In den Fängen der Nacht / Dark Hunter Bd.10
Roman. Deutsche Erstausgabe
Susan Michaels Karriere als Reporterin wurde durch eine Intrige ruiniert. Jetzt arbeitet sie für eine Zeitung und schreibt über Banales. Dann lässt sie sich dazu überreden, eine Katze zu adoptieren. Doch die Katze ist in Wahrheit ein Gestaltwandler. Ein gutaussehender, tödlich gefährlicher.
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Produktinformationen zu „In den Fängen der Nacht / Dark Hunter Bd.10 “
Susan Michaels Karriere als Reporterin wurde durch eine Intrige ruiniert. Jetzt arbeitet sie für eine Zeitung und schreibt über Banales. Dann lässt sie sich dazu überreden, eine Katze zu adoptieren. Doch die Katze ist in Wahrheit ein Gestaltwandler. Ein gutaussehender, tödlich gefährlicher.
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In den Fängen der Nacht von Sherrilyn KenyonProlog
Wales, 1673
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Die Luft knisterte vor übernatürlicher Elektrizität. Diese Empfindung konnten nur besondere nicht-menschliche Wesen oder Menschen mit äußerst ausgeprägten Sinnen wahrnehmen.
Ravyn Kontis war ganz klar kein Mensch. Er war in eine Welt nächtlicher Jäger hineingeboren worden, die den verborgenen Zauber der Erde beherrschten und dunkle Künste befehligten - und er war als einer ihrer tapfersten Krieger gefallen ...
Durch die Hand seines eigenen Bruders.
Nun wandelte Ravyn in veränderter Gestalt über die Erde. Er war etwas Seelenloses, etwas Wildes und sogar noch Tödlicheres als das, was er zuvor gewesen war. Von seinem Herzen war nichts mehr übrig geblieben. Kein Erbarmen, kein Mitgefühl, nur ein Schmerz, der so tief, so allumfassend war, dass er das bisschen Menschlichkeit zerfraß, das er noch gehabt hatte - bis nichts mehr übrig war als ein wildes Tier, so animalisch, dass er wusste, es würde niemals mehr gezähmt werden können.
Er legte den Kopf in den Nacken und brüllte den Schrei des zornigen Tieres heraus, das in ihm steckte und die Zähne fletschte. Der Geruch des Todes umgab ihn, und das Blut seiner Feinde bedeckte seinen ganzen Körper. Es tropfte in glitschigen Rinnsalen aus seinem Haar und von seinen Fingerspitzen und sprenkelte die vom Kampf zertrampelte Erde zu seinen Füßen.
Doch es reichte noch immer nicht, um die Raserei zu befriedigen, die in ihm wütete.
Rache musste kalt genossen werden ...
Er hatte törichterweise erwartet, dass sie etwas von dem lähmenden Schmerz lindern würde, der ihn heimsuchte. Das war nicht der Fall gewesen. Die Rache hatte ihn sogar noch kälter zurückgelassen als der Verrat, der seinen Tod zur Folge gehabt hatte.
Ravyn zuckte zusammen, als er in Gedanken das schöne Gesicht von Isabeau vor sich sah. Obwohl sie eine Menschenfrau gewesen war, waren sie einander als Gefährten bestimmt gewesen. Im Vertrauen darauf, dass sie ihn liebte, hatte er ihr das Geheimnis seiner Welt anvertraut.
Und wie hatte sie es ihm gedankt? Sie hatte den Menschen von seinem kleinen Clan von Brüdern erzählt, und die hatten die Frauen und Kinder überfallen, während er und die Männer auf Patrouille gewesen waren.
Sie hatten niemanden am Leben gelassen.
Keinen Einzigen.
Die Männer seines Clans waren zurückgekehrt und hatten die glimmenden Reste ihres Dorfes vorgefunden - und überall die Leichen ihrer Kinder und Frauen.
Sie waren auf ihn losgegangen. Er machte ihnen keinen Vorwurf daraus. Das einzige Mal in seinem Leben hatte er sich nicht gewehrt. Zumindest nicht bis zu seinem letzten Atemzug.
Sein Zorn hatte in seiner Brust Wurzeln geschlagen und war zu einem Monstrum herangewachsen, das die dunkelsten Teile seines nicht-menschlichen Seins speiste. Seine menschliche Seele hatte nach Rache geschrien gegen diejenigen, die sein Volk ausgelöscht hatten. Der Schmerzensschrei dieses Menschen und des wilden Tieres hatte im heiligen Tempel von Artemis widergehallt - so laut und fordernd, dass er die Göttin selbst herbeigerufen hatte. Und dort, im schwachen Licht des abnehmenden Mondes, hatte er einen Handel mit ihr abgeschlossen und ihr seine Seele verkauft, damit er die Gelegenheit bekam, sich bei Isabeau und ihren Leuten zu revanchieren.
Nun waren sie alle tot, gestorben durch seine Hand ... alle. Genau wie er. Genau wie seine Familie.
Es war vorüber ...
Ravyn lachte bitter bei diesem Gedanken und ballte die blutigen Fäuste. Nein, es war nicht vorüber. Es hatte gerade erst angefangen.
1
Seattle, 2006
JUNGE VON KILLERMOTTEN GEFRESSEN
Susan Michaels stöhnte, als sie die Schlagzeile zu ihrer neuesten Geschichte las. Sie hütete sich, den Rest des Artikels zu lesen, aber irgendetwas in ihr wollte sich an diesem Nachmittag einfach schlecht fühlen. Gott bewahre, dass sie jemals wieder stolz auf ihre Arbeit war.
Die Motten einer streng geheimen Spezies wurden in einem Labor in Südamerika gezüchtet - sie sind die nächste Generation militärischer Attentäter! Diese Motten sind gentechnisch verändert und können den Weg zum Aufenthaltsort ihres Feindes finden. Sie beißen dem Opfer in den Hals und infizieren es mit einem hochkonzentrierten Gift, das nicht nachweisbar ist und das Opfer innerhalb von einer Stunde tötet.
Die Motten sind aus dem Labor entkommen und fliegen jetzt geradewegs nach Norden auf die USA zu. Seien Sie wachsam! Noch in diesem Monat könnten die Motten bei Ihnen ankommen ...
Großer Gott, es war noch schlimmer, als sie gedacht hatte. Vor lauter Wut zitterten ihre Hände. Sie stand von ihrem Schreibtisch auf und ging direkt ins Büro von Leo Kirby. Wie gewöhnlich war er im Internet unterwegs, las den Blog irgendeines armen Schwachkopfs und machte sich jede Menge Notizen.
Leo war ein kleiner magerer Mann mit langem schwarzem Haar, das er immer zum Pferdeschwanz gebunden trug. Er hatte einen Spitzbart, kalte graue Augen, die nie lachten, und auf der linken Hand die Tätowierung eines merkwürdigen Spinnennetzes. Er trug ein ausgeleiertes schwarzes T-Shirt und Jeans, und während er arbeitete, stand neben seinem Ellbogen ein riesiger Thermosbecher von Starbucks. Er war etwa Mitte dreißig und wäre süß gewesen, wenn er nicht so verdammt nervig gewesen wäre.
»Killermotten?«, fragte sie.
Er blickte von seinem Schreibblock auf und zuckte die Schultern. »Du hast gesagt, uns stehe eine Invasion von Motten bevor. Um die Geschichte besser verkäuflich zu machen, habe ich Joanie darangesetzt, damit sie sie umschreibt.«
Sie starrte ihn völlig verwundert an. »Joanie? Du hast Joanie darangesetzt, damit sie die Geschichte umschreibt? Die Frau, die Alufolie in ihren BH steckt, damit die Leute mit Röntgenblick ihre Brüste nicht sehen können? Diese Joanie?«
Er sagte, ohne zu zögern: »Ja, sie ist meine beste Textredakteurin.«
Von der Beleidigung zur Verletzung ... »Ich dachte, ich wäre deine beste Textredakteurin, Leo.«
Er seufzte tief und schwenkte seinen Stuhl herum, sodass er ihr ins Gesicht sehen konnte. »Das wärst du, wenn du nur das geringste bisschen Fantasie hättest.« Er hob pathetisch die Hände, als ob er seinen Standpunkt verdeutlichen wollte. »Komm, Sue, umarme das Kind in dir. Umarme das Absurde, das mitten unter uns weilt. Denk wie Ibsen.« Er ließ die Hände sinken und stieß einen weiteren tiefen Seufzer aus. »Aber nein, das tust du nicht, oder? Ich schicke dich los, um der Sache mit dem Fledermaus-Jungen nachzuspüren, der in dem alten Glockenturm lebt, und du kommst mit einer Geschichte über Motten zurück, die die Dachsparren heimsuchen. Was, zum Teufel, soll das?«
Sie starrte ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust. »Das nennt sich Wirklichkeit, Leo. Wirklichkeit. Du solltest mal langsam aufhören zu rauchen, dann kannst du sie auch mal erleben.«
Er schnaubte und schlug auf einem Notizblock ein neues Blatt auf. Er legte ihn neben seinen Kaffee. »Scheiß auf die Wirklichkeit. Davon kann ich mir nichts kaufen. Davon kann ich meinen Hund nicht füttern. Davon kann ich meine Raten für den Porsche nicht zahlen. Davon hab ich keinen Sex. Mit Schwachsinn dagegen geht das alles ... und mir gefällt es so.«
Sie verdrehte die Augen, als sie sein strahlendes Gesicht sah. »Du bist wirklich widerwärtig, eine echte Kröte.«
Er hielt inne, als ob ihm eine Idee gekommen wäre, griff nach seinem Notizblock und kritzelte schnell etwas hin. »›Angestellte küsst Kröten-Chef und entdeckt uralten unsterblichen Prinz‹ ... oder besser noch, einen Gott, ja, einen antiken Gott« - er zeigte mit dem Stift auf sie - »einen griechischen Gott, der verflucht worden ist und als Sexsklave den Frauen dienen muss ... das gefällt mir. Kannst du dir das vorstellen? Überall im Land werden Frauen ihre Chefs küssen, um die Theorie auszuprobieren.« Dann sah er sie wieder an, diesmal mit einem gemeinen Grinsen. »Wollen wir das Experiment einmal durchführen und gucken, ob's klappt?«
Sie verzog angewidert das Gesicht. »Bloß nicht. Und das ist keine Aufforderung, Leo. Glaub mir, auch nach tausend Küssen wärst du immer noch eine Kröte.«
Er ließ sich keineswegs entmutigen, hauptsächlich deswegen, weil sie sich auf diese Art neckten, seit sie gemeinsam auf dem College gewesen waren. »Ich finde immer noch, wir sollten es mal versuchen.« Er wackelte mit den Augenbrauen und sah sie an.
Susan stieß verärgert einen langen Seufzer aus. »Weißt du, ich würde dich ja wegen sexueller Belästigung anzeigen, aber das würde voraussetzen, dass du tatsächlich schon einmal Sex hattest. Ich werde lieber behaupten, dass du ein erstklassiges Beispiel dafür bist, was mit Menschen passiert, wenn sie sexuell völlig frustriert sind.«
Wieder bekam er diesen glasigen Blick und kritzelte etwas auf seinen Block. »›Sexuell frustrierter Chef wird zum schreienden Irren. Weidet die Frau aus, die ihn erregt.‹«
Susan stöhnte tief in der Kehle. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie geglaubt, er drohte ihr, aber das würde tatsächlich Handeln von seiner Seite voraussetzen. Und Leo war jemand, der ausschließlich delegierte. Seine Maxime war stets gewesen: Warum soll ich etwas selber machen, wenn ich jemanden beauftragen oder herumkommandieren kann, damit er es für mich erledigt?
»Leo! Hör auf damit, alles sofort in billige Schlagzeilen zu verwandeln.« Und ehe er antworten konnte, fügte sie rasch hinzu: »Ja, ich weiß, ich weiß, von billigen Schlagzeilen kannst du deinen Porsche bezahlen.«
»Ganz genau!«
Angewidert rieb sie sich den Kopf, denn plötzlich verspürte sie Schmerzen hinter dem rechten Auge.
»Schau mal, Sue«, sagte er, als ob er ungewöhnliches Mitgefühl für sie verspürte. »Ich weiß, wie hart die letzten Jahre für dich gewesen waren. Aber du bist jetzt einfach keine investigative Journalistin mehr.«
Sie bekam ein beklemmendes Gefühl in der Brust. Diese Worte musste sie wirklich nicht ausgesprochen hören, denn sie verfolgten sie Tag und Nacht. Vor zweieinhalb Jahren war sie eine der herausragenden investigativen Journalistinnen des Landes gewesen. Ihr voriger Chef hatte ihr den Spitznamen »Spürhund-Sue« verpasst, denn sie konnte eine Geschichte aus einer Entfernung von einer Meile erschnüffeln, ihr nachjagen und sie in einen Artikel verwandeln.
Und in einem Moment offenkundiger Dämlichkeit war die ganze Welt um sie herum zusammengefallen. Sie war so gierig nach einer Geschichte gewesen, dass sie überstürzt in eine Falle getappt war und ihren Ruf völlig zerstört hatte.
Es hätte sie fast das Leben gekostet.
Sie rieb sich die Narbe am Handgelenk und zwang sich, nicht an diese schreckliche Nacht im November zu denken - die einzige Zeit in ihrem Leben, in der sie tatsächlich schwach gewesen war. Sie war zur Besinnung gekommen und hatte geschworen, dass es niemandem je gelingen sollte, sie ihre Machtlosigkeit noch einmal so spüren zu lassen. Wie auch immer, es war ihr Leben, und sie würde es nach ihren eigenen Regeln leben.
Wäre Leo nicht gewesen - sie lernten sich im College kennen, als sie beide für die Campuszeitung geschrieben hatten -, sie hätte nie wieder als Journalistin arbeiten können. Nicht dass man die Arbeit beim Daily Inquisitor als Journalismus bezeichnen konnte, aber zumindest konnte sie einen Teil ihrer hohen Schulden und Gerichtskosten zurückzahlen. Und obwohl sie den Job hasste, ernährte er sie, und sie saß nicht auf der Straße. Dafür war sie der kleinen Kröte etwas schuldig.
Leo riss ein Blatt vom Block ab und schob es zu ihr hinüber.
»Was ist das?«, fragte sie und nahm es vom Schreibtisch.
»Eine Webseite. Ein Mädchen, das auf dem College ist, nennt sich Dark Angel und behauptet, sie arbeitet für die Untoten.«
Sie starrte ihn an. »Sie arbeitet für einen Vampir?«
»Nicht ganz. Sie sagt, er ist ein unsterblicher Krieger, der seine Gestalt ändern kann und der sie zu Tode nervt. Sie ist von hier, und ich will, dass du der Sache nachgehst und dir anhörst, was sie sonst noch zu sagen hast. Dann berichtest du mir alles.«
Das konnte doch nicht wahr sein - und schon lachte sie die alte innere Stimme in ihr aus. »Er kann seine Gestalt verändern, ja? Passiert das, bevor oder nachdem sie das LSD eingeworfen hat?«
Leo gab einen gereizten Laut von sich. »Warum versuchst du nicht wenigstens mal, ein Gefühl für den Job zu kriegen? Weißt du, es ist wirklich nicht schlecht. Es ist sogar sehr unterhaltsam. Probier's mal aus, Sue. Lass das Gift aus dir raus. Hab Spaß an der Sache.«
Hab Spaß ... Spaß daran, eine Witzfigur zu sein, nachdem sie für die Washington Post gearbeitet hatte ... na klar. Es war schwierig, am Scheiß Spaß zu haben, denn das, was sie eigentlich wirklich wollte, war, sich ihren Ruf zurückzuerobern.
Aber das war vorbei. Sie würde nie wieder eine ernst zu nehmende Journalistin sein.
Das war's. Ihr Leben. Spaß - die böse Fee hatte ihr wirklich alles versaut.
Nein, dachte sie, und wieder fühlte sie die Beklemmung in der Brust, das stimmte nicht. Sie selbst hatte sich alles versaut, und das wusste sie auch. Betrübt drehte sie sich um, ging an ihren Schreibtisch zurück und schaute auf die Webadresse des Blogs.
Es ist bescheuert. Tu das nicht. Geh nicht auf diese Webseite ...
Aber nach kurzer Zeit tat sie es doch, und sie sah eine schwarze Seite mit einem handgemalten Gothic-Emblem auf einer Webseite namens deadjournal.com. Aber am besten gefiel ihr die Überschrift: »Dunkle und verdrehte Gedanken einer College-Studentin, die verflucht ist«.
Das traf auf das Mädchen, Dark Angel, offensichtlich zu. Ihre Einträge zeigten die typischen Ängste einer durchschnittlichen Studentin ... die ganz klar unter Wahnvorstellungen litt und eine mehrjährige Therapie in einer Gummizelle brauchte.
3. Juni 2006, 6:45 Uhr
Es soll mich bitte jemand erschießen. Bitte. Ich kann den BITTE-Teil gar nicht genug betonen. Gerade sitze ich noch hier und versuche, für meine morgige Prüfung zu lernen. Merke das Wort: »versuche«. Ich bin also vertieft in die Komplexität der babylonischen Mathematik, was nicht gerade fesselnd ist, um das mal freundlich zu formulieren, als plötzlich mein Handy klingelt und mich zu Tode erschreckt, denn das Haus ist noch stiller als ein Grab - und glaubt mir, ich bin in genügend Gräbern und Krypten gewesen, um das beurteilen zu können.
Zuerst dachte ich dummerweise, es wäre mein Vater, der mich mal wieder anmachen will, bis ich genauer auf die Nummer sah. Und, nein, er war es nicht. Wer meinen Blog schon mal gelesen hat, weiß, dass es mein Boss ist - wer sonst würde zu einer so unchristlichen Stunde anrufen und der Ansicht sein, dass ich sonst kein Leben habe, außer bei jeder seiner Launen und Bedürfnisse gleich zu springen? Ehrlich, hört auf meinen Rat und arbeitet niemals für einen Unsterblichen. Sie haben einfach keinen Respekt vor uns mit unserer endlichen Lebenszeit.
Halb sechs morgens ruft er also an und erzählt mir, dass er gerade einen Haufen Untoter umgebracht hat (in Ordnung, Vampire, aber dieses Wort gebrauche ich wirklich nicht gerne, denn es zieht alle Arten von Bekloppten an, die wissen wollen, wie sie auch Vampire werden können, wo sie die finden können, die ich kenne - das würde euch in den sicheren Tod führen, sonst nichts -, aber zurück zur Sache) und dass ich vorbeikommen und ihn abholen muss, denn es ist kurz vor Anbruch der Dämmerung, und er schafft es nicht mehr bis nach Hause, sonst würde ihn die Sonne in einen Grilltoast verwandeln. Das ist echt nicht das Richtige, um mich zu motivieren, denn ein Grilltoast = eine glückliche Dark Angel.
Hier muss ich motzen: Wäre er ein echter Gestaltwandler, dann müsste ich ihn nicht abholen. Er würde ohne Hilfe nach Hause kommen, er könnte sich einfach ins Haus teleportieren, aber damals, als er den Handel abgeschlossen hat, ein Unsterblicher zu werden, wurde ihm diese Fähigkeit abgenommen, ebenso wie die, die ihm erlaubt, durch die Zeit zu reisen, und auch die Fähigkeit, als Mensch bei Tag unterwegs zu sein. Und warum das alles? Aus einem einzigen Grund. Um mir das Leben zur Hölle und mich zur Sklavin zu machen, bloß deshalb.
Ach, und ich muss ihm Kleider mitbringen, denn sehr wahrscheinlich wird er bei Pike's Market als Katze auftauchen, das ist die einzige Gestalt, in der er sich bei Tageslicht zeigen kann und kein knuspriges Vieh wird (jawohl). Wenn er sich in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt, ist er nackt und braucht Kleidung - ja, für die mit der dreckigen Fantasie: Theoretisch ist er ein nackter Gott, aber weil ich ihn schon mein ganzes Leben lang kenne, ist es, als ob man seinen Bruder nackt sieht, und da kann man ja auch nicht »hey« sagen, oder?
Gut, es kotzt mich an, aber ich mache mich auf, denn er bezahlt mich dafür, und wenn ich nicht komme, dann verrät er mich wieder, und das wird mir jede Menge Ärger einbringen. Und das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Und was finde ich, nachdem ich meinen Hintern rübergeschoben habe, um ihm den Arsch zu retten?
Jawohl, richtig geraten. Da ist keiner außer ein paar Obdachlosen, die denken, dass ich den Verstand verloren habe, weil ich meine »Katze« suche, während ich Männerkleidung unterm Arm hab - die, wie ich langsam begreife, gar nichts nützt, denn er kann sich ja erst wieder in einen Menschen verwandeln, nachdem ich ihn nach Hause gebracht habe. Der verdammte Mistkerl und seine Streiche. Die Pocken wünsch ich ihm an den Hals. Oder, besser noch, ich hoffe, er fängt sich Flöhe (ich würde ihm auch Zecken wünschen, aber dann könnte ich mich mit Borreliose anstecken). Also lieber Flöhe. Jede Menge Flöhe!
Ich bin sicher, der idiotische Katzenmann hat ein Betthäschen gefunden, mit dem er's treiben kann und das er den ganzen Tag poppen wird. Verdammt, hätte er nicht kurz anrufen und mir Bescheid sagen können? Nein. Also sitze ich jetzt hier, schütte Espresso mit extra viel Koffein in mich hinein und hoffe, dass ich wach bleibe und heute Nachmittag meine Klausur mitschreiben kann. Danke, Boss. Weiß ich echt zu schätzen. Du bist der Beste. Wo ist denn der Tierschutz, wenn man ihn mal braucht? Besser noch, gebt mir eine Axt, damit ich ihm den Kopf abschlagen kann - und ich meine nicht den, den er auf den Schultern trägt.
Laune: sauer
Song: »Everything About You« von Ugly Kid Joe
Susan seufzte erschöpft und rieb sich die Stirn. O Mann. Das Mädchen brauchte professionelle Hilfe. Aber was soll's. Es war ja nicht so, als hätte sie etwas Besseres zu tun, als zu untersuchen, was dahintersteckte: hinter dem unsterblichen Katzenmann von Pike's Market.
Bei diesem Gedanken erschauderte sie. »Jetzt fange ich auch schon damit an ... billige Schlagzeilen zu formulieren.« Sie stöhnte und rieb sich die Augen. »Wenn mein Leben ein Pferd wäre, dann würde ich es jetzt erschießen.«
Egal, wo und wann - jedes Tierheim in den Vereinigten Staaten von Amerika schien den gleichen durchdringenden Geruch zu verströmen, eine Mischung aus antiseptischem Putzmittel und nassem Fell. Und obwohl die Tierheime geheizt wurden, lag immer eine merkwürdige Kälte in der Luft, die einem durch Mark und Bein ging.
So war es auch heute. Die Katzenkäfige waren an zwei Wänden aufgereiht, einige Katzen schliefen, andere spielten, fraßen oder putzten sich.
Alle - bis auf eine.
Diese Katze kauerte in dem Käfig, als ob sie bereit zum Töten wäre, und sie betrachtete alles um sich herum mit den scharfen Augen eines bösartigen Raubtiers, lediglich ihre geringe Körpergröße passte nicht dazu. Sie war nicht wie die anderen Katzen. Nur ein Dummkopf würde das glauben.
Auf den ersten Blick wirkte sie wie eine normale Bengalkatze, aber wenn man genauer hinschaute, wurde klar, dass sie nicht die gleichen charakteristischen Züge hatte, wie sie für Bengalkatzen typisch sind. Tatsächlich sah sie eher aus wie ein arabischer Leopard - nur wog sie vielleicht knapp fünfzehn Pfund anstatt sechzig.
Außerdem hatten ihre Augen einen unheimlichen schwarzen Farbton, der für ein solches Tier unnatürlich war. Und wenn man genau hinschaute, sah man, dass diese Katze ein silbernes Halsband trug, während die Halsbänder der anderen Katzen einfach weiß waren. Es war ein besonderes Halsband, in dem sich das Licht brach und das übernatürlich funkelte.
Und was machte es so besonders? Sicherlich nicht, dass das Band so dünn war oder dass es keine Schnalle hatte. Nein, es waren die unsichtbaren Schaltkreise, die sich auf der Innenseite befanden und Hemmstoffe ausschütteten, die weder Mensch noch Tier spüren konnten - es sei denn, das Geschöpf war sowohl Mensch als auch Tier.
Eine teuflische Erfindung derer, die Kontrolle über die magischen Kräfte anderer gewinnen wollten. Dieses Halsband bannte denjenigen, der es trug, in seine derzeitige Katzengestalt.
...
Übersetzung: Larissa Rabe
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Die Luft knisterte vor übernatürlicher Elektrizität. Diese Empfindung konnten nur besondere nicht-menschliche Wesen oder Menschen mit äußerst ausgeprägten Sinnen wahrnehmen.
Ravyn Kontis war ganz klar kein Mensch. Er war in eine Welt nächtlicher Jäger hineingeboren worden, die den verborgenen Zauber der Erde beherrschten und dunkle Künste befehligten - und er war als einer ihrer tapfersten Krieger gefallen ...
Durch die Hand seines eigenen Bruders.
Nun wandelte Ravyn in veränderter Gestalt über die Erde. Er war etwas Seelenloses, etwas Wildes und sogar noch Tödlicheres als das, was er zuvor gewesen war. Von seinem Herzen war nichts mehr übrig geblieben. Kein Erbarmen, kein Mitgefühl, nur ein Schmerz, der so tief, so allumfassend war, dass er das bisschen Menschlichkeit zerfraß, das er noch gehabt hatte - bis nichts mehr übrig war als ein wildes Tier, so animalisch, dass er wusste, es würde niemals mehr gezähmt werden können.
Er legte den Kopf in den Nacken und brüllte den Schrei des zornigen Tieres heraus, das in ihm steckte und die Zähne fletschte. Der Geruch des Todes umgab ihn, und das Blut seiner Feinde bedeckte seinen ganzen Körper. Es tropfte in glitschigen Rinnsalen aus seinem Haar und von seinen Fingerspitzen und sprenkelte die vom Kampf zertrampelte Erde zu seinen Füßen.
Doch es reichte noch immer nicht, um die Raserei zu befriedigen, die in ihm wütete.
Rache musste kalt genossen werden ...
Er hatte törichterweise erwartet, dass sie etwas von dem lähmenden Schmerz lindern würde, der ihn heimsuchte. Das war nicht der Fall gewesen. Die Rache hatte ihn sogar noch kälter zurückgelassen als der Verrat, der seinen Tod zur Folge gehabt hatte.
Ravyn zuckte zusammen, als er in Gedanken das schöne Gesicht von Isabeau vor sich sah. Obwohl sie eine Menschenfrau gewesen war, waren sie einander als Gefährten bestimmt gewesen. Im Vertrauen darauf, dass sie ihn liebte, hatte er ihr das Geheimnis seiner Welt anvertraut.
Und wie hatte sie es ihm gedankt? Sie hatte den Menschen von seinem kleinen Clan von Brüdern erzählt, und die hatten die Frauen und Kinder überfallen, während er und die Männer auf Patrouille gewesen waren.
Sie hatten niemanden am Leben gelassen.
Keinen Einzigen.
Die Männer seines Clans waren zurückgekehrt und hatten die glimmenden Reste ihres Dorfes vorgefunden - und überall die Leichen ihrer Kinder und Frauen.
Sie waren auf ihn losgegangen. Er machte ihnen keinen Vorwurf daraus. Das einzige Mal in seinem Leben hatte er sich nicht gewehrt. Zumindest nicht bis zu seinem letzten Atemzug.
Sein Zorn hatte in seiner Brust Wurzeln geschlagen und war zu einem Monstrum herangewachsen, das die dunkelsten Teile seines nicht-menschlichen Seins speiste. Seine menschliche Seele hatte nach Rache geschrien gegen diejenigen, die sein Volk ausgelöscht hatten. Der Schmerzensschrei dieses Menschen und des wilden Tieres hatte im heiligen Tempel von Artemis widergehallt - so laut und fordernd, dass er die Göttin selbst herbeigerufen hatte. Und dort, im schwachen Licht des abnehmenden Mondes, hatte er einen Handel mit ihr abgeschlossen und ihr seine Seele verkauft, damit er die Gelegenheit bekam, sich bei Isabeau und ihren Leuten zu revanchieren.
Nun waren sie alle tot, gestorben durch seine Hand ... alle. Genau wie er. Genau wie seine Familie.
Es war vorüber ...
Ravyn lachte bitter bei diesem Gedanken und ballte die blutigen Fäuste. Nein, es war nicht vorüber. Es hatte gerade erst angefangen.
1
Seattle, 2006
JUNGE VON KILLERMOTTEN GEFRESSEN
Susan Michaels stöhnte, als sie die Schlagzeile zu ihrer neuesten Geschichte las. Sie hütete sich, den Rest des Artikels zu lesen, aber irgendetwas in ihr wollte sich an diesem Nachmittag einfach schlecht fühlen. Gott bewahre, dass sie jemals wieder stolz auf ihre Arbeit war.
Die Motten einer streng geheimen Spezies wurden in einem Labor in Südamerika gezüchtet - sie sind die nächste Generation militärischer Attentäter! Diese Motten sind gentechnisch verändert und können den Weg zum Aufenthaltsort ihres Feindes finden. Sie beißen dem Opfer in den Hals und infizieren es mit einem hochkonzentrierten Gift, das nicht nachweisbar ist und das Opfer innerhalb von einer Stunde tötet.
Die Motten sind aus dem Labor entkommen und fliegen jetzt geradewegs nach Norden auf die USA zu. Seien Sie wachsam! Noch in diesem Monat könnten die Motten bei Ihnen ankommen ...
Großer Gott, es war noch schlimmer, als sie gedacht hatte. Vor lauter Wut zitterten ihre Hände. Sie stand von ihrem Schreibtisch auf und ging direkt ins Büro von Leo Kirby. Wie gewöhnlich war er im Internet unterwegs, las den Blog irgendeines armen Schwachkopfs und machte sich jede Menge Notizen.
Leo war ein kleiner magerer Mann mit langem schwarzem Haar, das er immer zum Pferdeschwanz gebunden trug. Er hatte einen Spitzbart, kalte graue Augen, die nie lachten, und auf der linken Hand die Tätowierung eines merkwürdigen Spinnennetzes. Er trug ein ausgeleiertes schwarzes T-Shirt und Jeans, und während er arbeitete, stand neben seinem Ellbogen ein riesiger Thermosbecher von Starbucks. Er war etwa Mitte dreißig und wäre süß gewesen, wenn er nicht so verdammt nervig gewesen wäre.
»Killermotten?«, fragte sie.
Er blickte von seinem Schreibblock auf und zuckte die Schultern. »Du hast gesagt, uns stehe eine Invasion von Motten bevor. Um die Geschichte besser verkäuflich zu machen, habe ich Joanie darangesetzt, damit sie sie umschreibt.«
Sie starrte ihn völlig verwundert an. »Joanie? Du hast Joanie darangesetzt, damit sie die Geschichte umschreibt? Die Frau, die Alufolie in ihren BH steckt, damit die Leute mit Röntgenblick ihre Brüste nicht sehen können? Diese Joanie?«
Er sagte, ohne zu zögern: »Ja, sie ist meine beste Textredakteurin.«
Von der Beleidigung zur Verletzung ... »Ich dachte, ich wäre deine beste Textredakteurin, Leo.«
Er seufzte tief und schwenkte seinen Stuhl herum, sodass er ihr ins Gesicht sehen konnte. »Das wärst du, wenn du nur das geringste bisschen Fantasie hättest.« Er hob pathetisch die Hände, als ob er seinen Standpunkt verdeutlichen wollte. »Komm, Sue, umarme das Kind in dir. Umarme das Absurde, das mitten unter uns weilt. Denk wie Ibsen.« Er ließ die Hände sinken und stieß einen weiteren tiefen Seufzer aus. »Aber nein, das tust du nicht, oder? Ich schicke dich los, um der Sache mit dem Fledermaus-Jungen nachzuspüren, der in dem alten Glockenturm lebt, und du kommst mit einer Geschichte über Motten zurück, die die Dachsparren heimsuchen. Was, zum Teufel, soll das?«
Sie starrte ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust. »Das nennt sich Wirklichkeit, Leo. Wirklichkeit. Du solltest mal langsam aufhören zu rauchen, dann kannst du sie auch mal erleben.«
Er schnaubte und schlug auf einem Notizblock ein neues Blatt auf. Er legte ihn neben seinen Kaffee. »Scheiß auf die Wirklichkeit. Davon kann ich mir nichts kaufen. Davon kann ich meinen Hund nicht füttern. Davon kann ich meine Raten für den Porsche nicht zahlen. Davon hab ich keinen Sex. Mit Schwachsinn dagegen geht das alles ... und mir gefällt es so.«
Sie verdrehte die Augen, als sie sein strahlendes Gesicht sah. »Du bist wirklich widerwärtig, eine echte Kröte.«
Er hielt inne, als ob ihm eine Idee gekommen wäre, griff nach seinem Notizblock und kritzelte schnell etwas hin. »›Angestellte küsst Kröten-Chef und entdeckt uralten unsterblichen Prinz‹ ... oder besser noch, einen Gott, ja, einen antiken Gott« - er zeigte mit dem Stift auf sie - »einen griechischen Gott, der verflucht worden ist und als Sexsklave den Frauen dienen muss ... das gefällt mir. Kannst du dir das vorstellen? Überall im Land werden Frauen ihre Chefs küssen, um die Theorie auszuprobieren.« Dann sah er sie wieder an, diesmal mit einem gemeinen Grinsen. »Wollen wir das Experiment einmal durchführen und gucken, ob's klappt?«
Sie verzog angewidert das Gesicht. »Bloß nicht. Und das ist keine Aufforderung, Leo. Glaub mir, auch nach tausend Küssen wärst du immer noch eine Kröte.«
Er ließ sich keineswegs entmutigen, hauptsächlich deswegen, weil sie sich auf diese Art neckten, seit sie gemeinsam auf dem College gewesen waren. »Ich finde immer noch, wir sollten es mal versuchen.« Er wackelte mit den Augenbrauen und sah sie an.
Susan stieß verärgert einen langen Seufzer aus. »Weißt du, ich würde dich ja wegen sexueller Belästigung anzeigen, aber das würde voraussetzen, dass du tatsächlich schon einmal Sex hattest. Ich werde lieber behaupten, dass du ein erstklassiges Beispiel dafür bist, was mit Menschen passiert, wenn sie sexuell völlig frustriert sind.«
Wieder bekam er diesen glasigen Blick und kritzelte etwas auf seinen Block. »›Sexuell frustrierter Chef wird zum schreienden Irren. Weidet die Frau aus, die ihn erregt.‹«
Susan stöhnte tief in der Kehle. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie geglaubt, er drohte ihr, aber das würde tatsächlich Handeln von seiner Seite voraussetzen. Und Leo war jemand, der ausschließlich delegierte. Seine Maxime war stets gewesen: Warum soll ich etwas selber machen, wenn ich jemanden beauftragen oder herumkommandieren kann, damit er es für mich erledigt?
»Leo! Hör auf damit, alles sofort in billige Schlagzeilen zu verwandeln.« Und ehe er antworten konnte, fügte sie rasch hinzu: »Ja, ich weiß, ich weiß, von billigen Schlagzeilen kannst du deinen Porsche bezahlen.«
»Ganz genau!«
Angewidert rieb sie sich den Kopf, denn plötzlich verspürte sie Schmerzen hinter dem rechten Auge.
»Schau mal, Sue«, sagte er, als ob er ungewöhnliches Mitgefühl für sie verspürte. »Ich weiß, wie hart die letzten Jahre für dich gewesen waren. Aber du bist jetzt einfach keine investigative Journalistin mehr.«
Sie bekam ein beklemmendes Gefühl in der Brust. Diese Worte musste sie wirklich nicht ausgesprochen hören, denn sie verfolgten sie Tag und Nacht. Vor zweieinhalb Jahren war sie eine der herausragenden investigativen Journalistinnen des Landes gewesen. Ihr voriger Chef hatte ihr den Spitznamen »Spürhund-Sue« verpasst, denn sie konnte eine Geschichte aus einer Entfernung von einer Meile erschnüffeln, ihr nachjagen und sie in einen Artikel verwandeln.
Und in einem Moment offenkundiger Dämlichkeit war die ganze Welt um sie herum zusammengefallen. Sie war so gierig nach einer Geschichte gewesen, dass sie überstürzt in eine Falle getappt war und ihren Ruf völlig zerstört hatte.
Es hätte sie fast das Leben gekostet.
Sie rieb sich die Narbe am Handgelenk und zwang sich, nicht an diese schreckliche Nacht im November zu denken - die einzige Zeit in ihrem Leben, in der sie tatsächlich schwach gewesen war. Sie war zur Besinnung gekommen und hatte geschworen, dass es niemandem je gelingen sollte, sie ihre Machtlosigkeit noch einmal so spüren zu lassen. Wie auch immer, es war ihr Leben, und sie würde es nach ihren eigenen Regeln leben.
Wäre Leo nicht gewesen - sie lernten sich im College kennen, als sie beide für die Campuszeitung geschrieben hatten -, sie hätte nie wieder als Journalistin arbeiten können. Nicht dass man die Arbeit beim Daily Inquisitor als Journalismus bezeichnen konnte, aber zumindest konnte sie einen Teil ihrer hohen Schulden und Gerichtskosten zurückzahlen. Und obwohl sie den Job hasste, ernährte er sie, und sie saß nicht auf der Straße. Dafür war sie der kleinen Kröte etwas schuldig.
Leo riss ein Blatt vom Block ab und schob es zu ihr hinüber.
»Was ist das?«, fragte sie und nahm es vom Schreibtisch.
»Eine Webseite. Ein Mädchen, das auf dem College ist, nennt sich Dark Angel und behauptet, sie arbeitet für die Untoten.«
Sie starrte ihn an. »Sie arbeitet für einen Vampir?«
»Nicht ganz. Sie sagt, er ist ein unsterblicher Krieger, der seine Gestalt ändern kann und der sie zu Tode nervt. Sie ist von hier, und ich will, dass du der Sache nachgehst und dir anhörst, was sie sonst noch zu sagen hast. Dann berichtest du mir alles.«
Das konnte doch nicht wahr sein - und schon lachte sie die alte innere Stimme in ihr aus. »Er kann seine Gestalt verändern, ja? Passiert das, bevor oder nachdem sie das LSD eingeworfen hat?«
Leo gab einen gereizten Laut von sich. »Warum versuchst du nicht wenigstens mal, ein Gefühl für den Job zu kriegen? Weißt du, es ist wirklich nicht schlecht. Es ist sogar sehr unterhaltsam. Probier's mal aus, Sue. Lass das Gift aus dir raus. Hab Spaß an der Sache.«
Hab Spaß ... Spaß daran, eine Witzfigur zu sein, nachdem sie für die Washington Post gearbeitet hatte ... na klar. Es war schwierig, am Scheiß Spaß zu haben, denn das, was sie eigentlich wirklich wollte, war, sich ihren Ruf zurückzuerobern.
Aber das war vorbei. Sie würde nie wieder eine ernst zu nehmende Journalistin sein.
Das war's. Ihr Leben. Spaß - die böse Fee hatte ihr wirklich alles versaut.
Nein, dachte sie, und wieder fühlte sie die Beklemmung in der Brust, das stimmte nicht. Sie selbst hatte sich alles versaut, und das wusste sie auch. Betrübt drehte sie sich um, ging an ihren Schreibtisch zurück und schaute auf die Webadresse des Blogs.
Es ist bescheuert. Tu das nicht. Geh nicht auf diese Webseite ...
Aber nach kurzer Zeit tat sie es doch, und sie sah eine schwarze Seite mit einem handgemalten Gothic-Emblem auf einer Webseite namens deadjournal.com. Aber am besten gefiel ihr die Überschrift: »Dunkle und verdrehte Gedanken einer College-Studentin, die verflucht ist«.
Das traf auf das Mädchen, Dark Angel, offensichtlich zu. Ihre Einträge zeigten die typischen Ängste einer durchschnittlichen Studentin ... die ganz klar unter Wahnvorstellungen litt und eine mehrjährige Therapie in einer Gummizelle brauchte.
3. Juni 2006, 6:45 Uhr
Es soll mich bitte jemand erschießen. Bitte. Ich kann den BITTE-Teil gar nicht genug betonen. Gerade sitze ich noch hier und versuche, für meine morgige Prüfung zu lernen. Merke das Wort: »versuche«. Ich bin also vertieft in die Komplexität der babylonischen Mathematik, was nicht gerade fesselnd ist, um das mal freundlich zu formulieren, als plötzlich mein Handy klingelt und mich zu Tode erschreckt, denn das Haus ist noch stiller als ein Grab - und glaubt mir, ich bin in genügend Gräbern und Krypten gewesen, um das beurteilen zu können.
Zuerst dachte ich dummerweise, es wäre mein Vater, der mich mal wieder anmachen will, bis ich genauer auf die Nummer sah. Und, nein, er war es nicht. Wer meinen Blog schon mal gelesen hat, weiß, dass es mein Boss ist - wer sonst würde zu einer so unchristlichen Stunde anrufen und der Ansicht sein, dass ich sonst kein Leben habe, außer bei jeder seiner Launen und Bedürfnisse gleich zu springen? Ehrlich, hört auf meinen Rat und arbeitet niemals für einen Unsterblichen. Sie haben einfach keinen Respekt vor uns mit unserer endlichen Lebenszeit.
Halb sechs morgens ruft er also an und erzählt mir, dass er gerade einen Haufen Untoter umgebracht hat (in Ordnung, Vampire, aber dieses Wort gebrauche ich wirklich nicht gerne, denn es zieht alle Arten von Bekloppten an, die wissen wollen, wie sie auch Vampire werden können, wo sie die finden können, die ich kenne - das würde euch in den sicheren Tod führen, sonst nichts -, aber zurück zur Sache) und dass ich vorbeikommen und ihn abholen muss, denn es ist kurz vor Anbruch der Dämmerung, und er schafft es nicht mehr bis nach Hause, sonst würde ihn die Sonne in einen Grilltoast verwandeln. Das ist echt nicht das Richtige, um mich zu motivieren, denn ein Grilltoast = eine glückliche Dark Angel.
Hier muss ich motzen: Wäre er ein echter Gestaltwandler, dann müsste ich ihn nicht abholen. Er würde ohne Hilfe nach Hause kommen, er könnte sich einfach ins Haus teleportieren, aber damals, als er den Handel abgeschlossen hat, ein Unsterblicher zu werden, wurde ihm diese Fähigkeit abgenommen, ebenso wie die, die ihm erlaubt, durch die Zeit zu reisen, und auch die Fähigkeit, als Mensch bei Tag unterwegs zu sein. Und warum das alles? Aus einem einzigen Grund. Um mir das Leben zur Hölle und mich zur Sklavin zu machen, bloß deshalb.
Ach, und ich muss ihm Kleider mitbringen, denn sehr wahrscheinlich wird er bei Pike's Market als Katze auftauchen, das ist die einzige Gestalt, in der er sich bei Tageslicht zeigen kann und kein knuspriges Vieh wird (jawohl). Wenn er sich in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt, ist er nackt und braucht Kleidung - ja, für die mit der dreckigen Fantasie: Theoretisch ist er ein nackter Gott, aber weil ich ihn schon mein ganzes Leben lang kenne, ist es, als ob man seinen Bruder nackt sieht, und da kann man ja auch nicht »hey« sagen, oder?
Gut, es kotzt mich an, aber ich mache mich auf, denn er bezahlt mich dafür, und wenn ich nicht komme, dann verrät er mich wieder, und das wird mir jede Menge Ärger einbringen. Und das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Und was finde ich, nachdem ich meinen Hintern rübergeschoben habe, um ihm den Arsch zu retten?
Jawohl, richtig geraten. Da ist keiner außer ein paar Obdachlosen, die denken, dass ich den Verstand verloren habe, weil ich meine »Katze« suche, während ich Männerkleidung unterm Arm hab - die, wie ich langsam begreife, gar nichts nützt, denn er kann sich ja erst wieder in einen Menschen verwandeln, nachdem ich ihn nach Hause gebracht habe. Der verdammte Mistkerl und seine Streiche. Die Pocken wünsch ich ihm an den Hals. Oder, besser noch, ich hoffe, er fängt sich Flöhe (ich würde ihm auch Zecken wünschen, aber dann könnte ich mich mit Borreliose anstecken). Also lieber Flöhe. Jede Menge Flöhe!
Ich bin sicher, der idiotische Katzenmann hat ein Betthäschen gefunden, mit dem er's treiben kann und das er den ganzen Tag poppen wird. Verdammt, hätte er nicht kurz anrufen und mir Bescheid sagen können? Nein. Also sitze ich jetzt hier, schütte Espresso mit extra viel Koffein in mich hinein und hoffe, dass ich wach bleibe und heute Nachmittag meine Klausur mitschreiben kann. Danke, Boss. Weiß ich echt zu schätzen. Du bist der Beste. Wo ist denn der Tierschutz, wenn man ihn mal braucht? Besser noch, gebt mir eine Axt, damit ich ihm den Kopf abschlagen kann - und ich meine nicht den, den er auf den Schultern trägt.
Laune: sauer
Song: »Everything About You« von Ugly Kid Joe
Susan seufzte erschöpft und rieb sich die Stirn. O Mann. Das Mädchen brauchte professionelle Hilfe. Aber was soll's. Es war ja nicht so, als hätte sie etwas Besseres zu tun, als zu untersuchen, was dahintersteckte: hinter dem unsterblichen Katzenmann von Pike's Market.
Bei diesem Gedanken erschauderte sie. »Jetzt fange ich auch schon damit an ... billige Schlagzeilen zu formulieren.« Sie stöhnte und rieb sich die Augen. »Wenn mein Leben ein Pferd wäre, dann würde ich es jetzt erschießen.«
Egal, wo und wann - jedes Tierheim in den Vereinigten Staaten von Amerika schien den gleichen durchdringenden Geruch zu verströmen, eine Mischung aus antiseptischem Putzmittel und nassem Fell. Und obwohl die Tierheime geheizt wurden, lag immer eine merkwürdige Kälte in der Luft, die einem durch Mark und Bein ging.
So war es auch heute. Die Katzenkäfige waren an zwei Wänden aufgereiht, einige Katzen schliefen, andere spielten, fraßen oder putzten sich.
Alle - bis auf eine.
Diese Katze kauerte in dem Käfig, als ob sie bereit zum Töten wäre, und sie betrachtete alles um sich herum mit den scharfen Augen eines bösartigen Raubtiers, lediglich ihre geringe Körpergröße passte nicht dazu. Sie war nicht wie die anderen Katzen. Nur ein Dummkopf würde das glauben.
Auf den ersten Blick wirkte sie wie eine normale Bengalkatze, aber wenn man genauer hinschaute, wurde klar, dass sie nicht die gleichen charakteristischen Züge hatte, wie sie für Bengalkatzen typisch sind. Tatsächlich sah sie eher aus wie ein arabischer Leopard - nur wog sie vielleicht knapp fünfzehn Pfund anstatt sechzig.
Außerdem hatten ihre Augen einen unheimlichen schwarzen Farbton, der für ein solches Tier unnatürlich war. Und wenn man genau hinschaute, sah man, dass diese Katze ein silbernes Halsband trug, während die Halsbänder der anderen Katzen einfach weiß waren. Es war ein besonderes Halsband, in dem sich das Licht brach und das übernatürlich funkelte.
Und was machte es so besonders? Sicherlich nicht, dass das Band so dünn war oder dass es keine Schnalle hatte. Nein, es waren die unsichtbaren Schaltkreise, die sich auf der Innenseite befanden und Hemmstoffe ausschütteten, die weder Mensch noch Tier spüren konnten - es sei denn, das Geschöpf war sowohl Mensch als auch Tier.
Eine teuflische Erfindung derer, die Kontrolle über die magischen Kräfte anderer gewinnen wollten. Dieses Halsband bannte denjenigen, der es trug, in seine derzeitige Katzengestalt.
...
Übersetzung: Larissa Rabe
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Sherrilyn Kenyon
Kenyon, SherrilynDie promovierte Historikerin Sherrilyn Kenyon schreibt seit ihrem zehnten Lebensjahr und ist mittlerweile eine der erfolgreichsten Autorinnen weltweit. Unter ihrem Pseudonym Kinley MacGregor veröffentlichte sie höchst erfolgreich Highland-Sagas. Doch vor allem mit ihren Dark-Hunter-Romanen begeistert sie ihre Leser und erobert seit Jahren regelmäßig Spitzenplätze der New-York-Times-Bestsellerliste. Gemeinsam mit ihrem Mann und drei Söhnen lebt Sherrilyn Kenyon in Tennessee.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sherrilyn Kenyon
- 2012, 476 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Rabe, Larissa
- Übersetzer: Larissa Rabe
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442379539
- ISBN-13: 9783442379538
- Erscheinungsdatum: 20.08.2012
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