Dalai Lama - Mönch, Mystiker, Mensch
1997 erhielt der indische Journalist Mayank Chhaya die Erlaubnis von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama selbst, dieses Buch in Zusammenarbeit mit ihm zu verfassen. Der Autor führte Dutzende von Interviews, seine Recherchen führten ihn in die...
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1997 erhielt der indische Journalist Mayank Chhaya die Erlaubnis von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama selbst, dieses Buch in Zusammenarbeit mit ihm zu verfassen. Der Autor führte Dutzende von Interviews, seine Recherchen führten ihn in die Heimat des Dalai Lama und in sein Exil, ließen ihn eintauchen in die Lehren und das Wesen des Buddhismus vermittelt von dessen größtem und populärsten Lehrer überhaupt.
Zum ersten Mal öffnete sich der Dalai Lama dabei in den zahlreichen Gesprächen mit dem Autor auch sehr persönlichen Fragen über sich selbst, seine Hoffnungen für die Zukunft Tibets und die Missverständnisse, die ihn im Westen zu einer Art "Pop-Star" des Buddhismus gemacht haben. So entstand das einfühlsame Porträt eines Menschen, der seine besondere Rolle mit Humor und Selbstironie erträgt.
Dalai Lama von Mayank Chhaya
LESEPROBE
Einführung
Der vierzehnte Dalai Lama und Tibet gehörten zum rätselhaftesten Teil meiner Kindheitslegenden. Alles an diesem Mann und seinem Land war märchenhaft: Nebelverhangene Täler vereister Berge in Höhen von über 3500 Metern bildeten das Hintergrundpanorama für geheimnisvolle Geschichten, die sich um die Wiedergeburt rankten. Mönche mit geschorenen Köpfen in dunkelroten Roben hoben sich von der weißen, schneebedeckten Landschaft des Himalaya ab und erschienen mir so überwältigend pittoresk, dass es mich nicht weiter kümmerte, ob eine solche Welt tatsächlich existierte. Es war nicht weiter von Bedeutung, ob diese Geschichten der Wahrheit entsprachen oder nicht, solange sie nur spannend waren. Die Chancen standen zwar recht gut, dass es Tibet und den Dalai Lama wirklich gab, doch während meiner Kindheit in den frühen sechziger Jahren schien es mir, als gehörte beides eher zu Indiens märchenhafter Sagenwelt als in den Bereich der Wirklichkeit. Welchen Unterschied machte es in einem Land, in dem Realität und Märchenhaftes fortwährend miteinander verschmolzen und sich in das jeweils andere verwandelten, ob
Diese Ansicht änderte sich jedoch jedes Mal grundlegend, wenn der Winter herannahte und die Existenz des Dalai Lama nur zu real wurde: Hunderte seiner Porträts und Bilder zierten dann die Gehwege meiner Heimatstadt, zusammen mit Stapeln von Pullovern in leuchtenden Farben, die von den angereisten tibetischen Flüchtlingen verkauft wurden. Zumindest stimmte es, dass es Tibeter gab. Es schien also durchaus möglich zu sein, dass doch jemand existierte, den man den Dalai Lama nannte. Ich erinnere mich, einmal eine Tibeterin gefragt zu haben, wer dieses »erwachsene Gesicht auf dem Bild, das aussieht wie ein Baby«, sei. - »Das ist Seine Heiligkeit. Er ist ein lebender Buddha«, hatte sie geantwortet. Ich verstand weder »Seine Heiligkeit« noch »lebender Buddha«. Ich kannte nur einen Buddha, und der war bereits seit etwa 2500 Jahren tot. Also stellte sich mir die Frage: Wenn doch Gautama Buddha schon vor so langer Zeit gestorben ist, wie kommt es dann, dass er immer noch lebt? Es dauerte noch weitere anderthalb Jahrzehnte, bis ich dieses Rätsel löste.
Da ich in einem Land aufwuchs, in dem Einsiedler und Asketen sozusagen zum Landschaftsbild gehören, war es nicht sehr wahrscheinlich, dass ein weiterer Mönch meine Aufmerksamkeit erregte - erst recht nicht, wenn er mehrere tausend Kilometer entfernt im Nordwesten des Landes in den Dhauladhar-Bergen, in den Ausläufern des Himalaya, lebte. In den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts war der Dalai Lama häufig Thema in lokalen indischen Zeitungen, insbesondere nach dem desaströsen Krieg mit China im Jahr 1962. In meiner Nachbarschaft lebten Leute, die tatsächlich ernsthaft glaubten, Indien könne die demütigende Niederlage, die China dem Land zugefügt hatte, mithilfe der tantrischen Kräfte des Dalai Lama rächen. Diese Kräfte hielten sie für eine Art schwarzer Magie oder okkulter Praxis. Ihrer Ansicht nach dürstete es den Dalai Lama nun danach, es den Invasoren heimzuzahlen, obwohl er kaum drei Jahre zuvor noch durch die chinesische Armee gezwungen gewesen war, inmitten höchster Gefahr für Leib und Leben aus Tibet zu fliehen. Und konnte es für einen inkarnierten buddhistischen Mönch eine mächtigere Waffe geben als schwarze Magie?
1967, ganze fünf Jahre nach dem Krieg zwischen Indien und China, scharte einer unserer Nachbarn arglose und leicht zu be- eindruckende Kinder wie mich um sich und beschwor ein Bild des Dalai Lama herauf, wie er, versunken in tiefer Trance, zerstörerische Energie gegen die Volksbefreiungsarmee entfesselte. Da der Dalai Lama aus dem Land des Kailash stammte und dieser Berg als der Wohnsitz des Hindu-Gottes Shiva galt, so berichtete uns der Erzähler, habe der Dalai Lama drei Augen; eines davon in der Mitte der Stirn. Das dritte Auge sei der Sitz all seiner kosmischen Zerstörungskraft. Und würde er dieses Auge öffnen, hätte China nicht die geringste Überlebenschance! Indiens damaliger Premierminister Jawaharlal Nehru, so behauptete der Nachbar im Brustton der Überzeugung, habe den Dalai Lama überredet, den vernichtenden Zorn heraufzubeschwören, der die chinesische Armee augenblicklich auslöschen würde. Solche Hirngespinste, die der Phantast aus der Nachbarschaft von sich gab, verstärkten jedoch nur meinen Eindruck, dass der Dalai Lama eher eine Erfindung als real war.
Zu meinem ersten Treffen mit dem echten Dalai Lama kam es in den frühen achtziger Jahren, als er in Bombay an einem Kongress zum Thema einer Synthese zwischen Wissenschaft und Religion teilnahm. Ich habe zwar nicht bewusst nach seinem dritten Auge Ausschau gehalten, aber es war doch für mich beruhigend zu sehen, dass er keines hatte. Ich erinnerte mich vage daran, dass mein Geschichtenerzähler aus der Nachbarschaft seine Behauptung über das dritte Auge des Dalai Lama durch die Angabe näher spezifiziert hatte, es sei nur zu außergewöhnlichen Zeiten sichtbar. Der Kongress war eindeutig keine solche Zeit. Als Reporter mit dem Auftrag, über den Kongress zu berichten, erwartete man von mir einen originellen Artikel über die Veranstaltung, der nicht unbedingt einen unmittelbaren Nachrichtenwert haben musste. Ich erinnere mich daran, dass ich den Dalai Lama fragte: »Steuern wir nicht rapide auf ein Stadium der Menschheitsgeschichte zu, in der die Grenze zwischen Wissenschaft und Religion bald verschwindet?« Der Dalai Lama lachte von ganzem Herzen und erwiderte: »Religion ist Wissenschaft mit Glauben. Wissenschaft ist Religion auf der Suche nach Glauben.« Schon während er sprach, wurde mir klar, dass dieser Artikel nicht die Meldung des Tages - und auch nicht irgendeines anderen Tages - werden würde. So musste diese Aussage zwar fast zwei Jahrzehnte in der Schublade ruhen, hat aber nun eine Heimat in dem substanzielleren Kontext eines Buches gefunden - was ebenso gut ist.
Der Dalai Lama hat für mich in den letzten fünfzehn Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Meiner ersten richtigen Begegnung mit ihm im Jahr 1996 war sporadische Lektüre über ihn, Tibet, China und den Buddhismus vorausgegangen. Er stand nie im Fokus meiner beruflichen Aufmerksamkeit, bis zu jenem Jahr, als ich begann, an einer Titelgeschichte für India Abroad, ein indisch- amerikanisches Wochenmagazin mit Sitz in New York, zu arbeiten. Der Ansatz des Artikels war sehr allgemein und umfasste die Tibet-Frage aus vielen verschiedenen Blickwinkeln. In diesem Zusammenhang ersuchte ich zum ersten Mal um ein Interview mit dem Dalai Lama. Es fand am Rande des Shoton-Festivals, einer tibetischen Opernvorführung (Lhamo) am Tibetischen Institut für Darstellende Künste (TIPA1) im nordindischen McLeod Ganj, statt. Dieser Ort ist seit fast fünf Jahrzehnten der Wohnsitz des Dalai Lama im Exil. Lhamo bezeichnet eine 580 Jahre alte Tradition. Sie begann als einfaches Projekt, eine Brücke über den Fluss Kyichu in der Nähe von Lhasa zu bauen. Das Projekt wurde von Thangtong Gyalpo, einem Gelehrten des vierzehnten Jahrhunderts, initiiert. Der Legende nach benötigte Thangtong Gyalpo dringend Geld für den Brückenbau und wandte sich an sieben Schwestern, die zu seinen Arbeitskräften gehörten und sich in Tanz und Gesang besonders hervortaten. Der Gelehrte kreierte um die Talente der sieben Schwestern herum einen Opernstil, bereiste mit ihnen Tibet und inszenierte Aufführungen, um das Geld für die Brücke zu beschaffen. Ihr hohes, martialisches Singen und ihr lebhaftes Tanzen brachten ihnen den Beinamen »die himmlisch tanzenden Göttinnen« oder eben Lhamo2 ein. Die Brücke wurde errichtet, und so entstand die tibetische Lhamo-Oper.
Nach dem Interview luden die Assistenten des Dalai Lama meine Familie - meine Frau Kesumi und meinen Sohn Jashn - zu einer Segenszeremonie ein. Kesumi ist eine indonesische Muslimin, die auf der buddhistischen Insel Sri Lanka geboren wurde. Da meine Frau buddhistische Mönche gewohnt war, die Laien gegenüber eine gewisse Distanz wahren, näherte sie sich dem Dalai Lama sehr vorsichtig, wenn nicht gar furchtsam. Ich gehe bei dieser Begebenheit etwas ins Detail, denn ich glaube, sie beeinflusste die Entscheidung des Dalai Lama, mich zu autorisieren, dieses Buch zu schreiben. Der Dalai Lama sprang von seinem Stuhl auf, näherte sich der Tür, an der meine Frau mit unserem Sohn stand, schloss sie wie ein Onkel in seine Arme, massierte den Kopf meines Sohnes und geleitete die beiden hinein. Durch diese Geste etwas aus der Fassung gebracht, teilte ihm meine Frau spontan mit, sie sei Muslimin, ich Agnostiker, und unser Sohn werde Buddhist. Den Bruchteil einer Sekunde lang konnte ich sehen, dass der Dalai Lama von dem, was sie gesagt hatte, berührt war.
Während eines meiner folgenden Besuche in McLeod Ganj erklärte mir ein sehr hochrangiger Mönch, der mich zu dem Schwur verpflichtet hat, seinen Namen niemals preiszugeben: »Machen Sie nicht den Fehler anzunehmen, Sie seien aus weltlichen Gründen ausgewählt worden!« Er beließ es bei diesem kryptischen Hinweis, der mir nun ewig im Kopf herumgehen wird. Wie dem auch sei: Ich wurde jedenfalls ausgewählt, dieses Buch zu schreiben. Es spielt keine Rolle, warum.
© Allegria Verlag
- Autor: Mayank Chhaya
- 2008, 320 Seiten, Maße: 14,4 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: ALLEGRIA
- ISBN-10: 3793421279
- ISBN-13: 9783793421276
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