Die Spieler / Camel-Club Bd.3
Thriller
Annabelle Conroy, angesehenes Mitglied des Camel Clubs, steht auf der Abschussliste eines Kasinokönigs. Aus Rache für den Mord an ihrer Mutter hat sie ihn um 40 Mio. Dollar betrogen. Da passieren im Dunstkreis des Clubs mehrere Morde; ein gnadenloser Überlebenskampf beginnt.
Leider schon ausverkauft
Taschenbuch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Spieler / Camel-Club Bd.3 “
Annabelle Conroy, angesehenes Mitglied des Camel Clubs, steht auf der Abschussliste eines Kasinokönigs. Aus Rache für den Mord an ihrer Mutter hat sie ihn um 40 Mio. Dollar betrogen. Da passieren im Dunstkreis des Clubs mehrere Morde; ein gnadenloser Überlebenskampf beginnt.
Klappentext zu „Die Spieler / Camel-Club Bd.3 “
In diesem Spiel geht es um alles. Sieg oder Niederlage. Leben oder Tod.Der mysteriöse Camel Club will die geheimen Machenschaften der amerikanischen Regierung aufdecken - Korruption und Betrug sollen ein Ende bereitet werden. Auch Trickbetrügerin Annabelle Conroy hat sich dieser Aufgabe verschrieben, doch plötzlich wird sie selbst zur Gejagten: Nachdem sie einen skrupellosen Kasinoboss aus Rache um vierzig Millionen Dollar erleichtert hat, steht sie als Nächste auf seiner Abschussliste.
Im Kampf um ihr Leben ist Annabelle die Hilfe des Clubs gewiss. Die Karten werden jedoch neu gemischt, als dessen Anführer Oliver Stone von seiner Vergangenheit eingeholt wird und selbst vor einem Killer fliehen muss ...
Der dritte Band der erfolgreichen Thriller-Reihe um den Camel Club von Bestsellerautor David Baldacci.
Lese-Probe zu „Die Spieler / Camel-Club Bd.3 “
Die Spieler von David BaldacciKapitel 1
... mehr
Harry Finn stand wie üblich um halb sieben auf, kochte Kaffee, ließ den Hund wie jeden Morgen auf den eingezäunten Hinterhof hinaus, duschte, rasierte sich, weckte die Kinder, damit sie pünktlich in die Schule kamen, und überwachte in der nächsten halben Stunde die komplizierte Morgenroutine, bei der das Frühstück verschlungen, Schultaschen und Schuhe gesucht und Streitigkeiten vom Zaun gebrochen und beigelegt wurden. Harrys Frau gesellte sich zu ihm, noch ein bisschen verschlafen, aber dennoch bereit für einen weiteren Tag als Mutter und Mama-Taxi von drei Kindern, darunter einem frühreifen, nach Unabhängigkeit strebenden Jungen im Teenageralter.
Harry Finn war in den Dreißigern, ein Mann mit jungenhaften Gesichtszügen und klaren blauen Augen, die nichts übersahen. Er hatte jung geheiratet und liebte seine Frau und seine drei Kinder. Sogar dem Hund der Familie, einem schlappohrigen, goldenen Labrador-Pudel-Mischling namens George, brachte er aufrechte Zuneigung entgegen. Finn war eins fünfundachtzig groß und hatte einen langgliedrigen Körper, wie geschaffen für Geschwindigkeit und Ausdauer. Wie üblich trug er verblichene Jeans und ein Freizeithemd. Die Brille mit den runden Gläsern und der kluge, betuliche Gesichtsausdruck verliehen ihm das Aussehen eines Buchhalters, der es nach einem Tag voller ermüdender Zahlen genoss, Hardrock à la Aerosmith zu hören. Finn war athletisch, brachte aber nicht mit den Muskeln, sondern mit seinem Grips das Brot auf den Tisch und die iPods in die Ohren seiner Kinder. Er war sehr gut in seinem Job. Nur wenige Menschen konnten, was Harry Finn konnte, und überlebten auch noch dabei.
Er gab seiner Frau einen Abschiedskuss, drückte die Kinder, sogar den Teenager, und schnappte sich eine Stofftasche, die er am Abend zuvor neben die Haustür gestellt hatte. Dann stieg er in seinen Toyota Prius und fuhr zum National Airport am Potomac River, direkt am Stadtrand von Washington, D. C. Der offizielle Name des Flughafens war in Ronald Reagan Washington National Airport geändert worden, doch für die Einheimischen würde er immer der »National« bleiben. Finn fand einen Parkplatz in der Nähe des Hauptterminals, dessen auffälligstes architektonisches Merkmal eine Reihe von Kuppeln war, die Thomas Jeffersons geliebtem Monticello nachempfunden waren. Mit der Tasche in der Hand ging er über einen Bürgersteig in das elegante Gebäude. In einer Kabine der Herrentoilette öffnete er die Tasche, zog eine dicke blaue Jacke mit reflektierenden Streifen an den Ärmeln und blaue Arbeitshosen an, legte sich orangefarbene Ohrenschützer um den Hals und befestigte einen offiziell aussehenden Ausweis an der Jacke.
Um das Drehkreuz zu überwinden, schloss er sich einer Gruppe Flughafenangestellter an, die durch eine spezielle Sicherheitsschleuse gingen. Es war die reinste Ironie, doch hier kam nicht einmal die oberflächliche Sicherheit zur Anwendung, die gewöhnlichen Passagieren auferlegt wurde. Als Finn auf der anderen Seite der Schleuse war, bestellte er eine Tasse Kaffee und folgte dann beiläufig einem anderen Arbeiter durch eine Sicherheitstür in den Außenbereich. Der Mann hielt ihm tatsächlich die Tür auf.
»In welcher Schicht arbeitest du?«, fragte Finn.
Der Mann sagte es ihm.
»Ich fange gerade an«, sagte Finn. »Wäre ja kein Problem, wenn ich nicht wegen dem verdammten Football-Spiel so lange aufgeblieben wäre.«
»Wem sagst du das?«, pflichtete der Mann ihm bei.
Finn stieg die Metalltreppe hinunter und ging zu einer 737, die für einen Kurzstreckenflug nach Detroit mit Anschlussflug nach Seattle vorbereitet wurde. Unterwegs kam er an mehreren Leuten vorbei, darunter einem Tankwart, zwei Gepäckbeladern und einem Mechaniker, der die Reifen einer Maschine mit Flugziel Michigan überprüfte. Niemand sprach ihn an, weil er aussah und sich auch so verhielt, als hielte er sich völlig rechtmäßig hier auf. Während er um das Flugzeug herumging, trank er seinen Kaffee aus.
Er ging weiter zu einem Airbus A320, der sich in ungefähr einer Stunde auf den Weg nach Florida machen würde. Ein Gepäckwagen stand neben der Maschine. Mit einer geübten Bewegung zog Finn das kleine Päckchen aus seiner Jacke und schob es in eine Seitentasche eines der Koffer auf dem Wagen. Dann kniete er sich neben einen der Reifen am Fahrwerk der riesigen Maschine und tat so, als würde er das Profil überprüfen. Wieder nahmen die anderen Arbeiter keine Notiz von ihm, da Finn den Eindruck erweckte, als fühle er sich in seiner Umgebung vollkommen heimisch. Eine Minute später plauderte er mit einem Mechaniker der Bodenmannschaft, analysierte die Chancen der Washington Redskins und die bedauernswerten Aussichten für die Beschäftigten in der Luftfahrtindustrie.
»Nur den hohen Tieren geht's richtig gut«, sagte Finn. »Die drucken geradezu Geld.«
»Stimmt genau«, sagte der andere. Beide klatschten sich ab, um einander zu zeigen, dass sie einer Meinung waren, was die Gier der Reichen und Skrupellosen betraf, die den gar nicht so freundlichen Himmel beherrschten.
Finn bemerkte, dass die hintere Frachtschleuse der Maschine nach Detroit mittlerweile offen war. Er wartete, bis die Gepäckträger mit ihrem Wägelchen-Kordon losgefahren waren, um andere Koffer zu holen, und kletterte dann auf den Hubwagen, der dort stand. Er schlüpfte ins Frachtabteil und zwängte sich in sein Versteck. Er hatte es ausgesucht, nachdem er Pläne der Frachträume einer 737 studiert hatte - Unterlagen, die problemlos verfügbar waren, wenn man wusste, wo man suchen musste. Finn hatte bei seiner Internetrecherche außerdem erfahren, dass dieses Flugzeug nur zur Hälfte beladen sein würde, sodass sein zusätzliches Gewicht im Frachtraum nicht die geringste Rolle spielte.
Während er in seinem Versteck lag, wurde das Flugzeug mit dicken Koffern und gestressten Passagieren beladen, und dann ging es auch schon auf die Reise nach Detroit. Finn reiste relativ bequem im Frachtraum, obwohl es hier entschieden kälter war als im Passagierraum, sodass er froh war, die dicke Jacke zu tragen. Nach ungefähr einer Stunde Flugzeit landete die Maschine und rollte zum Terminal. Ein paar Minuten später wurde die Frachtluke geöffnet und das Gepäck entladen. Finn wartete geduldig, bis der letzte Koffer von Bord war; dann verließ er sein Versteck und spähte durch die geöffnete Heckluke: Es waren ein paar Leute in der Nähe, aber niemand schaute in seine Richtung. Finn kletterte aus der Maschine und ließ sich auf den Asphalt fallen. Eine Minute später bemerkte er zwei Sicherheitsbeauftragte, die in seine Richtung kamen, dabei Kaffee tranken und sich unterhielten. Er griff in seine Tasche, holte ein Lunchpaket heraus, nahm ein Schinkensandwich und biss hinein, wobei er sich vom Flugzeug entfernte.
Als die zwei Wachmänner an ihm vorbeigingen, nickte er ihnen zu. »Ist das normaler Kaffee oder entkoffeinierter Karamell-Latte mit Schuss und vier Tropfen Was-weiß-ich?« Er grinste mit vollem Mund. Die beiden Uniformierten kicherten über seine Bemerkung, und er ging weiter.
Finn betrat das Terminal, ging auf eine der Toiletten, legte Jacke, Ohrenschützer und Ausweis ab, telefonierte kurz und machte sich dann auf den Weg zum Sicherheitsbüro des Flughafens.
»Ich habe eine Bombe in eine Tasche gepackt, die heute Morgen auf dem National Airport in einen A320 verfrachtet wurde«, sagte er zu dem wachhabenden Beamten. »Und ich bin soeben im Laderaum einer 737 von D. C. hierhergeflogen. Ich hätte den Vogel jederzeit zum Absturz bringen können.«
Der Beamte, der keine Waffe trug, reagierte augenblicklich und sprang über den Schreibtisch, um Finn zu Boden zu reißen. Finn wich geschickt zur Seite. Der Mann schlug der Länge nach hin und rief um Hilfe. Andere Beamte stürmten aus dem Hinterzimmer herbei und näherten sich Finn mit gezogenen Waffen. Doch Finn hatte sein Beglaubigungsschreiben schon gezückt, ehe die Männer ihre Waffen in den Händen hielten.
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Drei weitere Männer kamen herein und hielten die Marken ihrer Bundesbehörde wie königliche Zepter in die Höhe.
»Homeland Security!«, blaffte einer von ihnen die Wachen an und zeigte auf Finn. »Dieser Mann arbeitet für uns. Und irgendjemand steckt bis zum Hals in Schwierigkeiten.«
Kapital 2
»Gut gemacht, Harry, wie immer«, sagte der Chef des Homeland-Security-Teams später und gab Finn einen Klaps auf den Rücken. Berichte waren ausgefüllt, E-Mails abgeschickt und Handyakkus geleert worden, während man die gravierenden Verstöße gegen die Flughafensicherheit, von Harry Finn aufgedeckt, an die zuständigen Stellen weitergeleitet hatte. Normalerweise hätte Finn vom Heimatschutzministerium - oder DHS, wie das Department of Homeland Security allgemein bekannt war - niemals den Auftrag bekommen, einen Verstoß gegen die Flughafensicherheit zu begehen; die Bundesluftfahrtbehörde FAA grenzte ihren Verantwortungsbereich sorgsam nach außen ab. Finn glaubte den Grund dafür zu kennen: Bei der FAA wusste man genau, wie viele Schwächen im System es gab, und so wollte man natürlich nicht, dass ein Außenstehender dahinterkam.
Finn war kein Angestellter des DHS; vielmehr war die Firma, für die er arbeitete, von der Behörde beauftragt worden, die Sicherheitsvorkehrungen staatlicher und privater Einrichtungen in den gesamten USA zu überprüfen, indem man versuchte, die Sicherheitsmaßnahmen zu unterlaufen, wo man nur konnte. Das DHS verteilte viele solcher Aufträge; bei einem jährlichen Budget von 40 Milliarden Dollar musste man das Geld ja irgendwie unter die Leute bringen. Finns Firma bekam nur wenig aus diesem Topf, doch selbst ein winziger Bruchteil von 40 Milliarden war ein schönes regelmäßiges Einkommen.
Normalerweise hätte Finn den Flughafen verlassen, ohne zu enthüllen, was er getan hatte, und den Dingen ihren Lauf gelassen. Doch das DHS hatte offensichtlich die Nase voll vom Zustand der Sicherheitsvorkehrungen auf Flughäfen und wollte ein deutliches Zeichen setzen. Daher hatte man ihn angewiesen, sich in das Büro zu begeben und ein falsches Geständnis abzulegen, damit die DHS-Agenten ihren dramatischen Auftritt hatten. Den Medien würde das Wasser im Mund zusammenlaufen, die Fluggesellschaften würden schäumen vor Wut, und das DHS würde als sehr effizient und heldenhaft dastehen. Finn selbst gab keine Interviews, und sein Name stand niemals in den Zeitungen. Er erledigte nur unauffällig seinen Job.
Er würde jedoch ein abschließendes Briefing für das Sicherheitspersonal des Flughafens, das er soeben aufgescheucht hatte, vornehmen und dabei versuchen, bei der Einschätzung ihrer Leistung ermutigend und diplomatisch vorzugehen und Veränderungen für die Zukunft vorzuschlagen. Diese Briefings waren mitunter das Gefährlichste an seinem Job. Die Leute konnten sehr angefressen sein, wenn sie herausfanden, dass man sie hereingelegt und bloßgestellt hatte. Finn hatte sich mehr als einmal buchstäblich aus einem Besprechungsraum herauskämpfen müssen.
»Wir werden die Leute schon irgendwie in Form bringen«, sagte der Mann vom DHS.
»Ich hab meine Zweifel, dass das in diesem Leben noch klappt«, erwiderte Finn.
»Sie können mit uns nach D. C. zurückfliegen«, sagte der Mann. »Wir haben einen Falcon des Ministeriums bereitstehen.«
»Danke, aber ich möchte hier noch jemanden besuchen. Ich fliege morgen zurück.«
»Okay. Dann bis zum nächsten Mal.«
Als der Mann gegangen war, besorgte Finn sich einen Leihwagen, fuhr in einen Vorort von Detroit und hielt an einem Einkaufszentrum. Aus seinem Rucksack holte er eine Mappe und eine Aktenmappe mit einem Foto darin. Der Mann auf dem Foto war dreiundsechzig Jahre alt, glatzköpfig, hatte mehrere auffällige Tätowierungen und war als Dan Ross bekannt.
Das war nicht sein richtiger Name - aber Finn hieß auch nicht Finn.
Kapitel 3
Arthritis. Darüber hinaus der verdammte Lupus. Das war ein hübsches Duo, perfekt aufeinander abgestimmt, sein Leben zu einer schmerzhaft pochenden Hölle zu machen. Jeder Knochen knarrte, jede Sehne kreischte, und jede Bewegung fühlte sich an, als würde ihm ein Maultier in den Bauch treten. Dennoch ging er weiter, denn wenn man stehen blieb, blieb man für immer stehen. Er schluckte starke Tabletten, die er eigentlich gar nicht hätte haben dürfen, stülpte sich eine Baseballkappe auf den haarlosen, bleichen Kopf, zog die Krempe tief über die Augen und setzte sich eine Sonnenbrille auf. Er mochte es nicht, wenn die Leute sahen, wohin er schaute. Und er wollte nicht, dass die Leute einen guten Blick auf ihn werfen konnten.
Er stieg in seinen Wagen und fuhr zum Laden. Unterwegs setzte die Wirkung der Medikamente ein, und er fühlte sich besser, was zumindest ein paar Stunden so bleiben würde.
»Danke, Mr. Ross.« Der Verkäufer las den Namen von der Kreditkarte, ehe er sie ihm zusammen mit den Einkäufen zurückgab. »Schönen Tag noch.«
»Ich habe keine schönen Tage mehr«, erwiderte Dan Ross. »Ich habe nur noch letzte Tage.«
Der Verkäufer warf einen Blick auf den Hut, der den haarlosen Kopf bedeckte.
»Kein Krebs«, las Ross die Gedanken des Mannes.
»Auch wenn's vielleicht sogar besser wäre. Würde schneller gehen, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Der Verkäufer, Anfang zwanzig und natürlich noch unsterblich, sah nicht so aus, als wüsste er, was Ross meinte. Er nickte unbeholfen und wandte sich dem nächsten Kunden zu.
Ross verließ den Laden und überlegte, was er nun tun sollte. Geldsorgen hatte er nicht. Vater Staat kümmerte sich in seinen alten, elenden Tagen um ihn. Die Pension war erstklassig, die Krankenversicherung ebenso. Wenigstens das bekamen die Bundesbehörden auf die Reihe, wenn schon sonst nichts.
Ross' Sorgen waren akuter Natur: Er hatte zu viel freie Zeit. Das war sein Hauptproblem. Was als Nächstes unternehmen? Nach Hause fahren und an die Decke starren? Sich ins Restaurant setzen und sich den Bauch vollschlagen? Den Sportsender ESPN gucken und mit den hübschen Kellnerinnen flirten, die ihm dann doch nicht den Tag verschönten? Na ja, träumen durfte er noch - Träume von einer Vergangenheit, als die Ladys ihm mehr als ihre Zeit geschenkt hatten.
Ein tolles Leben führte Ross nicht mehr, das musste er sich eingestehen, während sein Blick unauffällig in sämtliche Richtungen schweifte: Selbst heute konnte er noch immer nicht dem Verlangen widerstehen, seine Umgebung zu beobachten, um festzustellen, ob er beschattet wurde. So wurde man nun mal, wenn über Jahrzehnte hinweg jemand versuchte, einen umzubringen. Gott, wie sehr sehnte er das Ende herbei, einen Schlussstrich unter diese erbärmlichen Tage des ausweglosen Dilemmas, sich zwischen Restaurant und Zuhause entscheiden zu müssen, das seine »Goldenen Jahre« ausfüllte. Mehr als dreißig Jahre lang hatte er sich jeden Monat in einem anderen Bundesstaat aufgehalten. Mit dem Flugzeug, frischem Mut und einer Waffe seiner Wahl die Welt sehen - das war seine Maxime gewesen. Ross erlaubte sich ein wehmütiges Lächeln. Erinnerungen waren alles, was ihm geblieben war. Und der beschissene Lupus. Vermutlich gibt es doch einen Gott. Eine ziemliche Scheiße, das jetzt auf die harte Tour zu erfahren.
Zu Ross' Pech war sein Beobachtungsvermögen zwar noch gut, aber nicht mehr unfehlbar. Ein Stück entfernt saß Harry Finn in einem Leihwagen und behielt den unverwechselbaren Mr. Ross im Auge. Wohin, Danny? Nach Hause oder ins Restaurant? Ins Restaurant oder nach Hause? Wie tief du gesunken bist.
Finn beobachtete diesen inneren Widerstreit bei Dan Ross schon seit längerer Zeit, und in drei Vierteln aller Fälle hatte Ross sich für das Restaurant entschieden. So auch heute wieder. Er machte kehrt, ging die Straße hinunter und betrat das Edsel Deli, das glänzend lief- seit 1954 schon, wie das Reklameschild über dem Eingang besagte, womit es das Automodell, nach dem es benannt war, eine berüchtigte Schrottmühle aus dem Fünfzigern, um Jahrzehnte überlebt hatte.
Mindestens eine Stunde lang würde Ross im Edsel Deli bleiben, seine Mahlzeit zu sich nehmen und die niedliche Kellnerin mit Blicken verschlingen. Für die anschließende Autofahrt nach Hause brauchte er zwanzig Minuten. Dort setzte er sich in den Garten hinter dem Haus und las Zeitung; danach ging er hinein, machte ein Nickerchen, bereitete sich ein bescheidenes Abendessen zu, sah fern und spielte dann Solitär an dem Tischchen am Vorderfenster, wo ihm eine Lampe die Karten beleuchtete. Damit klang sein Abend aus. Um 21 Uhr erlosch in dem Häuschen das Licht. Dan Ross legte sich schlafen, um am nächsten Morgen aufzuwachen, und dann fing alles wieder von vorne an. Finn konnte sämtliche Alltagshandlungen, mit denen der Alte sein dürftiges Leben gestaltete, im Geiste herunterbeten.
Nachdem Finn den Mann bis in diese Ortschaft verfolgt hatte, waren mehrere Fahrten zu dem Haus erforderlich gewesen, um Ross' Routineabläufe auszukundschaften. Diese Observation hatte ihm geholfen, den perfekten Plan zur Erledigung seiner Aufgabe auszuhecken.
Ungefähr fünf Minuten bevor Ross voraussichtlich das Edsel Deli verließ, stieg Finn aus dem Wagen, überquerte die Straße, schaute durchs Fenster ins Restaurant und sah Ross hinten an seinem gewohnten Tisch sitzen, den Blick auf die soeben erhaltene Rechnung geheftet. Finn schlenderte zu der Stelle, wo Ross' Auto parkte. Zwei Minuten später saß er wieder im Mietwagen. Nochmals drei Minuten später kam Ross aus dem Restaurant, schlurfte langsam die Straße entlang, stieg in seinen Wagen und fuhr los.
Finn fuhr in die entgegengesetzte Richtung.
Am Abend wickelte Ross seine üblichen Belanglosigkeiten ab und krönte sie mit einem drei Fingerbreit hoch gefüllten Glas Johnnie Walker Black, das er entgegen aller Warnungen der Beipackzettel mit einer starken Mischung von Schmerzmitteln kombinierte. Nur knapp schaffte er es bis zum Bett, ehe die Lähmung einsetzte. Zuerst erklärte er sie sich durch die Medikamente und empfand die Taubheit sogar als willkommen. Doch als er auf dem Bett lag, befiel ihn mit gelinder Panik der Verdacht, der Lupus könnte mittlerweile zu einer schlimmeren, bösartigeren Form ausgeartet sein. Doch als er plötzlich Atemnot bekam, begriff er, dass ihn etwas anderes ereilt hatte. Eine Herzattacke? Doch wo blieb der Druck auf der Brust, der stechende Schmerz im linken Arm? Ein Schlaganfall? Er konnte noch denken und reden. Er sprach ein paar Sätze, und sie klangen keineswegs genuschelt. Sein Gesicht fühlte sich nicht verzerrt an. Abgesehen von den ständigen Beschwerden hatte er vorher keine Schmerzen gehabt. Das war das Problem; er spürte seine Gliedmaßen nicht mehr. Ross schaute am Arm hinunter auf die linke Hand. Er wollte die Finger aneinanderreiben, doch anscheinend erreichte der Befehl des Gehirns sie nicht.
Doch er hatte im Verlauf des Tages etwas an den Fingern gehabt. Glitschig wie Vaseline war es gewesen. Er hatte gewischt und gewischt, ohne dass die Haut trocken geworden wäre. Zu Hause hatte er sich die Hände gewaschen, und das endlich schien genützt zu haben. Die Finger waren nicht mehr schlüpfrig gewesen. Ross wusste nicht, ob er den Erfolg Wasser und Seife verdankte oder ob der unbekannte Glibber verdunstet war.
Dann erkannte er die Wahrheit, als träfe ihn ein 50er Kaliber. Oder der Glibber ist von meinem Körper aufgenommen worden.
Wo hatte er sich die Finger befeuchtet? Angestrengt dachte er nach. Nicht am Morgen. Nicht im Geschäft, und auch nicht im Restaurant. Danach? Vielleicht, als er sich in den Wagen gesetzt hatte? Am Türgriff! Wäre Ross noch dazu fähig gewesen, hätte das Aha-Erlebnis ihn in die Senkrechte gescheucht. Aber er schaffte es nicht mehr. Er kriegte kaum noch Luft. Aus seinem Mund drang nur noch ein abgehackter Japser. Der Türgriff seines Autos war mit irgendetwas eingeschmiert worden, das ihn nun das Leben kostete. Ross blickte zum Telefon auf dem Nachttisch. Nur ein halber Meter trennte ihn von dem Apparat, doch er nutzte ihm jetzt so wenig, als stünde er in China.
Im Dunkeln erschien eine Gestalt an seinem Bett. Der Mann trug keine Maske. Trotz des Zwielichts konnte Ross seine Gesichtszüge erkennen. Er sah jung und ganz normal aus. Ross hatte schon Tausende solcher Gesichter gesehen und ihnen kaum Beachtung geschenkt. In seinem Beruf war es nie um Normales gegangen, immer nur um Außergewöhnliches. Nicht zu fassen, dass es jemandem wie diesem Mann gelingen sollte, ihn zu töten.
Während Ross immer gequälter atmete, zog der Fremde etwas aus der Tasche und hielt es ihm vors Gesicht. Es war ein Foto, doch Ross konnte nicht erkennen, wen es zeigte. Als Harry Finn das merkte, schaltete er eine kleine Stablampe ein und richtete den Lichtstrahl auf das Foto. Ross' Blick erforschte das Bild. Trotzdem erkannte er die Person nicht, bis Finn ihm den Namen nannte.
»Jetzt weißt du Bescheid«, sagte Finn leise. »Jetzt weißt du's.«
Er steckte das Foto weg, verharrte stumm an Ross' Bett und betrachtete ihn, während die Lähmung sich im Körper des Sterbenden ausbreitete. Finns Blick ruhte auf Ross, bis dieser einen letzten, verkrampften Atemzug tat, ehe die Augen glasig wurden.
Wenige Minuten später durchquerte Finn den Wald hinter Ross' Haus. Früh am nächsten Morgen saß er in einem Flugzeug, diesmal in der Passagierkabine. Vom Flugplatz aus fuhr er heim, küsste seine Frau, spielte mit dem Hund und holte die Kinder von der Schule ab. Am Abend gingen sie gemeinsam zum Essen aus, um zu feiern, dass die Jüngste, die achtjährige Susie, bei einer Theateraufführung an der Schule einen sprechenden Baum spielen durfte.
Gegen Mitternacht schlich Harry Finn die Treppe hinunter und ging in die Küche, wo George, der treue Labrador-Pudel-Mischling, aus seinem weich gepolsterten Hundekorb sprang und ihn begrüßte. Während er am Küchentisch saß und den Hund streichelte, strich er im Geiste Dan Ross von seiner Liste.
Nun konzentrierte er sich auf den nächsten Namen: Carter Gray, ehemaliger Chef des amerikanischen Geheimdienstimperiums.
Übersetzung: Uwe Anton
Copyright © 2009 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Harry Finn stand wie üblich um halb sieben auf, kochte Kaffee, ließ den Hund wie jeden Morgen auf den eingezäunten Hinterhof hinaus, duschte, rasierte sich, weckte die Kinder, damit sie pünktlich in die Schule kamen, und überwachte in der nächsten halben Stunde die komplizierte Morgenroutine, bei der das Frühstück verschlungen, Schultaschen und Schuhe gesucht und Streitigkeiten vom Zaun gebrochen und beigelegt wurden. Harrys Frau gesellte sich zu ihm, noch ein bisschen verschlafen, aber dennoch bereit für einen weiteren Tag als Mutter und Mama-Taxi von drei Kindern, darunter einem frühreifen, nach Unabhängigkeit strebenden Jungen im Teenageralter.
Harry Finn war in den Dreißigern, ein Mann mit jungenhaften Gesichtszügen und klaren blauen Augen, die nichts übersahen. Er hatte jung geheiratet und liebte seine Frau und seine drei Kinder. Sogar dem Hund der Familie, einem schlappohrigen, goldenen Labrador-Pudel-Mischling namens George, brachte er aufrechte Zuneigung entgegen. Finn war eins fünfundachtzig groß und hatte einen langgliedrigen Körper, wie geschaffen für Geschwindigkeit und Ausdauer. Wie üblich trug er verblichene Jeans und ein Freizeithemd. Die Brille mit den runden Gläsern und der kluge, betuliche Gesichtsausdruck verliehen ihm das Aussehen eines Buchhalters, der es nach einem Tag voller ermüdender Zahlen genoss, Hardrock à la Aerosmith zu hören. Finn war athletisch, brachte aber nicht mit den Muskeln, sondern mit seinem Grips das Brot auf den Tisch und die iPods in die Ohren seiner Kinder. Er war sehr gut in seinem Job. Nur wenige Menschen konnten, was Harry Finn konnte, und überlebten auch noch dabei.
Er gab seiner Frau einen Abschiedskuss, drückte die Kinder, sogar den Teenager, und schnappte sich eine Stofftasche, die er am Abend zuvor neben die Haustür gestellt hatte. Dann stieg er in seinen Toyota Prius und fuhr zum National Airport am Potomac River, direkt am Stadtrand von Washington, D. C. Der offizielle Name des Flughafens war in Ronald Reagan Washington National Airport geändert worden, doch für die Einheimischen würde er immer der »National« bleiben. Finn fand einen Parkplatz in der Nähe des Hauptterminals, dessen auffälligstes architektonisches Merkmal eine Reihe von Kuppeln war, die Thomas Jeffersons geliebtem Monticello nachempfunden waren. Mit der Tasche in der Hand ging er über einen Bürgersteig in das elegante Gebäude. In einer Kabine der Herrentoilette öffnete er die Tasche, zog eine dicke blaue Jacke mit reflektierenden Streifen an den Ärmeln und blaue Arbeitshosen an, legte sich orangefarbene Ohrenschützer um den Hals und befestigte einen offiziell aussehenden Ausweis an der Jacke.
Um das Drehkreuz zu überwinden, schloss er sich einer Gruppe Flughafenangestellter an, die durch eine spezielle Sicherheitsschleuse gingen. Es war die reinste Ironie, doch hier kam nicht einmal die oberflächliche Sicherheit zur Anwendung, die gewöhnlichen Passagieren auferlegt wurde. Als Finn auf der anderen Seite der Schleuse war, bestellte er eine Tasse Kaffee und folgte dann beiläufig einem anderen Arbeiter durch eine Sicherheitstür in den Außenbereich. Der Mann hielt ihm tatsächlich die Tür auf.
»In welcher Schicht arbeitest du?«, fragte Finn.
Der Mann sagte es ihm.
»Ich fange gerade an«, sagte Finn. »Wäre ja kein Problem, wenn ich nicht wegen dem verdammten Football-Spiel so lange aufgeblieben wäre.«
»Wem sagst du das?«, pflichtete der Mann ihm bei.
Finn stieg die Metalltreppe hinunter und ging zu einer 737, die für einen Kurzstreckenflug nach Detroit mit Anschlussflug nach Seattle vorbereitet wurde. Unterwegs kam er an mehreren Leuten vorbei, darunter einem Tankwart, zwei Gepäckbeladern und einem Mechaniker, der die Reifen einer Maschine mit Flugziel Michigan überprüfte. Niemand sprach ihn an, weil er aussah und sich auch so verhielt, als hielte er sich völlig rechtmäßig hier auf. Während er um das Flugzeug herumging, trank er seinen Kaffee aus.
Er ging weiter zu einem Airbus A320, der sich in ungefähr einer Stunde auf den Weg nach Florida machen würde. Ein Gepäckwagen stand neben der Maschine. Mit einer geübten Bewegung zog Finn das kleine Päckchen aus seiner Jacke und schob es in eine Seitentasche eines der Koffer auf dem Wagen. Dann kniete er sich neben einen der Reifen am Fahrwerk der riesigen Maschine und tat so, als würde er das Profil überprüfen. Wieder nahmen die anderen Arbeiter keine Notiz von ihm, da Finn den Eindruck erweckte, als fühle er sich in seiner Umgebung vollkommen heimisch. Eine Minute später plauderte er mit einem Mechaniker der Bodenmannschaft, analysierte die Chancen der Washington Redskins und die bedauernswerten Aussichten für die Beschäftigten in der Luftfahrtindustrie.
»Nur den hohen Tieren geht's richtig gut«, sagte Finn. »Die drucken geradezu Geld.«
»Stimmt genau«, sagte der andere. Beide klatschten sich ab, um einander zu zeigen, dass sie einer Meinung waren, was die Gier der Reichen und Skrupellosen betraf, die den gar nicht so freundlichen Himmel beherrschten.
Finn bemerkte, dass die hintere Frachtschleuse der Maschine nach Detroit mittlerweile offen war. Er wartete, bis die Gepäckträger mit ihrem Wägelchen-Kordon losgefahren waren, um andere Koffer zu holen, und kletterte dann auf den Hubwagen, der dort stand. Er schlüpfte ins Frachtabteil und zwängte sich in sein Versteck. Er hatte es ausgesucht, nachdem er Pläne der Frachträume einer 737 studiert hatte - Unterlagen, die problemlos verfügbar waren, wenn man wusste, wo man suchen musste. Finn hatte bei seiner Internetrecherche außerdem erfahren, dass dieses Flugzeug nur zur Hälfte beladen sein würde, sodass sein zusätzliches Gewicht im Frachtraum nicht die geringste Rolle spielte.
Während er in seinem Versteck lag, wurde das Flugzeug mit dicken Koffern und gestressten Passagieren beladen, und dann ging es auch schon auf die Reise nach Detroit. Finn reiste relativ bequem im Frachtraum, obwohl es hier entschieden kälter war als im Passagierraum, sodass er froh war, die dicke Jacke zu tragen. Nach ungefähr einer Stunde Flugzeit landete die Maschine und rollte zum Terminal. Ein paar Minuten später wurde die Frachtluke geöffnet und das Gepäck entladen. Finn wartete geduldig, bis der letzte Koffer von Bord war; dann verließ er sein Versteck und spähte durch die geöffnete Heckluke: Es waren ein paar Leute in der Nähe, aber niemand schaute in seine Richtung. Finn kletterte aus der Maschine und ließ sich auf den Asphalt fallen. Eine Minute später bemerkte er zwei Sicherheitsbeauftragte, die in seine Richtung kamen, dabei Kaffee tranken und sich unterhielten. Er griff in seine Tasche, holte ein Lunchpaket heraus, nahm ein Schinkensandwich und biss hinein, wobei er sich vom Flugzeug entfernte.
Als die zwei Wachmänner an ihm vorbeigingen, nickte er ihnen zu. »Ist das normaler Kaffee oder entkoffeinierter Karamell-Latte mit Schuss und vier Tropfen Was-weiß-ich?« Er grinste mit vollem Mund. Die beiden Uniformierten kicherten über seine Bemerkung, und er ging weiter.
Finn betrat das Terminal, ging auf eine der Toiletten, legte Jacke, Ohrenschützer und Ausweis ab, telefonierte kurz und machte sich dann auf den Weg zum Sicherheitsbüro des Flughafens.
»Ich habe eine Bombe in eine Tasche gepackt, die heute Morgen auf dem National Airport in einen A320 verfrachtet wurde«, sagte er zu dem wachhabenden Beamten. »Und ich bin soeben im Laderaum einer 737 von D. C. hierhergeflogen. Ich hätte den Vogel jederzeit zum Absturz bringen können.«
Der Beamte, der keine Waffe trug, reagierte augenblicklich und sprang über den Schreibtisch, um Finn zu Boden zu reißen. Finn wich geschickt zur Seite. Der Mann schlug der Länge nach hin und rief um Hilfe. Andere Beamte stürmten aus dem Hinterzimmer herbei und näherten sich Finn mit gezogenen Waffen. Doch Finn hatte sein Beglaubigungsschreiben schon gezückt, ehe die Männer ihre Waffen in den Händen hielten.
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Drei weitere Männer kamen herein und hielten die Marken ihrer Bundesbehörde wie königliche Zepter in die Höhe.
»Homeland Security!«, blaffte einer von ihnen die Wachen an und zeigte auf Finn. »Dieser Mann arbeitet für uns. Und irgendjemand steckt bis zum Hals in Schwierigkeiten.«
Kapital 2
»Gut gemacht, Harry, wie immer«, sagte der Chef des Homeland-Security-Teams später und gab Finn einen Klaps auf den Rücken. Berichte waren ausgefüllt, E-Mails abgeschickt und Handyakkus geleert worden, während man die gravierenden Verstöße gegen die Flughafensicherheit, von Harry Finn aufgedeckt, an die zuständigen Stellen weitergeleitet hatte. Normalerweise hätte Finn vom Heimatschutzministerium - oder DHS, wie das Department of Homeland Security allgemein bekannt war - niemals den Auftrag bekommen, einen Verstoß gegen die Flughafensicherheit zu begehen; die Bundesluftfahrtbehörde FAA grenzte ihren Verantwortungsbereich sorgsam nach außen ab. Finn glaubte den Grund dafür zu kennen: Bei der FAA wusste man genau, wie viele Schwächen im System es gab, und so wollte man natürlich nicht, dass ein Außenstehender dahinterkam.
Finn war kein Angestellter des DHS; vielmehr war die Firma, für die er arbeitete, von der Behörde beauftragt worden, die Sicherheitsvorkehrungen staatlicher und privater Einrichtungen in den gesamten USA zu überprüfen, indem man versuchte, die Sicherheitsmaßnahmen zu unterlaufen, wo man nur konnte. Das DHS verteilte viele solcher Aufträge; bei einem jährlichen Budget von 40 Milliarden Dollar musste man das Geld ja irgendwie unter die Leute bringen. Finns Firma bekam nur wenig aus diesem Topf, doch selbst ein winziger Bruchteil von 40 Milliarden war ein schönes regelmäßiges Einkommen.
Normalerweise hätte Finn den Flughafen verlassen, ohne zu enthüllen, was er getan hatte, und den Dingen ihren Lauf gelassen. Doch das DHS hatte offensichtlich die Nase voll vom Zustand der Sicherheitsvorkehrungen auf Flughäfen und wollte ein deutliches Zeichen setzen. Daher hatte man ihn angewiesen, sich in das Büro zu begeben und ein falsches Geständnis abzulegen, damit die DHS-Agenten ihren dramatischen Auftritt hatten. Den Medien würde das Wasser im Mund zusammenlaufen, die Fluggesellschaften würden schäumen vor Wut, und das DHS würde als sehr effizient und heldenhaft dastehen. Finn selbst gab keine Interviews, und sein Name stand niemals in den Zeitungen. Er erledigte nur unauffällig seinen Job.
Er würde jedoch ein abschließendes Briefing für das Sicherheitspersonal des Flughafens, das er soeben aufgescheucht hatte, vornehmen und dabei versuchen, bei der Einschätzung ihrer Leistung ermutigend und diplomatisch vorzugehen und Veränderungen für die Zukunft vorzuschlagen. Diese Briefings waren mitunter das Gefährlichste an seinem Job. Die Leute konnten sehr angefressen sein, wenn sie herausfanden, dass man sie hereingelegt und bloßgestellt hatte. Finn hatte sich mehr als einmal buchstäblich aus einem Besprechungsraum herauskämpfen müssen.
»Wir werden die Leute schon irgendwie in Form bringen«, sagte der Mann vom DHS.
»Ich hab meine Zweifel, dass das in diesem Leben noch klappt«, erwiderte Finn.
»Sie können mit uns nach D. C. zurückfliegen«, sagte der Mann. »Wir haben einen Falcon des Ministeriums bereitstehen.«
»Danke, aber ich möchte hier noch jemanden besuchen. Ich fliege morgen zurück.«
»Okay. Dann bis zum nächsten Mal.«
Als der Mann gegangen war, besorgte Finn sich einen Leihwagen, fuhr in einen Vorort von Detroit und hielt an einem Einkaufszentrum. Aus seinem Rucksack holte er eine Mappe und eine Aktenmappe mit einem Foto darin. Der Mann auf dem Foto war dreiundsechzig Jahre alt, glatzköpfig, hatte mehrere auffällige Tätowierungen und war als Dan Ross bekannt.
Das war nicht sein richtiger Name - aber Finn hieß auch nicht Finn.
Kapitel 3
Arthritis. Darüber hinaus der verdammte Lupus. Das war ein hübsches Duo, perfekt aufeinander abgestimmt, sein Leben zu einer schmerzhaft pochenden Hölle zu machen. Jeder Knochen knarrte, jede Sehne kreischte, und jede Bewegung fühlte sich an, als würde ihm ein Maultier in den Bauch treten. Dennoch ging er weiter, denn wenn man stehen blieb, blieb man für immer stehen. Er schluckte starke Tabletten, die er eigentlich gar nicht hätte haben dürfen, stülpte sich eine Baseballkappe auf den haarlosen, bleichen Kopf, zog die Krempe tief über die Augen und setzte sich eine Sonnenbrille auf. Er mochte es nicht, wenn die Leute sahen, wohin er schaute. Und er wollte nicht, dass die Leute einen guten Blick auf ihn werfen konnten.
Er stieg in seinen Wagen und fuhr zum Laden. Unterwegs setzte die Wirkung der Medikamente ein, und er fühlte sich besser, was zumindest ein paar Stunden so bleiben würde.
»Danke, Mr. Ross.« Der Verkäufer las den Namen von der Kreditkarte, ehe er sie ihm zusammen mit den Einkäufen zurückgab. »Schönen Tag noch.«
»Ich habe keine schönen Tage mehr«, erwiderte Dan Ross. »Ich habe nur noch letzte Tage.«
Der Verkäufer warf einen Blick auf den Hut, der den haarlosen Kopf bedeckte.
»Kein Krebs«, las Ross die Gedanken des Mannes.
»Auch wenn's vielleicht sogar besser wäre. Würde schneller gehen, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Der Verkäufer, Anfang zwanzig und natürlich noch unsterblich, sah nicht so aus, als wüsste er, was Ross meinte. Er nickte unbeholfen und wandte sich dem nächsten Kunden zu.
Ross verließ den Laden und überlegte, was er nun tun sollte. Geldsorgen hatte er nicht. Vater Staat kümmerte sich in seinen alten, elenden Tagen um ihn. Die Pension war erstklassig, die Krankenversicherung ebenso. Wenigstens das bekamen die Bundesbehörden auf die Reihe, wenn schon sonst nichts.
Ross' Sorgen waren akuter Natur: Er hatte zu viel freie Zeit. Das war sein Hauptproblem. Was als Nächstes unternehmen? Nach Hause fahren und an die Decke starren? Sich ins Restaurant setzen und sich den Bauch vollschlagen? Den Sportsender ESPN gucken und mit den hübschen Kellnerinnen flirten, die ihm dann doch nicht den Tag verschönten? Na ja, träumen durfte er noch - Träume von einer Vergangenheit, als die Ladys ihm mehr als ihre Zeit geschenkt hatten.
Ein tolles Leben führte Ross nicht mehr, das musste er sich eingestehen, während sein Blick unauffällig in sämtliche Richtungen schweifte: Selbst heute konnte er noch immer nicht dem Verlangen widerstehen, seine Umgebung zu beobachten, um festzustellen, ob er beschattet wurde. So wurde man nun mal, wenn über Jahrzehnte hinweg jemand versuchte, einen umzubringen. Gott, wie sehr sehnte er das Ende herbei, einen Schlussstrich unter diese erbärmlichen Tage des ausweglosen Dilemmas, sich zwischen Restaurant und Zuhause entscheiden zu müssen, das seine »Goldenen Jahre« ausfüllte. Mehr als dreißig Jahre lang hatte er sich jeden Monat in einem anderen Bundesstaat aufgehalten. Mit dem Flugzeug, frischem Mut und einer Waffe seiner Wahl die Welt sehen - das war seine Maxime gewesen. Ross erlaubte sich ein wehmütiges Lächeln. Erinnerungen waren alles, was ihm geblieben war. Und der beschissene Lupus. Vermutlich gibt es doch einen Gott. Eine ziemliche Scheiße, das jetzt auf die harte Tour zu erfahren.
Zu Ross' Pech war sein Beobachtungsvermögen zwar noch gut, aber nicht mehr unfehlbar. Ein Stück entfernt saß Harry Finn in einem Leihwagen und behielt den unverwechselbaren Mr. Ross im Auge. Wohin, Danny? Nach Hause oder ins Restaurant? Ins Restaurant oder nach Hause? Wie tief du gesunken bist.
Finn beobachtete diesen inneren Widerstreit bei Dan Ross schon seit längerer Zeit, und in drei Vierteln aller Fälle hatte Ross sich für das Restaurant entschieden. So auch heute wieder. Er machte kehrt, ging die Straße hinunter und betrat das Edsel Deli, das glänzend lief- seit 1954 schon, wie das Reklameschild über dem Eingang besagte, womit es das Automodell, nach dem es benannt war, eine berüchtigte Schrottmühle aus dem Fünfzigern, um Jahrzehnte überlebt hatte.
Mindestens eine Stunde lang würde Ross im Edsel Deli bleiben, seine Mahlzeit zu sich nehmen und die niedliche Kellnerin mit Blicken verschlingen. Für die anschließende Autofahrt nach Hause brauchte er zwanzig Minuten. Dort setzte er sich in den Garten hinter dem Haus und las Zeitung; danach ging er hinein, machte ein Nickerchen, bereitete sich ein bescheidenes Abendessen zu, sah fern und spielte dann Solitär an dem Tischchen am Vorderfenster, wo ihm eine Lampe die Karten beleuchtete. Damit klang sein Abend aus. Um 21 Uhr erlosch in dem Häuschen das Licht. Dan Ross legte sich schlafen, um am nächsten Morgen aufzuwachen, und dann fing alles wieder von vorne an. Finn konnte sämtliche Alltagshandlungen, mit denen der Alte sein dürftiges Leben gestaltete, im Geiste herunterbeten.
Nachdem Finn den Mann bis in diese Ortschaft verfolgt hatte, waren mehrere Fahrten zu dem Haus erforderlich gewesen, um Ross' Routineabläufe auszukundschaften. Diese Observation hatte ihm geholfen, den perfekten Plan zur Erledigung seiner Aufgabe auszuhecken.
Ungefähr fünf Minuten bevor Ross voraussichtlich das Edsel Deli verließ, stieg Finn aus dem Wagen, überquerte die Straße, schaute durchs Fenster ins Restaurant und sah Ross hinten an seinem gewohnten Tisch sitzen, den Blick auf die soeben erhaltene Rechnung geheftet. Finn schlenderte zu der Stelle, wo Ross' Auto parkte. Zwei Minuten später saß er wieder im Mietwagen. Nochmals drei Minuten später kam Ross aus dem Restaurant, schlurfte langsam die Straße entlang, stieg in seinen Wagen und fuhr los.
Finn fuhr in die entgegengesetzte Richtung.
Am Abend wickelte Ross seine üblichen Belanglosigkeiten ab und krönte sie mit einem drei Fingerbreit hoch gefüllten Glas Johnnie Walker Black, das er entgegen aller Warnungen der Beipackzettel mit einer starken Mischung von Schmerzmitteln kombinierte. Nur knapp schaffte er es bis zum Bett, ehe die Lähmung einsetzte. Zuerst erklärte er sie sich durch die Medikamente und empfand die Taubheit sogar als willkommen. Doch als er auf dem Bett lag, befiel ihn mit gelinder Panik der Verdacht, der Lupus könnte mittlerweile zu einer schlimmeren, bösartigeren Form ausgeartet sein. Doch als er plötzlich Atemnot bekam, begriff er, dass ihn etwas anderes ereilt hatte. Eine Herzattacke? Doch wo blieb der Druck auf der Brust, der stechende Schmerz im linken Arm? Ein Schlaganfall? Er konnte noch denken und reden. Er sprach ein paar Sätze, und sie klangen keineswegs genuschelt. Sein Gesicht fühlte sich nicht verzerrt an. Abgesehen von den ständigen Beschwerden hatte er vorher keine Schmerzen gehabt. Das war das Problem; er spürte seine Gliedmaßen nicht mehr. Ross schaute am Arm hinunter auf die linke Hand. Er wollte die Finger aneinanderreiben, doch anscheinend erreichte der Befehl des Gehirns sie nicht.
Doch er hatte im Verlauf des Tages etwas an den Fingern gehabt. Glitschig wie Vaseline war es gewesen. Er hatte gewischt und gewischt, ohne dass die Haut trocken geworden wäre. Zu Hause hatte er sich die Hände gewaschen, und das endlich schien genützt zu haben. Die Finger waren nicht mehr schlüpfrig gewesen. Ross wusste nicht, ob er den Erfolg Wasser und Seife verdankte oder ob der unbekannte Glibber verdunstet war.
Dann erkannte er die Wahrheit, als träfe ihn ein 50er Kaliber. Oder der Glibber ist von meinem Körper aufgenommen worden.
Wo hatte er sich die Finger befeuchtet? Angestrengt dachte er nach. Nicht am Morgen. Nicht im Geschäft, und auch nicht im Restaurant. Danach? Vielleicht, als er sich in den Wagen gesetzt hatte? Am Türgriff! Wäre Ross noch dazu fähig gewesen, hätte das Aha-Erlebnis ihn in die Senkrechte gescheucht. Aber er schaffte es nicht mehr. Er kriegte kaum noch Luft. Aus seinem Mund drang nur noch ein abgehackter Japser. Der Türgriff seines Autos war mit irgendetwas eingeschmiert worden, das ihn nun das Leben kostete. Ross blickte zum Telefon auf dem Nachttisch. Nur ein halber Meter trennte ihn von dem Apparat, doch er nutzte ihm jetzt so wenig, als stünde er in China.
Im Dunkeln erschien eine Gestalt an seinem Bett. Der Mann trug keine Maske. Trotz des Zwielichts konnte Ross seine Gesichtszüge erkennen. Er sah jung und ganz normal aus. Ross hatte schon Tausende solcher Gesichter gesehen und ihnen kaum Beachtung geschenkt. In seinem Beruf war es nie um Normales gegangen, immer nur um Außergewöhnliches. Nicht zu fassen, dass es jemandem wie diesem Mann gelingen sollte, ihn zu töten.
Während Ross immer gequälter atmete, zog der Fremde etwas aus der Tasche und hielt es ihm vors Gesicht. Es war ein Foto, doch Ross konnte nicht erkennen, wen es zeigte. Als Harry Finn das merkte, schaltete er eine kleine Stablampe ein und richtete den Lichtstrahl auf das Foto. Ross' Blick erforschte das Bild. Trotzdem erkannte er die Person nicht, bis Finn ihm den Namen nannte.
»Jetzt weißt du Bescheid«, sagte Finn leise. »Jetzt weißt du's.«
Er steckte das Foto weg, verharrte stumm an Ross' Bett und betrachtete ihn, während die Lähmung sich im Körper des Sterbenden ausbreitete. Finns Blick ruhte auf Ross, bis dieser einen letzten, verkrampften Atemzug tat, ehe die Augen glasig wurden.
Wenige Minuten später durchquerte Finn den Wald hinter Ross' Haus. Früh am nächsten Morgen saß er in einem Flugzeug, diesmal in der Passagierkabine. Vom Flugplatz aus fuhr er heim, küsste seine Frau, spielte mit dem Hund und holte die Kinder von der Schule ab. Am Abend gingen sie gemeinsam zum Essen aus, um zu feiern, dass die Jüngste, die achtjährige Susie, bei einer Theateraufführung an der Schule einen sprechenden Baum spielen durfte.
Gegen Mitternacht schlich Harry Finn die Treppe hinunter und ging in die Küche, wo George, der treue Labrador-Pudel-Mischling, aus seinem weich gepolsterten Hundekorb sprang und ihn begrüßte. Während er am Küchentisch saß und den Hund streichelte, strich er im Geiste Dan Ross von seiner Liste.
Nun konzentrierte er sich auf den nächsten Namen: Carter Gray, ehemaliger Chef des amerikanischen Geheimdienstimperiums.
Übersetzung: Uwe Anton
Copyright © 2009 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
... weniger
Autoren-Porträt von David Baldacci
David Baldacci, geboren 1960 in Virginia, studierte Politikwissenschaft und Jura und arbeitete nach dem Studium neun Jahre als Strafverteidiger und Wirtschaftsjurist in Washington, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Sein erstes verkauftes Manuskript war 'Absolute Power'; es verhalf ihm zu Weltruhm. David Baldaccis Romane wurden mittlerweile in mehr als 30 Sprachen übersetzt und in mehr als 80 Ländern der Welt verkauft. Neben seiner Arbeit als Schriftsteller engagiert er sich für eine Reihe karitativer und gesellschaftlicher Institutionen, darunter die National Multiple Sclerosis Society, die Barbara Bush Literacy Foundation oder die Virginia Foundation for the Humanities.Uwe Anton wurde 1956 in Remscheid geboren und arbeitet seit 1980 als freiberuflicher Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer (unter anderem für "Star Trek"). Seit 1995 gehört er dem PERRY RHODAN-Team an.
Bibliographische Angaben
- Autor: David Baldacci
- 2011, 1. Aufl., 477 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Anton, Uwe
- Übersetzer: Uwe Anton
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404160800
- ISBN-13: 9783404160808
- Erscheinungsdatum: 16.09.2011
Rezension zu „Die Spieler / Camel-Club Bd.3 “
"Dieser Roman fesselt den Leser erbarmungslos ans Sofa" Berliner Zeitung "Ein berauschender Thriller: rasant und tollkühn!" Booklist
Kommentar zu "Die Spieler / Camel-Club Bd.3"
0 Gebrauchte Artikel zu „Die Spieler / Camel-Club Bd.3“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Spieler / Camel-Club Bd.3".
Kommentar verfassen