. Der Fahrer gab vor, den Weg Richtung Starnberger See zu kennen, doch gleich zu Beginn bog er falsch ab und verfuhr sich. Ungeduldig redete ich auf ihn ein, erklärte ihm den kürzesten Weg. Bloß keine Zeit verlieren, schnell, dachte ich, schnell, jede Minute zählt, als sei noch etwas zu machen. An einer Kreuzung in der Nähe des Sees stieg ich aus, meine Schwester wartete dort auf mich. Sie war bereits in der Schule gewesen, als ich sie erreichte, und hatte ihre Stunden vorbereitet. Die letzten Kilometer fuhren wir gemeinsam. Sie war erstaunlich gefasst.
Vor dem Haus ein Bus und ein Wagen der Polizei, drei Beamte in Uniform. Ein Anblick wie aus einem Fernsehkrimi. Wir stiegen aus, Klara empfing uns an der Tür. Sie deutete auf die Treppe, sagte nur: "Oben." Ich ging hinauf und als ich die letzte Stufe genommen hatte, blieb ich stehen und sah mich um. Ich wusste nicht wohin.
Ich weiß nicht, wann diese Bilder sich das erste Mal einstellten. Vielleicht, als ich ihn das erste Mal das Altwerden verfluchen hörte, bemerkte, dass seine Kräfte nachließen und die Möglichkeit aufschien, dass er einmal nicht mehr da sein könnte.
Diese Bilder bedurften keines Anlasses, um aufzutauchen. Sie überfielen mich, ergriffen einige Augenblicke Besitz von mir und verschwanden so schnell wie sie kamen, rissen irgendwo ab, ohne einer Dramaturgie zu folgen. Sie erschienen wie Warnungen, die auf eine unausweichliche Erfahrung vorbereiten wollten, als könnte die Ahnung von der Wucht dieser Nachricht helfen, den zu erwartenden Schmerz zu parieren und zu ertragen.
Manchmal kam es auch vor, dass ich mir den Moment danach vorstellte. Ich beobachtete dann meine Reaktion auf die Nachricht. Eine sah so aus, dass ich in eine Art Schockstarre verfalle. Ich sitze auf einem Stuhl, kann mich nicht mehr bewegen und vergesse zu atmen. Bei einer anderen trommele ich mit den Fäusten gegen einen hölzernen Schrank und schreie laut "Nein, nein, nein!". Oder ich sah mich, wie ich einmal hörbar schlucken würde, in einen leeren Raum gehe, die Türe schließe und dort leise ein paar Tränen vergieße. Manchmal war ein Zustand der Kontrolle zu sehen, der jegliche Zurschaustellung eines Gefühls unterbindet und darauf zielt, das Nötige zu veranlassen und das Gebotene zu tun. Termine absagen, die Familie verständigen, Trost spenden.
Wie das a) b) c) und d) in einem Fragebogen standen diese Möglichkeiten zur Wahl, meistens hielt ich die beiden letzten für am wahrscheinlichsten, die ersten beiden hoffte ich ausschließen zu können. Sie kamen mir lächerlich vor, wie Klischees aus einem Fernsehfilm.
Mein Puls beschleunigte auf Höchstgeschwindigkeit, ich spürte meinen Herzschlag, ich lief auf und ab durch die Wohnung, schlagartig brauchten sich sämtliche Vorräte an Adrenalin auf, ich atmete, als hätte ich einen langen Sprint hinter mir. Der Vater, tot. Um dem Drang nachzukommen, etwas zu tun, nahm ich das Telefon und rief zurück. Klara nahm gleich ab. Nochmals dieselben knappen, unmissverständlichen Worte. Vor einer halben Stunde, sagte sie, habe sie ihn gefunden, ein Arzt sei bereits verständigt. Ich versprach, mich gleich auf den Weg zu machen, legte auf und ging ins Bad. Ungläubig sah ich in den Spiegel, als wollte ich mich vergewissern, dass ich richtig verstanden hatte. Der Moment, mit dem ich irgendwann einmal gerechnet hatte, da war er nun. Tatsächlich? Jetzt? Gab es nicht doch irgendeinen Hinweis, dass daran etwas nicht stimmen könne, die eben gehörten Sätze nicht wahr seien, und das eben geführte Telefonat gar nicht stattgefunden hatte? Nichts. Ich sah nur einen, der eben erfahren hatte, dass sein Vater tot ist.
Draußen war es finster und regnete. Ich nahm ein Taxi, es roch nach kaltem Rauch. Der Fahrer gab vor, den Weg Richtung Starnberger See zu kennen, doch gleich zu Beginn bog er falsch ab und verfuhr sich. Ungeduldig redete ich auf ihn ein, erklärte ihm den kürzesten Weg. Bloß keine Zeit verlieren, schnell, dachte ich, schnell, jede Minute zählt, als sei noch etwas zu machen. An einer Kreuzung in der Nähe des Sees stieg ich aus, meine Schwester wartete dort auf mich. Sie war bereits in der Schule gewesen, als ich sie erreichte, und hatte ihre Stunden vorbereitet. Die letzten Kilometer fuhren wir gemeinsam. Sie war erstaunlich gefasst.
Vor dem Haus ein Bus und ein Wagen der Polizei, drei Beamte in Uniform. Ein Anblick wie aus einem Fernsehkrimi. Wir stiegen aus, Klara empfing uns an der Tür. Sie deutete auf die Treppe, sagte nur: "Oben." Ich ging hinauf und als ich die letzte Stufe genommen hatte, blieb ich stehen und sah mich um. Ich wusste nicht wohin.
... weniger
Autoren-Porträt von Philip Reichardt
Philip Reichardt, 1963 geboren, leitete vier Jahre lang "jetzt", das Jugendmagazin der "Süddeutschen Zeitung", und arbeitete zwei Jahre lang für "Die Zeit" in Berlin. Seitdem ist er überwiegend als Entwickler von Magazinen tätig.
Bibliographische Angaben
- Autor: Philip Reichardt
- 2009, 253 Seiten, Maße: 12 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 344274024X
- ISBN-13: 9783442740246
Rezension zu „Auf einmal war er nicht mehr da “
"Zugleich berührend tiefsinnig und bestürzend komisch"
Kommentar zu "Auf einmal war er nicht mehr da"
0 Gebrauchte Artikel zu „Auf einmal war er nicht mehr da“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Auf einmal war er nicht mehr da".
Kommentar verfassen