Brandherd
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So kann sie sich kaum auf ihren neuesten Einsatz konzentrieren, der die Mordkommission von Richmond gerade in Atem hält: den spektakulären Brandanschlag auf das Anwesen des Medienmoguls Kenneth Sparkes. Aber es ist nicht Sparkes' Leiche, die Scarpetta in den Trümmern des Hauses findet. Im Zentrum des Brandherdes liegen die stark verkohlten Überreste einer jungen Frau. Auch die Brandursache gibt Rätsel auf: Wie konnte aus dem Nichts ein Feuer von so vernichtender Hitze entstehen?
Während der Ermittlungen ereilt Scarpetta die Botschaft, dass Carrie Grethen aus der Psychiatrie ausgebrochen ist - Scarpetta weiß, dass sie von nun an keine ruhige Minute mehr haben wird...
Brandherd von Patricia Cornwell
LESEPROBE
BentonWesley zog sich gerade in meiner Küche die Laufschuhe aus, als ich auf ihnzustürzte. Das Herz schlug mir vor Angst, Hass und schrecklicher Erinnerungfast bis zum Hals. Carrie Grethens Brief hatte in einem Stapel Post undUnterlagen gelegen, den ich erst einmal ungeöffnet beiseite geschoben hatte,bis vor einem Augenblick, als ich beschlossen hatte, mir in der Ungestörtheitmeines Hauses in Richmond, Virginia, eine Tasse Zimttee zu machen. Es warSonntagnachmittag, der achte Juni, vierzehn Uhr zweiunddreißig.
»Ich nehme an, sie hat ihn dir ins Büro geschickt?«
Er wirkte nicht beunruhigt, als er sich niederbeugte und sich die weißenNike-Socken von den Füßen rollte.
»Rose liest keine Post, die als persönlich und vertraulich gekennzeichnet ist«,fügte ich hinzu. Er wusste das, und mir pochte das Blut in den Adern.
»Sollte sie vielleicht besser. Du scheinst eine Menge Fans da draußen zuhaben.«
Ich beobachtete ihn, wie er die bleichen Füße auf den Boden setzte, dieEllenbogen auf die Knie stützte und den Kopf gesenkt hielt. Schweiß rann ihmüber Schultern und Arme, die wohlgeformt waren für einen Mann seines Alters,und mein Blick wanderte von den Knien zu den schlanken Fesseln hinab, an denensich noch das Muster seiner Socken abzeichnete. Er fuhr sich mit den Fingerndurch das feuchte, silbergraue Haar und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
»Herrje«, murmelte er, während er sich das Gesicht und den Hals mit einemHandtuch abwischte. »Ich bin zu alt für diesen Mist.«
Er holte tief Luft und atmete langsam aus, mit wachsendem Unmut. DieArmbanduhr, die ich ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, eine BreitlingAerospace aus rostfreiem Stahl, lag auf dem Tisch. Er nahm sie und ließ sie umsein Handgelenk schnappen.
»Verdammt noch mal. Solche Leute sind schlimmer als ein Krebsgeschwür. Lassmich mal sehen«, sagte er.
Der Brief war handgeschrieben, in bizarren roten Blockbuchstaben, und am oberenSeitenrand befand sich die unbeholfene Zeichnung eines Vogels mit Schopf undlangen Schwanzfedern. Darunter, rätselhaft, das lateinische Wort ergo, d. h.folglich, mit dem ich in diesem Zusammenhang überhaupt nichts anzufangenwusste. Mit spitzen Fingern entfaltete ich das Blatt, schlichtes weißesSchreibmaschinenpapier, und legte es vor ihn auf den alten französischenFrühstückstisch aus Eichenholz. Ohne das Dokument zu berühren, dasmöglicherweise noch als Beweisstück dienen würde, nahm er aufmerksam CarrieGrethens merkwürdige Worte in sich auf und begann, sie in die Datenbank seinesGehirns einzufügen.
»Der Poststempel ist New York, und natürlich hat es im Zusammenhang mit ihremProzess dort einiges an Presse gegeben«, sagte ich in dem verzweifelten Wunsch,der Wahrheit nicht ins Auge sehen zu müssen. »Vor zwei Wochen erst ist einsensationsheischender Artikel über sie erschienen. Praktisch jeder hätte denNamen Carrie Grethen aus dieser Quelle erfahren können. Mal abgesehen davon,dass die Anschrift meiner Dienststelle jedermann zugänglich ist. Vermutlichstammt dieser Brief gar nicht von ihr. Vermutlich ist er von irgendeinemVerrückten.«
»Er ist wahrscheinlich von ihr.« Er las weiter.
»Du meinst, sie könnte so was aus der geschlossenen Abteilung einerforensischen Psychiatrie verschicken, ohne dass es jemand kontrollieren würde«,entgegnete ich, während die Angst mir das Herz zuschnürte.
»Saint Elizabeth s, Bellevue, Mid-Hudson, Kirby.« Er schaute nicht auf. »DieCarrie Grethens, die John Hinckley juniors, die Mark David Chapmans sindPatienten, keine Häftlinge. Sie genießen die gleichen bürgerlichen Rechte wiewir, während sie in Strafvollzugsanstalten und forensischen Psychiatrienherumhocken, pädophile Anschlagbretter fürs Internet entwerfen und per E-MailSerienkillertips verkaufen. Und höhnische Briefe an Chief Medical Examinersverschicken.«
Seine Stimme klang jetzt aggressiver, seine Worte schärfer. In Bentons Augenwar Hass, als er endlich den Blick hob und mich ansah.
»Carrie Grethen macht sich über dich lustig, Big Chief. Über das FBI. Übermich«, fuhr er fort.
»FIB«, murmelte ich und hätte das bei anderer Gelegenheit sogar komischgefunden.
Wesley stand auf und warf sich das Handtuch über die Schulter.
»Nehmen wir also mal an, sie war es«, fing ich wieder an.
»Sie war es.« Er schloss jeden Zweifel aus.
»Na gut. Dann steckt aber mehr dahinter als ein bisschen Spott, Benton.«
»Klar. Wir sollen nicht vergessen, dass sie und Lucy ein Verhältnis hatten,etwas, das die Öffentlichkeit noch nicht weiß - noch nicht«, sagte er.»Jedenfalls beweist dieser Brief, dass Carrie Grethen noch nicht damit fertigist, anderer Menschen Leben zu ruinieren.«
Es war mir unerträglich, auch nur ihren Namen zu hören, und dass sie esgeschafft hatte, in mein West-End-Zuhause einzudringen, machte mich rasend. Siehätte ebenso gut mit uns am Frühstückstisch sitzen und die Luft mit ihrerverdorbenen, bösartigen Anwesenheit verpesten können. Ich sah ihrherablassendes Lächeln und ihre merkwürdig hellen Augen vor mir und fragtemich, wie sich die fünf Jahre hinter Gittern und der ständige Umgang mit geisteskrankenVerbrechern wohl auf ihr Äußeres ausgewirkt haben mochten. Carrie war nichtwahnsinnig. War es nie gewesen. Sie war ein entgleister Charakter, einePsychopathin, ein gewalttätiges Wesen ohne jedes Gewissen.
Ich blickte hinaus auf den Zierahorn in meinem Garten, der im Wind schwankte,und auf die unvollendete Mauer, die mich nur unzureichend vor meinen Nachbarnverbarg. Das Telefon läutete, und ich zögerte abzunehmen.
»Dr. Scarpetta«, sagte ich, während ich beobachtete, wie Bentons Blick abermalsjene rote Kugelschreiberschrift abtastete.
»Yo«, ertönte Pete Marinos vertraute Stimme. »Ich bin s.«
Captain Marino war Leiter der Mordkommission beim Police Department vonRichmond, und ich kannte ihn gut genug, um seinen Tonfall einschätzen zukönnen. Schon wappnete ich mich innerlich gegen weitere schlechte Nachrichten.
»Was gibt s?«, fragte ich ihn.
»Ein Gestüt in Warrenton ist letzte Nacht in Flammen aufgegangen. Vielleichthaben Sie in den Nachrichten davon gehört«, sagte er. »Ställe, an die zwanzig Spitzenpferdeund das Wohnhaus. Alles niedergebrannt bis auf die Grundmauern.«
Bis jetzt ergab das alles noch keinen Sinn. »Marino, seit wann rufen Sie michan, wenn es irgendwo gebrannt hat? Mal abgesehen davon, dass Sie in NorthernVirginia gar nichts verloren haben.«
»Von nun an ja«, erwiderte er.
Meine Küche schien klein und stickig zu werden, während ich auf den Restwartete.
»Das ATF hat gerade eben das NRT alarmiert«, fuhr er fort.»Das heißt, uns.«
»Bingo. Ihren und meinen Arsch. Gleich morgen früh.« Das National ResponseTeam, abgekürzt NRT, die Spezialeinheit des Bureau of Alcohol, Tobacco andFirearms (ATF), kam zum Einsatz, wenn Kirchen oder Geschäftshäuser brannten,bei Bombenexplosionen und sonstigen Katastrophen, für die das ATF zuständigwar. Marino und ich gehörten zwar nicht unmittelbar zum ATF, es war jedochnichts Ungewöhnliches, dass diese und andere Polizeieinheiten uns bei Bedarfrekrutierten. In jüngster Zeit hatte ich das World-Trade-Center- und dasOklahoma-City-Bombenattentat und den Absturz der TWA-Maschine zu bearbeitengehabt. Ich hatte bei der Identifizierung der Branch Davidianer in Wacomitgeholfen und die Verstümmelten und Toten untersucht, die auf das Konto desUnabombers gingen. Ich wusste aus leidvoller Erfahrung, dass das ATF mich nurdann zu einem Einsatz hinzuzog, wenn Menschen zu Tode gekommen waren, und wennMarino ebenfalls angefordert wurde, lag der Verdacht nahe, dass es sich um Mordhandelte.
»Wie viele?« Ich langte nach meiner Schreibunterlage.
»Es geht nicht darum, wie viele, Doc. Es geht darum, wer. Der Besitzer der Farmist nämlich Kenneth Sparkes, der Medienmogul, er und kein anderer. Undgegenwärtig sieht s so aus, als hätt er s nicht geschafft.«
»O Gott«, murmelte ich, und schlagartig verfinsterte sich meine Welt. »Und daswissen wir genau?«
»Na ja, er wird jedenfalls vermisst.«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu erklären, warum ich das gerade jetzterfahre?«
Ich fühlte Wut aufsteigen und war kurz davor, sie an ihm auszulassen, dennsämtliche unnatürlichen Tode in Virginia gehörten in meinenZuständigkeitsbereich. Ich hätte nicht erst von Marino über diesen Fallinformiert werden dürfen und ärgerte mich über mein Northern-Virginia-Büro, dasmich nicht zu Hause angerufen hatte.
»Nun regen Sie sich mal nicht über Ihre Docs in Fairfax auf«, sagte Marino, dermeine Gedanken lesen zu können schien. »Fauquier County hat das ATF gebeten, zuübernehmen, sodass das der normale Gang war.«
Es gefiel mir zwar immer noch nicht, aber es war an der Zeit, zur Sache zukommen.
»Ich darf wohl annehmen, dass man noch keine Leiche entdeckt hat«, sagte ichund schrieb schnell mit.
»Zum Teufel, nein! Damit dürfen Sie sich amüsieren.«
Ich ließ den Kugelschreiber einen Augenblick auf dem Notizblatt ruhen. »Marino,wir haben es mit dem Brand eines allein stehenden Privathauses zu tun. Selbstwenn Verdacht auf Brandstiftung besteht und der Fall exponiert ist, sehe ichnicht, wieso das ATF sich dafür interessiert.«
»Whiskey, Maschinengewehre, vom An- und Verkauf von Klassegäulen ganz zu schweigen;und schon sind wir bei einem Unternehmen«, antwortete Marino.
»Na großartig«, murmelte ich.
»Das können Sie laut sagen. Die Sache ist ein verdammter Alptraum. Der FireMarshal wird Sie im Laufe des Tages anrufen. Packen Sie besser gleich Ihr Zeugzusammen. Der Hubschrauber erwartet uns vor Tagesanbruch. Ungünstiges Timing,wie immer. Schätze, dass Sie Ihren Urlaub abschreiben können.«
Benton und ich wollten eigentlich am Abend nach Hilton Head fahren und eineWoche Urlaub am Meer machen. Wir hatten in diesem Jahr noch keine Zeit für unsallein gehabt und waren beide ausgelaugt und mit unseren Kräften am Ende. Ichmochte ihm nicht in die Augen blicken, nachdem ich aufgelegt hatte.
»Es tut mir Leid«, sagte ich zu ihm. »Du wirst wohl mitbekommen haben, dass daein Riesenunglück passiert ist.«
Ich zögerte, während ich ihn beobachtete. Er wollte mich nicht ansehen und fuhrfort, Carrie Grethens Brief zu entziffern.
»Ich muss da hin. Gleich morgen früh. Vielleicht kann ich ja Mitte der Woche zudir stoßen.«
Er wandte sich ab, weil er davon nichts hören wollte.
»Bitte, versteh doch«, sagte ich zu ihm.
Er schien mich nicht zu hören, und ich wusste, er war schrecklich enttäuscht.
»Du hast doch diese Torso-Morde bearbeitet«, sagte er, während er las. »Diese Verstümmelungenin Irland und hier. Abgesägtes Bein . Dabei phantasiert sie über Lucy undmasturbiert. Kommt unter der Bettdecke jede Nacht mehrmals zum Orgasmus.Angeblich.«
Sein Blick wanderte weiter den Brief hinab, während er mit sich selbst zusprechen schien.
»Sie sagt, sie hätten immer noch ein Verhältnis, Carrie und Lucy«, murmelte er.»Dieses Wir-Gerede ist ihr Versuch, einen Fall von Persönlichkeitsspaltungvorzutäuschen. Sie sagt, sie ist nicht anwesend, wenn sie ihre Verbrechenbegeht. Jemand anders begeht sie. Verschiedene Persönlichkeiten. Einvorhersehbares und langweiliges Plädoyer auf Unzurechnungsfähigkeit. Ich hättegedacht, sie wäre ein bisschen origineller.«
»Sie ist absolut zurechnungsfähig«, antwortete ich in einer Anwallung neuenZorns.
»Du und ich, wir wissen das.« Er trank Evian aus einer Plastikflasche. »Woherkommt eigentlich der Name Lucy Boo?«
Ein Tropfen Wasser rann ihm das Kinn hinab, und er wischte ihn mit demHandrücken weg.
Ich stockte einen Augenblick. »Ein Kosename, mit dem ich meine Nichte angeredethabe, bis sie in den Kindergarten kam. Dann wollte sie nicht mehr so genanntwerden. Manchmal rutscht er mir noch heraus.« Ich schwieg erneut, als ich micherinnerte, wie sie damals war. »Ich vermute, dass sie Carrie von diesemKosenamen erzählt hat.«
»Na ja, wir wissen, dass es eine Zeit gab, da Lucy Carrie ziemlich vertrauthat.« Benton stellte nur fest, was ohnehin nicht zu übersehen war. »Sie warLucys erste Geliebte. Und wir wissen auch, dass man das erste Mal nie vergisst,egal wie lausig es war.«
»Die meisten Menschen wählen sich allerdings fürs erste Mal keinen Psychopathenaus«, sagte ich und konnte es immer noch nicht fassen, dass meine Nichte Lucygenau das getan hatte.
»Die Psychopathen sind wir, Kay«, sagte er, als hätte ich diesen Vortrag nochnie gehört. »Der attraktive, intelligente Mensch, der im Flugzeug neben dirsitzt, hinter dir in der Schlange steht, dir an einem x-beliebigen Ortbegegnet, über das Internet Kontakt zu dir aufnimmt. Brüder, Schwestern, Klassenkameraden,Söhne, Töchter, Liebhaber. Sehen aus wie du und ich. Lucy hatte keine Chance.Gegen eine Carrie Grethen konnte sie nicht das Geringste ausrichten.«
Auf dem Rasen hinter meinem Haus wuchs zu viel Klee, aber das Frühjahr warunnatürlich kühl und ideal für meine Rosen gewesen. Jetzt krümmten sie sich underzitterten im stürmischen Wind, und blasse Blütenblätter sanken zu Boden.Benton Wesley, der pensionierte Chef der Profiling-Abteilung des FBI, dort, wodie Täterprofile erstellt wurden, fuhr fort, seine Gedanken zu entwickeln.
»Carrie will Fotos von Gault. Fotos vom Tatort, Autopsiefotos. Du bringst ihrdie, und im Gegenzug wird sie dir Einzelheiten liefern, die die Ermittlungenbetreffen, forensische Juwele, die dir vermutlich entgangen sind. Solche, dieder Anklage helfen könnten, wenn der Fall nächsten Monat zur Verhandlung kommt.Darüber spottet sie, dass dir etwas entgangen sein könnte. Dass es inirgendeiner Weise mit Lucy zusammenhängen könnte.«
Seine Lesebrille lag zusammengelegt neben seinem Tischset, und er entschiedsich, sie aufzusetzen.
»Carrie möchte, dass du sie besuchen kommst. In Kirby.«
Sein Gesicht war angespannt, während er mich über die Brillengläser hinwegansah.
»Das ist sie.«
Er zeigte auf den Brief.
»Sie taucht wieder auf. Ich wusste es.« Seine Stimme klang erschöpft.
»Was meint Carry mit dem dunklen Licht?«, fragte ich und stand auf, weil ichkeinen Augenblick länger sitzen bleiben konnte.
»Blut.« Er schien sich ganz sicher zu sein. »Als du Gault in den Oberschenkelgestochen und seine Arterie getroffen hast und er verblutet ist. Oder verblutetwäre, wenn nicht der Zug den Rest erledigt hätte. Temple Gault.«
Er nahm seine Brille wieder ab, weil er innerlich aufgewühlt war. »SolangeCarrie Grethen ihr Unwesen treibt, tut er es auch. Die bösen Zwillinge«, setzteer hinzu.
© GoldmannVerlag
- Autor: Patricia Cornwell
- 2001, 1, 397 Seiten, Maße: 14,5 x 21,4 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Karin Kersten
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 345501030X
- ISBN-13: 9783455010305
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