Café Anschluß
"Ein Buch wie die Alpen: atemberaubend, länderübergreifend, und im Winter kann man darauf Ski fahren." Fremdenverkehrsclub Austria
Titanic-Redakteur und Satirepreisträger -Michael Ziegelwagner hat mit Café Anschluß das endgültige Buch über Deutschland und...
Titanic-Redakteur und Satirepreisträger -Michael Ziegelwagner hat mit Café Anschluß das endgültige Buch über Deutschland und...
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Produktinformationen zu „Café Anschluß “
Klappentext zu „Café Anschluß “
"Ein Buch wie die Alpen: atemberaubend, länderübergreifend, und im Winter kann man darauf Ski fahren." Fremdenverkehrsclub AustriaTitanic-Redakteur und Satirepreisträger -Michael Ziegelwagner hat mit Café Anschluß das endgültige Buch über Deutschland und Österreich geschrieben: einen hintersinnigen Reise-, Entwicklungs-, Bildungs- und Tatsachenroman, der Deutsche und Österreicher gleichermaßen beleidigt.
Immer wieder zieht es Deutsche nach Österreich: um zu studieren, um Urlaub zu machen, um Ski zu fahren oder um ihren Lebensabend auf Kosten österreichischer Nerven zu verbringen.
Aber auch Österreicher müssen nach Deutschland: um dort zu arbeiten, um neue Ressentiments zu sammeln, aus schierem Leichtsinn oder einfach, weil an Deutschland kein Weg vorbeiführt, wenn man von Österreich aus nach Frankreich oder Belgien will.
Dabei bietet gerade Deutschland dem Österreicher einiges. Nur in Deutschland wird seine schlechte Laune für charmant gehalten. Und nur in Deutschland gibt es Orte, neben denen St. Pölten wie ein Juwel erscheint. Nur in Deutschland kommt der Österreicher aus dem Staunen nicht heraus: über schlampig geführte Friedhöfe und eine geradezu bornierte Unfähigkeit zum Rechtsextremismus. Und nur hier kann er eine brachliegende Nationalküche verbessern und eine deutsche Sprache, die sich zur österreichischen verhält wie Marschmusik zur Mozartoper. Nur hier träumt er von der österreichischen Parallelgesellschaft und stellt fest, dass es für Österreicher selbst in Deutschland große Gefühle gibt: zum Beispiel Heimweh. Und wenn er am Ende Deutschland verschwinden lässt, dann wird alles gut.
Lese-Probe zu „Café Anschluß “
Café Anschluß Als Österreicher unter Deutschen von Michael Ziegelwagner... mehr
Die alte Dame spiegelt sich im Fenster, und ich
bemerke, wie sie mich beim Beobachten beobachtet.
Ahnt sie etwas? Spürt sie meine Sorge, mein innerliches
Hinundherschwanken? Sie atmet mehrmals tief
ein, mit geöffneten Lippen. Sie traut sich nicht, mich
anzusprechen - auf deutsch? Auf österreichisch? Und
endlich halte ich es nicht mehr aus, draußen den Wald
zu haben, drinnen die atmende Frau; ich bitte sie,
mich aufstehen und in den Speisewagen gehen zu lassen,
worauf sie noch einmal tief Luft holt und feststellt:
»Sie sind aus Österreich!« -
- und es knackt, und eine Stimme von oben heißt
mich an Bord der Deutschen Bahn herzlich willkommen,
»ganz besonders« gelte dieses Willkommen »unseren
österreichischen Mitreisenden« -
- und mein Handy fiept und begrüßt mich im deutschen
Netz, in das ich jetzt endgültig gegangen bin -
- und ich sinke, schon halb erhoben, in meinen Sitz
zurück, zerbrochen, erloschen: Ja, ich bin in Deutschland,
ja, ich reise unterm deutschen Zugführer, ja, ich
sitze neben einer deutschen Passagierin, und die lehnt
sich zufrieden zurück und kreuzt ihre rosa bestrumpften
Beine, glücklich, weil sie sich endlich getraut hat,
ein langes und ermüdendes Gespräch zu beginnen.
»Ich sehe so was nämlich immer gleich, wenn einer
aus Österreich ist, junger Mann - die haben nämlich
so etwas Künstlerisches!« Das liege an meinen Locken,
sagt sie und streckt zwei Finger nach ihnen aus. (Sie zu
berühren, wagt sie noch nicht. Ich wäre eh zu schwach
zur Abwehr.) »Wissen Sie, an wen Sie mich erinnern?
An diesen großen österreichischen Komponisten, mit
seinen wilden, virtuosen ... « (Ihre Finger zucken.)
»Aber nicht, daß Sie jetzt denken: Mozart! Nein, die
Frisur von Mozart kenne ich, ich meine den anderen,
den tragischen, Sie wissen schon ... ich komm gleich
drauf ... ach ja, genau, Beethoven!« Und zur Belohnung
nimmt sie eine meiner Haarsträhnen zwischen
die zwirbelnden Finger, während sie ablenkend fragt:
»Kommen Sie denn direkt aus Wien?«
»Ja«, sage ich.
Das stimmt übrigens nicht. Ich komme aus St. Pölten
in Niederösterreich, in Wien habe ich nur die letzten
drei Jahre verbracht, aber so etwas ist für Deutsche
zu kompliziert. Da müßte ich ihnen erklären, daß Niederösterreich
ein ostösterreichisches Bundesland ist,
rund um Wien herum, und es zum besseren Verständ-
nis mit Brandenburg vergleichen, das sich um Berlin
ausbreitet; und dann müßte ich ihnen noch erklären,
wo Brandenburg liegt und daß es sich dabei um ein
großes und relativ neues deutsches Bundesland handelt.
»Wien«, sagt die alte Dame und läßt meine zurückschnellende
Locke los, »eine tolle Stadt! Die Musik!
Und die Berge! Und der kleine Mozart-Amadeus aus
Salzburg! Und die schönen Kaffeehäuser! Und das Café
Sacher, das Lieblingscafé der Wiener, wo es die gute
Sachertorte gibt und die Sacherwürstchen ...«
»Würschtl«, sage ich ungehört.
»... und die herrlichen Wiener Mehlspeisen! Wollen
Sie meine Theorie hören? Dieses gute Essen bei Ihnen,
das hat mit der Musik zu tun! Denn: so süß und
zart wie der Mozart, so sind auch Ihre Mehlspeisen
in Wien! Glauben Sie nicht? Sachertorte! Apfelstrudel!
Eiernockerl! Das klingt ja selbst schon wie Musik.
Für solche Mehlspeisen sind wir in Deutschland
viel zu schwerblütig, wir können so etwas nicht richtig
zubereiten. Wir können so etwas ja nicht einmal essen,
ohne diese typische Wiener Grandezza. Glauben
Sie, Richard Wagner hätte die Mozartkugel erfinden
können? Niemals! Zu Richard Wagner kann man gar
nichts Süßes essen, da paßt eigentlich nur eine anständige
Schweinshaxe oder irgendetwas, das man mit
raumgreifenden Bewegungen und mit großem Besteck
zerlegt! Und das man mit Pathos salzen muß!«
Ich muß ihr recht geben, ob sie es hört oder nicht.
Sie holt tief Luft: Dieses Schwebende und Schwingende,
das sei eben nichts für die Deutschen, »tut mir
leid, da sind wir zu verkopft« - dazu brauche es eine
unschuldige Seele, ein kindliches Gemüt, ein Wiener
Herz, kein deutsches Hirn ...
Wobei, andererseits, Sigmund Freud »mit seiner
Psyche«, erklärt sie, das sei natürlich die Schattenseite
des Ganzen: unsere Friedhöfe und Zentralfriedhöfe
und unsere Weinkeller und unser Unterbewußtsein,
diese makabre Ader, die wir da hätten, daß wir so in
den Tod verliebt seien - »Also, mich gruselt's da immer,
wenn ich dran denke« -, unser Prater mit der Geisterbahn
und der Qualtinger und die beklemmenden
Filme, die man da immer von uns sehe auf sat - »Ich
schalt das weg, ich kann das nicht sehen!« sagt sie -,
und ob ich wisse, daß es in der Eskimosprache über
tausend Wörter für »Schnee« gebe? Und sie glaube,
daß wir Österreicher bestimmt hundert Wörter fürs
Sterben hätten - »Ich hab mir da mal einen Spaß gemacht,
verzeihen Sie, und in einem dieser Filme auf
sat die verschiedenen Ausdrücke gezählt, wie ging das
noch gleich: a Bankerl umschmeißen, an Holzpyjama
anziehen, die Radieschen zusammenessen, die Pantofferln
von unten anschauen ...« -, und sie habe ja früher
immer Thomas Bernhard gelesen, »diesen österreichischen
Todeserotiker«, der so einen »Strudel an Abgründigkeit
« durch seine langen Sätze in indirekter Rede
erzeuge, und ich sage: Ja, indirekte Rede, das würden
österreichische Autoren gerne machen, um ihre Texte
nach Literatur klingen zu lassen. Aber, meint sie, nun
solle ich einmal etwas von mir erzählen. Wohin gehe
denn die Zugfahrt?
»Nach Frankfurt«.
»Ach, Frankfurt! Wie schön, die Goethestadt! Das
Klein-Manhattan, die Apfelweinkneipen, die vielen
Bankerln im Bankerlviertel ...«
»Ja, aber die Mieten sind eher hoch, oder?«
»Mieten?« Sie ist verwirrt. »Sie meinen, daß die
Mieten für die Frankfurter hoch sind, die dort wohnen?
« Sie begreift: »Was, Sie meinen, daß Sie in Frankfurt
...« Verwirrung und Begreifen fließen zusammen
und erstarren zu Bestürzung: »Als Wiener? Als Österreicher
wollen Sie in Frankfurt ... auf Dauer? Sie meinen
... unter Deutschen?«
Über Deutschen, muß es natürlich heißen! Aber will
ich das tatsächlich? Stunden später, als die alte Dame
längst ausgestiegen ist, kommen mir Zweifel. Deutschland
ist so groß, und so klein ist die Chance, ein paar
Kilometer weiter südöstlich geboren zu sein: Ist es da
nicht frivol, freiwillig wegzugehen, für ein bißchen Geld
und Nervenkitzel? Aber, andere Gehirnhälfte: Bin ich
nicht gerade durch die Gnade der österreichischen Geburt
verpflichtet, der Welt etwas zurückzugeben - und
zwar vorzugsweise den unwirtlichen, häßlichen Teilen
dieser Welt? Deutschland also? Verpflichtet, ihnen mozartische
Leichtigkeit zu bringen und Wiener Lebenskunst?
Können davon nicht gerade die verbissenen,
verkrampften, ernsthaften Deutschen profitieren? Wie
meine Mitpassagierin, die mich verbissen, verkrampft
und mit großer Ernsthaftigkeit überreden wollte, in
Österreich zu bleiben? Dort, wo sie das Schwunghafte,
das Süße und Zaubrische wähnt, dort, wo sie sich
selbst hinwünscht, ins Beseligende, Kindlich-Kitschige
...? Denn groß ist die Lust der ernsten, verbissenen
Deutschen nach ausgelassener Fröhlichkeit, unermeßlich
ihre Sehnsucht nach Leichtsinn. Sollen wir diesem
ihrem Drang nicht entgegenkommen - wenn es sein
muß, entgegenkommen in ihr eigenes Land? Um sie
dort mit unserer schwarzen österreichischen Seele vollzuspritzen?
Sie, die sie Alpenromantik und Operettenlaune
von uns erwarten, eintunken in Melancholie und
Menschenhaß? Ja! Und sie andererseits charmieren und
am Schmäh halten, wenn sie sich an unserer Bosheit
und Todeslust weiden wollen? Ja!
Resümierend gefragt: Braucht uns Deutschland?
Ja. Ja!
Warum sollte ich, Österreicher und »Wiener«, Missionar
und Märtyrer, dann nicht hierbleiben, in Frankfurt,
in der Mitte der Bundesrepublik?
Wenigstens vorläufig?
Unser lieber Sohn!
Die Post hat Dein erstes Kapitel gebracht, und wir haben
viel Freude damit. Gratuliere zu der vielen Arbeit!
Warum interessieren Dich denn die Deutschen so
sehr? Ist es der Mühe wert? Du weißt ja: Alles, was man
näher kennenlernt, beginnt man irgendwann auch zu
verstehen. Und wenn man etwas verstanden hat, beginnt
man, es zu mögen. Sei vorsichtig! Vergiß nicht,
was der Tante Elsa passiert ist, als sie nach Deutschland
gegangen ist!
Ich habe Deinem Vater das Kapitel neben die Fernsehzeitung
gelegt, weil ich finde, daß er auch darin lesen
soll. Er freut sich schon darauf. Die Tante Anna
läßt Dich schön grüßen, Du gehst ihr sehr ab, sagt
sie. Gleich nachdem Du fort warst, hat sie sich einen
Hund gekauft. Als Ersatz für Dich, weil Du sie jetzt
nicht mehr besuchen kommst. (Kommen kannst.) Ich
war ganz gerührt, als ich das gehört habe, denn eigentlich
mag sie Hunde nicht.
Dem Onkel Erwin geht es nicht gut. Du gehst auch
ihm sehr ab. Bald fängt er wieder zu trinken an. Sind
es wirklich erst vier Wochen, daß Du weg bist? Mir
kommt es wie vier Jahre vor.
Ich bin stolz darauf, daß Du nach Deutschland gegangen
bist. Das Leben besteht aus Entscheidungen,
und manche davon fallen einem nicht leicht. Deine
war sicher richtig. Ich weiß noch gut, als Du zur Welt
gekommen bist. Wir haben uns damals dafür entschieden
entschieden,
bei Dir zu bleiben. Ist es nicht wunderschön, einem
neuen Menschen, den man noch gar nicht kennt,
einem Baby sogar, so viel Vertrauen entgegenzubringen,
weil man weiß, daß es einen nie enttäuschen wird?
Es ist bestimmt sehr teuer, ein Buch drucken zu
lassen. Brauchst Du Geld? Besuch doch einmal den
Fippo Havranek. Der war früher bei uns in der Filiale,
jetzt wohnt er in Deutschland. Schöne Grüße von den
Großeltern, vom Herrn Gnapotil, der Frau Wawran
und den Horvath Hubineks, denen du auch allen abgehst,
und natürlich auch von
Deiner M.
PS: Verzeih, daß dieser Brief stellenweise unleserlich
ist. Er ist naß geworden. Ich habe ihn aus Versehen
neben den tropfenden Wasserhahn gelegt.
© Weltbild
Die alte Dame spiegelt sich im Fenster, und ich
bemerke, wie sie mich beim Beobachten beobachtet.
Ahnt sie etwas? Spürt sie meine Sorge, mein innerliches
Hinundherschwanken? Sie atmet mehrmals tief
ein, mit geöffneten Lippen. Sie traut sich nicht, mich
anzusprechen - auf deutsch? Auf österreichisch? Und
endlich halte ich es nicht mehr aus, draußen den Wald
zu haben, drinnen die atmende Frau; ich bitte sie,
mich aufstehen und in den Speisewagen gehen zu lassen,
worauf sie noch einmal tief Luft holt und feststellt:
»Sie sind aus Österreich!« -
- und es knackt, und eine Stimme von oben heißt
mich an Bord der Deutschen Bahn herzlich willkommen,
»ganz besonders« gelte dieses Willkommen »unseren
österreichischen Mitreisenden« -
- und mein Handy fiept und begrüßt mich im deutschen
Netz, in das ich jetzt endgültig gegangen bin -
- und ich sinke, schon halb erhoben, in meinen Sitz
zurück, zerbrochen, erloschen: Ja, ich bin in Deutschland,
ja, ich reise unterm deutschen Zugführer, ja, ich
sitze neben einer deutschen Passagierin, und die lehnt
sich zufrieden zurück und kreuzt ihre rosa bestrumpften
Beine, glücklich, weil sie sich endlich getraut hat,
ein langes und ermüdendes Gespräch zu beginnen.
»Ich sehe so was nämlich immer gleich, wenn einer
aus Österreich ist, junger Mann - die haben nämlich
so etwas Künstlerisches!« Das liege an meinen Locken,
sagt sie und streckt zwei Finger nach ihnen aus. (Sie zu
berühren, wagt sie noch nicht. Ich wäre eh zu schwach
zur Abwehr.) »Wissen Sie, an wen Sie mich erinnern?
An diesen großen österreichischen Komponisten, mit
seinen wilden, virtuosen ... « (Ihre Finger zucken.)
»Aber nicht, daß Sie jetzt denken: Mozart! Nein, die
Frisur von Mozart kenne ich, ich meine den anderen,
den tragischen, Sie wissen schon ... ich komm gleich
drauf ... ach ja, genau, Beethoven!« Und zur Belohnung
nimmt sie eine meiner Haarsträhnen zwischen
die zwirbelnden Finger, während sie ablenkend fragt:
»Kommen Sie denn direkt aus Wien?«
»Ja«, sage ich.
Das stimmt übrigens nicht. Ich komme aus St. Pölten
in Niederösterreich, in Wien habe ich nur die letzten
drei Jahre verbracht, aber so etwas ist für Deutsche
zu kompliziert. Da müßte ich ihnen erklären, daß Niederösterreich
ein ostösterreichisches Bundesland ist,
rund um Wien herum, und es zum besseren Verständ-
nis mit Brandenburg vergleichen, das sich um Berlin
ausbreitet; und dann müßte ich ihnen noch erklären,
wo Brandenburg liegt und daß es sich dabei um ein
großes und relativ neues deutsches Bundesland handelt.
»Wien«, sagt die alte Dame und läßt meine zurückschnellende
Locke los, »eine tolle Stadt! Die Musik!
Und die Berge! Und der kleine Mozart-Amadeus aus
Salzburg! Und die schönen Kaffeehäuser! Und das Café
Sacher, das Lieblingscafé der Wiener, wo es die gute
Sachertorte gibt und die Sacherwürstchen ...«
»Würschtl«, sage ich ungehört.
»... und die herrlichen Wiener Mehlspeisen! Wollen
Sie meine Theorie hören? Dieses gute Essen bei Ihnen,
das hat mit der Musik zu tun! Denn: so süß und
zart wie der Mozart, so sind auch Ihre Mehlspeisen
in Wien! Glauben Sie nicht? Sachertorte! Apfelstrudel!
Eiernockerl! Das klingt ja selbst schon wie Musik.
Für solche Mehlspeisen sind wir in Deutschland
viel zu schwerblütig, wir können so etwas nicht richtig
zubereiten. Wir können so etwas ja nicht einmal essen,
ohne diese typische Wiener Grandezza. Glauben
Sie, Richard Wagner hätte die Mozartkugel erfinden
können? Niemals! Zu Richard Wagner kann man gar
nichts Süßes essen, da paßt eigentlich nur eine anständige
Schweinshaxe oder irgendetwas, das man mit
raumgreifenden Bewegungen und mit großem Besteck
zerlegt! Und das man mit Pathos salzen muß!«
Ich muß ihr recht geben, ob sie es hört oder nicht.
Sie holt tief Luft: Dieses Schwebende und Schwingende,
das sei eben nichts für die Deutschen, »tut mir
leid, da sind wir zu verkopft« - dazu brauche es eine
unschuldige Seele, ein kindliches Gemüt, ein Wiener
Herz, kein deutsches Hirn ...
Wobei, andererseits, Sigmund Freud »mit seiner
Psyche«, erklärt sie, das sei natürlich die Schattenseite
des Ganzen: unsere Friedhöfe und Zentralfriedhöfe
und unsere Weinkeller und unser Unterbewußtsein,
diese makabre Ader, die wir da hätten, daß wir so in
den Tod verliebt seien - »Also, mich gruselt's da immer,
wenn ich dran denke« -, unser Prater mit der Geisterbahn
und der Qualtinger und die beklemmenden
Filme, die man da immer von uns sehe auf sat - »Ich
schalt das weg, ich kann das nicht sehen!« sagt sie -,
und ob ich wisse, daß es in der Eskimosprache über
tausend Wörter für »Schnee« gebe? Und sie glaube,
daß wir Österreicher bestimmt hundert Wörter fürs
Sterben hätten - »Ich hab mir da mal einen Spaß gemacht,
verzeihen Sie, und in einem dieser Filme auf
sat die verschiedenen Ausdrücke gezählt, wie ging das
noch gleich: a Bankerl umschmeißen, an Holzpyjama
anziehen, die Radieschen zusammenessen, die Pantofferln
von unten anschauen ...« -, und sie habe ja früher
immer Thomas Bernhard gelesen, »diesen österreichischen
Todeserotiker«, der so einen »Strudel an Abgründigkeit
« durch seine langen Sätze in indirekter Rede
erzeuge, und ich sage: Ja, indirekte Rede, das würden
österreichische Autoren gerne machen, um ihre Texte
nach Literatur klingen zu lassen. Aber, meint sie, nun
solle ich einmal etwas von mir erzählen. Wohin gehe
denn die Zugfahrt?
»Nach Frankfurt«.
»Ach, Frankfurt! Wie schön, die Goethestadt! Das
Klein-Manhattan, die Apfelweinkneipen, die vielen
Bankerln im Bankerlviertel ...«
»Ja, aber die Mieten sind eher hoch, oder?«
»Mieten?« Sie ist verwirrt. »Sie meinen, daß die
Mieten für die Frankfurter hoch sind, die dort wohnen?
« Sie begreift: »Was, Sie meinen, daß Sie in Frankfurt
...« Verwirrung und Begreifen fließen zusammen
und erstarren zu Bestürzung: »Als Wiener? Als Österreicher
wollen Sie in Frankfurt ... auf Dauer? Sie meinen
... unter Deutschen?«
Über Deutschen, muß es natürlich heißen! Aber will
ich das tatsächlich? Stunden später, als die alte Dame
längst ausgestiegen ist, kommen mir Zweifel. Deutschland
ist so groß, und so klein ist die Chance, ein paar
Kilometer weiter südöstlich geboren zu sein: Ist es da
nicht frivol, freiwillig wegzugehen, für ein bißchen Geld
und Nervenkitzel? Aber, andere Gehirnhälfte: Bin ich
nicht gerade durch die Gnade der österreichischen Geburt
verpflichtet, der Welt etwas zurückzugeben - und
zwar vorzugsweise den unwirtlichen, häßlichen Teilen
dieser Welt? Deutschland also? Verpflichtet, ihnen mozartische
Leichtigkeit zu bringen und Wiener Lebenskunst?
Können davon nicht gerade die verbissenen,
verkrampften, ernsthaften Deutschen profitieren? Wie
meine Mitpassagierin, die mich verbissen, verkrampft
und mit großer Ernsthaftigkeit überreden wollte, in
Österreich zu bleiben? Dort, wo sie das Schwunghafte,
das Süße und Zaubrische wähnt, dort, wo sie sich
selbst hinwünscht, ins Beseligende, Kindlich-Kitschige
...? Denn groß ist die Lust der ernsten, verbissenen
Deutschen nach ausgelassener Fröhlichkeit, unermeßlich
ihre Sehnsucht nach Leichtsinn. Sollen wir diesem
ihrem Drang nicht entgegenkommen - wenn es sein
muß, entgegenkommen in ihr eigenes Land? Um sie
dort mit unserer schwarzen österreichischen Seele vollzuspritzen?
Sie, die sie Alpenromantik und Operettenlaune
von uns erwarten, eintunken in Melancholie und
Menschenhaß? Ja! Und sie andererseits charmieren und
am Schmäh halten, wenn sie sich an unserer Bosheit
und Todeslust weiden wollen? Ja!
Resümierend gefragt: Braucht uns Deutschland?
Ja. Ja!
Warum sollte ich, Österreicher und »Wiener«, Missionar
und Märtyrer, dann nicht hierbleiben, in Frankfurt,
in der Mitte der Bundesrepublik?
Wenigstens vorläufig?
Unser lieber Sohn!
Die Post hat Dein erstes Kapitel gebracht, und wir haben
viel Freude damit. Gratuliere zu der vielen Arbeit!
Warum interessieren Dich denn die Deutschen so
sehr? Ist es der Mühe wert? Du weißt ja: Alles, was man
näher kennenlernt, beginnt man irgendwann auch zu
verstehen. Und wenn man etwas verstanden hat, beginnt
man, es zu mögen. Sei vorsichtig! Vergiß nicht,
was der Tante Elsa passiert ist, als sie nach Deutschland
gegangen ist!
Ich habe Deinem Vater das Kapitel neben die Fernsehzeitung
gelegt, weil ich finde, daß er auch darin lesen
soll. Er freut sich schon darauf. Die Tante Anna
läßt Dich schön grüßen, Du gehst ihr sehr ab, sagt
sie. Gleich nachdem Du fort warst, hat sie sich einen
Hund gekauft. Als Ersatz für Dich, weil Du sie jetzt
nicht mehr besuchen kommst. (Kommen kannst.) Ich
war ganz gerührt, als ich das gehört habe, denn eigentlich
mag sie Hunde nicht.
Dem Onkel Erwin geht es nicht gut. Du gehst auch
ihm sehr ab. Bald fängt er wieder zu trinken an. Sind
es wirklich erst vier Wochen, daß Du weg bist? Mir
kommt es wie vier Jahre vor.
Ich bin stolz darauf, daß Du nach Deutschland gegangen
bist. Das Leben besteht aus Entscheidungen,
und manche davon fallen einem nicht leicht. Deine
war sicher richtig. Ich weiß noch gut, als Du zur Welt
gekommen bist. Wir haben uns damals dafür entschieden
entschieden,
bei Dir zu bleiben. Ist es nicht wunderschön, einem
neuen Menschen, den man noch gar nicht kennt,
einem Baby sogar, so viel Vertrauen entgegenzubringen,
weil man weiß, daß es einen nie enttäuschen wird?
Es ist bestimmt sehr teuer, ein Buch drucken zu
lassen. Brauchst Du Geld? Besuch doch einmal den
Fippo Havranek. Der war früher bei uns in der Filiale,
jetzt wohnt er in Deutschland. Schöne Grüße von den
Großeltern, vom Herrn Gnapotil, der Frau Wawran
und den Horvath Hubineks, denen du auch allen abgehst,
und natürlich auch von
Deiner M.
PS: Verzeih, daß dieser Brief stellenweise unleserlich
ist. Er ist naß geworden. Ich habe ihn aus Versehen
neben den tropfenden Wasserhahn gelegt.
© Weltbild
... weniger
Autoren-Porträt von Michael Ziegelwagner
Michael Ziegelwagner, geboren 1983 in St. Pölten (Niederösterreich). Matura 2001, danach Studium des Journalismus in Wien. 2002 Satirepreis der Stadt Graz. Schrieb u. a. für den Standard (Wien) und die taz (Berlin). Seit Jänner 2009 Redakteur des Satiremagazins Titanic. Wohnt seither in Frankfurt am Main (Deutschland) und möchte nicht darauf angesprochen werden.
Bibliographische Angaben
- Autor: Michael Ziegelwagner
- 2011, 208 Seiten, Maße: 13,1 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Atrium Verlag
- ISBN-10: 3855358265
- ISBN-13: 9783855358267
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