Breaking Ground
Daniel Libeskind, Schöpfer des Jüdischen Museums in Berlin, ist der bedeutendste Architekt der Gegenwart. In seinen...
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Daniel Libeskind, Schöpfer des Jüdischen Museums in Berlin, ist der bedeutendste Architekt der Gegenwart. In seinen blendend geschriebenen Erinnerungen schildert der Künstler und Visionär das Abenteuer seines Lebens und legt seine Pläne für den Wiederaufbau des World Trade Centers dar, die sich einer "Architektur des Optimismus" verpflichtet sehen
Alle Architekten sind Prostituierte - das hat zumindestPhilip Johnson gesagt. Sie tun alles, was man von ihnen verlangt, nur um bauenzu können. Frank Lloyd Wright hat es etwas weniger brutal formuliert. Ermeinte, es gäbe drei Dinge, die ein Architekt wissen müsse. Erstens: Wie kommeich an einen Auftrag? Zweitens: Wie komme ich an einen Auftrag? Und drittens:Wie komme ich an einen Auftrag?
Dasist sicherlich eine zynische Einstellung gegenüber diesem Beruf, und als Sohnzweier Idealisten und Ehemann einer weiteren Idealistin würde ich gernedagegenhalten, dass es nicht jedem Architekten an Grundsätzen mangelt. Aberauch ich musste mich der Tatsache stellen, dass eine Menge Wahrheit in denAussagen dieser Baumeister steckt. Im Gegensatz zu Künstlern, Philosophen oderSchriftstellern sind Architekten vollkommen abhängig von anderen - anderen mitGeld, und zwar mit viel Geld, denn es kostet eine Menge, ein Bauwerk (selbstein bescheidenes) zu realisieren. Das ist der Grund, um Philip Johnson noch einmalzu zitieren, warum Architekten sich immer wieder zum Spielball der Mächtigenmachen. Und falls ich daran jemals Zweifel gehegt haben sollte, so wurden sieim September 2002 während der Architektur-Biennale in Venedig hinweggefegt.
InVenedig - der traumhaften-bizarren Stadt, die die Tatsache feiert, dass in der Architekturalles, aber auch wirklich alles möglich ist - hatte sich der Großteil derArchitekturszene anlässlich einer internationalen Ausstellung zum Thema »Next«versammelt (ein ausgesprochen treffender Titel, angesichts der Ereignisse im Jahrzuvor). Die Architektur-Biennale in Venedig erfreut sich größter Beliebtheit,und nur komplette Narren lehnen eine Einladung zu dieser Veranstaltung ab - dasGanze ist viel zu schön und macht viel zu viel Spaß, um sich solch eineGelegenheit entgehen zu lassen. Nina und ich waren zusammen mit Carla Swickerathdort, einer der leitenden
ImPalazzo Venier dei Leoni, dem Guggenheim-Museum am Canale Grande, nahm DeyanSudjic, Architekturkritiker des London Observer und Direktor derBiennale, mich beiseite: »Daniel, morgen Vormittag. Podiumsdiskussion. Über dasGelände des World Trade Center ...«
Wie passend. Gerade an diesem Tag hatte ich einen Anrufvon Alexander Garvin erhalten, dem für Planung, Design und Entwicklungzuständigen stellvertretenden Direktor der Lower Manhattan DevelopmentCorporation (LMDC). Er lud mich ein, als Jurymitglied zuerst die Architekten zubenennen, die sich am Wettbewerb für die Neugestaltung von Ground Zero beteiligendurften, und später über den siegreichen Entwurf mitzubestimmen. Ich fühltemich von Garvins Angebot sehr geehrt - und war neugierig auf SudjicsEinladung.
»HerbertMuschamp wird auch da sein«, fuhr Sudjic fort. »Und Jean Nouvel und Zaha Hadidkommen ebenfalls. Neben vielen anderen. Komm doch auch. Setz dich einfach insPublikum. Ganz entspannt. Und wenn du willst, kommentier das, was auf dem Podiumgesagt wird.«
Ichmag und schätze Jean Nouvel sehr. Er ist ein eleganter und cleverer Mann - dieeuropäische Version eines Hightech-Architekten und berühmt für sein Institutdu Monde Arabe, das er am Ufer der Seine in Paris realisierte und dessenlichtempfindliche Fassade an die Iris vieler Augen erinnert. Und ich bewundereZaha Hadid. Als ich sie das letzte Mal sah, trug sie einen glänzenden goldenenGeldbeutel mit sich, der die Form eines Hinterns besaß, aus irgendeinem teurenMaterial gefertigt war und absolut naturgetreu aussah. Zaha hat ihren eigenenkraftvollen Stil. Die Architekturwelt hat es ihr, einer Irakerin in einerimmer noch von Männern beherrschten Szene, nicht immer leicht gemacht. Aber sieist einfallsreich und hat an ihren Idealen und Ideen festgehalten. Und sie hatsich durchgesetzt - wie ihr zunehmender Erfolg zeigt. Es ist eine Schande, dassdie Architektur noch immer eine Männerdomäne ist. Aber wie in allen Branchenwird sich auch dies im Laufe der Zeit ändern, mit der Konsequenz, dass sichauch die Architektur selbst ändern wird, denn Frauen schöpfen aus ihrem eigenenErfahrungsschatz und bringen neue Sichtweisen ein. Was das bedeutet? Na ja, wirwerden wohl abwarten und Tee trinken müssen. Ich jedenfalls freue mich schondarauf.
Jeanund Zaha - ja, das würde ein nettes Gespräch geben. Dagegen ist dieGesellschaft von Herbert Muschamp ein eher zweifelhaftes Vergnügen. Bis vorkurzem war Muschamp der Architekturkritiker der New York Times, was ihn -aufgrund der nationalen und internationalen Bedeutung dieser Zeitung - zu einemfast erschreckend einflussreichen Mann machte. Und Muschamp hüllte sich inseine Macht wie in einen luxuriösen, pelzgefütterten Umhang. Architekten tunfast alles, um sein Herz zu gewinnen. Es sei denn, sie zählen zu denBaumeistern, deren Name häufig in seinen Artikeln fällt - wie etwa PeterEisenman, Rem Koolhaas oder Zaha Hadid. Sein innerer Kompass schlägt manchmalwunderlich aus: In einem Moment liebt er jemanden, im nächsten wendet er sichvon ihm ab und im übernächsten ist der Betreffende das Allerletzte. Nina undich saßen eines Morgens mit ihm zusammen beim Frühstück in seinem schickenHotel in Venedig und beobachteten erstaunt und amüsiert, wie andere Architektenversuchten, einen Platz in der Nähe unseres Tischs zu ergattern. Man konnteförmlich spüren, wie sie umherschwirrten, magisch von ihm angezogen, wie Bienenvom Bienenstock. Vor nicht allzu langer Zeit schenkte er mir ein Buch über diealtgriechische Stadt Eleusis und ihre düsteren Mysterien - ich weiß nicht,warum er glaubte, dass mich dieses Thema interessieren würde - und versah esmit folgender Widmung: »In Liebe, Herbert«.
SeineMacht erscheint mir unangemessen groß.
Vorunserer Begegnung in Venedig hatte ich Muschamp das letzte Mal gegen Ende derneunziger Jahre gesehen, als er nach Berlin kam, um sich nach dem Fortgangunserer Arbeit am Jüdischen Museum zu erkundigen und um über Norman FostersNeugestaltung des Reichstags mit der glänzenden Kuppel aus Stahl und Glas zuschreiben. Wir hatten vereinbart, dass Nina und ich ihn von seinem Hotel abholenund mit ihm zu Abend essen sollten, aber als wir auf seinem Zimmer anriefen,meinte er: »Es tut mir schrecklich Leid, aber ich liege noch in der Badewanne.«Und dort blieb er auch. Erst nach einer Stunde kletterte er heraus, und als ersich schließlich zu uns gesellte, war er derart entspannt, dass es sich alsetwas schwierig erwies, ein normales Gespräch mit ihm zu führen.
Ja,eine Podiumsdiskussion über die Zukunft des World-Trade-Center-Aerals - einehöchst interessante Veranstaltung. Natürlich würde ich hingehen.
©Kiepenheuer & Witsch
Übersetzung:Franca Fritz und Heinrich Koop
- Autor: Daniel Libeskind
- 2004, 1, 318 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Unter Mitarb. v. Sarah Crichton
- Verlag: KIEPENHEUER & WITSCH
- ISBN-10: 3462034111
- ISBN-13: 9783462034110
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Breaking Ground".
Kommentar verfassen