Das Versprechen der Kurtisane / Blackshear Bd.2
Roman
Lydia ist die Kurtisane eines reichen Mannes. Doch ihr sehnlichster Wunsch ist es, sich freizukaufen. Mit dem ehemaligen Offizier Will versucht sie, beim Kartenspiel ein Vermögen zu gewinnen. Doch dann erhöht sich unerwartet der Einsatz: Ihrer beider Herzen stehen auf dem Spiel!
Leider schon ausverkauft
Taschenbuch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Versprechen der Kurtisane / Blackshear Bd.2 “
Lydia ist die Kurtisane eines reichen Mannes. Doch ihr sehnlichster Wunsch ist es, sich freizukaufen. Mit dem ehemaligen Offizier Will versucht sie, beim Kartenspiel ein Vermögen zu gewinnen. Doch dann erhöht sich unerwartet der Einsatz: Ihrer beider Herzen stehen auf dem Spiel!
Klappentext zu „Das Versprechen der Kurtisane / Blackshear Bd.2 “
SPIEL DER LEIDENSCHAFT Der Offizier Will Blackshear braucht dringend Geld, um der Witwe eines verstorbenen Freundes zu helfen. Am Spieltisch trifft er auf die Kurtisane Lydia Slaughter, die ihr Talent für Zahlen dazu nutzt, die Karten zu manipulieren. Will ist fasziniert von der klugen Schönheit. Als Lydia ihm anvertraut, dass sie sich nach Freiheit sehnt, schlägt er ihr einen Pakt vor: Gemeinsam können sie ein Vermögen gewinnen. Doch die Gefühle, die für sie beide schon bald ins Spiel kommen, waren nicht Teil des Plans - "Betörend sinnlich und emotional berührend - Cecilia Grant ist eine unvergessliche Stimme in der Romantic History!" Madeline Hunter DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Lese-Probe zu „Das Versprechen der Kurtisane / Blackshear Bd.2 “
Das Versprechen der Kurtisane von Cecilia Grant Prolog
Juni 1815
»Was zum Teufel haben Sie sich dabei gedacht, ihn zu bewegen? « Der Feldscher stank nach Blut. im dürftigen Schein der wenigen Kerzen, die dieser Abteilung des Lazaretts zugestanden worden waren, sah er aus wie ein zerklüfteter Felsen, voller Schatten und bis zu den Ellbogen mit dem Leben anderer Männer besudelt.
»Von den Krankenträgern wollte ihn keiner mitnehmen. Ich habe stundenlang gewartet.« Nach einem Tag voll des Schreiens und Brüllens über Gewehrsalven, Kanonendonner und den Gefechtslärm zweier feindlicher Kavallerien hinweg war seine Stimme nur noch ein raues, wundes Krächzen.
Hier in der Kirche war es einerlei, dass er nicht lauter sprechen konnte. Jedenfalls war das Gebäude eine Kirche gewesen, bevor es zu diesem grausigen Dienst einberufen worden war, und vermutlich würde es wieder eine Kirche werden, wenn all diese Männer endlich nach Brüssel gebracht worden waren. Oder Brügge. in ein richtiges Krankenhaus, mit richtigen Betten statt der schmalen Bänke und des kalten Steinfußbodens. Jedenfalls sollte man sich hier demütig verhalten.
»Die befolgen nur ihre Befehle.« Der Arzt kniete sich neben die Bank, auf der Talbot lag, und tastete dessen leblose Glieder ab. Nicht ganz leblos; tot war er noch nicht. Seine Brust hob und senkte sich in einem stockenden Rhythmus, der kaum noch an Atemzüge erinnerte. »Offiziere zuerst, dann die Männer, die die größten Chancen haben. Damit haben wir, weiß Gott, schon genug zu tun. Wir können uns nicht auch noch mit den hoffnungslosen Fällen aufhalten.«
... mehr
So etwas sollte ein Arzt in Hörweite des Patienten eigentlich nicht sagen. Will hob zu einer entsprechenden Bemerkung an, schluckte sie dann aber hinunter. Es gab jetzt Wichtigeres als das Benehmen des Mannes. Zum Beispiel den Zustand von Talbots Armen und Beinen. Trotz seiner Verletzungen hatte er auf dem Feld noch Finger und Zehen bewegen können. Vielleicht war es wirklich ein Fehler gewesen, ihn herzubringen.
Nein, mit Sicherheit war es ein Fehler gewesen. Doch wegen der Erschöpfung, die ihm in den letzten drei Tagen wie ein torkelndes Ungeheuer schleppend, doch unaufhaltsam immer näher gekommen war, hatte er nicht mehr klar denken können.
Darüber konnte er sich später den Kopf zerbrechen. »Jedenfalls ist er jetzt hier.« Unwillkürlich übernahm er das Kommando, wie er es inzwischen gewöhnt war. Das nebensächliche beiseiteschieben, den Weg freiräumen und dem Mann eine Aufgabe zuteilen. »Ich will Sie nicht aufhalten, ich bitte Sie lediglich, ihn sich anzusehen und für ihn zu tun, was Sie können.«
»Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?« Der Feldscher hockte sich auf die Fersen, das Gesicht im Schatten. »Er ist an der Wirbelsäule verletzt. Er kann seine Beine nicht mehr bewegen, nicht einmal spüren. Wir können nichts für ihn tun.«
Will schluckte. Es fühlte sich an, als hätte er Schrot im Hals. »Wie können Sie so sicher sein? Sie haben ihn sich kaum angesehen. Bei dem Licht können Sie doch kaum etwas sehen. Vielleicht ist er einfach nur erschöpft, oder es liegt an den Schmerzen. « Benebelt und müde, wie er war, hörte er dennoch, wie unsinnig und verzweifelt seine Worte klangen. Er biss sich auf die Lippen und trat einen Schritt zurück.
Er stieß gegen etwas. Gegen jemanden. Einen Fußsoldaten, der nicht das Glück gehabt hatte, von einem Leutnant auf eine der Bänke gelegt zu werden. Gekrümmt lag er auf dem Steinboden und starrte Will einen Augenblick lang aus weit aufgerissenen Augen ungläubig an, bevor er den Blick wieder in die Dunkelheit über sich richtete.
Er gab keinen Laut von sich. Andere schon. Laute, wie man sie nach einem Gefecht hörte, verstärkt durch die große Zahl der Verwundeten auf engstem Raum, durch das Echo, das von den Steinwänden widerhallte, und durch die entsetzliche Ironie der Kulisse.
Will atmete langsam ein und wieder aus. Vor zwei Tagen hatte er an der Kreuzung von Quatre Bras gekniet und hektisch versucht, seine Muskete neu zu laden - Pulver, Kugel, Papier, schnell! -, während die Kürassiere in ihren schrecklichen glänzenden Brustpanzern angriffen, und er hatte gedacht: Jetzt weiß ich, wie es in der Hölle sein wird. etwa dreißig Stunden später hatte er diesen Gedanken revidiert: Die Hölle war eine schlaflose Nacht im eiskalten Regen, wenn man die eine Schlacht hinter sich und eine weitere vor sich hatte und in völlig durchweichter Uniform irgendeinem verängstigten jungen Mann die Hand auf die Schulter legte, weil einem keine tröstenden Worte mehr einfielen.
Dann wieder war die Hölle eine Schlacht, der Lärm und der Gestank und die gefallenen Kameraden. Dann war sie die Suche nach Überlebenden, und dann das lange Warten mit Talbot, die völlige Erschöpfung, die schwindende Hoffnung auf Hilfe und die Verzweiflung, die ihn schließlich dazu veranlasst hatte, den Mann hierherzutragen. Bei klarem Verstand hätte er diesen Fehler nicht begangen.
Bei klarem Verstand hätte er auch nicht den Fehler begangen, sich einzubilden, dass er bereits die Hölle erlebt hätte. Das hier war die Hölle: die Abteilung für hoffnungslose Fälle in diesem Kirchenlazarett, gebrochene Männer, die wie menschlicher Abfall einfach auf die Steine geworfen worden waren, nach Gott oder nach ihren Müttern schrien und vergeblich auf Gnade warteten.
Nein. Wenn er diese Gedanken nicht loswurde, würde er in seiner Verzweiflung ertrinken, und er hatte Besseres zu tun. »Bitte.« Der Arzt stand bereits auf, jetzt war die letzte Gelegenheit, herauszufinden, wie er ihn dazu bewegen konnte, irgendetwas für den Mann zu tun, den er in diese Hölle getragen hatte. »Er ist einer meiner Männer. Ich bin für ihn verantwortlich. Er hat Frau und Kinder.«
»Herrgott, Herr Leutnant, sehen Sie sich doch mal um! Jeder von diesen Männern wird jemanden zurücklassen. Jeder von ihnen wird auf dem Gewissen irgendeines Leutnants oder Sergeants oder Colonels lasten, der vielleicht irgendetwas hätte anders machen können.« Der Feldscher streckte in der Dunkelheit die Hand aus und berührte Will am Ärmel. Es war tröstlich gemeint. »Die Wahrheit ist: auch mit einer Trage wäre es schwer gewesen, ihn sicher zu transportieren. Es hätte womöglich genauso geendet.« Auch das war tröstlich gemeint, erkannte er dumpf. »Sie haben getan, was Sie konnten. Ich schlage vor, dass Sie sich jetzt erst mal hinlegen.«
Das war's also. Er würde Talbot sterben lassen. Den Trägern hätte das Gleiche passieren können, doch Will war ihnen zuvorgekommen, ganz eindeutig. »Warten Sie.« Jetzt war es seine Hand, die nach dem Arzt griff, um ihn aufzuhalten. Er flüsterte jetzt absichtlich. »Können Sie ihm nicht wenigstens irgendwas geben? Opium? Er hat schreckliche Schmerzen.«
Doch - gütiger Gott! - er kannte die Antwort bereits, als er die Worte hervorkrächzte. Jeder verdammte Mann hier, der noch atmete, hatte schreckliche Schmerzen, und das Opium musste für die Amputationen aufgespart werden. »Es tut mir leid«, sagte der Doktor, und Will konnte nur die Hand sinken lassen und ihm nachblicken.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Talbots Brust sich noch immer hob und senkte, eine Verstärkung seines angestrengten Herzschlags. Wann würde es aufhören? Er hätte Fragen sollen. er rieb sich mit der Hand über das Gesicht, vom Scheitel über die Augen, die unrasierten Wangen, die matten Lippen bis zum Kinn. Dann drehte er sich um und kniete sich dorthin, wo der Doktor gekniet hatte.
»Ich bringe dich hier raus.« Der Mann hatte die Augen geschlossen, doch sein Mund zuckte und er brachte eine Art nicken zustande. »Hier gibt es zu viele Verwundete, und die können keinen Feldscher erübrigen, nicht mal Opium. Du hast hier nichts mehr verloren.« Für dich besteht keine Hoffnung. Was würde es bringen, ihm das zu sagen? »Vielleicht finden wir ein anderes Lazarett, mit besserer Versorgung. Vielleicht wenigstens ein bisschen Gin.«
Gin. Unwahrscheinlich. Jedenfalls, wenn er nicht vorhatte, die Leichen nach einer Flasche zu durchsuchen. Was ihm vielleicht irgendwann zwischen jetzt und Talbots letztem Atemzug gar nicht mehr so unsinnig vorkommen dürfte.
Erschöpft raffte Will sich von der Bank auf und strauchelte beinahe, nicht unter dem Gewicht des Mannes, sondern unter der Last dessen unangebrachten Vertrauens. Während er sich zwischen toten und lebenden Körpern seinen Weg zum Ausgang suchte, beschlich ihn eine üble Vorahnung: Womöglich stand ihm die schlimmste Höllenvision erst noch bevor.
1.
11 März 1816
Drei der Kurtisanen waren schön. Sein Blick ruhte natürlich auf der vierten. Alte Angewohnheiten waren schwer abzulegen, trotz allem, was das Leben sich einfallen ließ.
Will hatte einen Ellbogen auf dem Tisch und stützte den Kopf in die Handfläche - eine Geste, die vollstes Vertrauen in sein Spiel ausdrückte und ihm zudem einen Blick an seinem Gegenüber vorbei auf die Damen ermöglichte. Ohne jegliche Hintergedanken natürlich. Er hatte dieses Etablissement in einer ernsten Angelegenheit aufgesucht, die nichts mit Kurtisanen zu tun hatte.
Aber anschauen konnte man sie sich ja trotzdem. Mal reckte er verstohlen den Hals, mal kam eine der Damen zufällig in sein Blickfeld, und so setzte er im Laufe des Abends, während sie in wechselnden Kombinationen an ihrem gut fünf Meter vom größeren Tisch der Gentlemen entfernten Kartentisch saßen, Stück für Stück ein recht vollständiges Bild der vier zusammen. Und obwohl sie ihm alle gefielen - die dunkle Verführerin, die feuerrote Nymphe, die zierliche Blonde -, hatte es bisher nur eine geschafft, seine Konzentration ins Wanken zu bringen.
Er betrachtete sie jetzt. Sie hatte die Lider gesenkt und bewegte die Finger mit äußerster Präzision, als sie ihre Karten auffächerte. Nein, schön war sie nicht. Ansehnlich vielleicht. Oder besser gesagt reizvoll: Bei einem jungen Mann hätte die höckrige Nase gewiss ebenso vorteilhaft ausgesehen wie die hohe, energisch wirkende Stirn.
Sie betrachtete ihr Blatt, ohne es neu zu ordnen, obwohl Whist gespielt wurde und ihre drei Mitspielerinnen ihre Karten nach Farben sortierten. Dann sah sie ihre Partnerin an. Graublaue, völlig ausdruckslose Augen. Ihre Hand hätte voller Trümpfe sein können, man hätte es nicht sagen können.
»Keine Chance, Blackshear.« in einer Wolke aus tabakqualm drangen die Worte an sein Ohr, kaum hörbar im Gemurmel eines guten Dutzends anderer Unterhaltungen. »Die sind alle schon vergeben.« Lord Cathcart schob sich seine Pfeife in den anderen Mundwinkel, während er seine Karten inspizierte. Eine Dame und eine Zehn waren kurz zu erkennen. Das Glück verschwendete sich wieder einmal an die reichen.
»Ich hätte sowieso keine Chance«, erwiderte Will ebenso leise und schielte unter seine eigene Karte: Eine Kreuz-Sieben zu seiner Pik-Sieben. »Ein jüngster Sohn ohne Vermögen kommt bei ihresgleichen ohnehin nicht weit.«
»Ach, ich weiß nicht.« Der Viscount wandte ihm leicht das fein geschnittene Profil zu. »Ein jüngster Sohn, der gerade sein Patent verkauft hat, könnte sich durchaus ab und zu nach mehr als der nächsten abenteuerlustigen Witwe umsehen.«
»Witwen sagen mir zu. Es ist weniger anrüchig, und man muss sich keine Sorgen darüber machen, ob man gerade eine Dame zu etwas verführt hat, das sie später bereuen wird.« Die Worte schmeckten hohl und falsch auf seiner Zunge, ein schales Überbleibsel des Lebens, das er einst geführt hatte. Er nickte in Richtung der Kurtisanen. »Jedenfalls sind deine Paradiesvögel dort ein wenig zu prächtig für jemanden meines Blutes.«
»Pah! ich wette, dein Blut sieht das anders. Vor allem was die Kleine mit den markanten Gesichtszügen und dem griechischen Knoten angeht. Ich bleibe stehen«, fügte er an die Runde gewandt hinzu, als er an der Reihe war.
»Split«, sagte Will und deckte die Siebenen auf. Sein Herz schlug einen unregelmäßigen Rhythmus, der nichts mit markanten Gesichtszügen zu tun hatte. Er kaufte und konzentrierte sich auf seine beiden neuen Karten.
Eine acht brachte die eine Hand auf fünfzehn. Mit einer dritten Karte würde er mit großer Wahrscheinlichkeit überkaufen, doch ohne standen seine Chancen, den Bankier zu überbieten, schlecht. Die zweite Hand war besser: Mit einem Ass konnte er bei achtzehn stehenbleiben oder vielleicht sogar auf einen Fünfkartentrick gehen, wenn er es als eins zählte. Wenn die nächsten drei Karten günstig ausfielen.
Die Versuchung war groß. Wie standen seine Chancen? Einundzwanzig weniger acht war dreizehn. Wie viele Dreierkombinationen gab es, die weniger als dreizehn Punkte ergaben? Bei hundertvier Karten im Spiel, acht Assen, acht Zweien, et cetera, und elf anderen Spielern am Tisch, die einige dieser Karten bereits auf der Hand hielten ... Verdammt, er hätte in Mathematik besser aufpassen sollen. Und dafür hatte sein Vater ihn nach Cambridge geschickt - Gott hab ihn selig.
»Ich kaufe für beide Hände.« noch zwanzig Pfund in den Topf. Besser, er kultivierte früh am Abend ein verwegenes Image, solange die Einsätze noch niedrig waren. Besonnen konnte er in ein paar Stunden immer noch spielen, wenn die meisten dieser Männer betrunken - nein, betrunkener - waren und Summen auf den Tisch legten, die sie am nächsten Morgen bereuen würden.
Die neuen Karten wurden ausgeteilt, und er schielte unter die Ecken. Fünf und Drei. Zwanzig und einundzwanzig. Oder zwanzig und elf, und er zwei Karten und zehn Punkte vom doppelten Gewinn des Fünfkartentricks entfernt.
Mit einer behandschuhten Fingerspitze schnippte er unbeteiligt gegen die Ecke einer Karte. Dachte er ernsthaft darüber nach? Weiterzukaufen, wo er mit einundzwanzig Schluss machen konnte? Es war sein erster Abend hier, er saß noch keine zwei Stunden am Tisch, und da forderte er sein Schicksal bereits auf diese Weise heraus?
Nun, das wäre ja nichts Neues. Mit Schicksalsschlägen kannte er sich recht gut aus, da würde der Verlust von dreißig Pfund kaum ins Gewicht fallen.
»Karte.« er schob einen Geldschein vor seine zweite Hand.
Ein Herzbube grinste ihn an, als er die Karte aufnahm, und eine Welle der Erleichterung entkrampfte verschiedene Stellen seines Körpers. Kein Fünfkartentrick, aber er würde auch nicht für seine Verwegenheit büßen. Wenn der Geber nicht selbst einundzwanzig Punkte hatte, würde er mit mindestens einer Hand gewinnen. Vielleicht mit beiden.
»Stehen«, sagte er und stützte den Kopf wieder in die Hand, während das Spiel zu seiner linken weiterging. Die Damen bedienten zwei Stiche lang Kreuz, während er zusah; die mit den harten Gesichtszügen zog die Karten mit graziöser Effizienz von den verschiedenen Stellen auf ihrer Hand.
Sollte Cathcart ruhig sticheln. Sie nährte die Fantasie eines Mannes, die Kleine. Sollten schöne Frauen ihre Reize ruhig zur Schau stellen wie Wäsche auf einer Leine im Wind, damit alle Welt sie sehen konnte. Eine Frau, die etwas verbarg, die ihre Reize auf dem Leib trug wie Seidenunterwäsche und einen Mann dazu herausforderte, danach zu suchen, erregte viel eher sein Interesse.
Leider konnte er es sich nicht leisten, sich auch auf andere Weise von ihr erregen zu lassen. Er seufzte. »Was ist ein griechischer Knoten?«, fragte er leise. »Wie sie ihre Haare trägt?«
»Du bist ein hoffnungsloser Fall!«, stieß der Viscount zwischen den Zähnen hervor, die Pfeife noch immer im Mund. »Deine Witwen scheinen nicht besonders viel auf sich zu geben. Dass wir uns nicht missverstehen: Die Aphrodite mit der Habichtsnase scheint auch nicht besonders wählerisch zu sein, der Gesellschaft nach zu urteilen, in der sie sich befindet.« Er ruckte das Kinn in Richtung eines Kerls am anderen Ende des Tisches, eines auf nichts sagende Weise gut aussehenden Kerls mit kantigem Kiefer, der bereits mit seinen ersten beiden Karten einundzwanzig erreicht hatte und als nächster geben würde.
Wills Neugier war geweckt. Wie eine Wespe summte sie in seinem Bewusstsein umher, doch er verscheuchte sie. Er war nicht zum tratschen hergekommen, und wen die Dame sich als Beschützer ausgesucht hatte, ging ihn nichts an. »Habichtsnase, findest du wirklich?« er lehnte sich zurück und streckte die Arme aus. »Das ist aber nicht sehr nett.«
Zugegeben, dies war kein Ort, an dem es auf gute Manieren ankam. Flaschen standen auf dem Tisch. Cathcart war nicht der einzige, der rauchte, obwohl Damen anwesend waren. Oder jedenfalls Frauen. allerdings ging es in einer richtigen Spielhölle vermutlich noch schlimmer zu. Laut Gillray, dem Artilleristen, konnte man dort die Verzweiflung ab vier oder fünf Uhr morgens riechen. Übel riechender Schweiß umwogte dann die Verlierer, hatte er gesagt, viel stechender als der Schweiß der gesunden Verausgabung. Und warum auch nicht? Die angst sollte ja ihren ganz eigenen Geruch haben, weshalb also nicht auch die Verzweiflung? Man sollte meinen, im Gefecht würde man das herausfinden, doch bisher hatte sich nie ein Geruch aus der immer währenden Kakofonie der Ausdünstungen hervorgetan und sich ihm als die Angst vorgestellt.
Genug davon. Er schüttelte die Handgelenke aus und streckte sich, während ein korpulenter Kerl aus dem Spiel flog und der nächste an der Reihe war. Bei den Damen bekam die mit den harten Gesichtszügen ihren dritten Stich in Folge und notierte die Punkte auf einem Blatt Papier.
Habichtsnase. Also wirklich. er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Und doch hatten ihre Nase, ihre ausdruckslosen Augen und ihr Haar von der Farbe eines Zaunkönigs unbestreitbar etwas Vogelartiges. Kalte kleine Wesen waren sie, die Vögel, trotz ihrer weichen Federn und ihres hübschen Gesangs. Sie pickten einem die Augen aus, wenn man nicht aufpasste. Was man im Krieg so alles lernte.
Der Bankier beendete das Spiel mit neunzehn, und Will war um fünfzig Pfund reicher. Wieder war er einen Schritt weiter. Er strich seinen Gewinn ein und schob die Karten dem Beschützer der Dame mit der Habichtsnase zu.
Er musste ungefähr in Wills alter sein, der Mann mit dem kantigen Kinn. So um die fünfundzwanzig. Jetzt, da er der Geber war, setzte er eine wichtige Miene auf und richtete zuerst seine Krawatte, bevor er sich den Karten zuwandte. Herablassend neigte er den Kopf, um seine Aufmerksamkeit seinem rechten Nachbarn zu schenken, der gerade über das Mädchen sprach. »Ich muss schon sagen, Roanoke«, flüsterte er unüberhörbar, »ich hätte wetten mögen, dass du sie nicht so lange behältst. Sie ist nicht halb so hübsch wie die, die du letzten Sommer bei dir hattest. Die war wirklich reizend.«
Ein kurzes Zusammenpressen der Lippen war das einzige Anzeichen dafür, dass der mit dem kantigen Kinn gekränkt war. »Die hat mir einen Bastard angehängt.« Grüne Manschettenknöpfe funkelten im Kerzenschein, als er die Karten zusammenschob. »Das kann mit dieser hier nicht passieren.«
»Das behauptet sie!«, gab der erste Gentleman zurück. Er sprach jetzt lauter, um seinen Scharfsinn allgemein vernehmlich zum Besten zu geben.
»Es ist unmöglich.« Mit der Geduld eines Königs, der den trägen Geist seiner Günstlinge gewohnt ist, legte er den Sachverhalt dar. »irgendetwas stimmt nicht bei ihr. Keine Blutung.«
Wie reizend. Sicherlich lag niemandem am Tisch viel daran, solche Dinge zu erfahren. Will warf dem Viscount einen Blick zu, erntete jedoch nur ein Schulterzucken. Offenbar waren dergleichen Unterhaltungen nicht unüblich.
Und schnell wurde es noch schlimmer. »Gegen so eine hätte ich auch nichts einzuwenden«, meldete sich ein Kerl in einem flaschengrünen Frack zu Wort. »Eine, die jederzeit zur Verfügung steht und nie Unpässlichkeit vorschieben kann. Wo hast du sie aufgelesen?«
»Bei Mrs Parrish.« Roanoke ließ sich Zeit damit, den Stapel der benutzten Karten geradezuklopfen, bevor er ihn mit der Bildseite nach oben unter den Stoß schob. »Und sie haben sie gut ausgebildet, muss ich sagen. Wenn's was gibt, was sie im Bett nicht tun würde, habe ich es noch nicht entdeckt.«
Mrs Parrish's. Selbst ein Mann, der noch nie einen Fuß in ein solches Etablissement gesetzt hatte, wusste das eine oder andere über diesen Ort. Es sprach sich herum. Will hatte Berichte über eine Vorrichtung gehört, die es einem Mann möglich machte, von einer Frau befriedigt zu werden, während er gleichzeitig von einer zweiten ausgepeitscht wurde. Gerüchte über Frauen, die sich selbst auspeitschen ließen oder sich irgendeiner anderen verderbten männlichen Fantasie unterwarfen. Bei was für perversen Aktionen hatte wohl Kieferknochen seine Geliebte kennengelernt?
Das ging ihn nichts an. Teufel noch mal, dergleichen Spekulationen über das Privatleben einer Dame standen ihm nun wirklich nicht gut an. Ebenso wenig wie den anderen Männern am Tisch, die Roanoke nun mit unverschämten Fragen löcherten. Tat sie dies? Erlaubte sie ihm das? Der Halunke teilte die Karten aus und antwortete immer einsilbiger, je größer das Interesse der Männer wurde.
Wills Temperament drohte mit ihm durchzugehen; er verspürte bereits das warnende Prickeln im Rücken. Die Frau konnte das nicht überhört haben. Sie musste bemerken, wie sich ein Kopf nach dem anderen zu ihr wandte, um sie neu einzuschätzen. Und doch konnte er keine Veränderung in ihrer Miene, ihrer Haltung oder der Geschwindigkeit ihres Spiels ausmachen. Was musste es sie kosten, sich so zu beherrschen, während sie hörte, wie sie von diesen räudigen Hunden auf ein Objekt der allgemeinen Befriedigung reduziert wurde?
»Hat sie auch einen Namen?« er hörte, wie sich seine eigene Stimme über die der anderen erhob. Was zum Teufel fiel ihm ein? Wollte er die gesamte Gesellschaft misstrauisch machen? Cathcarts Haltung verriet erhöhte Aufmerksamkeit, doch der Viscount wandte sich nicht um.
Roanoke schon. Seine kühn geschwungenen Brauen zogen sich einen Millimeter enger zusammen, bevor sie sich wieder entspannten. »Lydia«, sagte er und teilte die nächste Karte aus.
Lass gut sein, Blackshear. Doch sein Temperament meldete sich erneut zu Wort, und das warnende Prickeln im Rücken schwoll zu einem handfesten Glissando an, das ihm die Wirbelsäule entlangfuhr. »Ich meinte einen Namen, mit dem es anständig wäre, sie anzusprechen.« Verdammt. er würde wohl nie lernen, wann er sich einzumischen hatte und wann nicht.
»Haben Sie ihr denn etwas Besonderes zu sagen?« Jetzt besaß er die ungeteilte Aufmerksamkeit des Mannes, und die der meisten anderen anwesenden ebenfalls. Eine Spannung wie vor einem Gewitter lag in der Luft. Wenn er jetzt die richtigen Worte sagte, würde er König Kieferknochen gleich auf zwanzig Schritt gegenüberstehen.
Das wäre doch ein äußerst passendes lächerliches ende. Wegen übertriebenen Anstands herausgefordert. Getötet wegen einer Frau, mit der er nicht einmal etwas gehabt hatte.
Die Gespräche an den anderen Tischen traten in den Hintergrund, während er sich die Szene ausmalte. Ein paar Beleidigungen, nicht zu subtil, würden völlig ausreichen. Es würde ein leichtes sein, den Kerl so weit zu provozieren, dass er auf den Kopf zielte, während Wills eigener Schuss ihn um zehn Fuß verfehlte.
Wie schlimm würde eine solche Eskapade die Familie in Verruf bringen? Andrew würde es natürlich gar nicht gefallen. Doch Andrews Respektabilität konnte vermutlich mehrere Skandale in der Familie überstehen. Kitty und Martha waren beide verheiratet, und zwar nicht zu schlecht. Ihnen konnte er die Zukunft nicht mehr verbauen.
Nick jedoch schon. Sein zweitältester Bruder hatte politische Ambitionen und war auch jetzt noch sehr auf einen Namen ohne jeden Makel angewiesen. Ihm würde er mit seinem verwegenen Unsinn keinen Gefallen tun.
Außerdem musste er noch eine Menge Geld gewinnen. »Ich habe ihr gar nichts zu sagen.« Er artikulierte die Konsonanten überdeutlich und hielt Roanokes Blick stand. Kein Grund, völlig einzuknicken. »Ich bin es nur nicht gewöhnt, dass auf diese Weise von einer Dame gesprochen wird, und dass sie beim Vornamen genannt wird. Ich war wohl zu lange nicht in Gesellschaft. Vielleicht haben sich die Sitten geändert.«
»Waren Sie in Spanien?«, mischte sich ein Kerl mit leuchtenden Augen ein, der kaum alt genug schien, um zu so später Stunde überhaupt noch auf zu sein. »Oder sogar in Waterloo?«
Solche Leute traf man in letzter Zeit mit befremdlicher Häufigkeit. Männer, die das bittere Schicksal erlitten hatten, zu Hause bleiben zu müssen - erben, deren leben man nicht riskieren konnte, arme Schlucker, die das Geld für ein Patent nicht hatten zusammenkratzen können - und nun alles darüber hören wollten, was sie verpasst hatten.
»Leutnant der Infanterie bei der Dreißigsten«, nickte Will. »Quatre Bras und Waterloo.« Wenn der Milchbart mehr wissen wollte, würde er es ihm mit einem Enterhaken aus der Nase ziehen müssen.
Glücklicherweise hatte drei Plätze weiter jemand sehr entschiedene Ansichten über Wellington kundzutun, denen ein anderer Kommentare über Blüchers Strategie entgegensetzte, woraufhin die unvermeidliche Flut von Hohnrufen über den Prinzen von Oranien folgte und alle sich wie immer einig darüber waren, dass der achtzehnte Juni des vergangenen Jahres ein großer Tag in der Geschichte Englands gewesen war. Die Stimmung am Tisch schwang um; die Spannung zwischen ihm und Roanoke flackerte wie eine ausgehende Kerze und war verschwunden.
Will atmete tief durch und lehnte sich zurück. Wenigstens konnte er dergleichen Gespräche ertragen. Viele Soldaten konnten das nicht. Manchen wurde bei dem Thema so schwindlig, dass sie den Raum verlassen mussten. andere gerieten in Wut, wenn das Grauen der Schlacht wie ein glorreicher Sport beschrieben wurde, wie tausend gleichzeitig ablaufende Boxkämpfe, denen eine Strategie hinzugefügt worden war, sowie schmucke Uniformen und Waffen, die laut knallten.
»Keine besonders brillante Taktik«, murmelte Cathcart und stieß eine Rauchwolke aus, während er die Pfeife aus dem Mund nahm.
Typisch. Die, die den Krieg nicht verherrlichten, mussten immer wieder betonen, wie knapp der Sieg gewesen war, weil die besten Soldaten sich im fernen Portugal oder Spanien befunden hatten und nur unglückselige Kinder und zweitklassige Offiziere durch Hougoumont gestolpert waren. Das kannte er schon. Von einem Freund traf es ihn dennoch.
»Ja, eine entsetzliche Verschwendung von Menschenleben.« Er gab sich Mühe, seine Stimme unbeteiligt klingen zu lassen. »Aber auf beiden Seiten, das kann ich dir versichern.«
Der Viscount schüttelte den Kopf. »Dein Schachzug. nicht besonders originell.« Eine Karte landete vor ihm, und er hob eine Ecke an. »Die Ehre einer Kurtisane verteidigen zu wollen. Aber es könnte trotzdem klappen. Übrigens heißt sie Miss Slaughter, deine unfruchtbare Nymphe.«
Ach so, die Kurtisane. Ja, das passte auch besser. er kannte Cathcart jetzt seit sieben Jahren, und immer hatte der Mann das Leben als großes Spiel angesehen. Warum sollte er jetzt auf einmal eine militärpolitische Meinung haben? »Ich versichere dir, es sollte kein Schachzug sein.« Erleichterung verlieh seinen Worten Nachdruck. Ein Zerwürfnis konnte er nicht gebrauchen; in letzter Zeit hatte er ohnehin schon oft genug das Gefühl, dass seine alten Freunde ihm Fremde geworden waren. Und er stritt tausendmal lieber über eine Frau als über eine Schlacht. »Bin ich denn hier der einzige, der Schwestern hat? Der die Grundregeln des Anstands beherrscht? Keine Frau verdient es, so etwas über sich mit anhören zu müssen.« Er konnte sich einen verstohlenen Blick nicht verkneifen, doch falls Miss Slaughter irgendetwas von seiner unbeholfenen Galanterie mitbekommen hatte, ließ sie sich nichts anmerken. Gelassen machte sie einen weiteren Strich auf ihrem Papier und lehnte sich mit gestrafften Schultern und erhobenem Kopf zurück. ihr Blick war schonungslos und unbarmherzig wie der eines Falken. Kein einziges Mal drehte sie sich zu ihm um.
Auch das Glück war ihm diesmal nicht hold. er verlor mit einer Hand zwanzig und mit der anderen dreißig Pfund an Mr Roanoke, was mehr als ein Drittel seines Gewinns wieder auslöschte. Mochte es ihm eine Lehre sein, sich in solche Bagatellen verstricken zu lassen. angewidert verließ er den Tisch.
Es war einst ein Wohnhaus gewesen, dieses Gebäude, das nun den Club und seine sittenlosen Mitglieder beherbergte. einige Wände waren durchbrochen worden, um die nötigen großen Säle und das Speisezimmer zu schaffen, doch die vorherige Verwendung der Räumlichkeiten war an vielen Stellen noch zu erkennen. Hinten im zweiten Stock gab es zum Beispiel einen kleinen Salon, in dem einige Damen saßen, denen der Sinn nicht nach Kartenspielen stand. Will wandte sich ab vom Licht und Geplauder und fand auf der Straßenseite derselben Etage eine kleine Bibliothek, die sogar noch mit Büchern bestückt war. Es gab weder Feuer noch Kerzen, doch umso wahrscheinlicher war es, dass er den Raum für sich haben würde.
Ein Bücherregal stand im rechten Winkel zum einzigen Fenster, und im Dunkel dahinter konnte er eine Form ausmachen, die sich beim Näherkommen als Sessel entpuppte. Hervorragend. er ließ sich hineinsinken und schloss die Augen. Durch die geöffnete Tür drangen die Geräusche des Hauses an sein Ohr, entfernt und undeutlich. Stimmen. Gelächter. leise Musik - eine Geige? - aus dem Ballsaal unter ihm. Bestimmt würde später noch getanzt werden. eine weitere raffinierte Annehmlichkeit, die das Haus von schäbigen Etablissements wie dem Smith and Pope's abhob und auf seine vornehmere Gesellschaft hindeutete. Hier konnte ein Gentleman mit Kurtisanen Walzer tanzen, sich einen Rausch antrinken und sich zugunsten seinesgleichen in den Ruin treiben anstatt zugunsten eines namenlosen Besitzers.
Copyright © 2013 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
So etwas sollte ein Arzt in Hörweite des Patienten eigentlich nicht sagen. Will hob zu einer entsprechenden Bemerkung an, schluckte sie dann aber hinunter. Es gab jetzt Wichtigeres als das Benehmen des Mannes. Zum Beispiel den Zustand von Talbots Armen und Beinen. Trotz seiner Verletzungen hatte er auf dem Feld noch Finger und Zehen bewegen können. Vielleicht war es wirklich ein Fehler gewesen, ihn herzubringen.
Nein, mit Sicherheit war es ein Fehler gewesen. Doch wegen der Erschöpfung, die ihm in den letzten drei Tagen wie ein torkelndes Ungeheuer schleppend, doch unaufhaltsam immer näher gekommen war, hatte er nicht mehr klar denken können.
Darüber konnte er sich später den Kopf zerbrechen. »Jedenfalls ist er jetzt hier.« Unwillkürlich übernahm er das Kommando, wie er es inzwischen gewöhnt war. Das nebensächliche beiseiteschieben, den Weg freiräumen und dem Mann eine Aufgabe zuteilen. »Ich will Sie nicht aufhalten, ich bitte Sie lediglich, ihn sich anzusehen und für ihn zu tun, was Sie können.«
»Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?« Der Feldscher hockte sich auf die Fersen, das Gesicht im Schatten. »Er ist an der Wirbelsäule verletzt. Er kann seine Beine nicht mehr bewegen, nicht einmal spüren. Wir können nichts für ihn tun.«
Will schluckte. Es fühlte sich an, als hätte er Schrot im Hals. »Wie können Sie so sicher sein? Sie haben ihn sich kaum angesehen. Bei dem Licht können Sie doch kaum etwas sehen. Vielleicht ist er einfach nur erschöpft, oder es liegt an den Schmerzen. « Benebelt und müde, wie er war, hörte er dennoch, wie unsinnig und verzweifelt seine Worte klangen. Er biss sich auf die Lippen und trat einen Schritt zurück.
Er stieß gegen etwas. Gegen jemanden. Einen Fußsoldaten, der nicht das Glück gehabt hatte, von einem Leutnant auf eine der Bänke gelegt zu werden. Gekrümmt lag er auf dem Steinboden und starrte Will einen Augenblick lang aus weit aufgerissenen Augen ungläubig an, bevor er den Blick wieder in die Dunkelheit über sich richtete.
Er gab keinen Laut von sich. Andere schon. Laute, wie man sie nach einem Gefecht hörte, verstärkt durch die große Zahl der Verwundeten auf engstem Raum, durch das Echo, das von den Steinwänden widerhallte, und durch die entsetzliche Ironie der Kulisse.
Will atmete langsam ein und wieder aus. Vor zwei Tagen hatte er an der Kreuzung von Quatre Bras gekniet und hektisch versucht, seine Muskete neu zu laden - Pulver, Kugel, Papier, schnell! -, während die Kürassiere in ihren schrecklichen glänzenden Brustpanzern angriffen, und er hatte gedacht: Jetzt weiß ich, wie es in der Hölle sein wird. etwa dreißig Stunden später hatte er diesen Gedanken revidiert: Die Hölle war eine schlaflose Nacht im eiskalten Regen, wenn man die eine Schlacht hinter sich und eine weitere vor sich hatte und in völlig durchweichter Uniform irgendeinem verängstigten jungen Mann die Hand auf die Schulter legte, weil einem keine tröstenden Worte mehr einfielen.
Dann wieder war die Hölle eine Schlacht, der Lärm und der Gestank und die gefallenen Kameraden. Dann war sie die Suche nach Überlebenden, und dann das lange Warten mit Talbot, die völlige Erschöpfung, die schwindende Hoffnung auf Hilfe und die Verzweiflung, die ihn schließlich dazu veranlasst hatte, den Mann hierherzutragen. Bei klarem Verstand hätte er diesen Fehler nicht begangen.
Bei klarem Verstand hätte er auch nicht den Fehler begangen, sich einzubilden, dass er bereits die Hölle erlebt hätte. Das hier war die Hölle: die Abteilung für hoffnungslose Fälle in diesem Kirchenlazarett, gebrochene Männer, die wie menschlicher Abfall einfach auf die Steine geworfen worden waren, nach Gott oder nach ihren Müttern schrien und vergeblich auf Gnade warteten.
Nein. Wenn er diese Gedanken nicht loswurde, würde er in seiner Verzweiflung ertrinken, und er hatte Besseres zu tun. »Bitte.« Der Arzt stand bereits auf, jetzt war die letzte Gelegenheit, herauszufinden, wie er ihn dazu bewegen konnte, irgendetwas für den Mann zu tun, den er in diese Hölle getragen hatte. »Er ist einer meiner Männer. Ich bin für ihn verantwortlich. Er hat Frau und Kinder.«
»Herrgott, Herr Leutnant, sehen Sie sich doch mal um! Jeder von diesen Männern wird jemanden zurücklassen. Jeder von ihnen wird auf dem Gewissen irgendeines Leutnants oder Sergeants oder Colonels lasten, der vielleicht irgendetwas hätte anders machen können.« Der Feldscher streckte in der Dunkelheit die Hand aus und berührte Will am Ärmel. Es war tröstlich gemeint. »Die Wahrheit ist: auch mit einer Trage wäre es schwer gewesen, ihn sicher zu transportieren. Es hätte womöglich genauso geendet.« Auch das war tröstlich gemeint, erkannte er dumpf. »Sie haben getan, was Sie konnten. Ich schlage vor, dass Sie sich jetzt erst mal hinlegen.«
Das war's also. Er würde Talbot sterben lassen. Den Trägern hätte das Gleiche passieren können, doch Will war ihnen zuvorgekommen, ganz eindeutig. »Warten Sie.« Jetzt war es seine Hand, die nach dem Arzt griff, um ihn aufzuhalten. Er flüsterte jetzt absichtlich. »Können Sie ihm nicht wenigstens irgendwas geben? Opium? Er hat schreckliche Schmerzen.«
Doch - gütiger Gott! - er kannte die Antwort bereits, als er die Worte hervorkrächzte. Jeder verdammte Mann hier, der noch atmete, hatte schreckliche Schmerzen, und das Opium musste für die Amputationen aufgespart werden. »Es tut mir leid«, sagte der Doktor, und Will konnte nur die Hand sinken lassen und ihm nachblicken.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Talbots Brust sich noch immer hob und senkte, eine Verstärkung seines angestrengten Herzschlags. Wann würde es aufhören? Er hätte Fragen sollen. er rieb sich mit der Hand über das Gesicht, vom Scheitel über die Augen, die unrasierten Wangen, die matten Lippen bis zum Kinn. Dann drehte er sich um und kniete sich dorthin, wo der Doktor gekniet hatte.
»Ich bringe dich hier raus.« Der Mann hatte die Augen geschlossen, doch sein Mund zuckte und er brachte eine Art nicken zustande. »Hier gibt es zu viele Verwundete, und die können keinen Feldscher erübrigen, nicht mal Opium. Du hast hier nichts mehr verloren.« Für dich besteht keine Hoffnung. Was würde es bringen, ihm das zu sagen? »Vielleicht finden wir ein anderes Lazarett, mit besserer Versorgung. Vielleicht wenigstens ein bisschen Gin.«
Gin. Unwahrscheinlich. Jedenfalls, wenn er nicht vorhatte, die Leichen nach einer Flasche zu durchsuchen. Was ihm vielleicht irgendwann zwischen jetzt und Talbots letztem Atemzug gar nicht mehr so unsinnig vorkommen dürfte.
Erschöpft raffte Will sich von der Bank auf und strauchelte beinahe, nicht unter dem Gewicht des Mannes, sondern unter der Last dessen unangebrachten Vertrauens. Während er sich zwischen toten und lebenden Körpern seinen Weg zum Ausgang suchte, beschlich ihn eine üble Vorahnung: Womöglich stand ihm die schlimmste Höllenvision erst noch bevor.
1.
11 März 1816
Drei der Kurtisanen waren schön. Sein Blick ruhte natürlich auf der vierten. Alte Angewohnheiten waren schwer abzulegen, trotz allem, was das Leben sich einfallen ließ.
Will hatte einen Ellbogen auf dem Tisch und stützte den Kopf in die Handfläche - eine Geste, die vollstes Vertrauen in sein Spiel ausdrückte und ihm zudem einen Blick an seinem Gegenüber vorbei auf die Damen ermöglichte. Ohne jegliche Hintergedanken natürlich. Er hatte dieses Etablissement in einer ernsten Angelegenheit aufgesucht, die nichts mit Kurtisanen zu tun hatte.
Aber anschauen konnte man sie sich ja trotzdem. Mal reckte er verstohlen den Hals, mal kam eine der Damen zufällig in sein Blickfeld, und so setzte er im Laufe des Abends, während sie in wechselnden Kombinationen an ihrem gut fünf Meter vom größeren Tisch der Gentlemen entfernten Kartentisch saßen, Stück für Stück ein recht vollständiges Bild der vier zusammen. Und obwohl sie ihm alle gefielen - die dunkle Verführerin, die feuerrote Nymphe, die zierliche Blonde -, hatte es bisher nur eine geschafft, seine Konzentration ins Wanken zu bringen.
Er betrachtete sie jetzt. Sie hatte die Lider gesenkt und bewegte die Finger mit äußerster Präzision, als sie ihre Karten auffächerte. Nein, schön war sie nicht. Ansehnlich vielleicht. Oder besser gesagt reizvoll: Bei einem jungen Mann hätte die höckrige Nase gewiss ebenso vorteilhaft ausgesehen wie die hohe, energisch wirkende Stirn.
Sie betrachtete ihr Blatt, ohne es neu zu ordnen, obwohl Whist gespielt wurde und ihre drei Mitspielerinnen ihre Karten nach Farben sortierten. Dann sah sie ihre Partnerin an. Graublaue, völlig ausdruckslose Augen. Ihre Hand hätte voller Trümpfe sein können, man hätte es nicht sagen können.
»Keine Chance, Blackshear.« in einer Wolke aus tabakqualm drangen die Worte an sein Ohr, kaum hörbar im Gemurmel eines guten Dutzends anderer Unterhaltungen. »Die sind alle schon vergeben.« Lord Cathcart schob sich seine Pfeife in den anderen Mundwinkel, während er seine Karten inspizierte. Eine Dame und eine Zehn waren kurz zu erkennen. Das Glück verschwendete sich wieder einmal an die reichen.
»Ich hätte sowieso keine Chance«, erwiderte Will ebenso leise und schielte unter seine eigene Karte: Eine Kreuz-Sieben zu seiner Pik-Sieben. »Ein jüngster Sohn ohne Vermögen kommt bei ihresgleichen ohnehin nicht weit.«
»Ach, ich weiß nicht.« Der Viscount wandte ihm leicht das fein geschnittene Profil zu. »Ein jüngster Sohn, der gerade sein Patent verkauft hat, könnte sich durchaus ab und zu nach mehr als der nächsten abenteuerlustigen Witwe umsehen.«
»Witwen sagen mir zu. Es ist weniger anrüchig, und man muss sich keine Sorgen darüber machen, ob man gerade eine Dame zu etwas verführt hat, das sie später bereuen wird.« Die Worte schmeckten hohl und falsch auf seiner Zunge, ein schales Überbleibsel des Lebens, das er einst geführt hatte. Er nickte in Richtung der Kurtisanen. »Jedenfalls sind deine Paradiesvögel dort ein wenig zu prächtig für jemanden meines Blutes.«
»Pah! ich wette, dein Blut sieht das anders. Vor allem was die Kleine mit den markanten Gesichtszügen und dem griechischen Knoten angeht. Ich bleibe stehen«, fügte er an die Runde gewandt hinzu, als er an der Reihe war.
»Split«, sagte Will und deckte die Siebenen auf. Sein Herz schlug einen unregelmäßigen Rhythmus, der nichts mit markanten Gesichtszügen zu tun hatte. Er kaufte und konzentrierte sich auf seine beiden neuen Karten.
Eine acht brachte die eine Hand auf fünfzehn. Mit einer dritten Karte würde er mit großer Wahrscheinlichkeit überkaufen, doch ohne standen seine Chancen, den Bankier zu überbieten, schlecht. Die zweite Hand war besser: Mit einem Ass konnte er bei achtzehn stehenbleiben oder vielleicht sogar auf einen Fünfkartentrick gehen, wenn er es als eins zählte. Wenn die nächsten drei Karten günstig ausfielen.
Die Versuchung war groß. Wie standen seine Chancen? Einundzwanzig weniger acht war dreizehn. Wie viele Dreierkombinationen gab es, die weniger als dreizehn Punkte ergaben? Bei hundertvier Karten im Spiel, acht Assen, acht Zweien, et cetera, und elf anderen Spielern am Tisch, die einige dieser Karten bereits auf der Hand hielten ... Verdammt, er hätte in Mathematik besser aufpassen sollen. Und dafür hatte sein Vater ihn nach Cambridge geschickt - Gott hab ihn selig.
»Ich kaufe für beide Hände.« noch zwanzig Pfund in den Topf. Besser, er kultivierte früh am Abend ein verwegenes Image, solange die Einsätze noch niedrig waren. Besonnen konnte er in ein paar Stunden immer noch spielen, wenn die meisten dieser Männer betrunken - nein, betrunkener - waren und Summen auf den Tisch legten, die sie am nächsten Morgen bereuen würden.
Die neuen Karten wurden ausgeteilt, und er schielte unter die Ecken. Fünf und Drei. Zwanzig und einundzwanzig. Oder zwanzig und elf, und er zwei Karten und zehn Punkte vom doppelten Gewinn des Fünfkartentricks entfernt.
Mit einer behandschuhten Fingerspitze schnippte er unbeteiligt gegen die Ecke einer Karte. Dachte er ernsthaft darüber nach? Weiterzukaufen, wo er mit einundzwanzig Schluss machen konnte? Es war sein erster Abend hier, er saß noch keine zwei Stunden am Tisch, und da forderte er sein Schicksal bereits auf diese Weise heraus?
Nun, das wäre ja nichts Neues. Mit Schicksalsschlägen kannte er sich recht gut aus, da würde der Verlust von dreißig Pfund kaum ins Gewicht fallen.
»Karte.« er schob einen Geldschein vor seine zweite Hand.
Ein Herzbube grinste ihn an, als er die Karte aufnahm, und eine Welle der Erleichterung entkrampfte verschiedene Stellen seines Körpers. Kein Fünfkartentrick, aber er würde auch nicht für seine Verwegenheit büßen. Wenn der Geber nicht selbst einundzwanzig Punkte hatte, würde er mit mindestens einer Hand gewinnen. Vielleicht mit beiden.
»Stehen«, sagte er und stützte den Kopf wieder in die Hand, während das Spiel zu seiner linken weiterging. Die Damen bedienten zwei Stiche lang Kreuz, während er zusah; die mit den harten Gesichtszügen zog die Karten mit graziöser Effizienz von den verschiedenen Stellen auf ihrer Hand.
Sollte Cathcart ruhig sticheln. Sie nährte die Fantasie eines Mannes, die Kleine. Sollten schöne Frauen ihre Reize ruhig zur Schau stellen wie Wäsche auf einer Leine im Wind, damit alle Welt sie sehen konnte. Eine Frau, die etwas verbarg, die ihre Reize auf dem Leib trug wie Seidenunterwäsche und einen Mann dazu herausforderte, danach zu suchen, erregte viel eher sein Interesse.
Leider konnte er es sich nicht leisten, sich auch auf andere Weise von ihr erregen zu lassen. Er seufzte. »Was ist ein griechischer Knoten?«, fragte er leise. »Wie sie ihre Haare trägt?«
»Du bist ein hoffnungsloser Fall!«, stieß der Viscount zwischen den Zähnen hervor, die Pfeife noch immer im Mund. »Deine Witwen scheinen nicht besonders viel auf sich zu geben. Dass wir uns nicht missverstehen: Die Aphrodite mit der Habichtsnase scheint auch nicht besonders wählerisch zu sein, der Gesellschaft nach zu urteilen, in der sie sich befindet.« Er ruckte das Kinn in Richtung eines Kerls am anderen Ende des Tisches, eines auf nichts sagende Weise gut aussehenden Kerls mit kantigem Kiefer, der bereits mit seinen ersten beiden Karten einundzwanzig erreicht hatte und als nächster geben würde.
Wills Neugier war geweckt. Wie eine Wespe summte sie in seinem Bewusstsein umher, doch er verscheuchte sie. Er war nicht zum tratschen hergekommen, und wen die Dame sich als Beschützer ausgesucht hatte, ging ihn nichts an. »Habichtsnase, findest du wirklich?« er lehnte sich zurück und streckte die Arme aus. »Das ist aber nicht sehr nett.«
Zugegeben, dies war kein Ort, an dem es auf gute Manieren ankam. Flaschen standen auf dem Tisch. Cathcart war nicht der einzige, der rauchte, obwohl Damen anwesend waren. Oder jedenfalls Frauen. allerdings ging es in einer richtigen Spielhölle vermutlich noch schlimmer zu. Laut Gillray, dem Artilleristen, konnte man dort die Verzweiflung ab vier oder fünf Uhr morgens riechen. Übel riechender Schweiß umwogte dann die Verlierer, hatte er gesagt, viel stechender als der Schweiß der gesunden Verausgabung. Und warum auch nicht? Die angst sollte ja ihren ganz eigenen Geruch haben, weshalb also nicht auch die Verzweiflung? Man sollte meinen, im Gefecht würde man das herausfinden, doch bisher hatte sich nie ein Geruch aus der immer währenden Kakofonie der Ausdünstungen hervorgetan und sich ihm als die Angst vorgestellt.
Genug davon. Er schüttelte die Handgelenke aus und streckte sich, während ein korpulenter Kerl aus dem Spiel flog und der nächste an der Reihe war. Bei den Damen bekam die mit den harten Gesichtszügen ihren dritten Stich in Folge und notierte die Punkte auf einem Blatt Papier.
Habichtsnase. Also wirklich. er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Und doch hatten ihre Nase, ihre ausdruckslosen Augen und ihr Haar von der Farbe eines Zaunkönigs unbestreitbar etwas Vogelartiges. Kalte kleine Wesen waren sie, die Vögel, trotz ihrer weichen Federn und ihres hübschen Gesangs. Sie pickten einem die Augen aus, wenn man nicht aufpasste. Was man im Krieg so alles lernte.
Der Bankier beendete das Spiel mit neunzehn, und Will war um fünfzig Pfund reicher. Wieder war er einen Schritt weiter. Er strich seinen Gewinn ein und schob die Karten dem Beschützer der Dame mit der Habichtsnase zu.
Er musste ungefähr in Wills alter sein, der Mann mit dem kantigen Kinn. So um die fünfundzwanzig. Jetzt, da er der Geber war, setzte er eine wichtige Miene auf und richtete zuerst seine Krawatte, bevor er sich den Karten zuwandte. Herablassend neigte er den Kopf, um seine Aufmerksamkeit seinem rechten Nachbarn zu schenken, der gerade über das Mädchen sprach. »Ich muss schon sagen, Roanoke«, flüsterte er unüberhörbar, »ich hätte wetten mögen, dass du sie nicht so lange behältst. Sie ist nicht halb so hübsch wie die, die du letzten Sommer bei dir hattest. Die war wirklich reizend.«
Ein kurzes Zusammenpressen der Lippen war das einzige Anzeichen dafür, dass der mit dem kantigen Kinn gekränkt war. »Die hat mir einen Bastard angehängt.« Grüne Manschettenknöpfe funkelten im Kerzenschein, als er die Karten zusammenschob. »Das kann mit dieser hier nicht passieren.«
»Das behauptet sie!«, gab der erste Gentleman zurück. Er sprach jetzt lauter, um seinen Scharfsinn allgemein vernehmlich zum Besten zu geben.
»Es ist unmöglich.« Mit der Geduld eines Königs, der den trägen Geist seiner Günstlinge gewohnt ist, legte er den Sachverhalt dar. »irgendetwas stimmt nicht bei ihr. Keine Blutung.«
Wie reizend. Sicherlich lag niemandem am Tisch viel daran, solche Dinge zu erfahren. Will warf dem Viscount einen Blick zu, erntete jedoch nur ein Schulterzucken. Offenbar waren dergleichen Unterhaltungen nicht unüblich.
Und schnell wurde es noch schlimmer. »Gegen so eine hätte ich auch nichts einzuwenden«, meldete sich ein Kerl in einem flaschengrünen Frack zu Wort. »Eine, die jederzeit zur Verfügung steht und nie Unpässlichkeit vorschieben kann. Wo hast du sie aufgelesen?«
»Bei Mrs Parrish.« Roanoke ließ sich Zeit damit, den Stapel der benutzten Karten geradezuklopfen, bevor er ihn mit der Bildseite nach oben unter den Stoß schob. »Und sie haben sie gut ausgebildet, muss ich sagen. Wenn's was gibt, was sie im Bett nicht tun würde, habe ich es noch nicht entdeckt.«
Mrs Parrish's. Selbst ein Mann, der noch nie einen Fuß in ein solches Etablissement gesetzt hatte, wusste das eine oder andere über diesen Ort. Es sprach sich herum. Will hatte Berichte über eine Vorrichtung gehört, die es einem Mann möglich machte, von einer Frau befriedigt zu werden, während er gleichzeitig von einer zweiten ausgepeitscht wurde. Gerüchte über Frauen, die sich selbst auspeitschen ließen oder sich irgendeiner anderen verderbten männlichen Fantasie unterwarfen. Bei was für perversen Aktionen hatte wohl Kieferknochen seine Geliebte kennengelernt?
Das ging ihn nichts an. Teufel noch mal, dergleichen Spekulationen über das Privatleben einer Dame standen ihm nun wirklich nicht gut an. Ebenso wenig wie den anderen Männern am Tisch, die Roanoke nun mit unverschämten Fragen löcherten. Tat sie dies? Erlaubte sie ihm das? Der Halunke teilte die Karten aus und antwortete immer einsilbiger, je größer das Interesse der Männer wurde.
Wills Temperament drohte mit ihm durchzugehen; er verspürte bereits das warnende Prickeln im Rücken. Die Frau konnte das nicht überhört haben. Sie musste bemerken, wie sich ein Kopf nach dem anderen zu ihr wandte, um sie neu einzuschätzen. Und doch konnte er keine Veränderung in ihrer Miene, ihrer Haltung oder der Geschwindigkeit ihres Spiels ausmachen. Was musste es sie kosten, sich so zu beherrschen, während sie hörte, wie sie von diesen räudigen Hunden auf ein Objekt der allgemeinen Befriedigung reduziert wurde?
»Hat sie auch einen Namen?« er hörte, wie sich seine eigene Stimme über die der anderen erhob. Was zum Teufel fiel ihm ein? Wollte er die gesamte Gesellschaft misstrauisch machen? Cathcarts Haltung verriet erhöhte Aufmerksamkeit, doch der Viscount wandte sich nicht um.
Roanoke schon. Seine kühn geschwungenen Brauen zogen sich einen Millimeter enger zusammen, bevor sie sich wieder entspannten. »Lydia«, sagte er und teilte die nächste Karte aus.
Lass gut sein, Blackshear. Doch sein Temperament meldete sich erneut zu Wort, und das warnende Prickeln im Rücken schwoll zu einem handfesten Glissando an, das ihm die Wirbelsäule entlangfuhr. »Ich meinte einen Namen, mit dem es anständig wäre, sie anzusprechen.« Verdammt. er würde wohl nie lernen, wann er sich einzumischen hatte und wann nicht.
»Haben Sie ihr denn etwas Besonderes zu sagen?« Jetzt besaß er die ungeteilte Aufmerksamkeit des Mannes, und die der meisten anderen anwesenden ebenfalls. Eine Spannung wie vor einem Gewitter lag in der Luft. Wenn er jetzt die richtigen Worte sagte, würde er König Kieferknochen gleich auf zwanzig Schritt gegenüberstehen.
Das wäre doch ein äußerst passendes lächerliches ende. Wegen übertriebenen Anstands herausgefordert. Getötet wegen einer Frau, mit der er nicht einmal etwas gehabt hatte.
Die Gespräche an den anderen Tischen traten in den Hintergrund, während er sich die Szene ausmalte. Ein paar Beleidigungen, nicht zu subtil, würden völlig ausreichen. Es würde ein leichtes sein, den Kerl so weit zu provozieren, dass er auf den Kopf zielte, während Wills eigener Schuss ihn um zehn Fuß verfehlte.
Wie schlimm würde eine solche Eskapade die Familie in Verruf bringen? Andrew würde es natürlich gar nicht gefallen. Doch Andrews Respektabilität konnte vermutlich mehrere Skandale in der Familie überstehen. Kitty und Martha waren beide verheiratet, und zwar nicht zu schlecht. Ihnen konnte er die Zukunft nicht mehr verbauen.
Nick jedoch schon. Sein zweitältester Bruder hatte politische Ambitionen und war auch jetzt noch sehr auf einen Namen ohne jeden Makel angewiesen. Ihm würde er mit seinem verwegenen Unsinn keinen Gefallen tun.
Außerdem musste er noch eine Menge Geld gewinnen. »Ich habe ihr gar nichts zu sagen.« Er artikulierte die Konsonanten überdeutlich und hielt Roanokes Blick stand. Kein Grund, völlig einzuknicken. »Ich bin es nur nicht gewöhnt, dass auf diese Weise von einer Dame gesprochen wird, und dass sie beim Vornamen genannt wird. Ich war wohl zu lange nicht in Gesellschaft. Vielleicht haben sich die Sitten geändert.«
»Waren Sie in Spanien?«, mischte sich ein Kerl mit leuchtenden Augen ein, der kaum alt genug schien, um zu so später Stunde überhaupt noch auf zu sein. »Oder sogar in Waterloo?«
Solche Leute traf man in letzter Zeit mit befremdlicher Häufigkeit. Männer, die das bittere Schicksal erlitten hatten, zu Hause bleiben zu müssen - erben, deren leben man nicht riskieren konnte, arme Schlucker, die das Geld für ein Patent nicht hatten zusammenkratzen können - und nun alles darüber hören wollten, was sie verpasst hatten.
»Leutnant der Infanterie bei der Dreißigsten«, nickte Will. »Quatre Bras und Waterloo.« Wenn der Milchbart mehr wissen wollte, würde er es ihm mit einem Enterhaken aus der Nase ziehen müssen.
Glücklicherweise hatte drei Plätze weiter jemand sehr entschiedene Ansichten über Wellington kundzutun, denen ein anderer Kommentare über Blüchers Strategie entgegensetzte, woraufhin die unvermeidliche Flut von Hohnrufen über den Prinzen von Oranien folgte und alle sich wie immer einig darüber waren, dass der achtzehnte Juni des vergangenen Jahres ein großer Tag in der Geschichte Englands gewesen war. Die Stimmung am Tisch schwang um; die Spannung zwischen ihm und Roanoke flackerte wie eine ausgehende Kerze und war verschwunden.
Will atmete tief durch und lehnte sich zurück. Wenigstens konnte er dergleichen Gespräche ertragen. Viele Soldaten konnten das nicht. Manchen wurde bei dem Thema so schwindlig, dass sie den Raum verlassen mussten. andere gerieten in Wut, wenn das Grauen der Schlacht wie ein glorreicher Sport beschrieben wurde, wie tausend gleichzeitig ablaufende Boxkämpfe, denen eine Strategie hinzugefügt worden war, sowie schmucke Uniformen und Waffen, die laut knallten.
»Keine besonders brillante Taktik«, murmelte Cathcart und stieß eine Rauchwolke aus, während er die Pfeife aus dem Mund nahm.
Typisch. Die, die den Krieg nicht verherrlichten, mussten immer wieder betonen, wie knapp der Sieg gewesen war, weil die besten Soldaten sich im fernen Portugal oder Spanien befunden hatten und nur unglückselige Kinder und zweitklassige Offiziere durch Hougoumont gestolpert waren. Das kannte er schon. Von einem Freund traf es ihn dennoch.
»Ja, eine entsetzliche Verschwendung von Menschenleben.« Er gab sich Mühe, seine Stimme unbeteiligt klingen zu lassen. »Aber auf beiden Seiten, das kann ich dir versichern.«
Der Viscount schüttelte den Kopf. »Dein Schachzug. nicht besonders originell.« Eine Karte landete vor ihm, und er hob eine Ecke an. »Die Ehre einer Kurtisane verteidigen zu wollen. Aber es könnte trotzdem klappen. Übrigens heißt sie Miss Slaughter, deine unfruchtbare Nymphe.«
Ach so, die Kurtisane. Ja, das passte auch besser. er kannte Cathcart jetzt seit sieben Jahren, und immer hatte der Mann das Leben als großes Spiel angesehen. Warum sollte er jetzt auf einmal eine militärpolitische Meinung haben? »Ich versichere dir, es sollte kein Schachzug sein.« Erleichterung verlieh seinen Worten Nachdruck. Ein Zerwürfnis konnte er nicht gebrauchen; in letzter Zeit hatte er ohnehin schon oft genug das Gefühl, dass seine alten Freunde ihm Fremde geworden waren. Und er stritt tausendmal lieber über eine Frau als über eine Schlacht. »Bin ich denn hier der einzige, der Schwestern hat? Der die Grundregeln des Anstands beherrscht? Keine Frau verdient es, so etwas über sich mit anhören zu müssen.« Er konnte sich einen verstohlenen Blick nicht verkneifen, doch falls Miss Slaughter irgendetwas von seiner unbeholfenen Galanterie mitbekommen hatte, ließ sie sich nichts anmerken. Gelassen machte sie einen weiteren Strich auf ihrem Papier und lehnte sich mit gestrafften Schultern und erhobenem Kopf zurück. ihr Blick war schonungslos und unbarmherzig wie der eines Falken. Kein einziges Mal drehte sie sich zu ihm um.
Auch das Glück war ihm diesmal nicht hold. er verlor mit einer Hand zwanzig und mit der anderen dreißig Pfund an Mr Roanoke, was mehr als ein Drittel seines Gewinns wieder auslöschte. Mochte es ihm eine Lehre sein, sich in solche Bagatellen verstricken zu lassen. angewidert verließ er den Tisch.
Es war einst ein Wohnhaus gewesen, dieses Gebäude, das nun den Club und seine sittenlosen Mitglieder beherbergte. einige Wände waren durchbrochen worden, um die nötigen großen Säle und das Speisezimmer zu schaffen, doch die vorherige Verwendung der Räumlichkeiten war an vielen Stellen noch zu erkennen. Hinten im zweiten Stock gab es zum Beispiel einen kleinen Salon, in dem einige Damen saßen, denen der Sinn nicht nach Kartenspielen stand. Will wandte sich ab vom Licht und Geplauder und fand auf der Straßenseite derselben Etage eine kleine Bibliothek, die sogar noch mit Büchern bestückt war. Es gab weder Feuer noch Kerzen, doch umso wahrscheinlicher war es, dass er den Raum für sich haben würde.
Ein Bücherregal stand im rechten Winkel zum einzigen Fenster, und im Dunkel dahinter konnte er eine Form ausmachen, die sich beim Näherkommen als Sessel entpuppte. Hervorragend. er ließ sich hineinsinken und schloss die Augen. Durch die geöffnete Tür drangen die Geräusche des Hauses an sein Ohr, entfernt und undeutlich. Stimmen. Gelächter. leise Musik - eine Geige? - aus dem Ballsaal unter ihm. Bestimmt würde später noch getanzt werden. eine weitere raffinierte Annehmlichkeit, die das Haus von schäbigen Etablissements wie dem Smith and Pope's abhob und auf seine vornehmere Gesellschaft hindeutete. Hier konnte ein Gentleman mit Kurtisanen Walzer tanzen, sich einen Rausch antrinken und sich zugunsten seinesgleichen in den Ruin treiben anstatt zugunsten eines namenlosen Besitzers.
Copyright © 2013 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
... weniger
Autoren-Porträt von Cecilia Grant
Cecilia Grant feiert mit ihren historischen Romanen in den USA große Erfolge. Zu ihren Lieblingsautoren gehören George Eliot, Mark Twain und Jane Austen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Cecilia Grant
- 2013, 384 Seiten, Maße: 12,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Middeke, Kirsten
- Übersetzer: Kirsten Middeke
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 380258872X
- ISBN-13: 9783802588723
- Erscheinungsdatum: 17.10.2013
Kommentar zu "Das Versprechen der Kurtisane / Blackshear Bd.2"
0 Gebrauchte Artikel zu „Das Versprechen der Kurtisane / Blackshear Bd.2“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
1 von 5 Sternen
5 Sterne 0Schreiben Sie einen Kommentar zu "Das Versprechen der Kurtisane / Blackshear Bd.2".
Kommentar verfassen