Benedikts Kreuzzug
Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft
'Als der Papst einen Holocaust-Leugner zurück in den Schoß der Kirche holte, war das Entsetzen groß. Doch dieser Schritt war nicht gedankenlos, wie viele meinen. Alan Posener weist eindrucksvoll nach, dass Benedikt XVI. schon seit langem einen Feldzug gegen...
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Produktinformationen zu „Benedikts Kreuzzug “
'Als der Papst einen Holocaust-Leugner zurück in den Schoß der Kirche holte, war das Entsetzen groß. Doch dieser Schritt war nicht gedankenlos, wie viele meinen. Alan Posener weist eindrucksvoll nach, dass Benedikt XVI. schon seit langem einen Feldzug gegen die Errungenschaften der Moderne führt - und zwar mit aller Konsequenz.
Klappentext zu „Benedikts Kreuzzug “
Die Konfrontation mit der 68er-Bewegung und der "Theologie der Befreiung" machte Joseph Ratzinger zum Hauptvertreter eines kompromisslosen Konservatismus. Seither formuliert er mit großer Radikalität und Beharrlichkeit die Grundsätze eines intellektuellen Rollbacks der Moderne. Als Papst Benedikt XVI. bekämpft er den weltlichen Staat und die Werte der Aufklärung: Pluralismus der Gesellschaft und des Glaubens, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung der Frau, Emanzipation der Wissenschaft von der Religion. Mit seiner Rede in Auschwitz revidierte der Papst die Position der katholischen Kirche zum Holocaust; der Ton gegenüber den Juden hat sich ebenfalls verschärft. In ihrem Widerstand gegen die Moderne, so das provozierende Fazit dieses Buches, ist die katholische Kirche dem islamistischen Fundamentalismus bereits auf paradoxe Weise nahe gerückt.
Lese-Probe zu „Benedikts Kreuzzug “
Benedikts Kreuzzug von Alan Posener Der Angriff des Vatikans auf die Moderne Gesellschaft
Ullstein, September 2009Leseprobe:
Aus dem Vorwort:
Von Papst Johannes Paul II. hieß es, er wolle zwei Revolutionen rückgängig machen: die russische und die französische. Die Anekdote enthält mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Für Karol Wojtyla, so militant sein Antikommunismus auch sein mochte, war der Westen allenfalls das kleinere Übel. Kommunismus und Kapitalismus waren für ihn nur verschiedene Formen des Materialismus; und die westliche Demokratie negierte wie die östliche Diktatur, nur auf subtilere Art, den Wahrheitsanspruch der katholischen Kirche. Sub specie aeternitatis war das Bündnis der Kirche mit dem Westen nur eine Episode. Mit dem Untergang des Ostblocks entfiel die Grundlage dieses Bündnisses.
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In Joseph Ratzinger fand der polnische Papst einen Gleichgesinnten. Lange vor dem Fall der Berliner Mauer hatte der deutsche Kardinal den Unterschied zwischen West und Ost relativiert und beide Systeme verurteilt: »Die beiden großen Rationalismen der Welt, der westlich-positivistische und der östlich-marxistische, haben die Welt in eine tiefe Krise geführt«, sagte Ratzinger schon 1978. Als Präfekt der Glaubenskongregation, der Nachfolgebehörde der Inquisition, und als Oberhaupt der katholischen Kirche kämpft Ratzinger unerbittlich gegen den Rationalismus. Es geht Benedikt XVI. nicht nur darum, die Französische Revolution rückgängig zu machen; es geht ihm darum, die Revolution der Moderne ungeschehen zu machen. Diesen Kampf nenne ich Benedikts Kreuzzug.
Nun könnte man einwenden, dass der Begriff »Kreuzzug« falsch, ja geradezu verleumderisch sei, weil er Erinnerungen an blutige Feldzüge gegen die Feinde der Christenheit weckt. Dazu ist die katholische Kirche heute in der Tat weder fähig noch willens. Und das ist gut so. Doch schon Josef Stalin irrte, als er höhnisch nach den Divisionen des Papstes fragte. Stalins Sowjetunion ist mitsamt dem »östlich-marxistischen Rationalismus« auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet, und daran war ein Papst aus Polen nicht unmaßgeblich beteiligt. Die katholische Kirche bleibt eine geistige Weltmacht, und wer sie unterschätzt, wird früher oder später eines Besseren belehrt.[…]
Aus dem Kapitel: Wider die »Diktatur des Relativismus«: […]
Dass Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation für den »klaren Glauben« in der Kirche warb, konnte kaum überraschen. Schließlich hatte er sich durch seinen unerbittlichen Kampf gegen alle Abweichungen von der Linie Roms den Beinamen »der Panzerkardinal« redlich verdient. Jedoch machte Ratzinger bei dieser Gelegenheit deutlich, dass er nicht nur die innerkirchliche Demokratie ablehnt, sondern die Demokratie schlechthin. Besonders verdächtig erscheint ihm der Pluralismus der offenen Gesellschaft: »Es konstituiert sich eine Diktatur des Relativismus, die nichts als definitiv anerkennt und die als letztes Maß nur das Ich und seine Bedürfnisse lässt.«¹ Der Kampf gegen diese »Diktatur des Relativismus « war, ist und bleibt das Hauptthema im Denken und Wirken Joseph Ratzingers. Dem Nicht-Katholiken könnte es mehr oder weniger gleichgültig sein, ob sich die Kirche fundamentalistisch oder pluralistisch aufstellt. Das betrifft zunächst nur die Gläubigen selbst; es ist, wie man neudeutsch sagt, »ihr Problem«. Aber Benedikt XVI. sieht die »Diktatur des Relativismus« keineswegs nur als Problem der Kirche. Er ist vielmehr überzeugt, dass der Relativismus »als Grundgefühl des aufgeklärten Menschen«², ja als »Religion des modernen Menschen«³ schlechthin »das tiefste Problem unserer Zeit« darstellt.4 Und dieses Problem will Benedikt lösen; dieses Grundgefühl will Benedikt ändern; diese Zivilreligion der Moderne will Benedikt besiegen – damit, wie er es in der Predigt zur Eröffnung des Konklaves sagte, »die Erde aus einem Tal der Tränen zum Garten Gottes« umgewandelt werde. Benedikts Kreuzzug gegen die »Diktatur des Relativismus« geht also nicht nur die Katholiken, sondern alle Bürger an. Natürlich ist der Begriff sprachlich und logisch ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich. Was er aber für Benedikt als Kampfbegriff bedeutet, erschließt sich erst, wenn man sich fragt, was die Alternative wäre: nämlich die Diktatur der Wahrheit. Seiner Wahrheit natürlich. Und darum geht es Benedikt.[…]
Aus dem Kapitel:
Und er bewegt sich doch nicht:[…]
Keine zehn Jahre nachdem Johannes Paul II. den Darwinismus vorsichtig anerkannt hat, lässt sein Nachfolger diese Anerkennung mit einem Paukenschlag wieder zurücknehmen und schlägt sich auf die Seite der Kulturkrieger. In einem Aufsatz für die »New York Times«5 schreibt der
Benedikt- Vertraute Christoph Kardinal Schönborn, Johannes Paul II. habe in seinem »vagen und unwichtigen « Schreiben von 1996 »den Begriff Evolution nicht definiert«. Auch deshalb sei die Ansicht, das »neodarwinistische Dogma« sei irgendwie »mit dem katholischen Glauben kompatibel«, schlichtweg falsch. Die katholische Kirche proklamiere vielmehr, dass man mittels der Vernunft in der natürlichen Welt ganz klar »Design«, also einen intelligenten Zweck und Plan, erkennen könne. Die Evolution »im Sinne einer gemeinsamen Abstammung « sei »vielleicht« wahr; die Evolution »im Sinne eines ziellosen, ungeplanten Prozesses zufälliger Variationen und natürlicher Auslese« aber nicht. Das ist jedoch schlicht eine Beschreibung der Darwin’schen Theorie, die von der überwältigenden Mehrheit der Biologen für richtig gehalten wird. Die These vom »Intelligent Design« hingegen wird auch von katholischen Wissenschaftlern fast durchweg als Humbug angesehen. Schönborn aber meint, jeder Versuch, die »überwältigenden Beweise für Design in der Biologie zu ignorieren oder wegzuerklären«, sei »Ideologie, nicht Wissenschaft «. Explizit nimmt Schönborn Benedikt XVI. gegen den Vorwurf in Schutz, er sei »Evolutionist «. Vielmehr sei es so, dass eine internationale Theologenkommission unter Leitung Ratzingers schon 2004 eindeutig festgestellt habe: »Einen ungesteuerten Evolutionsprozess, der außerhalb der Grenzen der göttlichen Vorsehung fiele, kann es einfach nicht geben.«6 Schönborns Artikel führte zu einem Aufschrei unter Naturwissenschaftlern. Der prominenteste unter ihnen war Dr. Francis Collins, einer der wenigen gläubigen Christen unter den führenden amerikanischen Biologen und Leiter des Humangenomprojekts der US-Regierung. Schönborns Artikel sei »ein Schritt in die falsche Richtung«, meinte Collins, und zwar ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da das Studium der DNA »zwingende Beweise« für die Theorie Darwins erbringe.7 Andere Wissenschaftler waren weniger höflich. So sprach der deutsche Wissenschaftshistoriker Thomas Junker von einem »wissenschaftsfeindlichen Kreuzzug« des Vatikans.8 […] 1981 forderte Ratzinger: »Wir müssen und dürfen die Kühnheit haben zu sagen: Die großen Projekte des Lebendigen, sie sind nicht Produkt von Zufall und Irrtum. (…) Nur der Schöpfergeist war stark genug und groß und kühn genug, dieses Projekt zu ersinnen.«9 Als Papst wiederholte er seine Position am 12. September 2006 bei der Eucharistiefeier auf dem Islinger Feld: »Letztlich kommt es auf die Alternative hinaus: Was steht am Anfang: die schöpferische Vernunft, der Geist, der alles wirkt und sich entfalten lässt, oder das Unvernünftige, das vernunftlos sonderbarerweise einen mathematisch geordneten Kosmos hervorbringt und auch den Menschen, seine Vernunft. Aber die wäre dann nur ein Zufall der Evolution und im Letzten also doch etwas Unvernünftiges.« Der bereits zitierte Publizist Martin Lohmann schwärmt: »Auch hier findet der Meister der schönen und einfachen Sprache, der höchste und komplizierteste Sachverhalte für jeden verständlich auszudrücken versteht, eine verblüffend klare Formel.«10 Das kann nur jemand behaupten, der Opfer seines eigenen Benedikt-Personenkults geworden ist. Denn gerade diese Passage wimmelt von Ungereimtheiten: Wieso bedeutet etwa die »zufällige« Entwicklung der menschlichen Vernunft aus der Evolution, dass die Vernunft »im Letzten etwas Unvernünftiges« ist? Evolutionäre Entwicklung ist ja gerade nicht »zufällig«, sondern beruht auf dem Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit, auf der rigorosen Auslese der für das Überleben wichtigen Eigenschaften aus den zufällig entstandenen Mutationen. Und deshalb ist die Vernunft selbst nicht »unvernünftig«, sondern ein evolutionär erprobtes Mittel, die Welt um uns herum zu verstehen. Ansonsten läuft ein solcher Gottesbeweis – denn darum handelt es sich – auf eine Art Erich von- Däniken- Hypothese hinaus: Nicht der »Zufall « konnte uns als kultur- und vernunftbegabte Wesen hervorbringen, meinte Däniken, sondern nur eine überlegene außerirdische Intelligenz. Wobei die Frage der Entstehung intelligenten Lebens nur verschoben wird: Wer oder was hat denn die Aliens hervorgebracht, die uns die Zivilisation gebracht haben sollen? An Ratzingers »verblüffend klare Formel« muss eine ähnliche Frage gerichtet werden: Wenn es unmöglich ist, sich vorzustellen, dass ein mathematisch beschreibbares – nicht »mathematisch geordnetes« – Universum ex nihilo entsteht oder immer schon existiert hat: wieso ist es dann vorstellbar, dass der Schöpfer dieses Universums, der notwendigerweise noch komplexer sein müsste als seine Schöpfung, ex nihilo entsteht oder immer schon da war? Das hieße, etwas schwer Vorstellbares durch etwas ganz und gar Unwahrscheinliches zu ersetzen und das auch noch als Erklärung zu verkaufen. Das ist denn doch zu billig: Der »Meister der schönen und einfachen Sprache« betreibt hier Aldi-Theologie.[…]Anmerkungen:
1 Predigt von Kardinaldekan Joseph Ratzinger bei der Messe »pro eligendo papa«, 18. April 2005. Nach Radio Vatikan, www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo. asp?Id=33962
2 Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI.: Glaube – Wahrheit – Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen. Herder 2003, S. 94
3 Ebd., S. 69
4 Ebd., S. 94
5 Christoph Kardinal Schönborn: Finding Design in Nature. »New York Times«, 7. Juli 2005, www.nytimes. com/2005/07/07/opinion/07schonborn.html
6 Siehe Internationale Theologische Kommission: Gemeinschaft und Dienstleistung (2004), www.vatican. va/roman_curia/congregations/cfaith/cti_documents/ rc_con_cfaith_doc_20040723_communion-stewardship_ ge.html
7 »Leading Cardinal Redefines Church’s View on Evolution «, »New York Times«, 9. Juli 2005, www.nytimes. com/2005/07/09/science/09cardinal.html?pagewanted= 1
8 Junker, Schöpfung gegen Evolution, op. cit., S. 95
9 Ebd., S. 58
10 Lohmann, Maximum, op. cit., S. 66
Nun könnte man einwenden, dass der Begriff »Kreuzzug« falsch, ja geradezu verleumderisch sei, weil er Erinnerungen an blutige Feldzüge gegen die Feinde der Christenheit weckt. Dazu ist die katholische Kirche heute in der Tat weder fähig noch willens. Und das ist gut so. Doch schon Josef Stalin irrte, als er höhnisch nach den Divisionen des Papstes fragte. Stalins Sowjetunion ist mitsamt dem »östlich-marxistischen Rationalismus« auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet, und daran war ein Papst aus Polen nicht unmaßgeblich beteiligt. Die katholische Kirche bleibt eine geistige Weltmacht, und wer sie unterschätzt, wird früher oder später eines Besseren belehrt.[…]
Aus dem Kapitel: Wider die »Diktatur des Relativismus«: […]
Dass Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation für den »klaren Glauben« in der Kirche warb, konnte kaum überraschen. Schließlich hatte er sich durch seinen unerbittlichen Kampf gegen alle Abweichungen von der Linie Roms den Beinamen »der Panzerkardinal« redlich verdient. Jedoch machte Ratzinger bei dieser Gelegenheit deutlich, dass er nicht nur die innerkirchliche Demokratie ablehnt, sondern die Demokratie schlechthin. Besonders verdächtig erscheint ihm der Pluralismus der offenen Gesellschaft: »Es konstituiert sich eine Diktatur des Relativismus, die nichts als definitiv anerkennt und die als letztes Maß nur das Ich und seine Bedürfnisse lässt.«¹ Der Kampf gegen diese »Diktatur des Relativismus « war, ist und bleibt das Hauptthema im Denken und Wirken Joseph Ratzingers. Dem Nicht-Katholiken könnte es mehr oder weniger gleichgültig sein, ob sich die Kirche fundamentalistisch oder pluralistisch aufstellt. Das betrifft zunächst nur die Gläubigen selbst; es ist, wie man neudeutsch sagt, »ihr Problem«. Aber Benedikt XVI. sieht die »Diktatur des Relativismus« keineswegs nur als Problem der Kirche. Er ist vielmehr überzeugt, dass der Relativismus »als Grundgefühl des aufgeklärten Menschen«², ja als »Religion des modernen Menschen«³ schlechthin »das tiefste Problem unserer Zeit« darstellt.4 Und dieses Problem will Benedikt lösen; dieses Grundgefühl will Benedikt ändern; diese Zivilreligion der Moderne will Benedikt besiegen – damit, wie er es in der Predigt zur Eröffnung des Konklaves sagte, »die Erde aus einem Tal der Tränen zum Garten Gottes« umgewandelt werde. Benedikts Kreuzzug gegen die »Diktatur des Relativismus« geht also nicht nur die Katholiken, sondern alle Bürger an. Natürlich ist der Begriff sprachlich und logisch ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich. Was er aber für Benedikt als Kampfbegriff bedeutet, erschließt sich erst, wenn man sich fragt, was die Alternative wäre: nämlich die Diktatur der Wahrheit. Seiner Wahrheit natürlich. Und darum geht es Benedikt.[…]
Aus dem Kapitel:
Und er bewegt sich doch nicht:[…]
Keine zehn Jahre nachdem Johannes Paul II. den Darwinismus vorsichtig anerkannt hat, lässt sein Nachfolger diese Anerkennung mit einem Paukenschlag wieder zurücknehmen und schlägt sich auf die Seite der Kulturkrieger. In einem Aufsatz für die »New York Times«5 schreibt der
Benedikt- Vertraute Christoph Kardinal Schönborn, Johannes Paul II. habe in seinem »vagen und unwichtigen « Schreiben von 1996 »den Begriff Evolution nicht definiert«. Auch deshalb sei die Ansicht, das »neodarwinistische Dogma« sei irgendwie »mit dem katholischen Glauben kompatibel«, schlichtweg falsch. Die katholische Kirche proklamiere vielmehr, dass man mittels der Vernunft in der natürlichen Welt ganz klar »Design«, also einen intelligenten Zweck und Plan, erkennen könne. Die Evolution »im Sinne einer gemeinsamen Abstammung « sei »vielleicht« wahr; die Evolution »im Sinne eines ziellosen, ungeplanten Prozesses zufälliger Variationen und natürlicher Auslese« aber nicht. Das ist jedoch schlicht eine Beschreibung der Darwin’schen Theorie, die von der überwältigenden Mehrheit der Biologen für richtig gehalten wird. Die These vom »Intelligent Design« hingegen wird auch von katholischen Wissenschaftlern fast durchweg als Humbug angesehen. Schönborn aber meint, jeder Versuch, die »überwältigenden Beweise für Design in der Biologie zu ignorieren oder wegzuerklären«, sei »Ideologie, nicht Wissenschaft «. Explizit nimmt Schönborn Benedikt XVI. gegen den Vorwurf in Schutz, er sei »Evolutionist «. Vielmehr sei es so, dass eine internationale Theologenkommission unter Leitung Ratzingers schon 2004 eindeutig festgestellt habe: »Einen ungesteuerten Evolutionsprozess, der außerhalb der Grenzen der göttlichen Vorsehung fiele, kann es einfach nicht geben.«6 Schönborns Artikel führte zu einem Aufschrei unter Naturwissenschaftlern. Der prominenteste unter ihnen war Dr. Francis Collins, einer der wenigen gläubigen Christen unter den führenden amerikanischen Biologen und Leiter des Humangenomprojekts der US-Regierung. Schönborns Artikel sei »ein Schritt in die falsche Richtung«, meinte Collins, und zwar ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da das Studium der DNA »zwingende Beweise« für die Theorie Darwins erbringe.7 Andere Wissenschaftler waren weniger höflich. So sprach der deutsche Wissenschaftshistoriker Thomas Junker von einem »wissenschaftsfeindlichen Kreuzzug« des Vatikans.8 […] 1981 forderte Ratzinger: »Wir müssen und dürfen die Kühnheit haben zu sagen: Die großen Projekte des Lebendigen, sie sind nicht Produkt von Zufall und Irrtum. (…) Nur der Schöpfergeist war stark genug und groß und kühn genug, dieses Projekt zu ersinnen.«9 Als Papst wiederholte er seine Position am 12. September 2006 bei der Eucharistiefeier auf dem Islinger Feld: »Letztlich kommt es auf die Alternative hinaus: Was steht am Anfang: die schöpferische Vernunft, der Geist, der alles wirkt und sich entfalten lässt, oder das Unvernünftige, das vernunftlos sonderbarerweise einen mathematisch geordneten Kosmos hervorbringt und auch den Menschen, seine Vernunft. Aber die wäre dann nur ein Zufall der Evolution und im Letzten also doch etwas Unvernünftiges.« Der bereits zitierte Publizist Martin Lohmann schwärmt: »Auch hier findet der Meister der schönen und einfachen Sprache, der höchste und komplizierteste Sachverhalte für jeden verständlich auszudrücken versteht, eine verblüffend klare Formel.«10 Das kann nur jemand behaupten, der Opfer seines eigenen Benedikt-Personenkults geworden ist. Denn gerade diese Passage wimmelt von Ungereimtheiten: Wieso bedeutet etwa die »zufällige« Entwicklung der menschlichen Vernunft aus der Evolution, dass die Vernunft »im Letzten etwas Unvernünftiges« ist? Evolutionäre Entwicklung ist ja gerade nicht »zufällig«, sondern beruht auf dem Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit, auf der rigorosen Auslese der für das Überleben wichtigen Eigenschaften aus den zufällig entstandenen Mutationen. Und deshalb ist die Vernunft selbst nicht »unvernünftig«, sondern ein evolutionär erprobtes Mittel, die Welt um uns herum zu verstehen. Ansonsten läuft ein solcher Gottesbeweis – denn darum handelt es sich – auf eine Art Erich von- Däniken- Hypothese hinaus: Nicht der »Zufall « konnte uns als kultur- und vernunftbegabte Wesen hervorbringen, meinte Däniken, sondern nur eine überlegene außerirdische Intelligenz. Wobei die Frage der Entstehung intelligenten Lebens nur verschoben wird: Wer oder was hat denn die Aliens hervorgebracht, die uns die Zivilisation gebracht haben sollen? An Ratzingers »verblüffend klare Formel« muss eine ähnliche Frage gerichtet werden: Wenn es unmöglich ist, sich vorzustellen, dass ein mathematisch beschreibbares – nicht »mathematisch geordnetes« – Universum ex nihilo entsteht oder immer schon existiert hat: wieso ist es dann vorstellbar, dass der Schöpfer dieses Universums, der notwendigerweise noch komplexer sein müsste als seine Schöpfung, ex nihilo entsteht oder immer schon da war? Das hieße, etwas schwer Vorstellbares durch etwas ganz und gar Unwahrscheinliches zu ersetzen und das auch noch als Erklärung zu verkaufen. Das ist denn doch zu billig: Der »Meister der schönen und einfachen Sprache« betreibt hier Aldi-Theologie.[…]Anmerkungen:
1 Predigt von Kardinaldekan Joseph Ratzinger bei der Messe »pro eligendo papa«, 18. April 2005. Nach Radio Vatikan, www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo. asp?Id=33962
2 Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI.: Glaube – Wahrheit – Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen. Herder 2003, S. 94
3 Ebd., S. 69
4 Ebd., S. 94
5 Christoph Kardinal Schönborn: Finding Design in Nature. »New York Times«, 7. Juli 2005, www.nytimes. com/2005/07/07/opinion/07schonborn.html
6 Siehe Internationale Theologische Kommission: Gemeinschaft und Dienstleistung (2004), www.vatican. va/roman_curia/congregations/cfaith/cti_documents/ rc_con_cfaith_doc_20040723_communion-stewardship_ ge.html
7 »Leading Cardinal Redefines Church’s View on Evolution «, »New York Times«, 9. Juli 2005, www.nytimes. com/2005/07/09/science/09cardinal.html?pagewanted= 1
8 Junker, Schöpfung gegen Evolution, op. cit., S. 95
9 Ebd., S. 58
10 Lohmann, Maximum, op. cit., S. 66
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Autoren-Porträt von Alan Posener
Alan Posener, Jahrgang 1949, aufgewachsen in London, Kuala Lumpur und Berlin, studierte Germanistik und Anglistik in Berlin und Bochum. Zahlreiche Veröffentlichungen als Publizist und Buchautor. Seit 2004 ist er Kommentarchef der "Welt am Sonntag".
Bibliographische Angaben
- Autor: Alan Posener
- 2009, 268 Seiten, Maße: 13 x 21,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Ullstein Hardcover
- ISBN-10: 3550087934
- ISBN-13: 9783550087936
Rezension zu „Benedikts Kreuzzug “
»Der oberste Hirte sei rachsüchtig und hasserfüllt, glaubt Alan Posener, der dieses kritische und gute Buch verfasst hat.« Kölner Stadt-Anzeiger, 27.08.09, Rolf Helfert »Alan Posener hat mit Benedikts Kreuzzug ein sehr gescheites und wichtiges Buch vorgelegt. Vielleicht die scharfsinnigste Analyse, die bislang über den derzeitigen Papst erschienen ist.« Deutschlandfunk, Nikolaus German, 23.11.09 »Langweilig ist Poseners Buch nie. Freundliche Abhandlungen gibt es schließlich schon genug.« Leipziger Volkszeitung, 06.11.09 »Entstanden ist ein keine wissenschaftliche Abhandlung, kein Buch für Liebhaber der Theologie, sondern eine Streitschrift. Eine schonungslose bisweilen zynische Abrechnung.« Der Tagespiegel, Claudia Keller, 16.11.09 »Seine Analyse überzeugt weitgehend.« Publik-Forum, Hartmut Meesmann, 06.11.09 »Das Lesen dieses Buchs ist ein intellektuelles Vergnügen. Es geht nicht um die Denunziation eines Andersdenkenden, sondern um die ernsthafte Auseinandersetzung mit dessen Thesen. In der Diskussion vermittelt Posener zudem ein breites Panorama europäischer Geistesgeschichte. Die überaus kurzweilig zu lesende Streitschrift ist nicht nur lehrreich. Sie ist auch eine gute Warnung.« Der Freitag , 30.10.09, Sabine Pamperrien »Das neue Buch von Posener wird, so ist zu hoffen, gründliche Diskussionen anstoßen, etwa über die Frage: Wie heilig ist denn der>Heilige Vater< angesichts der hier vorgelegten Hinweise zu seinem vordemokratischen, wenn nicht antidemokratischen Denken?« NDR info, Blickpunkt: Diesseits, 13.09.09, Christian Modehn »Nach diesem Buch ist Papst Benedikt ein Fall für den Verfassungsschutz, mindestens.« Jungle World, 01.10.09, Ivo Bozic »Der Vatikan würde das Buch am liebsten auf den Index der verbotenene Bücher setzen. Zu ketzerisch, zu kritisch sind die Vorwürfe, die Alan Posener, 60, in seinem neuen Buch Benedikts Kreuzzug erhebt.« eurocity,
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Oktober/November 2009, Georg Karp »Starker Tobak, den Alan Posener abfeuert.« Bücher, 2009/06 »Man wünschte, die Repräsentanten dieser Kirche würden sich den Argumenten des Papstkritikers stellen.« Stuttgarter Nachrichten, 13.10.09
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Kommentar zu "Benedikts Kreuzzug"
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