Christine Kaufmann und ich
Christine Kaufmann und ich von ChristineKaufmann
LESEPROBE
KIND UND KINDERSTAR
Es war auf einer Party zum Ende derDreharbeiten des Films Der Geschichtenerzähler, als ich feststellte,dass es genügt, gedankenverloren die Naht meines schwarzen Strumpfes gerade zuschieben, um ein Tischgespräch gewichtiger Art (Arbeitsbedingungen,Filmfinanzierungen u.Ä.) zum Erlahmen zu bringen.
»Das ist nicht fair«, sagt KollegePeter Sattmann, »Frauen brauchen nur solche Kleinigkeiten zu tun, und schonlenken sie die gesamte Aufmerksamkeit auf sich.«
Mag sein, dass er Recht hat;wahrscheinlich aber entsteht die Aufmerksamkeit nur dann, wenn das»gedankenverloren« vorangeht.
Die »sezierte« Weiblichkeiteinzusetzen, lernen Frauen normalerweise spätestens mit sechzehn auf demSchulhof. Das Schulhofwissen geht mir ab, dafür weiß ich aber eine Menge überBioelektrizität, und so bin ich denn oft privat »gedankenverloren«.
Nach 37 Jahren Arbeit alsSchauspielerin war Der Geschichtenerzähler der erste Film, in dem ichjede Sekunde spannend fand.
Die Frauenfigur: zerbrechlich, dochstark. Ein Mensch, keine Schablone. In ihr konnte ich meine Lebenserfahrungeneinbringen.
Nicht zuletzt verdanke ich dies derTatsache, dass der Regisseur Rainer Boldt ein Mannist, der die weibliche Emanzipation auch für sich verwenden konnte. Er magFrauen und hat keine Angst vor ihnen.
Obwohl ich schon früher öfter inBerlin war, fühlte ich mich zum ersten Mal integriert in diese Stadt. Wie gingdas Lied nochmal? »Du bist verrückt, mein Kind, dumusst nach Berlin, wo die Verrückten sind, da gehörst du hin «
Die Zusammengehörigkeit mit dem Teamließ mich Geborgenheit empfinden, und außerdem hatte ich mich für einen Tag heftigverliebt.
Von dem Fest kam ich um elf Uhrvormittags nach Hause; das heißt in das Hotel Steigenberger. Dort erwartetemich ein Bündel von Nachrichten. Eine davon war der fast vergessene Fototermin mitMathieu Carriere für »Harper s Bazaar«.
Geduscht und fast ungeschminkttrippelte ich im »kleinen Schwarzen« - meinem Zylinder, der schon fast aufmeinem Kopf angewachsen ist - in Mathieus Suite, wo sich das Fernsehteam bereitsversammelt hatte.
Wilfried, den ich in Hamburg fastmit dem Rad überfahren hätte, war auch da: ein schöner deutscher Mann mitLippen wie Rosenblätter.
Mathieu war wie immer geistreich,gut aussehend, amüsiert und ernsthaft bei der Arbeit. Seit ich ihn vor zehnJahren kennen gelernt hatte, waren wir in ein anhaltendes Gespräch über »das Lebenan sich« verwickelt. Das Gespräch hat oft ein Jahr Pause und wird dann inParis, New York oder München fortgeführt; manchmal bügelt er, manchmal ich,manchmal spricht er mit meinen Töchtern, manchmal ich mit seiner Frau.
Affinitäten sind nicht an Ort oderZeit gebunden. Er ist für mich ein Bruder. Die beste Position, die Männer inmeinem Leben haben können.
Wir haben uns während desBerlinaufenthaltes immer kleine Zettel mit persönlichen Bemerkungen in denTürschlitz gesteckt. Sein letzter damals lautete: »Du bist immer noch dieattraktivste Frau, mit der ich nicht geschlafen habe.«
Ich blieb, bis die Fotos entwickeltwaren (Polaroid macht s möglich), schon etwas auf Kohlen, weil dieKostümbildnerin für den nächsten Film in meinem Zimmer auf mich wartete.
Im Wegeilen bemerkte ich noch, dassder englische Fotograf herzschmelzend aussah. Mmmmh
Am Abend hatte ich noch eineVorstellung am Theater in der Josefstadt in Wien.
Der Abflug verspätete sich. ImAbteil erster Klasse saßen die Passagiere in wohl situierter Distanz. MeinTicket wurde von der Produktion bezahlt.
Auf der Raucherseite zu meinerRechten saß ein Mann mit einem äußerst interessanten Gesicht. Nicht nur dasGesicht, die ganze Person wie aus Stein gemeißelt. Ein älterer Mann, in dem sichzeigt, dass das Alter die Menschen immer entweder hässlich oder interessantwerden lässt. Er war Letzteres und machte mich neugierig.
Bar jeder erotischen Intentionfragte ich ihn, wer er sei. »Ich kenne Ihr Gesicht.«
»Ich Ihres auch.«
Wir tauschten die Namen zu denGesichtern aus. Entdeckten gemeinsame Bekannte. Wir waren beide gleichexaltiert, er trinkend, ich nüchtern.
Dennoch meinte er: »Sie sindziemlich verrückt.«
Ich entschied mich, ihm nicht meinenkleinen Vortrag darüber zu halten, wie ich mich durch meine kleinenVerrücktheiten vor den großen geschützt habe.
Immerhin bin ich weder Rauschgiftnoch sonst etwas verfallen. Vor allem nicht der Schauspielerkrankheit: Nichtsmehr erleben können vor lauter Sorge, wie das, was man tut, nach außen wirkt. Wiein dem Schauspielerwitz: »Ich hab dich gestern in der Straßenbahn gesehen!« - »Wie war ich?«
Ich frage mich höchstens, wie es fürmich war.
Hinter dem Herrn sah ich durch dasrunde Fenster einen orientalisch anmutenden Himmel. Ich setzte mich hinterihn, um den berauschenden Anblick besser genießen zu können. Über dem sattenRosa im blauen Nachthimmel ein runder, dunkler Mond, in dem nur eine schmalesilberne Sichel glänzt.
Der Herr setzte sich neben mich undfand den Mond auch sehr schön. Wir meinten nicht den gleichen.
Ein Kuss auf meinen Hals traf michjust an der Stelle, die Gänsehautschauer auslöst. Wie viele Männer hattendiesen Punkt schon vergeblich gesucht!
Ich fand es toll, wollte jedoch nicht,dass es weiterging. Wieder siegte das Erleben über den Anstand, und meinVersuch, mich mit einem Kichern zu entziehen, gelang nicht so ganz.
Mit roten Wangen saß ich da, und er,durch die Tatsache ermutigt, einer Vierundvierzigjährigen mit einem einzigenKuss Rosen auf die Wangen gezaubert zu haben, ging zu weiteren Attacken über.
Zwischendurch erhaschte ich dieetwas entsetzten, aber diskreten Blicke der Stewardessen in unsere Richtung.
Die anderen Fluggäste - zwei HerrenMarke »Schnecki und Wuffi« -ignorierten das Geschehen mit wohl erzogenem »Weghören«.
Wir landeten und fuhren getrennteWege.
Ich dachte darüber nach, warum mirsolche Sachen verdächtig oft passieren. Ich müsste eigentlich wissen, wie sichmein Verhalten auf andere auswirkt. Mich ängstigte aber schon immer das tote Leben:»Alles schön ruhig, damit der Unterschied nicht so groß ist, wenn man stirbt «
( )
© LübbeVerlag
- Autor: Christine Kaufmann
- 2007, 348 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404616049
- ISBN-13: 9783404616046
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