Botschafter der Angst
Roman
Amerika im Kalten Krieg. Nach dem Korea-Krieg kehren amerikanische Soldaten aus der Gefangenschaft zurück. Keiner ahnt, dass sie dort einer Gehirnwäsche unterzogen wurden und nun Mordaufträge verfolgen. Ein Sleeper in den eigenen Reihen wird zur tödlichen Gefahr.
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Klappentext zu „Botschafter der Angst “
Amerika im Kalten Krieg. Nach dem Korea-Krieg kehren amerikanische Soldaten aus der Gefangenschaft zurück. Keiner ahnt, dass sie dort einer Gehirnwäsche unterzogen wurden und nun Mordaufträge verfolgen. Ein Sleeper in den eigenen Reihen wird zur tödlichen Gefahr. Lese-Probe zu „Botschafter der Angst “
1IN SAN FRANCISCO schien die Sonne. Nicht dass Sergeant Raymond Shaw kein Auge für die Schönheit gehabt hätte, auf die sein Hotelfenster von dem Gartenhügel hinuntersah, den man von ihm aus überblicken konnte; aber er presste den Telefonhörer wie ein Osculatorium gegen seine Wange und gestattete sich nicht, an irgendetwas zu denken, was jenseits des Hier und Heute geschehen mochte: in irgendeiner Kneipe, in einem anderen Bett, weiß der Himmel wo sonst.
Seine Uniform lag zusammengeknüllt auf einem Stuhl. In dem neuen Hundertzwanzig-Dollar-Morgenrock streckte er sich auf dem fremden Bett und wartete darauf, dass die Telefonistin endlich Ed Mavoles Vater an den Apparat bekam, irgendwo in St. Louis.
Er wusste: Was er tat, war falsch. Drei Tage erst lagen zwei Jahre Korea-Dienst hinter ihm, und da hätte er sich zumindest eine Taxifahrt in der Sonne, die Hügel hinauf und hinab leisten sollen; aber entweder war er meschugge oder von Mitgefühl ganz benebelt, oder sonst etwas Unglaubliches musste mit ihm los sein. Von all den Vätern der vielen Gefallenen, die er in einem Anfall von Schwachsinn anrufen wollte, musste dieser ausgerechnet nachts arbeiten; denn um diese Zeit war es in St. Louis sicher schon dunkel.
Er hörte, wie die Telefonistin die Zentrale des Post-Dispatch bekam. Die Zentrale teilte ihr mit, dass Mr. Mavole im Setzerraum arbeite. Ein Mann sagte etwas zu einer Frau, und dann war es wieder still. Raymond starrte auf seinen großen Zeh.
"Hallo?" Eine sehr hohe Stimme meldete sich.
"Ferngespräch für Mr. Arthur Mavole, bitte." Das gleichmäßige Rattern von Druckerpressen erfüllte den Hintergrund.
"Hier ist er."
"Mr. Arthur Mavole?"
"Ja, ja?"
"Bitte sprechen!"
"Äh ... hallo? Mr. Mavole? Hier spricht Sergeant Shaw - von San Francisco aus -, ich ... äh ... ich war mit Ihrem Eddie zusammen in einer Einheit, Mr. Mavole."
"Mit meinem Ed zusammen?"
"Ja, Mr. Mavole."
"Ray Shaw?"
"Ja, das bin ich."
"Derselbe Ray Shaw, der das
... mehr
Ehrenkreuz ...?"
"Derselbe!"
Raymond hatte lauter gesprochen, um ihm das Wort abzuschneiden. Am liebsten hätte er alles hingeworfen, das Telefon, den Anruf, die ganze hirnverbrannte, masochistische, selbstmörderische Angelegenheit. Noch besser wäre es gewesen, er hätte sich das verdammte Telefon auf den Schädel gehauen.
"Sehen Sie, Mr. Mavole, da ich sowieso gerade, äh, auf dem Weg nach Washington bin ..."
"Das wissen wir. Wir haben doch alles in der Zeitung gelesen, und wenn ich überhaupt noch etwas Gefühl übrig habe, dann möchte ich Ihnen sagen, dass ich auf Sie genauso stolz bin, obwohl ich Sie gar nicht kenne, als wäre es mein eigener Eddie, mein Junge, mein Sohn."
"Mr. Mavole", sagte Raymond rasch, "ich habe mir gedacht, wenn es Ihnen recht wäre, dann würde ich auf der Fahrt nach Washington in St. Louis kurz Station machen. Ich habe mir gedacht, ich meine, es ist mir so eingefallen, verstehen Sie, dass es Ihnen und Ihrer Frau vielleicht gut täte - dass es Sie vielleicht erleichterte, wenn wir ein bisschen miteinander sprächen. Über Eddie. Verstehen Sie? Ich meine, ich glaube, das wäre doch das Mindeste, was ich für Sie tun könnte."
Schweigen trat ein. Und als Mr. Mavole dann in anhaltendes Schluchzen ausbrach, sagte Raymond nur noch kurz, dass er telegrafieren werde, mit welchem Flugzeug er komme, und legte auf. Er fühlte sich wie ein Idiot.
Als er in St. Louis das Flugzeug verließ, wäre er am liebsten davongerannt. Der Zwerg dort mit den Brillengläsern wie Milchflaschenböden, dem der Schweiß herunterlief, das musste Mavoles Vater sein. Gleich würde der Mann über ihn herfallen wie ein brünstiger Hirsch. "Augenblick, Augenblick, bitte!", sagte der beflissene Pressefotograf mit lauter Stimme.
"Lassen Sie das", knurrte ihn Raymond an, und seine Stimme klang noch unangenehmer, als sie es gewöhnlich schon tat. Der Fotograf wusste plötzlich nicht mehr, woran er war. "Was ist denn los?", fragte er bestürzt - denn er lebte zu einer Zeit, wo lediglich Sexualverbrecher und Rauschgiftschmuggler Einwendungen erhoben, wenn ihr Bild in die Zeitung kommen sollte.
"Ich bin hier, um Ed Mavoles Vater zu besuchen", sagte Raymond und verachtete sich für den sentimentalen Quatsch, den er da auftischte. "Wenn Sie ein Bild wollen, suchen Sie erst Mr. Mavole. Ohne dass er mit drauf ist, gibt's kein Bild von mir!"
Nun hör dir das an!, schrie es in Raymond auf. Wie ich diese barsche Unteroffiziersversion von pollice verso hinlege! Ich spiele den Kriegskameraden so überzeugend und so echt, dass ich eigentlich Tantiemen für die Rolle bezahlen müsste. Schau dir diesen Dussel von Fotografen an, wie er sich anstellt, wenn er meint, es mit großen Tieren zu tun zu haben!
Wann wird er endlich merken, dass Mavoles Vater direkt neben ihm steht.
"O Sergeant!", sagte das Mädchen. Wer sie war, wusste er gleich. Sie hatte keine verweinten Augen, und ihr lief auch nicht die Nase vor Gram über den gefallenen Krieger, also war sie die Reporterin, die junge Anfängerin, die man geschickt hatte, um für die Lokalseite groß über 'Das Weiße Haus und der Kriegsheld' zu berichten; den Aufhänger für ihren Artikel hatte er ihr wahrscheinlich durch seinen albernen Theaterauftritt schon gegeben.
"Ich bin der Vater von Ed", stellte dieser sich vor. Es war Dezember, was hatte er da, um Gottes willen, so fürchterlich zu schwitzen? "Ich bin Arthur Mavole. Es tut mir Leid, aber als ich bei meiner Zeitung erwähnte, dass Sie von San Francisco aus angerufen haben und dass Sie vorhätten, auf dem Wege zum Weißen Haus hier Halt zu machen und Eddies Mutter aufzusuchen, da hat sich das wohl irgendwie bis zur Lokalredaktion herumgesprochen und - Sie wissen, wie die Zeitungsleute sind!"
Raymond machte drei Schritte vorwärts, drückte Mr. Mavole die Hand, umfasste mit seiner Linken seinen rechten Ellbogen und brachte alles an den Mann, was die Ergriffenheit erfordert: die eiserne Miene, den starren Blick, den gefrorenen Gesichtsausdruck. Er kam sich vor wie Kapitän Rübezahl, der Sternenfahrer, und der Fotograf machte die Aufnahme und verzog sich sofort.
"Darf ich fragen, wie alt Sie sind, Sergeant Shaw?", fragte die Reporterin, den Notizblock bereit und den Bleistift gezückt, als wollten sie und Mavole eine Kleideranprobe mit ihm vornehmen. Er überlegte sich, dass dies vielleicht ihr erster Außendienstauftrag war, nach Jahren der Ausbildung und Monaten des Zusammenstellens von Gesellschaftsnachrichten. Er musste an seinen eigenen ersten Auftrag denken: wie er sich vor dem waffelgesichtigen Filmschauspieler gefürchtet hatte, und wie der ihn in dem Hotel empfangen hatte, nur mit Pyjamahosen bekleidet und mit kitschigen Tätowierungen wie: "Auf Wiedersehen, Mabel!" auf beiden Schultern. Einmal drinnen in dem Appartement, hatte er ihm gleich zu verstehen gegeben, dass er ihm lieber in die Fresse schlagen als mit ihm reden wollte, und hatte gesagt: "Nun geben Sie schon den Wisch her, und wir sparen beide Zeit!" Der Manager des Filmstars, ein plumper Kerl mit blutunterlaufenen Augen, dem die Brille immer die Nase hinunterrutschte, hatte geantwortet: "Was für einen Wisch?" Und er hatte etwas gebrummt, dass es vielleicht ein ganz guter Anfang wäre, wenn er den Star erst einmal fragte, was er für ein Hobby habe und unter welchem Tierkreiszeichen er geboren sei. Es war kaum zu glauben, aber der Mensch hatte ein Gesicht so voll Pockennarben, dass es wie eine Waffel aussah. Und trotzdem war er einer der bekanntesten Stars beim Film; da konnte man sehen, was diese Schweine alles tun, um dem blöden Publikum was vorzumachen. "Du hast doch keine Angst, Junge?", hatte der Filmstar gesagt, und danach ging alles glatt. Sie gingen miteinander um wie alte Klassenkameraden. Jeder muss eben einmal anfangen, das war alles.
Obwohl er sich dabei ziemlich mies vorkam, fragte er Mr. Mavole und das Mädchen, ob sie Zeit für eine Tasse Kaffee mit ihm hätten, denn er sei selbst Journalist gewesen und wisse, dass das gnädige Fräulein ihren Artikel schreiben müsse. Das "gnädige Fräulein"? Das war zu viel des Guten. Wenn irgendwo ein Spiegel war, würde er mal schauen müssen, ob er am Ende ein Frackhemd anhatte.
"Sie waren auch einmal Journalist?", fragte das Mädchen. "O Sergeant!" Mr. Mavole meinte, eine Tasse Kaffee sei ihm recht, und sie gingen in das Restaurant.
Sie nahmen an einem Tisch im Café-Bereich Platz. Die Fenster waren beschlagen. Es war nicht viel los, und die Kellnerin hatte, unglücklicherweise, Zeit im Überfluss. Sie bestellten alle Kaffee, und Raymond wollte gern einen Obstkuchen haben, konnte sich aber nicht entscheiden, welche Sorte Obst es sein sollte. Mussten ihn alle so anstarren, als sei er krank, nur weil er nicht im Voraus gleich wusste, was ihm schmecken würde? Musste die Kellnerin unbedingt anfangen herunterzuleiern: "Wir haben Kirschkuchen und Kürbiskuchen ...", damit ihm sein Gaumen sagte: Kirsch wäre gut? Überhaupt, was hatte es für einen Sinn, in einem Lokal etwas zu bestellen, wo man einem die Karte vorschnatterte? Ein intelligenter Mensch brauchte doch nur in seiner Erinnerung alle einmal gehabten Geschmacksempfindungen durchzugehen. Dann konnte er sich nicht nur genau das bringen lassen, worauf er Appetit hatte und in der gewünschten Geschmacksnuance, sondern er würde wahrscheinlich auch gerade das wählen, was ihm im Augenblick am besten bekam. Aber wie sollte man so einen wichtigen Entschluss fassen, ohne eine Speisekarte, die man in Ruhe studieren konnte!
"Der Pflaumenkuchen ist sehr gut, Sir", schlug die Kellnerin vor. Er sagte ihr, er nehme Pflaumenkuchen, und Hass loderte in ihm auf, denn er wollte keinen Pflaumenkuchen. Er hatte Pflaumenkuchen noch nie gemocht, und jetzt hatte er sich dazu bringen lassen, Pflaumenkuchen zu bestellen, noch dazu bei einer rotbackigen Kellnerin, die ihm für einen Vierteldollar Trinkgeld wahrscheinlich die Füße lecken würde.
"Ich wollte Ihnen noch sagen, wie wir zu Ed standen, Mr. Mavole", sagte Raymond. "Ich möchte Ihnen sagen, dass von all den vielen Leuten, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe, keiner ein so zufriedener, ein so lieber und so solider Mensch war wie Ihr Sohn Ed."
Dem kleinen Mann kamen die Tränen. Plötzlich schluchzte er so laut auf, dass die Gäste an der Theke, die ziemlich weit weg war, sich umschauten. Um abzulenken, sagte Raymond schnell zu dem Mädchen: "Ich bin vierundzwanzig Jahre alt. Mein Tierkreiszeichen ist Fische. Eine sehr nette Kollegin von der Zeitung hat mir einmal gesagt, man müsse bei einem Interview immer nach dem Tierkreiszeichen fragen, denn über Astrologie läsen die Leute immer gern, besonders wenn sie es unauffällig tun könnten."
"Ich bin Stier", sagte das Mädchen.
"Dann werden wir uns gut verstehen", sagte Raymond. Ihr Gesichtsausdruck verriet nur andeutungsweise, was sie fühlte.
"Ich weiß", antwortete sie.
Mr. Mavole sprach mit leiser Stimme. "Sehen Sie, Sergeant, Eddies Mutter, nun, als er gefallen war, erlitt sie einen Herzanfall, und wenn Sie jetzt vielleicht eine halbe Stunde für sie übrig hätten - es ist nicht so weit bis zu uns und ..."
Jesses, nein! Raymond sah sich im Geiste die Krankenbesuchsmiene aufsetzen. Eine schöne Herzberuhigung würde das werden! Bei der leisesten ungeschickten Bemerkung, die er machte, würde die alte Glucke vielleicht grell aufstöhnen und ihm zur Seite abkippen. Aber was konnte er tun? Er hatte sich selbst zum Oberdummen erkoren, als er von seinem Olymp hinabstieg und diesen kleinen zudringlichen Schwitzer anrief.
"Mr. Mavole", sagte er langsam und gefühlvoll, "ich muss erst übermorgen in Washington sein, und ich habe mir gedacht, anderthalb Tage Spielraum sollte ich schon haben, im Falle von schlechtem Wetter oder so. Und was das Weiße Haus angeht, ich käme sogar noch mit der Bahn rechtzeitig an, wenn ich den Nachtzug nähme, den 'Spirit of St. Louis' - so heißt er nach dem Flugzeug, das der Dingsda, Sie wissen schon, geflogen hat. Also denken Sie bitte nicht, dass es mir einfallen könnte abzureisen, ohne mit Ihrer Gattin gesprochen zu haben - Eddies Mutter!" Er blickte auf und bemerkte, wie das Mädchen ihn anschaute. Sie war hübsch; ein nettes, reizend aussehendes, blondes Mädchen. "Wie heißen Sie?", fragte er sie.
"Mardell", sagte sie.
"Glauben Sie, dass ich ein Hotelzimmer für die Nacht bekomme?"
"Aber selbstverständlich."
"Darum kümmere ich mich, Sergeant", beeilte sich Mavole zu versichern. "Oder vielmehr, die Zeitung besorgt das alles. Ich würde Sie gern einladen, bei uns zu wohnen, aber wir hatten gerade die Maler, und der Geruch ist so scharf, dass Ihnen die Augen tränen."
Raymond zahlte, und sie fuhren zu den Mavoles. Mardell sagte, sie werde im Wagen warten, er solle sich ihretwegen nicht beeilen. Raymond riet ihr, sie solle lieber zur Redaktion fahren, dort ihren Artikel abliefern und dann zurückkommen, um ihn abzuholen. Sie starrte ihn an, als habe er soeben den Kaugummi erfunden. Er gab ihr einen Klaps auf die Schulter und ging in das Haus hinein. Sie legte sich die Hand auf den Leib und atmete ein paar Mal tief durch. Dann fuhr sie ab in Richtung Stadt.
Die Begegnung mit Mrs. Mavole war fürchterlich, und Raymond schwor sich, dass er niemals einen Intelligenztest machen würde, damit man ihn wegen des Resultates nicht einsperrte. Jeder Kretin hätte voraussehen können, dass das schief gehen musste. Alle weinten sie. Manche Leute haben wirklich Nerven, dachte er, während er, worum sie ihn gebeten hatte, ihre fette Hand hielt und darauf wartete, dass sie jeden Augenblick abkratzte: Da lassen diese Leute erst einen Krieg losgehen, und dann fallen sie aus allen Wolken, wenn es ihren eigenen Sohn trifft. Mavole war gewiss kein übler Knabe. Er war bestimmt ein lustiger Typ und ein herzensguter Kerl, aber was zum Teufel - zwanzigtausend waren da draußen tot, allein von den amerikanischen Einheiten; mit UN-Jungens waren es vielleicht sechzig-, achtzigtausend Tote, und diese dicke Vettel schien zu meinen, Mavole sei der Einzige, den es erwischt hatte.
Würde meine Mutter auch so viel Aufhebens machen, wenn ich dran glauben müsste? Kein Mensch würde das je feststellen können, und mochte er in noch so verlässlichen Geistersitzungen noch so vertrauliche Auskünfte aus dem Jenseits beziehen, ob meine Mutter überhaupt etwas fühlen konnte, für irgendwas oder irgendwen. Ihren kleinen Raymond hat es getroffen? Oh, er wusste, was ihre Antwort sein würde: Wenn sie damit eine oder zwei Wählerstimmen mehr ergattern könnte, dann würde seine liebe Mami ihren lieben kleinen toten Jungen holen lassen und ihn zum Wählerfang am Spieß braten.
"So viel kann ich jedenfalls sagen, Mr. Mavole", sagte Raymond, "für ein Nachtgefecht war die Lage eigentlich recht übersichtlich." Mr. Mavole saß auf der anderen Seite des Bettes und starrte auf den Fußboden, seine Augen flackerten in dunklen Höhlen. Er biss sich fest auf die Unterlippe und presste die Hände in Gebetshaltung zusammen, in der Hoffnung, so sich selbst und seine Frau damit am Weinen zu hindern. "Captain Marco, sehen Sie, hatte ein paar Leuchtkugeln geschossen, denn wir mussten ja herausfinden, wo der Feind war. Sie wussten, wo wir waren. Und dann machte Eddie eben ..."
Er hielt inne, nur für den kleinsten Bruchteil einer Sekunde, um nicht in Tränen auszubrechen bei dem Gedanken, wie bitter, bitter es war, in so einem Augenblick lügen zu müssen. Aber für diesen Augenblick hatten sie ja ihren Sohn an die Freiwilligenwerber verschachert, so musste er die Wahrheit Wahrheit sein lassen und sie auszahlen. Die trauernden Hinterbliebenen erfuhren ja nie, wie dreckig, wie grotesk, wie erniedrigend der Tod beinahe immer im Kriege war. Der dreckige Tod war der Durchschnitt. Wie durchschnittliche Clowns, die in der Pause nichts tun und eine Zigarette rauchen, in einem Zirkus, bei dem es nichts als Clowns gibt, so gehören die dreckigen Toten zum Krieg. Aber nein, nein, nein, nichts davon! Was man hört, ist nur das unausweichliche Konzert kriegerischer Weisen, das da heißt: Die Geschichte unseres Volkes. Er wusste nicht genau, wie es
Mavole getroffen hatte, konnte es sich aber gut vorstellen. Wahrscheinlich hatte er seine gut sechzehn Zoll Bajonett in den Arsch gekriegt, als er sich umdrehte, um abzuhauen, und sein Schreien hatte dem anderen Mann solche Angst gemacht, dass der es eilig hatte, die Waffe wieder rauszubekommen, um auch davonzurennen. Dabei hatte er sie so in Mavole hineingebohrt, dass sie beim Zwerchfell, unter den Rippen, wieder herauskam, und der Mann musste seinen Fuß gegen Mavoles Nacken stemmen und ihm die Nase und das Jochbein zerbrechen, um das drinsteckende Ding wieder rauszuziehen; und währenddessen hatte er auf Chinesisch gewimmert und gebetet, sich irgendwo niederlegen zu können, wo es ruhig und friedlich war. Alle Leute wussten, wie grässlich es aussah, wenn ein Toter nach einem Großangriff ohne Kopf, ohne ein Bein oder ohne Rumpf liegen blieb, nur die Angehörigen nicht. Die taten unschuldig und steckten den Kopf in den Sand. So eine Frau wie die hier hätte nur einmal eine Bombennacht mitgemacht haben sollen und ihren Eddie mit ausgerissenem Unterkiefer haben daliegen sehen und trotzdem für die anderen, ihr verbliebenen Kinder weiter sorgen und sie beschützen müssen, dann wäre ihr das bisschen Herzbeschwerde schon vergangen.
"Ja, und da war doch dieser ganz junge Bursche bei uns in der Einheit, Mrs. Mavole, er war vielleicht siebzehn, aber ich glaube eher, erst sechzehn. Eddie hatte sich schon seit einer ganzen Zeit seiner angenommen und dem Jungen immer geholfen, denn so war er eben, der Eddie."Mr. Mavole schluchzte auf seiner Bettseite leise vor sich hin. "Ja, und dieser kleine Bobby Lembeck, der kam von uns ab, wenn auch nicht sehr weit. Eddie machte sich auf, ihn zu holen.
"Derselbe!"
Raymond hatte lauter gesprochen, um ihm das Wort abzuschneiden. Am liebsten hätte er alles hingeworfen, das Telefon, den Anruf, die ganze hirnverbrannte, masochistische, selbstmörderische Angelegenheit. Noch besser wäre es gewesen, er hätte sich das verdammte Telefon auf den Schädel gehauen.
"Sehen Sie, Mr. Mavole, da ich sowieso gerade, äh, auf dem Weg nach Washington bin ..."
"Das wissen wir. Wir haben doch alles in der Zeitung gelesen, und wenn ich überhaupt noch etwas Gefühl übrig habe, dann möchte ich Ihnen sagen, dass ich auf Sie genauso stolz bin, obwohl ich Sie gar nicht kenne, als wäre es mein eigener Eddie, mein Junge, mein Sohn."
"Mr. Mavole", sagte Raymond rasch, "ich habe mir gedacht, wenn es Ihnen recht wäre, dann würde ich auf der Fahrt nach Washington in St. Louis kurz Station machen. Ich habe mir gedacht, ich meine, es ist mir so eingefallen, verstehen Sie, dass es Ihnen und Ihrer Frau vielleicht gut täte - dass es Sie vielleicht erleichterte, wenn wir ein bisschen miteinander sprächen. Über Eddie. Verstehen Sie? Ich meine, ich glaube, das wäre doch das Mindeste, was ich für Sie tun könnte."
Schweigen trat ein. Und als Mr. Mavole dann in anhaltendes Schluchzen ausbrach, sagte Raymond nur noch kurz, dass er telegrafieren werde, mit welchem Flugzeug er komme, und legte auf. Er fühlte sich wie ein Idiot.
Als er in St. Louis das Flugzeug verließ, wäre er am liebsten davongerannt. Der Zwerg dort mit den Brillengläsern wie Milchflaschenböden, dem der Schweiß herunterlief, das musste Mavoles Vater sein. Gleich würde der Mann über ihn herfallen wie ein brünstiger Hirsch. "Augenblick, Augenblick, bitte!", sagte der beflissene Pressefotograf mit lauter Stimme.
"Lassen Sie das", knurrte ihn Raymond an, und seine Stimme klang noch unangenehmer, als sie es gewöhnlich schon tat. Der Fotograf wusste plötzlich nicht mehr, woran er war. "Was ist denn los?", fragte er bestürzt - denn er lebte zu einer Zeit, wo lediglich Sexualverbrecher und Rauschgiftschmuggler Einwendungen erhoben, wenn ihr Bild in die Zeitung kommen sollte.
"Ich bin hier, um Ed Mavoles Vater zu besuchen", sagte Raymond und verachtete sich für den sentimentalen Quatsch, den er da auftischte. "Wenn Sie ein Bild wollen, suchen Sie erst Mr. Mavole. Ohne dass er mit drauf ist, gibt's kein Bild von mir!"
Nun hör dir das an!, schrie es in Raymond auf. Wie ich diese barsche Unteroffiziersversion von pollice verso hinlege! Ich spiele den Kriegskameraden so überzeugend und so echt, dass ich eigentlich Tantiemen für die Rolle bezahlen müsste. Schau dir diesen Dussel von Fotografen an, wie er sich anstellt, wenn er meint, es mit großen Tieren zu tun zu haben!
Wann wird er endlich merken, dass Mavoles Vater direkt neben ihm steht.
"O Sergeant!", sagte das Mädchen. Wer sie war, wusste er gleich. Sie hatte keine verweinten Augen, und ihr lief auch nicht die Nase vor Gram über den gefallenen Krieger, also war sie die Reporterin, die junge Anfängerin, die man geschickt hatte, um für die Lokalseite groß über 'Das Weiße Haus und der Kriegsheld' zu berichten; den Aufhänger für ihren Artikel hatte er ihr wahrscheinlich durch seinen albernen Theaterauftritt schon gegeben.
"Ich bin der Vater von Ed", stellte dieser sich vor. Es war Dezember, was hatte er da, um Gottes willen, so fürchterlich zu schwitzen? "Ich bin Arthur Mavole. Es tut mir Leid, aber als ich bei meiner Zeitung erwähnte, dass Sie von San Francisco aus angerufen haben und dass Sie vorhätten, auf dem Wege zum Weißen Haus hier Halt zu machen und Eddies Mutter aufzusuchen, da hat sich das wohl irgendwie bis zur Lokalredaktion herumgesprochen und - Sie wissen, wie die Zeitungsleute sind!"
Raymond machte drei Schritte vorwärts, drückte Mr. Mavole die Hand, umfasste mit seiner Linken seinen rechten Ellbogen und brachte alles an den Mann, was die Ergriffenheit erfordert: die eiserne Miene, den starren Blick, den gefrorenen Gesichtsausdruck. Er kam sich vor wie Kapitän Rübezahl, der Sternenfahrer, und der Fotograf machte die Aufnahme und verzog sich sofort.
"Darf ich fragen, wie alt Sie sind, Sergeant Shaw?", fragte die Reporterin, den Notizblock bereit und den Bleistift gezückt, als wollten sie und Mavole eine Kleideranprobe mit ihm vornehmen. Er überlegte sich, dass dies vielleicht ihr erster Außendienstauftrag war, nach Jahren der Ausbildung und Monaten des Zusammenstellens von Gesellschaftsnachrichten. Er musste an seinen eigenen ersten Auftrag denken: wie er sich vor dem waffelgesichtigen Filmschauspieler gefürchtet hatte, und wie der ihn in dem Hotel empfangen hatte, nur mit Pyjamahosen bekleidet und mit kitschigen Tätowierungen wie: "Auf Wiedersehen, Mabel!" auf beiden Schultern. Einmal drinnen in dem Appartement, hatte er ihm gleich zu verstehen gegeben, dass er ihm lieber in die Fresse schlagen als mit ihm reden wollte, und hatte gesagt: "Nun geben Sie schon den Wisch her, und wir sparen beide Zeit!" Der Manager des Filmstars, ein plumper Kerl mit blutunterlaufenen Augen, dem die Brille immer die Nase hinunterrutschte, hatte geantwortet: "Was für einen Wisch?" Und er hatte etwas gebrummt, dass es vielleicht ein ganz guter Anfang wäre, wenn er den Star erst einmal fragte, was er für ein Hobby habe und unter welchem Tierkreiszeichen er geboren sei. Es war kaum zu glauben, aber der Mensch hatte ein Gesicht so voll Pockennarben, dass es wie eine Waffel aussah. Und trotzdem war er einer der bekanntesten Stars beim Film; da konnte man sehen, was diese Schweine alles tun, um dem blöden Publikum was vorzumachen. "Du hast doch keine Angst, Junge?", hatte der Filmstar gesagt, und danach ging alles glatt. Sie gingen miteinander um wie alte Klassenkameraden. Jeder muss eben einmal anfangen, das war alles.
Obwohl er sich dabei ziemlich mies vorkam, fragte er Mr. Mavole und das Mädchen, ob sie Zeit für eine Tasse Kaffee mit ihm hätten, denn er sei selbst Journalist gewesen und wisse, dass das gnädige Fräulein ihren Artikel schreiben müsse. Das "gnädige Fräulein"? Das war zu viel des Guten. Wenn irgendwo ein Spiegel war, würde er mal schauen müssen, ob er am Ende ein Frackhemd anhatte.
"Sie waren auch einmal Journalist?", fragte das Mädchen. "O Sergeant!" Mr. Mavole meinte, eine Tasse Kaffee sei ihm recht, und sie gingen in das Restaurant.
Sie nahmen an einem Tisch im Café-Bereich Platz. Die Fenster waren beschlagen. Es war nicht viel los, und die Kellnerin hatte, unglücklicherweise, Zeit im Überfluss. Sie bestellten alle Kaffee, und Raymond wollte gern einen Obstkuchen haben, konnte sich aber nicht entscheiden, welche Sorte Obst es sein sollte. Mussten ihn alle so anstarren, als sei er krank, nur weil er nicht im Voraus gleich wusste, was ihm schmecken würde? Musste die Kellnerin unbedingt anfangen herunterzuleiern: "Wir haben Kirschkuchen und Kürbiskuchen ...", damit ihm sein Gaumen sagte: Kirsch wäre gut? Überhaupt, was hatte es für einen Sinn, in einem Lokal etwas zu bestellen, wo man einem die Karte vorschnatterte? Ein intelligenter Mensch brauchte doch nur in seiner Erinnerung alle einmal gehabten Geschmacksempfindungen durchzugehen. Dann konnte er sich nicht nur genau das bringen lassen, worauf er Appetit hatte und in der gewünschten Geschmacksnuance, sondern er würde wahrscheinlich auch gerade das wählen, was ihm im Augenblick am besten bekam. Aber wie sollte man so einen wichtigen Entschluss fassen, ohne eine Speisekarte, die man in Ruhe studieren konnte!
"Der Pflaumenkuchen ist sehr gut, Sir", schlug die Kellnerin vor. Er sagte ihr, er nehme Pflaumenkuchen, und Hass loderte in ihm auf, denn er wollte keinen Pflaumenkuchen. Er hatte Pflaumenkuchen noch nie gemocht, und jetzt hatte er sich dazu bringen lassen, Pflaumenkuchen zu bestellen, noch dazu bei einer rotbackigen Kellnerin, die ihm für einen Vierteldollar Trinkgeld wahrscheinlich die Füße lecken würde.
"Ich wollte Ihnen noch sagen, wie wir zu Ed standen, Mr. Mavole", sagte Raymond. "Ich möchte Ihnen sagen, dass von all den vielen Leuten, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe, keiner ein so zufriedener, ein so lieber und so solider Mensch war wie Ihr Sohn Ed."
Dem kleinen Mann kamen die Tränen. Plötzlich schluchzte er so laut auf, dass die Gäste an der Theke, die ziemlich weit weg war, sich umschauten. Um abzulenken, sagte Raymond schnell zu dem Mädchen: "Ich bin vierundzwanzig Jahre alt. Mein Tierkreiszeichen ist Fische. Eine sehr nette Kollegin von der Zeitung hat mir einmal gesagt, man müsse bei einem Interview immer nach dem Tierkreiszeichen fragen, denn über Astrologie läsen die Leute immer gern, besonders wenn sie es unauffällig tun könnten."
"Ich bin Stier", sagte das Mädchen.
"Dann werden wir uns gut verstehen", sagte Raymond. Ihr Gesichtsausdruck verriet nur andeutungsweise, was sie fühlte.
"Ich weiß", antwortete sie.
Mr. Mavole sprach mit leiser Stimme. "Sehen Sie, Sergeant, Eddies Mutter, nun, als er gefallen war, erlitt sie einen Herzanfall, und wenn Sie jetzt vielleicht eine halbe Stunde für sie übrig hätten - es ist nicht so weit bis zu uns und ..."
Jesses, nein! Raymond sah sich im Geiste die Krankenbesuchsmiene aufsetzen. Eine schöne Herzberuhigung würde das werden! Bei der leisesten ungeschickten Bemerkung, die er machte, würde die alte Glucke vielleicht grell aufstöhnen und ihm zur Seite abkippen. Aber was konnte er tun? Er hatte sich selbst zum Oberdummen erkoren, als er von seinem Olymp hinabstieg und diesen kleinen zudringlichen Schwitzer anrief.
"Mr. Mavole", sagte er langsam und gefühlvoll, "ich muss erst übermorgen in Washington sein, und ich habe mir gedacht, anderthalb Tage Spielraum sollte ich schon haben, im Falle von schlechtem Wetter oder so. Und was das Weiße Haus angeht, ich käme sogar noch mit der Bahn rechtzeitig an, wenn ich den Nachtzug nähme, den 'Spirit of St. Louis' - so heißt er nach dem Flugzeug, das der Dingsda, Sie wissen schon, geflogen hat. Also denken Sie bitte nicht, dass es mir einfallen könnte abzureisen, ohne mit Ihrer Gattin gesprochen zu haben - Eddies Mutter!" Er blickte auf und bemerkte, wie das Mädchen ihn anschaute. Sie war hübsch; ein nettes, reizend aussehendes, blondes Mädchen. "Wie heißen Sie?", fragte er sie.
"Mardell", sagte sie.
"Glauben Sie, dass ich ein Hotelzimmer für die Nacht bekomme?"
"Aber selbstverständlich."
"Darum kümmere ich mich, Sergeant", beeilte sich Mavole zu versichern. "Oder vielmehr, die Zeitung besorgt das alles. Ich würde Sie gern einladen, bei uns zu wohnen, aber wir hatten gerade die Maler, und der Geruch ist so scharf, dass Ihnen die Augen tränen."
Raymond zahlte, und sie fuhren zu den Mavoles. Mardell sagte, sie werde im Wagen warten, er solle sich ihretwegen nicht beeilen. Raymond riet ihr, sie solle lieber zur Redaktion fahren, dort ihren Artikel abliefern und dann zurückkommen, um ihn abzuholen. Sie starrte ihn an, als habe er soeben den Kaugummi erfunden. Er gab ihr einen Klaps auf die Schulter und ging in das Haus hinein. Sie legte sich die Hand auf den Leib und atmete ein paar Mal tief durch. Dann fuhr sie ab in Richtung Stadt.
Die Begegnung mit Mrs. Mavole war fürchterlich, und Raymond schwor sich, dass er niemals einen Intelligenztest machen würde, damit man ihn wegen des Resultates nicht einsperrte. Jeder Kretin hätte voraussehen können, dass das schief gehen musste. Alle weinten sie. Manche Leute haben wirklich Nerven, dachte er, während er, worum sie ihn gebeten hatte, ihre fette Hand hielt und darauf wartete, dass sie jeden Augenblick abkratzte: Da lassen diese Leute erst einen Krieg losgehen, und dann fallen sie aus allen Wolken, wenn es ihren eigenen Sohn trifft. Mavole war gewiss kein übler Knabe. Er war bestimmt ein lustiger Typ und ein herzensguter Kerl, aber was zum Teufel - zwanzigtausend waren da draußen tot, allein von den amerikanischen Einheiten; mit UN-Jungens waren es vielleicht sechzig-, achtzigtausend Tote, und diese dicke Vettel schien zu meinen, Mavole sei der Einzige, den es erwischt hatte.
Würde meine Mutter auch so viel Aufhebens machen, wenn ich dran glauben müsste? Kein Mensch würde das je feststellen können, und mochte er in noch so verlässlichen Geistersitzungen noch so vertrauliche Auskünfte aus dem Jenseits beziehen, ob meine Mutter überhaupt etwas fühlen konnte, für irgendwas oder irgendwen. Ihren kleinen Raymond hat es getroffen? Oh, er wusste, was ihre Antwort sein würde: Wenn sie damit eine oder zwei Wählerstimmen mehr ergattern könnte, dann würde seine liebe Mami ihren lieben kleinen toten Jungen holen lassen und ihn zum Wählerfang am Spieß braten.
"So viel kann ich jedenfalls sagen, Mr. Mavole", sagte Raymond, "für ein Nachtgefecht war die Lage eigentlich recht übersichtlich." Mr. Mavole saß auf der anderen Seite des Bettes und starrte auf den Fußboden, seine Augen flackerten in dunklen Höhlen. Er biss sich fest auf die Unterlippe und presste die Hände in Gebetshaltung zusammen, in der Hoffnung, so sich selbst und seine Frau damit am Weinen zu hindern. "Captain Marco, sehen Sie, hatte ein paar Leuchtkugeln geschossen, denn wir mussten ja herausfinden, wo der Feind war. Sie wussten, wo wir waren. Und dann machte Eddie eben ..."
Er hielt inne, nur für den kleinsten Bruchteil einer Sekunde, um nicht in Tränen auszubrechen bei dem Gedanken, wie bitter, bitter es war, in so einem Augenblick lügen zu müssen. Aber für diesen Augenblick hatten sie ja ihren Sohn an die Freiwilligenwerber verschachert, so musste er die Wahrheit Wahrheit sein lassen und sie auszahlen. Die trauernden Hinterbliebenen erfuhren ja nie, wie dreckig, wie grotesk, wie erniedrigend der Tod beinahe immer im Kriege war. Der dreckige Tod war der Durchschnitt. Wie durchschnittliche Clowns, die in der Pause nichts tun und eine Zigarette rauchen, in einem Zirkus, bei dem es nichts als Clowns gibt, so gehören die dreckigen Toten zum Krieg. Aber nein, nein, nein, nichts davon! Was man hört, ist nur das unausweichliche Konzert kriegerischer Weisen, das da heißt: Die Geschichte unseres Volkes. Er wusste nicht genau, wie es
Mavole getroffen hatte, konnte es sich aber gut vorstellen. Wahrscheinlich hatte er seine gut sechzehn Zoll Bajonett in den Arsch gekriegt, als er sich umdrehte, um abzuhauen, und sein Schreien hatte dem anderen Mann solche Angst gemacht, dass der es eilig hatte, die Waffe wieder rauszubekommen, um auch davonzurennen. Dabei hatte er sie so in Mavole hineingebohrt, dass sie beim Zwerchfell, unter den Rippen, wieder herauskam, und der Mann musste seinen Fuß gegen Mavoles Nacken stemmen und ihm die Nase und das Jochbein zerbrechen, um das drinsteckende Ding wieder rauszuziehen; und währenddessen hatte er auf Chinesisch gewimmert und gebetet, sich irgendwo niederlegen zu können, wo es ruhig und friedlich war. Alle Leute wussten, wie grässlich es aussah, wenn ein Toter nach einem Großangriff ohne Kopf, ohne ein Bein oder ohne Rumpf liegen blieb, nur die Angehörigen nicht. Die taten unschuldig und steckten den Kopf in den Sand. So eine Frau wie die hier hätte nur einmal eine Bombennacht mitgemacht haben sollen und ihren Eddie mit ausgerissenem Unterkiefer haben daliegen sehen und trotzdem für die anderen, ihr verbliebenen Kinder weiter sorgen und sie beschützen müssen, dann wäre ihr das bisschen Herzbeschwerde schon vergangen.
"Ja, und da war doch dieser ganz junge Bursche bei uns in der Einheit, Mrs. Mavole, er war vielleicht siebzehn, aber ich glaube eher, erst sechzehn. Eddie hatte sich schon seit einer ganzen Zeit seiner angenommen und dem Jungen immer geholfen, denn so war er eben, der Eddie."Mr. Mavole schluchzte auf seiner Bettseite leise vor sich hin. "Ja, und dieser kleine Bobby Lembeck, der kam von uns ab, wenn auch nicht sehr weit. Eddie machte sich auf, ihn zu holen.
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Autoren-Porträt von Richard Condon
Richard Condon wurde am 18. Mz 1915 in New York geboren. Er begann als Drehbuchautor und Theaterregisseur. Erst 1957 wandte er sich dem Romanschreiben zu. Viele seiner Romane wurden verfilmt, darunter auch der Klassiker "Die Ehre der Prizzis" (mit Jack Nicholson und Kathleen Turner). Richard Condon starb am 9. April 1996 in Dallas, Texas.
Bibliographische Angaben
- Autor: Richard Condon
- 2006, 364 Seiten, Maße: 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Werner Barzel
- Verlag: Ludwig bei Heyne
- ISBN-10: 345377051X
- ISBN-13: 9783453770515
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