Briefe an Hitler
Glühende Liebesbriefe waren ihm unangenehm, Widmungen von Musikstücken lehnte er ab, die Vermarktung seines Konterfeis mit Gipsbüsten duldete er ebensowenig wie eine "Hitler-Zigarette". In der Privatkanzlei des "Führers" wurden Tausende Briefe archiviert,...
Glühende Liebesbriefe waren ihm unangenehm, Widmungen von Musikstücken lehnte er ab, die Vermarktung seines Konterfeis mit Gipsbüsten duldete er ebensowenig wie eine "Hitler-Zigarette". In der Privatkanzlei des "Führers" wurden Tausende Briefe archiviert, viele persönlich gelesen und weiterbearbeitet.
Unter Staubschichten von Jahrzehnten verbargen sich in einem Moskauer Archiv die authentischen Zeugnisse deutscher Mentalität. Henrik Eberle hat sie erstmals systematisch ausgewertet und kommentiert eine Fundgrube für Psychologen, Historiker und Pädagogen. Bittbriefe, Gebete, Treueschwüre, Appelle und Hilferufe nicht nur aus Deutschland bilden ein Stimmungsbarometer der Jahre 1925 bis 1945, das einen schauern lässt. Die Menschen legten sich dem Diktator zu Füßen und wandten sich ab, als der Erfolg den "Führer" verließ.
Briefe an Hitler herausgegebenvon Henrik Eberle
LESEPROBE
Hitlersplanmäßiges Vorgehen
1.
1925: dieNeuformierung der NSDAP
HerrHitler, so teilte Rudolf Heft einem alten Parteigenossen im Juli 1924 aus derFestungshaft in Landsberg mit, wolle zurzeit »durchaus nichts wissen vonpolitischen Tagesfragen«. Dessen Anliegen hatte er Hitler vorgetragen, aberschlichten und ordnen könne jener jetzt in der Haft nichts. Auch offiziell habeer sich von der Leitung der NSDAP zurückgezogen. Grund sei, dass er nichtVerantwortung übernehmen könne »für das, was draußen ohne sein Wissen undteilweise gegen seinen Willen geschieht«. Er sehe sich außerstande, dieständigen Streitereien in der völkischen Bewegung zu schlichten, »wenigstensvon hier aus nicht«. Auf der anderen Seite sei Hitler absolut davon »überzeugt,bald nach der Erlangung der Freiheit alles wieder in die richtigen Bahnensteuern zu können«. Vor allem werde Hitler »alles beenden, was irgendwie zuKonfessionsgegensätzen führt, und wird die Kräfte zusammenfassen zum Kampfgegen den Kommunismus«. Denn jener werde den Anstoß zu einer Einigung der völkischenBewegung geben, »über alle Bedenken hinweg«. Heft selbst gab sich in dem Briefauch von Folgendem überzeugt: »Unabhängig von allen Dummheiten seiner Anhängerwird sich [die] Persönlichkeit Hitlers - deren gewaltige Bedeutung ich erst hierwohl ganz erfasste - durchsetzen.« Und geradezu prophetischformulierte Heft: »Und von oben her drückt er dann seiner Volkheitden Stempel auf und überträgt seinen Geist, der die Auswüchse wiederbeseitigt.«
Tatsächlichverfuhr Hitler so, wie Heft es ankündigte. Er drückte dem deutschen Volk seinenStempel auf, er versuchte immer wieder, Religionsstreitigkeiten aus dempolitischen Tagesgeschäft auszublenden. Aber dass Hitlers antijüdische Ideologieder »Auswuchs« selbst war, wollte Heft nicht sehen. Denn er teilte HitlersJudenhass, er verehrte den Parteiführer über alles, seinem »Tribun« folgte erauch in allen ideologischen Wendungen, immer im Vertrauen darauf, dass Hitlerzur richtigen Zeit das Richtige tun würde.
Nach derEntlassung aus Landsberg wurde Heß Hitlers persönlicherSekretär. Er beantwortete Post, koordinierte die wachsende Zahl der Besucherund führte den Kalender (das Werbegeschenk einer Apotheke). Die Termine, die erfür Hitler eintrug, waren tagesgenau. Die Reichskanzlei plante im Tagesablaufdes Führers später jede einzelne Minute.
DieBevölkerungspost an Hitler bestand im Jahr 1925 aus nur einem einzigenAktenordner mit rund vierhundertzwanzig Blatt. Darin finden sich, alphabetischsortiert, etwa dreihundert Briefe an Hitler und rund fünfzig Antworten, außerdembeigelegte Flugblätter oder Zeitungsausschnitte. Während später mehr als dieHälfte der Briefe weibliche Absender hatten, erhielt Hitler 1925 keine zehnBriefe von ihm persönlich unbekannten Verehrerinnen. Die »völkische Bewegung«,also der extrem übersteigerte deutsche Nationalismus, war zu dieser Zeit Männersache.Das Konvolut von 1925 enthält keine einzige Kinderzeichnung, erst ab 1933finden sich Dutzende davon in Hitlers Bevölkerungspost. Die Schlussfolgerung,dass Hitler noch lange nicht das Idol der Massen, sondern nur einer kleinenGruppe von politischen Extremisten und politischen Abenteurern war, drängt sichauf.
Aber auchin den Briefen dieser Männer findet sich keineswegs nur Zustimmung. Eine ganzeReihe von Aktivisten, Vorkämpfern und politischen Wirrköpfen sandte ihmDenkschriften, Broschüren und ultimative Forderungen zu. Nicht wenige gabenHitler den Rat, mit diesem oder jenem Kontakt aufzunehmen, oder boten sich an,Beziehungen zu knüpfen. Zu ihnen gehörte der Philosoph Arnold Ruge, der Hitler in den Kreis seiner Adressaten fürDenkschriften aufnahm. Am 11. Juli 1925 ging ein solcher Rundbrief ein. Von derWahl von Hindenburgs hatte sich Ruge »eine Reinigungin den verantwortlichen Führerstellen des Reiches« erhofft, glaubte aber, dasssich »ein System geheimer Verbindungen so fest eingewurzelt« und sich wie einundurchdringbarer »Ring« um Hindenburg gelegt hätte. Daher habe er, Ruge, eine Eingabe an den Reichspräsidenten auf den Weggebracht, um jenen »auf die wahren Triebkräfte« im Deutschen Reich aufmerksamzu machen. Man müsse doch kämpfen, so formulierte Rugenoch deutlicher, gegen ein »System, das alle Macht und alle Werte demorganisierten Judentum ausgeliefert und die bolschewistische Verelendung nahegebracht hat«.
Auf demBrief findet sich lediglich der handschriftliche Vermerk »erl.[edigt]«. Hitler selbst scheintmit Ruge keine nähere Bekanntschaft gepflegt zuhaben, warum auch? Er teilte den Antisemitismus Ruges,sah aber darüber hinaus keine Anknüpfungspunkte. Anders der Reichsführer derSS, Heinrich Himmler. Dieser betrieb gemeinsam mit Rugein den 1920er-Jahren einen Verlag für Propagandaschriften. In den 1930ernerstellte Ruge für Himmler historische Gutachten überdie katholische Kirche und deren Anteil an der Hexenverfolgung. ( )
© VerlagsgruppeLübbe
- Autor: Henrik Eberle (HG.)
- 2007, 476 Seiten, 35 Schwarz-Weiß-Abbildungen, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 15,4 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Hrsg. v. Henrik Eberle
- Herausgegeben: Henrik Eberle
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3785723105
- ISBN-13: 9783785723104
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