Bambiland. Babel
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"Aktueller kann Literatur, kann literarische Transformation des Rohstoffes Welt kaum sein ... Als Therapeutikum ist dieser eigensinnige Jelinek-Mix aus Sprachanalyse, Aneignung und Demontage falschen Denkens im nicht vorhandenen, aus Kolportage, Scherz, Satire und Idolatrie, aus Wiener Schmäh, Autoreflexion und Selbstentblößung während des Schreibens brisant, erhellend und, ja, unterhaltsam ... Man lauscht einem Ich, das vor sich hin spricht, vollgesogen von den Geschehnissen der Innenwelt der Außenwelt, das räsoniert über die vielen Toten und die Lebenden, über mediale Berieselung, Abhärtung und Ignoranz, Arabien und Dick Cheney ... Ungerecht, polemisch und klarsichtig ist Bambiland, einseitig, tiefgründig, ganz Ohr, ein musikalisches Kunstwerk - vielleicht das erste, das einzige sprachliche Ereignis des Krieges." (Alexander Kluy, Frankfurter Rundschau)
Bambiland von Elfriede Jelinek
LESEPROBE
Irm sagt:
Tausende Menschen sind in der Verlegenheit, rechtzeitig, ehees zu spät ist, ihre Körper aus der Tasche ziehen und benutzen zu müssen. IhreGeschlechtsteile verziehen verächtlich die Münder, wenn sie das aufrichtigeObjekt sehen, dem was an ihnen liegt, das da vor ihnen liegt. Wird ziemlichproblematisch mit uns, denken sie, wenn sie ihre Gegner zum ersten Mal sehen.Diese Fut enthält mindestens vier Seiten, dazu gleichviele Rückseiten, wievielmacht das jetzt, und das alles soll man beschreiben, damit man so richtig geilwird, bevor man sich den andren Körper reinzieht und abdrückt. Ein Anflug vonVerächtlichkeit fliegt über mein Genital leise dahin, es runzelt die Stirn, esweiß, was es leisten kann, aber es leistet nichts, muß angetrieben werden, undda gibt es viele Antriebe, die wir als Menschen alle immer ausprobieren müssen.Religion, Kultur, Krieg, Sport. Letztlich wollen sie alle nur existieren inder Menschheitsgeschichte. Die Schwänze wollen springen wie die Lachse, estreibt sie was zurück zur Mama, es treibt sie die Stiegen rauf, die Stiegen niemehr runter, sie hüpfen aus sich heraus, werden dabei immer häßlicher, von Stufe zu Stufe, namenlos in denTod geschleudert, irgendwie verdorrt sehen sie inzwischen aus, finde ich, abersie müssen ablaichen und dann sterben auf ihren Laichwanderwegen, wo dieSchilder stehen, an die sich keiner hält, und die Bären, die sich beim Angelnan den Schildern festhalten. Die treuen Jäger, die ihren Zielen verpflichtetsind. Ja, die auch. Ach, würde doch die Persönlichkeit allein wirken können!Nein, die Jäger: ihr Charakter hängt mit ihrem Schicksal zusammen und dem, dassie anderen bereiten. Das ist ihre Religion. Mit ihrer Religion erwerben siedie herzliche Abneigung der Völker. Die Jäger sind wie Götter, das heißt, siehaben eine besonders hohe Meinung von sich. Wollen in ihren Wollsocken nichtgedemütigt werden. Wollen keine nassen Füße kriegen, wenn sie schwangere Tieretöten. Sind sie nicht sicher, ob das Tier wirklich schwanger ist, verlangen sieein Attest. Es treibt die Geschlechter aufeinander zu und dann durcheinanderund durch einander hindurch, auf der andren Seite wieder heraus. Wie ist esmöglich, daß ein einzelner Mensch eine solche Wirksamkeit entfalten kann, daßunser Geschlechtsapparat, unser Jagdapparat monatelang nicht abzustellen ist,obwohl der dazugehörige Besitzer gar nicht da ist und sein Ziel das falscheGeschlecht hat, das er auch nicht brauchen kann, das er nicht mal trifft? Daser einmal trifft und nie wieder? Wars nicht so gut? Er hat vergessen, dasLicht abzudrehn, daher kehrt er noch mal um, er hat vergessen, das Gasabzudrehn, daher kehrt er noch mal um, die Heizung läuft wie eine Nase, und erhat auch vergessen, seinen Schwanz abzustellen. Dafür hat er alles andreangelassen, was auch falsch war, wenn er nicht zu Hause ist. Der steht jetztdort drinnen, der Schwanz, und wie komme ich da jetzt rein zu ihm, und wiekommt er selber, nachdem er den Gegner untersucht hat, man will ja nicht krankwerden, dort hinein? Da brauch ich ja ein Brecheisen, denn meinen Schlüssel,den ich einst hatte, hat er mir wieder abgenommen, der Jägersmann. Er istlängst gegangen, dieser Mensch, an dem ich so hänge, den ich anbete, irgendwenmuß man ja anbeten, seine Denkart ist rückwärts geschritten, von uns fort, seinCharakter wird nicht Jahrtausende prägen, er wird nur mich, die Betroffene, prägen,die wartet und wartet. Dieser Mensch hat, wie gesagt, eine großartige Wirkungauf den Körper gehabt, nein, nicht auf den Körper, auf alle Körper, das heißt,er hätte sie haben können, doch er hat das nicht ausgenützt, er hat sein Gliednur locker gebraucht, sozusagen als Anerkennung für seine überdimensionaleEntwicklung, ich habe nicht gesagt für die überdimensionale Entwicklung desGliedes, hören Sie doch zu, ich meine die ganze Person! Es muß eine Art Wirkunggewesen sein, die diese Person ausgestrahlt hat, war es Macht? Neinnein. Doch.Es war die Macht, aus einem indifferenten Menschen wie mir, wie einReligionsgründer, ein Volk zu formen, das ihn anbetet, das ihn in Zukunft immerweiter anbeten muß, damit er es erlösen kann. Es würde mein Schicksal fürJahrtausende bestimmen, könnte ich es so lange verfolgen. Statt dessen verfolgeich immer nur ihn, der mein Schicksal ist. (...)
© 2004 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
- Autor: Elfriede Jelinek
- 2004, 1. Auflage, 272 Seiten, 8 farbige Abbildungen, Maße: 12,4 x 19,4 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Hamburg
- ISBN-10: 3498032259
- ISBN-13: 9783498032258
- Erscheinungsdatum: 11.12.2004
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