Berlin-Moskau
Wolfgang Büscher absolvierte den Weg Berlin-Moskau zu Fuß - drei Monate musste er dazu wandern.
''Reiseerfahrungen, die zum Besten gehören, was in den letzten Jahren in deutscher Sprache erschienen ist.''
Der Spiegel
Wolfgang Büscher absolvierte den Weg Berlin-Moskau zu Fuß - drei Monate musste er dazu wandern.
''Reiseerfahrungen, die zum Besten gehören, was in den letzten Jahren in deutscher Sprache erschienen ist.''
Der Spiegel
Berlin - Moskau von WolfgangBüscher
LESEPROBE
EINES NACHTS, als derSommer am tiefsten war, zog ich die Tür hinter mir zu und ging los, sogeradeaus wie möglich nach Osten. Berlin war ganz still an diesem frühenMorgen. Alles, was ich hörte, war das Pochen der eigenen Schritte auf denDielen, dann auf Granit. Eine Süße lag in der Luft, das waren die Linden, undBerlin lag wach, aber es hörte mich nicht. Es lag wach wie immer und wartetewie immer und hing wirren, gewaltigen Träumen nach, die aufblitzten wie dasWetterleuchten dort über dem Häusermassiv. Es hatte geregnet die Nacht, ein Busfuhr vorüber, seine Rücklichter zogen rote Spuren über den nassen Asphalt.Verkehr kam auf, in den Alleen schrien die Vögel,zitternd sprang die Stadt an, bald würden Angestellte in breiter Formation inihre Büros fahren. Damit hatte ich nichts mehr zutun.
Wie schnell war dieserMorgen am Ende näher gekommen, jetzt war er da. Was wirklich nötig ist, überdie Schulter werfen und den Rest fort, den ganzen tröstlichen Ballast. Die Türzu, morgen früh eine andere und wieder eine und noch eine und weiter, weiter.Ober die Oder, die Weichsel, die Memel. Über die Beresina,über den Dnjepr. Bis in die Nacht. Bis in den Tag.Bis es gut ist. Etwas wie Scham fiel auf mich angesichts der Ungeheuerlichkeitdes Satzes, ich gehe heute nach Moskau. Ich war froh über die Stille vonBerlin. Blicke hätte ich nicht ertragen.
Seitlich bewegte sichetwas. Ein Schaufenster, darin ein Mann. Er geht durch den dunklen Spiegel inseiner nagelneuen olivgrünen Militärhose, dem olivgrünen Hemd, in gutenStiefeln. Die sind geschenkt, und sein Gang ist fester als nötig. Spiegel, wenndieser Sommer zu Ende ist, wo bin ich dann? Das Schaufenster war aus altem,blasigem Glas, es zitterte, als ginge Wind übers Wasser, und das Bild verlorsich in psychedelischen Schlieren. Dann fuhr eine S-Bahn ab, die letzte fürlange, ich horchte ihr nach, ihrem Anrucken und Aufheulen, wie es sichberuhigte und im Westen verlor. Etwas war im Auge gewesen zuletzt, ein Kratzenin der Kehle, ein Zögern vor dem honigfarbenen Licht auf den Dielen, jemandblieb zurück.
Dann war da noch derSupermarkt am äußersten östlichen Rand der Stadt, zwei Männer in kurzen Hosenwarteten auf einer Bank, dass er aufmachte. Ein dritter kam. Ick trinke allet, rief er, Cola,Bier, Schnaps, allet, und schob sein Wägelchen vorsich her wie die alte Frau Weigel auf dem Theater der Stadt, die ich jetzt verließ.Mach'n Fisch, riefen die zwei von der Bank, und der Allet-Mann machte den Fisch und haute ab in den neuen Tag,der hatte die Farbe von feuchtem Kalk und roch auch so. Daswirklichallerletzte, was ich von Berlin sah, war eine tote Maus. Als alles forthuschte von den Gemetzeln der Nacht, war sie liegen geblieben, und obwohl siebemerkenswert beleibt war, hatte keine Katze sie gefressen. Sie streckte alleviere von sich, und der trostlose Kasten von einem Kindergarten, der in derNähe stand, hieß »Tausendfüßler«, ein lustiger Riesentausendfüßler war darauf gemalt.Ich überging den Spott und die Maus, zog den Rucksackgurt fester, bog in dieerlösende letzte Kurve und war weg.
© Rowohlt Verlag
- Autor: Wolfgang Büscher
- 2006, 229 Seiten, Maße: 13,1 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Spiegel-Verlag
- ISBN-10: 3877630049
- ISBN-13: 9783877630044
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