Auferstanden von den Toten
Inspektor Jury, der durch Zufall von den Ereignissen erfährt, beginnt sich für den Fall zu interessieren. Und schnell finden er und sein Freund Melrose Plant heraus, dass es in der hoch angesehenen Familie Ryder einige Ungereimtheiten gibt. Doch welche Abgründe dort wirklich lauern, wird ihnen erst klar, als man auf dem Ryder-schen Gestüt die Leiche einer unbekannten Frau entdeckt.
"Ein wunderbar erzählter, hochspannender Roman, der jeden Liebhaber von Kriminalliteratur begeistern wird!"
Publishers Weekly
Ein neuer Fall für Inspektor Jury - eine Reise ins dunkle Herz der gehobenen britischen Gesellschaft.
Auferstandenvon den Toten von Martha Grimes
LESEPROBE
Prolog
Von weitemsah das Pferd weiß aus, aus größerer Nähe konnte man aber sehen, dass es einfahles Weiß war, eher von der Farbe einer Morgendämmerung im Winter, einschattiges Weiß wie eisiger Schnee. So früh am Morgen war der Junge am liebstenhier draußen. Er mochte alle Pferde im Stall, dieses aber ganz besonders.
Das hellePferd sah dem Jungen zu, wie er sich näherte, mit Zaumzeug und Sattel über demArm durch den Dunst auf ihn zukam. Nicht er! Was war aus dem Jockeygeworden, der ihn reiten konnte wie kein anderer? Wo waren die Siege, diePreise, die Rufe und Jubelschreie geblieben? Oder das Mädchen, das besser mitihm umgehen konnte als der Junge, deren Finger sich sanft wie Chrysanthemenblättchenum die Zügel schlangen. Wenn es etwas gab, was das Pferd kannte, dann waren esHände - die des Jungen, des Trainers, des Jockeys, des Mädchens. Sie warbestimmt ein verkleidetes Stutenfohlen, sie konnte kein Menschenkind sein.Irgendwie ging das nicht.
Der Jungetrat auf ihn zu, streichelte ihm den Hals und gab ihm ein paar StückchenZucker. Dann warf er ihm die buntkarierte Decke über und führte ihn zwischenden Bäumen hindurch quer über die Weide zur Trainingsbahn. Der Junge trug immernoch den Sattel, wollte erst aufsteigen, wenn sie die Bahn am Fuß eines sanft ansteigendenHügels erreicht hatten. Dieser frühmorgendliche Galopp auf der Trainingsbahndes Gestüts war für beide der Höhepunkt des Tages.
DeinesTages.
Der Jungeund das Pferd lagen altersmäßig bloß ein paar Jahre auseinander - vierzehn undsechzehn -, aber das Pferd (wusste der Junge) war unendlich begabter als er,auch wenn es seine Renntage längst hinter sich hatte. Insgeheim hoffte er, dasPferd möge ihn überleben. So wie es seinen Vater überlebt hatte, der bei einem Rennenums Leben gekommen war. Wenn er an seinen Vater dachte, konnte der Junge ihnsich nur schwer anders vorstellen als in seinem blaugoldenen Jockeydress. SeinVater war berühmt gewesen. Samarkand, sein Pferd, war jedoch sagenumwoben.
Der Junge,Maurice hieß er, fragte sich oft, ob Samarkand die Rennbahn wohl vermisste, dashektische Hufeschlagen, die Schreie und Jubelrufe an den Sommernachmittagen,die Aufregung im Führring.
Er konnte sich noch gut an jenen Tag erinnern, als seinVater auf Samarkand in Ascot den Goldpokal gewonnen hatte. Maurice und seinekleine Cousine Nell waren damals vor Freude auf und ab gehüpft wie zwei Korken,die von Champagnerflaschen knallten. Im Jahr zuvor hatte Samarkand sie inNewmarket zum ersten Mal allesamt das Staunen gelehrt. Auf der Gegengeradenhatte das Pferd plötzlich losgelegt. Pfeilschnell war es davongeschossen und hattesämtliche anderen Teilnehmer in einer Staubwolke siebzehn Achtelmeilen hintersich gelassen.
DieÜberraschung über diesen völlig unerwarteten Sieg stand seinem Vater selbstdann noch ins Gesicht geschrieben, als sie sich anschließend alle wieder imFührring versammelt hatten. Der Besitzer des Gestüts - Maurice' Großvater - wussteüberhaupt nicht, was er sagen sollte. Der Trainer war der Einzige, der es relativungerührt aufnahm, als hätte er von Samarkand gar nichts anderes erwartet. Dochauch er wehrte ab, als die Leute ihm anerkennend auf den Rücken klopften undihn ausgiebig lobten, so als sei es nicht sein Verdienst. Andere ergriffen dieHand des Jockeys, während Blumenkränze auf Pferd und Jockey herunterregneten.
Wer imFührring am wenigsten stolzgeschwellt war und am meisten Würde zeigte, warSamarkand selbst.
Samarkandwar nicht einfach bloß ein Pferd, er war eines der großartigsten Pferde in derGeschichte des Reitsports, wurde in einem Atemzug genannt mit Red Rum oder mitdiesem amerikanischen Hengst Forego, einem Gewichtträger, der, egal wie viel manihm auflud, immer gewann.
Vergisses.
Samarkandwar jedes hoch dotierte Rennen gelaufen, das es überhaupt gab, hatte fast jedebedeutende Siegprämie gewonnen. Nicht bloß in seinem Heimatland, auch inAmerika - in Churchill Downs, New York, im großen Kentucky-Derby, in Belmontund im wunderschönen Hialeah Park.
Mauricefragte sich oft, was es mit Thoroughbreds auf sich hatte. Prägte sich ihnen dasGeschehen ins Gedächtnis ein? Die Starts, die Rennen, der Führring? Es gingnicht nur darum, ob Samarkand sich die alltäglichen Runden merkte, sondern ober wichtige Dinge im Gedächtnis behielt, ob sich ihm gewisse Bilderunauslöschlich einbrannten? Momente voller Glückseligkeit, der Anblick von Heu?Erinnerungen an Newcastle oder New York, Doncaster, Cheltenham, Hialeah, die Farben,der Dress des Jockeys, die Rosen?
... dierosafarbenen, staksenden Vögel, die schillernden Sonnenstrahlen und Farben,die auf ihn zuströmten, seinem Blick hinter Scheuklappen teilweise verborgen,ein ganzer Reigen von Farben und Gesichtern, Jubelrufen und Schreien. An dieBande gedrängt (wie er das hasste) wartete er ab, bis sich eine Lücke bot, undfegte dann direkt hindurch.
Freiheit.Nichts vor sich haben, nichts neben sich haben. Selbst die Jubelrufe verebbten,bevor sie an seine Ohren drangen.
Jetztritten sie im Galopp. Maurice wusste, dass Samarkand die Runde in knapp übereiner Minute schaffen konnte, er hatte es bereits bewiesen.
Als sie aus der Gegengeraden kamen, sah Maurice eine Gestaltmit Fernglas auf dem Hügel stehen. Der Gestütstrainer war es nicht, der kam sofrüh nicht heraus. Es musste Roger sein. Sein Onkel Roger kam manchmal her undsah ihm zu, bevor er nach London ins Krankenhaus fuhr.
NichtRoger. Die falschen Hände.
Samarkand schien den Verlust seiner alten Beweglichkeit, seinesfrüheren Tempos nicht zu spüren, auch nicht das fehlende geschmeidigeZusammenwirken von Händen und Beinen seines Jockeys. Wenn ihm die Zügelgelassen wurden, schien das Pferd genauso gewillt, für diesen sechzehnjährigen,viel zu großen Burschen alles zu geben wie für dessen Vater. Sie galoppiertenin nicht gerade rekordverdächtiger Geschwindigkeit um die Bahn. Es kam nichtdarauf an.
In der Erinnerung flogen sie dahin.
© 2005 Wilhelm Goldmann Verlag
Übersetzung: Cornelia C. Walter
- Autor: Martha Grimes
- 2005, 1, 475 Seiten, Maße: 14 x 22,3 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Walter, Cornelia C.
- Übersetzer: Cornelia C. Walter
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442310067
- ISBN-13: 9783442310067
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