Dornenthron / Dark Swan Bd.2
Roman
Die Schamanin Eugenie Markham muss sich erst noch an ihre neue Rolle als Königin des Dornenlandes gewöhnen. Und auch ihre Gefühlswelt gerät durcheinander, da ihr Geliebter Kiyo neuerdings viel Zeit mit seiner schwangeren Ex-Freundin verbringt. Da...
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Produktinformationen zu „Dornenthron / Dark Swan Bd.2 “
Klappentext zu „Dornenthron / Dark Swan Bd.2 “
Die Schamanin Eugenie Markham muss sich erst noch an ihre neue Rolle als Königin des Dornenlandes gewöhnen. Und auch ihre Gefühlswelt gerät durcheinander, da ihr Geliebter Kiyo neuerdings viel Zeit mit seiner schwangeren Ex-Freundin verbringt. Da verschwinden plötzlich junge Mädchen aus der Anderswelt, und Eugenie muss der Sache auf den Grund gehen. Diesmal hat sie es jedoch mit einem äußerst perfiden Gegner zu tun, der es noch dazu auf sie persönlich abgesehen zu haben scheint. Eine gefahrvolle Reise liegt vor ihr, die sie tief in die Anderswelt führt ...
Lese-Probe zu „Dornenthron / Dark Swan Bd.2 “
Dark Swan - Dornenthron von Richelle MeadLeseprobe
Traurige Tatsache: Zahlreiche Jugendliche wissen, wie man mit Messern und Schusswaffen umgeht. Ich damals auch, aber anstatt kriminell zu werden, hatte ich mich zu einer Schamanin fürs Grobe ausbilden lassen. Während meine Freundinnen in der Disco und beim Football waren, hatte ich zusammen mit meinem Stiefvater Geister verbannt und Monster bezwungen. Das Gute daran war, dass ich nie Angst vor Straßenräubern oder sonstigen Angreifern haben musste. Das Blöde, dass es einem ganz schön die soziale Entwicklung versaut, so aufzuwachsen.
... mehr
Ich war einfach nie wie die anderen. Ich hatte zwar ein paar Freundinnen, aber verglichen mit ihrer Welt war meine grausig hart und grausig tödlich. Ihre Dramen und Sorgen waren mir immer total belanglos vorgekommen, und ich hatte nie eine richtige Verbindung zu ihnen herstellen können. Jetzt, als Erwachsene, ging mir das mit Jugendlichen immer noch so, weil ich einfach keine vergleichbaren Erfahrungen hatte, auf die ich hätte zurückgreifen können.
Was meinen heutigen Auftrag umso schwieriger machte.
»Na komm, Polly«, säuselte die Mutter des Mädchens und lächelte mit mehr als vollen Lippen. Zu viel Collagen vermutlich. »Erzähl ihr von dem Gespenst.«
Polly Hall war dreizehn, trug aber genug Make-up, um mit einer vierzigjährigen Nutte mithalten zu können. Sie lümmelte auf einer Couch im perfekt eingerichteten Haus ihrer Eltern, kaute geräuschvoll Kaugummi und sah überall hin, nur nicht zu uns. Je länger ich sie mir ansah, desto mehr stand für mich fest, dass sie Probleme hatte. Probleme, die wahrscheinlich weniger mit übernatürlichen Einflüssen zu tun hatten als vielmehr damit, eine Mutter zu haben, die ihr den Namen Polly gegeben hatte und ihr erlaubte, Tangaslips zu tragen. Der hüftbetonte Schnitt von Pollys Jeans hatte die unangenehme Nebenwirkung, dass ich besagten Tangaslip sehen konnte.
Nach einer Minute des Schweigens seufzte Mrs Hall laut. »Polly, Schatz, das haben wir doch besprochen. Wenn du uns nicht hilfst, können wir dir auch nicht helfen.«
Lächelnd ging ich vor der Couch in die Hocke, um dem Mädchen in die Augen sehen zu können. »Das ist in Ordnung«, sagte ich in der Hoffnung, dass ich mich ehrlich und verlässlich anhörte und nicht nach Frühstücksfernsehen. »Egal, was du mir erzählst, ich werde dir glauben. Wir finden eine Lösung dafür.«
Polly seufzte genauso laut wie ihre Mutter eben und wollte mich immer noch nicht ansehen. Sie erinnerte mich an meine labile Halbschwester im Teenageralter, die zurzeit spurlos verschwunden war und vorhatte, die Welt zu erobern. »Mom«, sagte sie, »kann ich jetzt in mein Zimmer?«
»Erst wenn du mit dieser netten Dame gesprochen hast.« Mrs Hall sah wieder zu mir und erklärte: »Wir hören nachts ständig komische Geräusche: Scheppern, Knallen, dumpfe Schläge. Sachen fallen ohne Grund um. Ich habe sogar ...« Sie zögerte. »Ich habe sogar irgendetwas im Zimmer herumfliegen sehen. Aber immer nur, wenn Polly da ist. Was immer das für ein Gespenst ist, es scheint sie zu mögen ... oder von ihr besessen zu sein.«
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Polly zu, ihrer schlechten Laune und kaum verborgenen Verdrossenheit. »Beschäftigt dich etwas, Polly?«, fragte ich sanft. »Probleme in der Schule oder so? Probleme hier?«
Ihre blauen Augen huschten superkurz zu mir.
»Wie sieht es mit der Elektrik aus?« Das richtete ich an ihre Mutter. »Gibt es Kurzschlüsse? Stereoanlagen oder Haushaltsgeräte, die nicht richtig funktionieren?«
Mrs Hall blinzelte. »Woher wissen Sie das?«
Ich stand auf und bog meinen Körper wieder zurecht. Ich hatte in der vergangenen Nacht mit einem Geist gekämpft, und der war nicht sanft gewesen.
»Sie haben kein Gespenst. Sie haben einen Poltergeist.« Die beiden starrten mich an.
»Ist das denn kein Gespenst?«, fragte Mrs Hall.
»Kein richtiges. Es handelt sich um eine Manifestation telekinetischer Kräfte, die oft durch Wut oder andere starke Emotionen während der Teenagerjahre hervorgebracht wird.« Da hatte ich den Frühstücksfernsehen -Tonfall vermieden, nur um jetzt in den Tonfall von Werbedokus zu verfallen.
»Ich ... Moment mal. Wollen Sie damit sagen, dass Polly das verursacht?«
»Ja, wenn auch nicht mit Absicht. In Fällen wie diesem schlägt die Person - Polly - um sich, ohne es selbst zu merken, und reagiert so ihre Gefühle ab. Sie wird ihre telekinetischen Kräfte wieder verlieren. Sie lassen nach, wenn sie älter wird und ein bisschen zur Ruhe kommt.«
Ihre Mutter war immer noch skeptisch. »Es sieht definitiv wie ein Gespenst aus.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Sie können mir glauben. Ist nichts Neues für mich.«
»Und ... können Sie denn irgendetwas dagegen tun? Können wir etwas tun?«
»Eine Psychotherapie«, schlug ich vor. »Vielleicht kommen Sie mit einer Therapeutin da heraus.«
Ich gab Mrs Hall die Kontaktdaten einer Psychologin, die ich als fähig einschätzte. Was mein Honorar betraf, so berechnete ich ihr nur den Hausbesuch. Nachdem ich das Bargeld noch einmal durchgezählt hatte - Schecks nahm ich nie -, steckte ich es weg und ging zur Wohnzimmertür.
»Tut mir leid, dass ich Ihnen keine größere Hilfe war.«
»Nein, ich meine, das hat uns wohl schon geholfen. Es ist nur so merkwürdig.« Sie starrte ihre Tochter perplex an. »Sind Sie sicher, dass es kein Gespenst ist?«
»Definitiv. Das hier sind die klassischen Symp...«
Eine unsichtbare Kraft rammte mich und warf mich gegen die Wand. Ich schrie auf, stützte mich mit einer Hand ab und funkelte dieses kleine Miststück Polly böse an. Sie sah mich aus großen Augen an und schien genauso überrascht wie ich.
»Polly!«, rief Mrs Hall. »Das war's, junge Frau. Kein Telefonieren, kein Chatten, kein ...« Ihr fiel die Kinnlade herunter, und sie starrte auf etwas am anderen Ende des Raums. »Was ist das?«
Ich folgte ihrem Blick zu dem großen hellblauen Umriss, der vor uns materialisierte.
»Tja, ähm«, sagte ich, »ein Gespenst.«
Es schoss mit einem scheußlichen Kreischen auf mich zu. Ich brüllte den beiden zu, in Deckung zu gehen, und riss eine Athame mit Silberklinge aus meinem Gürtel. Man könnte meinen, dass ein solcher Ritualdolch gegen Geistwesen nichts bringt, aber sie müssen feste Gestalt annehmen, wenn sie ernsthaften Schaden anrichten wollen. Und dann sind sie auch anfällig gegen Silber.
Bei diesem Gespenst handelte es sich um eine Frau - um ein Mädchen eher. Lange blonde Haare flossen hinter ihr wie ein Umhang, und ihre Augen waren groß und leer. Ob es an mangelnder Erfahrung lag oder einfach an ihrer Art - ihr Angriff erwies sich als angestrengt und unkoordiniert. Noch während sie meine Athame zu schmecken bekam und aufschrie, hatte ich mit der anderen Hand meinen edel-steingespickten Zauberstab gezogen.
Jetzt, wo das Überraschungsmoment vorbei war, konnte ich eine solche Verbannung im Schlaf. Ich sprach die übliche Formel, zapfte meine innere Stärke an und sandte meinen Geist über die Grenzen dieser Welt hinaus. Ich berührte die Tore der Unterwelt, schnappte mir das Gespenstermädchen und schickte es hinüber. Monster und Feine schickte ich meistens zurück in die Anderswelt, das Zwischenreich, in dem sie zu Hause waren. Ein Geistwesen musste noch weiter, ins Totenreich. Sie verschwand.
Mrs Hall und Polly starrten mich an. Doch auf einmal sprang das Mädchen auf - ihre erste Gefühlsregung - und blitzte mich wutentbrannt an.
»Sie haben gerade meine beste Freundin umgebracht!«
Ich öffnete den Mund und machte ihn wieder zu. Nichts, das ich hätte sagen können, wäre angemessen gewesen.
»Um Himmels willen, was redest du da?«, rief ihre Mutter.
Pollys Gesicht war wutverzerrt, ihre Augen glänzten von Tränen.
»Trixie. Sie war meine beste Freundin. Wir haben uns alles erzählt.« »Trixie?«, fragten Mrs Hall und ich unisono.
»Ich fasse es nicht, dass Sie das gemacht haben. Sie war voll cool.« Traurigkeit schlich sich in ihre Stimme. »Ich wäre so gern mal mit ihr shoppen gegangen, aber sie konnte das Haus nicht verlassen. Darum hab ich ihr immer die Vogue und die Glamour mitgebracht.«
Ich drehte mich zu Mrs Hall um. »Mein Rat von vorhin gilt immer noch. Therapie. Und nicht zu knapp.«
Dann machte ich mich auf den Heimweg und fragte mich zum hundertsten Mal, warum ich mir den Beruf einer Schamanin ausgesucht hatte. Es gab doch bestimmt auch weniger stressige Branchen, in denen man sich nicht mit finsteren übernatürlichen Wesen herumschlagen musste. Buchhaltung. Werbung. Verbrechensbekämpfung. Na ja, Letzteres vielleicht nicht.
Ungefähr eine Stunde später war ich zu Hause und wurde gleich hinter der Tür von zwei mittelgroßen Hunden angefallen. Es waren Straßenköter, der eine völlig schwarz und der andere völlig weiß. Sie hießen Yin und Yang, aber ich konnte mir nie merken, welcher wer war.
»Aus!«, befahl ich, während sie mich beschnupperten und wild mit dem Schwanz wedelten. Der weiße versuchte, mir die Hand abzulecken. Ich drängte mich an ihnen vorbei in die Küche und stolperte beinahe über eine getigerte Katze, die platt in einem Flecken Sonne lag. Fluchend warf ich meinen Rucksack auf den Küchentisch. »Tim? Bist du da?«
Mein Mitbewohner, Tim Warkoski, steckte den Kopf in die Küche. Er trug ein T-Shirt, auf dem vor einem Schattenriss von amerikanischen Ureinwohnern stand: Heimatschutz - seit 1492 im Kampf gegen den Terrorismus. Ganz schön feinsinnig, aber die Wirkung ging ein bisschen verloren, weil Tim in Wirklichkeit gar kein Indianer war. Er spielte bloß manchmal einen im Fernsehen beziehungsweise in hiesigen Kneipen und Touristenkreisen und nutzte seine gebräunte Haut und die schwarzen Haare dazu, seine polnische Abstammung hinter sich zu lassen. Das hatte ihm einigen Ärger mit den Stämmen hier in der Gegend eingebrockt.
Eine Mülltüte in der einen Hand und eine kleine Schaufel in der anderen, bedachte er mich mit einem finsteren Blick. »Weißt du eigentlich, wie viele beschissene Katzenklos ich heute saubermachen musste?«
Ich goss mir ein Glas Milch ein und setzte mich an den Tisch. »Kiyo meint, wir brauchen eines für jede Katze und dann noch eins zusätzlich.«
»Ja klar, zählen kann ich, Eugenie. Das macht sechs Klos. Sechs Klos auf hundertfünfzig Quadratmetern Wohnfläche. Denkst du, dein fauler Freund taucht irgendwann noch mal auf und hilft uns dabei?«
Ich rutschte unbehaglich herum. Das war eine gute Frage. Nachdem wir uns drei Monate lang entweder in Tucson oder in Phoenix getroffen hatten, hatte mein Freund Kiyo beschlossen, sich die anderthalb Stunden Pendeln zu ersparen und hier eine Stelle anzunehmen. Wir hatten ein langes Gespräch darüber gehabt und waren zu dem Schluss gekommen, dass wir weit genug waren, dass er einfach bei mir einziehen konnte. Unglücklicherweise war mit Kiyo auch seine Menagerie eingezogen: fünf Katzen und zwei Hunde. Das war eine der Kehrseiten, wenn man mit einem Tierarzt zusammen war. Er musste jedes Tier bei sich aufnehmen, das ihm über den Weg lief. Welche Katze wie hieß, konnte ich mir ebenso wenig merken wie bei den Hunden. Vier waren nach den Reitern der Apokalypse benannt, und das Einzige, was ich noch wusste, war, dass Hunger ironischerweise um die fünfzehn Kilo wog.
Zu allem Überfluss war Kiyo auch noch ein Fuchs - sowohl bildlich gesprochen als auch wortwörtlich. Seine Mutter war ein Kitsune, ein japanischer Fuchsgeist. Er hatte ihre sämtlichen Eigenschaften geerbt, darunter eine unglaubliche Stärke und Schnelligkeit sowie die Fähigkeit, sich in einen richtigen Fuchs zu verwandeln. Was zur Folge hatte, dass er regelmäßig den »Ruf der Natur« verspürte und sich danach sehnte, in seiner tierischen Gestalt herumzustrolchen. Da er gerade zwischen zwei Jobs war, hatte er sich allein zu einer Art Fahrt ins Blaue aufgemacht. Ich akzeptierte es, aber nach einer Woche ohne ihn wurde ich langsam unruhig.
»Er kommt bald zurück«, sagte ich vage, ohne Tim anzusehen. »Abgesehen davon brauchst du ja keinen Haushalt mehr zu machen, wenn du stattdessen lieber Miete zahlen willst.« So lautete unsere Abmachung. Freies Wohnen gegen Putzen und Kochen.
Er ließ sich nicht einschüchtern. »Deine Kriterien in Sachen Männer sind fragwürdig. Das ist dir hoffentlich klar.«
Darüber machte ich mir eigentlich lieber keine Gedanken. Ich ließ ihn stehen und ging in mein Zimmer, wo ich Trost bei einem Puzzle mit einer Fotografie von Zürich suchte. Es lag auf meinem Tisch, genau wie eine der Katzen. Ich glaube, es war Schnurrli, der nichtapokalyptische Kater. Ich scheuchte ihn von dem Puzzle runter. Er nahm die Hälfte der Teile mit.
»Scheißvieh!«, fluchte ich.
Liebe, entschied ich, war hart. Sicher, ich war schlecht drauf, aber zum Teil beruhten meine Sorgen in Sachen Kiyo auch auf der Tatsache, dass er seine Auszeit in der Anderswelt unter anderem mit seiner Ex-Freundin verbrachte, die zufälligerweise eine umwerfend schöne Feenkönigin war. Feen, Elfen, Glanzvolle - Wie immer man sie nennen wollte, sie waren die hochgewachsenen, langlebigen Herrscher der Anderswelt. Die meisten Schamanen bezeichneten sie wie ich als Feine, ein Wort aus der mittelalterlichen Dichtung. Maiwenn, Kiyos Ex, war im neunten Monat schwanger, und obwohl sie nicht mehr zusammen waren, hatte er immer noch an ihrem Leben teil.
Ich seufzte. Vielleicht hatte Tim ja recht, was meinen fragwürdigen Geschmack in Sachen Männer betraf.
Der Abend verging. Ich vervollständigte das Puzzle bei Def Leppard auf voller Lautstärke und kam langsam wieder besser drauf. Ich machte die Musik gerade aus, als Tim rief: »Hey, Eug! Kujo ist da!«
Atemlos lief ich zur Tür meines Zimmers und riss sie auf. Ein Rotfuchs von der Größe eines Wolfes trottete den Flur herunter auf mich zu. Erleichterung durchströmte mich, und ich spürte, wie mir die Brust weit wurde, als ich ihn reinließ und zusah, wie er rastlos seine Kreise drehte.
»Wird aber auch Zeit«, sagte ich.
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Ich war einfach nie wie die anderen. Ich hatte zwar ein paar Freundinnen, aber verglichen mit ihrer Welt war meine grausig hart und grausig tödlich. Ihre Dramen und Sorgen waren mir immer total belanglos vorgekommen, und ich hatte nie eine richtige Verbindung zu ihnen herstellen können. Jetzt, als Erwachsene, ging mir das mit Jugendlichen immer noch so, weil ich einfach keine vergleichbaren Erfahrungen hatte, auf die ich hätte zurückgreifen können.
Was meinen heutigen Auftrag umso schwieriger machte.
»Na komm, Polly«, säuselte die Mutter des Mädchens und lächelte mit mehr als vollen Lippen. Zu viel Collagen vermutlich. »Erzähl ihr von dem Gespenst.«
Polly Hall war dreizehn, trug aber genug Make-up, um mit einer vierzigjährigen Nutte mithalten zu können. Sie lümmelte auf einer Couch im perfekt eingerichteten Haus ihrer Eltern, kaute geräuschvoll Kaugummi und sah überall hin, nur nicht zu uns. Je länger ich sie mir ansah, desto mehr stand für mich fest, dass sie Probleme hatte. Probleme, die wahrscheinlich weniger mit übernatürlichen Einflüssen zu tun hatten als vielmehr damit, eine Mutter zu haben, die ihr den Namen Polly gegeben hatte und ihr erlaubte, Tangaslips zu tragen. Der hüftbetonte Schnitt von Pollys Jeans hatte die unangenehme Nebenwirkung, dass ich besagten Tangaslip sehen konnte.
Nach einer Minute des Schweigens seufzte Mrs Hall laut. »Polly, Schatz, das haben wir doch besprochen. Wenn du uns nicht hilfst, können wir dir auch nicht helfen.«
Lächelnd ging ich vor der Couch in die Hocke, um dem Mädchen in die Augen sehen zu können. »Das ist in Ordnung«, sagte ich in der Hoffnung, dass ich mich ehrlich und verlässlich anhörte und nicht nach Frühstücksfernsehen. »Egal, was du mir erzählst, ich werde dir glauben. Wir finden eine Lösung dafür.«
Polly seufzte genauso laut wie ihre Mutter eben und wollte mich immer noch nicht ansehen. Sie erinnerte mich an meine labile Halbschwester im Teenageralter, die zurzeit spurlos verschwunden war und vorhatte, die Welt zu erobern. »Mom«, sagte sie, »kann ich jetzt in mein Zimmer?«
»Erst wenn du mit dieser netten Dame gesprochen hast.« Mrs Hall sah wieder zu mir und erklärte: »Wir hören nachts ständig komische Geräusche: Scheppern, Knallen, dumpfe Schläge. Sachen fallen ohne Grund um. Ich habe sogar ...« Sie zögerte. »Ich habe sogar irgendetwas im Zimmer herumfliegen sehen. Aber immer nur, wenn Polly da ist. Was immer das für ein Gespenst ist, es scheint sie zu mögen ... oder von ihr besessen zu sein.«
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Polly zu, ihrer schlechten Laune und kaum verborgenen Verdrossenheit. »Beschäftigt dich etwas, Polly?«, fragte ich sanft. »Probleme in der Schule oder so? Probleme hier?«
Ihre blauen Augen huschten superkurz zu mir.
»Wie sieht es mit der Elektrik aus?« Das richtete ich an ihre Mutter. »Gibt es Kurzschlüsse? Stereoanlagen oder Haushaltsgeräte, die nicht richtig funktionieren?«
Mrs Hall blinzelte. »Woher wissen Sie das?«
Ich stand auf und bog meinen Körper wieder zurecht. Ich hatte in der vergangenen Nacht mit einem Geist gekämpft, und der war nicht sanft gewesen.
»Sie haben kein Gespenst. Sie haben einen Poltergeist.« Die beiden starrten mich an.
»Ist das denn kein Gespenst?«, fragte Mrs Hall.
»Kein richtiges. Es handelt sich um eine Manifestation telekinetischer Kräfte, die oft durch Wut oder andere starke Emotionen während der Teenagerjahre hervorgebracht wird.« Da hatte ich den Frühstücksfernsehen -Tonfall vermieden, nur um jetzt in den Tonfall von Werbedokus zu verfallen.
»Ich ... Moment mal. Wollen Sie damit sagen, dass Polly das verursacht?«
»Ja, wenn auch nicht mit Absicht. In Fällen wie diesem schlägt die Person - Polly - um sich, ohne es selbst zu merken, und reagiert so ihre Gefühle ab. Sie wird ihre telekinetischen Kräfte wieder verlieren. Sie lassen nach, wenn sie älter wird und ein bisschen zur Ruhe kommt.«
Ihre Mutter war immer noch skeptisch. »Es sieht definitiv wie ein Gespenst aus.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Sie können mir glauben. Ist nichts Neues für mich.«
»Und ... können Sie denn irgendetwas dagegen tun? Können wir etwas tun?«
»Eine Psychotherapie«, schlug ich vor. »Vielleicht kommen Sie mit einer Therapeutin da heraus.«
Ich gab Mrs Hall die Kontaktdaten einer Psychologin, die ich als fähig einschätzte. Was mein Honorar betraf, so berechnete ich ihr nur den Hausbesuch. Nachdem ich das Bargeld noch einmal durchgezählt hatte - Schecks nahm ich nie -, steckte ich es weg und ging zur Wohnzimmertür.
»Tut mir leid, dass ich Ihnen keine größere Hilfe war.«
»Nein, ich meine, das hat uns wohl schon geholfen. Es ist nur so merkwürdig.« Sie starrte ihre Tochter perplex an. »Sind Sie sicher, dass es kein Gespenst ist?«
»Definitiv. Das hier sind die klassischen Symp...«
Eine unsichtbare Kraft rammte mich und warf mich gegen die Wand. Ich schrie auf, stützte mich mit einer Hand ab und funkelte dieses kleine Miststück Polly böse an. Sie sah mich aus großen Augen an und schien genauso überrascht wie ich.
»Polly!«, rief Mrs Hall. »Das war's, junge Frau. Kein Telefonieren, kein Chatten, kein ...« Ihr fiel die Kinnlade herunter, und sie starrte auf etwas am anderen Ende des Raums. »Was ist das?«
Ich folgte ihrem Blick zu dem großen hellblauen Umriss, der vor uns materialisierte.
»Tja, ähm«, sagte ich, »ein Gespenst.«
Es schoss mit einem scheußlichen Kreischen auf mich zu. Ich brüllte den beiden zu, in Deckung zu gehen, und riss eine Athame mit Silberklinge aus meinem Gürtel. Man könnte meinen, dass ein solcher Ritualdolch gegen Geistwesen nichts bringt, aber sie müssen feste Gestalt annehmen, wenn sie ernsthaften Schaden anrichten wollen. Und dann sind sie auch anfällig gegen Silber.
Bei diesem Gespenst handelte es sich um eine Frau - um ein Mädchen eher. Lange blonde Haare flossen hinter ihr wie ein Umhang, und ihre Augen waren groß und leer. Ob es an mangelnder Erfahrung lag oder einfach an ihrer Art - ihr Angriff erwies sich als angestrengt und unkoordiniert. Noch während sie meine Athame zu schmecken bekam und aufschrie, hatte ich mit der anderen Hand meinen edel-steingespickten Zauberstab gezogen.
Jetzt, wo das Überraschungsmoment vorbei war, konnte ich eine solche Verbannung im Schlaf. Ich sprach die übliche Formel, zapfte meine innere Stärke an und sandte meinen Geist über die Grenzen dieser Welt hinaus. Ich berührte die Tore der Unterwelt, schnappte mir das Gespenstermädchen und schickte es hinüber. Monster und Feine schickte ich meistens zurück in die Anderswelt, das Zwischenreich, in dem sie zu Hause waren. Ein Geistwesen musste noch weiter, ins Totenreich. Sie verschwand.
Mrs Hall und Polly starrten mich an. Doch auf einmal sprang das Mädchen auf - ihre erste Gefühlsregung - und blitzte mich wutentbrannt an.
»Sie haben gerade meine beste Freundin umgebracht!«
Ich öffnete den Mund und machte ihn wieder zu. Nichts, das ich hätte sagen können, wäre angemessen gewesen.
»Um Himmels willen, was redest du da?«, rief ihre Mutter.
Pollys Gesicht war wutverzerrt, ihre Augen glänzten von Tränen.
»Trixie. Sie war meine beste Freundin. Wir haben uns alles erzählt.« »Trixie?«, fragten Mrs Hall und ich unisono.
»Ich fasse es nicht, dass Sie das gemacht haben. Sie war voll cool.« Traurigkeit schlich sich in ihre Stimme. »Ich wäre so gern mal mit ihr shoppen gegangen, aber sie konnte das Haus nicht verlassen. Darum hab ich ihr immer die Vogue und die Glamour mitgebracht.«
Ich drehte mich zu Mrs Hall um. »Mein Rat von vorhin gilt immer noch. Therapie. Und nicht zu knapp.«
Dann machte ich mich auf den Heimweg und fragte mich zum hundertsten Mal, warum ich mir den Beruf einer Schamanin ausgesucht hatte. Es gab doch bestimmt auch weniger stressige Branchen, in denen man sich nicht mit finsteren übernatürlichen Wesen herumschlagen musste. Buchhaltung. Werbung. Verbrechensbekämpfung. Na ja, Letzteres vielleicht nicht.
Ungefähr eine Stunde später war ich zu Hause und wurde gleich hinter der Tür von zwei mittelgroßen Hunden angefallen. Es waren Straßenköter, der eine völlig schwarz und der andere völlig weiß. Sie hießen Yin und Yang, aber ich konnte mir nie merken, welcher wer war.
»Aus!«, befahl ich, während sie mich beschnupperten und wild mit dem Schwanz wedelten. Der weiße versuchte, mir die Hand abzulecken. Ich drängte mich an ihnen vorbei in die Küche und stolperte beinahe über eine getigerte Katze, die platt in einem Flecken Sonne lag. Fluchend warf ich meinen Rucksack auf den Küchentisch. »Tim? Bist du da?«
Mein Mitbewohner, Tim Warkoski, steckte den Kopf in die Küche. Er trug ein T-Shirt, auf dem vor einem Schattenriss von amerikanischen Ureinwohnern stand: Heimatschutz - seit 1492 im Kampf gegen den Terrorismus. Ganz schön feinsinnig, aber die Wirkung ging ein bisschen verloren, weil Tim in Wirklichkeit gar kein Indianer war. Er spielte bloß manchmal einen im Fernsehen beziehungsweise in hiesigen Kneipen und Touristenkreisen und nutzte seine gebräunte Haut und die schwarzen Haare dazu, seine polnische Abstammung hinter sich zu lassen. Das hatte ihm einigen Ärger mit den Stämmen hier in der Gegend eingebrockt.
Eine Mülltüte in der einen Hand und eine kleine Schaufel in der anderen, bedachte er mich mit einem finsteren Blick. »Weißt du eigentlich, wie viele beschissene Katzenklos ich heute saubermachen musste?«
Ich goss mir ein Glas Milch ein und setzte mich an den Tisch. »Kiyo meint, wir brauchen eines für jede Katze und dann noch eins zusätzlich.«
»Ja klar, zählen kann ich, Eugenie. Das macht sechs Klos. Sechs Klos auf hundertfünfzig Quadratmetern Wohnfläche. Denkst du, dein fauler Freund taucht irgendwann noch mal auf und hilft uns dabei?«
Ich rutschte unbehaglich herum. Das war eine gute Frage. Nachdem wir uns drei Monate lang entweder in Tucson oder in Phoenix getroffen hatten, hatte mein Freund Kiyo beschlossen, sich die anderthalb Stunden Pendeln zu ersparen und hier eine Stelle anzunehmen. Wir hatten ein langes Gespräch darüber gehabt und waren zu dem Schluss gekommen, dass wir weit genug waren, dass er einfach bei mir einziehen konnte. Unglücklicherweise war mit Kiyo auch seine Menagerie eingezogen: fünf Katzen und zwei Hunde. Das war eine der Kehrseiten, wenn man mit einem Tierarzt zusammen war. Er musste jedes Tier bei sich aufnehmen, das ihm über den Weg lief. Welche Katze wie hieß, konnte ich mir ebenso wenig merken wie bei den Hunden. Vier waren nach den Reitern der Apokalypse benannt, und das Einzige, was ich noch wusste, war, dass Hunger ironischerweise um die fünfzehn Kilo wog.
Zu allem Überfluss war Kiyo auch noch ein Fuchs - sowohl bildlich gesprochen als auch wortwörtlich. Seine Mutter war ein Kitsune, ein japanischer Fuchsgeist. Er hatte ihre sämtlichen Eigenschaften geerbt, darunter eine unglaubliche Stärke und Schnelligkeit sowie die Fähigkeit, sich in einen richtigen Fuchs zu verwandeln. Was zur Folge hatte, dass er regelmäßig den »Ruf der Natur« verspürte und sich danach sehnte, in seiner tierischen Gestalt herumzustrolchen. Da er gerade zwischen zwei Jobs war, hatte er sich allein zu einer Art Fahrt ins Blaue aufgemacht. Ich akzeptierte es, aber nach einer Woche ohne ihn wurde ich langsam unruhig.
»Er kommt bald zurück«, sagte ich vage, ohne Tim anzusehen. »Abgesehen davon brauchst du ja keinen Haushalt mehr zu machen, wenn du stattdessen lieber Miete zahlen willst.« So lautete unsere Abmachung. Freies Wohnen gegen Putzen und Kochen.
Er ließ sich nicht einschüchtern. »Deine Kriterien in Sachen Männer sind fragwürdig. Das ist dir hoffentlich klar.«
Darüber machte ich mir eigentlich lieber keine Gedanken. Ich ließ ihn stehen und ging in mein Zimmer, wo ich Trost bei einem Puzzle mit einer Fotografie von Zürich suchte. Es lag auf meinem Tisch, genau wie eine der Katzen. Ich glaube, es war Schnurrli, der nichtapokalyptische Kater. Ich scheuchte ihn von dem Puzzle runter. Er nahm die Hälfte der Teile mit.
»Scheißvieh!«, fluchte ich.
Liebe, entschied ich, war hart. Sicher, ich war schlecht drauf, aber zum Teil beruhten meine Sorgen in Sachen Kiyo auch auf der Tatsache, dass er seine Auszeit in der Anderswelt unter anderem mit seiner Ex-Freundin verbrachte, die zufälligerweise eine umwerfend schöne Feenkönigin war. Feen, Elfen, Glanzvolle - Wie immer man sie nennen wollte, sie waren die hochgewachsenen, langlebigen Herrscher der Anderswelt. Die meisten Schamanen bezeichneten sie wie ich als Feine, ein Wort aus der mittelalterlichen Dichtung. Maiwenn, Kiyos Ex, war im neunten Monat schwanger, und obwohl sie nicht mehr zusammen waren, hatte er immer noch an ihrem Leben teil.
Ich seufzte. Vielleicht hatte Tim ja recht, was meinen fragwürdigen Geschmack in Sachen Männer betraf.
Der Abend verging. Ich vervollständigte das Puzzle bei Def Leppard auf voller Lautstärke und kam langsam wieder besser drauf. Ich machte die Musik gerade aus, als Tim rief: »Hey, Eug! Kujo ist da!«
Atemlos lief ich zur Tür meines Zimmers und riss sie auf. Ein Rotfuchs von der Größe eines Wolfes trottete den Flur herunter auf mich zu. Erleichterung durchströmte mich, und ich spürte, wie mir die Brust weit wurde, als ich ihn reinließ und zusah, wie er rastlos seine Kreise drehte.
»Wird aber auch Zeit«, sagte ich.
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
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Autoren-Porträt von Richelle Mead
Richelle Mead wurde in Michigan geboren. Sie hat Kunst, Religion und Englisch studiert. Nach dem Erfolg ihres Romans Succubus Blues hat sie mit Vampire Academy ihre erste Jugendbuchserie an den Start gebracht, mit der ihr auf Anhieb der Sprung auf die internationalen Bestsellerlisten gelang.
Bibliographische Angaben
- Autor: Richelle Mead
- 2010, 368 Seiten, Maße: 13,6 x 21,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzer: Frank Böhmert
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802582128
- ISBN-13: 9783802582127
- Erscheinungsdatum: 06.10.2010
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